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Dünenwinter und Lichterglanz

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Winterzauber in St. Peter-Ording: Wo sich Wünsche fast von alleine erfüllen

Die Hiobsbotschaft erreicht Alida kurz vor Weihnachten: Ihre TV-Sendung »Wohnexpertin« wird eingestellt. Alida ist geschockt. Ausgerechnet jetzt! In ihrer Verzweiflung schreibt sie einen Wunschzettel an den Weihnachtsmann, an dessen Erfüllung sie aber selbst nicht glaubt. Und dann stirbt auch noch ihre Großmutter. In deren Nachlass findet Alida geheime Liebesbriefe und ein Foto ihrer Oma als junge Frau mit einem unbekannten Mann, aufgenommen vor einem Pfahlbau in St. Peter-Ording. Alida macht sich auf den Weg, um den Mann zu finden. Noch ahnt sie nicht, dass der Küstenort einige Überraschungen für sie bereithält.

»Genau das Richtige für die Adventszeit, denn die Lektüre macht Lust auf Weihnachtsdeko und Plätzchenbacken.« LandGang

»Zauberhaftes Wintermärchen, das eine Sehnsucht nach dem Küstenort wachwerden lässt.« Mainhattan Kurier


  • Erscheinungstag: 05.11.2018
  • Seitenanzahl: 272
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955768560
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für meine Freundin Jenni, die nicht nur mein allererstes Buch in ihrem Verlag veröffentlicht hat, sondern auch gleichzeitig meinen ersten St. Peter-Ording-Roman.

Eine gute Freundschaft ist wie ein schöner Platz im Strandkorb.

Prolog

St. Peter-Ording, Frühling 1949

Edith hob ihren Koffer vom Bett. »Wir müssen uns sputen, sonst fährt der Wagen ohne uns zum Bahnhof.«

»Gehe ruhig schon vor. Ich komme gleich nach, muss nur noch ein paar letzte Dinge einpacken«, sagte Gerda zu ihrer Zimmergenossin.

»Beeil dich.« Edith lächelte und verließ mit dem Gepäck in den Händen den Raum.

Schnell verstaute Gerda ihr Nachtkleid und ein Paar Kniestrümpfe in ihrem Koffer. Dann öffnete sie zum letzten Mal das Fenster des Zimmers, das sie sechs Wochen lang mit Edith bewohnt hatte. Über den Dünen hing noch morgendlicher Seenebel, der die Sonnenstrahlen mit seinem milchigen Dunst zu verschlucken schien. Eine sanfte Brise strich durch Gerdas Haar und trug den salzigen Geruch des Meeres zu ihr. Sie schloss die Augen und hielt kurz inne. Dann schaute sie hoch zum Himmel, der nur von ein paar harmlosen Schleierwolken bedeckt war, als hätte es den Frühlingssturm vom Vortag nie gegeben. Gerda blickte den Möwen nach, die Richtung Strand flogen und bald über dem Meer verschwunden waren. Das alles würde sie vermissen – und noch mehr.

War es wirklich schon sechs Wochen her, dass sie die Heilbehandlung ihres bronchialen Asthmas in der Nordsee-Kuranstalt Goldene Schlüssel angetreten hatte? Sie konnte nicht glauben, dass die Zeit in St. Peter-Ording wie im Flug vergangen war. Die erste Woche ihres Aufenthaltes hatte nicht den Anschein gemacht, dass ihr eine aufregende Zeit bevorstehen könnte. Spaziergänge mit der Frauengruppe in der heilsamen Luft des Wattenmeers, Turnübungen am Strand, Sonnenkuren im Liegestuhl und Meerwasserbäder wechselten sich in regelmäßiger Gewohnheit ab. Alle Aktivitäten konzentrierten sich einzig und allein auf die Stärkung der Gesundheit. Ablenkung schien nicht in Sicht zu sein. Doch dann hatte Edith sie eines Nachmittags dazu überredetet, mit ihr zu einem Kurkonzert zu gehen. Die lebenslustige Frau hatte Gerda keine Möglichkeit gelassen, sich herauszureden. Sie hatte geradezu darauf bestanden, dass Gerda ihr blaues Sonntagskleid anzog und ihr beim Frisieren ihrer Haare geholfen. Mit gekonnten Handgriffen zauberte sie Gerda eine Hochsteckfrisur und lieh ihr eine hübsche Spange. Eine Ehrensache für Edith, die in ihrem Heimatort am Niederrhein zusammen mit ihrem Mann einen Friseursalon betrieb.

