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Warrior Fairies. Die Jahreszeiten-Verschwörung

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Rebellen im Reich der Feen

Eliane regiert ihren ersten Sommer als Feenkönigin. Doch mit den Rebellen und der Trockenheit des Sommers hat sie große Herausforderungen vor sich, und Elianes gut gemeinte Entscheidungen haben nicht immer die beabsichtigte Wirkung. Zu reagieren ist gar nicht so einfach, und zunehmend zweifelt die junge Feenkönigin daran, ob sie die Zukunft ihres Volkes im Einklang mit den Jahreszeiten ohne Unterstützung bestimmen sollte. Doch zum Glück ist sie nicht ganz alleine, und gemeinsam mit ihrer Freundin Rosa hat sie schon so manches Abenteuer gemeistert. Die beiden machen sich auf die Suche nach den uralten magischen Steinen, die ihnen helfen könnten, Frieden ins Reich der Feen zu bringen – oder es ins Chaos zu stürzen.

Abenteuer, Freundschaft und Bewusstsein für Klimaschutz für Kinder ab 10 Jahren - Band 2 der spannenden Feen-Fantasy


  • Erscheinungstag: 27.12.2024
  • Seitenanzahl: 272
  • Altersempfehlung: 10
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505152061

Leseprobe

1. Kapitel
Ein Hauch von Sommerzauber

Eliane

Sinnlos, dachte Eliane. Es ist sinnlos.

Sie waren seit den frühen Morgenstunden unterwegs, nun war es Mittag, und die Sommerhitze forderte ihren Tribut. Elianes alternde Reitlibelle Odona nutzte Windströmungen, um ihre Kräfte zu sparen. Schon vor einer Ewigkeit war der hoch aufragende Baumpalast aus ihrem Blickfeld verschwunden. Und noch immer gab es keine Spur von der selbst ernannten Kaiserin, der verräterischen Mutter der Frühlingskönigin, die ihren eigenen Enkel vergiftet hatte, um einen endlosen Frühling herbeizuführen. Und die für die Ermordung von Elianes Vater verantwortlich war.

Bei dem Gedanken trieb Eliane Odona an, schneller zu fliegen. Die Libelle gehorchte – aber sie würde bald Wasser brauchen. So spät in der Saison war das Wasser knapp, und dieser Sommer war besonders trocken gewesen.

»Wir kehren um!«, verkündete Generalin Loran auf ihrem Reitkolibri. Ihre Zöpfe schwangen herum, als sie sich suchend nach Eliane umschaute. Sie brauchte einen Moment, um sie im gedämpften Licht des Weltenwalds auszumachen. Der Wald war so groß, dass er sich vom Weltenbaum, der den Palast und die Stadt Ryndal beherbergte, bis hierher erstreckte. »Das gilt auch für Euch, Königin Eliane.«

Die Anrede »Königin« klang in Elianes Ohren immer noch fremd. Innerhalb kürzester Zeit war sie von einer unbekümmerten Prinzessin zur Herrscherin über das gesamte Sommerreich geworden, und an die neuen Aufgaben musste sie sich noch gewöhnen – aber der Name klang gut. Und eine Krone gehörte auch dazu. Die sie allerdings, zusammen mit dem zeremoniellen Brustpanzer, im Palast zurückgelassen hatte.

»Ich werde ihn aufpolieren lassen«, hatte Meisterin Irida verkündet, als sie vor ihrem Aufbruch am frühen Morgen Elianes abgenutzte Rüstung schockiert gemustert hatte. Freilich sah Irida häufig schockiert aus, wofür sich Eliane auch mächtig ins Zeug legte. »Und wenn du schon ausreitest, solltest du wenigstens Schuhe anziehen!«

Elianes nackte Füße lenkten Odona zurück in Richtung Palast. Die erschöpfte Libelle folgte den Reitwieseln, die am Boden voranliefen. Eliane ließ sich auf Odonas blauen Rücken sinken und hoffte, dass die Libelle ihre Enttäuschung nicht spüren konnte. Sie waren so weit gekommen und hatten doch nichts gefunden.

Während Eliane in düstere Gedanken versank, verschwamm der Wald unter ihr, den sie sonst so gerne erkundete, zu einem Meer aus Grün- und Brauntönen. Schon in wenigen Wochen würde der Herbst Einzug halten, und der gefürchtete Herbstkönig Jorah – ein Verbündeter der Kaiserin – würde den Thron besteigen. Wenn Eliane bis dahin keinen Plan hatte, wie sie gegen Jorah vorgehen konnte, würden alle Reiche die Folgen zu spüren bekommen.

Sie schüttelte ihre Sorgen ab, als der mächtige Baum, der den Palast und die belebte Stadt beherbergte, wieder in Sicht kam. Mit seinen gewundenen, von Feen umschwirrten Ästen und den mit funkelndem Flussglas geschmückten Höhlen bot er einen überwältigenden Anblick, der Eliane mit Stolz erfüllte. Trotz ihrer erfolglosen Expedition musste sie lächeln, als sie sich dem Sommertor mit seinem leuchtenden Sonnenblumenwappen näherte. Zu beiden Seiten des Tors blickte eine Sommerwache mit Federhut streng vor sich hin – selbst dann, als Eliane ihnen die Zunge herausstreckte. Sie hätten ebenso gut aus Holz geschnitzt sein können.

Eliane lenkte Odona durch das reich verzierte Sommertor – das mit Abstand schönste der vier Jahreszeitentore, die die Stadt umgaben, eines in jeder Himmelsrichtung – und ließ ihre Reitlibelle eine Spirale fliegen, die im Haupthof endete. Mit seinen imposanten, in Form gestutzten Hecken und den kreisförmig angeordneten Sitzen, die an ein Amphitheater erinnerten, wäre dieser Hof der perfekte Ort für ein Duell, dachte sie sehnsüchtig. Vielleicht würde ihr Wunsch ja eines Tages in Erfüllung gehen.

Als der polierte Holzboden des Hofs näher kam, sprang Eliane mit einem sauberen Salto von Odonas schimmerndem Rücken. Auf ihren Feenflügeln flog sie in den unteren Hof, der durch eine Schleife aus Ästen in Form einer Acht mit der oberen Ebene verbunden war, und Odona folgte ihr.

Elianes verletzter Flügel schmerzte von der Anstrengung. Er hatte vor einigen Monaten einen Messerstich von einer Banditenbande abbekommen und würde nie wieder der alte sein, aber die Wunde war hervorragend versorgt worden und gut verheilt. Die Narbe erinnerte Eliane an ihre Bemühungen, der Entführung ihres Vaters auf den Grund zu gehen – und sein Schicksal zu rächen.

