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Winterzauber in der kleinen Traumküche in Cornwall

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Vier Jahre nach dem tragischen Verlust ihres Bruders beschließt Gwen, endlich mutig zu sein und in kleinen Schritten wieder zurück ins Leben zu finden. Und der Umzug ins Stargazey Cottage mit ihrer besten Freundin Ella, die sich nach ihrer zerbrochenen Ehe ebenfalls einen Neuanfang wünscht, scheint genau das richtige Mittel zu sein. Gemeinsam wollen die Freundinnen die engen Mauern ihres Cottages in das luxuriöse Refugium ihrer Träume verwandeln. Schon bald stellen sie fest, dass sie nicht die einzigen Neuankömmlinge in St. Aidan sind. Auch ihr gutaussehender Nachbar Ollie scheint im malerischen Cornwall inneren Frieden zu suchen. Doch schon bald müssen alle drei feststellen, dass sie ein ganzes Dorf brauchen, um den Mut zu finden, die Vergangenheit endlich hinter sich zu lassen.


  • Erscheinungstag: 26.09.2023
  • Aus der Serie: Kleine Traumküche
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 384
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365004135

Leseprobe

Vor fünf Jahren warteten wir in einer langen
regnerischen Augustnacht auf dich.
Am Morgen deiner Geburt kam die Sonne heraus – und seitdem scheint sie ununterbrochen.

Für Eric, mit Liebe xx

Um die Schönheit einer Schneeflocke zu würdigen,
ist es notwendig, in der Kälte zu stehen.

Anonym

1. Kapitel

Stargazey Cottage, St. Aidan, Cornwall

Glasaugen und Trennwände

Mittwoch

»Das ist es also – Stargazey Cottage, St. Aidan!«

Wir haben es geschafft. Vor allem steht die überlebensgroße Stargazey-Fischpastete aus Ton, die Ella und mich vor vielen Jahren so fasziniert hat, noch fest auf den Eingangsstufen.

Ich beuge mich hinunter und berühre die Fischköpfe, die aus der Pastetenkruste herausschauen. Der Schauer, der mir dabei den Rücken hinunterläuft, ist derselbe wie früher, als wir übermütig den Hügel hinaufrannten, um uns vor diesen glasigen Fischaugen zu gruseln, beim letzten Mal, als wir zusammen hier waren. In dem Sommer, als ich sieben war. Ella war zwei Jahre älter und wie eine Gazelle, also war es klar, dass sie jedes Mal als Erste ankam.

Ellas Familie wohnte neben uns, und als Kinder in einem Highland-Dorf waren wir unzertrennlich. Meine Familie bestand nur aus meinem Dad, meinem Bruder und mir. Ich war so jung, als meine Mum starb, dass ich mich nicht mehr an sie erinnern kann. Ich kenne sie hauptsächlich als jemanden mit einem Gesicht wie meinem, das mich vom Fernseher anlächelte, wenn wir uns Familienvideos anschauten. Da hatte sie ein Kleinkind, das war ich, und Ned, der schon größer war.

Ellas Mum Merry half Dad oft, besonders mit den Mädchenangelegenheiten, mit denen er meistens nicht klarkam. Ich fuhr auch mit Ella und ihrer Mum und ihrem Dad in den Urlaub, nicht nur, weil es Ella und mir gefiel, sondern weil Dad dadurch eine Pause hatte. Als ich sieben war, kamen wir zum letzten Mal nach Cornwall. Danach verbrachten wir die Ferien in Suffolk oder Wales, und dann fand Merry Gefallen an Spanien und später an Griechenland.

Doch manche Dinge bleiben einem für immer im Gedächtnis. Der Fischkopf-Gruselschauer und die Pastete aus Ton vor dem Stargazey Cottage genauso wie das eine Mal, wo ich als Teenager auf Santorini vom Esel gefallen bin und meine Brüste aus dem Bikinioberteil ploppten.

Bei diesem Besuch in Cornwall, fünfundzwanzig Jahre nach dem ersten, haben Ella und ich ihr schickes Auto und meinen weniger schicken Smart-Van am Hafen stehen lassen und sind zu Fuß die kleine kopfsteingepflasterte Straße hinaufgegangen. Und diesmal waren wir nicht bloß für einen Urlaub hier. Als Cornwall-Fan wäre Ella gern zügig an den vertrauten, mit Geranien und Lobelien bepflanzten Blumenkästen vor den Fenstern vorbeigelaufen. Aber ich blieb vor jeder neu gestrichenen Cottage-Tür stehen und gab Laute der Begeisterung von mir, wenn ich zwischen den Häusern und dunklen Schindeldächern einen Blick auf das türkisfarbene Meer erhaschte. Wir atmeten tief die salzige Luft ein und waren uns still einig, dass wir eine großartige Entscheidung getroffen hatten.

Ellas Beine sind immer noch viel länger als meine, aber meine Lungenkapazität hat sich deutlich verbessert, weil ich den größten Teil meiner Zwanzigerjahre in den Alpen verbracht habe. Außerdem ist sie mittlerweile so oft hier gewesen, dass sie jeden Kopfstein kennt. Abgesehen davon war St. Aidan kein zufälliges Ziel; wir sind hier, weil dieses beliebte Dorf inmitten einer malerischen Idylle liegt. Am Ende siegte die Aufregung, und sie überholte mich auf den letzten hundert Metern, hinauf zur Kurve der schmalen Straße, wo das Cottage steht, das wir beziehen werden.

Als ich mich wieder aufrichte, ist sie immer noch außer Atem, während sie die Steinfassade mit den kleinen aufschiebbaren Sprossenfenstern zu beiden Seiten der Haustür betrachtet. Über dem Namensschild wuchert Clematis. »Es sieht noch exakt genauso aus wie im Januar, als ich hier war.« Es folgt ein Moment der Stille, in dem sie vermutlich an ihren letzten gemeinsamen Urlaub mit Taylor denkt, kurz bevor sie sich trennten. Dann nimmt sie sich zusammen, und ein Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht. »Wir können uns glücklich schätzen, dass sie sich für uns als Mieterinnen entschieden haben, Gwen.«

»Es sollte wohl so sein.« Ich erwidere ihr Lächeln. Es ist das erste Mal seit Ewigkeiten, dass sie nicht düster dreinblickt. Ich weiß, ich bin normalerweise im Herbst im Ausland, aber sie hat mir in den vergangenen vier Jahren so sehr geholfen, nachdem ich meinen Bruder Ned verloren hatte. Wenn ich sie also dabei unterstützen kann, ihr neues Leben zu beginnen, dann tue ich das natürlich.

Tatsächlich steckt weniger der Zufall hinter dem Mietvertrag für das Cottage als vielmehr Ellas verbissene Entschlossenheit. In ein Dorf in Cornwall zu ziehen, war ewig Ellas Traum und der ihres Ex’ Taylor gewesen.

Als beste Freunde, die seit der ersten Woche an der Uni zusammen waren, schienen sie ein Traumpaar zu sein. Sie machten schon Erwachsenensachen, als wir anderen noch herumstümperten. Ich meine, ich bin zweiunddreißig, und nachdem ich mehrere Jahre hindurch Chalet Host war, bin ich mir noch nicht ganz sicher, was ich machen will. Ella und Taylor hatten geheiratet, waren umhergezogen, hatten Häuser renoviert und waren schon so lange beruflich erfolgreich, dass Taylor eine neue Karriere startete. Sie hatten fast jedes Jahr Urlaub in Cornwall gemacht. Alles, was noch fehlte, waren Kinder und Handtücher mit dem Monogramm »Die Simpson-Ramsays«.

Aber dann verliebte Taylor sich in die Sportlehrerin an der Schule, an der er in seinem Probejahr unterrichtete, und für Ella brach eine Welt zusammen.

Ella ist Innenarchitektin, und während sie noch ihren Liebeskummer bewältigte, zog ihre in London ansässige Firma einen Vertrag mit einem Bauunternehmen für Luxusferienhäuser im Südwesten an Land. Das war die Gelegenheit, die sie herbeigesehnt hatte – ein Job, den sie ohne Weiteres machen konnte, für ein Unternehmen, in dem sie ohnehin schon arbeitete und der einen Umzug nach Cornwall erforderte. Da die Mieten in Cornwall exorbitant steigen, sah es für eine alleinstehende Person schlecht aus, aber sie gab nicht auf. Sie verbrachte mehr Zeit auf der St.-Aidan-Facebook-Seite als die Einwohner, sodass sie sich sofort auf die Anzeige für das Stargazey Cottage bewerben konnte, kaum war sie erschienen.