Das Kurkonzert hatte in einem Pfahlbau, einem der gestelzten Häuser am Strand, in der Nähe der Seebrücke stattgefunden. Kurgäste und auch Einheimische hatten sich dicht an dicht auf dem überdachten Vorbau der Holzhütte versammelt. In dem Gedränge löste sich die geliehene Spange aus Gerdas Haar und fiel zu Boden. Rasch ging Gerda in die Hocke, um sie zwischen den Menschenfüßen möglichst schnell wiederzufinden, bevor jemand sie zertrat. Und plötzlich war da dieser Mann neben ihr, dessen Augen in dem warmen Licht der untergehenden Sonne strahlend leuchteten und auf dessen Handfläche Ediths Spange lag. Gerda war für einen Moment wie benommen. Die Musik der Kapelle und die Geräusche der sie umgebenden Menschen waren in den Hintergrund getreten. Sie betrachtete den Mann schüchtern. Gut sah er aus. Er war schlank, trug ein helles Hemd und eine dunkle Hose. Gerda schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Er hatte blondes strubbeliges Haar. Ihr fiel seine gesunde Gesichtsfarbe auf, die darauf schließen ließ, dass er sich viel an der frischen Luft aufhielt. Um seine Augen hatten sich Lachfältchen gebildet. Gerda schüttelte lächelnd den Kopf und nahm Ediths Haarspange. Sie bedankte sich bei dem Fremden und wollte sich wieder ihrer Freundin zuwenden, doch sie konnte sich nicht von dem Anblick dieses Mannes losreißen. Er sah ihr in die Augen, und die Welt schien stillzustehen. Dann fragte er sie nach ihrem Namen und ob ihr die Musik gefalle. Gerda antwortete zurückhaltend, doch seine aufgeschlossene Art gefiel ihr. Als er sie auf einen Kaffee einladen wollte, warf sie zunächst einen Blick zu Edith, die mit drei Frauen am Geländer des Pfahlbaus stand und sich unterhielt. Gerda kannte die Frauen vom Sehen aus der Kuranstalt. Sie überlegte kurz, ob sie zu ihnen hinübergehen und Edith Bescheid sagen sollte, doch sie entschied sich dagegen. Ihre Zimmergenossin war so sehr in das Gespräch mit den anderen Frauen vertieft, dass sie vermutlich gar nicht bemerken würde, wenn Gerda kurz weg wäre. Also willigte sie ein und folgte dem Mann ins Innere des Pfahlbaus, in dem ein kleines Café untergebracht war. Hier war es ruhiger, die Musik der Kapelle drang nur gedämpft von draußen in den Raum. Sie setzten sich an einen Tisch und unterhielten sich. Der junge Mann stellte sich ihr als Hans vor. Zuerst antwortete Gerda nur recht knapp auf seine Fragen. Lieber hörte sie zu, wenn er erzählte. Sie mochte seine Stimme, sie war tief und freundlich. Doch je länger sie beisammensaßen, desto mehr taute Gerda auf, und sie begann auch, von sich zu erzählen. Woher sie kam, was sie in St. Peter-Ording machte und wie lange sie geplant hatte zu bleiben. Als sie ihre Tasse Kaffee ausgetrunken hatte, war es höchste Zeit zu gehen. Die Musikkapelle hatte längst aufgehört zu spielen, und Edith suchte bestimmt nach ihr. Doch Hans ließ sie erst aufstehen, nachdem er ihr das Versprechen abgerungen hatte, dass er sie am nächsten Tag wiedersehen durfte.

Den ganzen Abend und die halbe Nacht konnte Gerda an nichts anderes denken als an Hans. Am Morgen war ihr vor Aufregung beinahe übel. Damit sie ihn treffen konnte, schwänzte sie nach dem Mittagessen eine ihrer Anwendungen. Eigentlich war es nicht ihre Art, so etwas zu tun, doch sie war erstaunt darüber, dass sie eine ganz neue, abenteuerliche Seite an sich entdeckte.

Sie trafen sich am Strand, an der tausend Meter langen Holzbrücke, die bis zur Sandbank reichte, und verlebten einen unbeschwerten Nachmittag miteinander. Die Zeit verflog viel zu schnell, und am Abend kehrte Gerda glücklich zurück in die Kuranstalt, denn Hans hatte erneut gefragt, ob er sie wiedersehen dürfte. So ging es weiter. Nach jedem Treffen verabredeten sie sich wieder für den nächsten Tag, und je öfter Gerda Hans sah, umso mehr verliebte sie sich in ihn. Während der Woche trafen sie sich spät abends, wenn Gerdas Heilbehandlungen in der Kuranstalt vorüber waren und Hans seine Arbeit beendet hatte, am Wochenende hingegen früher am Tag. Und fast genau zwei Wochen nachdem sie sich das erste Mal beim Kurkonzert begegnet waren, hatte Hans sie geküsst. Seitdem hatte sie den Gedanken an ihre kommende Abreise verdrängt. Keine Sekunde wollte sie daran denken, sondern ihr Glück mit Hans in vollen Zügen genießen. Fast hoffte sie darauf, ihr bronchiales Asthma würde sich wieder verschlimmern, damit sie ihren Kuraufenthalt in St. Peter-Ording verlängern konnte. Doch nun war der Tag der Abreise gekommen.