Es tat gut, zum Palast zurückzukommen, auch wenn sie – wieder einmal – unverrichteter Dinge heimgekehrt war. Eliane wurde nie müde, das labyrinthische Wunder ihrer Sommerresidenz zu bewundern und den Feen von Ryndal zuzuschauen, die ihr geschäftiges Leben direkt vor ihrem Turmfenster führten. Aber die Zeit lief unerbittlich weiter. Sie konnte es am schwermütigen Nicken der Sonnenblumen und an der Neigung des Sonnenlichts sehen. Und an den bunten Herbstwimpeln, die einige Stadtfeen bereits vor ihren Häusern aufgehängt hatten.

Eliane bemühte sich, nicht an König Jorah und seine berüchtigte Axt zu denken, nahm ihren Helm ab und schüttelte ihre widerspenstigen goldenen Locken aus.

Ihre Freundin Rosa, die gerade zur Stallmeisterin befördert worden war, eilte herbei, um ihr Odonas Zügel abzunehmen. Grinsend ließ Eliane sie gerade außerhalb der Reichweite ihrer deutlich kleineren Freundin baumeln. Rosa runzelte die Stirn – das war ihr üblicher Ausdruck –, und ihre dunklen Augen verengten sich. Sie nahm ihre Arbeit sehr ernst. Zu ernst, wenn es nach Eliane ging. Aber dafür sah ihre Latzhose, an der überall Heu hing, wirklich bequem aus.

Eliane ließ sich erweichen, gab Rosa die Zügel und stellte mit Staunen fest, dass die Libelle unter Rosas Berührung augenblicklich ruhiger wurde. Rosa hatte ein Händchen für Tiere. Sie hatte sogar Api, die Schoßhummel der Kaiserin, adoptiert. Der dicke kleine Brummer folgte ihr auf Schritt und Tritt; gerade schnüffelte er an den magentafarbenen Bougainvillea, die den Hof und die Gärten schmückten. Rosas Vater, Hofmeister Florian, war für die Gärten zuständig, und er leistete hervorragende Arbeit. Es war offensichtlich, woher Rosa ihren Arbeitseifer hatte. Von allen Palastarbeitern war er der erste, der aufstand, und der letzte, der sich schlafen legte. Eliane traf ihn oft noch bei der Arbeit an, wenn sie sich spätabends hinausschlich, um sich ein paar Mitternachtspfannkuchen zu genehmigen oder eine Runde zu fliegen, wenn sie nicht schlafen konnte.

»Und?« Rosas dunkle Augen waren hoffnungsvoll. Auch Rosa hatte unter der Kaiserin gelitten – ihr Vater war zu Unrecht festgenommen worden, und die Tiere, die sie liebte, waren von den steigenden Fluten des endlosen Frühlingsregens bedroht worden. Teile der Stallungen waren immer noch nicht wieder instandgesetzt.

»Keine Spur von der Kaiserin.« Immerhin gelang es Eliane, den Titel über die Lippen zu bringen, ohne verächtlich auf den Boden zu spucken. »Diese abscheuliche Verräterin.«

Rosa streichelte Odona, und die Libelle surrte fröhlich. »Wir werden sie finden. König Galvan wird nicht ungerächt bleiben.«

Eliane holte scharf Luft. Der Tod ihres Vaters war noch so schmerzhaft frisch. Und sie konnte sich nicht vorstellen, dass es jemals anders sein würde. Man hatte ihr ihren gütigen, sanften Vater genommen – nur weil die selbst ernannte Kaiserin verhindern wollte, dass der Frühlingsthron an den Sommer überging.

»Ich bringe Odona in den Stall«, sagte Rosa sanft.

Eliane war ihrer Freundin dankbar. Rosa verstand sich nicht nur auf die Gefühle von Tieren.

Mehrere Stallhelfer machten sich bereit, Generalin Lorans Kolibri und die anderen Sommerreittiere in die Ställe zu führen, die sich tief im Wurzelwerk des Baumpalasts befanden.

»Ich wünschte, ich könnte fliegen wie dieser Kolibri«, seufzte Mayfew, Rosas Stellvertreter. Er war ein fröhlicher junger Feenbursche mit stummeligen Flügeln. »Oder meinetwegen wie Api, damit wäre ich schon zufrieden.«

Die Hummel summte hinter den Stallknechten her, die die Kolibris mit Blattbechern voll Nektar und die Igel mit frischen Beeren lockten. Manchmal beneidete Eliane sie um ihr einfaches Leben. Kaninchen zu striegeln und Fuchswelpen auf den Wegen rund um die Stadt auszureiten, klang herrlich. Und das Beste war: Das Wohl des Reichs hing nicht von ihren Entscheidungen ab.

»Tja, ja«, bemerkte Generalin Loran, die Elianes wehmütigen Blick aufgefangen hatte. »Es ist ganz normal, dass man sich einen anderen Platz im Leben wünscht.«

»Sie etwa auch?«, fragte Eliane überrascht.

Die Narbe an Lorans Mundwinkel blitzte auf, als sie grinste. »Erwecke ich den Eindruck, dass ich normal bin?«

Nein, das musste Eliane zugeben. Loran war außergewöhnlich, und sie hatte großen Respekt vor ihr. Wie Eliane war sie eine Kämpferin, aber im Gegensatz zu ihr behielt sie dabei einen kühlen Kopf.

Eliane atmete durch, setzte ihre königliche Miene auf – von der Winterprinzessin Gwyn immer behauptete, sie erinnere an eine bissige Eule – und schritt neben Loran in den sonnendurchfluteten Palast.

Sogleich stürzten sich die Schlossfeen wie die Mücken auf sie.

»Ein Fächer?«, fragte Poppy, eine rothaarige Wäschefee mit Haaren, die kunstvoll zu einem Marienkäfer frisiert waren.

»Löwenzahntee?«, bot Comfrey an, einer von Rosas Freunden aus der Küche, dessen Augenbrauen an zwei hungrige Raupen erinnerten. »Auf Eis, versteht sich.«

Als Eliane den Becher dankend nahm und einen Schluck trank, konnte sie die Ehrfurcht in den Augen ihrer Diener sehen. Sie fragte sich, wie ihre Bediensteten wohl reagieren würden, wenn sie ihnen verriete, dass sie die Krone schneller wieder abgeben würde, als eine Samenkapsel zum Platzen braucht, wenn sie dafür ihren Vater zurückbekäme. Aber natürlich würde es dazu nicht kommen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich durchzubeißen und sich mit demselben Kreis an Vertrauten zu umgeben, der schon ihren Vater in Staatsangelegenheiten unterstützt hatte. Wenn sie auch nicht wusste, was dieser Kreis davon hielt, eine so junge Königin zu beraten.