Kanzlei Trenowden, Trenowden and Trenowden

Harbourside, St. Aidan

Im Interesse eines angesehenen, aber abwesenden
Klienten bieten wir an zur Miete:

Stargazey Cottage, Whelk Row, St. Aidan

(ein wenig verwohnt, 3 Zimmer,
leicht
renovierungsbedürftig)

Künftige Mieter sollten bereit sein, kleinere Renovierungs- und Einrichtungsarbeiten durchzuführen. Eine entsprechende Summe für Arbeit und Material wurde hinterlegt. Für den Beitrag des Mieters zur Verschönerung des Hauses wurde eine niedrigere als die ortsübliche Miete angesetzt.

Gut geeignet für kleine Wohngemeinschaft
oder
ein Paar. Handwerklich versierte Personen werden bevorzugt.

Bitte nur Dauermieter.

Bei erfolgreicher Fertigstellung der Arbeit kann bei Interesse des Mieters das Mietverhältnis zum gleichen Preis fortgesetzt werden.

Bitte bewerben Sie sich zunächst bei George Trenowden.

Apropos Glück haben! Wenn jemand infrage kam, dann ja wohl Ella. Sie ist nicht nur Innenarchitektin, sondern sie und Taylor haben gemeinsam so viele Häuser renoviert, dass sie das im Schlaf beherrscht. Sie war einfach die perfekte Wahl. Da sie auch das Cottage so gut kannte, hatte sie gegenüber Mitbewerbern einen deutlichen Vorteil.

Zwei Sekunden nachdem sie die Anzeige entdeckt hatte, rief Ella mich bei meinem befristeten Job an einer Sprachschule in der Nähe von Brighton an. Offiziell sollte ich die Haushaltsführung machen, aber im Grunde ging es darum, Kids zum Flughafen zu fahren und von dort abzuholen. Daher war ich gerade auf der M25 Richtung Heathrow unterwegs, als Ella mir vorschlug, wir sollten uns zusammentun und gemeinsam nach Cornwall ziehen. Ich bin flexibel, was meinen Wohnort betrifft; Hauptsache, es gibt dort keine Berge. Als ich an der Ankunftshalle des Flughafens eintraf, war ich zu hundert Prozent an Bord, und Ella legte sofort mit der Organisation los.

Sie feuerte die ersten Anrufe und E-Mails so schnell ab, dass wir überzeugt waren, Stargazey Cottage müsse unser sein. Allerdings gab es bei einem derartig guten Angebot nicht bloß ein großes Interesse, sondern einen riesigen Ansturm.

Am Ende schickten wir Bewerbungsunterlagen und führten per Zoom eine Reihe von Vorstellungsgesprächen, die sich ein Komitee ansehen würde. Ich überließ Ella größtenteils das Reden in der Hoffnung, dass niemand bemerken würde, was für eine Anfängerin ich war. Wir dachten, Ellas Job vor Ort sei unser großer Joker, aber das genügte nicht. Also improvisierten und schwindelten wir, während wir rätselten, wonach genau die Anbieter suchten, damit wir der Konkurrenz voraus waren.

Wir erfuhren nie, was den Ausschlag für uns gab. Nach dem Vorstellungsgespräch waren wir vor Anspannung fertig mit den Nerven und wussten am Ende schon gar nicht mehr, was wir denen alles versprochen hatten. Doch als wir den unbefristeten Mietvertrag für »unser« Cottage in einem der schönsten Dörfer Cornwalls unterschrieben, war das alles Schnee von gestern.

Der Rest ist Geschichte, wie es so schön heißt. Ella ist bereit, ihren neuen Job anzutreten, und ich versuche wieder eine befristete Arbeit zu finden. Für mich, mit meiner inneren Unruhe, ist das hier weniger für die Ewigkeit gedacht als für Ella. Aber ich werde nicht weiterziehen, bevor das Cottage fertig ist und Ella sich eingelebt hat; bis dahin werde ich sie vorbereitet haben auf ihre neue Zukunft.

Ich erschauere erneut, als der Septemberwind durch die Straße fegt und durch mein T-Shirt dringt. Er fühlt sich deutlich kälter an als der endlose Sommer, den Ella mir an jenem Tag beschrieb, während Heathrows Terminal 3 in Sicht kam. Aber ich werde mich nicht beschweren.

Seit ich meinen Bruder bei einem Bergunfall verloren habe, ist mir klar, dass der Trick darin besteht, nur von den guten Dingen zu sprechen. In letzter Zeit hat Ella diese Taktik übernommen. Sehen wir den Tatsachen ins Auge – niemand will etwas über einen berühmten Verwandten hören, der bei einem Lawinenunglück verschüttet wurde. Oder von einem Ehemann, der einem das Herz brach, indem er fortan mit einer anderen zusammenlebte. Also sind wir glückliche Frauen, und wenn man uns ansieht, kommt niemand auf den Gedanken, dass wir kein perfektes Leben führen.

Ella kramt in ihrer Handtasche und holt den Schlüssel heraus, den wir gerade von George Trenowden in der Kanzlei am Hafen abgeholt haben, und grinst mich wieder an. »Selfie, um den Moment festzuhalten?«

Wir werfen unsere beinah identischen blonden Haare zurück, lehnen uns gegen die Tür und blicken strahlend auf mein Handy. »Geschafft!«

Danach schiebt sie den Schlüssel ins Schloss, doch die Tür geht auf, bevor sie den Schlüssel herumdreht. »Wie nett, dass man es für uns offen gelassen hat. Es ist die Sorte von Dorf, in dem niemand seine Haustür abschließt. Ehrlich, du wirst es hier lieben, Gwen. Komm rein, ich kann es nicht erwarten, es von innen zu sehen.«

Geht mir genauso. Das Haus zu mieten, ohne einen Blick hineingeworfen zu haben, war nicht ideal. Aber wegen der Kanzlei als Vermittler waren wir beruhigt. Und so wie es von außen aussieht, weiß ich einfach, dass wir es lieben werden. Es gibt Zeiten im Leben, da muss man etwas riskieren, denn wenn man es nicht tut, bereut man es ewig. Trotzdem kreuze ich nervös die Finger, während ich Ella, die mit wehenden glatten blonden Haaren vorangeht, in den Flur hinein folge.

»Okaaaay …« Ellas zögernder Ton ist beunruhigend.

Der Raum, in dem wir uns befinden, ist weitläufig und so hell, dass ich blinzeln muss. Ich nehme mal an, der Stapel Gipsplatten und die lose von der Decke hängenden Kabel sind eine Überraschung, die wir nicht erwartet haben.

Es sieht definitiv eher nach Baustelle statt nach dem leicht renovierungsbedürftigen Cottage aus, das uns angekündigt wurde. Allerdings springt einem der Pluspunkt direkt ins Auge. »Sieh dir nur die Aussicht an!« Das gigantische Panoramafenster hat noch das Klebeband vom Hersteller und bietet einen Blick auf das Meer in der Ferne. »Wenn man sich weit genug hinauslehnt, spürt man sicher beinah die Gischt der Wellen, die unten auf die Felsen krachen.« Wie immer übertreibe ich, aber was soll’s. Wenn das Erdgeschoss schon so groß ist, überlege ich, dann haben wir bei drei identischen Stockwerken aber viel einzurichten. Nicht, dass ich mit Inneneinrichtung schon mal etwas zu tun gehabt hätte.

Ellas Augen leuchten, während sie sich umschaut. »Es ist erweitert worden, seit ich zuletzt hier war, aber daraus kann man ganz viel machen.« Sie geht durch die nächste Tür in einen großen Raum mit einem Doppelbett, das bereits bezogen ist. Auf einer Kiste liegt sogar ein Bücherstapel. »Erstaunlich, was Leute alles zurücklassen.«

Ich setze mich in einen Lehnstuhl in einer Ecke des Zimmers. »Das ist ja ein regelrechtes Willkommenspaket. Hier sind sogar Becher und Wasserkessel!« Ich schlinge die Arme um mich und wünschte, meine Strickjacke wäre hier und nicht im Auto auf dem Parkplatz, zusammen mit dem restlichen Gepäck.

