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Wer flüstert, der liebt

hier erhältlich:

Die neue Serie von SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery
Drei Frauen, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Aber sie sind die besten Freundinnen. Jede Woche sitzen sie nach der Pilates-Stunde zusammen, stützen und helfen einander: Nicole hat das Gefühl, dass ihr Mann sich für alles interessiert, nur nicht mehr für sie und den gemeinsamen kleinen Sohn. Shannon ist beruflich erfolgreich und will jetzt mit ihrem Traummann eine Familie gründen – er leider nicht. Und Pam fühlt sich alt, seit die Kinder aus dem Haus sind.
Was das Leben auch bereithält: Wer echte Freundinnen hat, meistert jede Hürde.

Ein Roman mit viel Herz über einen bewegenden Sommer der Liebe und Freundschaft.

  • »Gekonnt beschreibt Mallery drei sehr unterschiedliche Frauen in verschiedenen Lebensabschnitten, die wahre Freundschaft finden.« Booklist
  • »Der Superstar des Liebesromans Susan Mallery beginnt ihre neue Frauenromanreihe mit einem sowohl herzzerreißenden als auch herzerwärmenden Roman … Ein scharfsichtiger und mitfühlender Blick auf drei Frauen, die sich überraschenden Veränderungen ihres Lebens stellen.« Kirkus Reviews
  • »Mallerys Serienauftakt ist eine emotionale Lehrstunde über Triumph und Tragödie, die sie mit typischer Eloquenz erzählt … Bringt mächtig Spaß!« Romantic Times Book Reviews

  • Erscheinungstag: 17.12.2019
  • Aus der Serie: Mischief Bay Serie
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 432
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959674485
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. Kapitel

»Hat Tyler das für dich gemacht?«

Nicole Lord drehte den Kopf, um das Bild anzuschauen, das sie an die Wand ihres Pilates-Studios Mischief in Motion gehängt hatte. Drei große rote Herzen auf einem Stück pinkfarbenem Bastelkarton. Über den Herzen war der Umriss einer Hand zu sehen. Die Herzen waren sehr stilisiert, aber dennoch erkennbar. Also nicht schlecht, wenn man bedachte, dass der Künstler erst fünf Jahre alt war. Beim Abmalen des Handumrisses hatte ihm eine seiner Lehrerinnen geholfen.

»Stimmt.« Nicole lächelte. »Ich habe ihm versprochen, es mit zur Arbeit zu nehmen und es jedem zu zeigen.«

Ihre Schülerin, eine Frau Mitte dreißig, die versuchte, die fünfundvierzig Kilo wieder abzutrainieren, die sie in der Schwangerschaft zugenommen hatte, wischte sich den Schweiß vom Gesicht und lächelte ebenfalls. »Er klingt bezaubernd. Ich freue mich schon auf die Zeit, wenn meine Tochter mehr kann als nur essen, in die Windeln machen und mich die ganze Nacht lang wachhalten.«

»Es wird besser«, versprach Nicole.

»Das hoffe ich. Ich habe immer gedacht, wenn ich erst mal mit dem Kinderkriegen anfange, will ich sechs.« Die Frau verzog das Gesicht. »Im Moment kommt mir allerdings eines schon mehr als genug vor.« Winkend verabschiedete sie sich in Richtung Ausgang. »Bis nächste Woche.«

»Hab ein schönes Wochenende.« Nicole sprach die Worte, ohne aufzuschauen, ihr Blick war bereits wieder auf den Computer gerichtet. Nach ihrem Kurs um zwölf hatte sie eine dreistündige Pause, bevor sie am späten Nachmittag noch einen Kurs gab. Die Pause klang nur so lange nett, bis Nicole daran dachte, was sie alles zu erledigen hatte: unbedingt Lebensmittel einkaufen – sie hatte zu Hause gar nichts mehr. Dann musste sie noch tanken, etwas aus der Reinigung abholen und irgendwann dazwischen auch noch zu Mittag essen.

Sie schaute auf die Uhr an der Wand und fragte sich, ob sie Eric eine Nachricht schicken und ihn daran erinnern sollte, dass er Tyler um vier Uhr aus der Kita abholen sollte. Kaum hatte sie die Hand nach dem Handy ausgestreckt, schüttelte sie den Kopf und ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. Nein, das sollte ich nicht tun, sagte sie sich. Er hatte es nur ein einziges Mal vergessen und sich deswegen schrecklich gefühlt. Sie musste darauf vertrauen, dass es nicht noch einmal vorkam.

Und das tue ich, versicherte sie sich. Nur vergaß Eric in letzter Zeit so viele Dinge. Und er half wesentlich weniger im Haushalt mit.

Ach, die Ehe, dachte sie reumütig. Das klang alles immer so romantisch, bis man erkannte, dass man nicht nur mit einem anderen Menschen zusammenleben musste, sondern dass es auch Tage gab, an denen dieser andere Mensch glaubte, man würde sich in gewissen Dingen irren.

Sie überlegte immer noch, in welcher Reihenfolge sie ihre Erledigungen angehen sollte, als die Tür zu ihrem Studio aufging und Pam Eiland hereingeschlendert kam.

»Hey!«, rief Pam fröhlich. Über ihrer Schulter trug sie eine große Tragetasche.

Wer Pam nicht kannte, ging vermutlich davon aus, dass diese Frau ein Handtaschen-Messie war, wenn sie so viel Zeug mit sich herumschleppen musste. Doch diejenigen, die Pam kannten, wussten, dass ihre eigentliche Handtasche relativ klein war und der meiste Platz in der Tragetasche von einer weichen Decke und einem sehr seltsam aussehenden kleinen Hund eingenommen wurde.

Wie auf Kommando streckte Lulu ihren Kopf aus der Tasche und winselte leise.

Nicole stand auf und ging zu den beiden hinüber. Nachdem sie Pam umarmt hatte, griff sie nach Lulu. Der Hund sprang auf ihre Arme und kuschelte sich an sie.

»Ich sehe, du trägst heute Pink«, sagte sie und streichelte Lulus Wange, bevor sie ihr den Kopf kraulte.

»Wir hatten beide das Gefühl, dass heute ein pinker Tag ist«, erklärte Pam.

Lulu, ein reinrassiger Chinesischer Schopfhund, hatte weißes Fell auf dem Kopf, an den Ohren, am Schwanz und den Pfoten. Der Rest ihres Körpers war ziemlich nackt und von einem ungewöhnlichen gräulichen Rosa mit braunen Flecken. Ihre Gesundheitsprobleme waren legendär, und da sie kein Fell hatte, war sie chronisch erkältet. Was bedeutete, dass Lulu eine ganze Kollektion an Pullovern, Jacken und T-Shirts besaß. Heute trug sie einen leichten rosafarbenen Pullover, der an den Bündchen mit glänzendem grauem Band besetzt war. Da sie selber knapp bei Kasse war und ihre Klamotten schon bessere Zeiten gesehen hatten, befand Nicole sich in der peinlichen Lage, einen Hund um seine Garderobe zu beneiden.

Lulu gab ihr einen kleinen Hundekuss aufs Kinn, und Nicole hielt den warmen Hundekörper noch ein paar Minuten an sich gedrückt.

Pam war eine hübsche Frau mit braunen Haaren, die stets ein Lächeln auf den Lippen hatte. Sie trug ein kurzärmliges Kleid über Leggins und Tanktop. Anders als die anderen Schülerinnen, die den Mittagskurs besuchten, kam Pam nicht aus dem Büro hierher. Nicole wusste, dass sie vor Jahren einmal einen Job in der Firma ihres Ehemanns gehabt hatte. Deshalb verstand Pam, wie kleine Unternehmen funktionierten, und gab Nicole immer wieder gute Tipps. Pam schien die Tage frei gestalten zu können, was sich für Nicole im Moment wie ein Traum anhörte.

»Wer kommt heute alles?«, fragte Pam, während sie die Decke aus der Tasche nahm und sie zusammengefaltet in eine Ecke des Raums legte. Lulu rollte sich gehorsam darauf zusammen und zog die langen Beine elegant unter ihren Körper. Nicole wusste, dass der Hund sich nicht rühren würde, bis der Kurs vorbei war. Lulus süßes Wesen und ihre ausgezeichneten Manieren machten das seltsame, leicht alienhafte Aussehen wieder wett.

»Nur du und Shannon«, antwortete Nicole und klickte den Kursplan auf ihrem Computer an, um sich zu vergewissern. Tatsächlich war sie froh, dass der Kurs heute so klein war. In letzter Zeit war sie ständig so verdammt müde. Pam und Shannon hätten die Übungen auch allein machen können, sodass sie keinen Druck verspürte, jede Bewegung prüfen zu müssen.

Was noch besser war: Alle drei Absagen waren heute Vormittag eingetrudelt. Das Studio pflegte eine strikte Vierundzwanzig-Stunden-Regel, was das Absagen eines Kurses anging. Somit würde Nicole trotzdem den Beitrag von fünf Schülerinnen einnehmen. Sie akzeptierte ihre kurzfristige Freude darüber, auch wenn sie fürchtete, dass sie das zu einem schlechten Menschen machte. Dann schwor sie sich, an ihrem Charakter zu arbeiten – sobald sie das, was in ihrer Ehe schieflief, geradegerückt und mal wieder mehr als vier Stunden Schlaf pro Nacht bekommen hatte.

Pam hatte schon ihre Sandalen ausgezogen. Doch anstatt ihre Pilates-Socken überzuziehen, drehte sie sich grinsend zu Nicole um.

»Wollen wir zusammen mittagessen gehen?«

Pams Lächeln war ansteckend. Ihre haselnussbraunen Augen blitzten und ihre Mundwinkel hoben sich.