»Oh, davon könnte ich auch einen Schluck gebrauchen!«, zwitscherte Octavia, eine fröhliche Sommerhexe in buntem Gewand. Eliane hatte noch nie eine Hexe getroffen, die eine Tasse Tee abgelehnt hätte. Nicht einmal Myren, die Frühlingshexe, die der Kaiserin geholfen hatte, Prinz Volance zu vergiften und einen endlosen Frühling herbeizuführen …

»Es gibt nichts Besseres als einen Schluck Tee, um in den Augenblick zurückzukehren«, bemerkte Octavia bedeutungsvoll und riss Eliane aus ihren Gedanken. Dann fügte sie sanft hinzu: »Es liegt eine dunkle Magie darin, zu viel zurückzublicken. Passt auf, dass sie Euch nicht entführt.«

Eliane verkniff sich eine schnippische Entgegnung. Octavia meinte es sicher gut, und sie war ganz bestimmt weiser als Eliane. Aber wenn Eliane nicht gelegentlich zurückblickte, würde sie ihre Eltern vollends verlieren. Ihr Vater war erst seit wenigen Monaten tot, ihre Mutter hingegen schon länger, und Elianes Erinnerungen an Königin Zinnia verblassten. Sie konnte kaum mehr unterscheiden, welche echt waren und welche ein Ergebnis von Iridas Geschichten.

Apropos Irida – da kam sie schon, hektisch wie immer, halb versteckt hinter einem Stapel Polierlappen.

»Eliane!« Iridas Augen leuchteten, als sie sah, dass ihr Schützling wohlbehalten zurückgekehrt war. Und, was noch wichtiger war, ohne Schmutz im Gesicht. »Äh, ich meine, Majestät. Ich weiß, dass es eigentlich nicht mehr meine Aufgabe ist, und ich habe so viel zu tun – den Skulpturensaal mit dieser grässlichen Krähenkopfstatue zu säubern, ist ein ziemliches Unterfangen –, aber bitte, lass mich kurz …« Irida drückte die Poliertücher kurzerhand einer Teppichfee in die Hand.

»Was soll ich damit?«, protestierte die Fee, die dabei war, die Blumenteppiche an den Wänden auszubessern.

Irida ging nicht darauf ein. Sie holte einen bernsteinfarbenen, mit Gänseblümchen besetzten Kamm hervor und steckte Elianes zerzauste Locken zurück.

»So. Das ist das Mindeste, was ich tun kann. Wir müssen doch ein gewisses Niveau halten!«

In ihrem früheren Leben hätte Eliane sich über sie lustig gemacht. Jetzt aber, nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten, musste sie lächeln.

»Bleib bitte, wie du bist, Irida. Ändere dich nie!«

»Warum sollte ich?« Irida schnappte sich ihre Lappen von der Teppichfee zurück. »Sie haben da eine welke Blüte übersehen!«

»Danke«, knurrte die Fee mit zusammengebissenen Zähnen.

»Wenn Ihr so weit seid, Majestät?«, sagte Aldous, der Berater ihres Vaters – und nun auch Elianes. Eliane schaute sich überrascht um. Sie hatte ihn gar nicht bemerkt. Obwohl er groß gewachsen war, gelang es Aldous irgendwie, mit seiner Umgebung zu verschmelzen, bis er gesehen werden wollte. Kein Wunder, dass er sich den Rang des Obersten Geheimagenten erarbeitet hatte.

Zu Aldous gesellte sich Juno, eine hochnäsige Diplomatin, deren größte Angst es offenbar war, beim Lächeln erwischt zu werden. Sie trug wie immer ein strenges Gewand ohne sichtbare Nähte und Knöpfe.

»Vielleicht kann uns die Generalin informieren, welche Erkenntnisse sie auf Ihrer Reise gesammelt hat?« Junos strenger Blick wanderte über Eliane zu Loran.

Eliane hielt sich gerade, so wie Irida es ihr ständig einbläute. In Junos Gesellschaft fühlte sie sich immer wie ein Kind, das etwas ausgefressen hat. Dabei hatte die Diplomatin ihr geholfen, ihre Pflichten als Sommerkönigin besser zu verstehen. Leider gehörten dazu viel zu viele endlose Diskussionen über militärische Strategien und viel zu wenige Schwertkämpfe vor jubelndem Publikum.

Generalin Loran nickte. Die Medaillen auf ihrem Birkenrindenpanzer klimperten.

»Ich …«, begann Eliane, in der Hoffnung, ihre eigenen Gedanken zum Thema äußern zu können.

»Doch nicht hier!«, unterbrach die Generalin sie heftig. Sie war überaus misstrauisch, ein Charakterzug, der ihr gute Dienste leistete – wie kürzlich, als sie Frühlingsgeneral Calyx als Verräter entlarvt hatte.

Junos Lippen verzogen sich spöttisch, und Eliane wusste, dass sie einen Fehler begangen hatte: Beinahe hätte sie im öffentlichen Raum geheime Informationen preisgegeben. Sie hätte sich ohrfeigen können. Sie hasste es, für unzulänglich gehalten zu werden, und war fest entschlossen, Juno zu zeigen, dass sie genauso gut regieren konnte wie ihr Vater.

Generalin Loran führte die Gruppe über bunte Blütenteppiche zu einer der Ratskammern. Über ihnen schwebten Schmetterlinge zwischen Sonnenblumen, die von der Decke wuchsen.

»Ich komme gleich nach«, erklärte Irida mit einem missbilligenden Blick in Comfreys Teekessel. »Nicht schlecht für den Anfang, aber wenn du mich fragst« – was Comfrey nicht tat –, »liegt das Geheimnis im Wasser und in der Ziehdauer. Bist du sicher, dass der Tee gefiltert wurde?«

Iridas Auslassungen über Löwenzahntee endeten, als Eliane und die anderen einen Saal betraten, der von zwei blumenbekränzten Wieselskulpturen beherrscht wurde. Mit seinen weinlaubberankten Wänden und den Hängefarnen gehörte er zu Elianes Lieblingsräumen. Vor allem, weil er einen Holztisch beherbergte, auf dessen Oberfläche magisches Wasser schimmerte, das die Geheimnisse des Reichs offenbaren konnte. Eliane nutzte ihn manchmal, um zu sehen, was Freunde und Feinde aus Kindertagen mittlerweile so trieben.

Ein Diener schloss die Tür hinter ihnen. Zwei Sommerwachen postierten sich in klappernden hölzernen Rüstungen vor den Wieselskulpturen.

Octavia zog einen Rosmarinzweig aus dem kleinen Beutel, den sie immer bei sich trug, zerrieb ihn zwischen den Fingern und erzeugte dabei eine Hitze, die dem Kraut einen duftenden Rauch entlockte.

