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Zauber der Gezeiten: Im süßen Rausch der Sinne

hier erhältlich:

Eigentlich ist Wyatt ist nach Idyl Island gefahren, um Kiaras Weinfirma auszuspionieren. Jedoch hat er nicht damit gerechnet, dass er den Reizen von Kiara erliegen würde. Nun muss er sich entscheiden: Geld oder Liebe!


  • Erscheinungstag: 01.08.2015
  • Seitenanzahl: 120
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956494475
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lori Wilde

Zauber der Gezeiten: Im süßen Rausch der Sinne

Aus dem Amerikanischen von Charlotte Kesper

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Intoxicating

Copyright © 2011 by Laurie Vanzura

erschienen bei: Harlequin Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz; Thinkstock/Getty Images, München

ISBN eBook 978-3-95649-447-5

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Amabile: Italienisch für liebenswert.

Außerdem eine Bezeichnung für süßen Wein.

Wyatt DeSalme stand früh am Morgen des 1. Juni am Bug der Fähre und sah zu der nebelverhüllten Insel hinüber, die eben vor der nordkalifornischen Küste in Sicht kam.

Die Motoren der Fähre ließen den Boden unter seinen Füßen sanft vibrieren. Die Seeluft schmeckte salzig, und über ihm flog ein Schwarm kreischender Möwen. Je näher sie der Insel kamen, desto aufgeregter wurden auch die Stimmen der anderen jungen Männer und Frauen um ihn herum. Wie es schien, waren es allesamt neue Praktikanten, genau, wie er einer sein sollte.

Allmählich lichtete sich der Nebel, und vor ihnen tauchten, in der Morgendämmerung schimmernd, die zwei großen Steilhänge des Twin Hearts auf, der in der Mitte der Insel hoch emporragte.

Da war es. Sein Ziel.

Ein seltsames Gefühl überkam Wyatt. Ein Gefühl, das ihm sagte, wenn du das jetzt tust, wirst du nie wieder derselbe sein.

Unwillkürlich verkrampfte sich sein Magen.

Ich will nicht.

Aber weshalb nicht? Normalerweise liebte er Rollenspiele. Woher kam also der plötzliche Impuls, an Ort und Stelle stehen zu bleiben, während alle anderen von Bord gingen?

Was ist los? Feige?

Es war die Stimme seines Bruders Scott, die spöttisch in seinem Hinterkopf erklang und ihn aufzog, wie schon damals als Kind. Wyatt hatte es nie auf sich sitzen lassen können, wenn man ihn feige nannte.

Der ständige Spott, die Wetten und Mutproben hatten einiges dazu beigetragen, seinen Charakter zu formen. Immer um die Wertschätzung seiner älteren Brüder kämpfend, war er zu einem unerschrockenen Abenteurer geworden. Hier stand er nun, mit einunddreißig Jahren, und wollte immer noch ihre Anerkennung gewinnen.

Als Tarnung trug er eine Brille aus Fensterglas mit dicker dunkler Fassung, hatte sich seit zwei Tagen nicht rasiert und sein Haar bereits seit Monaten wachsen lassen, sodass es ihm jetzt in dunklen Wellen bis auf die Schultern hing. Seit dem College hatte er die Haare nicht mehr so lang getragen.

Er hatte eine graue Strickmütze aufgesetzt, dazu blaue Jeans mit einem Loch am Knie und einen grauen Kapuzenpulli angezogen. Seine Turnschuhe zierten zerfranste Schnürsenkel, und statt der Rolex trug er eine billige Allerweltsuhr.

Was er damit bezweckte? So unscheinbar wie möglich zu wirken und sich besser in seine neue Rolle einzufühlen, die das Gegenteil seines sonst üblichen Auftretens bedeutete. Normalerweise hatte er einen Hang zu schicken Anzügen und High-Society-Partys. Er liebte es, in seinem Lamborghini über die europäischen Autobahnen zu düsen, und vergnügte sich gern in Monte Carlo beim Glücksspiel.

Sein Trick schien zu funktionieren. Er war schon über eine Stunde an Bord, und noch keine der hübschen Studentinnen hatte ihn bisher auch nur eines Blickes gewürdigt. Einerseits war das der Sinn der Sache, andererseits tat es seinem Ego nicht besonders gut.