Gerda schrak zusammen. Ihre Gedanken wurden just durch ein Türschlagen unterbrochen. Schnell schloss sie das Fenster wieder und zog sich ihre Jacke über. Sie griff hastig nach ihrem Gepäck und ging zur Tür. Dort wandte sie sich noch einmal um und blickte ein letztes Mal zurück. Sie musste sich beeilen, wenn der Pferdewagen nicht ohne sie zum Bahnhof losfahren sollte.

Der kleine Bahnsteig des Bahnhofs von St. Peter-Ording war mit abreisenden Kinderheimgruppen, Familien und Kurgästen heillos überfüllt. Alle sechs Wochen reisten Gäste ab, und neue kamen in das seit Kurzem anerkannte Heilbad. Gerda blickte sich suchend um.

Edith stellte ihren Koffer in einem gebührlichen Abstand zur Bahnsteigkante ab. »Bis Hamburg fahren wir zusammen. Dann trennen sich unsere Wege.«

»Aber wir bleiben in Kontakt«, versicherte Gerda ihrer neuen Freundin und schaute zwischen den wartenden Menschen hindurch. Ob Hans noch kam? Er hatte es ihr versprochen.

»Ja, auf jeden Fall. Ich schreibe dir«, versprach Edith. Sie griff in ihre Handtasche und zog einen kleinen Klappspiegel hervor. Prüfend betrachtete sie ihre Frisur.

»Ich hole mir noch rasch etwas zu trinken für die Reise, bevor der Zug ankommt. Passt du bitte kurz auf mein Gepäck auf?«, bat Gerda sie.

»Das ist eine gute Idee.« Edith steckte den Spiegel zurück in die Tasche und entnahm ihrer Geldbörse drei Groschen, die sie Gerda in die Hand drückte. »Bringst du mir eine Waldmeisterbrause mit?«

Gerda zwängte sich durch die Menge, um zu dem Bahnhofsgebäude zu gelangen, in dem ein kleiner Kiosk untergebracht war. Sie war froh, dass ihr eine gute Ausrede eingefallen war, um noch einmal Ausschau nach Hans halten zu können. Er hatte ihr erzählt, dass er nach einem Sturm als Hitzlöper auf der Sandbank unterwegs war, um angespülte Bernsteine zu sammeln. Neben der Arbeit auf dem Feld und gelegentlichen Aufträgen als Schuster war das Bernsteinsammeln eine wichtige Einnahmequelle für ihn.

Gerda besorgte an dem Verkaufsstand für Edith und sich zwei Flaschen Waldmeisterbrause und blickte sich um. Sie hatte nicht mehr viel Zeit, bis der Zug kam, trotzdem blieb sie einen Moment vor dem Gebäude stehen und hoffte inständig darauf, dass Hans in der Menge der zum Bahnhof strömenden Menschen erscheinen würde. Er hatte es ihr doch versprochen. Gerda wünschte es sich so sehr.

In der Ferne erklang ein ratterndes Geräusch, das immer lauter wurde und die Einfahrt der Lokomotive in den Bahnhof ankündigte. Eine Pfeife schrillte, und kurz darauf folgte ein Zischen. Gerdas Magen zog sich zusammen. Sie stand wie angewurzelt vor dem Bahnhofsgebäude, unfähig sich auch nur ein Stück zu bewegen. Der Zug war da, sie musste zurück zu Edith. Verzweiflung erfasste sie. Ihr blieb keine Zeit mehr, aber sie wollte nicht wahrhaben, dass Hans nicht kam. Ihre Gedanken überschlugen sich. Vielleicht war ihm etwas Wichtiges dazwischengekommen. Sie konnte nicht glauben, dass er sie grundlos ohne einen Abschied gehen lassen würde. War ihm vielleicht etwas passiert? Sie umklammerte die Flaschen, so fest sie konnte, und blickte noch ein letztes Mal zur Straße, die zum Bahnhof führte. Tränen stiegen ihr in die Augen. Aus der Ferne hörte sie Ediths Stimme, die ihren Namen rief. Sie wusste, sie konnte nicht länger warten – aber Hans war nicht da …

»Gerda! Schnell!« Edith stand schon mit ihrem Koffer in der Zugtür und winkte ihr aufgeregt zu.

Gerda lief die letzten Meter zu ihr.

»Beeilung!«

»Ja, ich bin schon da!« Sie drückte Edith eine Flasche Brause in die Hand und griff nach ihrem Koffer, den sie die Treppen hoch in den Zug hievte. Hinter ihr wurden sogleich die Türen geschlossen. Ein schrilles Pfeifen erklang, gefolgt von einem weiteren lauten Zischen. Der Zug setzte sich langsam in Bewegung und entfernte sich immer schneller von dem kleinen Bahnsteig in St. Peter-Ording – und von Hans.