»Halt! Wartet auf mich!« Die Tür öffnete sich, und Irida stürmte herein. »Was ist das für ein Gestank? Brennt da was?«

»Nichts brennt, Irida.« Eliane führte Irida zu einem Stuhl. Bedauerlicherweise war kein Sofa in der Nähe, auf dem sie in Ohnmacht fallen konnte. »Das ist nur ein Reinigungszauber.«

»Kann die Unterredung beginnen?«, bemerkte Juno scharf. Dabei machte sie keine Anstalten, sich zu setzen. Wahrscheinlich wollte sie ihr Gewand nicht zerknittern.

Eliane erteilte Generalin Loran das Wort.

»Wir sind so weit geritten, wie uns die Tiere tragen konnten«, berichtete die Generalin. »Von der Kaiserin fehlt jede Spur.«

Bei der Erwähnung ihrer Feindin schauderte Irida theatralisch. Eliane konnte es ihr nicht verdenken. Es war noch nicht lange her, dass die arme Irida durch einen Zauber der Frühlingshexe gezwungen worden war, der Kaiserin zu Willen zu sein. Darüber kam man nicht so schnell hinweg, schon gar nicht, wenn man Irida hieß und so beharrlich nachtragend war.

»Aldous?«, fragte Juno. »Haben Ihre Agenten etwas herausgefunden?«

»Nun, es wird Sie nicht überraschen zu hören, dass der Herbstkönig allgemein umstritten ist«, erwiderte der Spionagemeister.

»Er ist ein Rohling!«, ereiferte sich Irida. »Man sagt, er isst lebende Bienen zum Frühstück!«

»Das ist … unbestätigt.« Aldous räusperte sich. »Aber nachdem König Jorah sich mit der Kaiserin verbündet hat, um den Wechsel der Jahreszeiten aufzuhalten … nun ja. Niemand mit Einfluss will ihn auf dem Thron sehen.«

»Gut so.« Elianes Tonfall war bissig. Schließlich war Jorah in die Ermordung ihres Vaters verwickelt gewesen. Sie wünschte, der Zaubertisch vor ihr würde ihr die Zukunft des Herbstkönigs enthüllen – und dass sie genauso verlief, wie er es verdiente. »Und was wollen Sie tun? Ihn den Wölfen zum Fraß vorwerfen? Das wäre wohl das Beste – buchstäblich!«

»Herrin!«, rief Irida entsetzt. Wie immer, wenn sie aufgebracht war, holte sie ihre Häkelarbeit hervor.

»Das wäre jedenfalls besser, als ihm Deckchen zu häkeln«, erwiderte Eliane.

»Attentat und Krieg sind mögliche Optionen«, erklärte Juno nüchtern. »Aber sie bergen Risiken. Jorahs Sohn Fiero könnte ein sogar noch unberechenbarerer Nachfolger sein.«

Aldous nickte. »Besser wäre es, den Herbst ganz zu überspringen. Was für eine wunderbare Häkelarbeit, Irida«, fügte er dann hinzu. »Ich wünschte, ich könnte das auch.«

»Zum Lernen ist es nie zu spät«, erwiderte Irida kokett.

Eliane konnte nicht glauben, was sie da hörte. »Eine Jahreszeit auslassen? Aber das geht nicht! Wir sind doch überhaupt nur in dieser Lage, weil unsere Feinde genau das versucht haben!«

Ach, du naives Sommerkind, schien Junos Miene zu sagen. »Die Abfolge der Jahreszeiten gehorchte nicht immer dem Muster, das wir heute kennen. Es gab endlose Winter. Flüchtige Sommer. Und Ihr habt sicher schon von dem Phänomen des falschen Frühlings gehört. Schlagt Ihr eigentlich ab und zu die Geschichtsbücher auf? Die Feen in der Königlichen Bibliothek würden bestimmt gerne Eure Bekanntschaft machen!«

Eliane öffnete empört den Mund, doch dann schloss sie ihn wieder. Junos Vorwurf saß – denn er stimmte. Anders als ihr Vater war sie keine Gelehrte.

Generalin Loran verteidigte sie. »Die Königin tut gut daran, andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Es ist ein edler Zug, besser handeln zu wollen als unsere Feinde.«

Juno schürzte ihre schmalen Lippen, aber Lorans finsterer Blick warnte sie vor weiteren Sticheleien.

»Besser als unsere Feinde sind wir so oder so. Wir sprechen von einem gänzlich anderen Weg.« Aldous machte eine beschwichtigende Geste. Er hatte die säuberlich lackierten Fingernägel eines Feenmanns, der selbst nie in Kämpfen mitgewirkt, sondern nur anderen dazu geraten hatte. »Einem Weg, der auf Zusammenarbeit beruht, nicht auf egoistischen Interessen. Und wir wollen den Herbst ja nicht für immer ausschalten. Vielleicht geht es nur um eine einzige Umrundung der Sonne. Nur so lange, bis wir uns aus dem Würgegriff König Jorahs und der Kaiserin befreit haben.«

Juno nickte. »Natürlich würde es Herausforderungen mit sich bringen, wenn wir den Herbst überspringen. Das ist bei allen schwierigen Entscheidungen so. Die Ernte würde ausfallen, was zu einer Nahrungsmittelknappheit im Winter führen würde.«

»Und wir hätten keine Zeit, uns darauf vorzubereiten«, ergänzte Eliane. Die Küchenfeen hatten noch nicht einmal mit dem Einlegen und Einmachen begonnen! Ganz zu schweigen vom Brennholz, das gesammelt werden musste.

In Elianes Kopf nahm die Vorstellung von einem Jahr ohne Herbst Gestalt an. Sie liebte ihre eigene lebendige, sonnendurchflutete Jahreszeit – alle liebten sie. Aber es musste auch ein Gegengewicht geben. Der Herbst war die Zeit der Vorbereitung. Er brachte die Ernte, ließ Trauben und Pilze reifen und erinnerte die Vögel daran, dass es Zeit war, in den Süden zu ziehen.

Octavia schien der Gedanke ebenso zu beunruhigen wie Eliane. Sie zupfte Blütenblatt um Blütenblatt von der Gänseblümchenkette an ihrem Hals und murmelte einen Jahreszeitensegen vor sich hin.

»Also, mal angenommen, wir würden den Herbst wirklich überspringen«, sagte Eliane zögernd. »Wie würden wir das anstellen?«

Generalin Loran verschränkte die Arme. »Wenn wir Jorah mit Gewalt vom Thron stoßen, würden wir für alle Zeiten Krieg heraufbeschwören. Sollten sich Frühling und Winter mit uns verbünden, könnten wir siegen. Aber der Preis wäre hoch.«

Eliane trommelte nervös mit den Fingern auf den verzauberten Tisch, sodass sich die Oberfläche kräuselte wie ein Teich, in den Kieselsteine fallen. All diese brillanten Köpfe in einem Raum, und nicht einer von ihnen hatte eine Lösung. Ihr Blick richtete sich auf die kunstvollen Blumenteppiche an den Wänden. Hier und da waren Blütenblätter verwelkt, Blütendolden hingen herab. Der Sommer würde bald zu Ende sein. Und dann?