»Komm schon«, zog sie Nicole auf. »Du willst es doch auch.«

»Was will sie auch?«, fragte Shannon Rigg, die in diesem Augenblick das Studio betrat. »Ich hatte einen schrecklichen Vormittag und musste mich mit einem frauenverachtenden Idioten von der Bank herumschlagen, der ständig darum gebeten hat, mit meinen Vorgesetzten sprechen zu dürfen. Als ich ihm erklärt habe, dass ich der Finanzvorstand der Firma bin, hat er, glaube ich, einen Schlaganfall erlitten.« Sie hielt inne, und in ihren blauen Augen funkelte es amüsiert. »Ich habe ihm angeboten, ihm ein Foto meiner Visitenkarte zu schicken, aber er hat abgelehnt. Dann habe ich ihm gedroht, das Vierhundert-Millionen-Dollar-Vermögen der Firma auf ein Konto bei einer anderen Bank zu übertragen, wenn er sich nicht zusammenreißt.« Sie legte eine dramatische Pause sein. »Ich glaube, ich habe ihn zum Weinen gebracht.«

Pam reckte die Hand zum Abklatschen in die Luft. »Ihr beide beeindruckt mich immer wieder. Nicole jongliert ihren Ehemann, ihren fünfjährigen Sohn und ihr wachsendes Studio. Du jagst Männern Angst ein, die es wirklich besser wissen sollten. Ich dagegen suche nur aus, was mein Hund am nächsten Tag anziehen soll, und kann Biscuits backen. Das ist wirklich traurig.«

»Ich weiß nicht mal, was man alles in die Schüssel geben muss, um Brötchen zu backen«, gab Shannon zu, während sie mit ihrer Freundin abklatschte und sich dann zu Nicole umdrehte. »Du etwa?«

»Mehl, Wasser und noch irgendetwas.«

Shannon lachte. »Ja, an dem Punkt weiß ich dann auch immer nicht weiter. Das ›noch irgendwas‹ ist es, was einen schlussendlich stolpern lässt.«

Nicole dachte darüber nach, wie Pam sie beschrieben hatte. Jonglieren klang so fröhlich und positiv. Unglücklicherweise musste sie sich an den meisten Tagen um die Scherben auf dem Boden kümmern, statt Teller in der Luft herumzuwirbeln.

Okay, das war ein verwirrendes und leicht deprimierendes Bild. Sie sollte wirklich anfangen, positiver zu denken. Und vielleicht lernen, wie man Biscuits backte.

Shannon trug ein maßgeschneidertes, ärmelloses Kleid und acht Zentimeter hohe Absätze. Ihre nackten Beine waren gebräunt, ihr kastanienbraunes Haar fiel ihr in Wellen bis über die Schultern. Sie trug teure Uhren, eleganten Schmuck und fuhr ein BMW Cabrio. Wenn Nicole wählen könnte, wäre Pam ihre Mutter und sie selbst wäre Shannon, sobald sie erwachsen war. Allerdings hatte sie mit dreißig das dumpfe Gefühl, so erwachsen zu sein, wie sie nur werden konnte.

»Warte«, rief Pam, als Shannon in Richtung des kleinen Umkleideraums neben den Toiletten ging. »Ich dachte, wir gehen gemeinsam zum Lunch, anstatt zu trainieren.«

Shannon hatte ihre Sportsachen bereits aus der Tasche geholt und drehte sich nun zu Pam um. »Kein Training?«

»Genau. Wir sind heute nur zu zweit. Es ist Freitag, meine Freundin. Genieß das Leben. Gönn dir ein Glas Wein, verspotte den desinformierten Banker und entspann dich.«

Shannon schaute Nicole unter hochgezogenen Augenbrauen an. »Ich bin dabei«, sagte sie. »Und du?«

Nicole dachte an ihre To-do-Liste und daran, dass sie mit der Wäsche im Verzug war und noch einen Stapel Rechnungen bezahlen musste. Und dass sie einen Ehemann hatte, der einer erfolgreichen Karriere in einer Software-Firma den Rücken gekehrt hatte, um ein Drehbuch zu schreiben. Sie dachte auch an wirbelnde und zu Boden stürzende Teller, und wie sehr ihr Leben sie in letzter Zeit erschöpfte.

Entschlossen zog sie das Gummi aus ihrem Pferdeschwanz, schüttelte ihr Haar, schnappte sich Schlüssel sowie Handtasche und stand auf. »Okay. Lasst uns gehen.«

McGrath’s Pub gab es schon fast genauso lang wie den Mischief Bay Pier und die Promenade. Shannon erinnerte sich noch daran, wie sie als Teenager hierhergekommen war. Die Fahrt von Riverside hatte ungefähr eine Stunde gedauert, wenn es keinen Stau gab. Sie und ihre Freundinnen hatten die ganze Zeit gelacht und sich unterhalten, hatten sich die süßen Jungs vorgestellt, die sie treffen würden. Jungs, die am Meer lebten und surften und sonnengebleichtes Haar hatten. Jungs, die ganz anders waren als die auf der Highschool.

Denn damals hatte es nur sonnenblonde Haare und ein altes Cabriolet gebraucht, um ihr Herz schneller schlagen zu lassen. Sie hoffte sehr, dass sie in den letzten zwanzig Jahren erwachsener geworden war.

Während sie ihren Freundinnen in den Pub folgte, ließ sie den Blick über den Strand und das Meer dahinter gleiten. Es war mitten am Tag, und gerade herrschte Ebbe. Keine Surfer weit und breit. Außerdem war es ein Wochentag im Februar, sodass auch niemand Beachvolleyball spielte, obwohl es gut und gerne zwanzig Grad warm war.

McGrath’s war ein dreigeschossiges Gebäude mit einer weitläufigen Außenterrasse im Erdgeschoss. Drinnen gab es eine große offene Bar. Pam ging direkt auf die Treppe zu. Sie ließen den Speisesaal im Erdgeschoss links liegen und stiegen die Stufen zur ersten Etage hinauf.

»Am Fenster?«, fragte Pam und marschierte auf den Tisch zu.

Aus den großen Fenstern hatte man einen unverstellten Blick auf den Pazifik. Heute waren die Fenster geöffnet, um die frische Luft hereinzulassen. Sobald die Temperatur unter fünfzehn Grad fiel, wurden die Fenster geschlossen. Und im Sommer konnten sie vollständig geöffnet werden.

Shannon setzte sich Nicole gegenüber und Pam nahm neben ihr Platz. Nicole stellte ihre Tasche auf den Boden. Die perfekt erzogene Lulu würde sich versteckt halten, bis sie wieder gingen.

Als die drei das erste Mal blaugemacht hatten und essen gegangen waren, hatte die Sache mit dem Hund Shannon ziemlich nervös gemacht. Inzwischen betrachtete sie den seltsamen Hund als Maskottchen. Lulu war das Sinnbild ihrer Freundschaft: komisch, unerwartet und sehr tröstlich.

Sie schüttelte die Gedanken an den Chinesischen Schopfhund ab und konzentrierte sich auf das Restaurant. Der Blick hätte ihre Aufmerksamkeit fesseln und ihnen den Atem rauben sollen. Beigefarbener Sand führte hinunter zum mitternachtsblauen Wasser. Ein paar Segelboote lehnten sich in die leichte Brise, und in der Ferne tuckerten Containerschiffe dem Horizont mit seinen exotischen Häfen entgegen.

Aber das hier war Los Angeles. Atemberaubende Ausblicke gab es hier an jeder Ecke. Ob es ein Promi im Supermarkt oder die an den Strand brandenden Wellen des Pazifiks waren. Anstatt über die Schönheit des Augenblicks zu sprechen, verteilte Pam die Speisekarten.

»Es gibt heute ein Burger-Special«, seufzte Pam. »Habt ihr das gesehen? Wenn ich das nehme, kann dann jemand meine Pommes essen?«

»Klar«, sagte Nicole. »Und dafür nehme ich das gesunde Proteingericht.«

Pam rümpfte die Nase. »Natürlich nimmst du den.«

Shannon wusste, dass das Proteingericht aus gekochtem Fisch, Shrimps und etwas gedämpftem Gemüse bestand. Das war sicherlich sehr gesund, aber für die körperbewussten, Bikini tragenden Einheimischen kam es hauptsächlich auf die wenigen Kalorien an.

»Ich nehme auch ein paar Pommes frites«, sagte sie. Die würden gut zu dem Salat passen, den sie grundsätzlich bestellte.

Pam stieß Nicole gegen den Oberarm. »Du bist inzwischen klapperdürr. Du solltest mehr essen.«

»Ich esse ausreichend.«

»Wurzeln und Körner. Nimm doch mal einen Burger.« Pam lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Genieß deinen Stoffwechsel, solange du noch kannst. Denn eines Tages geht alles den Bach runter.«

»Du siehst super aus«, entgegnete Nicole. »Und du bist doch in Topform.«

Pam zog eine Augenbraue hoch. »Wenn du jetzt sagst: ›Für eine Frau in deinem Alter‹, schubse ich dich aus dem Fenster.«

Nicole lachte. »Das würde ich niemals sagen. Du bist nicht mal in der Nähe von irgendeinem gewissen Alter.«

So reden Einunddreißigjährige, dachte Shannon trocken. Was sie betraf, verging die Zeit mit jedem Tag schneller. Sie konnte kaum glauben, dass sie in wenigen Monaten schon vierzig wurde. Wenn sie Pams und Nicoles Hände betrachtete und die Eheringe und die Verlobungsringe sah, schienen ihr die Diamanten zuzuzwinkern. Nicht zum ersten Mal überlegte Shannon, dass sie irgendwann doch mal hätte heiraten sollen.

Sie hatte es immer vorgehabt, ja, sie war sogar fest davon ausgegangen, eines Tages zu heiraten. Nur war für sie der Beruf immer vorgegangen – womit die Männer, die sie kannte, ein Problem hatten. Je erfolgreicher sie wurde, desto schwerer wurde es, ein Date zu finden. Oder überhaupt einen Mann zu finden, der ihre Hingabe an den Job billigte. In letzter Zeit kam es ihr außerdem beinahe unmöglich vor, jemanden zu finden, der sowohl interessant als auch attraktiv war.

Kurz spielte sie mit dem Gedanken, das zur Sprache zu bringen. In Zeitschriftenartikeln stand, dass sie ausgehen, sich unter Leute mischen sollte, wenn sie einen Mann kennenlernen wollte. Sie musste gewillt sein, all ihren Freundinnen und Freunden zu erzählen, dass sie ernsthaft auf der Suche war. Allerdings hatte Shannon den schleichenden Verdacht, dass die Artikel in den Frauenzeitschriften von Menschen geschrieben wurden, die keine Ahnung hatten, wovon sie sprachen. Außerdem war sie nicht gerade erpicht darauf, Mitleid zu ernten. Sie war eine erfolgreiche, vitale Geschäftsfrau. Verdammt, sie war die Finanzchefin einer Firma, die einen Jahresumsatz von über einer Milliarde Dollar erwirtschaftete. Sie brauchte keinen Mann in ihrem Leben. Was nicht bedeutete, dass sie nicht gerne einen hätte.

»Wie geht es meinem Lieblingsjungen?«, fragte Pam.

Nicole lächelte. »Tyler geht es super. Ich fasse es immer noch nicht, dass er in wenigen Monaten schon fünf wird. Die Zeit rast. Im September kommt er in die Vorschule.« Sie hielt inne. »Auf gewisse Weise wird das schön werden. Es bedeutet nämlich weniger Probleme mit der Tagesbetreuung.«

Als sie geendet hatte, schwand ihr Lächeln. Ein Muskel ihrer Wange zuckte, als würde sie die Zähne zusammenbeißen.