Ella gehört zu den Menschen, die jede kleine Nuance registrieren, daher spricht sie mich gleich auf meine Gänsehaut an. »Ist dir kalt?« Sie ist außerdem eine Problemlöserin und hält nicht hinterm Berg mit Ratschlägen. Daher schüttelt sie einen ordentlich zusammengelegten Kapuzenpullover vom Stapel neben dem Bett aus. »Nimm einen von diesen, danach schauen wir uns den Rest des Hauses an. Bei manchen Unterkünften bekommt man Bademäntel dazu, im Stargazey Cottage ist es übergroße Oberbekleidung. Wahrscheinlich sind die noch übrig aus der Zeit, als es ein Ferienhaus war.«

Während ich mir den Pullover anziehe, atme ich den wundervollen Duft von Weichspüler ein. Sofort wird mir wärmer, und ich betrachte amüsiert das Logo vorne drauf, denn man muss diesen Blödsinn einfach mögen, den sie auf Kleidung drucken. »Team GB Sailing? Das ist ja genauso grandios unpassend für mich wie mein Pulli mit dem Aufdruck der Harvard University.« Zu Neds und Dads großer Enttäuschung war ich als Kind so ungelenk und verweichlicht, wie sie athletisch und tapfer waren. Abgesehen davon war ich nie auch nur in der Nähe von Amerika oder einer uniähnlichen Institution.

Ella lacht. »Wir sollten uns eigene Team-Sweatshirts zulegen, die wir hier im Ort tragen.«

Ich komme da nicht ganz mit. »Sorry?«

»Star Sisters Styling – so exklusiv, dass wir nicht mal auf Instagram sind. Möglicherweise habe ich das in unserer Bewerbung erwähnt.« Sie sieht viel weniger verlegen aus, als sie sollte.

Ich gebe ein Stöhnen von mir. »Hoffen wir mal, niemand findet heraus, dass ich mit Design nichts am Hut habe.«

Sie kneift ein Auge zu. »Du besitzt mehr Talent, als du glaubst, du hast es nur noch nicht entdeckt. Bis dahin sorge ich für die Kompetenz, wenn’s recht ist.«

Ella war stets sehr gut darin, ihren Willen durchzusetzen, während ich nur staunend danebenstand. Rückblickend muss ich ihr gratulieren, denn das Cottage wird toll aussehen, wenn Merry zu Besuch kommt, was öfter der Fall sein könnte, sobald sie von ihrem Herbsturlaub in Spanien zurück ist.

Ella wirft sich rücklings auf das Bett und breitet die Arme aus. »Kein Stress. Wir sind jetzt hier und haben ein Superhaus. Dieses Bett ist ein Traum, alles andere wird sich finden.«

Wie aufs Stichwort ist aus dem Wohnzimmer ein Klappern zu hören. Selbst für Ella kommt das ein wenig überraschend. Wir tauschen einen verwirrten Blick, als ein Kerl im Türrahmen erscheint.

»Ladys. Guten Tag.«

Ich versuche es zu ignorieren, aber bei seiner tiefen Stimme bekomme ich erneut eine Gänsehaut.

Ella stützt sich auf die Ellbogen, doch zu meiner Überraschung melde ich mich als Erste zu Wort. »Zuerst mal: Wir sind Frauen, keine Ladys.« Eigentlich ist das Ellas Spruch, aus der Zeit, als sie noch viel auf Baustellen zu tun hatte. Wahrscheinlich war ich damit nur deshalb so schnell, weil das selbstverständliche Auftreten dieses Mannes mich aus der Fassung gebracht hat. Ich hasse es grundsätzlich, auf Typen zu reagieren, weil ich mich dadurch schwach und machtlos fühle. Ganz ehrlich: Ich reagiere überhaupt nicht auf Männer, denn als ich Ned verlor, ist alles in mir erfroren, und das ist bis heute so geblieben.

Unser erster Besucher ist eine Augenweide, was mir normalerweise auch egal ist. Seit dem Ende meiner letzten Beziehung bin ich besser allein zurechtgekommen. Ich habe natürlich schon gehört, dass Leute jemanden als »umwerfend gut aussehend« beschrieben, aber mir war nie ganz klar, was damit eigentlich gemeint ist. Wenn ich mir diesen Typen genauer ansehe, im Licht der Sonne hinter ihm, wirkt er auf mich wie eine Komposition aus all den Männern, für die ich je auf Fotos geschwärmt habe – nur dass diese Vogue-Models und Rockstars stets einen Haken hatten. Entweder war der Mund zu gerade oder die Wangenknochen nicht ausgeprägt. Bei diesem hier kann ich nichts entdecken, was ich ändern würde. Er ist dermaßen perfekt, dass mir tatsächlich ein bisschen flau wird.

Da ich in der Kundenberatung-Schrägstrich-Gästebetreuung arbeite, bin ich überraschende Situationen gewohnt. »Wir kommen nicht von hier und sind buchstäblich gerade in unser neues Zuhause geplatzt, also haben Sie ein wenig Nachsicht mit uns.« Falls er keine gute Erklärung dafür hat, warum er einfach hier in unser Willkommensszenario marschiert ist, könnte es echt peinlich für ihn werden. Ich bringe eine gewisse Härte in meinen Ton, weil ich nicht akzeptiere, dass irgendwer Ellas Ankunft stört. »Können wir Ihnen helfen?«

Ich mustere seine langen kräftigen Beine in der Jeans, die noch ausgewaschener ist als meine, außerdem die dunklen, leicht zerzausten Haare und die haselnussbraunen Augen, die herausfordernd funkeln.

Wenn Ella uns ein Willkommen-im-neuen-Zuhause-Stripprogramm bestellt hat, ist das selbst für ihre Verhältnisse übertrieben. Außerdem reicht der Service von Dial-a-Naked-Man-Islington sicher nicht bis nach Cornwall. Andererseits, wenn er uns eine von diesen Kuchenschachteln gebracht hat, zu denen sie mir ständig von der St.-Aidan-Facebookseite Links schickt, könnte ich schon mal Wasser aufsetzen.

Seine Hände sehen rau aus, und sie sind eindeutig leer, was meine Brownie-Träume zunichtemacht.

Außerdem ist er unhöflich genug, sich mit der Schulter an die Wand zu lehnen. »Was reden Sie da von Ihrem neuen Zuhause?«

Ich ignoriere sein arrogantes Auftreten und schmelze noch ein bisschen weiter dahin, ehe ich erschrocken zusammenzucke und endlich zur Vernunft komme. Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert! Frauen schmachten Männer nicht mehr an oder sehen sie als Objekte. Dahinzuschmelzen ist verdammt uncool, also muss ich mich zusammenreißen. »Passen Sie bitte mit Ihren Metallknöpfen an der Wand auf! Die Gipsplatten sehen neu aus, und wir wollen da keine Dellen drin haben.«

Der Typ weicht von der Wand zurück. »Hat Ihr neues Haus einen Namen?«

Möglicherweise ist er Lieferant. Ich ärgere mich über das flaue Gefühl in meinem Magen, als er mich so plötzlich anfährt, aber einschüchtern lasse ich mich nicht. »Selbstverständlich. Stargazey Cottage.«

Die Furchen auf seiner Stirn verschwinden. »Ich komme auch nicht von hier und habe das Haus kaum gesehen, das ich hier besitze. Aber ich weiß genug, um mir zusammenreimen zu können, was passiert ist.«

Ella verdreht die Augen, denn das ist eines unserer gemeinsamen Lieblingshassthemen. Da wir als Kinder in einem schottischen Dorf gewohnt haben, konnten wir erleben, wie Leute von außerhalb ein Cottage nach dem anderen kauften, um Feriendomizile daraus zu machen und dann nur selten aufzukreuzen, sodass die Einheimischen ihre Existenzgrundlage verloren. Für Typen wie ihn habe ich nur Verachtung übrig, und ich scheue mich nicht, ihn damit zu konfrontieren.

