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Selbstliebe. Über Herkunft und Gerechtigkeit

Als Buch hier erhältlich:

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What’s Love Got to Do with It? – Warum Liebe(n) eine gesellschaftliche Notwendigkeit ist

»Dieses Buch, das sich mit der aktuellen Bedeutung der Liebe im Leben der Schwarzen befasst und eine Vorlage für das Überleben und die Selbstbestimmung der Schwarzen bieten soll, führt uns kühn zum Kern der Sache. Uns selbst mit Liebe zu begegnen, unser Schwarzsein zu lieben, ermöglicht uns allen, zur wahren Bedeutung von Freiheit, Hoffnung und einem Leben voller Möglichkeiten zurückzufinden.«

In »Selbstliebe« entwickelt bell hooks das Fundament für eine Gemeinschaft, in der Schwarze sowie alle anderen dem Schwarzsein voller Liebe begegnen. Welche Rolle spielt die Liebe für den politischen Widerstand? Wie konnte der Diskurs über Liebe im Zuge der Befreiungsbewegungen deren Wert für eine selbstbestimmte Schwarze Identität torpedieren? Wie kann die Entscheidung, zu lieben, wieder als Akt der Befreiung erfahrbar werden? Und wie können wir unsere Kultur der Lieblosigkeit überwinden?

Ob es um das Erbe der Sklaverei, die Bedeutung von Ehe und Beziehung oder um den großen Einfluss der Kunst, Medien und Politik geht, bell hooks eröffnet uns einen klaren Blick auf das Machtgefüge, das bestimmt, wie wir uns selbst und andere lieben.

»Wenn eine so wahrheitsliebende und umsichtige Autorin wie bell hooks ein Buch veröffentlicht, möchte ich draußen vor der Tür der Buchhandlung stehen, wenn sie öffnet.«

Maya Angelou, Autorin des Bestsellers »Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt«


  • Erscheinungstag: 22.08.2023
  • Seitenanzahl: 288
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365004562

Leseprobe

anthony, der erste Liebesbrief, den ich je schrieb, war an dich gerichtet. Er enthielt dieses Zitat von Malcolm X: »Wir selbst müssen das Niveau unserer Gemeinschaft, den Standard unserer Gemeinschaft auf ein höheres Niveau heben, unsere Gesellschaft schön machen, damit wir […] zufrieden werden. […] Ändern müssen wir, wie wir selbst über uns denken. Wir müssen einander mit neuen Augen sehen. […] Wir müssen uns mit Wärme begegnen.«

zur Feier von zehn Jahren – der Wärme, die du in mein Leben bringst – ein Loblied darauf

Erlösung heißt, auf dem richtigen Weg zu sein, nicht, ein Ziel erreicht zu haben.

– Martin Luther King Jr.

Vorwort

Liebe ist unsere Hoffnung

Liebe und Tod stellten die großen Mysterien meiner Kindheit dar. Wenn ich mich nicht geliebt fühlte, wollte ich sterben. Mit dem Tod würde das traumatische Gefühl verschwinden, nicht gewollt, fehl am Platz zu sein, nie irgendwo hinzugehören. Ich wusste schon damals, dass die Liebe dem Leben eine Bedeutung verleiht. Mich beunruhigte nur, dass nichts von dem, was ich über die Liebe hörte, zu der Welt um mich herum passte. In der Kirche lernten wir, dass die Liebe friedlich, gütig, nachsichtig, erlösend und treu sei. Und dennoch schienen alle Beziehungen von Problemen geprägt zu sein. Schon als Kind brachte mich die Diskrepanz zwischen dem, was die Leute über die Liebe sagten, und dem, wie sie sich verhielten, zum Grübeln.

Als junge Frau, die hoffte, Liebe zu finden, war ich enttäuscht von den Beziehungen, die ich erlebte, und beunruhigt von meinen eigenen Bemühungen. Obwohl ich in einer Zeit zur Frau heranwuchs, in der es viel um freie Liebe und offene Ehen ging, träumte ich davon, einen Partner für den Rest meines Lebens zu finden. Meine Vorstellungen von der Ehe waren vom Verhältnis meiner Großeltern mütterlicherseits geprägt, die mehr als fünfundsiebzig Jahre lang zusammen gewesen waren. In einem Essay über ihre Beziehung mit dem Titel »Inspired Eccentricity« (dt. »Geniale Exzentrik«) beschrieb ich, wie unterschiedlich die beiden waren, und trotzdem war ihr Verhältnis zueinander von dem geprägt, was der Psychologe Fred Newman als »radikale Akzeptanz« bezeichnet. Ihnen gelang die ungewöhnliche Mischung aus Zusammensein und Unabhängigkeit, die gesunde Beziehungen ausmacht, jedoch schwer zu erreichen ist. Ich selbst habe sie bisher nicht gefunden, die Suche aber noch nicht aufgegeben.