»Es gibt eine hervorragende Gelegenheit, Informationen zu sammeln und Allianzen zu schmieden: den Sommerball«, sagte Juno, die sich leise mit Aldous besprochen hatte.

Die Wellen auf dem Tisch verstärkten sich, als Eliane mit der Hand darauf schlug. All dieses Gerede von Anschlägen und Täuschungsmanövern, und jetzt sollte sie sich auch noch mit Kleidern und Tanzmusik beschäftigen? »Nicht im Ernst!«

»Du liebe Zeit, der Ball! Wie sollen wir nur rechtzeitig fertig werden?«, erregte sich Meisterin Irida. »Es ist eine gewaltige Aufgabe, das Ende des Sommers formvollendet zu feiern. Und am Ende gibt es nur Kritik!«

»Tut mir leid, dass ich dich von deinen Blumenarrangements und Ballkarten abhalte«, entgegnete Eliane trocken.

Irida zerdrückte vor Schreck ihre Häkelarbeit. »Mit den Ballkarten habe ich noch gar nicht angefangen. Die Gästeliste ist ja kaum fertig!«

Eliane schauderte. »Da mache ich nur mit, wenn Jorah nicht dabei ist.«

»Eurem Verhalten in der Vergangenheit zum Trotz ist der Sommerball kein Anlass für leichtfertigen Unsinn«, mahnte Juno. »Er ist ein diplomatisches Ereignis. Es werden Botschafter aus dem Winterreich anwesend sein. Und auch König Volance aus dem Frühlingsreich.«

König Volance, soso. Eliane musste dafür sorgen, dass Rosa davon erfuhr. »Bringt er seine Harfe mit? Hoffentlich hat er die Zeit seiner Genesung genutzt, um was Flotteres zu lernen. Laute zum Beispiel!«

»Trommeln wären auch nicht schlecht«, bemerkte Loran.

Junos helle Augenbrauen zogen sich zusammen. »Ihr werdet eine große Verantwortung tragen, Königin Eliane. Euer Vater hat diese Bälle immer genutzt, um die Interessen seiner Jahreszeit durchzusetzen. Jetzt liegt es an Euch, seinem Beispiel zu folgen.«

»Und zwar in einem schönen Kleid!«, fügte Meisterin Irida mit Nachdruck hinzu. Sie faltete die Hände vor der Brust und verlor sich in Träumereien. »Mit Schmetterlingsspange, Vergissmeinnicht-Krone und dem Armreif deines Vaters. Vielleicht kann die Hofmalerin dein Porträt am Springbrunnen malen! Sie wird sicher nur wenige Stunden deiner Zeit beanspruchen.«

»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein«, sagte Juno.

»Kein Porträt?« Irida musste sich mit dem Fächer kühlen, den die Wäschefee vorhin Eliane gereicht hatte. »Bitte sagen Sie nicht, dass die Hofmalerin sich zur Ruhe gesetzt hat!«

Juno klopfte einen unsichtbaren Fussel von ihrem Gewand. »Es liegt nicht an der Künstlerin – es liegt am Wetter. Unsere Meteorologen haben vorhergesagt, dass es bis zum Ball keinen Regen geben wird. Die Nebenflüsse, die durch Ryndals Wurzelwerk fließen, sind ausgetrocknet, und die Grundwasserbrunnen versiegen.«

Iridas Fächer flatterte immer heftiger. »Aber beim Ball müssen doch die Wasserbecken gefüllt sein! Und die Springbrunnen für die Stadtfeen. Sie freuen sich das ganze Jahr auf die Feierlichkeiten! Die Schlossfeen reden von nichts anderem. Nun ja … und davon, dass die Königin keine Schuhe trägt!«

»Die Dürre gefährdet nicht nur die Feen, sondern auch die Tiere«, fügte Juno hinzu. »Generalin Lorans Leute haben sicher schon mit der Stallmeisterin darüber gesprochen.«

Kein Wasser? Eliane war entsetzt von der Vorstellung, dass Menschen und Tiere dursten mussten. Rosa konnte noch nichts davon wissen, sonst hätte sie sich bereits energisch für ihre Tiere eingesetzt. Eliane drehte sich zu Octavia, die mit ratloser Miene inmitten ihrer Gänseblümchenblätter saß.

»Kann man denn gar nichts tun?«, fragte Eliane. »Könnten Sie nicht … ein Sommergewitter herbeizaubern oder so?«

Octavias Gesicht verdüsterte sich. »Gewitter sind bekanntermaßen unberechenbar und lassen sich mit einfacher Magie wie der meinen nur schwer beherrschen. Ob der Regen dort fällt, wo wir ihn brauchen, ist ein Glücksspiel.«

Juno ließ ihre sehnige Hand über dem verzauberten Tisch kreisen. Auf dessen glatter Oberfläche erschienen das Blau eines Flusses und das sanfte Grün üppiger Pflanzen. Winzige Finken und bunte Schmetterlinge flatterten darüber. Eliane hätte sich das friedliche Bild den ganzen Tag anschauen können.

»Es gibt andere Möglichkeiten«, bemerkte Juno gelassen. »Man könnte zum Beispiel diesen Fluss hier in den Naiadia umleiten, damit die Stadtfeen genug zu trinken haben.« Die Beraterin zog ihre Fingerspitze über die Tischplatte, und der Fluss auf der Karte änderte seinen Lauf und floss Richtung Ryndal. Das Grün an seinen Ufern wurde frisch und lebendig. Überall in der Stadt begannen Brunnen und Teiche zu plätschern.

»Und was ist mit der ursprünglichen Flussaue?« Eliane beugte sich vor und betrachtete die Karte. Sie wirkte verschwommen, wie das Licht eines Glühwürmchens bei Regen. »Wie wird sie davon betroffen sein?«

Juno wedelte mit der Hand, und die Karte erlosch unter einem Wirbel von Blütenblättern. Die kleinen Vögel verschwanden. »Es gibt dort nichts, was man vermissen würde.«

»Na, das sind doch mal gute Neuigkeiten«, sagte Irida zufrieden. »Dann muss ich kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich zweimal täglich bade.«

»Wie bitte?«, fragte Loran ungläubig. Die Generalin war wie immer ziemlich verdreckt. Das war sozusagen Teil ihres Berufs.

Eliane schöpfte Mut. Endlich ein Problem mit einer einfachen Lösung! Sie konnte den Feen von Ryndal etwas Gutes tun, ohne andernorts Schaden anzurichten.

»Octavia, ist das machbar?«, fragte sie.