Er schob sich näher an eine lebhaft plappernde Mädchengruppe heran.

„Wie, kennst du die Geschichte nicht?“, rief eine hübsche Brünette.

Wyatt lauschte angespannt. Als Spion konnte man nie genug erfahren.

„Ach, das ist so romantisch!“, fuhr die junge Frau fort. „Es soll so gewesen sein: Als vor ewiger Zeit der Gründer von Bella Notte in unserem Alter war, verliebte er sich in ein Mädchen vom Festland. In einer schönen Vollmondnacht im Juni packte er eine Flasche seines ersten selbst gekelterten Weins ein und führte seine Liebste hinauf auf den Gipfel des Twin Hearts.“ Sie zeigte auf die schroffen Berge. „Sie tranken den Wein gemeinsam, und er hielt um ihre Hand an. Im Juni darauf ließen sie sich im Weinberg trauen und lebten dann vierundsechzig Jahre als Ehepaar glücklich und zufrieden.“

„Das ist wirklich süß!“

„Und genauso ging es später ihren drei Söhnen. Und deren Söhnen. Bei den Romanos hat es noch nie eine Scheidung gegeben. Und kein anderes Paar, das seitdem im Juni bei Vollmond auf dem Twin Hearts eine Flasche Wein gemeinsam geleert hat, musste je den Scheidungsanwalt bemühen.“

„Keins?“

„Keins.“

„Wow“, sagte eine Blonde. „Das ist wirklich verrückt!“

Was für ein Schwachsinn, dachte Wyatt. Er fand die Sage aber trotzdem sehr hübsch. Zugegeben, die Romanos wussten offensichtlich, wie man einen Mythos werbewirksam einsetzt.

Mittlerweile hatte die Fähre angelegt, und fast alle Passagiere stiegen um in kleine, mit dem Bella-Notte-Logo bedruckte Busse, die sie zu dem gleichnamigen Weingut brachten.

Der Morgennebel hatte sich fast ganz aufgelöst und gab den Blick auf Idyll frei. Ein passender Name für die Insel, fand Wyatt, denn auf der einen Seite der Berge sah das Land zwar trocken und karg aus, auf der anderen Seite jedoch lagen die üppigen Weinberge. Auf Idyll herrschte das gleiche weinfreundliche Klima wie im Napa Valley, und es schien auch das gleiche unbekümmert-sonnige Flair in der Luft zu liegen.

Der Eingang zu Bella Notte war, ebenso wie alles andere auf Idyll, eher altmodisch gehalten und erinnerte mit seinen überrankten Gemäuern an die alten Weingüter der Toskana. Hinter dem Gebäude erstreckten sich schier endlose Reihen vorzüglich gepflegter Rebstöcke. Wyatt war inmitten von Weinbergen aufgewachsen, die ihn, um ehrlich zu sein, nie interessiert hatten – viel zu viel Arbeit. Als er jetzt aber über das Tal blickte und den kräftigen Duft des fruchtbaren Lehmbodens einatmete, fühlte er sich seltsam inspiriert.

Seine Brüder würden ihn dafür auslachen. Weshalb sollte ihn dieses winzige Weingut inspirieren, wenn ihn das riesige und sich immer weiter vergrößernde Unternehmen der DeSalmes völlig kaltließ?

Was ihn daran erinnerte, weshalb er eigentlich hier war: um herauszufinden, wodurch es diesem kleinen Familienbetrieb gelungen war, einen beachtlich großen Marktanteil an sich zu reißen. Bella Nottes Weine waren tatsächlich ausgesprochen gut. Was machten sie anders? Seine Brüder hatten den Wein sogar analysieren lassen, aber sie hatten nicht entdecken können, was ihn besonders auszeichnete. Sie brauchten einen Spion, und genau das war er.

Ein großer, dunkelhaariger Mann kam, noch während sie aus dem Bus ausstiegen, zu Wyatts Gruppe und führte sie dann in eines der Gebäude. Seine langen Haare waren mit einem Lederband zusammengebunden, er trug ein T-Shirt, das eindeutig aus Hanffaser gewebt war, und hatte eine Tätowierung am Unterarm, eine Traube dunkelblauer Weinbeeren. Seine ganze Ausstrahlung war die eines Künstlers.