Shannon zögerte. Sie wusste nicht, ob sie fragen sollte, was los war. Denn sie kannte die Antwort bereits. Pam und sie waren seit beinahe zwei Jahren in Nicoles Pilateskurs. Getreulich kamen sie jede Woche – was man von den anderen Teilnehmerinnen nicht gerade sagen konnte. Aus irgendeinem Grund schien der Freitagskurs die etwas unzuverlässigeren Schülerinnen anzuziehen.

Folglich waren sie oft nur zu dritt gewesen. Sie hatten zwischen den einzelnen Pilates-Übungen geplaudert und positive wie negative Erlebnisse miteinander geteilt. Shannon wusste, dass Brandon, Pams Jüngster, als Teenager ziemlich wild gewesen war – es war so weit gegangen, dass er betrunken gefahren und das Auto um einen Baum gewickelt hatte. Jetzt war er ein trockener, entschlossener Medizinstudent. Sie hatte zugehört, als Nicole versucht hatte, ihre Verwunderung darüber zu erklären, dass ihr bodenständiger Mann seinen Job gekündigt hatte, um ein Drehbuch zu schreiben und zu surfen. Im Gegenzug hatte Shannon die Probleme in ihrem Privatleben mit den anderen geteilt – ob es die Herausforderung war, die einzige Frau in der Vorstandsetage einer Technologiefirma zu sein, oder die Schwierigkeit, einen Mann zu finden, der sie beim Verfolgen ihrer beruflichen Ziele unterstützte.

Shannon suchte noch nach den richtigen Worten, um möglichst unverfänglich nachzufragen, ob Eric immer noch entschlossen war, Hollywood zu erobern. Pam dagegen nahm kein Blatt vor den Mund.

»Er benimmt sich also immer noch wie ein Idiot?«, fragte sie.

Nicole zog die Nase kraus. »Er ist kein Idiot. Er ist …« Sie zögerte. »Verwirrend. Ich weiß, es sind bereits sechs Monate, also sollte ich darüber hinweg sein, oder? Ich meine, es ist ja nicht so, als hätte ich es nicht gewusst.«

Pam drehte sich zu ihrer Freundin. »Honey, jeder sagt, er will ein Drehbuch schreiben oder bei American Idol mitmachen oder sonst etwas, aber das nimmt man doch nicht ernst. Es gibt Träume, und es gibt das echte Leben. Eric hat eine Frau und einen Sohn. Er hat einen großartigen Job aufgegeben, um zu tippen und zu surfen. Wer tut so etwas?«

Nicole zuckte zusammen. »Er tippt nicht, sondern er schreibt.«

»Haarspalterei. Er trägt weder finanziell noch sonst wie zum Familienleben bei.«

»Er hilft«, widersprach Nicole und seufzte dann. »Na ja, so etwas in der Art. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Du hast recht. Jeder sagt, er will reich oder berühmt sein, und das ist toll. Aber als er nach Hause kam und mir gesagt hat, er hätte gekündigt …« Sie zog die Schultern hoch. »Ich weiß immer noch nicht, was ich dazu sagen soll.«

Das verstand Shannon nur zu gut. Sie war genauso geschockt gewesen wie ihre Freundin – dabei war sie noch nicht mal diejenige, die mit Eric zusammenleben musste. Natürlich hatte jeder Mensch das Recht, seinen Träumen zu folgen. Aber sollten in einer Ehe nicht beide Partner etwas zu sagen haben? Das war es, was sie an Erics Entscheidung so verblüffend fand. Er hatte vorher nicht mit seiner Frau darüber gesprochen oder verhandelt oder sonst irgendetwas. Er hatte seinen Job einfach hingeworfen und es seiner Frau erst danach erzählt.

»Auch wenn ich das nicht in jeder Situation empfehle«, sagte Pam langsam, »aber hast du mal überlegt, ihn mit einem Kissen zu ersticken?«

Nicole lachte leise auf. »Das ist nicht mein Stil.«

»Meiner auch nicht«, gab Pam zu. »Ich bin wesentlich direkter. Aber es ist eine Option.«

Shannon grinste. »Und das von einer Frau, die ihren Hund sorgfältig anzieht, damit ihm nicht kalt wird? Du schwingst zwar harte Reden, aber innerlich bist du weich wie ein Marshmallow.«

»Verrate es keinem«, erwiderte Pam und schaute sich um, als hätte sie Angst, jemand könnte sie belauschen. »Ich habe einen Ruf zu wahren.« Sie berührte Nicoles Hand. »Spaß beiseite. Ich weiß, dass die Situation für dich schwierig ist. Du möchtest ihm etwas Verstand einbläuen, und im Moment kannst du das nicht. Halte durch. Ihr beide liebt einander. Das wird euch darüber hinweghelfen.«

»Das hoffe ich«, sagte Nicole. »Ich weiß, dass er ein guter Kerl ist.«

»Das ist er. Die Ehe ist wie das Leben. Gerade wenn man denkt, man hätte die Sache kapiert, verändert sich alles. Als ich aufgehört habe zu arbeiten, habe ich mich schuldig gefühlt, weil John die ganze finanzielle Last allein tragen musste. Aber wir haben darüber geredet und er hat mich schließlich überzeugt, dass es ihm gefällt, wenn ich zu Hause bin. Ich kümmere mich dort um alles, und er kümmert sich darum, das Geld zu verdienen.«

Das war eine Welt, die sie sich nicht vorstellen konnte, musste Shannon sich eingestehen. Es war, als stamme Pam von einem anderen Planeten. Oder aus einer anderen Zeit. Shannon wusste, dass viele Mütter zu Hause blieben. Der Unterschied war bloß, dass sie keine dieser Mütter kannte. Zumindest nicht als Freundin. Die Mütter, die sie kannte, waren eher wie Nicole – sie rackerten sich ab, um alles unter einen Hut zu bekommen.

Obwohl, wenn sie jetzt darüber nachdachte, hatte sie durchaus einige Freundinnen, die den Beruf aufgegeben hatten, um allein Hausfrau und Mutter zu sein. Nur hatte Shannon dann den Kontakt zu ihnen verloren. Oder sie vielleicht den zu ihr.

»Es gibt immer Durststrecken«, sagte Pam. »Aber wenn ihr euch daran erinnert, warum ihr zusammen seid, werdet ihr die überstehen.«

2. Kapitel

Pam ging von der Garage ins Haus. Lulu folgte ihr auf dem Fuß. Im Vorflur blieben sie beide stehen. Pam holte ihre kleine Handtasche aus der Einkaufstasche, bevor sie diese an einen Haken an der Wand hängte.

Der offene Bereich diente als Auffangstation für alles, was sonst keinen Platz hatte. Es gab einen eingebauten Schrank mit Unmengen an Haken, Regalen und Schubladen, von denen die meisten mit Lulus Kleidung gefüllt waren.

Jetzt beäugte Pam den leichten Pullover, den ihre Hündin trug, und beschloss, dass er warm genug war. Lulu konnte ihn anbehalten, bis sie ins Bett ging. Wie der Rest der Familie trug Lulu zum Schlafen einen Pyjama. Pam war es egal, ob sie dafür ausgelacht wurde. Sie war diejenige, an die sich Lulu unter der Decke kuschelte, und sie wollte, dass sie dabei etwas Weiches, Angenehmes trug.

Sie gingen weiter in die Küche. Nachdem Pam wie immer ihr Handy aus der Tasche genommen und es auf das Sideboard im Flur gelegt hatte, schaute sie in den Schmortopf, den sie am Morgen auf den Herd gestellt hatte. Ein schneller Blick und kurzes Umrühren verrieten ihr, dass das Bœuf bourguignon wunderbar werden würde. Sie gab das Gemüse dazu, das sie bereits vorbereitet hatte, und rührte noch einmal um. Dann ging sie zur Haustür, um die Post hereinzuholen.

Es war angenehm warm geworden. Im Rest des Landes konnte es im Februar Schnee und Eis geben, aber in Südkalifornien standen die Chancen gut, dass es sonnig und trocken blieb. Der heutige Tag bildete keine Ausnahme. Pam schätzte, dass es um die zwanzig Grad warm war. Kaum ein Grund, sich zu beschweren, dachte sie und blätterte auf dem Rückweg vom Briefkasten zum Haus durch die Post.

Mischief Bay war eine Gemeinde an der Küste. Zwischen Redondo Beach und Hermosa Beach gelegen, gab es hier einen kleinen Pier, eine Promenade, viele Restaurants und noch mehr Touristen. Das Meer regulierte die Temperatur, und die ständige leichte Brise sorgte dafür, dass es eigentlich keinen Smog gab.

Sie und John hatten das weitläufige Haus im Ranch-Stil vor Jahren gekauft. Damals war Jennifer, ihre Älteste, wie alt gewesen? Drei? Pam versuchte, sich zu erinnern. Wenn Jennifer drei gewesen war, dann war Steven ein Jahr alt und sie mit Brandon schwanger gewesen.

O ja. Und wie schwanger sie gewesen war. Noch immer stand ihr dieser charmante Moment lebhaft vor Augen, als sie sich vor den Umzugsleuten übergeben hatte. Die Schwangerschaft mit Brandon war schwierig gewesen, sie hatte schrecklich unter Übelkeit gelitten. Das war ein Thema, das sie ab und zu gerne anschnitt, wenn ihr Sohn einen kleinen Dämpfer brauchte. Und welches Kind brauchte den nicht hin und wieder?

Sie wartete, bis Lulu ihr Geschäft in den Büschen erledigt hatte, und musterte derweil die Front des Hauses. Sowohl den Vorgarten als auch den Garten hinter dem Haus hatten sie vor ein paar Jahren komplett neu gestaltet, die Fassade hatten sie ebenfalls streichen lassen. Ihr gefielen die neuen Pflanzen, die ihre runde Auffahrt säumten. Ihr Blick ging zum Dach, das ebenfalls erneuert worden war. Es hatte Vorteile, wenn der eigene Ehemann im Baugewerbe arbeitete – er kannte immer die besten Handwerker.

Lulu trottete zu ihr zurück.

»Bereit, reinzugehen, Süße?«, fragte Pam.

Lulu wedelte mit dem Schwanz und ging voran. Pam schaute noch einmal auf die Post. Rechnungen, ein Brief von einem Versicherungsmakler, von dem sie noch nie gehört hatte – ohne Zweifel Werbung –, zwei Automagazine für John und eine Postkarte von der örtlichen Highschool.

Stirnrunzelnd drehte Pam die Postkarte herum. Was um alles in der Welt konnten sie …?

Lulu verschwand im Haus. Zügig folgte Pam ihr und schloss automatisch die Tür hinter sich. Im Eingangsbereich blieb sie stehen. Das Licht der spätnachmittäglichen Sonne fiel auf den Fliesenboden.