Um ihm zu beweisen, wie gering seine Wirkung auf mich ist, spreche ich diesen Gedanken aus. »Permanent abwesende Hausbesitzer ruinieren ganze Gemeinden. Ich hoffe, das ist Ihnen klar.«

Er schüttelt den Kopf. »Das werde ich mir bestimmt merken. Aber klären wir zunächst doch mal, wo wir uns tatsächlich befinden.«

Ich bin mir meiner Sache so sicher, dass ich mir ein kleines ironisches Lächeln gestatte. »Mal abgesehen von der Tatsache, dass Sie sich in unserem zukünftigen Wohnzimmer befinden, wüsste ich nicht, inwieweit uns das weiterhelfen sollte.«

Er hüstelt. »Aus meiner Sicht besteht das Problem eher darin, dass Sie sich in meinem vorübergehenden Schlafzimmer befinden.« Er klingt schrecklich selbstsicher. »Nur um das klarzustellen, dies ist nicht Stargazey Cottage

Ella setzt sich unvermittelt auf. »Wie bitte?«

Kampflos werde ich Ellas Traum nicht aufgeben. »Wir besuchen diesen Ort seit über fünfundzwanzig Jahren, also glauben Sie mir, wir wissen genau, wo wir sind. Wir haben selbst aufgeschlossen.« Während Ella die Schlüssel hochhält, erinnere ich mich daran, dass wir das gar nicht getan haben, weil die Tür offen stand. Aber ich werde jetzt keine Schwäche zeigen. »Die Stargazey-Pastete auf den Eingangsstufen könnte ein Hinweis sein!«

Der Kerl verzieht das Gesicht. »Diese Verwechslung tut mir wirklich leid. Und es tut mir auch leid, dass ich Sie beide enttäuschen muss. Aber dies ist das Stargazey House. Und es gehört definitiv mir.« Er macht eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. »Stargazey Cottage ist das nächste Haus den Hügel hinauf.«

Ich mache den Mund auf, weil mein Magen sich anfühlt, als hätte er meinen Körper verlassen. Ich zwinge mich zu sprechen. »Sie behaupten also, dass wir momentan nicht bei uns auf dem Bett herumlungern, sondern bei Ihnen

Er nickt. »Eine Verwechslung, die leicht vorkommen kann. Hätte jedem von uns passieren können.«

Nein, hätte nicht, es ist absolut unser Murks. Und während Ella rasch über ihre Patzer hinwegkommt, verfolgen meine mich ewig. Ein derartig großer Schnitzer wird mich buchstäblich nachts wach liegen lassen, bis ich sterbe. »In dem Fall ziehen wir auf die andere Seite der Wand und lassen Sie Ihren Tag fortsetzen.« Ich weiß, er hat gesagt, dass er kaum hier ist, aber selbst wenn er der abwesendste aller Hausbesitzer wäre, werde ich bei dem Gedanken daran, dass er unser Nachbar ist, vor Scham im Boden versinken.

Ich kommandiere Ella selten herum, aber diesmal muss es sein. »Los, Ella, Zeit zu gehen.«

Sie ist viel größer als ich, aber als sie vom Bett aufsteht, schaffe ich es trotzdem, sie umzudrehen und aus diesem Raum, der so viel Potenzial hat und beinah unser Wohnzimmer geworden wäre, hinauszubugsieren. Selbst ihre überzeugendsten Argumente werden daran nichts ändern. Ich treibe sie bis zur Haustür und bin nur noch eine Nanosekunde davon entfernt, sie nach draußen zu schieben, als sie stehen bleibt und sich zu mir umdreht.

»Echt jetzt, lass es lieber«, zische ich. »Schließlich müssen wir jedes Mal an dieser Tür vorbei, wenn wir ins Dorf wollen.«

Sie nickt heftig und zischt zurück: »Ein Grund mehr, den Pullover zurückzugeben, bevor wir verschwinden.«

Ich stoße einen Seufzer aus und versinke wieder vor Scham im Boden, bevor ich mich zu dem Typen umdrehe. »Tja, da habe ich mir irrtümlicherweise nicht bloß Ihren Pullover ausgeborgt, sondern bin in der Eile auch noch drauf und dran, ihn zu stehlen.«

Er winkt ab. »Kein Problem, ich will ja nicht, dass Ihnen kalt wird. Bringen Sie ihn einfach irgendwann vorbei.«

Als könnte ich ihm jemals wieder unter die Augen treten. Da friere ich lieber. »Nee, ich gebe ihn besser gleich zurück.«

Ich ziehe ihn mir über den Kopf und halte ihm den Pullover anschließend hin, um es schnell hinter mich zu bringen. Doch statt ihn zu nehmen, starrt er mich an, als wollte er etwas sagen. Aber da kommt nichts aus seinem Mund.

Ella räuspert sich. »Gwen, dein T-Shirt. Du hast es zusammen mit dem Pullover …«

Ich schaue an mir hinunter und entdecke, dass ich in Jeans und BH bin und mein T-Shirt in dem Kapuzenpullover steckt, den ich in der Hand halte.

»Ich mach das.« Ella schnappt sich das Bündel und fängt an, mein T-Shirt zu befreien. Was in gewisser Hinsicht das Worst-Case-Szenario ist, weil ich dastehe wie die Teilnehmerin eines Schönheitswettbewerbs, mit schlackernden Schultern und wackelnden Möpsen und nacktem Torso, vor diesem umwerfend gut aussehenden Typen, als gäbe es kein Morgen.

Jeder peinliche Moment meines Lebens verblasst dagegen.

Hätte ich wenigstens meinen Sport-BH an – ich weiß, dass ich nicht sportlich bin, trotzdem besitze ich einen. Stattdessen, weil ich in letzter Minute noch waschen musste vor unserem Aufbruch, stehe ich hier in meinem durchsichtigen Ding aus Spitze, das wirklich nichts der Fantasie überlässt, vor Ewigkeiten mal gekauft, als ich so etwas wie ein Liebesleben hatte. Dies ist eine von diesen Gelegenheiten, bei denen alles nur immer schlimmer wird. Ich habe diesem Mann nicht nur meine Brüste gezeigt, denn wenn er nun glaubt, dass ich solche BHs üblicherweise trage, wird er auch denken, dass ich …

Es bleibt mir erspart, diesen Gedanken zu Ende zu denken, da Ella mir mein T-Shirt reicht. Dass meine frierenden Brustwarzen durch den T-Shirt-Stoff voll sichtbar sind, ist nichts im Vergleich zu dem, was vorher war.

Ich halte ihm den Kapuzenpullover hin. »Und nun gehen wir aber wirklich.«

Er lacht leise und streckt die Hand aus, doch statt den Pullover zu nehmen, ergreift er meine Finger. »Ollie Lancaster. Freut mich, Sie kennenzulernen. Gwen, nicht wahr?«

Nur dass überhaupt nichts gut daran ist, denn die seismischen Beben, die meinen Arm hinauf- und meinen Rücken hinunterlaufen, stellen das Erschauern beim Anblick der tönernen Fischpastete komplett in den Schatten. Und seine Hand ist groß genug, um meine ganz zu umfassen.

Ella springt mir bei. »Gweneira. Sie heißt Gweneira Starkey. Gwen nur, wenn man sie besser kennt. Ich bin übrigens Ella Simpson.«

Aus irgendeinem Grund hält Ollie nach wie vor meine Hand. Dann scheint es ihm aufzufallen, und er nimmt den Pullover, während er sich Ella zuwendet.

»Sagen Sie mal, Ollie, besuchen Sie Veranstaltungen im Dorf?« Typisch Ella. Warum sie das fragt, ist mir schleierhaft. Ollie ist meilenweit von dem Typ Mann entfernt, auf den sie steht. Abgesehen davon hat er doch gerade erst erwähnt, dass er fast nie hier ist. »Ich hab gehört, der Singles Club soll gut sein. Die veranstalten alles Mögliche, vom Cocktailabend bis zum Fallschirmspringen.«

Ich ergreife die Chance, das Thema zu vertiefen. »Ella ist die Ella Simpson, die den Small Building Designer of the Year Award gewonnen hat.« Und wo ich schon angefangen habe, kann ich auch gleich alles erzählen. »Den hat sie gewonnen für eine kleine, aber sehr innovative Umgestaltung einer öffentlichen Bedürfnisanstalt in Leighton Buzzard.« Das denke ich mir nicht aus; ihre beeindruckende, vornehme Innendekoration hat eine Toilette in ein superbes Zuhause verwandelt. Normalerweise kommt diese Story immer fabelhaft an, wenn ich sie vor Leuten erzähle. »Tatsächlich hat sie beim Empfang den Designer Kevin McCloud kennengelernt.«

Deshalb weiß ich auch, wer außer Taylor sonst noch Ellas Typ ist. Noch Tage danach war sie aufgeregt, wenn wir per FaceTime gequatscht haben. Hoffentlich bleibt diesem verboten attraktiven Mann ihr Bild im Kopf statt dem von mir im Spitzen-BH.