Eine schwarzhaarige Frau in einem leichten blauen Kleid kam über den Hof zu dem Mann hinüber, kuschelte sich an ihn und hob ihm ihren Kopf entgegen. Er gab ihr einen langen, innigen Kuss, tätschelte sie liebevoll und zog sie an seine Seite.

Im Inneren des Gebäudes war es kühl, abgesehen von einem rustikalen Holztisch und den dazu passenden Stühlen gab es keine Möbel. Ganz offensichtlich wurde dieser Raum für Weinproben und Ähnliches genutzt.

Es roch nach Trauben: süß, kräftig und berauschend. Ein Geruch, den Wyatt niemals vergessen würde, ganz gleich, wohin in der Welt er mit seiner Jacht segelte.

Alle aus der Gruppe sahen auf, als sich die Hintertür öffnete.

Eine Frau, etwa so alt wie Wyatt selbst, trat ein, in einem Outfit, das Wyatt nur als „verhüllend“ beschreiben konnte. Sie trug eine Nickelbrille wie einst seine Oma, ein formloses Kleid mit Blumenmuster, das bis zur Mitte ihrer Waden reichte und eher zu einer Frau über sechzig gepasst hätte, darüber eine grün- und burgunderfarbene Schürze mit dem Bella-Notte-Logo.

Ihre Füße steckten in klobigen, bereits ziemlich abgenutzten Wanderschuhen mit dicken Gummisohlen. Ihre Haut war von der Sonne gebräunt, aber sie trug weder Make-up noch sonst etwas, um ihr Äußeres zu unterstreichen, lediglich ein Paar schlichte goldene Ohrstecker.

Das dunkle, kastanienbraune Haar hatte sie zu einem nachlässigen Zopf gebunden, aus dem sich einzelne, wirr abstehende Strähnen gelöst hatten.

Sie hob den Kopf. Der Blick ihrer grünen Augen bohrte sich geradewegs in Wyatts und brachte sein Herz … gewaltig ins Stolpern.

Sie sah ihn an, als wäre er irgendein ekliger Käfer in ihrem Müsli.

Sie weiß es!

Ungewohnte Panik erfasste ihn. Plötzlich wurde ihm klar, dass das hier viel mehr als nur ein Spiel war. Es ging um mehr als seinen Stolz. Er hatte seinen Brüdern gesagt, er würde es schaffen, und Wyatt hasste es, zu versagen. Außerdem war er bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen. Er hatte den ewigen Spott seiner Brüder satt. Er verdiente es, ein ebenbürtiges Mitglied des DeSalme-Clans zu sein. Wenn er das Geheimnis von Bella Notte lüften könnte, würden sie akzeptieren müssen, dass er es wert war, und ihn nicht länger nur als ihren kleinen Playboy-Bruder abtun.

Um den finsteren Blick vom Gesicht der Frau zu vertreiben, tat er, was er immer tat, um Frauen einzuwickeln. Er lächelte breit und zwinkerte ihr verwegen zu.

Sie sah einfach nur weg, griff nach einem Korkenzieher und einer der Flaschen.

Der große Mann deutete auf die Stühle. „Bitte nehmen Sie Platz.“

Während sich alle setzten, verteilte er die Gläser, je drei pro Gast für die unterschiedlichen Weinsorten.

Die schwarzhaarige Frau im blauen Kleid öffnete gekonnt drei verschiedene Weinflaschen, dann schenkte sie jedem jeweils einen Schluck davon ein. Sie bewegte sich wie in einem einstudierten Tanz. Offensichtlich hatte sie das hier schon viele, viele Male getan.

„Ich bin Maurice Romano, und das …“, sagte der große Mann und legte einen Arm um die Taille der Schwarzhaarigen, „… ist meine Frau Trudy. Abgesehen davon, dass sie sich um unsere vier Kinder kümmert, leitet sie den Souvenirladen und ist für unsere Gäste zuständig.“

„Und das …“, stellte Trudy nun die Frau mit den kastanienbraunen Haaren vor, „… ist meine Cousine Kiara. Unsere Großeltern haben das Weingut Bella Notte im Jahre 1934 gegründet, seither ist es im Besitz unserer Familie.“

Das war also die berühmte Kiara Romano, die angeblich so begabt war, dass sie es geschafft hatte, das kurz vorm Bankrott stehende Gut zu einer der vielversprechendsten Kellereien in ganz Kalifornien zu machen. Das hätte Wyatt ihr, rein optisch, gar nicht zugetraut.

