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Körbchen am Strand - drei bezaubernde Hundegeschichten (3in1)

hier erhältlich:

Sanfte Wellen, weißer Sand und vierbeinige Helden, die alle Herzen im Sturm erobern werden.

AUF DEN WELLEN DES GLÜCKS

Eine Pause von der Männerwelt, das hat Silvana sich vorgenommen. Zu viele Risse hat ihr Herz schon bekommen, wenn wieder einmal eine Liebe zerbrach. Seit zwei Jahren ist sie jetzt schon Single und zur Belohnung beschließt sie, eine Kreuzfahrt in die Karibik zu machen. Doch dann begegnet Silvana auf dem Schiff dem umwerfenden Marcos Costales und plötzlich geraten all ihre guten Vorsätze mächtig ins Wanken. Könnte dieser Mann wirklich ihre große Liebe sein?

KÖRBCHEN MIT MEERBLICK

Überrascht starrt Melanie auf den Brief von Nachlassverwalter Alex Messner. Sie hat den gesamten Besitz ihrer Tante geerbt. Aber nach Lichterhaven ziehen? Auf keinen Fall. Trotzdem muss sie es sich wenigstens einmal ansehen, das ist sie ihrer Tante schuldig - und der jungen Hündin Schoki, deren Frauchen sie ab jetzt sein soll. Einen Sommer will Melanie in Lichterhaven verbringen. Und plötzlich beginnt sie sich dort richtig wohlzufühlen mit Schoki - und in der Gesellschaft von Alex.

VIER PFOTEN AM STRAND

Ein Sommer Auszeit, um an seinen Skulpturen zu arbeiten, mehr sucht Ben eigentlich nicht in dem kleinen Ort am Meer! Aber dann stolpert ihm der junge Rüde Boss über den Weg, und Ben beschließt, ihn bei sich aufzunehmen. Der Hund stellt Bens Leben auf den Kopf und seine Geduld auf eine harte Probe. Niemals wird er es allein schaffen, ihn zu bändigen. Zum Glück ist da noch Christina. Sie leitet die Hundeschule und scheint genau die Richtige für Boss zu sein. Und vielleicht auch für sein neues Herrchen …


  • Erscheinungstag: 06.08.2018
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 918
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955769376
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Petra Schier

Körbchen am Strand - drei bezaubernde Hundegeschichten (3in1)

MIRA® TASCHENBUCH

Originalausgabe

Copyright © 2017 by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH

Covergestaltung: büropecher, Köln
Coverabbildung: Rawpixel.com, otsphoto, Janis Smits, Julian Weber / Shutterstock
Redaktion: Christiane Branscheid

ISBN E-Book 9783955767860

www.harpercollins.de
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E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

PROLOG

Das Leben ist so schön! Endlich wieder. Dabei war ich noch bis vor Kurzem schrecklich traurig. Mein Frauchen Sybilla ist nämlich gestorben und hat mich ganz allein zurückgelassen. Also nicht ganz allein, denn es gibt ja schon Menschen, die sich um mich gekümmert haben. Christina zum Beispiel, bei der ich erst mal wohnen durfte. Bei ihr ist es nett, weil sie immer ganz viele Hunde zu Besuch hat. Sie bringt nämlich Menschen und ihren Hunden Sachen bei, Kunststücke und so, aber auch einfache Kommandos. So was wie: Sitz! Platz! Bleib! Ich habe auch schon einige gelernt. Aber ein richtiges Frauchen hat mir gefehlt, ein Lieblingsmensch, versteht ihr? Und jetzt darf ich seit gestern bei Melanie wohnen. Die gehörte zu Sybillas Rudel, also Familie. Ihr Menschen nennt es wohl „verwandt sein“. Vor Kurzem ist Melanie hier in Lichterhaven angekommen und wohnt jetzt in Sybillas Haus. Ich hatte sie sofort gern, weil sie so gut riecht und lieb ist, auch wenn sie, glaube ich, anfangs Angst vor mir hatte und nicht wusste, wie sie mit mir umgehen sollte. Aber das hat sich schon sehr gebessert, und inzwischen liebe ich sie noch mehr. Für mich ist sie jetzt einfach nur noch meine Mel.

Alex ist auch toll. Er ist Christinas Bruder und so ein richtig großer, starker Mann. Wenn er in der Nähe ist, fühle ich mich wohl. Heute Nacht hat er bei Mel geschlafen, und jetzt steht er gerade in der Küche und kocht irgendwas, was unglaublich gut riecht. „Omelett“ hat er es genannt. Hoffentlich kriege ich davon auch etwas ab.

Gegenüber Alex war Mel anfangs auch so zurückhaltend und vorsichtig, genau wie bei mir. Ich glaube, sie will niemanden an sich heranlassen, weder andere Menschen noch Hunde. Sie ist eine Einzelgängerin, aber sie scheint damit gar nicht glücklich zu sein. Ich wäre es auch nicht. Nach Sybillas Tod war ich schrecklich allein und verlassen. Das ist nicht schön, und ich will nicht, dass Mel sich so einsam und verloren fühlt.

Sie ist bestimmt nicht so wegen Sybilla, denn ich glaube, Mel hat sie schon seit einer Ewigleit nicht mehr gesehen. Viel länger, als ich es mir vorstellen kann. Aber Mel hatte wohl nie ein richtiges eigenes Rudel, also eine Familie, die für sie da ist. Nur eine Mutter, und mit der versteht sie sich anscheinend nicht so gut. Sybilla hat manchmal davon erzählt, wenn ihre Freundin Deana zu Besuch war. Sie hat oft über Mel geredet, weil sie sie lieb hatte und sie vermisste. Verstehen konnte ich das damals nicht, aber jetzt schon, seit ich Mel kennengelernt habe. Sie ist einfach toll, und ich wünsche mir nichts mehr, als dass sie hier in Lichterhaven bleibt, bei mir und Alex und Chris und allen. Aber hauptsächlich bei mir. Sie ist doch jetzt mein Lieblingsmensch. Vielleicht sollte ich mal nachschauen, wo sie bleibt. Alex scheint mit dem Frühstück fertig zu sein, und Mel braucht viel zu lange unter der Dusche.

Oh, Moment mal, was war das denn jetzt für ein Geräusch? Da kommt jemand. Ich hab ein Auto gehört, das vor dem Haus gehalten hat. Passt bloß auf, nicht dass das Einbrecher sind. Obwohl, vielleicht ist es auch nur der Postbote. Den mag ich, der streichelt mich immer. Aber dessen Auto hört sich anders an. Geht doch mal gucken, wer da ist!

***

Neugierig verließ Melanie das Bad und stieg die Treppe bis zur Hälfte hinunter. Unten sah sie Alex, der versuchte, die aufgeregte Hündin zu beruhigen. Grinsend blickte er zu ihr hoch. „Erwartest du Besuch?“

„Nein, wie kommst du darauf?“ Überrascht stieg sie auch noch die letzten Stufen hinab. Als sie unten ankam, klingelte es an der Haustür.

„Deshalb.“ Er richtete sich wieder auf. Schoki bellte erneut.

Nun macht schon auf. Ich will wissen, wer das ist. Es sind zwei Leute, das sehe ich durch das Milchglas!

„Schoki, ist ja schon gut, du bist ja eine gute Wachhündin. Aber jetzt ist Schluss mit dem Lärm.“ Mit Bestimmtheit führte Alex eine Handbewegung aus, woraufhin Schoki sich, jetzt nur noch leise fiepend auf ihr Hinterteil fallen ließ.

Ist ja schon gut. Ich sag ja gar nichts mehr. Man wird ja wohl noch fragen dürfen.

Melanie räusperte sich und überlegte fieberhaft, wer sie an diesem Montagmorgen wohl besuchen mochte. Als sie die Tür öffnete, fiel ihr beinahe die Kinnlade herab.

1. KAPITEL

Sechs Monate zuvor

„Entschuldigen Sie mich bitte. Ich glaube, ich habe dort drüben eine Bekannte gesehen, der ich unbedingt noch etwas mitteilen muss.“ Silvana schnappte sich ihr Weißweinglas und entfernte sich vom Tisch, so rasch es ihr die allgemeine Höflichkeit erlaubte. Ausgerechnet zum Kapitänsdinner am letzten Abend ihrer zehntägigen Karibikkreuzfahrt hatte man sie an einen Tisch mit drei unglaublich langweiligen älteren Ehepaaren gesetzt. Was für eine Verschwendung von Lebenszeit, vor allen Dingen, wenn man bedachte, dass ringsum an diversen Tischen Singles, vorzugsweise männlichen Geschlechts und deutlich weiter in der Zukunft liegenden Verfallsdatums, saßen.

Das Essen war wie immer vorzüglich gewesen. Trotzdem hatte sie fürs Erste genug über Kinderkrankheiten von irgendwelchen Enkeln gehört. Die Top Ten der durch das liebe Alter hervorgerufenen Gebrechen und deren unzureichende Behandlung durch eine Reihe von unfähigen Haus- und Fachärzten waren auch bereits zur Genüge diskutiert worden. War sie wirklich nur rund fünfzehn Jahre jünger als die drei Ehepaare, die offenbar gar nicht bemerkten, dass sie den Tisch verlassen hatte? In Momenten wie diesen schwor sie sich, niemals – unter keinen Umständen und nicht einmal im gesegneten Alter von neunundneunzig Jahren – derart alt und eingerostet zu werden.

Sie straffte die Schultern, zog den Bauch ein wenig ein, obgleich das nicht notwendig war, denn durch regelmäßiges Yoga und Pilates war er noch genauso flach wie vor zwanzig Jahren, und zupfte ihr hautenges Kleid glatt. Der dunkelblaue Stoff kontrastierte wunderbar mit ihrem honigblonden Haar. Sie hatte es für den heutigen Anlass hochgesteckt, damit ihr schlanker und erfreulich faltenloser Hals betont wurde.

Silvana war stolz auf ihren Körper. Die zweiundfünfzig Lebensjahre sah man ihm nicht an, ebenso wenig wie ihrem Gesicht. Bisher war sie noch niemals älter als Ende dreißig geschätzt worden, und sie war wild entschlossen, diesen Zustand noch möglichst lange aufrechtzuerhalten.

Im Vorbeigehen bemerkte sie die Blicke einiger Männer. Obwohl sie erst kurz an ihrem Gesicht hängen blieben, tendierten sie dazu, rasch zu ihrem tiefen V-Ausschnitt zu wandern. Er lieferte gerade genügend Einblicke in ihr Dekolleté, um die Fantasie anzuregen.

Schade eigentlich, dass sie sich seit zwei Jahren eine strikte Männerdiät auferlegt hatte. So lange war es her, seit sie sich von ihrem letzten Lebensabschnittspartner getrennt hatte. Immerhin hatte sie es damals fast ein dreiviertel Jahr mit ihm ausgehalten, doch dann war er ihr langweilig geworden. Als er immer häufiger auf lange Geschäftsreisen gegangen war, hatte sie geahnt, dass er ebenfalls genug von ihr hatte. Sie bedauerte die Trennung im Nachhinein nicht, auch wenn sie in der ersten Zeit doch recht niedergeschlagen gewesen und mit Sicherheit ihrer Tochter damit auf den Geist gegangen war.

Melanie lebte seit einiger Zeit in Köln, wo sie sich zur Chefeinkäuferin für Zulieferteile eines bekannten Möbelunternehmens gemausert hatte. Silvana war unglaublich stolz auf sie. Mit ihren neunundzwanzig Jahren hatte Melanie so viel mehr erreicht als ihre Mutter, die sich ihren Unterhalt nach wie vor nur als Verkäuferin verdiente, wenn auch in einer durchaus angesehenen Boutique für gehobene Damenmode. Vielleicht sollte sie sie bald wieder einmal besuchen und ihr noch ein wenig mehr auf den Wecker gehen. Melanie lebte sehr zurückgezogen, ein Zustand, den Silvana nicht einen Tag lang ausgehalten hätte. Sie wusste, sie trug nicht unerhebliche Schuld daran, dass ihre Tochter ein derart introvertierter Mensch geworden war, der Beziehungen lieber in weitem Bogen aus dem Weg ging, anstatt die Vorteile zu genießen. Mutter und Tochter waren schon immer grundverschieden gewesen, und der unstete Lebenswandel, den Silvana Melanie stets geboten hatte, weil sie, das gab sie gerne zu, von Stadt zu Stadt und von Mann zu Mann gezogen waren, hatte sicherlich erheblich zu dem Graben beigetragen, der sich zwischen ihnen aufgetan hatte und den zu überwinden so unglaublich schwer war, je breiter er wurde.

Sie hatte den Saal verlassen, in dem das Dinner serviert worden war, und schlenderte nun über das offene Deck bis zur Reling. Eine warme Brise umwehte sie und spielte mit den wenigen Haarsträhnen, die sie strategisch aus ihrer Frisur gezupft hatte, damit sie ihr Gesicht umschmeichelten und es weicher erscheinen ließen.

Die Sonne war lägst untergegangen, und am Himmel standen neben dem halb gerundeten Mond unzählige Sterne, die mit der Beleuchtung des Kreuzfahrtschiffs um die Wette zu strahlen schienen. Im Hintergrund begann eine Liveband zu spielen und läutete damit den geselligen Teil des Abends ein. Wer wollte, konnte tanzen, und Silvana hatte genau das vor. Im Moment genoss sie jedoch die milde Abendluft noch ein wenig mehr. Also blieb sie erst einmal, wo sie war, und betrachtete den nächtlichen Ozean und hin und wieder die vorbeiflanierenden Gäste. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie einen hochgradig attraktiven schwarzhaarigen Mann, dessen Hautfarbe einen Tick dunkler war als der mitteleuropäische Durchschnitt. An den Schläfen entdeckte sie winzige graue Stellen, was sie veranlasste, ihn auf Mitte fünfzig zu schätzen, obgleich seine athletisch-trainierte Gestalt eher die eines Mittvierzigers hätte sein können. Er hielt ein Glas Club-Soda in der Hand und unterhielt sich lachend und scherzend mit zwei deutlich jüngeren Frauen, von denen die eine, brünett und kurvig, ihm immer wieder eine Hand auf den Arm legte und ihm Blicke zuwarf, die mehr als eindeutig besagten, dass er ihr ohne den schwarzen Smoking, den er trug, noch wesentlich lieber gewesen wäre.

Abgesehen davon, dass Silvana ihr in dieser Hinsicht durchaus zustimmte – der Mann war geradezu verboten sexy und wäre ein kleines Abenteuer sicherlich wert –, verspürte sie in diesem Moment einen seltsamen Flashback. Sie sah sich selbst vor zehn oder zwanzig Jahren ebenso schamlos das neueste Ziel ihrer Wünsche umgarnen. Ein Anflug von Mitleid für die junge Frau veranlasste sie dazu, den Kopf zu schütteln und sich abzuwenden. Nicht dass sie dem Mann sein Vergnügen nicht gönnte; soweit sie sehen konnte, trug er keinen Ehering, doch wenn die beiden jungen Damen nur halb so entschlossen waren, sich eine gute Partie zu angeln, wie sie es einst gewesen war, dann konnte er ihr nur herzlich leidtun. Andererseits – wer sagte ihr, dass er nicht umgekehrt auf der Suche nach einem hübschen Mitbringsel für sein leeres Haus war? Kreuzfahrten wie diese waren für einen wohlhabenden Junggesellen sicherlich eine wahre Fundgrube. Dass er wohlhabend war, hatte sie auf den ersten Blick erkannt. Seine Haltung, sein maßgeschneiderter Smoking, die gepflegten Hände und vor allen Dingen seine selbstsichere und unterschwellig dominante Aura verrieten, dass er sowohl Geld als auch Stil besaß.

Da sie nicht vorhatte, sich weiter mit einem Mann zu befassen, der so eindeutig von zwei anderen Frauen mit Beschlag belegt wurde, richtete Silvana ihren Blick erneut auf die Weite des Ozeans und verglich sie insgeheim mit den derzeit herbstlich bunten Hügeln, Weinbergen und Wäldern des Ahrtals, die sie vom Fenster ihres kleinen Appartements aus sehen konnte. Sie mochte den Ausblick aus ihrer Wohnung ebenso wie die nette Nachbarschaft, ihren Job in der Boutique in Bad Neuenahr-Ahrweiler, für den sie sich nach ihrer Trennung vor zwei Jahren von Bielefeld aus beworben hatte. Seitdem war ihr Leben in ungewöhnlich ruhiges Fahrwasser geraten. Beziehungen ging sie zum ersten Mal in ihrem Leben aus dem Weg. Wenn ihr nach männlicher Gesellschaft zumute war, achtete sie strikt darauf, dass es bei maximal drei Treffen blieb, Sex mit eingeschlossen, falls die Chemie stimmte, was überraschend selten der Fall war.

Selbst auf dieser Kreuzfahrt, die sie sich selbst zum Geburtstag geschenkt hatte, war sie noch nicht in Versuchung geraten, sich mit einem der männlichen Gäste näher zu befassen. Nicht dass es keine Interessenten gegeben hätte, doch seit ihrer selbst auferlegten Männerdiät war sie deutlich wählerischer geworden. Zwar war sie auch früher nicht mit jedem x-beliebigen Mann ins Bett gegangen, ganz sicher nicht, doch seit sie die fünfzig überschritten hatte, wünschte sie sich doch zunehmend männliche Gesellschaft, die sie auch außerhalb des Bettes anregte und länger als einen flüchtigen Augenblick bei der Stange hielt. In diese Kategorie passten aber leider ausgesprochen wenige Exemplare der männlichen Gattung, sodass sie sich mittlerweile direkt ein bisschen ausgehungert vorkam. Allerdings trotzdem nicht so sehr, dass sie ihre neu gefundenen Standards so leicht über Bord werfen würde.

Noch zehn Minuten, beschloss sie, dann würde sie wieder hineingehen und sehen, ob sich die Spreu inzwischen vom Weizen getrennt hatte, wie sie es gerne nannte. Sobald sich die ersten Tanzpaare gebildet hatten, konnte sie in Ruhe die Lage sondieren und würde schnell überblicken, ob der Abend nette Gesellschaft versprach oder ob die noch verbliebenen männlichen Gesprächs- und Tanzpartner nicht mehr ausreichten, um ihr Interesse zu wecken. In dem Fall würde sie für ein Weilchen mit dem vorliebnehmen, was übrig geblieben war, nachdem alle anderen Frauen sich über das Angebot hergemacht hatten, und dann früh zu Bett gehen und einen guten Krimi lesen.

***

Fasziniert beobachtete Marcos die blonde Schönheit, die gerade den Saal verlassen hatte und an die Reling getreten war. Sie schien ohne Begleitung zu sein, was er angesichts ihrer traumhaften Figur und des wunderschönen ebenmäßigen Gesichts mit den vollen Lippen ausgesprochen ungewöhnlich fand. Sie war ihm während der Kreuzfahrt schon hin und wieder aufgefallen, allerdings stets in Gesellschaft von mehreren Männern und Frauen gewesen, sodass er sich nicht die Mühe gemacht hatte, sie anzusprechen. Immerhin war die Auswahl an weiblicher Gesellschaft auf dem Kreuzfahrtschiff nicht gerade gering. Das war einer der Gründe gewesen, warum er sich allein auf diese Reise gemacht hatte. Er hatte dringend Urlaub gebraucht, einen Ortswechsel, um den Stress der vergangenen Monate abzuschütteln, und anregende Gesellschaft. Diese hatte er auch durchaus gefunden, gab jedoch acht, die neu gewonnen Bekanntschaften strikt platonisch zu halten. Er war kein Playboy. Wenn er sich auf eine Frau einließ, dann musste die Beziehung Substanz haben, etwas, was man auf einem Kreuzfahrtschiff eher selten fand. Die beiden jungen Frauen, die ihn im Augenblick umgarnten, waren der eindeutige Beweis dafür, dass mehr als schneller Sex hier kaum zu erwarten war. Es sei denn, er wäre gewillt, eine von ihnen zu seiner Geliebten zu machen, was vor allem die Brünette – Libby war ihr Name, soweit er sich erinnerte – sicherlich begrüßt hätte. Er kannte diese Sorte Frauen, hatte sich sogar hin und wieder die Mühe gemacht, die eine oder andere von ihnen näher kennenzulernen. Dass er nach wie vor Junggeselle war, zeigte deutlich, dass keine von ihnen seinen hohen Maßstäben an die Frau, mit der er sein Leben verbringen wollte, gerecht geworden war. Bisher.

Sein Blick wurde immer wieder wie magnetisch von der blonden Schönen angezogen. Ihre schlanke weibliche Figur, die weiche faltenlose Haut, ihre graziöse Haltung, alles ließ auf eine Frau mit Stil und viel Sex-Appeal schließen. Auf den ersten Blick vielleicht Ende dreißig oder Anfang vierzig. Je länger er sie jedoch beobachtete, desto mehr Details fielen ihm auf. Weniger an ihrem geradezu makellosen Äußeren, sondern an ihrer Miene, ihrem Blick, ihrer Haltung, und er korrigierte seine Einschätzung. Diese Frau war eher Ende vierzig, vielleicht auch schon um die oder leicht über die fünfzig.

Viele andere Männer seines Jahrgangs hätten bei dieser Einsicht sofort das Interesse verloren. Vor allem jene, die sich gerade mit Wonne in etwas suhlten, was der Volksmund als Midlife-Crisis bezeichnete und vielen seiner Geschlechtsgenossen als Ausrede diente, sich mit blutjungen Hüpfern zu umgeben, möglichst noch solchen mit Spatzenhirn, die dem männlichen Ego schmeichelten, ansonsten jedoch seiner Meinung nach so überflüssig waren wie ein Kropf.