Aber sie sah nichts von alldem. Sie sah gar nichts außer den Worten, die auf die Postkarte gedruckt worden waren.

Abschlussklasse von 2005. An alle Cougars: Merkt euch das Datum! Das Klassentreffen zu eurem Zehnjährigen ist im August.

Da stand noch mehr, doch die Buchstaben verschwammen Pam vor den Augen, als sie versuchte, den Sinn dieser Nachricht zu verarbeiten. Ein zehnjähriges Klassentreffen? Klar, Jennifer hatte 2005 ihren Abschluss gemacht, aber das konnte doch nicht schon zehn Jahre her sein … Denn wenn Jennifer zum Zehnjährigen ginge, war Pam ja die Mutter einer Frau, die ein Klassentreffen zu ihrem zehnjährigen Schulabschluss besuchte.

»Wann bin ich denn bitte alt geworden?«, fragte Pam sich flüsternd.

Unwillkürlich drehte sie sich zum Spiegel über dem Tischchen im Flur um. Die Person, die zurückschaute, sah bekannt und gleichzeitig total falsch aus. Sicher, das schulterlange dunkle Haar war gleich und ihre Augen waren immer noch grünlich braun. Aber alles andere war anders. Nein, nicht anders … Weniger fest.

Um ihre Augen hatten sich feine Fältchen gebildet, und an ihrem Kinn nahm sie eine gewisse Weichheit wahr. Ihre Lippen waren nicht mehr so voll wie früher. Ironischerweise war sie im letzten Jahr fünfzig geworden und so stolz auf sich gewesen, dass sie deswegen nicht ausgeflippt war. Denn heutzutage war fünfzig das neue fünfunddreißig, also keine große Sache, oder?

John hatte eine große Party geschmissen. Sie hatte über die Scherz-Geschenke gelacht und sich damit gerühmt, die große fünfte Null mit Anmut und Stil erreicht zu haben. Ganz zu schweigen von einem ziemlich knackigen Hintern, den sie den drei Pilates-Stunden pro Woche in Nicoles Studio verdankte. Sie hatte sich nicht … alt gefühlt. Aber das war, bevor sie eine Tochter mit einer Einladung zum zehnjährigen Klassentreffen gehabt hatte.

Okay, sie hatte früh Kinder bekommen. Mit neunzehn hatte sie John geheiratet, und Jen war zur Welt gekommen, als Pam zweiundzwanzig gewesen war. Und genauso hatte sie es immer haben wollen.

John und sie hatten sich auf der Mischief Bay Highschool kennengelernt. Er war groß und sexy gewesen, der Star der Footballmannschaft. Seine Familie besaß eine Firma für Sanitärbedarf, die sich darauf spezialisiert hatte, Neubauten auszurüsten und nicht etwa verstopfte Toiletten zu reparieren.

John hatte genaue Pläne für seine Zukunft gehabt. Er würde seinen Abschluss in BWL auf dem Mischief Bay Community College machen und dann Vollzeit in der Firma seiner Eltern anfangen. Von unten würde er sich hocharbeiten, mit vierzig wollte er seine Eltern auszahlen.

Seine Entschlossenheit hatte Pam gefallen. Er wusste, was er wollte, und hatte alles darangesetzt, seine Ziele zu erreichen. Als er sie aus seinen blauen Augen angeschaut und sie gefragt hatte, ob sie ihn auf dieser Reise begleiten würde, war sie mit Feuereifer dabei gewesen.

Jetzt, während sie ihr zugleich seltsam vertrautes und doch fremdes Spiegelbild musterte, fragte sie sich, wie die Zeit so schnell hatte verfliegen können. In der einen Sekunde war sie ein verliebter Teenager gewesen, und nun war sie Mutter einer Achtundzwanzigjährigen.

»Nein«, sagte sie und wandte sich langsam vom Spiegel ab. Sie würde nicht wegen etwas so Lächerlichem wie ihrem Alter in Panik geraten. Sie hatte ein wundervolles Leben. Einen großartigen Ehemann, tolle Kinder und einen seltsamen kleinen Hund. Sie waren alle gesund – bis auf Lulus chronische Probleme – und erfolgreich. Und sie waren glücklich, was das Beste von allem war. Daran würde sie sich erinnern und dankbar sein. Was machte es schon, dass ihr Körper nicht mehr so straff war? Schönheit ging nur bis zur Hautoberfläche. Sie besaß Weisheit, und das zählte wesentlich mehr.

Zurück in der Küche, schaltete sie den Fernseher ein, der an der Wand hing. John kam immer zwischen Viertel nach fünf und halb sechs nach Hause. Um sechs Uhr aßen sie zu Abend – und zwar immer etwas, das sie selbst gekocht hatte. Samstags gingen sie entweder in ein Restaurant oder verbrachten den Abend mit Freunden. Am Sonntagnachmittag kamen die Kinder und sie warfen den Grill an. Am Memorial Day gaben sie jedes Jahr eine große Party mit Barbecue. Sie lebten in L. A. Hier legte man im Zweifel einfach ein Stück Fleisch auf den Grill.

Routiniert suchte sie die Zutaten für ihre beliebten Biscuits, eine Art Buttermilchbrötchen, zusammen. Mehl, Backpulver, Backfett, Zucker, Buttermilch. Schon vor Jahren hatte sie aufgehört, sich streng an bestimmte Rezepte zu halten, denn sie wusste, was sie tat. John mochte, was sie kochte, und wollte nicht, dass sie etwas veränderte. Sie hatten ihre Gewohnheiten. Alles war behaglich.

Während sie das Mehl in die Schüssel gab, sagte Pam sich, dass behaglich nicht das Gleiche war wie alt. Behaglich war nett. Freundlich. Routine bedeutete, dass alles glatt lief.

Nachdem sie das Backfett hinzugefügt hatte, bedeckte sie die Schüssel, um den Teig gut zwanzig Minuten ruhen zu lassen.

Lulu saß geduldig neben ihrem Napf. Als Pam sich näherte, wedelte die Hündin mit ihrem fluffigen Schwanz und riss hoffnungsvoll die Augen auf.

»Ja«, sagte Pam. »Du hast recht, es ist Zeit für dein Abendessen.«

Die Hündin bellte einmal kurz und folgte Pam dann zum Kühlschrank, wo ihr Dosenfutter wartete.

Lulus Ernährung war eine ständige Herausforderung. Sie war klein, also brauchte sie nicht viel. Aber sie hatte Allergien und Hautprobleme, ganz zu schweigen von einem empfindlichen Magen. Deshalb vertrug sie nur Hundefutter, das vom Tierarzt verschrieben wurde und aus einer neuartigen Proteinmischung bestand. In ihrem Fall aus Ente und Süßkartoffel.

Pam stellte eine Tasse Wasser in die Mikrowelle und schaltete diese ein. Nachdem sie die richtige Menge Hundefutter in den Futternapf gegeben hatte, erwärmte sie das Dosenfutter, während sie das Trockenfutter mit dem heißen Wasser vermischte. Anschließend rührte sie alles zusammen. Denn Lulu hatte empfindliche Zähne und konnte kein normales Trockenfutter fressen. Das Futter musste für sie in heißem Wasser eingeweicht werden.

Dieses Ritual vollführen wir jeden Abend, dachte Pam und nahm den Napf in die Hand. Lulu setzte sich sofort hin, wie sie es sollte, und stürzte sich dann auf die Schüssel, sobald Pam ihr das Signal gegeben hatte. In weniger als acht Sekunden war alles verschwunden.

»Du weißt schon, dass du heute Morgen Frühstück und nach dem Mittagessen einen Snack gehabt hast, oder? Du tust gerade so, als bekämst du nur einmal in der Woche was zu fressen.«

Lulu war zu sehr damit beschäftigt, ihren Napf auszulecken, um zu reagieren.

Pam rollte den Teig aus und legte ihn auf das Backblech. Dann deckte sie ihn mit einem frischen Geschirrhandtuch ab und schaltete den Ofen ein. Kaum hatte sie den Tisch gedeckt, hörte sie auch schon das leise Rumpeln des Garagentors. Lulu rannte aufgeregt bellend und fiepend den Flur hinunter.

Fünf Minuten später betrat John mit ihrem albernen kleinen Hund auf dem Arm die Küche. Pam lächelte ihn an und reckte den Kopf für den abendlichen Begrüßungskuss. Als ihre Lippen einander berührten, krabbelte Lulu von Johns Armen auf ihre und leckte ihnen beiden dann mit der Zunge übers Kinn.

»Wie war dein Tag?«, fragte John.

»Gut. Und deiner?«

»Nicht schlecht.«

Während er sprach, nahm er die Flasche Wein, die Pam auf die Arbeitsplatte gestellt hatte. Es war ein Cabernet von einem Weingut, das sie vor ein paar Jahren auf einem Ausflug nach Napa besucht hatten.

»Steven arbeitet an einem Angebot für das neue Hotel, über das alle reden. Es liegt direkt am Wasser und ist sehr luxuriös. Er sagt, sie wollen vielleicht Badarmaturen aus vierundzwanzigkarätigem Gold im Penthouse einbauen. Ist das zu fassen?«

»Wow. Wer macht denn so was? Es ist ein Hotel. Da muss alles jeden Tag geschrubbt werden. Aber wie reinigt man Gold?«

»Ich weiß.« John zog die Schublade auf, um den Korkenzieher herauszuholen. »Es ist nur ein Badezimmer. Das sind Idioten. Aber wen interessiert’s, wenn der Scheck gedeckt ist.«

Während sie miteinander sprachen, musterte Pam den Mann, mit dem sie seit einunddreißig Jahren verheiratet war. Er war groß, über einsachtzig, und hatte dichtes Haar, das langsam grau wurde. In dem Dunkelblond fielen die grauen Strähnen nicht so auf, aber sie waren da. Doch da er ein Mann war, machte ihn das nur attraktiver. Vor ein paar Monaten hatte er sie gefragt, warum sie noch keine grauen Haare hatte. Als sie ihn daran erinnert hatte, dass sie alle sechs Wochen zur Friseurin ging, war er geschockt gewesen. Ihm war nie in den Sinn gekommen, dass sie ihre Haare färbte, denn er glaubte, sie wäre von Natur aus schön.

Dummer Mann, dachte sie zärtlich und sah ihn weiter an.

Er hatte ein paar Fältchen um die Augen, aber ansonsten sah er noch so aus wie damals, als sie sich kennengelernt hatten. Seine breiten Schultern hatten sie schon immer angezogen. Heutzutage behauptete er zwar, er müsse zehn oder fünfzehn Pfund abnehmen, aber sie fand, er sah einfach fabelhaft aus.