Sie stand ihm genau gegenüber, auf der anderen Seite des Tisches, und hatte eben jemandem von dem Weißwein eingeschenkt, als sie den Kopf hob und sich ihre Blicke erneut trafen. Sie presste ihren Mund zu einem schmalen Strich zusammen und verengte grimmig die Augen.

Was war das? Konnte sie ihn etwa auf den ersten Blick nicht leiden? Das war ungewöhnlich. Die meisten Frauen mochten ihn. Zumindest so lange, bis sie herausfanden, dass er nicht zu den Männern gehörte, die feste Bindungen schätzten.

Wyatts Körper spannte sich an. Er hörte nicht mehr zu, was Maurice sagte, denn seine ganze Konzentration galt einzig dieser Frau.

Er wusste nicht weshalb, aber sie berührte ihn auf einer instinktiven Ebene. Vielleicht lag es an der eleganten Art, wie sie sich trotz der schweren Stiefel bewegte. Vielleicht war es der Kontrast zwischen ihrer eher zarten Figur und der professionellen Ausstrahlung einer Geschäftsfrau. Vielleicht lag es aber auch nur an der romantischen Umgebung.

Aber wenn Bella Notte seine Fantasie beflügelte, weshalb bezauberte ihn dann Kiara und nicht irgendeine der anderen Frauen im Raum?

Wyatt kam nicht mehr dazu, weiter darüber nachzudenken, denn Kiara hatte seinen Platz erreicht.

Sie beugte sich vor, um sein Glas zu füllen. Augenblicklich umhüllte ihn ihr faszinierender Duft. Sie roch ehrlich, frisch – wie Wildblumen und Sonne.

Wyatt war mit einem hoch entwickelten Geruchssinn gesegnet. Seine Familie hatte geglaubt, dass er mit seinem Talent, die feinen Nuancen des Weins zu erkennen, ganz bestimmt ins Weingeschäft einsteigen würde. Aber Wyatt war ein Rebell. Er tat nie, was man von ihm erwartete. Außerdem gab es die ganze Welt zu erforschen, weshalb sich also auf eine einzige Bestimmung beschränken?

Wie in Zeitlupe verging der Moment, und er nahm alles konzentriert in sich auf: wie ihre Hand seine Schulter sacht streifte, die Wärme ihres Körpers, als sie sich halb drehte, um zwischen die Stühle zu schlüpfen, das leise Geräusch ihres ruhigen, flachen Atems. Er sah nicht halb so viel von ihr, wie er sie spürte.

Ein unerwarteter, erschreckender Gedanke machte sich in ihm breit.

Diese Frau. Sie ist die eine.

Und dann war sie wieder weg, ließ ihn wie beraubt und verwirrt zurück, als sie zur anderen Seite des Tisches ging.

Beunruhigt schüttelte er den Kopf und versuchte, den Gedanken zu verdrängen. Was zur Hölle sollte das? Er war nicht der Typ Mann, der eine Frau für sich beanspruchte. Jeder wusste das. Wyatt DeSalme war frei und ungebunden und …

Er konnte nicht aufhören, Kiara Romano anzustarren. Schließlich zwang er sich, den Blick abzuwenden und Maurice zuzuhören, der inzwischen bei der Geschichte und den Traditionen Bella Nottes angelangt war und erklärte, weshalb die Praktikanten für die Herstellung der Weine so wichtig waren.

Wyatt las zwischen den Zeilen. Obwohl Bella Notte unter Kiaras Leitung einen gewaltigen Sprung nach vorn gemacht hatte, benötigten sie noch immer die Hilfe umsonst arbeitender Praktikanten, um finanziell über die Runden zu kommen. Seine Brüder würden sich bei dieser Information die Hände reiben. Die Finanzen schienen tatsächlich der wunde Punkt des Weinguts zu sein, und er war hier, um den vernichtenden Schlag zu führen.