Als wir endlich an der Ton-Pastete vorbeikommen und auf dem Kopfsteinpflaster vor Stargazey House stehen, zeige ich mit dem Finger auf das Namensschild an der Wand. »Wenn Sie die Pflanze um das Schild herum weggeschnitten hätten, wäre dieses Fiasko nie passiert.«

Mr. Lancaster, der uns gefolgt ist, hebt spöttisch eine Braue. »Keineswegs, ich bin froh, dass Sie vorbeigekommen sind. Und wenn Sie auf kleine Designs spezialisiert sind, dürfte das Haus nebenan genau das Richtige für Sie sein.«

Wir haben keine Ahnung, was er damit meint. Aber nur ein paar Schritte weiter hügelaufwärts werden wir es erfahren.

2. Kapitel

Stargazey Cottage, St. Aidan, Cornwall

Kleine Fische und große Erwartungen

Mittwoch

»Keine Sorge, Ells, es ist okay, dass wir unseren Horizont begrenzen.« Wer hätte gedacht, dass ich diese Worte einmal aussprechen würde, aber als wir auf die Straße treten, tue ich es.

Von der nächsten Haustür, zu der wir kommen, blättert die Farbe ab. Daneben gibt es ein kleines Fenster, dann folgt ein kleines Stück Mauer, das sich an der Straßenkurve entlangwindet, und eine vertikale Linie markiert den abrupten Wechsel zu einem makellos weiß gestrichenen Teil, der aber schon zu einem anderen, schickeren Cottage gehört. Die winzige Vorderfront, auf die wir blicken, ist kaum breiter als unsere Schultern.

Ich reibe auf dem Namensschild herum, während Ella das Schloss findet. »Durchaus möglich, dass da Stargazey Cottage unter der Salzkruste steht.«

Ella hebt hoffnungsvoll die Brauen. »Immerhin passt dieses Mal der Schlüssel. Wollen wir ein weiteres Selfie machen?«

»Unbedingt.« Ich zupfe eine Farbflocke aus ihren Haaren, kämpfe gegen das Déjà-vu an und lächle breit in mein Handy. »Unser erstes gemeinsames Haus.« Diesmal haben wir mehr Gelegenheit, die Ereignisse zu reflektieren. Es ist der erste Mietvertrag, den ich je unterschrieben habe. Deshalb war ich ja auch froh, dass George, der Anwalt, ihn rasch mit mir durchging, bevor mich der Mut verlassen konnte. Ich war viel zu aufgeregt, um mitzubekommen, was er alles gesagt hat.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe kleine gemütliche Häuser genauso wie Ella, aber als Innenarchitektin hat sie jeden Tag damit zu tun. Ich war in einigen wundervollen Häusern angestellt und habe sie zu einem behaglichen Zuhause für die Besitzer gemacht. Aber selbst ein Haus zu besitzen, war bisher nur ein flüchtiger Traum gewesen; ich dachte, das sei einfach nichts für mich. Außerdem war ich damit beschäftigt, Ned zu beschützen, was mir letztlich nicht gelungen ist.

Mit kritischer Miene dreht Ella den Türknopf und drückt die Tür auf. »Das hier muss das schmalste Haus der Welt sein.«

Ich bin froh, dass sie es zum Positiven wendet, denn ich gehöre nicht zu denen, die Komplexe kriegen, weil die Häuser der anderen größer sind. »Das sind doch tolle Neuigkeiten für denjenigen, der für die Innendekoration zuständig ist.« Da der Umzug so schnell ging und wir noch gar nichts gesehen haben, haben wir auch noch nicht endgültig entschieden, wer was macht.

Ich folge ihr in einen Raum, der in etwa die Größe einer abgenutzten Fußmatte hat, mit Wänden in genau dieser Farbe. Selbst als Amateur kann ich erkennen, dass, egal was wir hier anstellen, es nur besser werden kann. »Der Flur hat schon mal jede Menge Potenzial.«

Ella hüstelt. »Da von hier die Treppe nach oben führt, könnte es das Wohnzimmer sein. Gut, dass es noch zwei weitere Stockwerke gibt.«

Ich betrachte die Wände. »Kommt es dir auch schief vor?«

Ella steht mit dem Rücken zur Tür und breitet die Arme aus; ihre Finger streifen beinah die Seitenwände. Am anderen Ende des Raumes hat sie mehr Platz. »Es ist keilförmig.«

Ich grinse. »Klein ist schön. Überleg nur, was wir an Möbeln sparen, falls wir überhaupt welche hineinbekommen.« Solange Merry ihr dickstes Schmuckstück zu Hause lässt, wenn sie auf Besuch kommt, ist alles gut. Mit jedem Jahr, das Merry ohne Ellas Dad, ihren geliebten Hugh, verbringt, sind Merrys Perlen und Ohrringe größer geworden. Als hätte sie ihren Kummer in verrückten Schmuck gesteckt. Das sagen wir uns jedes Mal, wenn wir sie mit einer Kette um den Hals sehen, deren Perlen die Dimension von Tennisbällen haben.

Das hier ist bereits hart genug für Ella. Auch ohne dass das Nachbarhaus unsere Erwartungen über den Haufen geworfen hat, ärgere ich mich darüber, auf dem Weg den Hügel hinauf an der Bäckerei vorbeigestürmt zu sein. »Da wir Schokoladen-Eclairs vergessen haben, wie wäre es mit Musik?« Ich wedele mit meinem Smartphone.

Ella verdreht die Augen. »Wenn wir unsere gute alte Teenager-Playlist mitsingen, lass es wenigstens ›Pure Shores‹ sein.«

Das war der Lieblingssong, als wir Teenager waren und wir mit Haarbürsten als Ersatzmikrofon vor der Spiegelwand in ihrem Zimmer mitsangen. Dieser Song enthielt all unsere Hoffnungen auf wilde Schönheit (meine) und Freiheit und Möglichkeiten (Ellas), die uns die Zukunft bringen würde. Und in vielerlei Hinsicht wurden wir anfangs nicht enttäuscht; erst in letzter Zeit ging es bergab.

Während ich den alten geblümten Vorhang vom Fensterbrett nehme und mich gegen das Frösteln darin einwickle, grinst Ella. »Schicker Umhang, den du da hast.«

Ich lache. »Weniger kuschelig als der Kapuzenpullover von nebenan, aber wenigstens bringt er mich nicht mit einem Jachtrennen in Verbindung.« Während wir uns zur Musik wiegen, fühlt sich das Haus schon mehr wie unseres an, nicht wie das von jemand anderem. Es ist wichtig, dass wir unsere Prioritäten richtig setzen. »Schauen wir uns mal kurz um, danach holen wir Kuchen.«

Zuerst aber drehe ich die Lautstärke höher, und obwohl wir nur begrenzt Platz haben, um mit den Armen zu wedeln, singen wir den Refrain mit, als wären wir wieder vierzehn. Wir sind auf dem Weg zur Treppe und halb durch ein spektakulär enthusiastisches »out of r-e-e-e-each«, als wir jemanden am Fenster bemerken, der an den Spinnweben vorbei hineinspäht und klopft.

Ich öffne tanzend die Tür, und draußen steht eine blonde Frau in Chinos und kariertem Hemd, die eine Schachtel in den Händen hält.