Er war auf etwas raue Art attraktiv. Und er war ein guter Mann – liebevoll und großzügig. Er liebte seine Frau, seine Kinder und seine Routine. Natürlich hatte er auch seine Macken, aber die waren winzig, und Pam konnte gut mit ihnen leben. Eigentlich konnte sie sich bei John über nichts beschweren. Sie fand nur ihr eigenes Älterwerden etwas nervig.

Nachdem John die Weinflasche geöffnet hatte, prüfte er den Korken mit dem Daumennagel. Dann schenkte er ihnen beiden je ein Glas ein. Pam schob währenddessen die Buttermilchbrötchen in den Ofen und stellte die Uhr.

»Was gibt es heute?«, fragte er, als er ihr das Glas reichte.

»Bœuf bourguignon und Biscuits.«

Sofort breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Ich bin ein sehr glücklicher Mann.«

»Und noch glücklicher wirst du sein, wenn du morgen die Reste mit in die Firma nehmen kannst.«

»Du weißt, wie sehr ich Reste liebe.«

Das ist kein Witz, dachte sie, als sie ihm durch die Küche folgte. Seine Vorstellung vom Himmel war es, am nächsten Tag zum Lunch irgendein Stück rotes Fleisch mit Resten vom Vortag zu haben. Er war wirklich einfach zufriedenzustellen.

Sie setzten sich in den Wintergarten auf der Rückseite des Hauses. In den kühleren Monaten blieb es hier durch die großen Glasfronten schön warm. Im Sommer konnten sie die Fensterscheiben komplett herausnehmen und hatten so eine überdachte Terrasse.

Lulu war ihnen gefolgt und sprang auf das kleine Sofa, auf dem Pam Platz genommen hatte, und machte es sich neben ihr gemütlich. Pam kraulte der Hündin die Ohren, während John sich in seinem Fernsehsessel zurücklehnte – dessen Gegenstück im Fernsehzimmer stand – und zufrieden seufzte.

»Hayley ist wieder schwanger«, sagte er. »Das hat sie mir heute Morgen erzählt. Sie hat bis zum dritten Monat gewartet, um es offiziell zu machen.«

Pam schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, gab sie zu. »Das arme Mädchen.«

»Ich hoffe, dieses Mal kann sie es austragen«, erwiderte John. »Ich weiß nicht, wie lange ich es noch ertrage, sie so leiden zu sehen.«

Hayley war Johns Sekretärin. Sie wünschte sich sehnlichst ein Kind, hatte aber in den letzten drei Jahren bereits vier Fehlgeburten erlitten. Es war also der fünfte Versuch. Rob, Hayleys Mann, hatte sich bezüglich einer Adoption oder einer Leihmutter umhören wollen, aber Hayley war besessen davon, ihr Baby auf die herkömmliche Art zu bekommen.

»Ich sollte ihr eine Karte schicken«, sagte Pam und schüttelte dann den Kopf. »Oder vielleicht lieber nicht.« Sie trank einen Schluck von ihrem Wein. »Ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll.«

»Da musst du mich nicht ansehen. Das ist ein Frauenthema.«

»Und wenn du dich zu sehr darauf einlässt, wachsen dir Brüste?«

»Genau.«

»Ich schicke ihr eine Karte«, beschloss sie. »Ich kann ja sagen, dass wir ihr die Daumen drücken. Hat der Arzt gesagt, ob sie es schafft, wenn sie die ersten drei Monate übersteht?«

Ihr Ehemann runzelte die Stirn. »Ich weiß es nicht. Vermutlich hat sie es mir erzählt, aber ich will ja nicht mal wissen, wenn sie auf die Toilette geht. Diese ganze Babysache ist mir viel zu intim.«

»Was diese Themen angeht, bist du ein typischer Mann, oder?«

Lächelnd hob er das Glas zum Toast. »Und deshalb liebst du mich.«

Damit hatte er recht. Sie liebte es, dass er verlässlich und vorhersehbar war. Selbst wenn sie sich ab und zu etwas anderes in ihrem Leben wünschte. Eine Überraschungsreise oder ein schickes Armband. Aber das war nicht Johns Stil. Er würde niemals eine Reise planen, ohne vorher mit ihr darüber gesprochen zu haben. Und was Schmuck anging, war er eher jemand, der sagte: »Hier, kauf dir was Schönes.«

Und eigentlich war ihr das auch recht. Sie hatte zu viele Freundinnen, die Überraschungen der nicht so gelungenen Art erlebt hatten. Zum Beispiel andere Frauen oder eine Scheidung. John suchte nicht nach mehr, als sie ihm bieten konnte. Er mochte seinen geregelten Tagesablauf, und das zu wissen, tröstete sie.

»Jen hat heute Post von der Highschool bekommen«, erzählte Pam. »Eine Einladung zum zehnjährigen Abschlusstreffen.«

»Okay.«

»Findest du es nicht verblüffend, dass wir eine Tochter haben, die so alt ist, dass sie seit zehn Jahren aus der Highschool raus ist?«

»Sie ist achtundzwanzig. Da kommt das Klassentreffen gerade zum richtigen Zeitpunkt.«

Pam trank noch einen Schluck. »Ich war geschockt. Ich bin noch nicht bereit, eine so alte Tochter zu haben.«

»Tja, nun ist es zu spät, sie zurückzugeben. Sie ist schon gebraucht.«

Trotz ihrer Bekümmerung von vorhin musste Pam nun lachen. »Lass sie das bloß nicht hören.«

»Keine Angst.« Er lächelte sie an. »Und du bist nicht alt, meine Süße. Du stehst in der Blüte deines Lebens.«

»Danke.« Als sie die Küchenuhr piepsen hörte, stand Pam auf. »Das ist unser Abendessen.«

John hob Lulu hoch und folgte Pam in die Küche. Während Pam das Essen servierte, rief sie sich in Erinnerung, dass sie sehr viel Glück hatte. Das bisschen schlaffe Haut und ein paar Ecken und Kanten änderten nichts an ihr als Person. Sie hatte viel Glück gehabt und führte ein wunderbares Leben. Und wenn es kein Kribbeln in der Beziehung mehr gab … Nun, das war zu erwarten gewesen. Hatte sie nicht schon ihr ganzes Leben lang gehört, dass man nicht alles haben konnte?

Es ist nur ein Drink, ermahnte Shannon sich, als sie die Tür zum Olives öffnete, der Martini-Bar mit Restaurant, in der sie sich mit ihrem Date traf. Ihrem Online-Date.

Sie wollte kurz stehen bleiben und vielleicht den Kopf gegen die Wand schlagen. Warum tat sie sich das an? So etwas ging doch niemals gut. Dates waren nicht gerade ihre Stärke. Sie war eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Sie verdiente sechsstellig und schaffte es jedes Jahr, die volle Summe in ihren Pensionsplan einzuzahlen. Sie hatte Freundinnen, sie hatte eine wunderschöne Wohnung mit Meeresblick. Okay, im Laufe der Jahre hatte es einige Beziehungen gegeben, und zweimal war sie sogar verlobt gewesen, doch beide Male nicht länger als fünfzehn Minuten. Aber keine Ehe. Nicht für sie.

Um die Wahrheit zu sagen: Sie hatte keine guten Liebesbeziehungen gehabt. Vielleicht lag es an ihr, vielleicht an den Männern, aber sie musste langsam akzeptieren, dass sie nicht alles haben konnte. Warum also begab sie sich wieder einmal freiwillig in den Albtraum namens Date? Und schlimmer noch – Online-Date.

Der einzige Lichtblick war, dass ProfessionalLA.com eine halbwegs seriöse Seite war, die ihre Mitglieder vorab überprüfte. Der Mann würde also aussehen wie auf seinem Profilfoto, und es würde keine Haftstrafen oder Ähnliches in seiner Vergangenheit geben. Aber die Entfernung zwischen dieser Tatsache und einem Happy End schien Shannon gerade unüberwindbar.

Und trotzdem war sie hier. Sie würde hineingehen und Hallo sagen. Sie würde freundlich sein. Und sobald sie verschwinden konnte, ohne unhöflich zu wirken, würde sie zu ihrem Büro zurücklaufen, ihr Auto holen und nach Hause fahren. Ein Glas Wein, versprach sie sich. Das würde sie überleben. Vielleicht war Wie-hieß-er-noch-gleich ja auch total super.

Als die Panik einsetzte, blieb Shannon erneut stehen. Wie hieß der Kerl denn noch mal? Mist. Sie ging weiter, während ihr Gehirn fiebrig nach den entsprechenden Synapsen ihres Kurzzeitgedächtnisses suchte. Andrew? Irgendetwas mit A. Adam? Richtig. Adam. Adam und ein Nachname, den sie sich nicht merken würde. Er verkaufte vielleicht Autos. Er war in ihrem Alter, geschieden und möglicherweise blond?

Sie machte sich eine mentale Notiz, den Profilen ihrer möglichen Verehrer künftig etwas mehr Zeit zu widmen. In der Hoffnung, jemanden zu sehen, der ihr vage vertraut vorkam, ließ sie den Blick über die Leute in der Bar schweifen.

Ein Mann erhob sich und lächelte ihr zu. Er war ungefähr einsachtzig groß, hatte dunkles Haar, braune Augen und ein schiefes Lächeln. Er war gebräunt und fit, aber nicht auf eine nach Aufmerksamkeit heischende Weise. Und er schaute sie an, als würde ein Affe auf ihrem Kopf hocken.

Sie bemühte sich, lässig zu wirken, als sie vorsichtig einen Blick über die Schulter warf, um zu sehen, dass sie nicht von Taylor Swift oder sonst jemandem verfolgt wurde, der einen erwachsenen Mann dazu bringen konnte, einfach nur zu starren. Doch da war niemand Bemerkenswertes. Also ging sie weiter auf ihn zu und hoffte auf das Beste.

»Shannon?«, fragte er, als sie näher kam.

»Ja. Hi.«

»Ich bin Adam.« Er streckte die Hand aus und schüttelte ihre. »Danke, dass du dich mit mir triffst.«

Er betrachtete sie weiter auf eine Weise, die nahelegte, dass etwas zwischen ihren Zähnen steckte oder ihr auf dem fünfminütigen Fußweg vom Büro hierher eine Warze auf der Nase gewachsen war. Es konnte nicht daran liegen, dass sie anders aussah als auf ihrem Foto, denn sie hatte ein professionelles Profilbild von sich benutzt. Also nichts, was zu vielversprechend war.

Sie setzten sich.