Hatte ihn dieser Gedanke heute Morgen noch in Ekstase versetzt, weil seine Brüder ihn dann endlich ernst nehmen würden, störte er ihn jetzt aus irgendeinem Grund. Dabei waren die Romanos nichts als Konkurrenz für die DeSalmes. Hier ging es nur ums Geschäft, ein bisschen gut geplante Spionage, um die Schwäche des Gegners zu entlarven. Es war völlig legal – solange gewisse Grenzen nicht überschritten wurden – und kam in der amerikanischen Geschäftswelt tagtäglich vor.

Warum also verspürte Wyatt plötzlich das dringende Bedürfnis nach einer heißen Dusche und viel Seifenschaum, um seine Seele reinzuwaschen?

Nachdem der Wein eingeschenkt worden war, teilte Maurice Karteikarten und Stifte aus. Währenddessen musterte Kiara die anwesenden Praktikanten. Wyatt konnte ihren Blick regelrecht spüren.

Er sah auf. Sie verzog leicht den Mund.

„Sie werden nun unsere drei besten Weine probieren, fangen Sie mit dem Weißwein an“, erklärte Maurice. „Dann schreiben Sie bitte Ihre Eindrücke auf, aber vergleichen Sie Ihre Notizen nicht untereinander.“

Wyatt nahm das Weinglas, schwenkte es leicht und sog das fruchtige Aroma ein.

Zu seiner Freude war es nicht der typische Chardonnay. Dieser hier erschien ihm himmlisch – leicht, frisch und hell wie ein Sommertag. Der Geschmack, sehr vielseitig, wurde intensiver, als er ihn über seine Zunge rollen ließ, war jedoch mild im Abgang, lieblich, aber nicht aufdringlich.

Er bewertete mit der Zwanzig-Punkte-Methode von Davis, die er als Kind gelernt hatte. Der Riesling bekam eine solide Sechzehn. Keine Makel.

„Jetzt der Cabernet“, wies Maurice an.

Wyatt schloss die Augen und überließ die Beurteilung zuerst seiner Nase. Leichte Schärfe, Eichenduft, aber ohne die übliche Rauchigkeit, unterschwellig nahm er einen Hauch Kirsche wahr, kaum merklich, aber doch vorhanden.

Er hob das Glas an seine Lippen, ließ den Schluck dann geschmeidig über seine Zunge rollen, bis er schließlich auf seinen Gaumen traf. Es war ein gewöhnlicher Cabernet und doch nobel und unverfälscht. Er schmeckte reiner als alles, was DeSalme produzierte. Inniger.

Die anderen Praktikanten kritzelten wild auf ihren Karten herum. Wyatt aber ließ sich Zeit, erlaubte dem Wein, auf seiner Zunge nachzuklingen, ehe er sich an die Beurteilung machte.

Wyatt warf wieder einen Blick zu Kiara hinüber. Sie starrte ihn noch immer an. Dieses Mal hielt er ihrem Blick stand. Wenn sie wusste, wer er war, würde sie ihn hier, vor allen Leuten, beschuldigen müssen.

„Und jetzt“, sagte Maurice, „kommt der Wein, mit dem wir nächsten Monat den ersten Platz beim alljährlichen Sonoma-Wein-Festival belegen werden.“ Er machte eine dramatische Pause und ließ seine Worte wirken.

Aha, das war eine wenig bescheidene Prahlerei.

„Ich präsentiere Ihnen Bella Nottes Premium-Wein.“ Er hob eine Hand wie ein Stoppschild. „Aber warten Sie einen Augenblick! Sie müssen ihn zu dem Schokoladenkuchen trinken, den Großmutter Romano gebacken hat, damit Sie die Freude, die Ihnen Decadent Midnight bereiten wird, voll und ganz schätzen können.“

Die Tür öffnete sich, und eine ältere Frau brachte ein Tablett mit Kuchen herein. Das Aroma des Weines vermischte sich mit dem feinster Schokolade.