Er liebte Substanz, Leidenschaft, Lebenslust und war gerne gewillt, all dies gepaart mit einer guten Dosis Lebenserfahrung zu genießen. Vor allem, wenn sie derart verführerisch verpackt daherkam.

„Komm schon, Marcos, lass uns an die Bar gehen. Ich sterbe für einen Cocktail.“ Libby hängte sich bei ihm ein und klimperte vielsagend mit den Wimpern. „Ich wollte schon immer mal einen Sex on the Beach ausprobieren. Du nicht auch?“ Sie kicherte und zwinkerte ihm vielsagend zu.

Marcos nickte lächelnd und ließ sich von Libby und ihrer Freundin zurück in den Saal ziehen. Dabei warf er der blonden Erscheinung einen letzten Blick zu und beschloss, sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen.

2. KAPITEL

Silvana nippte an ihrem Weißwein und beschloss, dass es an der Zeit war, ihren Plan für den Abend in die Tat umzusetzen. Wenn sie nämlich noch länger hier draußen stand, wären auch noch die letzten verfügbaren Tanzpartner vergeben. Timing war alles, deshalb richtete sie sich auf, straffte die Schultern und trank einen weiteren Schluck Wein. Während sie dem Ozean noch einen letzten langen Blick zuwarf, spürte sie, wie jemand sich ihr näherte und dann neben sie trat.

„Gefährlich, diese Aussicht.“ Die Stimme des Mannes klang angenehm dunkel und samtig.

Sie wandte sich ihm nicht zu, wusste aber dennoch sofort, wer er war. „Finden Sie?“

„Geheimnisvolle Weite, dunkle Tiefen, Sternenlicht …“ Er sah sie von der Seite an, und als sie ihm nun doch den Kopf zuwandte, stockte ihr für einen winzigen Moment der Atem. Die Farbe seiner Augen war so dunkelbraun, dass sie beinahe schwarz wirkten, sein Blick so eindringlich und ausschließlich auf sie gerichtet, dass ihr Herz für ein, zwei Schläge aus dem Takt geriet. „Man könnte sich darin verlieren, wie in den Augen einer schönen Frau.“

Sie schmunzelte. „Sind Sie sicher, dass Sie mit dem Süßholzgeraspel bei mir an der richtigen Adresse sind?“

Sein Lächeln war entwaffnend offen. „Sie haben mit dieser Reaktion den eindeutigen Beweis geliefert.“ Er trank einen Schluck Soda. „Wie kommt es, dass eine Schönheit wie Sie hier einsam und verlassen an der Reling steht, anstatt sich auf der Tanzfläche zu vergnügen?“

„Vielleicht ziehe ich die Einsamkeit vor?“

Sein Blick wanderte von ihren Augen zu ihren Lippen, über ihren Körper und wieder zurück. „Auf gar keinen Fall. Alles an Ihnen sprüht vor Leben, und dieses Kleid spricht ebenfalls eine ganz andere Sprache.“

„So?“ Sie lächelte in ihr Weinglas. „Was sagt es denn?“

„Sie meinen, abgesehen davon, dass es mich gerade ziemlich eindringlich dazu auffordert, herauszufinden, welche Geheimnisse sich darunter befinden?“

„Dazu fordert es Sie auf?“ Sie begann den kleinen Flirt zu genießen.

„Mich und jeden anderen Mann auf diesem Schiff, der über einen Puls verfügt.“ Er trank sein Glas leer, und da sie ihres ebenfalls geleert hatte, nahm er es ihr ab und stellte beide Gläser auf das Tablett eines vorbeieilenden Stewards. „Da ich mich aber zu der zivilisierten Riege des männlichen Geschlechts zähle, bemühe ich mich, das eindringliche Geflüster vorerst zu überhören und mich auf die weniger verfängliche Botschaft zu konzentrieren, die Ihre Erscheinung aussendet.“

„Und die wäre?“

„Tanz mit mir.“

Überrascht über seinen veränderten Tonfall musterte sie ihn und spürte ein vertrautes und doch zugleich neues Flattern in der Magengrube. Als er ihr die Hand reichte, ergriff sie sie, noch bevor ihr Verstand das Für und Wider gegeneinander abwägen konnte. Augenblicke später fand sie sich in seinem Arm auf der Tanzfläche wieder. Die Band spielte alte Tanzklassiker aus den vergangenen vierzig Jahren, und sie passte sich problemlos seinem Schritt an.

„Normalerweise tanze ich nicht mit fremden Männern, die mir nicht einmal ihren Namen verraten.“

„Dann habe ich ja ausgesprochenes Glück gehabt.“ Er führte sie selbstbewusst und zielstrebig und ließ ihr Gesicht keinen Moment aus den Augen, sodass sie sich fühlte, als sei sie die einzige Frau im Raum. „Aber ich hatte nicht vor, aus meiner Identität ein Geheimnis zu machen. Mein Name ist Marcos Costales.“

Der Name passte zu ihm.

„Silvana Brenner.“

In seinen Augen glitzerte es vergnügt, als er sie schwungvoll herumwirbelte. „Es freut mich, dich kennenzulernen, Silvana Brenner.“

***

Eine knappe Stunde später fragte Silvana sich ernsthaft, was in sie gefahren sein mochte. Sie hatte so fest vorgehabt, sich an diesem Abend ganz lässig und zwanglos von Tanzpartner zu Tanzpartner zu bewegen, ein wenig oberflächlichen Spaß zu haben und sich emotional auf nichts einzulassen. Stattdessen wurde sie jetzt ausschließlich und ohne nennenswerte Pausen, sah man einmal von kurzen Unterbrechungen für einen Schluck erfrischender Weinschorle oder Sekt ab, von Marcos Costales über die Tanzfläche gewirbelt. Anfangs redete sie sich damit heraus, dass er einfach ein zu guter Tänzer war, als dass sie sich rasch von ihm hätte verabschieden können. Doch in Wahrheit genoss sie seine Gesellschaft von Minute zu Minute mehr. Er war intelligent, belesen und besaß einen tiefgründigen Sinn für Humor, alles Eigenschaften, die sie sehr zu schätzen wusste. Seine ruhige, überlegene Art kontrastierte, das gab sie gerne zu, ganz enorm mit ihrem eigenen, eher quirligen und zuweilen überschäumenden Wesen, aber genau das zog sie seltsamerweise ganz besonders an. Möglicherweise zu sehr, denn auf seine offenbar aufrichtig interessierten Fragen nach ihrem Leben sprudelten die Antworten geradezu aus ihr heraus wie ein Wasserfall. Deshalb wusste er bereits, wo und wie sie lebte, dass sie eine erwachsene Tochter hatte – und sogar ihr Alter, das sie normalerweise bei solchen Gelegenheiten strikt für sich behielt, hatte er ihr entlockt. Sie schob es auf ihre lange Abstinenz, verbunden mit dem Alkohol, auch wenn sie diesen wohlweislich nur verdünnt trank, dass sie so intensiv auf ihn reagierte.

„Du bist also auf einer strikten Männerdiät.“ Marcos reichte ihr ein frisches Glas Weißweinschorle und trank selbst einen Schluck Soda. Er hatte bisher nur ein einziges Glas Sekt zu sich genommen, schien also zu der Sorte Mann zu gehören, die auch bei Geselligkeiten gerne die volle Kontrolle behielten. „Dann kann ich mich ja glücklich schätzen, dass du für mich eine Ausnahme gemacht hast.“

Silvana beschloss, dass dies nun auch ihr letztes Glas Alkohol für den Abend sein würde, denn sie wollte sich den angenehmen Zustand des Angeheitertseins nicht durch einen waschechten Schwips verderben. „Ein bisschen Tanzen zählt für mich noch nicht zu den Ausnahmen, sondern zur allgemeinen Geselligkeit.“

„Autsch.“ Er verzog schmerzlich das Gesicht. „Das hat gesessen. Mein Ego blutet. Und ich dachte schon, gerade meine Kunstfertigkeit auf der Tanzfläche würde mir ordentlich Zusatzpunkte verschaffen.“

„Ich habe nicht gesagt, dass an deinen Fähigkeiten als Tanzpartner etwas auszusetzen ist. Nur dass ich das Tanzen an sich noch nicht als Ausnahme von meinen strengen Abstinenzregeln betrachte.“

„Vielleicht, weil wir uns bisher auf Walzer und Foxtrott beschränkt haben. Entschuldige mich, ich bin gleich wieder da. Nicht weglaufen!“

Überrascht sah sie ihm nach, wie er mit ausholenden Schritten hinüber zu dem Podium ging, auf dem die Band spielte. Er sprach eindringlich auf den Bandleader ein, der mehrmals nickte und dann mit einem wissenden Grinsen in ihre Richtung blickte. Seltsamerweise regte sich in Silvanas Magengrube erneut dieses rätselhafte Flattern, das sich noch verstärkte, als Marcos wieder auf sie zukam und im selben Moment die Musik wieder einsetzte, diesmal mit heißen Sambarhythmen.

„Wollen wir doch mal sehen, ob ich nicht dazu imstande bin, einen nachhaltigeren Eindruck bei dir zu hinterlassen als nur den eines x-beliebigen Gesellschafters.“ Mit einem schalkhaften Grinsen ergriff Marcos ihre Hand und zog sie schwungvoll auf die Tanzfläche.

Sie folgte ihm etwas atemlos. „Ich habe seit mindestens zwanzig Jahren keine Samba mehr getanzt!“

„Na, dann wird es Zeit, dass du wieder damit anfängst.“ Er wies mit dem Kinn auf die wenigen anderen Tanzpaare, die sich an die schnellen Rhythmen heranwagten. Silvana konstatierte, dass sie alle deutlich jünger waren als sie beide. „Zeigen wir den jungen Hüpfern mal, wo es langgeht.“

„Marcos …“ Sie lachte, als er sie an sich zog, und folgte instinktiv seiner Führung. Ihr Herz schlug einen Tick zu heftig, das Blut rauschte eindeutig zu heiß durch ihre Adern, dennoch genoss sie es, mit diesem sexy Mann zu tanzen. Ihr wurde unnatürlich warm, als ihre Blicke aufeinandertrafen und sich ineinander verhakten. Die Luft um sie herum schien zu knistern, und zwischen ihnen veränderte sich etwas. Die ungezwungene Stimmung, die sich während ihres Flirts entwickelt hatte, wandelte sich in ein unterschwellig erotisches Pulsieren, das nach und nach jede Faser ihres Körpers erfasste. Wie durch einen Schleier hindurch nahm sie wahr, dass um sie herum applaudiert wurde. Es befanden sich nur noch fünf oder sechs Paare auf der Tanzfläche, die mit der unbändigen lateinamerikanischen Musik mithielten.

Silvana wusste, es war brandgefährlich, sich in diesem Augenblick zu verlieren, in diesen beinahe schwarzen Augen, die so ausschließlich auf sie gerichtet waren und von Dingen sprachen, an die zu denken sie sich doch eigentlich verboten hatte.

„So gefällst du mir noch besser.“ Sein Lächeln ließ seine Augen gefährlich funkeln.

„Was meinst du?“ Ein wenig atemlos drehte sie sich von ihm weg, nur um sich gleich darauf wieder dicht bei ihm wiederzufinden. Ihre Beine folgten seinem Schritt, ohne dass sie darüber nachdenken musste.

„Die ungezügelte Leidenschaft, die du bis eben noch versucht hast zu unterrücken. Vielleicht, weil du glaubst, dass sie sich bei einem ersten Date noch nicht gehört.“

Sie fühlte sich angenehm schwindelig in seiner Nähe. „Das nennst du ein erstes Date?“

„Nicht ganz, aber doch nah genug daran.“ Wieder drehte sie sich weg, entfernte sich ein Stück und fühlte sich gleich darauf wieder zurückgezogen. „Es geht doch nichts über eine heiße Samba, um das wahre Gesicht einer Frau zu enthüllen.“

Sie spürte eine Gänsehaut auf ihrem Körper. „Nach meiner Erfahrung wollen die wenigsten Männer das wahre Gesicht einer Frau finden. Schon gar nicht beim ersten Date.“

„Und doch kannst du es vor mir nicht verbergen.“ Seine Stimme war deutlich tiefer und rauer geworden und jagte ihr angenehme und zugleich beängstigende Schauder über den Rücken. „Du bist eine außergewöhnliche Frau, Silvana Brenner. Wunderschön. Sexy. Leidenschaftlich.“ Sein Gesicht näherte sich dem ihren, doch der schnelle Rhythmus der Musik verbot es ihm, sie zu küssen. Sie wusste nicht, ob sie enttäuscht oder erleichtert sein sollte. „Ich bin sehr froh, dass wir uns heute Abend begegnet sind und dass du für mich diese Ausnahme gemacht hast.“

Sie schluckte, denn aus einem unerfindlichen Grund pochte ihr Herz bis zum Hals hinauf. „Ich sagte doch, ich habe keine …“

„Doch, hast du“, unterbrach er sie und hielt ihren Blick eindringlich mit dem seinen gefangen. „Und wirst du.“

Sie erschrak fast, als die Musik endete und er sie losließ. Ringsum wurde wild gejubelt und applaudiert. Ehe sie reagieren konnte, zog Marcos sie wieder an sich, diesmal sehr sanft. Die Musik wechselte erneut den Rhythmus. Jetzt rieselte Frank Sinatras Strangers in the Night über sie hinweg. Die Stimme des Sängers glich der des Originals ganz erstaunlich, und Silvana fühlte sich wie in einen Kokon aus romantischen Klängen gehüllt. „Und was nun?“

Marcos hatte sie so fest an sich gezogen, dass sie seinen festen Körper, die harten Muskeln, seine Stärke überdeutlich spüren konnte. Ihr Blutdruck stieg in ungeahnte Höhen, als sie seine Fingerspitzen spürte, die sachte ihren Rücken hinaufglitten und spielerisch über ihren Nacken strichen. „Nun würde ich sagen, dass wir uns rasch entscheiden sollten – deine Kabine oder meine?“

Das Flattern in ihrer Magengrube wandelte sich zu einem ziehenden, pulsierenden Sehnen. „C-Deck“, murmelte sie und erlaubte sich, ihre Wange für einen Moment an seine Schulter zu legen. Sein herber männlicher Geruch, vermischt mit einem teuren Rasierwasser, stieg ihr in die Nase.

„B-Deck.“ Seine Finger streichelten noch immer über ihren Nacken. „Meine Kabine liegt näher.“

Als die letzten Noten des Liedes verklangen, ergriff Marcos Silvanas Hand und zog sie mit sich von der Tanzfläche und hinüber zu den Aufzügen. Dort fanden sie sich in Gesellschaft weiterer Personen, die einzeln oder in Paaren den Saal verlassen hatten. Sie brachten es fertig, neutral nebeneinander zu stehen, bis sie Marcos’ Deck erreichten. Zielstrebig führte er sie einen langen Gang entlang und fluchte unterdrückt, als ihnen eine Gruppe junger Frauen entgegenkam, die lachend und scherzend mit Sektflaschen hantierten und den Weg versperrten.

Kurzerhand stieß er eine Tür mit der Aufschrift Staff only/Nur Personal auf, an der sie gerade vorbeikamen, und sie fanden sich in einer Art Pausenraum oder Lounge wieder. In einer Ecke gab es eine Küchenzeile, die Mitte des Raumes wurde von einem niedrigen Couchtisch eingenommen, der von mehreren Sesseln und zwei Sofas umgeben war. Es roch ganz leicht nach Kaffee, Vanille und Karamellgebäck. Ein kleines Notlicht beleuchtete den Raum spärlich.

Entschlossen schob Marcos die Tür zurück ins Schloss und drehte den Schlüssel um; im nächsten Moment lagen seine Lippen fest auf Silvanas Mund.

Ihr Herz schlug aufgeregte Haken, und sie rang überrascht nach Atem, was ihn umgehend dazu veranlasste, den Kuss zu vertiefen. Hitze stieg zwischen ihnen auf, als ihre Zungen sich berührten. Seine Hände legten sich schwer auf ihre Schultern, glitten aufwärts und umschlossen schließlich ihre Wangen. Er neigte ihren Kopf ein wenig nach hinten, um ihre Lippen noch rücksichtsloser plündern zu können.

Silvana prallte gegen die Wand neben der Tür, als er seinen Körper gegen ihren drängte, hielt sich an ihm fest und ließ es mit wild pochendem Herzen zu, dass seine Hände über ihren Körper fuhren.

Sie schob ihm die Smokingjacke von den Schultern, kämpfte mit seiner Fliege, warf sie schließlich achtlos zu Boden und zog sein Hemd aus dem Hosenbund. Haut. Sie wollte seine Haut unter ihren Fingern spüren.

Er stöhnte unterdrückt, als sie ihr Ziel erreicht hatte, und half ihr, das Hemd aufzuknöpfen und auszuziehen. Herrlich feste Haut über straffen Muskeln kam zum Vorschein; die feinen schwarzen Härchen auf seiner Brust hinterließen ein erotisches Kribbeln an ihren Handflächen.

Marcos drängte sie noch fester gegen die Wand. Jetzt konnte sie seine Erektion spüren. Das Pulsieren in ihrer Körpermitte steigerte sich zu einem drängenden Pochen. Mit fliegenden Fingern machte sie sich an seinem Gürtel und dem Knopf an seiner Hose zu schaffen, während ihre Lippen und Zungen noch immer wild miteinander rangen. Er zerrte an ihrem Kleid und schob es ungeduldig bis über ihre Hüften hoch. Seine Hände legten sich fest auf ihre Hüften und wanderten von dort verlangend zu ihrem Hintern hinab. Wieder presste er seinen Körper gegen ihren, ließ sie erneut spüren, wie hart und erregt er war.

Ein heißer Luststrahl schoss durch sie hindurch, als er eine Hand suchend und zielstrebig zugleich zwischen ihre Schenkel wandern ließ und den dünnen Stoff ihres Slips beiseiteschob.

Sie war feucht und bereit für ihn und hörte ihn lustvoll stöhnen, als seine Fingerspitzen auf ihre Hitze trafen. Wie in einem Rausch zerrte sie an seiner Hose, half ihm, sie loszuwerden und das Kondom, das sie in wilder Hast aus ihrem Abendtäschchen gezogen hatte, überzustreifen. Gleich darauf schlang sie ein Bein um ihn. „Jetzt, oh Gott, Marcos. Jetzt!“ Sie biss in seine Schulter, als er ihren Schenkel noch ein wenig weiter anhob und zugleich schnell und hart in sie eindrang.

Lichter und Farben explodierten, einem Feuerwerk gleich, vor ihrem inneren Auge. Sie schloss die Lider und gab sich ganz dem Gefühl des Erobertwerdens, des Ausgefülltseins hin.

„Silvana.“ Marcos vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge, stieß in einem drängenden, schnellen Rhythmus in sie. Sie spürte seine Lippen, dann seine Zunge an ihrer Halsbeuge und schließlich an der Stelle, wo ihre Halsschlagader wild pochte. Ihr wurde beinahe schwarz vor Augen, als er die empfindliche Haut dort einsaugte.

Ungeduldig drängte sie sich ihm entgegen, schlang auch noch das andere Bein um ihn und entlockte ihm damit ein tiefes raues Stöhnen. Er hielt sie nur mit dem Gewicht und der Kraft seines Körpers weiter gegen die Wand gepresst und verlangsamte die Frequenz seiner Stöße, bis er sich nur noch ganz langsam und tief in ihr bewegte.

Schauder und Wellen der Wonne durchfluteten Silvanas Körper und nahmen ihr die Luft, bis sie nur noch ganz flach atmen konnte und sich alles in ihr anzuspannen begann. Die Muskeln in ihrem Inneren umschlossen ihn fest und rhythmisch und schrien geradezu nach Erlösung. Diese wollte Marcos ihr jedoch offenbar noch nicht zugestehen, denn als sie ihr Becken auffordernd kreisen ließ, keuchte er und zog sich hastig aus ihr zurück.

„So nicht, meine Schöne.“ In seinen Augen glitzerte es wieder gefährlich. Er ließ sie Halt auf ihren eigenen Beinen finden und öffnete den Reißverschluss an ihrem Kleid. Sie zog es aus und ließ auch gleich den spitzenbesetzten BH folgen, dessen Verschluss er ungeduldig aufgehakt hatte.

***

Mit beiden Händen umschloss er Silvanas volle Brüste, hob sie leicht an und umschloss eine der aufgerichteten Spitzen mit den Lippen. Sie stieß ein erregtes Keuchen aus, als er seine Zunge leicht über die Brustwarze tanzen ließ.

Ehe das Bedürfnis, sie erneut gegen die Wand zu drängen und zu nehmen, überhandnehmen konnte, schob er sie zu einem der Sofas. Bevor er sie jedoch dazu bringen konnte, sich darauf auszustrecken, hatte sie ihn bereits daraufgedrückt und sich auf seinen Schoß geschoben. Sternchen wirbelten vor seinen Augen, als sie sich über ihn senkte und ihn erneut in sich aufnahm. Unwillkürlich packte er ihren Hintern und knetete ihn lustvoll, konnte dann aber ihren Brüsten nicht widerstehen. Er liebkoste die eine nach der anderen, während diesmal Silvana schwer atmend den Rhythmus ihrer Vereinigung vorgab.