Sie legt den Kopf schief und lauscht, dann strahlt sie. »Nicht verraten … Es ist ›All Saints‹!«

Grinsend drehe ich die Lautstärke herunter. »Wie lange ist es her, seit Sie das gehört haben?«

Die Frau verzieht das Gesicht. »Tatsächlich erst letzte Woche. In St. Aidan sind Retro-Discos schwer angesagt. Aber das werden Sie noch früh genug herausfinden.« Ihr Lächeln wird breiter. »Ich bin Nell, George Trenowdens Partnerin. Ich hoffe, es ist nicht aufdringlich, aber ich wollte Hallo sagen und Herzlich willkommen. Ich nehme an, Sie sind die Star Sisters?«

Ich stutze, als ich unsere Bezeichnung aus der Kindheit höre, die wir für unsere Bewerbung für das Haus hervorgekramt haben. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Nell. Ich bin Gwen Starkey, und das ist Ella Simpson, Supernova der Designwelt. Jetzt wissen Sie, woher der Star-Teil stammt. Möchten Sie nicht hereinkommen?«

Während ich die Tür hinter Nell wieder schließe, sagt Ella: »Wir sind eher ehrenamtlich Schwestern als reale.«

Das ist ein typisches Beispiel für eine Ella-Aussage, aber ich unterstütze sie trotzdem. »Als Kinder taten wir so, und wir sind schon seit Ewigkeiten beste Freundinnen.« Ich stelle mich neben Ella und recke mich, damit ich größer bin. »Wenn man davon absieht, dass Ella einen Kopf größer ist als ich und viel dünner, sehen wir uns doch wirklich ziemlich ähnlich.«

Ella macht mit. »Wenn Gwen auf einem Stuhl steht und ich mir wilde Korkenzieherlocken mache wie ihre, kann man uns echt kaum auseinanderhalten.«

Nell lacht. »Euer Geheimnis ist bei mir sicher. Ich habe ein paar Freundinnen in St. Aidan, die sich auch ziemlich ähnlich sehen. Wir nennen uns die Meerjungfrauen.« Sie hält uns die Schachtel hin. »Einige von meinen Meerjungfrauenfreundinnen haben Kekse gebacken.«

Ich lese das Etikett und staune. »Eine Kuchenschachtel aus der kleinen Traumküche! Die habe ich bei Facebook gesehen, und mir lief das Wasser im Munde zusammen.«

Ella hält die Schachtel fest in Händen. »Ich kann die Schokolade riechen. Wer von den Bäckerinnen hat sie gebacken?«

Nell nickt. »Es sind Clemmies Brownies und Cressys Double Chocolate Chip Cookies.«

Ella grinst. »Ich kenne ihre Posts auf Insta.« Muss sie wohl, wenn sie jahrelang quasi indirekt hier gewohnt hat, bevor das Cottage aktuell wurde.

Nell scharrt mit dem Fuß auf dem Boden. »Was das Haus betrifft, das hat schon bessere Tage gesehen. Wir dachten, Kuchen hilft vielleicht ein bisschen.«

Ich will nicht, dass irgendwer denkt, wir seien enttäuscht. »Es ist ein bisschen klein, aber dadurch ist der Aufwand gut zu bewältigen. Und dass es renovierungsbedürftig ist, gehört zum Deal.« Anders hätten wir es uns gar nicht leisten können.

Nell sieht uns wissend an. »Man merkt, dass ihr zwei euch mit Inneneinrichtung auskennt. Schon eine halbe Stunde, nachdem ihr den Schlüssel bekommen habt, wisst ihr, was zu tun ist.«

Star Sisters Design Duo war ein weiterer Scherz zwischen mir und Ella, der irgendwie in die Bewerbung hineingeraten ist. Wer hätte gedacht, dass es sich schon so bald rächen würde? »Ich bin mir nicht sicher, was Sie gehört haben – Ella ist die Innenarchitektin, ich bin höchstens die Auszubildende.«

Nell schürzt die Lippen. »Mein George schweigt normalerweise eisern über seine Klienten, aber wegen dieser Vermietung wurde er angewiesen, sich mit der Gemeinde zu beraten. Unser engster Kreis sah also eure Zoom-Anrufe.« Sie wackelt mit den Brauen. »Es gefiel uns, dass ihr unbedingt dabei sein wolltet.«

Es ist ein wenig beunruhigend, das von der anderen Seite zu hören.

Ella lächelt beruhigend. »Wir werden Sie nicht enttäuschen und alle Gemeindeaktivitäten mitmachen, neben der Renovierung und den Jobs.« Sie stupst mich an. »Nicht wahr, Gwen?«

Ich schrumpfe in meinem Umhang zusammen, denn die Feiertagsferienhausreinigung, auf die ich baue, ist noch nicht fix. Dass ich mich unter die Leute mischen muss, hatte ich definitiv nicht auf dem Schirm. Lieber würde ich an meinen freien Tagen mit einem Buch zu Hause bleiben oder einen einsamen Spaziergang unternehmen. Allerdings habe ich in meinem Job selten freie Tage. Aber ich muss etwas Authentisches sagen.

»Wir werden jede Menge renovieren und feiern. Yeah!« Dann wird mir klar, was ich gerade gesagt habe. »Auf den Partys im Dorf, denn hier passen ja nicht mehr als drei Leute rein.«

Nell gluckst. »Es ist das schmalste Haus in St. Aidan, weil man es in die Lücke zwischen den beiden Häusern links und rechts gequetscht hat. Deshalb ist es vorn auch schmaler als hinten.«

Ich schaue mich um. Das erklärt einiges. »Mehr als diesen Raum hier brauchen wir nicht. Wir werden es richtig schön gemütlich haben.«

Nell sieht uns skeptisch an. »Habt ihr die Küche mit dem Meerblick gesehen? Und den kleinen Schuppen im Garten? Und diese reizenden Dachschrägen oben?«

Ich will nicht, dass jemand weiß, dass wir zuerst im falschen Haus gelandet sind und noch gar keine Zeit hatten, uns hier gründlich umzusehen. »Wir haben tatsächlich noch nicht alles gesehen, weil wir ein wenig mit dem Nachbarn aus dem Stargazey House geplaudert haben.«

Nell macht große Augen. »Das ist ja ein Ding! Es ist hier unmöglich, unbemerkt zu bleiben, aber dieser Mann ist absolut unter dem St.-Aidan-Radar. Die Leute hier bekommen ihn kaum zu Gesicht, von einer Plauderei ganz zu schweigen.«

Ella ist nicht der Typ, der dahinschmilzt, aber sie wirkt ganz schön gerührt. »Er ist sehr nett.«

Ich will nicht negativ sein, aber auf welchem Planeten lebt sie? »Er war ziemlich widerstrebend, als du Aktivitäten erwähnt hast.« Da ich schon lange im Gastgewerbe arbeite, erkenne ich die Distanzierten ebenso schnell wie die Partyleute. Was auch immer auf diesem Kapuzenpullover gestanden hat, ich bezweifle, dass er ein Teamplayer ist.

Nell lacht. »Ein Grund mehr, dass wir froh sein können, euch zwei zu haben. Ich bin nämlich nicht nur mit Kuchen gekommen, sondern auch mit der Einladung zu den Veranstaltungen des Singles Clubs.«

Ich tausche einen Blick mit Ella. Wie auf den St.-Aidan-Kuchen-Porn hat sie mich auf jede hier stattfindende Veranstaltung aufmerksam gemacht. Der Singles Club gehörte zu denen, über die wir uns in die Haare geraten sind. Sie ist überzeugt davon, es sei das Richtige für mich, was totaler Quatsch ist, weil ich gern allein bin. Sie ist diejenige, die dringend über eine gescheiterte Beziehung hinwegkommen muss, nur will sie das nicht einsehen. Allerdings waren wir uns einig darin, dass es etwas für Merry wäre. Das heißt, solange sie nicht weiß, um was es sich handelt.

Ich nicke. »Single-Veranstaltungen klingen perfekt für Ellas verwitwete Mum; wir würden uns freuen, wenn sie jemanden kennenlernt, sobald sie zu Besuch kommt.« Falls ihr Trip auf die Balearen nicht zu lange dauert.

Wieder gluckst Nell. »Sorry für das Missverständnis! Die Veranstaltungen vom Singles Club sind für jeden in St. Aidan offen, egal, welchen Beziehungsstatus die Person hat. Die einzige Regel lautet: Je mehr, desto lustiger.« Sie hält einen Moment inne, dann fährt sie die großen Geschütze auf. »Wir zählen auf Sie beide! Deshalb sind Sie hier!«

»Fabelhaft!«, sagt Ella mit versteinerter Miene.

Ich sehe keinen Ausweg, ohne unserer Glaubwürdigkeit massiv zu schaden, aber es gibt auch keinen Grund zur Panik. Bis eine Veranstaltung ansteht, vielleicht in einigen Wochen oder erst Monaten, wird Ella etwas eingefallen sein, wie wir uns drücken können. »Darauf freuen wir uns schon.« Ich lege mich extra ins Zeug. »Was gibt’s denn am Abend des Guy Fawkes Day?«

Diesmal lacht Nell schallend. »Im November? So lange müsst ihr nicht warten! Wir haben morgen den Breakfast Club, wenn ihr so scharf drauf seid. Ansonsten Freitag um acht. Die kleine Traumküche veranstaltet ein Barbecue mit Bier im Garten des Seaspray Cottage, am Strandpfad hinter dem Hafen.« Sie gibt mir einen Flyer, dann quetscht sie sich an mir vorbei zur Tür.