Das Olives war ein Ort, an den es sowohl Einheimische als auch Touristen zog. Die Bar war hell erleuchtet, ohne dass jedoch das Gefühl aufkam, man würde in einem Diner sitzen. Die Tische standen weit genug auseinander, dass man sich unterhalten konnte, ohne fürchten zu müssen, der Nachbartisch würde mithören. Das dazugehörige Restaurant war auf gehobene Weise lässig und bot ausgewählte Speisen an. Abgesehen von ein paar gemalten Bildern mit Oliven und Martinigläsern an der Wand hatten sie es mit dem Motto nicht allzu sehr übertrieben.

Shannon gefiel die Bar für ein erstes Treffen, weil sie hier oft genug herkam, um mit den Mitarbeitern und allen Notausgängen vertraut zu sein. Wenn das Date schiefging, konnte sie einfach nach Hilfe rufen oder flüchten. Außerdem lag das Olives in Laufweite ihres Büros. Sie musste sich also keine Gedanken darüber machen, ob sie sich einen zweiten Drink gönnen konnte. Wenn es an der Zeit war, zu gehen, und sie sich nicht mehr hinters Steuer setzen wollte, konnte sie einfach ins Büro zurückkehren und sich mit irgendeiner anspruchslosen Aufgabe beschäftigen, bis sie wieder bereit war, die sechsminütige Fahrt zu ihrem Appartement anzutreten.

Adams Blick ruhte immer noch auf ihr. Shannon ertrug es nicht länger.

»Sie starren mich an«, sagte sie so freundlich wie möglich. »Stimmt etwas nicht?«

Seine Augen weiteten sich, dann wandte er kurz den Blick ab, bevor er sie wieder anschaute. »Nein. Sorry. Tut mir leid. Ich bin ein Idiot. Es ist nur … Sie … wow. Sie haben mir ein Foto geschickt, und das war so umwerfend, dass ich dachte, es müsste ein Fehler passiert sein. Und als ich Sie jetzt gerade gesehen und erkannt habe, dass Sie in echt noch schöner sind …« Er verstummte und räusperte sich. »Können wir noch mal von vorne anfangen, oder wollen Sie lieber gehen?«

Seine Miene drückte zu gleichen Teilen Verzweiflung und Hoffnung aus. Shannon versuchte, sich zu erinnern, wann das letzte Mal jemand von ihrem Aussehen so verstört gewesen war. Sie wusste, dass sie nicht schlecht aussah, und wenn sie sich bemühte, konnte sie wirklich etwas aus sich machen. Aber sie war keine Frau, der Männer sabbernd hinterherschauten. Oder die angestarrt wurde.

Sie lächelte. »Wir können noch mal von vorn anfangen.«

»Gut. Ich werde mein Bestes geben, nicht furchteinflößend zu wirken.« Er lächelte. »Es ist wirklich nett, Sie kennenzulernen, Shannon.«

»Offensichtlich.«

Er lachte leise und winkte dem Kellner. »Was kann ich Ihnen zu trinken bestellen?«

Sie entschied sich für ein Glas Rotwein und er für einen Scotch. Dazu bestellte er den Käseteller mit Obst. Als sie wieder allein waren, lehnte Shannon sich auf ihrem Stuhl zurück.

Er ist nett, dachte sie. Ein wenig ungelenk, was bedeutete, dass er nicht oft ausging. Also war er zumindest kein Player. Von denen brauchte sie wahrlich nicht noch mehr in ihrem Leben. Und er war geschieden, wenn sie sich recht erinnerte.

»Also, Adam«, sagte sie. »Erzählen Sie mir von sich.«

»Was wollen Sie wissen?«

Alles, was in deinem Profil gestanden hat, dachte sie und wünschte, sie wäre ein klein wenig aufmerksamer gewesen. Die Sache war die, dass sie Online-Dating nicht mochte. Sie zählte darauf, dass die Online-Plattform die Kandidaten überprüfte, und entschied sich dann relativ schnell für ein persönliches Treffen. Für sie boten E-Mails und ein paar Telefonate keinerlei Anhaltspunkte dafür, wie es auf persönlicher Ebene lief.

»Wohnen Sie hier in der Gegend?«, fragte sie.

»Ja.« Sein Lächeln kehrte zurück. »Ich bin in Mischief Bay geboren und aufgewachsen. Der Großteil meiner Familie lebt immer noch in der Gegend, weshalb es schwer ist, mit irgendetwas durchzukommen.«

»Haben Sie das denn versucht?«

Er lachte laut auf. »Das habe ich aufgegeben, als ich noch ein Teenager war. Ich bin ein ganz schlechter Lügner, und wenn ich eine Grenze überschreite, werde ich erwischt. Also mach ich mir gar nicht mehr die Mühe.«

Sein Lächeln schwand. »Sie stehen doch nicht etwa auf böse Jungs, oder?«

Früher hatte sie das getan, und ihr Herz wies Narben auf, die das belegten. »Nicht mehr. In der Theorie sind die toll, aber im Leben geht es nicht um die Theorie, sondern um echte Menschen, die sich die Zeit nehmen, für einen da zu sein.«

»Das sehe ich genauso.«

Adam lehnte sich über den schmalen Tisch zu ihr herüber. »Sie arbeiten im Finanzbereich?«

»Ja. Ich bin die CFO einer Softwarefirma.«

Sie versuchte, normal zu klingen, denn leider neigte sie dazu, sowohl defensiv als auch stolz zu sein, wenn sie über ihren Job sprach. Was eine eher unangenehme Kombination war.

Das Problem war, den meisten Männern widerstrebte ihr Erfolg. Und die anderen fühlten sich davon eingeschüchtert. Ein paar hatten sie als Mittel zu einem lockeren Leben betrachtet, aber zum Glück waren diese Typen normalerweise nicht sonderlich subtil, was ihre Hoffnungen anging. Diejenigen, die akzeptierten, dass sie erfolgreich war und hart arbeitete, waren die, die zu behalten es sich lohnte. Doch diese Männer waren rar gesät und daher schwer zu finden.

»Stehen Sie auf der Liste für eine Beförderung an die Firmenspitze? Werden Sie bald zum Vorstand gehören?«, fragte er.

Sie lächelte. »Nein. Ich bin zufrieden damit, die Königin des Scheckbuchs zu sein. Mir gefällt die finanzielle Seite der Dinge.« Sie beugte sich ebenfalls vor und senkte die Stimme. »Software ist nicht so meine Sache. Ich bin am Computer zwar besser als die meisten, aber es war für mich nie leicht. Sie sollten einige der College-Kids sehen, die wir jedes Jahr anstellen. Die sind brillant. Was ist mit Ihnen?«

»Ich bin nicht brillant.«

Shannon lachte. »Danke für den Hinweis. Ich meine, erzählen Sie mir von Ihrer Arbeit.«

»Ach so. Meine Familie ist im Baugewerbe. Hauptsächlich Großprojekte wie Bürogebäude und Hotels. Ich bin der Bauleiter bei einem Hotelbau, um den wir uns gerade kümmern. Das Projekt befindet sich südlich von Marina del Rey. Luxuriös, zwanzig Stockwerke.«

Beeindruckend, dachte sie. »Bauleiter klingt nach viel Verantwortung.«

Adam grinste. »Ich stehe herum und sage den anderen, was sie zu tun haben. Das ist besser als ein echter Job.«

Der Kellner kehrte mit den Getränken und der Käseplatte an ihren Tisch zurück. Adam hob sein Glas.

»Auf schöne Überraschungen.«

Sie stieß mit ihm an und dachte, dass das eine perfekte Beschreibung für ihn war. An das Date hatte sie keinerlei Erwartungen gehabt, aber sie stellte fest, dass sie Spaß hatte. Bisher war Adam lustig und charmant gewesen, und sie hatte sogar Anzeichen dafür gesehen, dass er ein wirklich netter Mann war. Sie wusste zwar, dass sie sich keine allzu großen Hoffnungen machen sollte, aber bisher war der Abend besser verlaufen, als sie es sich vorgestellt hatte.

»Erzählen Sie mir von der Familie, die Ihnen nichts durchgehen lässt«, bat sie.

»Wir sind fünf Kinder. Bis auf meinen einen Bruder könnten wir alle von hier aus problemlos zu Fuß zu unseren Häusern laufen. Genauso wie zu dem Haus meiner Eltern.« Er zuckte mit den Schultern. »Mein jüngster Bruder wohnt an der Ostküste, aber er hatte schon immer das Gefühl, etwas beweisen zu müssen.«

Shannon schaute ihn an. »Sie haben vier Geschwister?«

»Ich weiß. Ich habe meinem Dad gesagt, dass Wissenschaftler inzwischen herausgefunden haben, was eine Schwangerschaft verursacht, aber er meinte, er und meine Mom hätten sich immer eine große Familie gewünscht. Ich muss sagen, es war schön, so aufzuwachsen.«

»Und laut«, murmelte sie.

»Ja, das auch.«

»Wie viele Jungs und wie viele Mädchen?«

»Drei Jungs, zwei Mädchen, immer abwechselnd. Ich bin der Mittlere. Mein älterer Bruder hatte kein Interesse am Familiengeschäft. Er ist Grafikdesigner und sehr talentiert. Meine ältere Schwester wollte immer Tierärztin werden. Also wurde Dad, als ich so sechs oder sieben war, allmählich nervös, weil keiner seiner Nachkommen in die Firma einsteigen würde. Zum Glück hat es mir schon immer Spaß gebracht, Sachen zu bauen. Meinen ersten Job in der Firma habe ich bekommen, als ich vierzehn war.«

Er nahm sich ein Stück Käse. »Ich weiß. Nicht sonderlich aufregend.«

»Aufregung wird vollkommen überbewertet«, murmelte sie. Was für eine Geschichte. Was für ein Mann. Wo war der Haken? War er emotional unerreichbar? Führte er ein geheimes Leben als Serienmörder? Es musste etwas geben, denn so viel Glück konnte sie einfach nicht haben.

»Wo sind Sie aufgewachsen?«, wollte er wissen.

»In Riverside. Ich bin Einzelkind, also habe ich keine Erfahrung mit einem lauten Zuhause. Bei mir war es immer ruhig.«

»Waren Sie das klügste Mädchen in der Klasse?«

»Manchmal. Ich mochte Mathe, was mich für die meisten Mitschüler inakzeptabel gemacht hat. Aber ich war nicht gut genug, um es zu studieren. Finanzen kamen mir wie ein interessanter Zeitvertreib vor.«

Um seine Augen bildeten sich kleine Lachfältchen. »Angenommen, ich würde jedes Mal, wenn ich mich freue, die Finanzen der Firma zu prüfen, ein 5-Cent-Stück bekommen …«

»Dann hätten Sie kein 5-Cent-Stück?«

»So in der Art.«

Sie lächelte. »In Ihrem Profil stand, dass Sie geschieden sind.«

Er nickte. »Es ist jetzt beinahe ein Jahr her. Aber wir waren davor schon einige Zeit getrennt.« Er zuckte mit den Schultern. »Es war nichts Dramatisches. Wir haben sehr jung geheiratet und im Laufe der letzten Jahre erkannt, dass wir nicht gerne Zeit miteinander verbringen.«

Etwas an seiner Art zu reden sorgte dafür, dass Shannon sich vorlehnte. Da steckte doch noch mehr hinter der Geschichte.