Als er sie vorhin an der Reling hatte stehen sehen, war ihm sofort klar gewesen, dass er sie haben wollte, spüren, besitzen. Und auch wenn sie behauptete, es sei nicht so, wusste er doch, dass sie ebenfalls vom ersten Moment ihrer Begegnung an gewusst hatte, worauf der Abend hinauslaufen würde. Zwar hatte er nicht vorgehabt, in einem Aufenthaltsraum des Personals über sie herzufallen – er hatte sich immer für wesentlich zivilisierter gehalten –, doch er konnte sich dem Reiz des Augenblicks nicht entziehen und schon gar nicht der Aura dieser unglaublich schönen und leidenschaftlichen Frau, die ihn voll und ganz in ihren Bann zog. Sie hielt nichts zurück, das sah und spürte er, und doch war es ihm nicht genug. Er wollte mehr, wollte sie ganz, was auch immer das bedeuten mochte. Falls es bei diesem einen wahnwitzigen Mal bleiben sollte, wollte er, dass es unvergesslich wurde, für sie ebenso wie für ihn.

An der Anspannung, die sich in ihrem Körper aufbaute, konnte er erkennen, dass sie kurz davor war, sich in einem ersten Höhepunkt zu verlieren. Er rang ebenfalls mit seiner Beherrschung, wollte aber seine eigene Erfüllung so lange hinauszögern, wie nur möglich. Also hielt er sie auf, entzog sich ihr und brachte sie endlich dazu, sich auf dem überraschend bequemen Sofa auszustrecken. Als er seine Lippen in einer heißen Spur über ihren Körper nach unten gleiten ließ, nahm sie so willig und einladend die Schenkel auseinander, dass er versucht war, doch den kürzeren wilderen Weg einzuschlagen. Doch er unterließ es, fest entschlossen, ihr zuerst so viel Lust zu verschaffen, wie sie aushalten konnte.

Sanft drang er mit einem Finger in ihre einladende Hitze ein und kostete sie zugleich. Lust schoss durch ihn hindurch und ließ ihn erneut mit der Beherrschung kämpfen. Silvana stieß einen unterdrückten Schrei aus und krallte ihre Finger in die Polster, als er sie zärtlich und neckend mit der Zunge stimulierte. Ihre Bauchdecke flatterte, ihr Becken zuckte und kreiste bald in dem lasziven Rhythmus, den er ihr vorgab.

Er spürte eine ihrer Hände an seiner Schulter. Sie versuchte, ihn zu sich heraufzuziehen, doch er widerstand der Einladung und hielt sie stattdessen fest an Ort und Stelle, sodass sie seinen Liebkosungen nicht ausweichen konnte. Sie schien sich immer mehr in dem Strudel aus Erregung und Leidenschaft zu verlieren, und er wollte sie dazu bringen, vollkommen zu vergessen, wo sie sich befand. Also intensivierte er die süße Qual noch, bis sich ihre Finger fest in sein Haar gruben und sie wieder und wieder atemlos seinen Namen ausstieß. Er spürte, wie die Anspannung sich in ihr aufbaute, wie ihr Atem immer hektischer und flacher ging, bis sie sich wild aufbäumte und er die Wellen des Orgasmus, die sie durchtosten, nicht nur sehen, sondern auch spüren konnte.

Für einen Moment schloss er die Augen und konzentrierte sich darauf, ihr nicht über diese Klippe zu folgen.

Als ihr Atem sich ein klein wenig beruhigte und sie die Augen aufschlug, schob er sich an ihr hoch und küsste sie zärtlich.

Ihr Blick war glasig und leicht verhangen. „Marcos.“ Ihre Stimme klang heiser und bewegt. „Das … war …“

„Noch nicht alles, meine Schöne.“ Lächelnd verschloss er ihre Lippen mit seinen, ließ seine Zungenspitze über ihre Unterlippe streichen, bis sie sie einließ. Seine Rechte schloss sich begierig um ihre Brust. Jede Faser seines Seins schrie danach, sie erneut zu erobern, zu spüren.

„Ich glaube nicht, dass ich …“ Sie sog scharf die Luft ein, als er seine Hand von ihrer Brust hinab zwischen ihre Schenkel schob und ihren empfindlichsten Punkt erneut zu reizen begann. „Oh … ich …“ Ihre Worte gingen in ein wohliges Stöhnen über, als er ihre Brustwarze zwischen die Lippen sog.

Unfähig, ihr noch länger zu widerstehen, schob er sich auf ihren köstlichen, von der neu aufflammenden Erregung glühenden Körper und drang tief in sie ein. Ihre Münder trafen aufeinander, gleich darauf ihre Zungen.

Silvana schlang ihre langen Beine fest um seine Körpermitte und brachte ihn so dazu, noch tiefer in sie hineinzustoßen. Strudel und Wirbel von Farben und Emotionen durchtosten ihn, das Blut rauschte einem Lavastrom gleich durch seine Adern, und er wollte noch mehr. Mehr. Was genau, wusste er im Augenblick selbst nicht. Als sie erneut die Augen öffnete und sich ihre Blicke trafen, wurde es ihm bewusst. Er wollte sie. Silvana. Er wollte sie ganz und gar.

Die Erkenntnis versetzte ihm einen harten Stich mitten ins Herz. Obgleich in ihren Augen etwas aufflackerte, was er als Schreck, vielleicht sogar Panik deutete, wandte sie den Blick nicht ab, als er wieder und wieder in sie stieß, sich in ihr verlor und wiederfand. Er trieb sie an, weiter und weiter, bis sie erneut nur noch seinen Namen ausstoßen konnte – und er den ihren – und sie gemeinsam Erfüllung fanden, die so wild und ursprünglich war, wie er sich nicht einmal hätte erträumen lassen.

3. KAPITEL

„Ich nehme an, das zählt jetzt doch ganz eindeutig als Ausnahme.“ Sein Herzschlag hatte sich noch nicht wieder ganz beruhigt. Er hatte sich ein wenig zur Seite gerollt, um Silvana Luft zum Atmen zu geben, doch die Enge der Couch kam ihm entgegen; sie lagen so dicht beieinander, dass er die Wärme und Weichheit ihres Körpers noch ein wenig länger genießen konnte.

Sie lachte vergnügt, was ihn im Hinblick auf den intensiven, auf ihrer Seite erschrockenen Blick, den sie vorhin noch ausgetauscht hatten, überraschte. „Eine phänomenale Ausnahme. Ich gehe normalerweise nicht beim ersten Date mit einem Mann ins Bett.“

Er schmunzelte. „Das hast du ja auch heute nicht getan. Oder siehst du hier irgendwo ein Bett, das mir in der Eile des Augenblicks entgangen ist?“

Wieder lachte sie, und diesmal kam es ihm so vor, als kaschiere sie damit etwas. Unsicherheit vielleicht? „Sex jedweder Art sollte am ersten gemeinsamen Abend tabu sein.“

„Warum?“

„Weil …“ Sachte fuhr sie mit den Fingerspitzen über seinen Brustkorb. „Das ist mir entfallen. Ich muss erst warten, bis der Hormoncocktail in meinem Blut sich verflüchtigt hat.“ Ein verschmitztes Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Aber zumindest hat diese Ausnahme sich mehr als gelohnt. Das kannst du deinem blutenden Ego mitteilen.“

Er fing ihre Hand auf und küsste sie. „Mach dir um mein Ego keine Sorgen, dem geht es gerade ausgesprochen gut.“

„Kann ich mir vorstellen.“

„Du bist ganz schön gelenkig.“

„Für mein Alter, meinst du?“ Sie gluckste.

„Nein, grundsätzlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine jüngere Frau dir so leicht das Wasser reichen könnte.“

„Ich habe als Mädchen Ballettunterricht genommen und mache seit vielen Jahren regelmäßig Yoga und Pilates.“

„Was ich begrüßenswert finde.“ Wieder küsste er ihre Fingerspitzen. „Denn es eröffnet in vielerlei Hinsicht aufregende Perspektiven.“

„Es soll meinen Körper fit halten, wenn schon die Jahre, die er sich auf diesem Planeten bewegt, allmählich in einen Bereich wandern, der eine Frau unattraktiv werden lässt.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand dich jemals als unattraktiv bezeichnen würde, Silvana. Du bist eine wunderschöne Frau, sexy, heißblütig.“ Er ließ ihre Hand los und strich zärtlich mit den Fingerspitzen über ihre Wange. „Ich empfinde dich als begehrenswerter als jede einzelne Frau, die sich derzeit auf diesem Schiff befindet, egal ob jünger oder älter.“ Seine Stimme nahm unwillkürlich einen raueren Ton an. „Möglicherweise sogar begehrenswerter als sämtliche anderen Frauen, die sich im Augenblick auf unserem Planeten aufhalten.“

In Silvanas Augen flackerte etwas auf, was er nicht zu deuten wusste. „Aus dir sprechen wohl auch noch die Hormone.“

„Das glaube ich nicht, meine Schöne. Und selbst wenn, würde der Rest von mir ihnen ganz eindeutig zustimmen.“

„Da ist es wieder.“ Schmunzelnd richtete sie sich ein wenig auf. „Das Süßholz“, fügte sie erklärend hinzu, als er fragend die Brauen hob. „Du brauchst es nicht so inflationär über mir auszuschütten. Immerhin hast du schon bekommen, was du wolltest.“

Er richtete sich ebenfalls auf und beobachtete mit leichtem Bedauern, wie sie aufstand und ihre Unterwäsche zusammensuchte. „Dessen bin ich mir, ehrlich gesagt, gar nicht so sicher.“ Er stand ebenfalls auf und begann, sich anzuziehen. Silvana war bereits dabei, ihren BH zu schließen, und wollte nach ihrem Kleid greifen. Rasch trat er auf sie zu und zog sie in seine Arme. „Hast du denn bekommen, was du wolltest?“

Noch einmal genoss er das Gefühl ihrer nackten Haut an seiner und suchte zugleich ihren Blick, der jedoch unstet flackerte und ihm auswich.

„Ich …“ Sie machte sich von ihm los, hob ihr Kleid vom Boden auf und schlüpfte anmutig hinein. „Ich denke schon.“

Ruhig und besonnen, weil er spürte, dass er sie in die Enge getrieben hatte, trat er zu ihr und half ihr, den Reißverschluss zu schließen. „Und was fühlst du?“

Sie schluckte hörbar, dann stieß sie wieder dieses fröhliche, unbekümmerte Lachen aus. „Ich bin nicht an einer Beziehung interessiert, Marcos. Ich hatte zu viele davon, die im Nachhinein nicht wert sind, erwähnt zu werden.“

„Dann vergiss sie einfach.“

„Das lässt sich leicht sagen, aber nicht umsetzen. Ich war zweimal verheiratet und vorher, dazwischen und hinterher mit so vielen Männern zusammen, dass ich es aufgegeben habe, sie zu zählen.“ Da ihre hübsche Hochsteckfrisur halb aufgelöst war, zog sie entschlossen die Haarnadeln heraus, verstaute sie in ihrem Täschchen und schüttelte ihr üppiges blondes Haar, bis es ihr in weichen Wellen bis auf die Schultern fiel.

Marcos schluckte und spürte ein besorgniserregendes Ziehen in der Herzgegend, zusammen mit einem erneuten Aufflackern von Begehren. Liebend gerne hätte er sie an sich gezogen und geküsst, doch sie hatte es irgendwie fertiggebracht, eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen zu errichten, und er wusste instinktiv, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt sinnlos wäre, zu versuchen, sie zu überwinden.

Da er ihr eine Antwort schuldig geblieben war, lachte sie erneut. „Jetzt habe ich dich wirkungsvoll abgeschreckt.“

Er zog sein Hemd an und knöpfte es bedächtig zu. „Nein, hast du nicht, aber ich glaube, du versuchst gerade, dich selbst abzuschrecken, und es scheint zu funktionieren. Du fürchtest dich vor einer neuen Beziehung.“

Sie hob überrascht den Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Ausdruck über ihr Gesicht, der seine Vermutung bestätigte, doch sie hatte sich erstaunlich schnell wieder im Griff und lächelte ihn derart liebenswürdig und fröhlich an, dass es ihm einen heftigen Stich versetzte. „Ich habe keine Angst, Marcos. Vor nichts … und niemandem.“ Sie trat auf ihn zu und küsste ihn auf die Lippen, doch noch ehe er reagieren konnte, war sie wieder einen Schritt zurückgewichen. „Ich ziehe es nur vor, diese … Ausnahme als das zu sehen, was sie ist. Eine Ausnahme.“ Der zärtliche Ausdruck in ihren Augen fügte ihm einen weiteren schmerzhaften Stich zu. „Eine wunderschöne Ausnahme. Aber dabei sollten wir es belassen. Du wirkst viel zu perfekt auf mich, und ich bin ganz sicher nicht das, wonach du suchst. Deshalb sollten sich unsere Wege hier trennen. Ich möchte mich an diesen Abend gerne als das erinnern, was er ist … war“, korrigierte sie sich.

„Und das wäre?“

Um ihre Mundwinkel zuckte es verdächtig. „Der beste Sex, den ich seit einer Ewigkeit hatte … oder jemals.“ Er sah, dass ihre Finger ihr Täschchen ein wenig zu fest umfasst hielten.

Marcos hielt sie nicht auf, als sie, nachdem sie kurz gelauscht hatte, ob sich auf dem Gang etwas tat, die Tür aufschloss und den Raum verließ. Das leise Klicken, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, klang unangenehm endgültig.

Unschlüssig, was er denken oder fühlen sollte, zog Marcos seine restlichen Kleider an, entsorgte das benutzte Kondom im Abfalleimer und fragte sich mit einem flüchtigen Schmunzeln, was das Reinigungspersonal wohl denken mochte, falls es den Müll genauer in Augenschein nehmen sollte.

Er schob seine Fliege in die Tasche seiner Smokingjacke, blickte sich prüfend im Raum um, dann ließ er sich zurück auf die Couch sinken und stützte den Kopf in die Hände. Wenn er sich einer Sache sicher war, dann der, dass er die vergangenen Stunden nicht als einmalige Ausnahme von Silvanas selbst auferlegter Regel abhaken können würde. Und etwas in ihm sagte ihm, dass es ihr nicht ganz unähnlich erging. Die Frage war nur, wie er sie vom Gegenteil überzeugen konnte … und was das für sein Leben bedeuten würde.

4. KAPITEL

Silvana weigerte sich strikt, auch nur das allergeringste Gefühl von Bedauern oder Niedergeschlagenheit zuzulassen. Auch nicht, als aus ihrem Küchenradio Frank Sinatras Stimme erklang und von zwei Fremden in der Nacht erzählte, die miteinander das Glück ihres Lebens gefunden hatten. Bei einem Tanz.

Entschlossen wechselte sie den Sender und nickte zustimmend vor sich hin, als die Gruppe Fool’s Garden von Zitronenbäumen sang. Obgleich dieses Lied einen weitaus weniger optimistischen Inhalt hatte, versetzte es sie doch stets in gute Laune. Sie sang sogar leise mit, während sie Portemonnaie, Make-up, Schlüssel und etliche weitere Utensilien von ihrer blauen in die rote Handtasche umpackte, die besser zu ihrem knielangen rotschwarzen Wollkleid passte, das sie für den heutigen Abend ausgesucht hatte.

Ihre Kreuzfahrt lag nun ziemlich genau zwei Wochen zurück. Während sie das erste Wochenende nach ihrer Rückkehr noch damit verbracht hatte, ihre Wäsche und Wohnung in Ordnung zu bringen und Pläne zu schmieden, wie sie diesen verfluchten Marcos Costales aus ihren Gedanken verbannen würde, wollte sie das zweite dazu nutzen, diese Pläne in die Tat umzusetzen.

Unter der Woche fiel ihr das leicht, denn sie hatte ja ihre Arbeit und konnte sich abends mit Besuchen im Fitnessstudio oder Telefonaten mit Bekannten ablenken. Glücklicherweise war auch der heutige Samstagabend verplant, was ihr Gelegenheit gab, sich unter Menschen zu bewegen und sämtliche Erinnerungen, die sie zuweilen bis in ihre Träume verfolgten, auf den Platz zu verweisen, der ihnen gebührte – ganz im hintersten Winkel ihres Bewusstseins.

War es nicht auch lächerlich, sich so viele Gedanken zu machen? Marcos, das hatte sie bei einer ausgiebigen Google-Suche gleich nach ihrer Heimkehr herausgefunden, war ein international erfolgreicher Geschäftsmann. Ihr gegenüber hatte er zwar von seiner Firma für hochwertige Autotuning-Teile erzählt, jedoch unterschlagen, hinzuzufügen, wie bekannt dieses Unternehmen in seinem Sektor war. Millionenschwer. Hunderte Mitarbeiter in zwölf verschiedenen Ländern. Er war nie verheiratet gewesen, hatte aber einen sechsundzwanzigjährigen Sohn namens Raffael, der in den USA studiert hatte und dort nun im Hotelgewerbe tätig war. Über die Kindsmutter, eine hübsche schwarzhaarige Frau aus gutem Hause namens Tonja, hatte Silvana nicht viel gefunden. Offenbar war sie seinerzeit eine Weile mit Marcos zusammen gewesen, hatte sich dann aber kurz nach der Geburt von ihm getrennt und es Marcos überlassen, den Jungen aufzuziehen. Den Fotos nach zu urteilen, die sie von Vater und Sohn gefunden hatte, schien er sich damit große Mühe gegeben zu haben. Raffael war ähnlich attraktiv und dunkel wie sein Vater, schien in seinem Metier erfolgreich zu sein – und nach dem, was sie den Presseberichten entnehmen konnte, kamen die beiden ausgezeichnet miteinander aus.

Da der Sohn offenbar nicht in die Fußstapfen des Vaters zu treten gedachte, arbeitete Marcos’ Nichte Nicola, die Tochter seines älteren Bruders, schon seit einigen Jahren in seiner Firma mit und hatte bereits die Ebene der Geschäftsleitung erreicht. Sie würde den Betrieb wohl eines Tages übernehmen.

Ursprünglich hatte Silvana gar nicht so genau recherchieren wollen, doch als sie einmal angefangen hatte, war die Neugier mit ihr durchgegangen. Und warum auch nicht? Immerhin war es doch legitim, etwas über den Mann in Erfahrung zu bringen, mit dem sie die drei intensivsten Stunden ihres Lebens verbracht hatte.

Albern war es nur, sich gedanklich immer noch bei ihm aufzuhalten. Ein Mann wie er war mit Sicherheit viel zu beschäftigt, um auch nur noch einen einzigen Gedanken an sie zu verschwenden. Auch wenn er nicht als Playboy galt, gab es doch bestimmt unzählige Frauen, die sein Interesse mehr und nachhaltiger fesselten als Silvana Brenner.

Noch immer leise Lemon Tree vor sich hin summend, zog sie den Reißverschluss ihrer Handtasche zu und hob überrascht den Kopf, als es an ihrer Tür klingelte. Da sie niemanden erwartete, nahm sie an, dass Ella, ihre Nachbarin aus der Etage unter ihr, sie mal wieder bitten wollte, ihr eine Tasse Mehl zu leihen oder die Blumen in ihrer Wohnung zu gießen, weil sie übers Wochenende zu ihren Eltern fahren wollte. Letzteres, beschloss Silvana auf dem Weg zur Tür, doch eher nicht, denn es war bereits früher Abend und deshalb für eine Fahrt bis ins Münsterland ein bisschen zu spät.

Da sie Ella sehr gernhatte, öffnete sie die Tür mit einem strahlenden Lächeln, das jedoch in der Sekunde aus der Fassung geriet, als sie erkannte, wer wirklich vor ihrer Tür stand. „Marcos!“ Ihr Herz machte einen so heftigen Satz, dass ihr geradezu schwindelig davon wurde.

Er trug einen dunkelgrauen Mantel über einem legeren, maßgeschneiderten hellgrauen Anzug mit cremefarbenem Hemd. Auf eine Krawatte hatte er verzichtet und den obersten Knopf seines Hemdes offen gelassen, was ihm, zusammen mit seinem südländischen Aussehen, eine für ihren Hormonhaushalt extrem gefährliche Ausstrahlung verlieh.

Die Hände hatte er lässig in den Hosentaschen vergraben, auf seinen Lippen war der Anflug eines Lächelns zu erkennen. „Es gibt da ein Problem“, sagte er, ohne einen Gruß voranzustellen. Sein Blick wanderte an ihr vorbei ins Innere der Wohnung, und sie trat einen Schritt zur Seite, um ihn einzulassen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, etwas, was ihr in der Gegenwart eines Mannes seit ihrer Jungmädchenzeit nicht mehr passiert war. So überschäumend und möglicherweise hin und wieder auch zur Hysterie neigend ihr Wesen auch sein mochte, war es doch bisher noch kaum einem Mann gelungen, sie allein mit seinem Erscheinen auf ihrer Türschwelle derart aus dem Gleichgewicht zu bringen. „Was für ein Problem?“ Sie hörte selbst, wie belegt ihre Stimme klang, brachte es aber nicht fertig, abgeklärter zu reagieren.

Er ging ihr voran ins Wohnzimmer und drehte sich dort zu ihr um. „Ich bin nicht gut in Ausnahmen. Wenn ich zu einer verführt werde, so wie mit dir, und sie mir derart gut gefällt, setze ich alles daran, sie zur Regel zu machen.“

„Wie hast du mich gefunden?“

„Das war nicht weiter schwierig, nachdem du mir deinen Namen und Wohnort genannt hattest.“

„Ich stehe nicht im Telefonbuch oder im Internet.“

„Dafür verfüge ich über gewisse Möglichkeiten.“ Er zwinkerte ihr zu.