Seit meiner Studienzeit bis heute halten es die meisten Menschen, denen ich begegne, für albern und naiv, eine lebenslange Beziehung anzustreben. Immer wieder werden die hohen Scheidungsraten und die alltäglichen Trennungen homo- und heterosexueller Paare angeführt als Beweis dafür, dass es einfach kein realistischer Wunsch sei, das ganze Leben mit einem Menschen zu verbringen. Viele dieser Menschen sind zynischerweise davon überzeugt, dass Paare, die länger als zwanzig Jahre zusammen sind, im Normalfall unglücklich sind oder einfach nebeneinanderher leben. Auf viele Ehen trifft das sicherlich zu (meine Eltern sind seit fast fünfzig Jahren zusammen, waren aber niemals glücklich miteinander). Doch es gibt Paare, für die es das reinste Glück ist, ein ganzes Leben miteinander zu verbringen. Ihre Bande stehen genauso sehr dafür, was realistisch und möglich ist, wie die vielen kaputten und zerrütteten Beziehungen.

Ich lernte durch das Vorbild meiner Großeltern, dass eine beständige, von Freude erfüllte Beziehung zwischen zwei Menschen nicht bedeutet, dass es keine Tiefschläge oder schwierigen Zeiten gäbe. In meinem ersten Buch über Liebe – Alles über Liebe: Neue Sichtweisen – betone ich immer wieder, dass Liebe nicht das Ende aller Probleme bedeutet, sondern uns die Kraft verleiht, sie konstruktiv anzugehen. Jenes Buch ist, wie auch dieses hier, Anthony gewidmet, mit dem ich damals lange Gespräche über das Wesen der Liebe führte (und immer noch führe). Als Mann Mitte dreißig, dessen Eltern sich trennten, als er ein Kind war, kann er sich keine lebenslang andauernde Beziehung vorstellen. Schon der Gedanke daran kommt ihm »seltsam« vor. Er lernt erst durch eigene Erfahrung, darauf zu vertrauen, dass beständige Bindungen geschätzt und gepflegt werden sollten.

Es tut Liebesbeziehungen gut, wenn man stetig an ihnen arbeitet. Konstanz inmitten von Wandel stärkt jede Verbindung. Sowohl in Liebesbeziehungen als auch in Freundschaften genieße ich es, Veränderungen mit geliebten Menschen zu erleben und zu sehen, wie wir uns entwickeln. Was ich dabei empfinde, ist vergleichbar der Freude und dem Staunen, wie es liebevolle Eltern verspüren, wenn sie miterleben, dass ihre Kinder unzählige Veränderungen durchlaufen. Einen langjährigen Partner zu haben, der sowohl an unserem Wachstum teilnimmt als auch dessen Zeuge ist, zählt zu den größten Freuden der Liebe. Ich feiere die beständige Liebe in Alles über Liebe Neue Sichtweisen, einem Werk, in dem es um die allgemeine Bedeutung von Liebe in unserer Gesellschaft geht und darum, was wir über Liebe wissen sollten.

Als ich während der Lesereise zum Buch in staatlichen Schulen auftrat, erschreckte es mich immer wieder, wenn Schwarze Kinder aller Altersstufen voller Überzeugung erklärten, dass die Liebe gar nicht existiere. Es erschütterte mich ein ums andere Mal bis ins Mark, dass junge Schwarze mit Nachdruck erklärten: »So etwas wie Liebe gibt es nicht.« In Alles über Liebe definiere ich Liebe als eine Kombination aus Fürsorge, Wissen, Verantwortung, Respekt, Vertrauen und Hingabe. Wenn man sich anschaut, wie zynisch unsere Nation in Bezug auf die Liebe geworden ist, überrascht es nicht groß, dass die allgegenwärtige Lieblosigkeit, von der ich spreche, am stärksten die Herzen von Kindern prägt, und zwar besonders die Herzen der Schwarzen Jungen und Mädchen, die von der Gesellschaft kollektiv übergangen, vernachlässigt oder unsichtbar gemacht werden. Dieses Gefühl brachten sie ganz offen zum Ausdruck. Wenn die Dramatikerin Lorraine Hansberry von weißen Kritikern, die kein Verständnis für die Notwendigkeit militanter Proteste hatten, nach dem antirassistischen Kampf gefragt wurde, antwortete sie häufig, dass »die Akzeptanz unserer aktuellen Lebensumstände die einzige Form des Extremismus ist, die uns unseren Kindern gegenüber diskreditiert.« Wenn ich vor Schwarzen Kindern stehe, die mir mit klarer, emotionsloser, unbewegter Stimme erklären, dass es keine Liebe gebe, zeigt mir das unser kollektives Versagen als Nation – und als Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner –, eine Welt zu erschaffen, in der wir alle Liebe erfahren können. Dieses Buch ist eine Reaktion auf diesen krisenhaften Liebesmangel. Es fordert uns dazu auf, voller Mut für die Liebe zu sorgen, die unsere Kinder brauchen, um ein wahrhaft gutes und erfülltes Leben zu führen.