1. Kapitel

Berlin-Grunewald im November 2018

Alida Jacobsen stand im Kaminzimmer und schaute durch hohe Fenstertüren über eine weitläufige Terrasse in den parkähnlichen Garten, zu dem auch ein kleiner See mit einem Bootssteg gehörte. Auf der ruhigen Wasseroberfläche trieben bunte Blätter, die das Herbstwetter den Bäumen abgetrotzt hatte. Sie lockerte den cremefarbenen Wollschal, den sie sich um den Hals geschlungen hatte. Draußen schienen die Strahlen der Novembersonne von einem kühlen blauen Himmel. Doch Alida war eingehüllt von der Wärme des Feuers, das in dem großen Kamin hinter ihr vor sich hin knisterte. Sie griff in ihre marineblaue Canvas-Tasche und zog ihr Smartphone hervor, mit dem sie Aufnahmen vom Garten machte.

»Wie gefällt Ihnen mein Haus?«, fragte die ältere Dame, die sich schräg hinter sie gestellt hatte.

Alida wandte sich zu ihr um. »Ihre Villa ist ein absoluter Traum. Wirklich, Frau Brandt. Am liebsten würde ich sofort mit dem Schmücken beginnen. Ich bin so froh, dass Sie sich nach dem Aufruf bei der Redaktion gemeldet haben.«

»Heißt das, wir bekommen den Zuschlag?«, fragte die Dame aufgeregt.

»Definitiv.«

»Wie schön!« Frau Brandt schlug vor Begeisterung die Hände zusammen.

»Das heißt, wenn ich darf?«, fügte Alida hinzu und lächelte.

»Selbstverständlich. Liebend gerne! Sie wissen gar nicht, was für eine Freude Sie mir damit bereiten.«

Alida freute sich mit der alten Dame. »Ich könnte mir kein perfekteres Weihnachtshaus für meine Sendung vorstellen als Ihre Villa.« Sie ließ ihren Blick durch den großen Raum gleiten, der im Landhausstil eingerichtet war. Pastelltöne beherrschten die geschmackvolle Einrichtung. Unter einem wuchtigen Kronleuchter stand ein Sofa in einem Türkiston, daneben befand sich eine Stehlampe, deren spitzenverzierter Lampenschirm dem Ambiente eine romantische Note verlieh.

»Ihre Villa eignet sich perfekt und wird die Herzen meiner Zuschauer höherschlagen lassen. Wir werden eine ganz besondere Weihnachtsstimmung zaubern, da bin ich mir sicher.«

»Ich kann es noch gar nicht fassen!« Frau Brandt breitete ihre Arme aus, kam auf Alida zu und drückte sie an sich. »Endlich kommt wieder Leben ins Haus. Das hat mir so gefehlt, das können Sie sich gar nicht vorstellen.«

Alida lächelte Frau Brandt an. »Oh ja, hier wird im Dezember richtig was los sein, wenn ich mit der Fernsehtruppe über Sie herfalle. Das kann ich Ihnen versprechen. Hoffentlich wird es Ihnen dann nicht zu lebendig. Die Leute werden in Ihrem Haus herumwuseln wie die Ameisen. Noch können Sie einen Rückzieher machen.«

»Nein, das stört mich gar nicht«, winkte die ältere Dame ab. »Im Gegenteil. Ich freue mich darauf. Was meinen Sie, wie es hier früher war, als mein Mann noch lebte und meine drei Kinder bei uns wohnten. Da war immer etwas los.« Frau Brandt schaute versonnen vor sich hin. Alida konnte ihr ansehen, dass Erinnerungen aus vergangenen Zeiten vor ihren Augen wieder zum Leben erwachten.

»Doch dann wurde es ruhiger. Zuerst sind die Kinder ausgezogen. Eines nach dem anderen. Sie sind in alle Herren Länder gegangen, um zu studieren, und schließlich auch dortgeblieben. Und dann wurde mein Mann krank. Seit seinem Tod vor fünfzehn Jahren sitze ich nun allein in dem riesigen Haus und warte entweder auf meine Haushaltshilfe, den Gärtner oder darauf, dass das Telefon klingelt und meine Kinder sich melden. Aber das passiert nicht so häufig. Mittlerweile freue ich mich schon über Anrufe vom Meinungsforschungsinstitut.«

»Das tut mir leid«, sagte Alida anteilnehmend und fühlte sich insgeheim ertappt. Sie dachte an ihre Eltern, die in Lüneburg lebten und die sie viel zu selten sah. Anrufen könnte sie sie auch mal wieder. Für ihren Traumjob als Wohnexpertin einer eigenen TV-Show hatte sie einst von jetzt auf gleich alles stehen und liegen gelassen und war aus dem nordöstlichen Niedersachsen nach Berlin gezogen. Seitdem lebte sie sieben Tage in der Woche für ihren Job und hatte eine Fernsehsendung nach der nächsten gedreht, dabei ganze Häuser umgebaut, eingerichtet und dekoriert sowie einen Lifestyle-Blog ins Leben gerufen, der neben den Sendungen so erfolgreich lief, dass das Einstellen von Fotos und das Schreiben von Texten ihre ganze Freizeit in Anspruch nahm. Sogar ihr Freundeskreis bestand hauptsächlich aus Leuten, die sie über ihre Arbeit beim Fernsehen kennengelernt hatte.