Sie weigerte sich, den Umstand, dass er sie ausfindig gemacht hatte, für romantisch zu halten. Oh ja, sie weigerte sich strikt! „Ich …“ Nur mit Mühe ordnete sie ihre Gedanken. „… bin gerade auf dem Sprung. Verabredet.“

Er legte den Kopf leicht schräg. „Mit einem Mann?“

„Mit ein paar Freunden. Meiner Chefin und ihrem Mann, zwei Kolleginnen …“

„Essen?“

„Italienisch. In einem Lokal in der Altstadt von Ahrweiler.“

„Im Bellini?“

Überrascht nickte sie.

„Ich kenne den Inhaber. Gute Wahl. Sicherlich hat er einen Stuhl übrig, den er für mich mit an euren Tisch stellen kann.“ Lächelnd bot er ihr seinen Arm an. „Wollen wir?“

„Aber …“ Sie schüttelte leicht den Kopf. „Du willst mich begleiten?“

„Das war mein Plan. Es sei denn, deine Freunde haben etwas gegen mich einzuwenden.“

„Sie kennen dich doch gar nicht.“

„Eben. Die Wahrscheinlichkeit ist also denkbar gering.“ Sein charmantes Lächeln ging ihr durch und durch. „Lass mich aber den Vorschlag machen, mit meinem Wagen zu fahren. Wenn ich mir nämlich die Rostlaube betrachte, die vor dem Haus in dem Carport mit deiner Wohnungsnummer steht, wird mir angst und bange.“ Er lachte. „Lass mich raten, bei der Wahl zwischen einem neuen Auto und der Kreuzfahrt hast du dich für letztere entschieden, weil man nur einmal lebt und das Ding mit den vier Reifen ja noch ein knappes Jahr TÜV hat und deshalb ganz bestimmt noch halten wird.“

Sie räusperte sich verlegen. „Ich war noch nie zuvor in der Karibik. Autos gibt es wie Sand am Meer, und so lange dauert es auch wieder nicht, bis ich die Anzahlung für einen guten Gebrauchten zusammengespart habe.“ Ohne seinen Arm zu beachten, ging sie ihm voran in den Hausflur und schloss hinter ihm die Wohnungstür ab.

Auf der Treppe ließ er ihr den Vortritt. „Das war eindeutig die unvernünftige Variante. Aber ich will mich nicht beklagen. Hättest du dich anders entschieden, wären wir einander vermutlich nie begegnet.“

Im ersten Impuls war sie geneigt, ihm zuzustimmen. Sie unterließ es jedoch, denn sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie mit der neuen Situation umgehen sollte. Als sie aus der Haustür trat, sog sie scharf die Luft ein. „Oh. Wow.“

Marcos trat neben sie, legte ihr sanft den Arm um die Schulter und führte sie zu dem silbernen Porsche, den er am Straßenrand geparkt hatte. „Ich hoffe, du hältst meinen fahrbaren Untersatz nicht für ein allzu großes Klischee. Mein Vater hat mir zum Abitur meinen ersten Porsche geschenkt, und seitdem bin ich dabei geblieben. Nicht um anzugeben, sondern aus Liebhaberei.“ Er öffnete ihr galant die Beifahrertür und schloss sie auch wieder, als sie sich auf den weißen Ledersitz hatte sinken lassen. Während sie ihn beobachtete, wie er um das Auto herumging und sich mit einem warmen Lächeln in ihre Richtung auf den Fahrersitz schwang, hatte sie das seltsame Gefühl, in ein Märchen geraten zu sein. Ein erschreckend reales Märchen.

5. KAPITEL

„Du meine Güte, Silvana!“ Ihre Chefin und gute Freundin Sabine Weiland sah sie im Spiegel der Damentoilette bedeutsam an, während sie Puder auf ihre Nase tupfte. „Wenn ich nicht seit einundzwanzig Jahren glücklich verheiratet wäre, würde ich ganz grün vor Neid werden. Wieso hast du uns denn verschwiegen, was für einen unglaublichen sexy Fang du auf der Kreuzfahrt gemacht hast? Schäm dich!“

Auch Silvana frischte ihr Make-up auf, obgleich es eigentlich gar nicht nötig war. Das gemeinsame Abendessen in dem italienischen Restaurant war angenehm harmonisch verlaufen. Sowohl Sabine und ihr Mann Leonard als auch die beiden Kolleginnen Roswitha und Kathrin hatten Marcos umstandslos in ihren Kreis aufgenommen. Leonard war sogar dankbar gewesen, nicht mehr als Hahn im Korb herhalten zu müssen. Die beiden Männer hatten sich hervorragend verstanden. Silvana verwunderte es wenig, denn Marcos war von zwar ruhiger, jedoch durchaus leutseliger Natur und es offensichtlich gewohnt, mit Fremden ins Gespräch zu kommen. Schon nach wenigen Minuten hatte ihre kleine Gruppe den Eindruck erweckt, als sei sie schon unzählige Male in dieser Zusammensetzung ausgegangen. Das gute Essen hatte seinen Teil dazu beigetragen, dass alle sich wohlgefühlt hatten, sie selbst eingeschlossen. Zwar war sie sich nach wie vor nicht im Klaren, was sie von der Situation halten sollte, doch vor ihren Freunden wollte sie ihre Verunsicherung nicht preisgeben, deshalb hatte sie Marcos’ Spiel einfach mitgespielt. Er tat nämlich so, als seien sie ein Paar, und zumindest von seiner Seite konnte kein Zweifel an dieser Geschichte aufkommen, denn er verhielt sich genauso, wie sich ein verliebter Mann eben verhielt. Er war zuvorkommend, berührte sie immer wieder zärtlich, flirtete mit ihr, und sein verdammtes Lächeln ging ihr durch und durch. Deshalb fiel es ihr wohl auch nur zu leicht, darauf einzugehen. In seiner Gegenwart fühlte sie sich fast, als würde sie ein paar Zentimeter über dem Boden schweben, und das war, wie sie ganz genau wusste, ein brandgefährlicher Zustand. Sie hatte nicht vor, sich zu verlieben.

„Ich wusste nicht, dass er heute herkommen würde.“ Das zumindest entsprach der Wahrheit. Die Geschichte, die Marcos über ihr Kennenlernen zum Besten gegeben hatte, war hingegen eine stark zensierte Version der tatsächlichen Umstände gewesen, die gleich nach dem gemeinsamen Tanz geendet hatte. Allerdings hatte er ihr einen Zusatz angefügt, laut dem er nach diesem gemeinsamen Abend keine Nacht mehr ruhig hatte schlafen können, bis er sie ausfindig gemacht und davon überzeugt hatte, dass diesem ersten Zusammentreffen viele, viele weitere folgen mussten. Silvana hatte keine Ahnung, was sie davon halten sollte.

„Ein Mann, der mit Überraschungen umzugehen weiß.“ Sabine seufzte entzückt. „Du musst im siebten Himmel schweben. Jemanden wie ihn trifft eine Frau höchstens einmal im Leben. Vielleicht auch niemals. Ich kann dir nur raten: Schnapp ihn dir – und lass ihn nicht wieder los.“

Die alte Silvana, die von früher, die stets auf der Suche nach einem reichen, gut aussehenden Mann gewesen war, hätte ihrer Freundin sofort zugestimmt. Doch jetzt, da sie genau dies erreicht hatte – und wie sie zugeben musste, nicht zum ersten Mal –, zögerte sie. Warum eigentlich? Weil alles zu perfekt wirkte? Weil sie Angst davor hatte, unsanft aus einem Traum zu erwachen? Das sah ihr so gar nicht ähnlich, zumindest nicht in solch einem frühen Stadium einer Beziehung. Falls es überhaupt eine Beziehung war, die sich hier anbahnte. Vielleicht wollte Marcos auch einfach nur eine Wiederholung dessen, was sie insgeheim nach wie vor als den besten Sex überhaupt bezeichnete. Aber würde er sich dazu extra solche Umstände machen? Ihren Wohnort herausfinden, mit ihren Freunden zum Essen gehen … Zumindest Letzteres wäre nicht nötig gewesen. Silvana glaubte nicht, dass sie ihm lange widerstehen können würde. Das war der einzige Aspekt, der sie im Augenblick nicht erschreckte. Körperliche Anziehung war etwas Normales, Natürliches, insbesondere, wenn es sich um einen Mann mit so viel Sex-Appeal handelte. Sie war durchaus nicht abgeneigt, ihren Bedürfnissen in dieser Hinsicht nachzugeben. Es war ihr Herz, um das sie sich Sorgen machte. Sie kannte sich gut genug, um die Anzeichen richtig zu deuten. Genau das hatte sie vermeiden wollen. Wie sollte sie jemals zur Ruhe kommen, wenn sie denselben Fehler wieder und wieder beging? Ihr dummes schwärmerisches Herz war viel zu leicht zu beeindrucken. Sie war schon oft, viel zu oft, verliebt gewesen, doch niemals hatte dieses Gefühl lange genug angehalten, um sich zu einer dauerhaften Grundlage für eine beständige Beziehung wandeln zu können. Entweder verlor sie allzu rasch das Interesse, oder der jeweilige Mann hielt es mit dem Sturmwind an Emotionen, den sie stets mit sich brachte, nicht lange aus. Ihr war bewusst, dass manche Menschen sie für schrill und viel zu exaltiert hielten. Manche nannten es gutmütig Leidenschaft, andere bezeichneten sie als wild und hysterisch. Sie selbst hatte schon lange aufgehört zu versuchen, sich in irgendeine Kategorie einzuordnen. Sie lebte, wie sie wollte, wie sie es für richtig hielt. Sie konnte nicht anders, als sie selbst zu sein. Leider bedeutete das nicht nur, dass sie viele potenziell gute Männer auf ihrem Weg durchs Leben mit ihrer überschäumenden Art in die Flucht geschlagen hatte, sondern auch, dass sie sich zunehmend von ihrer Tochter entfremdete. Um sich vor den Turbulenzen, die der Wirbelsturm Silvana mit sich brachte, zu schützen, ging sie immer mehr auf Abstand.

Silvana wusste nicht, ob sie wirklich bereit war, einen weiteren Versuch in Richtung Zweisamkeit zu wagen. „Ich hatte wirklich nicht vor, ihn mir zu angeln, Sabine.“

Ihre Freundin schob die Puderdose lachend in ihre Handtasche zurück. „Und doch hast du ihn ganz eindeutig am Haken, meine Liebe. Ich finde, du solltest dich freuen und es genießen. Dieser Mann ist mehr als nur eine Sünde wert.“ Wieder warf sie ihr im Spiegel einen neugierigen Blick zu. „Habt ihr schon …?“

Silvana nestelte an ihrer Handtasche herum und verstaute Puder und Lipgloss ebenfalls rasch wieder. „Ja.“

„Und?“

Sie konnte nicht verhindern, dass ein rosiger Hauch auf ihren Wangen erschien. „Es war phänomenal.“

„Dachte ich es mir doch.“ Sabine wandte sich ihr zu und lächelte sie direkt an. „Die knisternde Spannung, die zwischen euch herrscht, ist nämlich fast greifbar.“

„Oh.“

„Kein Grund, verlegen zu sein.“ Sabine zwinkerte ihr zu. „Ich nehme an, sein südländisches Erbe macht ihn besonders heißblütig.“

„Sabine!“ Aus dem rosigen Hauch wurde eine ausgewachsene Röte.

„Was denn? Jede Frau, die auch nur einen Funken Leben in sich hat, wird bei seinem Anblick versuchen, sich vorzustellen, wie es sein mag, mit ihm die Laken in Brand zu setzen. Genieß es, Silvana. Männer wie er sind rar. Und er vergöttert dich.“

„Ach was, das tut er nicht.“

„Oh doch, das tut er.“

„Wir kennen uns doch erst ganz kurz.“

„Na und? Hast du noch nie etwas von Liebe auf den ersten Blick gehört?“

Doch, hatte sie. Sie hatte sich sogar eingebildet, eine Expertin auf diesem Gebiet zu sein. Bloß dass diese rasch aufflammenden Gefühle selten lange vorhielten. Zumindest nicht in ihrem Fall. „Du übertreibst.“

„Nein, ich habe Augen im Kopf.“ Sabine legte ihr einen Arm um die Schultern und küsste sie auf die Wange. „Vielleicht solltest du deine öffnen, dann siehst du es vielleicht auch.“ Sie hängte sich ihre Handtasche über die Schulter und wandte sich zur Tür. „Und nun komm, lassen wir die anderen nicht so lange warten. Der Abend ist so schön, richtig warm für Ende Oktober. Ich würde vorschlagen, dass wir noch einen kleinen Spaziergang machen. Vielleicht an der Ahr entlang.“ Sie zwinkerte Silvana erneut zu. „So richtig schön romantisch im Sternenlicht …“

6. KAPITEL

Sie hatten tatsächlich noch eine vergnügliche Stunde lang die Altstadt und das Ahrufer unsicher gemacht, danach hatten sich ihre Wege jedoch getrennt. Silvana und Marcos waren zum Parkplatz zurückgekehrt, und er hatte sie, ganz der Gentleman, bis zurück nach Hause gefahren. Sogar bis zur Wohnungstür hatte er sie noch begleitet, und nun standen sie davor, und Silvana wusste nicht, was sie tun sollte.

„Möchtest du noch auf einen … Kaffee hereinkommen?“

Marcos schüttelte lächelnd den Kopf. „Besser nicht. Wir haben schon deine Regel im Hinblick auf Sex beim ersten Date torpediert. Also sparen wir uns die Versuchung beim zweiten, sonst glaubst du am Ende noch, das sei der einzige Grund, weswegen ich deine Nähe suche.“

„Ist es das nicht?“ Ihr Herzschlag geriet nachhaltig aus dem Takt, als er ihre Hände ergriff und eine davon an seine Lippen führte.

„Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass es nicht ganz oben auf der Liste der Dinge steht, die ich gerne mit dir tun würde, aber nein, es ist nicht der einzige Grund, Silvana. Du hast gesagt, dass die meisten Männer kein Interesse daran haben, das wahre Gesicht einer Frau zu ergründen. Ich hoffe, ich kann dich vom Gegenteil überzeugen.“

Die Stelle an ihrem Handrücken, an der seine Lippen ihre Haut gestreift hatten, kribbelte angenehm. „Stellt sich bloß die Frage, ob dir mein wahres Gesicht auch gefällt.“

„Zweifelst du daran?“

„Sehr.“

Er ließ ihre Hände los und zog sie stattdessen in seine Arme. „Warum wohl?“

„Ich bin nicht gerade pflegeleicht.“

Er lächelte. „Eine Herausforderung also.“

Sie versuchte, seinem intensiven Blick auszuweichen. „Vielleicht zu viel der Herausforderung.“

„Sprichst du aus Erfahrung?“

„Leider ja.“ Es fiel ihr immer schwerer, sich nicht in den dunklen Tiefen seiner Augen zu verlieren. „Ich tendiere dazu, jeden Mann mit Verstand innerhalb von sehr absehbarer Zeit in die Flucht zu schlagen.“

„Aha.“ Sanft legte er ihr eine Hand an die Wange und zog ihren Kopf ein wenig zu sich heran. „Oder selbst Reißaus zu nehmen?“

„Oder das.“ Sie sah keinen Grund, ihm diese Seite an ihr zu verheimlichen.

„Ich danke dir für die Warnung. Du hast dabei allerdings etwas außer Acht gelassen.“

„Ach ja?“ Ihr stockte der Atem. „Was denn?“

„Diese Männer aus deiner Vergangenheit – und ich hoffe, du vergisst ihre Existenz möglichst bald – mögen vielleicht ein akzeptables Maß an Verstand besessen haben. Ich glaube nicht, dass sie sonst deine Aufmerksamkeit und noch weniger deine Zuneigung erlangt hätten. Aber möglicherweise hat es ihnen an etwas anderem gemangelt, das du demnach in die Rechnung nicht mit einbeziehen konntest.“

„Und das wäre?“ Atemlos beobachtete sie, wie sich seine Lippen ganz langsam den ihren näherten. Als sie sich ganz leicht berührten, schien etwas wie ein Stromstoß durch sie hindurchzufahren.

„Herz.“ Er murmelte das Wort gegen ihre Lippen, wodurch sich das erregende Kribbeln noch verstärkte. „Das meine kann ziemlich eigensinnig sein und lässt sich nicht so leicht in die Flucht schlagen.“ Wieder küsste er sie, diesmal mit mehr Nachdruck. Seine Hand blieb an ihrer Wange, seine Fingerspitzen liebkosten die Haut an ihrer Schläfe, ihrem Jochbein. Seine andere Hand grub sich in ihr Haar und verursachte dort wohlige Schauder. Sanft neigte er ihren Kopf nach hinten, um den Kuss intensivieren zu können. Sie öffnete ihre Lippen ein wenig, um zu Atem zu kommen, und er nutzte die Gelegenheit sogleich, um mit der Zungenspitze vorzudringen.

Lust brannte sich ihren Weg durch Silvanas Körper. Sie stöhnte unterdrückt, hielt sich an seinen breiten Schultern fest, um nicht ins Schwanken zu geraten. Marcos zog sie dichter an sich, presste seinen Körper gegen ihren, sodass sie spüren konnte, wie er auf sie reagierte.

Schließlich löste er seine Lippen jedoch widerstrebend von ihrem Mund und lächelte etwas außer Atem, jedoch sichtlich amüsiert. „Du bist eine gefährliche Frau, Silvana Brenner. Ich lasse dich jetzt besser allein, bevor sich meine guten Vorsätze in Luft auflösen.“ Er zog eine Visitenkarte aus der Manteltasche und drückte sie ihr in die Hand. „Hier, falls du mich erreichen möchtest.“

Sie bemühte sich, wieder einigermaßen ruhig zu atmen, doch ihr rasender Herzschlag machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Als sie einen Blick auf die Karte warf, runzelte sie überrascht die Stirn. „Das ist eine Adresse in Ahrweiler. Ich dachte, du wohnst in Dortmund.“

„Dort befinden sich der Hauptsitz meiner Firma und die Wohnung, in der ich die letzten zwei Jahre gewohnt habe.“ Er trat einen Schritt zurück und ergriff die Hand, in der sie die Karte verwirrt drehte. „Früher war unser Firmenhauptsitz in der Nähe des Nürburgrings, also gar nicht so weit von hier. Wir haben dort immer noch eine Filiale, und wenn man sich die günstigen Grundstückspreise ansieht, wäre es durchaus eine Überlegung wert, wieder ganz hierher zurückzukehren. Täte der Region sicherlich auch gut.“

„Du bist ja verrückt. Warum solltest du deine Firma verlegen, nur weil …?“

„Weil du hier lebst?“ Er hob ihre Hand erneut an seine Lippen. „Ich finde, das ist ein ganz ausgezeichneter Grund. Außerdem gefällt mir die Gegend. Deshalb besitze ich auch schon seit langer Zeit dieses Haus. Bisher habe ich es nur als Urlaubsdomizil genutzt.“ Er deutete auf die Visitenkarte. „Ich würde es dir gerne zeigen. Wie wäre es mit einem Sonntagsfrühstück bei mir?“

„Frühstück? Morgen?“ Wieder hatte sie das eigentümliche Gefühl, in ein Märchen geraten zu sein.

„Ich hole dich gegen neun Uhr ab.“ Zärtlich strich er ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. „Gute Nacht, meine Schöne.“

Verblüfft sah sie ihm nach. Er hatte sich einfach umgedreht und stieg bereits die Stufen hinab, ehe sie auch nur reagieren konnte. Am Treppenabsatz drehte er sich noch einmal kurz zu ihr um. „Träum was Schönes.“

Träumen? Silvana legte eine Hand an ihre glühende Wange. Viel eher würde sie die ganze Nacht kein Auge zutun.

***

Auf dem Weg zu seinem Haus kämpfte Marcos energisch gegen die sexuelle Frustration an. Er konnte mit dem Verlauf des Abends mehr als zufrieden sein und hatte nichts zerstören wollen, indem er Silvana möglicherweise auf falsche Gedanken brachte. Obwohl er sie erst so kurz kannte, hatte er sich doch schon ein recht genaues Bild von ihr machen können. Sie war eine eigenwillige, lebensfrohe Person mit einer Menge schlechter Erfahrungen im Gepäck. Dass sie sich ebenso stark zu ihm hingezogen fühlte wie er zu ihr, war offensichtlich, aber auch, dass sie versuchte, der Versuchung zu widerstehen. Sie schien dem Braten nicht zu trauen, wie seine Mutter es vermutlich bezeichnet hätte. Es war also an ihm, sie davon zu überzeugen, dass sie ihr Herz nicht in Gefahr brachte, wenn sie sich auf ihn einließ. Dass es bei ihm sicher war.

Er hatte zwei Wochen verstreichen lassen, zwei ausgesprochen harte Wochen, in denen er ihr und auch sich selbst hatte Zeit geben wollen, nach diesen unglaublichen drei Stunden auf dem Kreuzfahrtschiff wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Er hielt sein eigenes Herz nicht für leicht entflammbar. Umso überraschter war er gewesen, dass Silvana sich so schnell und unverrückbar darin eingenistet hatte. Jeden Tag, den er abgewartet hatte, war seine Sehnsucht nach ihr gewachsen. Wenn ihm zuvor jemand etwas von Liebe auf den ersten Blick erzählt hatte, war ihm das meist nicht viel mehr als ein mildes spöttisches Lächeln wert gewesen. Nun schien sie ihn jedoch selbst getroffen zu haben. Amors Pfeil steckte tief in seinem Herzen, und er hatte nicht vor, ihn wieder daraus zu entfernen.