Ich passe auf, dass mir mein Lächeln nicht entgleitet. »Toll. Noch etwas, was wir wissen sollten?«

Nell schlägt sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Der Kostümball! Wie konnte ich den vergessen?«

Mein Mut sinkt bis runter zu meinen Flip-Flops, aber ich lächle tapfer weiter. »Das wird ja immer besser!«

Nell ist schon auf halbem Weg zum Kopfsteinpflaster. »Und falls ihr mal Eier braucht, sagt mir einfach Bescheid. Von frei laufenden Hühnern, frisch von der Farm meiner Eltern. Wahrscheinlich kann ich euch sogar die Namen der Hennen sagen, die sie gelegt haben.«

Ella nimmt mir den Flyer aus der Hand und winkt damit Nell zu. »Klasse. Wir werden unserem Nachbarn ganz bestimmt auch von dem Barbecue erzählen.«

Ich drücke die Tür hinter Nell zu und wende mich an Ella. »Warum sollten wir ihm davon erzählen?«

Mal abgesehen von allem anderen hatte ich darauf gesetzt, ihm nie wieder über den Weg zu laufen, nachdem er mich in meiner Unterwäsche gesehen hat.

Ella sieht mich nur an. »Du hast es vielleicht vergessen, aber nachbarschaftliche Beziehungen sind in kleinen Ortschaften sehr wichtig.«

»Was ist dann mit den Nachbarn auf der anderen Seite? Da scheinst du es nicht so eilig zu haben, die einzuladen.« Jetzt habe ich sie. Bei anderen Leuten kann sie sich herauswinden, aber bei mir wird’s schwieriger.

Sie wirft die Haare zurück. »Ehrlich, Gwen, man sieht aus einer Meile Entfernung, dass das ein Ferienhaus ist.«

Was Mr. Stargazey House betrifft, so hoffe ich, dass sie den Gedanken, ihn einzuladen, aufgibt. Ich kann Menschen ganz gut deuten, und er ist nicht der Typ für ein Grillfest im Dorf. Kommen noch Kostüme dazu, fliegt er wahrscheinlich eher zum Mond. Das Gute daran ist, dass ich mich um eine Sache weniger sorgen muss.

Als ich jetzt Ella angrinse, kommt es von Herzen. »Was machen wir als Erstes? Brownies essen oder diese Küche mit Meerblick finden?«

Sie hebt schon den Deckel der Schachtel, und ihr Grinsen ist breit wie die Bucht. »StarSisters-Multitasking-Lektion eins: Egal, was wir tun, Brownies können wir dazu immer essen.«

3. Kapitel

Stargazey Cottage, St. Aidan, Cornwall

Miniaturisten und Maskeraden

Donnerstag

Nell hatte recht. Das Cottage hat tatsächlich mehr zu bieten als befürchtet, aber ich vermute, dass nichts davon Ellas Erwartungen entspricht.

Der hintere Raum hat ein Waschbecken und nicht viel mehr, das Badezimmer besteht hauptsächlich aus der Eckbadewanne, und die drei Zimmer haben alle etwa die Größe eines Koffers – und zwar Handgepäck. Während wir die Autos entladen, versucht Ella optimistisch zu sein, indem sie anmerkt, wie gut die Holztüren noch aussehen. Mir wäre eine funktionierende Küche lieber als ein paar Holzbretter. Allerdings behalte ich das für mich, und zum Glück habe ich nur leichtes Gepäck dabei.

Was die Arbeit angeht, hat George uns zu verstehen gegeben, dass wir so viel oder so wenig machen können, wie wir wollen. Die einzige Regel besteht darin, dass wir Ideen und Kosten zuerst mit ihm klären müssen, damit er das Einverständnis seines Klienten einholen kann. Und jede Arbeit, die wir beginnen, muss bis zum Ende unserer Mietzeit abgeschlossen sein.

Wir hatten angenommen, das Geld des Vermieters wäre für schicke Tapeten und Haushaltsgeräte. Aber jetzt können wir sehen, dass es für die Grundausstattung ist. An dem Missverständnis sind wir selbst schuld. Hätten wir die Häuser nicht verwechselt, wären wir längst selbst darauf gekommen. Was soll’s, wir sind entschlossen, das Beste aus der Situation zu machen.

Das Tollste am Cottage ist der Meerblick vom hinteren Teil, und den kann uns niemand nehmen. Die Hintertür in der Küche führt hinaus auf einen schiefen winzigen betonierten Platz, ebenfalls mit Blick aufs Meer. Nicht schlecht, solange man nicht an Höhenangst leidet. Wir entdecken sogar den Schuppen ein Stück den Hügel hinauf, den Nell erwähnt hat. Allerdings sind die Stufen, die dorthin führen, momentan zu überwuchert.

Der Mangel an Größe wird Ella mehr zu schaffen machen als mir. In meinen Zwanzigern habe ich bis zum Tod meines Bruders als Hausdame in einem Ski-Resort gearbeitet und bin daher geteilte Zimmer und beengte Verhältnisse gewohnt. Aber das Haus, das Ella und Taylor bei der Trennung verkauft haben, war ein fantastisches Apartment in Islington. Sie hatten es mit Herzblut wunderschön eingerichtet, und es verkörperte alles, wonach sich Ella während ihres Lebens als verheiratete Frau gesehnt hatte.

Bis wir hier etwas erreicht haben, wird es wie Camping sein, und das ist für Ella härter als für mich. Als wir Kinder waren, fuhr Dad mit Ned und mir in unserem uralten Camper zu den abgeschiedensten Orten, die er finden konnte. Ich bin es also gewohnt, unter primitiven Bedingungen zurechtzukommen. Ella ist ein paarmal mitgekommen, aber sie konnte sich nie daran gewöhnen, im Freien zu pinkeln, auf einem Lagerfeuer zu kochen oder unter den Sternen zu schlafen. Je mehr ich ihr mit meiner fröhlichsten Stimme versichere, dass es bald ganz nett aussehen wird, desto stiller wird Ella.

Selbst nachdem wir die Mikrowelle angeschlossen und unsere Luftmatratzen aufgeblasen haben und auf den Sitzsäcken sitzen, um Fish and Chips zu essen, ist die Stimmung mies. Im kalten Licht des nächsten Morgens, als ich unsere Kaffeebecher auf dem Fußboden abwasche, weil die Plastikschüssel, die wir gekauft haben, zu groß für die Spüle ist, versuche ich Ella aufzuheitern.

»Eins nach dem anderen. Wir müssen entscheiden, was wir zu dieser Singles-Veranstaltung anziehen.«

Ella schaut zu, wie ich einen Becher auf das schiefe Abtropftablett stelle, und fängt ihn auf, als er abrutscht. »Wir brauchen einen Plan, in welcher Reihenfolge wir hier vorgehen, bevor ich Montag wieder zur Arbeit muss.«

Ella arbeitet noch für dasselbe Unternehmen, für das sie in London tätig war und das einen Vertrag für vier Ferienhäuser zwischen Devon und Cornwall hat. Ihr Job besteht darin, die Käufer bei der Gestaltung und Inneneinrichtung zu beraten, vom Einkauf bis zur endgültigen Übergabe. Da es sich um das Luxussegment des Marktes handelt, ist es wahrscheinlich ziemlich anstrengend, jedes Holzhaus in ein ganz individuelles Zuhause zu verwandeln, auch wenn Ella Übung darin hat. Die Arbeit muss von Grund auf gemacht werden, also wird sie besonders viel zu tun haben. Deshalb hat sie mir schon angeboten, meinen Anteil der Rechnungen zu übernehmen, weil ich den Großteil der Hausarbeit im Cottage werde erledigen müssen.

Wenn wir vorankommen wollen, sollten wir am besten gleich anfangen. »Ich hole den Kraftreiniger, und du schnappst dir deinen Notizblock. Während wir arbeiten, lassen wir uns Kostüm-Ideen einfallen.«

Zehn Minuten später bin ich auf den Knien und schrubbe das rissige Badezimmerlinoleum, während ich mir etwas für Ellas Kostüm überlege. »Wenn du als Innenarchitektin-Barbie gehst, könntest du so bleiben, wie du bist.« Keine von uns neigt zur Panik, aber da die Veranstaltung schon morgen ist, können wir nicht herumhängen.