»Ich hätte die Villa beinahe verkauft, aber letztlich habe ich mich doch nicht davon trennen können. Es hängen einfach zu viele Erinnerungen daran«, fuhr Frau Brandt fort und riss Alida aus ihren Gedanken.

»Na, Gott sei Dank haben Sie dieses wunderschöne Haus nicht verkauft«, sagte Alida und lächelte die alte Dame aufmunternd an.

Frau Brandts Gesichtsausdruck hellte sich auf. »Ja, denn jetzt sind Sie ja da. Möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee mit mir trinken, bevor Sie gehen? Sie haben doch noch etwas Zeit?«

»Sehr gerne«, antwortete Alida und folgte ihr zu einem runden Esstisch, gleich neben dem Kamin, auf dem Tee und Streuselkuchen bereitstanden.

»Wie wäre es mit einem Stück selbst gebackenen Kuchen? Ich habe mir gedacht, dass Sie nach der Hausbesichtigung vielleicht eine kleine Stärkung vertragen könnten.« Frau Brandt griff nach dem silbernen Tortenheber, mit dem sie für Alida ein großes Stück Streuselkuchen auf einen weißen Porzellanteller mit elegantem Rosenmotiv schob.

Eine gute Stunde später betrat Alida ein italienisches Restaurant am Savignyplatz in Berlin-Charlottenburg. Sie war dort mit einer befreundeten Designerin zum Mittagessen verabredet, um neue Projekte und insbesondere die geplante Weihnachtshaus-Sendung zu besprechen. Der Trubel in dem Lokal war das absolute Kontrastprogramm zu der idyllischen Atmosphäre in Frau Brandts Villa in Berlin-Grunewald. Statt melodischem Vogelgezwitscher war die Luft erfüllt von Stimmengewirr und klirrendem Besteck. Es war Mittagszeit, und fast jeder Platz war besetzt. Hinter der Theke erklang ein Zischlaut. Eine Mitarbeiterin mit langem zu einem Zopf geflochtenen Haar schäumte in einem silbernen Behälter Milch auf. Alida roch das Aroma von gemahlenen Kaffeebohnen, das sich mit dem von gebratenem Fleisch vermischte.

»Buongiorno, signorina«, begrüßte sie ein Servicemitarbeiter, der eine schwarze Weste über einem weißen Hemd trug und sein braunes Haar nach hinten gegelt hatte.

»Guten Tag«, entgegnete Alida. Der Mann nahm ihr galant die Jacke und den Schal ab und hängte beides an der Garderobe auf. »Vielen Dank. Ich habe einen Tisch für zwei Personen auf den Namen Jacobsen reserviert.«

». Folgen Sie mir bitte.« Der Kellner führte Alida flotten Schrittes zu dem reservierten Tisch, der sich in unmittelbarer Nähe einer Wand befand, an der mittig ein überdimensionaler Spiegel angebracht war. Rechts und links davon standen Regale, in denen sich Weinflaschen stapelten. Sie nahm auf der gepolsterten Sitzbank Platz und legte ihre Tasche neben sich ab.

»Prego.« Der Ober reichte ihr die Speisekarte. »Darf ich Ihnen schon etwas zu trinken bringen?«

»Einen Milchkaffee bitte. Mit der Auswahl des Essens möchte ich noch warten, bis meine Freundin da ist.«

Der Kellner nickte und ging zurück zur Theke. Obwohl sie sich um eine Viertelstunde verspätet hatte, war sie noch vor Carolin eingetroffen. Aber Alida kannte ihre Freundin und machte sich keine Gedanken. Carolin würde bestimmt gleich da sein.

Alida nahm ein Haargummi aus ihrer Tasche und drehte sich zur Wand, um einen prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen. Ihre Wangen waren von der überhitzten Luft in dem Lokal leicht gerötet, und die Lachfältchen um ihre Augen kamen Alida etwas tiefer vor als sonst. Mit einer Hand fuhr sie sich durch ihre rötlich blonden Locken und band ihr Haar zu einem Knoten hoch. Sie wischte vorsichtig mit einem Finger unter ihren grünen Augen ein paar schwarze Partikel weg, die sich von ihren getuschten Wimpern gelöst hatten. Außer etwas Mascara und einem leicht rosé getönten Pflegestift für ihre Lippen benutzte Alida kaum Schminke, wenn sie nicht vor der Kamera stand. Sie mochte kein Make-up auf ihrer Haut, das ihr das Gefühl gab, eine Maske zu tragen. Allerdings verwendete sie an jedem Sommertag Sonnencreme, um ihre helle Haut zu schützen. Damit hatte Alida schon früh angefangen, und ihre Haut dankte es ihr. Sie hatte einen hellen, strahlenden Teint und ein paar Sommersprossen, mit denen sie sich allerdings erst hatte anfreunden müssen. Mittlerweile war sie mit ihrem Äußeren ganz glücklich.