7. KAPITEL

Als Marcos am folgenden Morgen seinen Porsche in die Zufahrt zu seinem Anwesen steuerte, stieß Silvana einen ungläubigen Laut aus. „Du meine Güte!“ Bewundernd blickte sie sich um. Das zweistöckige Wohnhaus im mediterranen Stil mit einer großen überdachten Veranda stand inmitten eines weitläufigen parkähnlichen Gartens, dessen Büsche und Bäume in herbstlichem Gelb, Orange und Rot leuchteten. Auch die Beete vor und hinter dem Haus wirkten gepflegt und waren mit farbenfrohen Herbstblumen bepflanzt. In den Rabatten links und rechts neben der Freitreppe, die zur Haustür führte, wucherten üppige Steingartengewächse, die zum Teil ebenfalls noch ihre Blütenpracht zur Schau stellten. Spaliere mit Weinreben und diversen Kletterpflanzen vervollständigten das pittoreske Gesamtbild. „Das nennst du ein Urlaubsdomizil?“

„Bisher war es das.“ Er stieg aus und öffnete ihr die Wagentür.

Ohne auf ihn zu warten, ging sie ein paar Schritte auf die Treppe zu, entschied sich dann jedoch anders und bog nach rechts ab, um das Gebäude zu umrunden. Entzückt betrachtete sie die großen steinernen Blumenkübel auf der Terrasse, die mit Chrysanthemen in Gelb und Dunkelrot bepflanzt waren. Mit eiligen Schritten erklomm sie die wenigen Stufen und blickte durch die Fensterflächen ins Innere eines Wintergartens, der sich offenbar direkt ans Wohnzimmer anschloss. Hochwertige Rattan-Möbel luden dort zwischen Zitronen- und Orangenbäumchen und einem Meer von Grünpflanzen und Orchideen zum Verweilen ein.

„Wie wundervoll!“ Sie merkte gar nicht, dass sie laut sprach, während sie sich um die eigene Achse drehte und nun inmitten der gepflegten Grünfläche den ovalen Pool entdeckte, der zu dieser Jahreszeit von einer Schutzvorrichtung abgedeckt wurde. „Das ist das reinste Märchenland!“

Als sie hörte, wie sich die große Terrassentür öffnete, wandte sie sich wieder dem Haus zu. Marcos trat zu ihr, in den Händen zwei Gläser Eistee, von denen er ihr eines reichte. „Gefällt es dir?“

„Gefallen? Machst du Witze?“ Neugierig ging sie an ihm vorbei in den Wintergarten, der intensiv nach den Pflanzen roch, die dort so prachtvoll gediehen, dass sie fast schon künstlich wirkten. „Wer kümmert sich denn um das alles, wenn du doch nur ein paar Wochen im Jahr hier bist?“

„Die Haushälterin und der Gärtner.“

„Natürlich.“ Sie hatte in der Vergangenheit schon häufig mit wohlhabenden Männern zu tun gehabt, konnte sich aber nicht entsinnen, dass einer von ihnen so ein wunderschönes Haus sein Eigen genannt hätte. Die meisten besaßen teure Lofts oder Eigentumswohnungen in einer Großstadt. „Beschäftigst du viel Personal?“

„Nur diese beiden und nur, weil es mir wichtig ist, dass hier immer alles in Ordnung ist. Seit die beiden vor fünf Jahren geheiratet haben, wohnen sie nicht weit von hier und kümmern sich um dieses Haus und noch zwei weitere Anwesen meiner Nachbarn. Georg betreibt eine kleine Gartenbaufirma, und Linda kümmert sich um die Buchführung, wenn sie nicht gerade mit ihren Pflichten hier oder in einem der anderen Häuser beschäftigt ist.“

„Wie praktisch.“ Sachte strich sie mit den Fingerspitzen über die Blütenblätter einer schneeweißen Orchidee. „Ich liebe Orchideen.“ Sie lachte. „Sie sind so herrlich anspruchslos und die einzigen Pflanzen, die bei mir überleben, mal abgesehen von ein paar Grünlilien.“

Marcos trat neben sie. „Sie passen zu dir. Zeitlose Schönheiten, die bei entsprechender Pflege beinahe ewig blühen können.“

„Schon wieder Süßholzgeraspel?“ Verlegen sah sie sich weiter um. Der Wohnbereich war wie erwartet großzügig geschnitten und mit weichen dunkelbraunen Ledersofas und cremefarbenen Regalen, Vitrinen und Schränken ausgestattet. Ein überdimensionaler Flachbildfernseher dominierte eine der Stirnseiten, war jedoch umgeben von unzähligen Fotografien, die Marcos, seinen Sohn und vermutlich andere Familienmitglieder sowie Freunde zeigten.

„Nein, lediglich die Wahrheit.“ Marcos wartete in einigem Abstand, während sie sich die Bilder näher ansah.

„Ist das Niki Lauda?“

„Ja. Und rechts daneben die beiden Schumacher-Brüder. Das Foto ist jetzt fast zehn Jahre alt.“

„Du scheinst ja Gott und die Welt zu kennen.“

„Gott eher weniger, aber mein Beruf bringt es mit sich, dass ich mich häufig in der Motorsportszene bewege. Interessiert dich das?“

„Ganz ehrlich?“ Sie lächelte amüsiert. „Ich habe nicht die geringste Ahnung davon.“ Sie deutete auf ein weiteres Foto. „Das ist dein Sohn, nicht wahr?“

Nun kam er doch näher. „Stimmt, das ist Raffael bei seinem College-Abschluss in Boston.“

„Er hat in Harvard studiert, richtig?“

Auf Marcos’ Lippen erschien ein Schmunzeln. „Du weißt ja gut Bescheid.“

„Entschuldige.“ Sie zuckte lachend die Achseln. „Ich war neugierig.“

„Google?“

„Hätte ich das nicht tun sollen?“

Nun lachte er ebenfalls. „Warum denn nicht? Immerhin zeigt es, dass du ein gewisses Interesse an mir hast.“

„Ein gewisses Interesse?“ Ihr Herzschlag geriet ein klein wenig aus dem Takt. „Du könntest es auch in den falschen Hals bekommen.“

„Und dich für eine Goldgräberin halten?“ Er nahm ihr das Glas ab, an dem sie bisher nur kurz genippt hatte, und stellte es zusammen mit seinem auf dem Couchtisch ab. Dann trat er so nah an sie heran, dass ihre Körper sich berührten. „Würdest du dich denn als eine bezeichnen?“

Unsicher, wie sie mit den verwirrenden Gefühlen umgehen sollte, die seine unmittelbare Nähe in ihr auslösten, blickte sie an ihm vorbei zu den großen Fensterflächen des Wintergartens. „Ich habe den Großteil meines Lebens mit dem Versuch verbracht, Gold zu finden, ja. Allerdings bin ich dabei meistens eher auf Granit gestoßen.“

„Deshalb hast du die Suche jetzt aufgegeben?“

„Das war mein Vorsatz, ja.“

Lächelnd legte er ihr eine Hand an die Wange. „Und just in dem Moment tauche ich auf und mache dir einen Strich durch die Rechnung.“

„Ja. Nein!“ Kopfschüttelnd machte sie einen Schritt zur Seite und nahm ihre Besichtigung des Erdgeschosses wieder auf. „Ich bin nicht wegen deines Geldes hier, und das war auch nicht der Grund, weshalb ich mit dir geschlafen habe.“

„Hast du nicht.“

„Was?“ Irritiert blickte sie über die Schulter und sah ihn schalkhaft grinsen.

„Geschlafen. Dazu blieb ja leider keine Zeit. Ich will hoffen, dass wir sie uns beim nächsten Mal nehmen werden. Ich bin neugierig, wie du aussiehst, wenn du am Morgen nach einer ausgiebigen Liebesnacht neben mir aufwachst.“

Allein der Gedanke ließ ihren Pulsschlag in ungesunde Höhen schnellen. „Du meinst mit verstrubbelten Haaren, zerknautscht und ohne Make-up?“

Er grinste. „So viel benutzt du von dem Zeug gar nicht.“

„Zeug?“

„Ich kenne Frauen, die es sich fingerdick ins Gesicht spachteln, weil sie hoffen, damit jünger und verführerischer zu wirken. Du hast das nicht nötig, Silvana, und das weißt du genau.“

„Vielleicht bin ich auch nur sehr gut darin, mich zu tarnen.“

„Vielleicht. Aber du bist genauso gut darin, du selbst zu sein, und auch, wenn ich mich wiederholen sollte – ich bin nach wie vor wild entschlossen, dein wahres Gesicht zu ergründen. Mit und ohne Make-up.“

Sie räusperte sich und bemühte sich, ihre Verlegenheit nicht allzu deutlich zu zeigen. „Hattest du nicht etwas von Frühstück gesagt?“

„Allerdings.“ Er ging an ihr vorbei in den nächsten Raum, der sich als helle Wohnküche entpuppte, in der weißes Holz und graugrün marmorierte Arbeitsflächen vorherrschten. Es gab eine massive Sitzecke mit Eckbank, deren Tisch liebevoll für zwei Personen gedeckt war. Ein Korb mit frischen Brötchen und Croissants verströmte verführerischen Duft, der sich mit dem frisch gebrühten Kaffees vermischte. Eine schlanke Frau mit schulterlangem brünettem Haar, das sie zu einem einfachen Pferdeschwanz zurückgebunden hatte, war gerade dabei, eine Vase mit leuchtend gelben Rosen auf den Tisch zu stellen.

Als Silvana und Marcos eintraten, drehte sie sich mit strahlendem Lächeln um. „Guten Morgen, Herr Costales. Ich bin gerade mit allem fertig. Eier, Speck und Kräuter habe ich Ihnen auf die Anrichte gestellt.“ Sie nickte Silvana freundlich zu. „Guten Morgen, Frau Brenner.“

„Guten Morgen, Linda, und danke.“ Das Lächeln, das Marcos der Haushälterin schenkte, verriet, dass die beiden ein eingespieltes Team waren. „Silvana, das ist der gute Geist dieses Hauses, Linda Grones.“

„Freut mich.“ Silvana schüttelte die Hand der Haushälterin. „Das sieht ja alles wunderbar aus.“ Sie ließ ihren Blick noch einmal über den Frühstückstisch wandern und entdeckte sogar eine aufgeschnittene Grapefruit sowie einen Korb mit frischen Orangen, Bananen und Kiwis. Sie lächelte Marcos zu. „Du verwöhnst mich.“

„Das war der Plan.“

„Ich bin dann wieder weg, Herr Costales.“ Linda hängte ihre hellgrüne Schürze in einen schmalen Schrank neben der Tür. „Falls Sie mich brauchen sollten, rufen Sie einfach an. Ansonsten komme ich morgen Nachmittag wieder, um oben zu putzen.“

„Alles klar. Grüßen Sie Georg von mir.“

„Gern.“ Linda lächelte ihnen noch einmal zu und verschwand dann durch eine Seitentür nach draußen.

„Sie ist nett.“ Silvana sah ihr durch das Fenster nach, bis sie um die Hausecke verschwunden war. „Und schwanger.“

„Ihr zweites Kind.“ Marcos führte sie zum Tisch. „Das erste ist ein Junge, Andreas. Er ist jetzt zweieinhalb. Diesmal soll es ein Mädchen werden.“

„Wie schön.“

„Das ist es. Sie und Georg haben sich hier im Haus kennengelernt. Anfangs konnten sie einander nicht ausstehen.“ Er lachte. „Was sich liebt, das neckt sich. Setz dich. Magst du lieber Rührei oder Omelett?“

„Du kochst?“ Überrascht sah sie ihm zu, wie er zur Anrichte ging und den Eierkarton aufklappte.

„Hin und wieder. Also, wie magst du deine Eier am liebsten?“

„Ich bin nicht wählerisch.“

Er lachte. „Gut zu wissen. Dann werde ich dich mit meiner Spezialität überraschen. Kräuteromelett mit Paprikastreifen.“

„Klingt himmlisch.“

„Bacon?“

Sie gluckste. „Leider ja. Deshalb muss ich auch dreimal pro Woche zwei Stunden im Fitnessstudio ackern. Laufband, Crosstrainer, Yoga, Pilates. Das volle Programm.“

„Ich mag keine Sportstudios.“ Marcos schlug mit geübten Handgriffen die Eier auf und trennte Eigelb vom Eiweiß. „Oben gibt es einen voll ausgestatteten Fitnessraum, und in meiner Wohnung in Dortmund habe ich ebenfalls einen.“

„Luxus pur.“ Interessiert sah sie ihm von ihrem Platz aus beim Kochen zu. „Ich mag die Gesellschaft beim Sport. Beim Yoga und im Pilates-Kurs habe ich ein paar sehr nette Frauen kennengelernt, mit denen ich hin und wieder etwas unternehme.“

„Es sei dir gegönnt, wenn du dich schon derart anstrengst, um deinen Körper in Form zu halten. Nicht dass ich mich deshalb beschweren will.“ Er zwinkerte ihr zu. „Deine Bemühungen tragen Früchte, die ich ausgiebig zu genießen plane.“

„Ist das so?“ Um ihre Hände zu beschäftigen, griff sie nach einem Glas auf dem Tisch und studierte das Etikett. „Deinen eigenen Honig produzierst du auch?“

„Ein Hobby. Ich habe nicht weit von hier eine Obstwiese gekauft und dort mehrere Bienenvölker angesiedelt.“ Der Speck zischte und brutzelte in der Pfanne und verströmte einen intensiven Duft. „Einer meiner Nachbarn kümmert sich die meiste Zeit darum, aber vielleicht schaffe ich es zukünftig öfter, mich selbst damit zu beschäftigen.“

Mit wenigen weiteren Handgriffen hatte Marcos die Omeletts vorbereitet und ließ sie auf zwei Teller gleiten. Die knusprigen Baconstreifen wanderten auf eine kleine Platte, und nachdem er alles auf den Tisch gestellt hatte, setzte er sich Silvana gegenüber auf einen Stuhl. „Lass es dir schmecken.“ Er griff selbst nach einem Brötchen und schnitt es auf. „Und überleg dir dabei schon mal, wie du den Tag gerne verbringen möchtest. Ich hätte da mehrere Vorschläge zur Auswahl.“

***

„Das ist ja unglaublich!“ Entzückt sah sich Silvana in der kleinen Kunsthandlung um. „Zauberhaft. Woher wusstest du denn, dass es diesen Laden hier gibt?“

Sie hatten sich für eine Spritztour in Richtung Köln entschieden, waren dann aber kurz vor dem Ziel von der Autobahn abgebogen und ein wenig übers Land gefahren, bis sie eine hübsche Kleinstadt erreicht hatten. Dort hatte Marcos seinen Porsche auf einem öffentlichen Parkplatz abgestellt und sie zu einem Bummel durch die Altstadt und einen Abstecher in ein Café überredet, in dem sie gemütlich Kaffee getrunken und eine hervorragende Sachertorte gegessen hatten. Danach waren sie noch einmal losgezogen und schließlich in einer Seitenstraße auf das Geschäft gestoßen, in dem Silvana nun schon seit einer geraumen Weile die ausgestellten Stücke bewunderte. Inhaberin des Geschäfts war eine junge blonde Künstlerin von vielleicht Anfang dreißig, die ihren eigenen Worten nach rein zufällig heute im Laden anwesend war. Sie stellte selbst einen Großteil der ausgestellten Kunstwerke aus Metall und Holz her und erzählte freimütig, dass sie sich gerade in einer intensiven Schaffensphase befand. Da jedoch ihre Mitarbeiterin, die sich um den Verkauf kümmerte, ihre erkrankte Tochter von der Schule abholen musste, war sie eingesprungen, bis die angeforderte Aushilfe sich einfand.

Marcos betrachtete die Skulpturen ebenfalls sehr eingehend. „Ich kenne Daniela Weißmüller und ihre Kunst schon seit einigen Jahren. Zum ersten Mal bin ich auf sie aufmerksam geworden, als ich eine ihrer Skulpturen im Chez Manuel in Bonn entdeckt habe.“

„Ist das nicht dieses Dreisternerestaurant?“ Silvana trat näher an eine der Vitrinen heran, in denen abstrakte geschnitzte Tierfiguren ausgestellt wurden.

„Ja, genau.“ Die Künstlerin kam lächelnd näher. „Der Schuppen gehört meinem Bruder und meinem Vetter zu gleichen Teilen. Mein Bruder hat sich vor einiger Zeit aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen, weil ihm der Stress zu viel wurde, und arbeitet jetzt hier in der Stadt in der Sozialstation als Koch, aber er sucht immer mal wieder eins meiner Stücke aus und lässt es Manuel im Restaurant ausstellen. Auf diesem Wege ist Ben Brungsdahl darauf aufmerksam geworden.“ Sie deutete auf die Figuren in der Vitrine. „Sie haben vielleicht schon von ihm gehört.“

Marcos nickte. „Ein international bekannter Bildhauer.“

„Brungsdahl?“ Silvana runzelte leicht die Stirn. „Er hat nicht zufällig etwas mit dem Möbelhaus Brungsdahl in Köln zu tun?“

„Das gehört seiner Familie. Sein Vater leitet es gemeinsam mit Bens Bruder Peter.“ Daniela Weißmüller schloss die Vitrine auf. „Möchten Sie sich die Figuren näher ansehen?“

„Gerne, danke.“ Vorsichtig nahm Silvana die hölzerne Nachbildung eines Pferdes mit wehender Mähne in die Hand. „Wie klein die Welt doch ist. Meine Tochter ist Chefeinkäuferin im Möbelhaus Brungsdahl.“

„Das ist ja wirklich ein Zufall.“ Daniela nahm ebenfalls eine der Figuren in die Hand. „Ben stellt seine Kunstwerke normalerweise in großen Galerien in Berlin, München und London aus. Ich glaube, er hatte sogar schon mal eine Ausstellung in New York. Aber er hat auch eine Vorliebe für kleine feine Kunsthandwerksläden. Als er meine Skulptur im Chez Manuel entdeckte, das muss so vor zwei Jahren gewesen sein, rief er mich gleich am nächsten Tag an und fragte, ob ich Interesse an einer Zusammenarbeit hätte. Seitdem schickt er mir immer mal wieder kleinere Exponate, die ich hier zu relativ erschwinglichen Preisen verkaufen darf.“

Silvana warf einen Blick auf das unauffällig angebrachte Preisschild und hätte beinahe nach Luft geschnappt, als sie die dreistellige Summe darauf sah. „Ich fürchte, ‚erschwinglich‘ ist ein relativer Begriff.“

Daniela nickte verständnisvoll. „Immerhin ist es original Ben Brungsdahl. Würden Sie diese Skulptur in einer Galerie kaufen wollen, müssten Sie wohl das Zehnfache dafür hinblättern.“

„Wir nehmen sie.“

„Marcos!“ Erschrocken starrte Silvana ihn an. „Das geht doch nicht. Du brauchst nicht … Ich meine …“ Hastig stellte sie das hölzerne Pferd in die Vitrine zurück.

„Wir nehmen sie“, wiederholte er lächelnd in Danielas Richtung und zückte seine Brieftasche. „Und außerdem diese Eule im Baumstamm.“ Er deutete auf eine fast einen Meter hohe Skulptur.

„Aber …“ Silvana fehlten die Worte.

Marcos und Daniela hatten sich der Eule zugewandt, und die Künstlerin strahlte über das ganze Gesicht. „Da habe ich zum ersten Mal mit der Kettensäge experimentiert. Mein Mann hat mir gezeigt, wie man damit umgeht, und danach habe ich zusätzlich noch so einen Sicherheitskurs belegt. Ziemlich aufwendig, aber es musste sein. Ich hatte diese Vision von der Eule – und … nun ja, sie ist ganz passabel geworden, nicht wahr?“

„Sie ist wunderschön.“ Endlich hatte Silvana ihre Stimme wiedergefunden. „Fast schon unheimlich lebensecht, so als würde sie jeden Moment aus dem Baumstamm heraustreten und sich in die Lüfte schwingen. Dass Sie das mit einer Kettensäge hinbekommen haben. Unglaublich!“

„Das perfekte Geburtstagsgeschenk für den Mann meiner Nichte.“ Marcos kramte in seiner Brieftasche. „Sie nehmen auch Kreditkarten, nicht wahr?“

„Selbstverständlich. Wenn Sie möchten, liefern wir die größeren Exponate auch frei Haus.“

„Perfekt.“ Er drehte sich zu Silvana um. „Das Pferd nehmen wir aber gleich mit.“

„Du brauchst es mir wirklich nicht zu schenken, Marcos. Das ist viel zu teuer.“ Verlegen sah sie zu, wie Daniela die Figur in eine Schachtel mit Holzwolle packte.

„Das ist Ansichtssache.“ Er lächelte ihr liebevoll zu. „Hast du übrigens schon den Glasschmuck dort drüben gesehen?“

Sie folgte seinem Blick, den er auf eine weitere Vitrine am anderen Ende des Ladens gerichtet hatte. „Oh.“ Sie trat neugierig näher. „Oh! Wie wundervoll.“ Bewundernd ließ sie ihren Blick über die Ketten, Anhänger, Armbänder und Ringe gleiten. Auch ein paar kleine abstrakte Glasskulpturen standen dazwischen und fingen das warme Licht der dezent angebrachten LED-Beleuchtung auf, brachen es und erzeugten kleine Regenbögen, wenn man sie im richtigen Winkel betrachtete. „Haben Sie die etwa auch gemacht?“

Daniela übergab Marcos gerade den Kreditkartenbeleg. „Nein, die stammen von meiner Cousine Jana.“

„Sie ist unglaublich talentiert. Ich habe noch niemals so wunderschönen Glasschmuck gesehen.“

„Ich werde ihr gerne von Ihrer Begeisterung erzählen. Wenn Sie möchten, können Sie sie auch in ihrer Werkstatt am Stadtrand besuchen. Dort stellt sie in einem Raum ihre aktuellen Werke aus.“ Daniela kam näher und reichte ihr eine Visitenkarte. „Hier. Das ist ihre Adresse, darunter auch die ihrer Website. Sie vermarktet sich überwiegend selbst.“ Sie lachte. „Wenn Sie gerne hinfahren möchten, rufe ich sie kurz an und sage ihr Bescheid. Sonst kann es passieren, dass Sie vor verschlossenen Türen stehen, falls Jana gerade mitten in einem Schaffensprozess steckt.“

„Wir wollen sie auf keinen Fall stören“, setzte Silvana rasch an, doch Marcos unterbrach sie.