Die Sommerhexe lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und betastete ihr Armband aus winzigen leuchtenden Perlen. »Es würde einen Großteil der verbliebenen Sommermagie verbrauchen, aber möglich wäre es. Allerdings …«

»Na also!«, schnitt Eliane ihr das Wort ab und klatschte in die Hände. Das war ihre erste Gelegenheit, den Feen von Ryndal zu zeigen, dass sie sich um sie kümmerte. Und was sprach dagegen, den Sommerzauber aufzubrauchen? »Schließlich geht der Sommer zur Neige. Wir sollten ihn mit einem ordentlichen Paukenschlag beenden!«

Juno nickte tatsächlich zustimmend. Eliane unterdrückte ein Lächeln. Na endlich! Sie hatte doch gewusst, dass sie ebenso gut regieren konnte wie ihr Vater. Dies war der erste Schritt, um es zu beweisen.

»Fangen wir gleich an?«, drängte Eliane.

»Bitte gewährt mir einen Moment, um meine Helferinnen zu rufen.« Octavia klang etwas verstimmt. Wahrscheinlich war sie verärgert, weil sie so spät noch arbeiten sollte. Nicht alle hatten eine Rolle, die sie rund um die Uhr beanspruchte, so wie Eliane.

Die Sommerhexe schloss die Augen und blies in eine Samenschotenflöte, die sie an einem Band um den Hals trug. Sie ähnelte der Pfeife, mit der Eliane immer nach Odona rief.

»Wir treffen sie auf dem oberen Balkon«, erklärte Octavia dann, auch wenn Eliane keine Ahnung hatte, wie sie mit einem einfachen Pfiff eine Wegbeschreibung übermittelt hatte. Sie würde sie bei Gelegenheit danach fragen.

»Wir sehen uns später«, erschreckte Aldous Eliane, die ihren Berater schon wieder völlig vergessen hatte. Was für ein Vorteil, sich so in Luft auflösen zu können!

Generalin Loran, die höchst selten zum Plaudern aufgelegt war, war bereits davongeeilt, um die Wachen am Tor zu informieren. Irida hielt sich noch damit auf, eine Notiz in ihr Büchlein zu kritzeln – zweifellos wegen der Ballkarten.

Gestärkt von der Aussicht, eine gute Tat zu vollbringen, schritt Eliane mit Juno und Octavia nach draußen. Auf dem Weg dorthin folgten sie verwinkelten Korridoren und einer Außentreppe, und Eliane musste lächeln, als sie sich an vergangene Streiche und Missgeschicke erinnerte. Hinter einem Türmchen befanden sich die Fenster des Gewächshauses, die Volance mit der Steinschleuder – einem Geschenk von ihr – zertrümmert hatte. Und hinter der Faun-Büste lag der verborgene Tunnel, in dem sie einmal als Gespenst verkleidet das Küchenpersonal erschreckt hatte.

»Hoppla!« Abgelenkt von ihren Erinnerungen war sie in vollem Tempo mit Rosas Freund Comfrey zusammengestoßen.

»Hoheit!«, stammelte der Küchenjunge. Entsetzt starrte er auf den Pudding, der auf dem Blumenteppich gelandet war. Irida würde einen Anfall bekommen.

»Es ist immer eine Freude, dich zu sehen, Comfrey!« Eliane klopfte ihm auf die Schulter. Der Küchenjunge geriet ins Stolpern und wäre um ein Haar in seinen Pudding gestürzt.

Eliane und ihr Gefolge eilten weiter, zur höchsten Terrasse hinauf, die sich über mehrere dicht belaubte Äste hinweg in schwindelnder Höhe über den Palast erstreckte. Viele Blätter schimmerten bereits in Gold- und Brauntönen: Der Wechsel der Jahreszeiten rückte näher. Eliane bemerkte mit Freude, dass zwischen den Blättern ein paar junge Finken nisteten. Sie erinnerte sich noch gut an sie: Rosa und sie hatten sie als verängstigte, zerzauste Küken vor der sintflutartigen Überschwemmung im Frühjahr gerettet. Und jetzt waren sie hier, rund, gesund und wohlgenährt von der Wärme des Sommers.

»Ich beneide euch um die Aussicht, Freunde«, flüsterte sie ihnen zu und blickte auf die belebten Holzstraßen Ryndals hinab, auf denen die Stadtfeen ihren alltäglichen Beschäftigungen nachgingen. Schülerinnen und Schüler der Feenschule hüpften vom Nachmittagsunterricht nach Hause und bildeten lange Schlangen vor den Eisdielen. Auf dem Markt wimmelte es von Lieferanten und Gauklern. Und hinter alldem rauschte das sanfte Lied des Naiadia, der so viel Leben in die Stadt brachte.

Eliane runzelte die Stirn. Jetzt, da ihr Blick geschärft war, bemerkte sie ganze Abschnitte, an denen die Uferstreifen breiter waren als sonst, und ganze Flussarme, die so gut wie ausgetrocknet waren. Fischerfeen und langbeinige Wasservögel stocherten in den schlammigen Pfützen nach Stichlingen und Elritzen.

Vielleicht würde der Regen mit den ersten Herbsttagen kommen. Wenn nicht, würde die Stadt austrocknen.

Die Feen von Ryndal würden ihr für ihre Wohltat dankbar sein.

»Wenn Ihr gestattet, Majestät«, sagte Octavia.

Eliane blieb stehen, während Octavia und ihre Unterhexen auf eine von Passionsblumen überwucherte Plattform traten, die sich wie ein leuchtender fliederfarbener Saum vor der Terrasse ausbreitete. Sie hielten sich bei den Händen, und zwischen ihnen begann die Magie zu funkeln. Erstaunt von diesem Anblick, spürte Eliane ihre eigene Magie aufflackern. Aber natürlich waren ihre Kräfte dazu da, den Sommer einzuläuten – und gelegentlich ihren Tee aufzuwärmen.

Während die Hexen mit geschlossenen Augen konzentriert vor sich hin murmelten, kam eine sanfte Sommerbrise auf und verfing sich in Elianes Locken. Sie wurde stärker und umwehte die Millionen von Blättern und Blumen, die in Ryndal blühten, entzog ihnen die leuchtenden Farben und vergoldete sie mit den Schattierungen der bevorstehenden Jahreszeit. Das Rauschen des Flusses Naiadia schwoll zum Tosen, und Jubel erhob sich, als die Feen der Stadt an die plötzlich wieder sprudelnden Brunnen und schimmernden Teiche eilten.

Eliane strahlte. Königin zu sein hatte durchaus Vorteile. Sosehr sie Duelle und Paraden liebte – das Größte war, wenn sie ihrem Volk helfen konnte.

2. Kapitel
Eine unerwartete Einladung

Rosa

Die Palastuhr schlug, und Rosa schrak auf.