Eine Bewegung zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Im Spiegel sah sie, wie sich die Ladentür öffnete und Carolin eintrat. Ihre Freundin war eine große und sehr schlanke Frau, immer perfekt und stilsicher zurechtgemacht. Carolin kombinierte am liebsten edle Materialien wie Kaschmir oder Seiden-Organza in Pudertönen mit schwarzen, weißen oder dunkelblauen Kleidungsstücken. Außerdem war sie eine der wenigen Frauen, der raspelkurze Haare gut standen. Neben ihr fühlte sich Alida wenig elegant, weil ihr eigener Kleidungsstil vor allem aus bequemen Klamotten wie Jeanshosen, lockeren Shirts und flachen Schuhen bestand. Schließlich musste sie sich schon für die Kamera zurechtmachen, da wollte sie es privat lieber entspannt angehen.

Der Kellner nahm Carolin die Jacke ab und führte sie zu Alida an den Tisch.

»Ich stand im Stau«, entschuldigte Carolin ihr Zuspätkommen und küsste sie zur Begrüßung links und rechts auf die Wange, wobei Alida den süßlichen Duft ihres Parfums einatmete, der sie unweigerlich an Karamellbonbons erinnerte.

»Macht nichts. Ich bin auch noch nicht lange hier. Mmhh, neues Parfum? Riecht gut«, sagte Alida.

»Danke.« Carolin setzte sich ihr gegenüber an den Tisch und roch an ihrem Handgelenk. »Das ist tatsächlich neu. Habe ich mir am Flughafen in Düsseldorf gekauft«, antwortete sie und wandte sich dann an den Kellner. »Könnten Sie mir bitte ein Wasser mit Zitrone bringen?«

Er deutete eine leichte Verbeugung an und verschwand wieder zur Theke. Carolin blätterte in der Speisekarte herum. »Ich glaube, ich nehme bloß einen Salat. Mir liegen die Lachshäppchen von meinem letzten Kundentermin noch im Magen.«

»Viel mehr werde ich auch nicht schaffen. Bei meinem Termin gab es zwar keine Lachshäppchen, aber dafür Streuselkuchen. Selbst gemachten. Deswegen habe ich mich auch nicht beherrschen können und gleich zwei Stücke vertilgt«, gab Alida grinsend zu.

Der Kellner servierte den Milchkaffee und das Wasser.

»Also, solche Termine möchte ich auch gerne haben. Selbst gemachter Kuchen, wie lecker. Ich kann diese Häppchen und Bürokekse nicht mehr sehen. Die schmecken überall gleich.«

»Ich kann Frau Brandt ja fragen, ob sie den Streuselkuchen noch mal backt, wenn wir sie demnächst besuchen.«

»Wer ist denn Frau Brandt? Und wieso besuchen?«, fragte Carolin.

»Frau Brandt wohnt in einer wunderhübschen Villa in Berlin-Grunewald, die perfekt in unsere Weihnachtssendung passt«, verkündete Alida.

»Das klingt ja großartig! Dann können wir endlich mit dem Planen beginnen«, freute sich Carolin. Sie stellte das Wasserglas ab und tippte auf ihrem Smartphone herum. »Wann könntest du einen nächsten Termin mit ihr ausmachen, damit ich mir schon mal ein Bild von dem Haus machen kann? Ich hätte zum Beispiel übermorgen noch etwas Luft.«

»Übermorgen klappt bestimmt.« Alida erzählte Carolin von der alten Dame und beschrieb ihr auch gleich die Einrichtung und Aufteilung der Villa. Auf ihrem Handy zeigte sie ihrer Freundin die Fotos, die sie von Haus und Garten gemacht hatte.

»Wirklich wunderschön.« Fasziniert betrachtete Carolin die Aufnahmen, nachdem der Kellner ihre Essensbestellungen entgegengenommen hatte. »Und überaus idyllisch mit dem See, dem bezaubernden Bootssteg und den ganzen kleinen Erkern.«

»Nicht wahr?«

»Eigentlich viel zu schade, um dort alleine zu wohnen. Mit so einem Anwesen könnte man so viel mehr machen.«

»Verkaufen wird sie es nicht. Das kannst du dir abschminken.« Alida zwinkerte Carolin zu.

»Ach, wer redet denn hier von kaufen? Das meine ich doch gar nicht.« Sie hob abwehrend die Hände. »Ich dachte eher daran, dass sich so eine Villa ideal als Ort für Veranstaltungen eignet. Kunstausstellungen, zum Beispiel. Apropos Ausstellungen, da fällt mir ein, ich wollte dir noch unbedingt etwas erzählen.« Carolin beugte sich vor.

»Falls du mich zu einer Veranstaltung einladen willst, muss ich dir für dieses Jahr leider einen Korb geben. Bis Weihnachten bin ich komplett mit der Arbeit für die Weihnachtsdeko-Sendung beschäftigt.«

»Eigentlich wollte ich dir von der Vernissage erzählen, bei der ich am letzten Wochenende war.«

»Ach so. Na dann mal los«, forderte Alida ihre Freundin auf.

»Also, die Vernissage an sich war nicht außergewöhnlich. So wie eine Vernissage eben ist. Aber die Gäste waren es. Genauer gesagt einer der Gäste.«

»Aha! Ein Künstler etwa?«, fragte Alida interessiert.