„Das wäre sehr nett von Ihnen. Wir haben noch ein wenig Zeit bis zu unserer Reservierung im Sternbach. Da bietet sich ein Besuch in der Werkstatt ihrer Cousine bestens an.“

„Was für eine Reservierung?“ Verblüfft musterte Silvana ihn.

Marcos lächelte verschmitzt. „Na, die fürs Abendessen. Im Hotel Sternbach befindet sich das beste Restaurant der Stadt. Ich habe mir erlaubt, einen Tisch für achtzehn Uhr dreißig zu reservieren. So müssen wir nicht allzu spät zurückfahren. Ich habe morgen früh eine wichtige Sitzung.“

„Oh, aber dann …“ Sie stutzte. „Wann hast du den Tisch denn reserviert? Davon habe ich gar nichts mitbekommen.“

Schmunzelnd zog er sein Smartphone aus der Tasche. „Das Sternbach hat eine eigene App. Das geht praktisch auf Knopfdruck. So ganz nebenher.“ Er zwinkerte ihr zu.

„Aber wenn du morgen zurück in Dortmund sein musst, sollten wir …“

„Unbedingt jetzt zu dieser interessanten Glaskünstlerin aufbrechen, das finde ich auch.“ Er wandte sich noch einmal an die Geschäftsinhaberin. „Vielen Dank für alles. Wir werden ganz sicher nicht zum letzten Mal hier gewesen sein.“

„Das höre ich gerne. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“ Während sie sprach, griff Daniela Weißmüller bereits nach dem Telefon und wählte eine Nummer im Kurzwahlspeicher.

Marcos nahm die Papiertüte mit der stabilen Holzschachtel und geleitete Silvana galant nach draußen. „Dann mal los, meine Schöne. Wollen doch mal sehen, ob wir bei Jana Weißmüller nicht auch noch etwas finden, womit ich dich verwöhnen kann.“

8. KAPITEL

Während Marcos den Porsche ruhig und besonnen über die Autobahn lenkte, tastete Silvana ein ums andere Mal über die Anhänger der mehrreihigen Kette aus pastellfarbenen Glasperlen. An ihrem Handgelenk klimperte leise das passende Armband. „Du bist wahnsinnig, weißt du das?“ Er hatte ihr den Schmuck ausgesucht. Schnell und zielsicher war er in dem Ausstellungsraum der Glaskünstlerin darauf zugesteuert und hatte verkündet, diesen Schmuck müsse sie unbedingt haben. Dabei hatte er überhaupt nicht auf den Preis geachtet, der Silvana beinahe erneut den Atem verschlagen hätte.

Die Kette und das Armband waren perfekt. Die unzähligen gläsernen Anhänger, manche tropfenförmig, andere eher an Sterne, Monde oder keltische Ornamente erinnernd, gaben dem Schmuck etwas zauberhaft Mystisches. Viel zu opulent für manch andere Frau, aber zu ihr passte er, als sei er nur für sie gemacht worden. Das hatte sogar die Künstlerin bestätigt und etwas von Schicksal und Bestimmung erzählt.

Anstelle einer Antwort auf Silvanas eher rhetorische Frage warf Marcos ihr nur einen kurzen warmen Blick zu.

„Ich will nicht, dass du glaubst, mir teure Sachen schenken zu müssen.“

Er setzte den Blinker und nahm die nächste Abfahrt. „Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber wem und wann ich teure Geschenke mache, entscheide ganz allein ich.“

„Es ist aber nicht richtig. Alle Welt wird glauben, ich sei nur mit dir zusammen, weil du Geld hast.“

„Dann ist es doch gut, dass ich die Wahrheit kenne.“ Wieder traf sie sein Blick und ließ ihren Herzschlag aus dem Takt geraten.

Sie schluckte nervös. „Die Wahrheit?“

Er ging nicht weiter darauf ein. „Ich würde dich gerne einladen, die Nacht in meinem Haus zu verbringen. Mein Fahrer holt dich morgen früh von dort ab.“

„Du hast einen Fahrer?“ Sie schluckte erneut. „Natürlich hast du einen Fahrer.“

Er lachte. „Ich muss auf dem Weg nach Dortmund noch ein paar Dinge für die Sitzung vorbereiten. Während Frank fährt, kann ich mit dem Laptop arbeiten. Du kannst den Porsche nehmen, um nach Hause oder zur Arbeit zu fahren.“

„Den Porsche? Oh Gott, nein, auf gar keinen Fall! Ich nehme ein Taxi!“

Marcos berührte sie kurz am Arm. „Hast du Angst, den Wagen zu schrotten?“

„Nein! Nein, ich … Das kann ich doch nicht machen. Es ist dein Auto und …“

„Ich leihe es dir gerne, Silvana. Es ist bloß ein Auto.“

„Ja, aber ein verdammt teures.“

„Stimmt. Und hundertmal sicherer als die Rostlaube auf vier Rädern, die du dein Eigen nennst. Du tätest mir, ehrlich gesagt, sogar einen Gefallen, wenn du vorerst den Porsche benutzen würdest, bis wir einen besseren fahrbaren Untersatz für dich gefunden haben.“

„Wir?“ Sie schüttelte vehement den Kopf. „Moment mal, davon kann überhaupt keine Rede sein. Ich … du … So weit sind wir noch lange nicht, Marcos. Wir können nicht einfach … Das geht nicht.“

„Wir werden sehen. Da wären wir.“ Er hielt diesmal nicht in der Zufahrt, sondern fuhr an der Freitreppe vorbei durch einen kleinen Torbogen, der zu einer geräumigen Doppelgarage führte, die geschickt hinter einer hohen Hecke verborgen lag. Mit einer Fernbedienung öffnete er das Garagentor und fuhr hinein.

***

Marcos’ Selbstbeherrschung hielt exakt bis zu dem Moment, in dem die Haustür hinter Silvana und ihm ins Schloss fiel. Schon die ganze Zeit sehnte er sich danach, Silvana zu küssen, und als sie nun unschlüssig im Eingangsbereich seines Hauses stand und an ihrem Mantel herumzupfte, erlaubte er sich endlich, alle zivilisierten Umgangsformen über Bord zu werfen.

Sie stieß einen überraschten Laut aus, als er ihr energisch die Tüte mit der Skulptur aus der Hand nahm und achtlos auf dem Boden abstellte, um ihr im nächsten Moment den Mantel von den Schultern zu streifen. Das Kleidungsstück landete zusammen mit dem seinen ebenfalls auf dem Fußboden, und im nächsten Augenblick lagen seine Lippen fest auf ihren. Fast schon gierig saugte er an ihrer Unterlippe, strich mit der Zunge darüber, bis sie den Mund ein wenig öffnete und ihm Einlass gewährte.

Ein betörender Laut entrang sich ihrer Kehle und löste brennendes Verlangen in ihm aus.

„Marcos, warte …“ Sie rang nach Atem und schwankte ein wenig.

„Nein, nicht jetzt.“ Mit dem Mund suchte er sich einen Weg über ihre Wange, ihr Kinn bis in ihre Halsbeuge. Tief sog er ihren femininen Duft, vermischt mit den Überresten ihres blumigen Parfüms, ein. „Ich will dich, Silvana.“ Schon zog er ihre Seidenbluse aus dem Bund ihres Rocks und knöpfte sie auf.

„Aber …“ Sie keuchte unterdrückt, als er die weiche Haut über ihrer Halsschlagader zwischen die Lippen sog, dann lächelte sie. „Okay …“

Nur der Wunsch, dieses Mal mehr auszukosten, hielt ihn davon ab, sie gegen die nächstbeste Wand zu drängen und sich zu nehmen, wonach es ihn so unbedingt verlangte. „Komm.“ Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich die breite Steintreppe hinauf zu seinem Schlafzimmer. Der Raum war klar in Hell- und Dunkelgrau gestaltet, nur aufgelockert durch hellrote Vorhänge und einige wenige ebenfalls rote Accessoires, zu denen ihm die Innenarchitektin damals geraten hatte. Er fühlte sich wohl hier, freute sich zugleich aber schon darauf, wie sich die Atmosphäre wohl ändern würde, sobald Silvanas Persönlichkeit sich hier ausbreitete. Den Anfang würde er gleich hier und jetzt machen.

Sanft, aber bestimmt trat er hinter sie, löste den Verschluss der Kette. Dann fuhr er leicht mit den Fingerspitzen an ihrem Arm hinab bis zu ihrem Handgelenk, streifte ihr das Armband ab und legte es zusammen mit der Kette auf den Nachttisch. Sichtlich erstaunt ließ sie ihn gewähren, lachte dann aber erregt, als er sie an sich zog, in seinen Armen zu sich herumdrehte und sich erneut über die Knöpfe ihrer Bluse hermachte.

„Sie gehen aber ganz schön ran, Herr Costales“, schnurrte sie, als er ihr das Kleidungsstück abstreifte und gleich das spitzenbesetzte Hemdchen, das sie darunter trug, folgen ließ.

„Wozu Zeit verlieren?“ Mehr Spitze über verführerischen Rundungen kam zum Vorschein. Als er den dünnen Stoff über einer ihrer Brüste einfach beiseiteschob und seine Lippen um die leicht aufgerichtete Spitze schloss, atmete sie scharf ein.

Lust brandete durch ihn hindurch und steigerte sich noch, als sie sich am Gürtel seiner Hose zu schaffen machte und im nächsten Moment bereits ihre warmen kundigen Finger um seine Härte schloss.

Sie kämpften sich in Windeseile aus den verbliebenen Kleidern und landeten nur Augenblicke später in einer leidenschaftlichen Umarmung auf dem Bett. Silvanas lange Beine schlangen sich um seinen Körper, ihr Unterleib schob sich dem seinen begierig entgegen. Lediglich jahrzehntelange Konditionierung ließ ihn lange genug zur Besinnung kommen, um die Schachtel mit Kondomen aus der Nachttischschublade zu angeln.

Davon, sich mehr Zeit zu nehmen, schien Silvana nichts wissen zu wollen. Kaum hatte er eines der Kondome übergestreift, als sie auch schon über ihm war und ihn mit einer schnellen geschmeidigen Bewegung in sich aufnahm. Für einen Moment sah er Sternchen. Sie war nass, heiß und wild, so wie er es sich gewünscht hatte. Der ungeduldige, drängende Rhythmus, den sie ihm vorgab, zeigte deutlich, dass er in seinem Bemühen um zivilisierte Zurückhaltung nicht allein gewesen war. Begehrlich ließ er seine Hände über ihren hoch aufgerichteten Körper gleiten, umschloss ihre Brüste, dann wieder ihre Hüften und zog sie schließlich zu sich herab, um ihre weiche Haut an seiner zu spüren.

Alle zusammenhängenden Gedanken flohen aus seinem Kopf, und er beschloss, die weiteren Pläne, die er für den Abend gehabt hatte, auf später zu verschieben.

Mit einer energischen Bewegung drehte er sich mit ihr, bis sie unter ihm lag. Ehe sie noch protestieren konnte, war er erneut in ihr und trieb sie erbarmungslos voran. Er konnte die wachsende Anspannung in ihrem Körper spüren und wusste, es war zwecklos, sich länger zurückzuhalten. Seine eigene Erlösung schlug nur einen Atemzug nach der ihren über ihm zusammen.

Schwer atmend und die Wellen ihrer beider Erfüllung voll auskostend, vergrub er sein Gesicht in ihrer Halsbeuge. Es dauerte eine geraume Weile, bis seine Atmung und sein Herzschlag sich einigermaßen beruhigt hatten.

Diese Frau, so wurde ihm nicht zum ersten Mal bewusst, war geradezu perfekt für ihn. Ihr Temperament mochte überschäumend und vermutlich ziemlich unberechenbar sein, doch genau das zog ihn umso mehr an. Einen Vorgeschmack hatte er im Verlauf des heutigen Tages bereits mehrfach erleben dürfen. Sie ließ sich leicht begeistern, lebte ihr Entzücken gleichermaßen überschwänglich aus wie ihren Unwillen, wenn ihr etwas gegen den Strich ging. Während des Abendessens hatte er sich probehalber auf eine Diskussion über die Tagespolitik eingelassen, und sie hatten sich schon bald die Köpfe heißgeredet. Silvana vertrat ihren Standpunkt, ob er nachvollziehbar war oder nicht, sehr energisch und mit Feuereifer. Gegenteilige Meinungen akzeptierte sie zwar, ließ sich jedoch von vernünftigen Argumenten nur dann überzeugen, wenn sie mehr oder weniger durch die Hintertür in ihr Bewusstsein getragen wurden. Griff man sie frontal an, wurde es schnell brenzlig, denn unter der Oberfläche brodelte eine nicht ungefährliche Mischung aus Eigensinn und Leidenschaft, die er als hochexplosiv einstufte.

Marcos schätzte sich selbst als eher ausgeglichen ein, wenn er auch durchaus eine spontane Seite besaß, die er jedoch nur gelegentlich auslebte. Sein Geschäft und die vielfältigen Verpflichtungen, die es mit sich brachte, hatten ihm zu einem gesunden Maß an Besonnenheit verholfen, ohne die er sicherlich nicht halb so erfolgreich gewesen wäre. Er wusste mit Menschen jedweder Couleur umzugehen, deshalb schreckte er vor Silvanas überbordender Lebensfreude ebenso wenig zurück wie vor den wesentlich komplexeren und sicherlich nicht nur glücklichen Empfindungen, die sich unter der Oberfläche befanden. Sie faszinierte ihn mehr, als er für möglich gehalten hätte.

Sie für sich zu gewinnen, nicht nur mit dem Körper, sondern mit dem Herzen, war allerdings, da war er sicher, nur der erste von vielen Schritten auf dem Weg, der vor ihm lag. Silvana verbarg eine Menge emotionalen Ballasts hinter der Mauer aus fröhlicher Lebenslust. Die wenigen Gelegenheiten, bei denen sie ihre Tochter erwähnt hatte, machten bereits deutlich, dass hier einiges im Argen lag. Und auch ihre Andeutungen, was ihre Geschichte hinsichtlich der unzähligen Männer anging, mit denen sie die vergangenen Jahrzehnte mehr schlecht als recht zugebracht hatte, ließen nur einen Schluss zu: Die Frau, die ihn gerade in berauschenden Wahnsinn getrieben hatte, war erfüllt von Angst und Selbstzweifeln.

***

„Du musst mir sagen, wenn ich dir zu schwer bin“, brachte er schließlich heraus.

„Oh Gott, nein. Bitte beweg dich nicht.“ Sicherheitshalber schlang Silvana ihre Beine erneut um Marcos und strich mit ihren Händen träge über seine Schultern und den Rücken. Sie fühlte sich herrlich schwerelos und zugleich sicher und geborgen unter dem Gewicht der harten Muskeln, die den Körper dieses wunderbaren Mannes durchzogen. Sein schneller Herzschlag und sein warmer Atem auf ihrer Haut ließen sie wohlig seufzen. Gleich darauf lachte sie leise, als ihr bewusst wurde, dass sie schon wieder übereinander hergefallen waren, als gäbe es kein Morgen. „Woher kam das denn gerade?“

Er hob den Kopf und stützte sich ein wenig ab, um ihr besser ins Gesicht sehen zu können. „Keine Ahnung, meine Schöne. Aber ich hatte wohl recht, du bist eine gefährliche Frau. Eigentlich hatte ich dieses Mal viel mehr auskosten wollen.“ Er küsste sie zärtlich, und sie spürte tatsächlich Schmetterlinge in ihrem Bauch. „Glücklicherweise ist die Nacht noch lange nicht vorbei.“

Der raue dunkle Klang seiner Stimme ließ alle Nervenenden in ihrem Körper schwingen. „Ich dachte, du musst morgen früh raus.“

Lächelnd rollte er sich ein wenig zur Seite, jedoch nur so weit, dass sie besser atmen und er mit einer Hand ihre Brüste liebkosen konnte. „Ein Grund mehr, jede Minute voll auszukosten, meinst du nicht auch?“

Sie rekelte sich wohlig, als seine Hand langsam und träge weiter abwärts wanderte. „Dann bin ich am Ende schuld, wenn du morgen bei deiner Sitzung unausgeschlafen bist.“

Schelmisch grinsend tauchte er mit einem Finger in ihre warme feuchte Mitte. „Das Risiko musst du wohl oder übel eingehen.“

9. KAPITEL

„Melli, ich bin’s, deine Mama. Schade, dass ich dich nicht erreiche, aber bestimmt machst du wieder mal Überstun…“

„Mama? Entschuldige, ich bin gerade zur Tür hereingekommen.“ Melanies Stimme klang ein wenig atemlos, als sie den Anruf annahm.

Silvana lächelte erleichtert. Sie mochte es nicht, mit Anrufbeantwortern zu sprechen. Vor allem dann nicht, wenn sie so wunderbare Neuigkeiten zu berichten hatte. „Hallo, mein Schatz. Wie geht es dir?“

„Wie immer, würde ich sagen. Brungsdahl junior hat sich entschieden, jetzt noch eine weitere Linie von maßgefertigten Möbeln ins Programm aufzunehmen. Im Büro- und Businesssektor. Ich komme kaum nach, die Materiallieferungen für die Vorbestellungen zu koordinieren. Und nebenher helfe ich noch dabei, den Katalog auf unserer Homepage zu bestücken. Dazu muss ich unzählige Listen mit Einzelteilen zusammenstellen. Sehr aufwendig.“

„Das hört sich nach Stress an, Melli. Ich hoffe, du machst auch ab und zu mal eine kleine Pause, um das Leben zu genießen.“

„Mir geht es gut.“

„Mhm.“ Den defensiven Ton kannte Silvana nur zu gut. „Wann warst du zum letzten Mal aus?“

„Aus?“

„Essen, im Kino, tanzen. Vorzugsweise mit einem Mann.“

„Mama, dazu fehlt mir wirklich die Zeit.“

„Oder mit ein paar Freunden. Oder Kollegen.“

„Du weißt genau, dass ich kein Partytier bin.“

„Das musst du doch auch gar nicht sein, um mal einen Abend außerhalb deiner vier Wände zu verbringen. Nun sag schon, wann war dein letztes Date?“

Silvana hörte ihre Tochter unterdrückt stöhnen und sah sie direkt vor sich, wie sie genervt die Augen verdrehte. Es tat ihr in der Seele weh.

„Keine Ahnung. Ich bin im Moment nicht auf Männergesellschaft erpicht.“

„Zu schade. Wie willst du denn jemals jemanden treffen, wenn du nie …?“

„Mama! Weshalb hast du angerufen? Doch bestimmt nicht, um mir mein fehlendes Privatleben unter die Nase zu reiben.“

Nun war es an Silvana zu seufzen. Doch sie schüttelte den Anflug der Enttäuschung ab und lächelte wieder. „Ich habe jemanden kennengelernt.“

Es entstand eine winzige Pause. „Natürlich.“

„Er sieht unglaublich gut aus.“

„Was sonst?“

„Und er ist ziemlich reich.“

„Schön für dich.“

Silvana bemühte sich standhaft, die Resignation in Melanies Stimme zu überhören. „Er ist einfach wunderbar.“

„Mhm.“

„Wir sind uns auf der Kreuzfahrt begegnet – und … nun ja, zwei Wochen später stand er vor meiner Tür.“

„Freiwillig?“

„Melli!“ Nun musste Silvana doch lachen. „Er ist ein ganz toller Mann. Du wirst ihn mögen. Sein Name ist Marcos Costales. Er ist fünfundfünfzig, gut aussehend, aber das sagte ich ja schon, und er leitet …“

„Costales?“ Mellis Stimme klang leicht alarmiert. „So wie in Costales GmbH?“

„Ja, genau.“

„Er baut Autotuning-Teile und verkauft sie weltweit. Das ist eine riesige Firma.“

„Genau. Er ist …“

„Du hast überhaupt keine Ahnung von Autotuning.“

Silvana stutzte, dann lachte sie erneut. „Stimmt. Aber das macht doch nichts. Ich habe ihn vorgestern in seinem Büro in Dortmund besucht, und er hat mir die gesamte Firma gezeigt und ein paar Dinge erklärt. Na ja, viel verstanden habe ich wirklich nicht, aber das ist doch auch nebensächlich. Mit der Zeit werde ich es schon noch lernen.“

„Mit der Zeit?“ Nun klang Melanie eindeutig misstrauisch.