»Das ist kein Spaß«, sagte sie leise.

»Wem sagen Sie das.« Er schaute sie an und fluchte dann leise. »Verdammt. Okay, sie hat mich betrogen. Ich sage das nicht gerne, weil es mich wie einen Idioten dastehen lässt. Ich habe es nicht gewusst. Sie ist eines Tages zu mir gekommen und hat gesagt, sie hätte eine Affäre und sich in den Typen verliebt. Sie wollte ihn nicht heiraten oder so, aber sie hatte erkannt, wenn sie in einen anderen verliebt sein konnte, war sie nicht mehr in mich verliebt.«

Er schob sein Glas auf dem Tisch hin und her. Die Anspannung zupfte an seinen Mundwinkeln. »Ich war schockiert und verletzt und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich habe mir ein paar Sachen geschnappt und bin noch an dem Abend ausgezogen. Ungefähr einen Monat später, als mein Stolz und mein Ego mir nicht mehr so sehr im Weg standen, habe ich erkannt, dass wir uns schon vor langer Zeit auseinandergelebt hatten.«

»Das muss schwer gewesen sein«, sagte Shannon und überlegte, dass sie ihn, wenn er ihr wirklich die Wahrheit erzählte, mit jeder Sekunde mehr mochte.

»Das war es. Wir haben zwei Kinder – Charlotte ist beinahe neun und Oliver ist sechs. Wir teilen uns das Sorgerecht. Eine Woche sind die Kinder bei mir, eine Woche sind sie bei ihr. Tabitha und ich wohnen nur zwei Blocks voneinander entfernt. Für uns ist das ein wenig unangenehm, aber für die Kinder ist es so leichter.« Der Humor kehrte in seine Augen zurück. »Meine Eltern und drei meiner Geschwister wohnen ebenfalls in der Gegend, also wage ich mich so weit vor und behaupte, für Tabitha ist es wesentlich unangenehmer als für mich.«

»Solange es funktioniert«, kommentierte Shannon.

»Und Sie?«, fragte er.

Ach ja, die unausweichliche Frage. »Keine Kinder, kein Ex-Mann. Ich war zweimal verlobt, hab es aber nie bis zum Altar geschafft.«

»Wer hat die Entscheidung getroffen?«

»Einmal er, einmal ich.«

Sie hatte außerdem eine lange On-off-Beziehung mit einem Musikproduzenten gehabt. Der Mann hatte ihr nicht gutgetan, aber es gab keinen Grund, ihn zu erwähnen. Zumindest nicht beim ersten Date.

»Was machen Sie in Ihrer Freizeit?«, wollte Adam wissen.

»Ich liebe es zu reisen. Mir zwei, drei Wochen Zeit nehmen und irgendwohin fahren, wo ich noch nie war.«

»Zum Beispiel?«

Sie lächelte. »Ich war schon auf allen Kontinenten, außer in der Antarktis. Ich hatte überlegt, mit einem Kreuzfahrtschiff hinzufahren, aber nachdem vor Jahren mal eines dort im Eis stecken geblieben ist und es in die Schlagzeilen geschafft hat, habe ich meine Meinung geändert.«

»Wohin geht Ihre nächste Reise?«

Sie lachte. »Sie werden schockiert sein.«

»Das bezweifle ich.«

»Okay. Zum Machu Picchu.«

Seine Pupillen weiteten sich leicht. »Erinnern Sie mich daran, Ihnen nächstes Mal zu glauben … Das liegt in Peru, oder?«

»Ja. Ich fahre mit einer Freundin, und es wird super. Wir werden den Inka-Pfad entlangwandern. Die Ruinen liegen zweieinhalbtausend Meter über dem Meeresspiegel, deshalb mache ich mir ein wenig Sorgen bezüglich meiner körperlichen Fitness. Ich bin …«

Ein vertrauter Klingelton erklang, und sie griff nach ihrer Handtasche.

»Sorry«, sagte sie, als sie das Handy herausholte und einen Blick auf das Display warf. »Das ist die Arbeit, da muss ich leider ran.«

Sie war schon aufgestanden und ging zur Tür. Auf dem Bürgersteig nahm sie den Anruf an.

»Hi, hier ist Shannon.«

»Len Howard vom Büro in Seoul. Tut mir leid, dass ich dich störe, aber wir haben ein Problem mit dem Finanzminister von Südkorea. Er besteht darauf, mit dir zu sprechen.«

Shannon warf einen Blick zurück zur Bar und sah, dass Adam in ihre Richtung schaute. Adam, der ziemlich nah an perfekt war.

»Nach den letzten Gesprächen mit ihm schätze ich, dass er in den nächsten paar Minuten einen Rückruf von mir erwartet.«

»Wenn es möglich ist.«

Der Finanzminister war ein mächtiger Mann, und sie brauchte seine Hilfe mit ein paar Bankvorschriften. Nolan, ihr Boss, wollte, dass sie das Hauptquartier für Asien in Seoul aufbauten, weshalb Shannon sich mit dem Finanzminister gutstellen musste.

»Bitte sag ihm, dass ich ihn in fünfzehn Minuten aus meinem Büro zurückrufe«, sagte sie.

»Mach ich.«

Shannon kehrte ins Restaurant zurück. Adam erhob sich, als sie sich dem Tisch näherte.

»Alles in Ordnung?«, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. »Es tut mir so leid. Ich muss noch mal ins Büro. Es gibt eine Krise in Südkorea, und ich muss in fünfzehn Minuten am Telefon sein.«

»Schade. Ich hatte gehofft, wir könnten noch zusammen zu Abend essen. Soll ich warten?«

Sie wollte Ja sagen. Dieser Mann war ein unerwarteter Fund. Aber sobald sie wieder Ruhe in die geschäftlichen Angelegenheiten gebracht hatte, würde sie ihren Chef anrufen und einigen Papierkram erledigen müssen.

»Es wird spät.« Sie lächelte ihn an. »Aber ich habe das Treffen mit Ihnen sehr genossen.«

Sie wollte noch mehr sagen. Wollte ihn bitten, sich von dem, was sie tat, nicht einschüchtern zu lassen. Sie wollte sagen, dass es toll wäre, wenn er sie wiedersehen wollte. Doch stattdessen griff sie nach ihrem Portemonnaie.

»Auf keinen Fall«, sagte er. »Ich übernehme das. Gehen Sie zu Ihrem Telefonat.«

»Danke.«

Sie wartete noch eine Sekunde in der Hoffnung, er würde mehr sagen. Als er es nicht tat, lächelte sie ihn an. »Es war wirklich schön, Sie kennenzulernen.«

»Gleichfalls.«

Sie ging zur Tür und trat in den kühlen Abend hinaus. Ihr Büro lag nur wenige Straßen entfernt. Sie würde es ohne Probleme rechtzeitig schaffen.

Die Gedanken wirbelten durch ihren Kopf und kämpften um ihre Aufmerksamkeit. Wenn doch nur … dachte sie und schob die Worte sofort zur Seite. Sie hatte Karriere machen wollen. Sie hatte erfolgreich sein und wissen wollen, dass sie immer für sich selbst sorgen konnte – egal, was passierte. Und das hatte sie geschafft. Auf keinen Fall würde sie sich deswegen jetzt schlecht fühlen.

Es war nur so, dass sie sich manchmal dabei ertappte, mehr zu wollen.

3. Kapitel

Nicole schaltete die Kaffeemaschine an und lehnte sich gegen die Arbeitsplatte, während sie darauf wartete, dass die Maschine ihren Zauber wirkte. Es war noch früh. Und ruhig. Diese Tageszeit hatte sie am liebsten – außer wenn sie erschöpft war, was sie in letzter Zeit ständig zu sein schien.

Sie sagte sich, dass es irgendwann besser werden würde. Irgendwann würde sie einen Zeitplan hinbekommen, der funktionierte. Tyler würde älter werden und sie weniger brauchen. Eric würde wieder einen echten Job annehmen und anfangen, die Familie zu unterstützen.

Der letzte Gedanke weckte sowohl Schuldgefühle als auch Wut in ihr. Was keine glückliche Kombination war. Denn sosehr sie ihren Ehemann liebte, es gab Zeiten, zu denen sie ihn nicht sonderlich mochte.

Nein, dachte sie. Sie mochte nicht, was er getan hatte. Das war ein Unterschied.

Damals, bevor er seinen gut bezahlten, soliden Job als Softwareentwickler aufgegeben hatte, um Drehbuchautor zu werden, war alles mehr im Gleichgewicht gewesen. Sie hatte sich mit der Rollenverteilung wohlgefühlt. Das tat sie in letzter Zeit nicht mehr so richtig.

Sie mahnte sich zur Fairness. Er hatte natürlich das Recht, seinen Traum zu verfolgen. Und es war auch gar nicht so sehr sein Traum, der ihr zusetzte, sondern die Tatsache, dass Eric sich im Vorfeld nicht mit ihr abgesprochen hatte. Stattdessen hatte er einfach verkündet, was er vorhatte. Und diese Verkündung war zwei Tage nach seiner Kündigung erfolgt.

Sie schloss die Augen vor den Erinnerungen, die sich dennoch in der Küche drängten. Es war ein Freitagmorgen gewesen. Sie hatte in der Küche gestanden, genau wie jetzt, und Eric war in Shorts und T-Shirt hereingekommen.

»Musst du dich nicht für die Arbeit fertig machen?«, hatte sie gefragt.

Er hatte ihre Hand genommen. »Ich muss dir etwas sagen. Ich habe gekündigt. Ich werde ein Drehbuch schreiben.«

Es war noch mehr gesagt worden. Dessen war sie sich sicher. Aber sie hatte nichts mehr gehört außer der kreischenden Angst, die ihren Kopf erfüllt hatte.

Gekündigt? Wie konnte er einfach kündigen? Sie hatten einen Hauskredit abzuzahlen. Nicole war immer noch dabei, ihrer alten Chefin die Raten für den Kauf des Studios zu zahlen. Sie hatten einen vierjährigen Sohn und mussten fürs College sparen. Und sie hatten kaum etwas auf der hohen Kante. Die Entscheidung für ein zweites Kind hatten sie aufgeschoben, weil ihnen einfach das Geld fehlte.