»Nein. Obwohl, ja.«

»Also doch ein Künstler?«

»Ein Rechtsanwalt. Weil Rechtsverdrehung sicherlich auch eine Art Kunst ist«, Carolin kicherte.

»Du und ein Anwalt?«, fragte Alida verwundert, ließ sich aber von der guten Stimmung ihrer Freundin anstecken. »Das sind ja ganz neue Töne. Sind solche Leute dir bisher nicht immer – ich zitiere – ›zu bieder und farblos‹ gewesen?«

»Bislang schon. Aber da kannte ich Lutz auch noch nicht. Er ist zwar Anwalt, aber nebenbei malt er und stellt seine Werke aus. Und du solltest seine Bilder sehen. So etwas Ausgefallenes und Kreatives habe ich lange nicht gesehen«, schwärmte Carolin und erzählte ihr ausführlich von ihrer Begegnung mit dem attraktiven Juristen.

»Klingt spannend. Seht ihr euch wieder?«, fragte Alida interessiert.

»Das hoffe ich. Ich habe ihm meine Visitenkarte gegeben, und er meinte, dass er sich meldet. Das macht er bestimmt. Ich freue mich so. Wann habe ich das letzte Mal einen wirklich interessanten Mann kennengelernt?«

»Dürfte schon ein Weilchen her sein«, antwortete Alida.

»Das stimmt. Jedoch nicht so lange wie bei dir. Seitdem wir uns kennen, hast du mir gegenüber jedenfalls nie einen Mann erwähnt. Gibt es eigentlich mittlerweile jemanden?«

»Ach.« Alida wiegelte die Frage mit einer Handbewegung ab. »Wann soll ich denn noch Zeit für eine Beziehung haben? Der Tag hat doch nur vierundzwanzig Stunden. Neben meinem Job bleibt nicht mal genügend Zeit, um regelmäßig Fenster zu putzen. Zumal ich in den letzten Jahren auch keinem Mann begegnet bin, der mein Herz hätte erobern können.«

Der Kellner servierte die Salate, und Carolin bestellte ein weiteres Getränk.

»Sieht sehr lecker aus.« Zufrieden inspizierte Alida die Steinpilze auf dem Rucola-Salat mit Parmesan.

»Schmeckt auch gut«, gab Carolin zurück und schob sich eine zweite Gabel mit Salatblättern in den Mund. »Du solltest mich unbedingt zur nächsten Vernissage begleiten. Es könnte ja sein, dass dir dabei auch jemand Interessantes über den Weg läuft. Man weiß ja nie.«

Alida lachte auf. »Du meinst, dein Lutz hat einen Bruder, den ich ganz toll finden würde?«

»So ungefähr«, entgegnete Carolin und lachte ebenfalls.

»Wenn das mal so einfach wäre.« Nachdenklich stocherte Alida in ihrem Salat. Es war lange her, dass sie das letzte Mal Herzklopfen in der Gegenwart eines Mannes verspürt hatte. Die Sache mit Gregor war bloß eine kurze Liebelei gewesen. Sie hatte ihn im Urlaub auf Korsika kennengelernt und zehn unbeschwerte Tage mit ihm verbracht. Danach gab es noch ein Treffen in Hamburg, einige Telefonate, bis der Kontakt irgendwann eingeschlafen war. Das war mittlerweile fünf Jahre her. Inzwischen war sie 39. »Manchmal beschleicht mich der Gedanke, dass ich mittlerweile gegen die Liebe immun sein könnte und deswegen keinen Mann mehr kennenlerne, bei dem es funkt.«

Ihre Freundin schüttelte energisch den Kopf. »Das ist doch Quatsch! Gegen die Liebe ist niemand immun. Du bist eben bisher keinem passenden Mann begegnet. Doch das wird unter Garantie früher oder später passieren. Und besonders dann, wenn du nicht damit rechnest.«

»Meinst du?«

»Natürlich!« Carolin hob eine Augenbraue. »Oder glaubst du, ich habe damit gerechnet, einen interessanten Typen auf einer Vernissage zu treffen, der noch dazu der ausstellende Künstler ist?«

»Wohl kaum.«

»Eben.« Carolin zwinkerte ihr aufmunternd zu.

Alida lächelte und ließ die Aussage ihrer Freundin so stehen. Sie lenkte das Gespräch wieder auf das Projekt Weihnachtshaus, und gemeinsam sammelten sie erste Ideen für die Dekoration von Frau Brandts Villa.