„Ja, Melli.“ Silvana spürte, wie ihr Herz einen aufgeregten Satz machte. „Er möchte gerne mit mir … Er will, dass wir es miteinander versuchen, weißt du. Ich war erst skeptisch, weil, nun ja, du weißt ja, dass ich mir eine Männerdiät auferlegt hatte.“

„Die hat ja nicht lange vorgehalten.“

„Immerhin gut zwei Jahre!“

„Und jetzt willst du bei ihm einziehen oder was?“

„Ich … Nein.“ Irritiert runzelte Silvana die Stirn. „Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen. Ich habe erst zwei Nächte in seinem Haus in Ahrweiler verbracht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie wunderschön es ist. Mit einem großen Wintergarten und Pool und … Bestimmt kann ich es dir irgendwann einmal zeigen. Du wirst genauso begeistert sein wie ich.“

„Wohl kaum.“

„Es ging alles so schnell, weißt du. Am vergangenen Samstag stand er vor meiner Tür und hat sich einfach meinem Essen mit Sabine und den Mädels angeschlossen, und dann hat er mich für Sonntag zum Frühstück zu sich eingeladen. Danach sind wir den ganzen Tag unterwegs gewesen – in dieser wunderhübschen kleinen Stadt … Er hat mir eine Holzskulptur von Ben Brungsdahl geschenkt.“

„Nobel geht die Welt zugrunde.“

Silvana entschied sich, den Sarkasmus ihrer Tochter mit Humor zu nehmen. „Und Glasschmuck hat er mir auch gekauft. Von einer unglaublich talentierten jungen Künstlerin. Ich habe ihm gesagt, dass er vollkommen wahnsinnig ist, aber er hat darauf bestanden. Und dann sind wir zurück zu ihm nach Hause gefahren … Tja, und am nächsten Tag musste er dringend nach Dortmund zu einer Sitzung und hat mir seinen Porsche geliehen. Stell dir das mal vor! Ich habe mich kaum getraut, den Zündschlüssel umzudrehen. Aber er meinte, ich soll mit dem Wagen fahren, weil mein alter Peugeot viel zu unsicher sei.“

„Da stimme ich ihm ausnahmsweise zu.“ Melanie räusperte sich unterdrückt. „Er hat dir seinen Porsche geliehen? Bist du sicher, dass er nicht an geistiger Umnachtung leidet?“

Silvana gluckste. „Nun hör aber auf, Melli. Er macht sich Sorgen um mich.“

„Das tue ich ebenfalls. Dieser Mann muss ja ein seltsames Exemplar seiner Gattung sein. Ziemlich vertrauensselig. Oder er ist so reich, dass ihm der Verlust eines Porsche nicht wehtut.“

„Wieso sollte er den Porsche verlieren?“

„Schon gut, Mama, das war rein rhetorisch gemeint.“

Silvana wehrte sich erneut gegen den Anflug der Enttäuschung, dass ihre Tochter sich nicht ein wenig mehr für sie freute. Melanie war einfach zu verschlossen, zu misstrauisch aller Spontaneität gegenüber. „Wie auch immer, jedenfalls haben wir jeden Tag telefoniert, und er hat mir sogar schon zweimal Blumen geschickt und ein paar Ohrringe, die exakt zu der Kette und dem Armband passen. Frag mich nicht, wann er die gekauft hat. Und vorgestern war ich also bei ihm in Dortmund, und gestern sind wir wieder zurück nach Ahrweiler gefahren und haben dort den ganzen Tag und natürlich auch wieder die Nacht miteinander verbracht.“ Diesmal seufzte sie behaglich. „Der Sex ist unglaublich, Melli!“

„Mama!“ Melanie stieß ein gequältes Stöhnen aus.

„Was denn?“

„Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass ich so etwas über meine Mutter nicht wissen will?“

„So etwas?“ Silvana kicherte. „Also wirklich, Melli. Für verklemmt hätte ich dich nicht gehalten.“

„Ich bin nicht verklemmt. Aber was du und dieser …“

„Marcos“, half Silvana bereitwillig aus.

„… zusammen in den Federn veranstaltet, muss ich absolut nicht wissen.“

„Wie du meinst.“ Silvana zuckte die Achseln, obgleich Melanie das ja nicht sehen konnte. „Jedenfalls hat er mich für Samstagabend zu einer Veranstaltung im Steigenberger eingeladen. Da geht es um die Zukunft des Rennsports am Nürburgring und so, und es werden haufenweise berühmte Leute da sein.“

„Klingt ja spannend.“

„Das ist es auch. Ich bin schon ganz aufgeregt und muss unbedingt morgen noch shoppen gehen. Was zieht man denn zu so einem Anlass überhaupt an?“

„Gibt es einen Dresscode?“

„Abendgarderobe natürlich.“

„Dann ein Abendkleid, was sonst? Du hast doch eins.“

„Drei, aber die sind so alt und langweilig. Ich habe schon bei uns im Laden geschaut, aber nicht das Richtige gefunden. Vielleicht fahre ich einfach mal nach Bonn oder Koblenz.“

„Mit dem Porsche?“

Silvana stutzte, dann lächelte sie glücklich. „Ja, mit dem Porsche. Oh Gott, du glaubst gar nicht, wie glücklich ich mich fühle. Ich glaube … vielleicht …“

„Vielleicht ist er der Richtige?“ Melanies Stimme verriet deutlich ihre Frustration. „Das kommt mir bekannt vor.“

„Nein, wirklich, Melli, glaub mir. Diesmal ist es ganz anders. Ich wollte überhaupt nichts mit ihm anfangen und mich auf keinen Fall verlieben. Aber jetzt …“

„Jetzt ist alles anders.“

„Genau!“

„Viel Glück, Mama. Ich muss jetzt unbedingt eine Kleinigkeit essen und bin auch ziemlich müde.“

„Ja, selbstverständlich, mein Schatz. Entschuldige. Ich wollte dich gar nicht so lange aufhalten. Mach’s gut. Bis bald, Küsschen!“

Als es in der Leitung knackte, blickte Silvana noch einen Moment lang sinnierend auf ihr Handy. Sie wünschte sich so sehr ein besseres, herzlicheres Verhältnis zu ihrer Tochter und dass diese sich endlich aus ihrem Schneckenhaus hinaustraute und nicht an jeder Straßenecke Unheil witterte. Doch sie beide schienen vollkommen unterschiedliche Sprachen zu sprechen. Den unangenehmen Gedanken, dass sie selbst die Hauptschuld an Melanies Verschlossenheit und Unfähigkeit zu tieferen Gefühlen und Beziehungen trug, schob sie wie immer rigoros beiseite. Sie konnte ihre Fehler der Vergangenheit nicht rückgängig machen. Stattdessen war sie entschlossen, ihre Zukunft gänzlich neu und anders zu gestalten. Vielleicht würde ihr das an Marcos’ Seite gelingen.

Sosehr sie sich auch gegen ihre Gefühle für ihn gewehrt hatte, inzwischen hatte sie eingesehen, dass sie machtlos dagegen war. Er war einfach zu gut zu ihr, zu aufmerksam, zu ehrlich. Er zögerte nie, ihr ins Gesicht zu sagen, was er dachte oder empfand, auch wenn es ihr nicht gefiel, weil er ihr ihre Fehler vor Augen führte. Seltsamerweise nahm sie ihm das überhaupt nicht übel. Sie wusste, dass sie dazu neigte, Menschen, insbesondere Männer, von sich zu stoßen, sobald diese begannen, an ihrer Art, an ihrem Temperament oder ihren Stimmungsschwankungen Kritik zu üben. Doch Marcos schaffte es irgendwie, ihr jedes Mal den Wind aus den Segeln zu nehmen, noch bevor sie sie überhaupt setzen konnte. Seine ruhige, besonnene und humorvolle Art tat ihr gut, auch wenn sie hin und wieder erschrocken war, was sie ihm in schwachen Momenten alles über sich verriet. Er wusste nach der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft mehr über sie als je ein Mann zuvor. Und auch umgekehrt hielt er mit nichts hinterm Berg.

Er war als Kind pummelig gewesen und hatte in seiner Jugend begonnen, dagegen anzukämpfen. Seither trainierte er regelmäßig, was sich, so musste sie mit einem wohligen Schauder zugeben, mehr als ausgezahlt hatte. Er hatte in seinem Leben nur drei längere Beziehungen gehabt, in den vergangenen zehn Jahren jedoch keine mehr. Zur Mutter seines Sohnes hielt er nach wie vor Kontakt, wenn auch nur lose. Sie war seit fünfzehn Jahren mit einem Musiker verheiratet und jettete mit ihm und seiner Band um die Welt. Sein Sohn Raffael war sein Ein und Alles, und er unterstützte ihn in jeder nur möglichen Form, obwohl der junge Mann selten einmal um Hilfe bat. Im Gegenteil, er schien sich seinen Weg in der Welt lieber selbst erkämpfen zu wollen. Neben seinem Job im Management eines Bostoner Hotels engagierte er sich, vielleicht weil er selbst schwul war, sehr für die Rechte von Schwulen und Lesben und gleichgeschlechtlichen Paaren. Marcos war sehr stolz auf ihn und ließ rein gar nichts auf ihn kommen.

Silvanas Bewunderung für den Mann, der ihr so unvermutet auf dem Deck des Kreuzfahrtschiffes begegnet war, steigerte sich von Tag zu Tag. Vorgestern hatte sie ihn in seiner Firma in seinem Element erlebt und war beeindruckt gewesen, wie selbstbewusst und effizient er die ihm Untergebenen zu führen wusste. Er blieb stets höflich und respektvoll, selbst wenn er Kritik übte. Etwas, was sie ja auch schon selbst erlebt hatte. Sie fragte sich nachgerade, ob er überhaupt schon jemals aus der Haut gefahren war oder was ihn wohl dazu verleiten könnte. Ein Angriff auf seinen Sohn, das ganz gewiss. Aber der war offenbar sehr gut imstande, sich selbst zu verteidigen. Was diesen Fels in der Brandung sonst noch aus dem Gleichgewicht bringen könnte, wagte sie sich kaum vorzustellen. Denn so überlegen und bedächtig Marcos auch sein mochte, sie kannte inzwischen auch seine leidenschaftliche Seite, das ungezügelte Feuer, das unter der Oberfläche loderte und sich bisher hauptsächlich dann zeigte, wenn sie miteinander schliefen. Sie wagte sich kaum vorzustellen, wie es sich äußern würde, wenn es einmal nicht um Lust und Leidenschaft ging, sondern wenn man ihn bis zur Weißglut reizte.

Entschlossen schob sie diese beunruhigenden Gedanken beiseite und richtete ihr Augenmerk auf ihren Kleiderschrank. Sie hatte ihn geöffnet und die Abendkleider einer kritischen Prüfung unterzogen. Keines davon fand Gnade vor ihren Augen. Sie musste unbedingt etwas Neues haben. Insbesondere, weil nicht nur jede Menge Geschäftspartner und Prominenz zu diesem Dinner erwartet wurden, sondern auch Marcos’ Eltern.

Himmel, wann war sie zuletzt den Eltern eines männlichen Begleiters … Freundes … Liebhabers begegnet? Sie fragte sich kurz, als was er sie wohl bezeichnen würde, wenn er sie seinem Vater und seiner Mutter vorstellte. Die beiden waren hoch in den Siebzigern, hatten früh geheiratet und führten seither eine glückliche und vorbildliche Ehe. Seit sie sich aus dem Geschäft zurückgezogen hatten, in dem sie beide bis vor gut zehn Jahren noch intensiv mitgearbeitet hatten, reisten sie viel und pflegten diverse Hobbys.

Silvana rieb sich nervös über die Oberarme. Sie würde Marcos’ Eltern treffen. Kein Grund, aufgeregt zu sein. Immerhin war sie eine gestandene Frau und kein unerfahrenes Schulmädchen. Dennoch hatte sie das seltsame Gefühl, dass dieser Abend eine ganz besondere Herausforderung für sie bereithalten würde.

10. KAPITEL

Bewundernd sah Silvana sich in dem festlich dekorierten Saal des Hotels um. „Ist das schön! All die Blumen und Kristalle, geradezu märchenhaft!“

Auch Marcos betrachtete das Arrangement mit Wohlgefallen. „Das Hotel stellt seine Veranstaltungen gerne unter ein Motto. Diese hier nennen sie Herbststimmung im Ahrtal.“

„Einfach wunderbar.“ Silvana hob lauschend den Kopf. „Und sie spielen Vivaldi im Hintergrund, das passt perfekt.“

„Du kennst dich mit klassischer Musik aus?“

„Nur mit Vivaldi. Ich liebe seine Flötenkonzerte.“

„Gut zu wissen.“

„Warum?“

Marcos lächelte geheimnisvoll. „Lass dich überraschen.“

Ein eigentümliches Flattern machte sich in ihrer Magengrube bemerkbar. „Wie du meinst.“

„Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie fantastisch du heute aussiehst?“

Sie spürte seine Hand an ihrem Rücken, während er sie zu ihrem Tisch geleitete. „Erst zwei- oder dreimal.“ Sie hatte in Koblenz das, wie sie fand, perfekte Abendkleid entdeckt. Klassisch gerade geschnitten reichte es ihr bis zu den Knöcheln, besaß einen nicht zu tiefen, dafür aber raffiniert geschnittenen V-Ausschnitt vorn wie auch hinten. Erst hatte sie gezögert, denn es war korallenrot und mit weißen Applikationen und Perlen bestickt. Zu auffällig, hatte sie gedacht, doch als sie es anprobiert hatte, war es um sie geschehen gewesen.

„Das ist eindeutig zu wenig. Ich muss es wohl noch etwas häufiger wiederholen.“ Galant rückte Marcos ihr den Stuhl zurück. „Und mich im Neid jedes Mannes in diesem Raum sonnen.“

„Das mit dem Süßholz hatten wir doch schon, Marcos!“ Sie lächelte geschmeichelt. „Wenn du alles abraspelst, bleibt irgendwann nichts mehr übrig.“

„Nein, das wird nicht passieren.“ Amüsiert zwinkernd setzte er sich auf den Platz ihr schräg gegenüber. Die beiden anderen Stühle waren noch nicht besetzt, sondern für seine Eltern reserviert, die erst später zu ihnen stoßen würden. Den offiziellen Teil mit Ansprachen und einer Präsentation auf der eigens dafür aufgebauten überdimensionalen Leinwand wollten sie auslassen. „Immerhin bist du die schönste Frau weit und breit. Das nicht zu würdigen wäre geradezu ein Verbrechen.“

„Wenn du das sagst.“

„Das sage ich.“ Er winkte einen der Kellner herbei. „Sekt oder Wein?“

Silvana schmunzelte. „Wenn ich bedenke, was beim letzten Mal passiert ist, als ich auf einer offiziellen Veranstaltung Wein getrunken habe, sollte ich vielleicht lieber bei Wasser bleiben.“

„Warum? War das so schrecklich?“ Marcos ließ sich die Weinkarte reichen.

„Im Gegenteil! Aber vielleicht doch ein wenig unpassend im Hinblick auf den heutigen Anlass.“ Sie gluckste und beugte sich zu ihm hinüber, um ebenfalls einen Blick auf die Karte zu werfen. „Aber bei dem Angebot kann ich wohl kaum widerstehen. Ich nehme einen Chardonnay.“

„Sehr gute Wahl.“ Der Kellner lächelte ihr zu. „Ein ganz seltener und begehrter Tropfen von einem Weingut ganz hier in der Nähe.“

„Ich weiß. Ich habe eine Bekannte, die dort arbeitet.“ Silvana erwiderte das Lächeln.

„Das ist auch gut zu wissen.“ Marcos gab ebenfalls seine Bestellung auf. „Vielleicht komme ich auf diesem Wege an ein paar Extraflaschen. Sie würden sich bestimmt ausgezeichnet als Weihnachtspräsente für einige meiner Geschäftspartner eignen.“

„Du denkst jetzt schon an Weihnachten?“ Erheitert musterte Silvana ihn. „Ist das nicht noch ein bisschen früh?“

„Keineswegs. Wir haben fast Mitte November, und man darf niemals unterschätzen, wie schnell die Zeit verfliegt. Nimm uns beide zum Beispiel.“

„Was ist mit uns?“ Überrascht hob sie den Kopf.

„Wir kennen uns jetzt wie lange? Drei Wochen?“

„Das ist noch nicht sehr lange, Marcos.“

„Mag sein. Aber in meinen Augen lange genug.“

„Lange genug wofür?“ Erneut flatterte es merkwürdig in ihrer Magengrube. Als Marcos wieder nur geheimnisvoll lächelte, runzelte sie misstrauisch die Stirn. „Marcos? Was hast du vor?“

„Ich? Oh, gar nichts. Oder doch, ich möchte einen unvergesslichen Abend mit dir verbringen, meine Schöne.“

„Du führst doch etwas im Schilde!“

„Falls dem so sein sollte, musst du dich wohl noch etwas gedulden.“ Er wies mit dem Kinn auf einen grauhaarigen Mann, der das kleine Podium betreten hatte, auf dem auch die Leinwand aufgebaut war.

Da in diesem Moment der Wein serviert wurde und beinahe zeitgleich die Lichter gedimmt wurden und das Podium angestrahlt wurde, musste Silvana sich wohl oder übel tatsächlich in Geduld fassen, auch wenn sie innerlich vibrierte.

Es stimmte schon, sie waren einander vielleicht erst vor wenigen Wochen begegnet, aber dennoch kannte sie Marcos gut genug, um zu wissen, dass er irgendetwas vorhatte. Und seine Eltern würde sie ebenfalls später noch kennenlernen. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht während der gesamten Präsentation unruhig an den Perlchen auf ihrem Kleid herumzuspielen.

***

„Kann es sein, dass ich dich nervös mache?“ Marcos’ Stimme war nur ein Raunen dicht an ihrem Ohr, als sie nach der Präsentation und während das umfangreiche Buffet aufgebaut wurde, durch den Saal wandelten, um Bekannte und Geschäftspartner zu begrüßen.

Sie lachte ein wenig zu laut. „Wie kommst du darauf?“

Er ließ seine Hand ganz sachte ihren Rücken hinaufwandern. „Weil du dich ein bisschen verspannt anfühlst und vorhin die ganze Zeit deine Hände nicht still halten konntest.“

„Oh.“ Sie spürte einen Anflug von Wärme in ihre Wangen steigen. „Das hast du bemerkt?“

„Ich will hoffen, dass mir alles auffällt, was mit dir zu tun hat, mein Schatz.“

„Es liegt nicht an dir, auch wenn das vielleicht deinem Ego einen Schlag versetzt.“

„Meinem Ego geht es gut, keine Sorge. Bei den vielen neidischen Blicken, die ich heute schon auf mich gezogen habe, kann es ihm gar nicht schlecht gehen.“ Er lachte leise. „Wenn ich also nicht die Ursache bin, was dann? Du wirst doch wohl keine Angst vor den Millionen haben, die hier personifiziert herumschlendern und Champagner schlürfen?“

„Natürlich nicht. Menschen sind Menschen, ganz gleich, wie viel Geld sie besitzen.“

„Was könnte es dann sein? – Ha!“ Er grinste breit. „Du fürchtest dich vor meinen Eltern.“

„Marcos …“ Sie schüttelte entrüstet den Kopf. „Ich fürchte mich selbstverständlich nicht vor deinen Eltern. Das ist ja lächerlich.“

„Aber vor dem ersten Zusammentreffen mit ihnen schon, gib es zu.“

Die Hitze in ihren Wangen stieg noch, sodass sie verlegen zu Boden blickte. „Es ist vollkommen irrational, ich weiß. Immerhin sind wir erwachsen und weiß Gott alt genug, um …“

„Um was?“

„Du weißt schon. Aber so ein erstes Treffen mit den Eltern des Mannes, den man, ich meine, mit dem man …“ Sie verhaspelte sich. „Jetzt machst du mich nervös“, schalt sie, als sich sein Grinsen in ein amüsiertes Lächeln verwandelte.

„Machst du dir Sorgen darum, als wen oder was ich dich ihnen vorstellen werde?“

„Der Gedanke hat mich zumindest schon gestreift“, gab sie zu. „Wir können wohl schlecht erzählen, was auf der Kreuzfahrt passiert ist.“

„Die jugendfreie Variante halte ich in diesem Fall auch für angebracht.“ Wieder lachte er. „Du hältst dieses Treffen für verfrüht, weil du noch nicht weißt, wo du mit mir stehst – oder vielmehr wir miteinander, nicht wahr?“

„Das passt so gar nicht zu meiner spontanen Art, ich weiß.“

Marcos wurde wieder ernst. „Doch, Silvana, das passt sogar besser zu dir, als du denkst. Du bist gerne spontan, ein Wesenszug, der mir ausgesprochen gut gefällt. Aber du brauchst auch Sicherheit in deinem Leben. Etwas, was dir, wie ich annehme, immer gefehlt hat, obwohl du schon seit jeher danach suchst. Ist es nicht so?“

Das Flattern in ihrer Magengrube wandelte sich zu einem intensiven Kribbeln. Verlegen wich sie seinem Blick aus. „Ich glaube, das ist kein Thema für diesen Anlass hier.“

„Das ist immer ein Thema, ganz gleich, wo wir uns gerade befinden, Silvana.“ Seine Stimme klang ein wenig rau und verursachte ihr eine Gänsehaut. „Eigentlich hatte ich bis nach der Veranstaltung warten wollen, aber …“ Er küsste sie auf die Schulter. „Entschuldige mich einen Moment, ich muss etwas holen.“

„Was denn …?“ Verunsichert blickte sie ihm nach, als er mit ausholenden Schritten in Richtung Garderobe verschwand. Sie kam jedoch nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn kaum war er fort, als auch schon ein korpulenter Herr in einem etwas zu stramm sitzenden Smoking auf sie zukam und sie mit einem überfreundlichen Lächeln ansprach.