Der Kaffee floss in den Becher, den Nicole unter die Maschine gestellt hatte. Sie wartete, bis er beinahe voll war, dann schob sie den Becher geschickt zur Seite und ersetzte ihn durch die Kaffeekanne, ohne dass ein Tropfen danebenging. Tief atmete sie den perfekten, erdigen Duft ein, bevor sie den ersten Schluck des Tages trank.

»Mommy?«

Sie trank schnell einen Schluck, bevor sie sich zu Tyler umdrehte, der gerade in die Küche kam. Er war noch ganz zerzaust und verschlafen. In einer Hand hielt er sein geliebtes rotes Plüschtier, Brad, den Drachen, der auch der Held einer beliebten Kinderbuchserie war. Der Autor muss sich an den ganzen Merchandising-Artikeln dumm und dämlich verdienen, dachte Nicole, als sie ihren Becher abstellte und sich vorbeugte, um ihren Sohn auf den Arm zu nehmen.

Sie schlang ihre Arme um seine Taille. Er legte seine kleinen Ärmchen um ihren Hals und klammerte sich mit den Beinen an ihrer Hüfte fest. Nicole tat, als würde sie ins Wanken geraten, als sie ihn hochhob.

»Du bist schon wieder gewachsen!«

Der vertraute Kommentar ließ ihn kichern. »Ich kann aber nicht jede Nacht wachsen«, widersprach er.

»Ich glaube schon.«

Sie küsste ihn auf die Wange und atmete den Duft seiner Haut ein. Was auch immer in ihrem Leben falsch laufen mochte, Tyler war immer richtig.

»Wie hast du geschlafen?«

»Gut.« Er kuschelte sich an sie. »Brad hatte einen bösen Traum, aber ich habe ihm gesagt, bei mir ist er sicher.«

»Das ist sehr nett von dir. Ich bin sicher, er ist sehr froh, dich als Beschützer zu haben.«

Sie trug Tyler zum Tisch und stellte ihn dort auf seinen Stuhl. Mit einer schnellen, geschickten Bewegung setzte er sich hin.

Angesichts dessen, wie athletisch er war und wie gut er im Kindergarten zurechtkam, schien Tyler das Beste von ihr und Eric geerbt zu haben. Das konnte Nicole nur hoffen. Sie hatte ihn für einen Tanzkurs anmelden wollen, aber Eric hatte rundweg abgelehnt. Er hatte kurz darüber nachgedacht, seinen Sohn in ein Computer-Camp zu schicken. Doch sein Interesse daran war verebbt, als er letztes Jahr angefangen hatte, das Drehbuch zu schreiben. Nicole vermutete, dass sie sich jetzt auf ein Schauspiel-Camp oder Ähnliches einigen könnten, vorausgesetzt, Eric brach die Arbeit an seinem Drehbuch nicht ab, um einem anderen plötzlich aufgetauchten Traum zu folgen.

Sie ging zur Vorratskammer. »Haferbrei und Beeren?«, fragte sie.

Tyler schaute Brad, den Drachen, an und nickte. »Das mögen wir.«

Brad wurde in die meisten Entscheidungen mit einbezogen.

Nicole hätte sich Sorgen über den konstanten Begleiter ihres Jungen gemacht, wenn Tyler sich geweigert hätte, ohne Brad in den Kindergarten zu gehen. Was er aber nicht tat. Und nach allem, was sie gelesen hatte, war seine Bindung an das Stofftier in diesem Alter ganz normal. Sie war sicher, dass Geschwister die Abhängigkeit von seinem Plüschfreund gemindert hätten, nur würde das in naher Zukunft nicht passieren. Es gelang ihr ja so schon kaum, die Familie finanziell über Wasser zu halten. Wenn sie wieder schwanger werden würde … Darüber wollte sie nicht einmal nachdenken.

Wobei das Thema derzeit sowieso nicht zur Debatte stand. In letzter Zeit sah sie Eric selten. Sie begegneten einander im Flur, und ihre kurzen Gespräche drehten sich meistens um logistische Dinge in Bezug auf Tyler. Sex gab es nicht mehr.

Während sie den Haferbrei einfüllte, hielt sie mental inne und fragte sich, ob Eric sie vielleicht betrog. Er war jeden Tag den ganzen Tag allein. Sie wusste nicht, wie viel Zeit er mit dem Schreiben verbrachte. Sie war nicht da, um es mit eigenen Augen zu sehen, und er erzählte von sich aus nichts. Sobald er nachmittags sein Surfbrett wieder wegstellte, konnte er sich mit jeder beliebigen Frau treffen.

Bei dem Gedanken zog sich ihr Magen zusammen. Schnell richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Zubereitung des Frühstücks für ihren Sohn. Tyler musste etwas essen. Dann musste sie ihn anziehen, und währenddessen hatte sie die Uhr ständig im Blick. Sobald sie ihn im Kindergarten abgesetzt hatte, stand ihr ein ganzer Tag voller Pilates-Unterricht bevor, dazu musste sie die Gehaltszahlungen für ihre Teilzeit-Lehrerinnen veranlassen, Lebensmittel einkaufen und sich generell ums Leben kümmern. Sich über Erics mögliche Affären Gedanken zu machen, stand nicht auf ihrer Liste.

Während sie Tyler seinen Haferbrei hinstellte, überlegte sie, dass ihre mangelnde Besorgnis womöglich das größte Problem von allen war. Die Frage war nur: Was sollte sie deswegen unternehmen?

Pam wickelte sich das Handtuch um den Körper und griff nach ihrer Bodylotion. Während sie für ihr Gesicht ein genau geregeltes Pflegeritual hatte, zog sie bei ihrer Körperpflege Abwechslung vor. Im Moment genoss sie Philosophy’s Fresh Cream – einen auf Vanille basierenden Duft, der normalerweise in ihr den Wunsch weckte, in Schokolade getauchte Erdbeeren zum Frühstück zu essen.

Aber zum ersten Mal zauberte der Duft ihr kein Lächeln ins Gesicht. Vermutlich, weil sie sich während des Eincremens vollauf bewusst war, dass sie jeglichen Blick in den Spiegel vermied.

Der Schock über Jens bevorstehende Zehnjahresfeier war noch nicht verklungen. Er war zwar zwischendurch etwas abgeklungen, dann aber mit gleicher Stärke zurückgekommen. Es half auch nicht, sich zu sagen, dass das Alter nur eine Zahl und sie eine glückliche, zufriedene Frau war. Es kam ihr vor, als sähe sie jedes Mal, wenn sie sich umdrehte, eine Erinnerung daran, dass die Tage als heiße Dreißigjährige vorbei waren.

Sie stellte die Bodylotion weg, wappnete sich gegen das Grauen und warf das Handtuch über den Rand der Badewanne. Dann starrte sie ihren nackten Körper in dem sehr breiten, wenig schmeichelhaften Spiegel an.

Ich bin nicht fett, sagte sie sich. Das meiste Gewicht hatte sie mit Jen zugelegt, als sie geglaubt hatte, eine Schwangerschaft wäre die perfekte Ausrede dafür, alles zu essen, was sie wollte. Und das hatte sie getan. Ja, ihre Tochter hatte robuste acht Pfund gewogen, und der dazugehörige Rest wog auch noch mal einiges, aber das war keine Entschuldigung für die gut dreißig Kilogramm, die sie in der Zeit zugenommen hatte.

Diese Pfunde wieder loszuwerden war nicht leicht gewesen, deshalb hatte sie sich bei ihren nächsten beiden Schwangerschaften zusammengerissen und nur jeweils fünfzehn Kilo draufgelegt. Trotzdem, ihr Körper trug die Wunden der Schlachten – einschließlich Dehnungsstreifen und einer leicht teigigen Mitte, wo einst ein flacher, strammer Bauch gewesen war.

Ihre Brüste waren noch schlimmer. Eher schlauch- als kugelförmig. Ein guter, unterstützender BH half ihr tagsüber, aber nachts, wenn sie nur ein Nachthemd trug, rutschten die Brüste in ihre Achseln. Der Pluspunkt war, dass sie bei einer Mammografie keine Probleme hatte. Ihre Brüste legten sich anstandslos auf die Metallplatte. Trotzdem, es hatte eine Zeit gegeben, da sie prall und rund und verdammt sexy gewesen waren.

Außerdem gab es da ein feines Netz aus Adern an ihren Beinen, einen definitiven Mangel an Festigkeit an ihrem Kinn und …

»Töte mich auf der Stelle«, murmelte Pam laut und griff nach ihrem Slip. Was für einen Sinn hatte diese Selbstaufnahme? Sie würde sich ja keiner Schönheitsoperation unterziehen. Dreimal in der Woche ging sie zum Pilates in Nicoles Studio, und an mindestens zwei weiteren Tagen lief sie zu Hause auf dem Laufband. Sie war fünfzig und wurde das dumpfe Gefühl nicht los, dass es von hier an nur noch abwärts gehen würde. Vermutlich sollte sie sich schleunigst daran gewöhnen, dass sie nichts Besonderes mehr war.

Sie zog sich an und kämmte sich die Haare aus dem Gesicht. Die waren wenigstens noch dicht und hübsch gewellt. Um die Wellen besser hervorzubringen, trug sie die Haare etwas über schulterlang und durchgestuft. Eine Kolorierung und im Sommer ein paar hellere Strähnen verhinderten, dass irgendjemand das sich langsam ausbreitende Grau sah.

Die Sache ist nur, dachte sie, während sie ein Anti-Aging-Serum auftrug – das seine Aufgabe auch nicht mehr so gut zu erfüllen schien wie noch vor ein paar Jahren –, dass es keine Vorwarnung gegeben hatte. Klar, jeder wusste, dass das Altern unausweichlich war. Als Alternative gab es nur den Tod, und sie war bereit, zuzugeben, dass sie sehr glücklich darüber war, noch am Leben zu sein.

Aber was war mit dem Rest? Die AARP, die American Association of Retired Persons, verfolgte sie seit sechs oder acht Monaten. Die Lobbyorganisation setzte sich für die Interessen älterer Personen ein. Doch anstatt ihr ständig nur Einladungen zu schicken mit der Bitte, sich ihnen anzuschließen, sollten sie einen von Herzen kommenden Brief versenden, in dem die Wahrheit stand. Irgendetwas in der Art von »Genießen Sie es jetzt – in zehn Jahren werden Sie in den Spiegel schauen und ihre Großmutter darin sehen.«

Vielleicht wäre das nicht die effektivste Marketingkampagne, aber wenigstens ehrlich.

Sie klopfte die Creme um die Augen herum ein, dann zupfte sie mit den Fingerspitzen an ihrer Haut. Wie wäre es mit einem Lifting?

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