Nach dem Essen verabschiedete sich Alida von ihrer Freundin mit dem Versprechen, einen baldigen Termin mit Frau Brandt für die Besichtigung der Villa auszumachen, und ging zu ihrem Auto. Bevor Alida nach Hause fuhr, wollte sie noch schnell einem Kreativladen einen Besuch abstatten, um nach schönen Stoffen für die weihnachtliche Dekoration zu schauen. Doch aus schnell wurde nichts. Die Straßen waren genauso verstopft wie auf der Hinfahrt zum Restaurant. Im Schneckentempo tuckerte Alida inmitten einer Blechlawine durch die Straßen. Dabei dachte sie wieder über das Gespräch mit Carolin und deren Liebesvorhersage nach. Insgeheim bezweifelte sie Carolins Prognose stark und tat sie eher als Floskel ab. Was hätte ihre Freundin ihr auch sonst sagen sollen? Alida hielt es für sinnvoller, im Kopf ihre Einkaufsliste durchzugehen, anstatt sich über ihr nicht vorhandenes Liebesleben den Kopf zu zerbrechen.

2. Kapitel

Stoff- und Kurzwaren Becker seit 1952 stand in goldenen Lettern oben auf dem Schaufenster. Hinter der großen Glasscheibe waren allerhand Stoffe um eine antike Tischnähmaschine von Singer mit Fußantrieb drapiert. Neben typischen weihnachtlichen Motiven mit Engeln und Sternen schienen in diesem Jahr besonders Stoffe mit Abbildungen von Schleifen, goldenen Eicheln und weihnachtlichen Einhörnern angesagt zu sein. Alida liebte die Weihnachtszeit ganz besonders, weil sie wie keine andere zum festlichen Schmücken und Dekorieren einlud. Meistens überlegte sie schon Ende September, in welchem Deko-Stil sie ihre vier Wände für das kommende Weihnachtsfest schmücken wollte, und konnte es kaum erwarten, damit im November endlich loszulegen.

Als Alida die Tür des kleinen Geschäfts aufdrückte, erklang das leise Bimmeln der alten Ladenglocke, die am oberen Holzrahmen der Tür befestigt war. Sofort umfing sie die Atmosphäre einer scheinbar vergangenen Zeit. Auf großen Tischen stapelten sich verschiedenste Stoffe als Meterware. In einem hohen Regal dahinter befand sich eine große Auswahl an Nähzubehör. Reißverschlüsse in den verschiedensten Größen, Knöpfe und Nähgarne in sämtlichen Farben, Nähnadeln, Scheren, Kordeln und Bänder sowie Polsterwatte und Futterstoff. Auf der gegenüberliegenden Seite wurden Strick-Fans fündig. Dort stapelten sich Strickwolle, Häkelgarn und Stricknadeln in den unterschiedlichsten Ausführungen.

Dieser Laden ließ Nostalgie in Alida aufsteigen, und sie wünschte sich, dass es überall so entschleunigt zuging wie hier. Keine Computer, kein hektisches Treiben. Außer Alida und zwei Frauen mittleren Alters, die verschiedene Wollknäule begutachteten, waren keine Kunden im Laden.

»Guten Tag, Frau Jacobsen.« Frau Becker, die den Laden in der zweiten Generation führte, kam freudig auf Alida zu und schüttelte ihr zur Begrüßung die Hand. Alida mochte Frau Beckers persönliche Art. Die kompetente Geschäftsinhaberin kannte alle ihre Stammkunden mit Namen, und jeder erhielt bei ihr eine fachkundige Beratung. Egal, ob man einen Knopf oder hundert Meter Stoff kaufte. Hier war der Kunde noch König und wurde ganz nach der alten Schule bedient, was vermutlich einer der Gründe dafür war, dass sich der Laden hielt. »Ich habe Sie schon vermisst.«

»Guten Tag, Frau Becker. Ich wollte eigentlich schon vor zwei Wochen vorbeischauen, aber es ist mir immer etwas dazwischengekommen. Sie wissen ja, wie das ist.«

»Wie schön, dass es jetzt geklappt hat. Vor drei Tagen haben wir etliche neue Weihnachtsstoffe bekommen, da habe ich sofort an Sie gedacht«, erzählte Frau Becker, die um Alidas Leidenschaft für das Fest der Liebe wusste.

»Dürfte ich die neuen Stoffe mal sehen? Ich suche etwas Besonderes für meine Weihnachtssendung, etwas, das nicht jeder Zuschauer zu Hause hat.«

»Modern oder klassisch?«

»Klassisch bis nostalgisch würde ich sagen. Ich möchte eine alte Jugendstilvilla in Berlin-Grunewald weihnachtlich dekorieren.« Alida überlegte kurz. »Das Endergebnis soll jedenfalls so aussehen, dass die Zuschauer den Eindruck bekommen, sie wären nicht in der Weihnachtszeit des Jahres 2018, sondern in der um 1900 gelandet. Es soll möglichst authentisch auf die Leute wirken, sie für eine kurze Zeit an den Anfang des letzten Jahrhunderts entführen. Wissen Sie, was ich meine?«

Frau Becker lächelte. »Ich glaube, ich habe genau das, wonach Sie suchen. Kommen Sie mal mit.«

Die Inhaberin des Ladens ging mit Alida zu dem hinteren Tisch, der sich in der Nähe der Kasse befand. Dort lagen etliche Stoffrollen. Frau Becker nahm eine Rolle und breitete einige Meter Stoff vor sich und Alida aus.

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