»Schon?«, fragte sie ungläubig. Zwei volle Stunden waren vergangen, seit Eliane von ihrer Suche zurückgekehrt war. Seitdem hatte sich Rosa in die endlosen Aufgaben gestürzt, die mit ihrer Heimkehr einhergingen: Sie hatte ihre Gehilfen angewiesen, die Tiere zu striegeln, die Satteldecken in die Wäscherei geschickt und die reich verzierten Sommerzäume und -sättel überprüft, bevor sie in die Sattelkammern gebracht wurden. Ganz zu schweigen vom Auffüllen der Wassereimer, was eine Ewigkeit dauerte. Rosa rüttelte am Wasserhahn, in der Hoffnung, das Rinnsal, das herauströpfelte, zu verstärken.

»Was soll ich hiermit machen, Miss?« Fern, eine neue Stallhelferin, stand mit einem verhedderten Trainingsgeschirr vor ihr. Fern war eine Verwandte von Rosas Freund Comfrey, der Rosa aus Gefälligkeit eine Stelle angeboten hatte.

»Sie hat ein gutes Herz, aber sie ist vollkommen nutzlos«, hatte Comfrey sie gewarnt. »So viel Grips im Kopf wie eine Erbse. Ich kann sie in der Küche nicht gebrauchen, sonst fackelt sie noch den ganzen Laden ab.«

»Jeder ist nutzlos, wenn er etwas Neues anfängt«, hatte Rosa entgegnet. Sie erinnerte sich noch gut, wie Comfrey an seinem ersten Tag als Küchenlehrling die Geschirrtücher in Brand gesetzt hatte. »Sie wird schon zurechtkommen.«

Aber Comfreys Warnung war nicht unbegründet gewesen. Fern war sanft zu den Tieren, hatte aber ein Gedächtnis wie eine Fliege. Ständig verwechselte sie das Tierfutter, und sie verlief sich sogar, wenn sie nur geradeaus gehen musste!

Trotzdem war Rosa entschlossen, der schüchternen jungen Fee zu helfen, den Platz zu finden, an dem sie etwas bewirken konnte. Sie selbst hatte die Möglichkeit erhalten, aufzusteigen. Es war nur fair, dass sie nun anderen diese Chance gab.

»Bring es einfach in Zimts Box.« Rosa musterte stirnrunzelnd den kläglichen Wasserstrahl. »Ich kümmere mich gleich darum.«

»Ist die … bei den Gewürzen?«, fragte Fern ratlos.

»Bei den Fuchswelpen«, erwiderte Rosa. Sie hielt den Blick auf den Eimer gerichtet, um nicht zu lachen.

»Ach ja …« Fern wandte sich zum Gehen, allerdings in die falsche Richtung.

»Nach links, dann geradeaus und dann nach rechts. Bei dem schlammigen Bereich in der Nähe des Hühnerstalls – die Zimmerfeen reparieren immer noch die Decke.« Rosa wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihr war ein bisschen schwummrig im Kopf – sie hatte noch nichts gegessen. Manchmal beneidete sie Eliane um ihr Leben. All die Nachmittage, die sie damit verbrachte, Hibiskustörtchen zu knabbern, während sie Briefe an ihre königlichen Freunde schrieb und so tat, als wäre das Arbeit.

Zum Essen war jetzt keine Zeit, aber Rosa stellte den Eimer ab und hielt inne, um selbst einen Schluck aus dem Hahn zu trinken, der aus einem Wurzelknoten im Hauptgang des Stalls ragte. Das Wasser tröpfelte in ihren Mund – und schoss dann plötzlich mit solchem Druck heraus, dass sie von Kopf bis Fuß durchnässt wurde. Sie schrie auf, lachte und wischte sich mit ihren gebräunten Handrücken die Tropfen vom Gesicht.

»Das habe ich gesehen, Rosa!«, spottete Mayfew, der fröhliche Stallknecht, der schon seit mehreren Jahreszeiten mit ihr in den königlichen Ställen arbeitete. In den letzten Wochen hatte sie ihn seltener gesehen – zum einen, weil sie mit ihren neuen Aufgaben so beschäftigt gewesen war, zum anderen, weil Mayfew jeden freien Moment mit der Wäschefee Poppy verbrachte. Aber man konnte sich immer darauf verlassen, dass er mit einem belustigten Zuruf zur Stelle war, wenn man gerade in der Patsche saß.

»Anscheinend waren die Schlossklempner schon da«, überlegte Rosa. »Ein Glück. Dann dauert es nicht mehr so lange, die Wassereimer zu füllen.«

Mayfew warf einen Blick auf die Pinnwand neben den Wasserhähnen, um zu schauen, wie weit Rosa mit ihrem Tagesplan war. »Als Nächstes steht das Training mit Zimt an, wie ich sehe. Na dann, viel Spaß! Den Rabauken hättest du ruhig Fern überlassen können.«

Allein in der letzten Woche war Mayfew dreimal von Zimt abgeworfen worden. Beim letzten Mal hatte ihn das Fuchsjunge am Genick zurückgetragen.

»Die Cleveren sind immer eine Herausforderung. Sie ist noch jung. Sie wird schon noch zu sich kommen.«

»Redest du von Zimt, von Fern oder von unserer Sommerkönigin?«, witzelte Mayfew. Er machte einem Stallknecht Platz, der mit einem Sack Spreu vorbeieilte. Eine leichte Brise schubste die hängenden Körbe in den Fenstern an und wehte den Duft von Lavendel in ihre Richtung. »Eliane macht ihre Sache wirklich gut, findest du nicht? Neben ihr komme ich mir wie ein ziemlicher Versager vor.«

Mayfew nahm Rosa den Eimer aus der Hand, als wollte er seine vermeintlichen Unzulänglichkeiten wettmachen. Der Fenchelzweig in seinem Mundwinkel wippte, während er kaute.

Rosa grinste. »Du würdest bestimmt auch einen tollen König abgeben, wenn du für die Thronfolge infrage kämst.«

»Lieber nicht, die Rolle wäre mir viel zu öffentlich. Ich würde mich den ganzen Tag in der Küche verkriechen und Kuchen futtern.«

»Clever«, entgegnete Rosa. »Niemand kennt die Geheimnisse des Reichs besser als die Küchenfeen.«

Gemeinsam gingen Rosa und Mayfew durch das Labyrinth der Ställe, vorbei an den Bereichen, die von Zweigen und Strohmatten abgestützt wurden und darauf warteten, dass die Zimmerleute endlich zu ihnen kamen. Die Überschwemmungen im Frühjahr hatten die Ställe größtenteils verschont, aber ein Teil des Wassers war in die Wände und die verzierten Decken eingedrungen, sodass sie aufgeschwemmt waren und sich verzogen hatten. Rosa tippte an eine Stelle, an der sich die Wand wie eine Blase vorwölbte und schwer vom Wasser war.

Im Stall der Fuchswelpen angekommen, kraulte Rosa Zimts rotbraunen Kopf. Die aufgeweckten Augen des Jungtiers blitzten verschmitzt.