Ella schaut von ihrem Notizblock auf und betrachtet das Ende ihres Pferdeschwanzes. »Dafür fühle ich mich nicht mädchenhaft genug.«

Da sie schon Batwoman und Dorothy von Der Zauberer von Oz abgelehnt hat, fällt mir noch eine letzte Figur ein. »Lara Croft!«

Sie stößt einen Schrei aus. »Mensch, Gwen, die ist knallhart und teilt aus. Das passt ja wohl momentan so was von überhaupt nicht zu mir.« Obwohl wir nicht darüber sprechen, weiß ich doch, wie sehr Ella im Stillen leidet. Man kann es nur manchmal leicht vergessen, weil sie der Welt eine ziemlich gute Fassade präsentiert.

Ich persönlich habe Kostümfeste stets gemieden, aber Ella war bestimmt schon auf vielen. »Als was gehst du denn sonst immer?« Kaum habe ich diese Frage gestellt, wird mir klar, dass es die falsche war.

Ihre Lippen zittern, und ihre Stimme klingt gar nicht mehr nach ihr. »Taylor und ich gehen immer als Surfer und tragen unsere Board-Shorts und UV-Shirts, und wir haben diese superteuren Surfbretter dabei, die wir gekauft haben, aber nie benutzen.« Ihr Stöhnen wird zu einem Jammern. »Nur dass das jetzt alles der Vergangenheit angehört. Wir werden nie wieder surfen.«

»Süße.« Es tut mir leid, sie traurig gemacht zu haben.

Sie sticht so fest mit ihrem Stift auf den Block, dass er wegfliegt. Während er klappernd in der übergroßen Eckbadewanne landet, setzt sie sich auf den Boden und reibt sich mit den Fäusten die Augen. »Geht schon.« Ihr Schluchzen sagt das Gegenteil. »Es ist einfach der Horror.«

Seit unserer Ankunft ist mir ständig klar, dass ich gar nicht hier wäre ohne die Trennung von Ella und Taylor. In Frankreich wäre ich allerdings auch nicht, wo ich in meinen Zwanzigern gewesen bin, denn als Ned starb, zerbrach auch mein Leben. Es ist ein komplett anderes Szenario, aber zumindest habe ich eine Vorstellung davon, wie Ella sich fühlte, als alles, worauf sie baute, in sich zusammenfiel. Das Komische am Schmerz und Verlust ist, dass man nicht voraussagen kann, wie es einen trifft. Mir hat es geholfen, alles Französische zu meiden, was hart war, weil die Alpen mich sehr geprägt haben.

Meine Mum und mein Dad waren begeisterte Kletterer. Beide genossen einen weltweiten Ruf und lebten buchstäblich für den nächsten Berg. Als sie uns Kinder hatten, bestand ihr Kompromiss darin, eine Kletterschule in den Highlands zu betreiben, mit der sie regelmäßig Expeditionen unternahmen. Als Mum bei einem Unfall in den Alpen ums Leben kam, war ich noch zu jung, um mich erinnern zu können. Statt die Berge zu meiden, nahm Dad uns so oft wie möglich mit in die Alpen. Um die Verbindung mit Mum zu halten, sorgte er dafür, dass wir die Berge schon als Kinder liebten, damit wir auch verstanden, was sie motiviert hat.

Ned hatte das Klettergenie von Mum geerbt, aber mich zogen die Berge auch immer wieder an, obwohl ich weder Skifahren noch besonders gut klettern konnte.

Sobald Ned alt genug war, stieß er zu den Bergsteigern, die im Winter auf den französischen Skipisten arbeiteten, um im Sommer klettern zu können. Ich hatte mit Sport nicht viel am Hut, aber durch die Arbeit für die Chalet-Vermietung konnte ich an den Orten sein, die ich seit meiner Kindheit so sehr liebte. Bei der Erinnerung an diese Dinge fällt mir etwas ein, wie ich Ella von den Gedanken an Taylor ablenken kann.

»Du hast dein Fahrrad auf dem Wagendach und dein blau-weiß gestreiftes Oberteil. Wenn wir dir ein Barett besorgen, könntest du als bretonische Zwiebelverkäuferin gehen.«

Sie schnieft. »Es würde dir nichts ausmachen, dass es französisch ist?«

Ich verziehe das Gesicht. »Irgendwann muss ich mich ja mal meinen Dämonen stellen.« Seit wir Ned verloren haben, waren weder Dad noch ich in der Lage, in die französischen Alpen zurückzukehren. Auch nach vier Jahren kann ich keinen geschmolzenen Camembert oder Croissant sehen. Aber Ella als französische Zwiebelverkäuferin wäre ein kleines Opfer, wenn es ihr hilft. Und für mich könnte es ein kleiner Schritt auf dem sehr schmerzlichen Weg zurück in die Normalität sein, zumal ich auf die gar nicht mehr gehofft habe.

»Danke, Gwen.« Sie schnäuzt sich und steckt ihr Taschentuch in die Jeanstasche. »Wie steht’s mit dir? Als was können wir dich kostümieren?«

Sofort bin ich wieder beim Thema. »Ich gehe als die Prinzessin in der Tüte.«

Ella schüttelt den Kopf. »Deshalb liebe ich dich so sehr. Du bist voller Überraschungen.«

»Ich werde mir einen Sack aus braunem Papier machen und mir Schmutz ins Gesicht reiben, damit ich verrußt aussehe. Dann noch eine Krone aus Kartonpappe. Ich habe schon alles geplant.«

»Aber wer ist das?«

Ich kann nicht glauben, dass Ella die Heldin meines absoluten Lieblingsbuches vergessen hat, das wir in der Grundschule ständig lasen. »Sie ist diese Prinzessin, die gegen den Drachen kämpft und den Prinzen rettet.«

Ella hebt die Brauen. »Richtig!«

»Sie ist mit einem Sack bekleidet, nachdem ihr Kleid ruiniert wurde, und als der undankbare Prinz, den sie heiraten will, sie wegen ihres Outfits kritisiert, geigt sie ihm die Meinung. Ich muss wieder so mutig werden wie sie.« Früher war ich stark, aber meine Kraft hat nach Neds Tod nachgelassen. Es war zu schwer, damit fertigzuwerden.

Ellas Brauen ziehen sich zusammen. »Das ist tatsächlich eine mutige Wahl.«

Mein ganzes Leben hindurch war ich, da ich ohne eine Mutter aufwuchs, eine Außenseiterin. Es machte mir nichts aus, für mich zählte nur, dass ich mir selbst treu blieb. Solange ich im Stillen wusste, wer ich bin, und meinen Kurs hielt, war es okay für mich, anders zu sein.

Ella versucht offenbar, mir zu helfen, denn sie fragt: »Ist ein Sack wirklich das, was du tragen willst, wenn du zum ersten Mal die Leute von St. Aidan kennenlernst?«

Mir fällt etwas anderes ein. »Ich habe mal ein Quiz auf Facebook gemacht, da ging es darum, wer dein Schutzpatron ist. Ich hatte das Seepferdchen, also könnte ich doch so gehen.«

Ella schaut verzweifelt zur Decke. »Wir können dich unmöglich bis morgen in ein Seepferdchen verwandeln.«

»Dann ist es also beschlossen. Komm, wir besorgen Papier und Klebstoff.«

»Bevor wir das tun …« Sie holt erneut ihr Taschentuch hervor. »Möglicherweise habe ich einen schrecklichen Fehler gemacht.«

Es ist eine emotionale Zeit für sie, daher wohl auch ihre Unentschlossenheit. »Wenn du lieber als Lara gehen möchtest, können wir sicher leicht eine schwarze Shorts auftreiben.«

Ihre Stimme wird laut. »Ich meinte nicht das Kostüm, sondern das Cottage!«

Ich spähe durch das winzige eckige Fester und auf das in der Ferne schimmernde Blau. »Die meisten Leute würden sonst was dafür geben, einen Meerblick vom Klo aus zu haben.«

Wieder beben ihre Lippen. »Mir wird langsam klar, wie sehr Taylor und ich unsere Kräfte bei Renovierungen gebündelt haben.«

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