„Was für ein unglaublicher Zufall! Du bist es wirklich, Silvana Brenner!“

Irritiert musterte sie ihn. Sein Gesicht kam ihr vage bekannt vor, doch erst nach einem langen Moment des Überlegens erkannte sie ihn. „Gustav! Das ist ja wirklich ein Zufall.“ Das Kribbeln verabschiedete sich und machte einem flauen Gefühl Platz. Gustav Heinrichsen war ein ehemaliger Liebhaber von ihr. Die Sache lag allerdings schon fast fünfundzwanzig Jahre zurück, und seither hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Als sie ihn jetzt musterte, stellte sie bei sich fest, dass die Jahre ihm nicht allzu gut bekommen waren. Nicht nur hatte er erheblich an Gewicht zugelegt, sondern seine Gesichtsfarbe war ungesund blass, und die Tränensäcke unter seinen Augen machten ihn ebenfalls nicht attraktiver. Damals war er ein durchaus ansehnlicher Mann gewesen, ein ambitionierter Polospieler in seiner Freizeit, doch dieses Hobby hatte er offenbar schon lange aufgegeben. „Wie geht es dir denn so?“ Sie bemühte sich um freundliches Interesse und ignorierte die Erinnerungen an lautstarke Wortgefechte, die ihrer Trennung vorausgegangen waren. Sie hatte es ein gutes Jahr an seiner Seite, in seiner Wohnung, ausgehalten, bis er versucht hatte, immer mehr über ihre Zeit zu bestimmen, ihr Vorschriften zu machen – und, unverzeihlich, begonnen hatte, Melanie als sein Eigentum zu betrachten, das er nach seinen Vorstellungen formen und erziehen wollte. Da sie seine Vorstellungen nicht einmal ansatzweise geteilt hatte, war das Ende ihrer Beziehung vorprogrammiert gewesen. Leider hatte er auch das nicht akzeptieren wollen, und so beschränkten sich ihre Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit mit Gustav fast ausschließlich auf heftige Streitereien.

„Ausgezeichnet, ausgezeichnet!“ Er wirkte ausgesprochen leutselig und ehrlich erfreut, sie zu sehen. „Du hast dich ja kaum verändert, Silvana.“ Sein Lachen klang gönnerhaft. „Was man von mir nicht sagen kann, ich weiß.“ Grinsend tätschelte er seinen Bauch. „Mein Arzt hat mir Sport verschrieben. Jetzt quäle ich mich dreimal in der Woche ins Fitnessstudio.“

„Du warst doch früher sehr sportlich.“

„Richtig, richtig. Aber dass ich es noch einmal zu meiner alten Form schaffen werde, bezweifle ich. Na ja, wenn ich dich behalten hätte, wäre der Anreiz vielleicht ein wenig größer gewesen, was? Neben einer Frau wie dir will ein Mann natürlich so gut wie nur möglich aussehen, sonst wird sie ihm vor der Nase weggeschnappt.“

Silvanas Lächeln gefror auf ihren Lippen. Sie mochte es nicht, wenn ein Mann sie als sein Besitztum – oder ehemaliges Besitztum – bezeichnete. „Du bist doch nach unserer Trennung bestimmt nicht lange allein geblieben.“

„Das nicht, aber inzwischen bin ich geschieden.“ Er trat einen Schritt näher. „Und jetzt treffe ich ausgerechnet hier auf dich. Das ist wirklich ein Zufall. Oder vielleicht sogar Schicksal, was meinst du?“

Unbehaglich sah Silvana sich nach Marcos um, der auf dem Weg zurück zu ihr von jemandem aufgehalten und in ein Gespräch verwickelt worden war.

Gustav folgte ihrem Blick und räusperte sich. „Du bist jetzt mit Marcos Costales zusammen? Habe ich das richtig gesehen?“

„Ich … Ja, wir sind seit Kurzem …“

„Ein interessanter Mann, Silvana, das muss man ihm zugestehen. Aber nichts für jemanden wie dich, wenn ich das mal so im Vertrauen sagen darf.“

„So? Warum?“

„Ach, ein ewiger Junggeselle. Ganz sicher nicht auf etwas Festes aus. Das sind Männer wie er nie.“

„Männer wie er?“ Skeptisch kräuselte sie die Lippen.

„Ja, äh …“ Gustav räusperte sich umständlich, sprach aber nicht weiter.

„Da bin ich wieder, mein Schatz.“

Silvana atmete auf, als sie Marcos’ Stimme hinter sich vernahm. Offenbar war seine Rückkehr der Grund für Gustavs plötzliche Sprachlosigkeit.

„Entschuldige, dass es etwas gedauert hat. Ich wurde aufgehalten.“ Er trat neben Silvana und hielt Gustav die Hand hin. „Herr Heinrichsen, guten Abend. Sie habe ich ja auch schon lange nicht mehr gesehen.“

„Ja, äh, guten Abend, Herr Costales.“ Mit einem verunglückten Lächeln schüttelte Gustav seine Hand. „Ich möchte Sie zu Ihrer wunderschönen Begleiterin beglückwünschen. Sie zieht die Blicke sämtlicher Männer im Saal auf sich. Ich bin direkt eifersüchtig, denn wenn das mit uns damals ein glücklicheres Ende genommen hätte, wäre Silvana jetzt die Frau an meiner Seite.“

„Gustav …“ Silvana schüttelte irritiert den Kopf.

Marcos blickte kurz zwischen ihnen hin und her. „Tatsächlich? Nun, dann muss ich direkt dankbar sein, dass das mit Ihnen beiden nicht geklappt hat. Sonst wäre Silvana jetzt nicht die Frau an meiner Seite.“ Sein Lächeln war freundlich, lag jedoch eindeutig weit unter dem Gefrierpunkt.

„Ja, nun, so spielt das Leben. Entschuldigen Sie mich, ich muss zurück zu meinen Bekannten.“ Gustav nickte ihnen knapp zu. „Silvana, war schön, dich mal wiedergesehen zu haben.“

„Ja, sehr nett.“ Sie rang sich ein Lächeln ab und verdrehte die Augen, als er sich endlich von ihnen entfernte. „Du kennst ihn?“

Marcos führte sie ein wenig zur Seite, um zu verhindern, dass weitere Bekannte sie ansprechen konnten, und blieb mit ihr bei einem der Fenster stehen. „Gustav Heinrichsen? Ja, er ist im Motorenbau tätig. Meine Firma hat hin und wieder mit seiner zu tun.“ Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „Du warst mal mit ihm zusammen?“

„Das ist lange her. Weit über zwanzig Jahre.“

„Er scheint dir ja noch immer nachzuweinen.“

„Das kann ich umgekehrt nicht behaupten.“ Sie zuckte verlegen mit den Achseln. „Damals hat er noch besser ausgesehen.“

Marcos lachte. „Ich weiß. Hat er dich in Verlegenheit gebracht?“

„Nein, verärgert. Wie damals.“

„Womit?“

„Damit, er selbst zu sein.“ Sie seufzte. „Und Besitzansprüche anzumelden, die er nicht hat.“

„Ganz sicher nicht.“ Marcos hob die Hand und streichelte zärtlich über ihre Wange.

„Er hat behauptet, ein Mann wie du sei nichts für mich.“

„Ach? Das ist ja interessant. Wie kommt er denn darauf?“

Sie legte ihre Hand über seine, und sie ließen sie gemeinsam sinken. Ihre Finger verflochten sich dabei ganz unwillkürlich miteinander. „Weil du ein ewiger Junggeselle und ganz sicher nicht auf etwas Festes aus bist.“

„Das ist gut!“ Marcos lachte erheitert auf. „Perfekt geradezu.“

„Was meinst du mit ‚perfekt‘?“ Verwirrt trat sie einen Schritt zurück, doch er ließ nicht zu, dass sie ihre Hand von seiner löste.

„Na, perfekt, dass ich ihm das Gegenteil beweisen kann.“

„Das Gegenteil wovon?“

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste!“ Die Stimme des Gastgebers und Redners von vorhin unterbrach sie, und sie wandte sich automatisch dem Podium zu. „Mit großem Vergnügen darf ich Ihnen nun die Ankündigung machen, auf die Sie alle sicherlich schon gewartet haben: Das Buffet ist eröffnet!“ Von irgendwoher erklangen ein Tusch und gleich darauf Gelächter und der Applaus der Anwesenden.

Als die Hintergrundmusik wieder einsetzte, begann ein allgemeiner Ansturm auf die üppig mit erlesenen Speisen bestückten Tische am anderen Ende des Saales. Silvana wandte sich wieder um, stellte jedoch fest, dass Marcos nicht mehr dort stand, wo er eben noch gewesen war. Stattdessen hatte er sich leise hinter sie gestellt und legte seine Arme um sie. Seine Lippen brachte er ganz dicht neben ihr Ohr. „Das Gegenteil von dem, was Heinrichsen über mich gesagt hat. Ich bin nämlich, was dich angeht, durchaus auf etwas Festes aus, meine Schöne.“ Mit einer raschen Bewegung griff er in die Tasche seiner Smokingjacke und hielt im nächsten Moment eine kleine schwarze Schachtel in der Hand.

Silvana stockte der Atem, als sie sah, um was es sich handelte. „Marcos …“

„Und damit dürfte auch klargestellt sein, als was oder vielmehr wen ich dich meinen Eltern vorstellen möchte.“ Er klappte den Deckel der Schachtel auf, hielt Silvana aber gleichzeitig weiterhin von hinten umfangen, sodass er über ihre Schulter hinab auf den glitzernden Brillantring blicken konnte. „Ebenso wie allen anderen Menschen hier im Saal und überall sonst.“ Er küsste sie auf die empfindliche Stelle hinter ihrem Ohr. „Selbstverständlich nur, wenn du willst.“

„Wenn ich was will?“ Ihre Kehle war ganz trocken, und ihr Herzschlag hatte sich zu einem wilden Pochen gesteigert. Wie gebannt blickte sie auf den Ring hinab.

„Meine Frau werden.“ Wieder küsste er sie auf diesen ganz speziellen Punkt, sodass ihr ganz schwindelig wurde.

„Du bist ja verrückt geworden!“

Er lachte leise. „Kann schon sein.“

„Wir kennen uns erst seit drei Wochen!“

„Ist mir bekannt. Das beantwortet aber nicht meine Frage.“

Obwohl sie vor Aufregung kaum Luft bekam, musste sie lachen. „Streng genommen hast du mir gar keine Frage gestellt.“

„Habe ich nicht?“ Auch er lachte leise.

Sie fühlte sich vollkommen unwirklich, wie in einem Film oder einem Märchen. Und er ließ sie noch immer nicht los. „Nein, hast du nicht. Du hältst mir nur diesen unglaublichen Ring vor die Nase und faselst etwas davon, Gustav etwas beweisen zu wollen.“

„Dann sollte ich meine Worte ein wenig umformulieren, damit sie klarer verständlich sind.“ Seine Stimme war nur noch ein tiefes Raunen an ihrem Ohr, das ihr wohlige und zugleich beängstigende Schauer über das Rückgrat jagte. „Willst du meine Frau werden, Silvana Brenner?“

Sie schluckte an dem Kloß, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte, und versuchte gleichzeitig, des wilden Herzschlags und der Glücksgefühle, die sie durchrieselten, Herr zu werden. Es war ihr nicht möglich. „Ja, Marcos.“ Noch nie in ihrem Leben hatte sich so etwas Verrücktes so richtig angefühlt. „Ja, das will ich.“

11. KAPITEL

Mit geschlossenen Augen lehnte Silvana ihren Kopf an Marcos’ Schulter und ließ sich von ihm zu Frank Sinatras Strangers in the Night im Takt wiegen. Es war bereits weit nach Mitternacht und vor den Fenstern des Schlafzimmers tobte ein heftiger Sturm, der Graupel gegen die Fenster prasseln ließ. Das leise Knistern und Rauschen untermalte Sinatras Stimme auf romantische Weise.

„Was für ein Glück, dass das Wetter heute so lange gehalten hat“, murmelte sie verträumt und lächelte beim Gedanken an die Ereignisse des Tages vor sich hin. Sie konnte noch gar nicht fassen, dass sie verheiratet war. Verheiratet!

„Na, immerhin hatten wir gute vier Wochen Zeit, das Wetter zu beschwören.“ Marcos küsste sie auf die Schläfe. „Ich hätte dich aber auch geheiratet, wenn der Sturm früher hier eingetroffen wäre.“

Silvana lachte leise. „Das will ich doch hoffen. Aber so war es schöner – mit Sonnenschein und allem. Niemand hat sich Schuhe oder Kleid verdorben, und kein Schirm hat unsere Hochzeitsfotos verunziert.“ Sie seufzte wohlig. „Es war einfach wunderbar.“

„Da kann ich dir nicht widersprechen.“ Marcos schob sie ein klein wenig von sich, jedoch nur, um sie auf die Lippen küssen zu können. „Deine Tochter sieht dir übrigens sehr ähnlich.“

„Ich weiß.“ Silvanas Lächeln schwand. „Aber ansonsten haben wir wohl nicht sehr viel gemein.“

„Wie kommst du denn darauf?“

„Sie versucht schon ihr Leben lang das exakte Gegenteil von mir zu werden.“

„Darf ich ehrlich zu dir sein?“

Überrascht hob sie den Kopf. „Selbstverständlich.“

„Ich kann sie verstehen.“ Marcos küsste sie erneut. „Nach allem, was ich über euer Leben bisher weiß, hast du sie immer erfolgreich daran gehindert, irgendwo Wurzeln zu schlagen. Du bemängelst, dass sie keine Freunde und kein Privatleben hat und sich nur in ihre Arbeit vergräbt. Aber wie hätte sie denn lernen sollen, Freundschaften zu schließen, während du sie von Stadt zu Stadt, von Mann zu Mann getrieben hast?“

„Getrieben?“ Silvana versteifte sich ein wenig, doch Marcos hinderte sie daran, sich aus seiner Umarmung zu befreien.

„So würde ich es jedenfalls nennen. Du warst rastlos und bist von Mann zu Mann, von Beziehung zu Beziehung gezogen und hast deine Tochter vor dir hergetrieben. Dass sie jetzt nicht fähig ist, sich auf beständige Freundschaften einzulassen oder gar eine Beziehung zu einem Mann …“

„Ist meine Schuld, meinst du?“ Sie schluckte, um den bitteren Geschmack auf ihrer Zunge loszuwerden.

„Leider, zu einem großen Teil. Aber weißt du, was ich auch glaube?“ Ein Lächeln ließ seine Augen funkeln. „Es besteht noch Hoffnung für sie. Genau wie für dich. Immerhin konnte ich dich davon überzeugen, mich zu heiraten und dein Vagabundenleben aufzugeben. Ich bin sicher, dass deine Tochter eines Tages auch jemandem begegnen wird, dem sie nicht widerstehen kann.“

Sie runzelte die Stirn. „Du sagst das so, als würde das Lebensglück einer Frau lediglich davon abhängen, den richtigen Mann zu finden.“

Er lachte leise. „Das habe ich ganz und gar nicht gemeint. Es steht jeder Frau frei, ihr Glück auch vollkommen allein zu finden. Aber hier geht es darum, sich einem Menschen zu öffnen und ihm genug zu vertrauen, um das eigene Glück mit dem des anderen zu verschmelzen, zu teilen. Das ist es doch, was du dir für sie wünschst, oder etwa nicht?“

„Selbstverständlich.“ Nun musste sie doch wieder lächeln. Es war erstaunlich, wie gut er sie einschätzen konnte, und noch erstaunlicher, wie wenig es ihr ausmachte, dass er ihr stets so ehrlich und unverblümt seine Meinung sagte. „Du bist ein Romantiker, Marcos Costales.“

„Mit dem größten Vergnügen.“ Da das Lied längst vorbei war, ließ er sie los und wandte sich zur Tür. „Ich habe da übrigens noch etwas für dich. Komm mit!“

„Wohin denn?“ Überrascht folgte sie ihm hinüber in sein Arbeitszimmer und sah zu, wie er ein Dokument aus der obersten Schreibtischschublade nahm. „Was ist das?“

„Das, meine Schöne, ist ein ganz besonderer Ehevertrag. Ich möchte, dass du ihn unterzeichnest, ohne Wenn und Aber. Dass ich ihn dir nicht schon früher vorgelegt habe, ist ganz allein der Vorsicht geschuldet. Ich wollte verhindern, dass du heute womöglich Nein sagst.“

„Was?“ Erschrocken starrte sie erst Marcos, dann den Vertrag in seiner Hand an. „Ein Ehevertrag? Aber … ich meine … Warum …?“

„Weil ich das Gefühl habe, der Ring an deinem Finger reicht nicht, um dir die Sicherheit zu geben, die du brauchst, um das Gelübde, das du heute abgelegt hast, auch wirklich durchzuhalten.“

„Ich verstehe nicht …“ Vollkommen perplex nahm sie das Dokument in die Hand und blickte darauf, war aber nicht fähig, es zu lesen. Zu viele verwirrende Gedanken und Gefühle wirbelten durch sie hindurch.

Wie schon bei seinem Heiratsantrag trat Marcos hinter sie und umfing sie sanft, aber bestimmt mit den Armen. „Der Vertrag beinhaltet nur wenige Punkte, im Grunde ist es nur eine einzige, unverrückbare und nicht verhandelbare Abmachung.“ Er lehnte seinen Kopf an ihren und blickte mit ihr gemeinsam auf das Schriftstück hinab. „Ich bin bereit, dir die Welt zu Füßen zu legen, Silvana. Die Welt und mein Herz. Ich liebe dich. Das wusste ich schon, als ich dich an jenem Abend auf dem Deck des Kreuzfahrtschiffs sah. Daran wird sich nichts ändern, ganz gleich, was du tust, wohin wir gehen oder wie alt wir werden.“

„Marcos …“ Ihr Herz weitete sich in ihrer Brust und fühlte sich an, als wolle es zerspringen. „Du brauchst mir nicht die Welt zu Füßen zu legen. Das habe ich nie gewollt.“

„Ich weiß, und genau deshalb möchte ich es gerne tun.“ An seiner Stimme hörte sie, dass er lächelte. Gleichzeitig enthielt sie aber auch einen stoischen Unterton. „Das ist meine Seite der Abmachung.“

„Okay. Und was muss ich dafür tun?“

Er hielt kurz inne, so als suche er nach den passenden Worten. „Es ist eher so, dass du etwas nicht tun sollst oder vielmehr darfst.“

Ihr Herzschlag beschleunigte sich. „Und das wäre?“

„Du darfst mich nicht verlassen. Nicht morgen, nicht nächste Woche, nächsten Monat, nächstes Jahr. Niemals.“

„Oh.“ Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte.

„Eine Trennung kommt nicht infrage, ganz gleich, wie viele Argumente du dir dafür in deinem wunderschönen Kopf zurechtlegen magst.“

„Aber Marcos, ich will gar nicht …“

„Jetzt vielleicht noch nicht, aber du weißt doch: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Du ergreifst leicht die Flucht, wenn sich dir Probleme in den Weg stellen oder du glaubst, eingeengt zu werden. Glaub mir, ich habe nicht vor, dich zu irgendetwas zu zwingen oder dir die Luft zum Atmen zu nehmen, aber ich weiß auch, dass du im Grunde deines Herzens engen Bindungen ebenso hartnäckig aus dem Weg gegangen bist, wie deine Tochter es tut. Silvana, du hast Angst.“

„Ich …“ Sie konnte es nicht bestreiten. „Und trotzdem bist du das Risiko eingegangen, mich zu heiraten.“

„Von meiner Seite aus ist es kein Risiko, und es muss auch von deiner Warte aus keines sein, wenn du diesen Vertrag unterzeichnest.“

Sie lachte nervös auf. „Warum ist es dann kein Risiko mehr?“

„Weil du in den Klauseln hier“, er deutete auf den Bereich weit unten auf dem Schriftstück, „nachlesen kannst, dass du dich, wenn du auf die Vertragsbedingungen eingehst, für alle Zeit bei mir sicher fühlen darfst. Ich möchte mein Leben mit dir verbringen, Silvana. Mir ist bewusst, dass du kein einfacher Mensch bist. Ich bin es auch nicht.“

„Ach nein?“

„Nein, denn ich habe dir erfolgreich meine ärgerlichste Charaktereigenschaft verschwiegen.“

„Jetzt machst du mir wirklich Angst.“

Er lachte. „In diesem Fall ist das vielleicht gar nicht so schlecht.“ Er zog sie fester in seine Arme. „Ich bin stur, Silvana. Zielstrebig, hartnäckig und unerbittlich. Wenn ich etwas will, bekomme ich es und lasse es mir nie wieder nehmen. So wie dich.“ Er küsste sie auf die Schulter. „Und falls du jemals auf den Gedanken kommen solltest, vertragsbrüchig zu werden, vergiss es gleich wieder. Ich würde dich zurückholen, ganz gleich, wie viel Anstrengung es mich kostet. Und wenn ich dir um die ganze Welt folgen müsste, würde ich auch das tun. Nicht, weil ich dich als meinen Besitz ansehe, versteh mich nicht falsch, sondern weil ich weiß, dass du ebenso für mich empfindest, wie ich für dich. Du fürchtest dich nur davor, es zu leben.“

Ein unerwartet heißer Schauer durchrieselte Silvana bei seinen ernsten ruhigen Worten. Wieder weitete ihr Herz sich und floss über von den unterschiedlichsten Emotionen. Sie schluckte, um ihre Stimme wiederzufinden. „Das ist das Romantischste, was mir jemals jemand gesagt hat.“

„Und das Beängstigendste, nicht wahr?“

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