Dann war das also der Wein, über den DeSalme so viele Gerüchte gehört hatte, der Wein, der sie angeblich bei Sonomas „Best of the Best Award“ als herrschende Könige vom Thron stürzen würde. Der Wein, wegen dem seine Brüder ihn in Griechenland angerufen und ihn angefleht hatten, sich undercover in Bella Notte einzuschleichen.

Wyatt konnte es kaum abwarten, ihn zu kosten. Was Luxus anging, war er ein Experte. Gutes Essen, guter Wein, eine gute Zeit waren die Grundsätze, nach denen er lebte.

Während Großmutter Romano den Kuchen verteilte, machte sich bei den Teilnehmern Aufregung breit. Sie warteten darauf, dass Maurice ihnen ein Zeichen gab, aber es war Kiara, die schließlich eines der schlanken Gläser hob. „Salute.“

Alle aus der Gruppe hoben ihre Gläser und erwiderten den Gruß.

Sie tauschten Blicke aus, grinsten und sogen dann das berauschende Aroma des Weines ein. Er duftete nach sonnenreifen Pflaumen. Wyatt musste sofort an Portugal und dessen Portweine denken. Aber dies hier war kein kräftiger Wein.

Wyatt schloss die Augen. Er hörte Gabeln auf Porzellan, genüssliches Seufzen, aber er schaltete das alles aus und konzentrierte sich einzig auf seine eigenen Eindrücke.

Eine Muskateller Spätlese. Aber das war mehr als ein gewöhnlicher Muskateller. Dieser Wein war voller, ehrlicher. Nicht eine einzige falsche Note.

Zuerst schmeckte er eine melancholische Süße, gleich gefolgt von einem Kick kribbelnder Wärme, der so überraschend kam, dass Wyatt scharf ausatmete. Dann folgte unterschwellig der Geschmack nach Pekannuss.

Er schlug die Augen auf und sah direkt in die von Kiara Romano. Sie durchbohrte ihn mit ihrem Blick wie mit einem Laser. Um sich – und auch sie – abzulenken, nahm er rasch einen Bissen von dem warmen Schokokuchen.

Und das war der Moment, in dem in seinem Mund etwas Magisches passierte.

War er gestorben und im Himmel gelandet? Sein Gehirn suchte nach einem Wort, das respektvoll genug war, zu beschreiben, was er schmeckte, aber es gab keins.

Die Zeit schien stehen zu bleiben, in einem Augenblick, den er so nie wieder erfahren würde – zum ersten Mal kostete er wahre Dekadenz.

Waren es Sekunden? Minuten? Stunden?

Dieses Vergnügen war so unglaublich intensiv, dass er es niemals enden lassen wollte. Es schmeckte wie die nobelste aller Sünden. Kaum zu glauben, dass die Frau in diesem altbackenen Kleid diese … diese schiere Perfektion geschaffen hatte.

Er ließ sich die Mischung aus Decadent Midnight und Schokolade auf der Zunge zergehen – süß, feucht und heiß. Das machte selbst gutem Sex Konkurrenz. Der Vergleich überraschte ihn, aber er schien passend. Es war die reinste Lust. Noch nie hatte ihn ein Wein derart euphorisch werden lassen.

Mit jedem Schluck, der über seine Zunge glitt, wuchs seine Wertschätzung. Eine Symphonie. Er hatte eine Symphonie in seinem Mund, wie der Herbst in Vivaldis Vier Jahreszeiten – frisch, stürmisch, mit einer unterschwelligen Melancholie. Feigen, Aprikosen und der Geschmack nach Herbst liebkosten seine Kehle. In diesem Augenblick fühlte er sich ganz und gar lebendig.

Es war ein herausragender, außergewöhnlicher Wein mit tiefgründigem, komplexem Charakter. Eine wohlverdiente Zwanzig auf der Davis-Skala. Wyatt riss die Augen auf, nahm den Stift und begann zu schreiben. Seine Hand konnte kaum seinen Gedanken folgen. Es war fast, als spräche Bacchus höchstpersönlich durch ihn, während er wie in Trance seine Eindrücke auf die Karteikarte kritzelte.

Seine Brüder hatten allen Grund, sich wegen Bella Notte Sorgen zu machen. Wenn sie nicht noch Kiara Romanos Achillesferse fanden und sie somit aus dem Wettkampf ausschied, würde Decadent Midnight nicht nur DeSalme beim „Best of the Best Award“ schlagen, sondern auch jeden anderen Wein in der Kategorie.