Mayfew stellte den Eimer mit einem Grunzen ab. »So, ich muss jetzt zu Poppy, bevor meine Pause vorbei ist. Ich werde versuchen, Comfrey ein paar Beerentörtchen für dich abzuluchsen. Zur Belohnung, weil du dich mit diesem Früchtchen hier herumschlägst.« Er eilte davon, vor Eifer mit seinen Stummelflügeln flatternd.

Rosa lächelte. Es machte sie froh, ihren Freund so glücklich zu sehen. Zimt bellte zustimmend und drehte sich aufgeregt im Kreis.

»Na, na.« Rosa tastete nach dem Trainingsgeschirr, das Fern herbringen sollte. Doch der Haken war leer. Natürlich. Wahrscheinlich irrte Fern gerade damit im Garten herum. Aber das spielte keine Rolle. Rosa ritt sowieso lieber ohne Sattel und Zaumzeug. So konnte sie besser mit ihren Tieren kommunizieren, was ihr in letzter Zeit erstaunlich leichtfiel. Konnte eine Gabe eine Art Wachstumsschub bekommen? Ihre jedenfalls war explodiert wie die Buschbohnen im königlichen Gemüsegarten.

Sie legte Zimt eine Hand auf die Schulter, bis das Füchschen zur Ruhe kam. Die Aufregung des Jungtiers sprudelte durch sie hindurch und tanzte wie schimmernde Funken vor ihren Augen. Es fühlte sich ein bisschen so an, als wäre sie zu schnell aufgestanden, nachdem sie einem Dachs die Krallen gestutzt hatte. Das war eine neue Seite der Gabe, von der sie noch niemandem erzählt hatte.

Zimt stupste eifrig gegen die Stalltür, weil sie unbedingt in den Wald wollte. Sie lernte schnell, man musste ihre Energie nur positiv nutzen. Mit zwei flinken Flügelschlägen landete Rosa auf dem Rücken der Füchsin und vergrub die Finger in ihrem orangefarbenen Fell, während sie besänftigende Worte vor sich hin murmelte. Zimt beruhigte sich, aber Rosa spürte, dass die Energie in ihr brodelte. Sie lächelte bei der Erinnerung an die Worte ihres Vaters, sie selbst sei als kleine Fee genauso gewesen. Angeblich hatte sie jede Mauer überwunden, unter heftigem Geflatter ihrer kleinen Kinderflügel.

Zimt bellte belustigt. Rosa errötete. Hatte die Füchsin ihre Gedanken gelesen?

»Na komm, du Frechdachs.« Sie trieb das Jungtier den gewundenen Pfad hinunter zur Ringstraße, die den Baumpalast umrundete und das Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Wintertor miteinander verband, die vier möglichen Zugangswege nach Ryndal. Zurzeit passierten alle Reisenden das Sommertor, aber beim Wechsel der Jahreszeiten würde das Sommertor geschlossen und das Herbsttor geöffnet werden. Rosa wollte gar nicht daran denken, was das bedeuten könnte.

Der Weg aus der Stadt war nicht weit, da die Ställe im äußeren Wurzelwerk des riesigen Baumpalasts lagen. Aber die ungestüme Zimt sorgte für mehr Verzögerungen und Umwege als sonst. Nur gut, dass ich meine Aufgabenliste im Griff habe, dachte Rosa verdrießlich.

Während sie die Ringstraße entlangtrabten und die tapsigen Pfoten des Jungtiers an Stellen scharrten, an denen die Zeit die Wurzeln des Baums auf Hochglanz poliert hatte, bemerkte Rosa eine Veränderung im Licht. Oder nein, es war nicht das Licht. Es waren die Blätter. Das leuchtende Grün des Laubs wich einem satten herbstlichen Gold. So eine dramatische Verwandlung hatte Rosa noch nie außerhalb eines offiziellen Jahreszeitenwechsels gesehen.

Es war seltsam, wenn sie daran dachte, dass sie erst vor wenigen Monaten die Ankunft von Elianes Prozession zur Eröffnung des Sommers beobachtet hatte. Das Fest war alles andere als erfolgreich verlaufen, da König Galvan, der als Einziger den Schlüssel zum Sommertor besaß, entführt worden war. Was hatten die arme Eliane und Rosa alles durchgemacht, um es endlich aufschließen und den Sommer einläuten zu können!

Als sie das Wintertor erreichten, das sich auf der gegenüberliegenden Seite Ryndals befand, begann Zimt in der drückenden Spätsommerhitze zu hecheln. Rosa führte sie zum Wassertrog am dornigen Wintertor, wo eine scharfäugige Fee in einem Karren mit Reetdach Speisen und Getränke verkaufte. Durch dieses Tor würde noch mehrere Monate lang niemand gehen, aber auf der Ringstraße herrschte immer genug Verkehr, um ein Geschäft zu betreiben. Da die Straße eine beliebte Trainingsstrecke für die königlichen Reittiere war, hielten wahrscheinlich allein Rosas Stallgehilfen den kleinen Karren am Laufen.

»Zitronensprudel?« Die Fee hielt Rosa einen Butterblumenkelch hin.

»Oh ja, gerne!« Rosa trank durstig, die schwüle Luft hatte sie erschöpft. Der Sprudel hatte den erfrischenden Geschmack von Zitrusfrüchten, mit einem Hauch von Rose.

»Ich bin Florence.« Die Fee füllte Rosas Becher aus einer Kanne mit langer Tülle auf. »Ich kenne dich. Du bist Rosa, königliche Stallmeisterin und Tochter von Hofmeister Florian. Du hast die Frühlingskönigin abgesetzt und, was noch wichtiger ist – du hast die Rebellen befreit.«

Rosas Becher zitterte in ihrer Hand. Was die Fee sagte, stimmte, aber sie wünschte, sie hätte mehr tun können. Die Rebellen saßen zwar nicht mehr im Gefängnis, aber sie konnten nach wie vor nicht offen über ihre Überzeugungen sprechen. Viele waren aus der Stadt geflohen – so wie Rosas Onkel Dendron es schon vor Jahren getan hatte.

»Die Rebellen hatten nichts mit König Galvans Tod und dem endlosen Frühling zu tun«, erklärte Rosa leise. »Sie wurden zu Unrecht festgenommen.«

Florence fummelte einen Anhänger unter ihrer Tunika hervor, der an einer zarten Rankenkette befestigt war. Er blitzte in der Spätsommersonne – und trug das gleiche Rebellensymbol wie das ererbte Klappmesser ganz unten in Rosas Tasche.

Rosa schaute sich besorgt um. Waren da irgendwo neugierige Augen? Florence bemerkte ihren Blick.

»Es ist so heiß hier. Suchen wir uns ein schattiges Plätzchen«, sagte sie und deutete auf eine mit Wildblumen übersäte Anhöhe.

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