Glückseligkeit lag noch auf seiner Zunge, unvergesslich. Er fühlte sich, als hätte er eben seine Jungfräulichkeit verloren und könnte nicht abwarten, es wieder zu erleben.

Dieser himmlische Wein hatte das, was die Franzosen terroir nannten: Geschmack mit einem echten Sinn für den jeweiligen Ort. Er schmeckte wie die Gegend, in der er gewachsen war. Idyllisch.

Die anderen waren schon mit ihren Notizen fertig, Wyatt hingegen schien nicht aufhören zu können. Die Worte flossen nur so aus dem Stift auf das Papier. Erst als er beide Seiten der Karte vollgeschrieben hatte, legte er den Stift zur Seite und sah sich um.

Irgendwann, während er seine Gedanken festgehalten hatte, musste die Praktikantin ihm gegenüber aufgestanden sein, und Kiara hatte sich stattdessen dort hingesetzt. Mit glänzenden Augen beobachtete sie ihn über den Tisch hinweg.

Er lächelte sie an.

Sie blinzelte, ein verträumter, glücklicher Ausdruck verdunkelte ihre Augen. Auf ihren Lippen lag das gleiche befriedigte Lächeln wie auf seinen.

In einer fließenden Bewegung schob sie den Stuhl zurück, stand auf und deutete auf Wyatt.

„Sie“, sagte sie bestimmt. „Sie kommen mit mir.“

2. KAPITEL

Säure: Das Element, das den Wein klar, frisch und spritzig schmecken lässt.

Der Mann war perfekt.

Zu perfekt.

Er ließ bei Kiara sämtliche Alarmglocken schrillen. Sie traute „perfekt“ nicht.

Ihm voran ging sie den Korridor entlang. Introvertiert, wie sie war, lag es ihr nicht besonders, die Praktikanten zu begrüßen, sich herzlich und locker zu geben. Lieber war sie in ihrem ruhigen Labor. Maurice dagegen war gut in diesen Dingen.

Aber sie war es, die einen Assistenten brauchte, und der Mann hinter ihr schien alle dafür nötigen Qualitäten zu besitzen. Ohne einen versierten Assistenten konnte Kiara sich nicht voll und ganz auf ihr eigentliches Ziel konzentrieren – hochklassige Dessertweine zu kreieren, um Bella Notte zur begehrtesten Kellerei für Spätlesen zu machen.

Sie betrieb die Weinherstellung auf völlig andere Weise als ihre Vorgänger auf dem Gut. Mit einem Abschluss in Weinbau und Weinkunde war sie zu einhundert Prozent Wissenschaftlerin und hielt sich immer auf dem neusten Stand. Für sie gab es keine lockere, künstlerische Art, Wein herzustellen. Ja, ihr Urgroßvater hatte seinerzeit viel erreicht, einfach mit seinem gottgegebenen Talent und den Weinstöcken, die er von Neapel quer über den Ozean hierher verpflanzt hatte. Aber die moderne Technik hatte die Weinherstellung grundlegend verändert.

Jetzt aber musste sie erst einmal dieses Vorstellungsgespräch führen.

Mach dir nicht zu große Hoffnungen, nur weil dieser Kerl all die Eigenschaften zu haben scheint, nach denen du suchst. Nur keine Eile. Du hast Zeit.

Das klang gut, aber es stimmte nicht. Sie hatte Bella Notte zwar vor dem Bankrott bewahrt, nachdem ihr Vater das Weingut krankheitsbedingt nicht mehr hatte leiten können, aber sie waren noch lange nicht aus dem Schneider. Mit Decadent Midnight, ihrer eigenen Kreation, hoffte sie, beim „Best of the Best Award“ von Sonoma zu brillieren.

In ihrem Labor angekommen, deutete Kiara flüchtig auf einen Metallhocker. „Setzen Sie sich.“

Sie selbst ging um den Tisch herum, blieb aber stehen. Den Kopf leicht zur Seite geneigt, verschränkte sie die Arme vor der Brust und musterte den Mann ihr gegenüber.

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