Als die weißen Siedlerinnen und Siedler im Verlauf unserer Geschichte afrikanische Menschen durch systematische Zwangsarbeit und Versklavung kolonialisierten, rechtfertigten sie ihre rassistischen Taten durch die Behauptung, Schwarze seien keine vollwertigen Menschen. Dabei zogen sie vor allem Belange des Herzens, der Liebe und Fürsorge als Beispiele dafür heran, dass Schwarze weniger menschlich seien und uns die Bandbreite an Emotionen fehle, die unter zivilisierten Menschen als Norm galt. Laut dieser rassistischen Denkweise waren die versklavten Afrikanerinnen und Afrikaner unfähig zu tief reichenden Empfindungen und noblen Emotionen. Da Liebe als ein solches nobles Gefühl angesehen wurde, ging man davon aus, dass Schwarze nicht in der Lage seien, jemanden zu lieben.

Nach dem Ende der Sklaverei wurden viele der rassistischen Stereotype, die dazu gedient hatten, Schwarze herabzuwürdigen und auszugrenzen, infrage gestellt. Doch ob Schwarze fähig waren, Liebe und andere tief reichende, komplexe Gefühle zu empfinden oder nicht, galt weiterhin als umstritten und blieb Thema vieler heißer Debatten. Anfang des 20. Jahrhunderts fingen Schwarze Intellektuelle an, sich damit auseinanderzusetzen, ob die entmenschlichenden Auswirkungen des rassistischen Terrors und der Misshandlungen die Schwarzen in Sachen Liebe versehrt hätten. Schriftsteller und Schriftstellerinnen wie Richard Wright, Zora Neale Hurston, Ann Petry, Lorraine Hansberry und James Baldwin beleuchteten das Thema Liebe sowohl in ihren fiktionalen als auch in ihren nichtfiktionalen Texten.

Wie Hurstons Roman Vor ihren Augen sahen sie Gott zeigte, war Liebe unter den Armen und Unterdrückten nicht nur möglich, sondern eine notwendige und wesentliche Lebenskraft. Ann Petry zeichnete in ihrem provokanten Protestroman Die Straße hingegen ein Bild der heterosexuellen Liebe, dem zufolge Schwarze Männer Schwarze Frauen durch sexuelle Objektifizierung und Manipulation hintergehen. Opportunistische Gier verführt den Schwarzen Helden dazu, die Integrität der Schwarzen Frau, die ihn liebt, anzugreifen und zu missachten. Wright bot der Welt in seinem Protestroman Sohn dieses Landes ein Bild vom Schwarzsein, das es einer Entmenschlichung, einer Abwesenheit von Gefühlen gleichsetzte. Die Hauptfigur Bigger Thomas verkörpert eine derart unerbittliche Lieblosigkeit, dass es bei den Schwarzen Aktivistinnen und Aktivisten, die sich darum bemühten, gegen genau diese und ähnliche Bilder in der Vorstellungswelt der Weißen anzukämpfen, Entsetzen auslöste.

In seiner Autobiografie Black Boy stellte Wright die Behauptung auf, viele Schwarze Menschen seien derart entmenschlicht worden, dass der fortdauernde rassistische Genozid uns verletzt und uns dort, wo wir eigentlich Liebe hätten spüren sollen, eine unheilbare Wunde zugefügt habe. Baldwin und Hansberry übten scharfe Kritik an diesem eindimensionalen Bild der Schwarzen Erfahrung. In Nobody Knows My Name erklärte Baldwin: »Ich bin der Meinung, dass die Rolle Schwarzer Menschen im Leben der Amerikaner etwas mit unserem Verständnis von Gott zu tun hat […] Bei Gott zu sein bedeutet, eine enorme, überwältigende Sehnsucht zu verspüren, eine Freude und Kraft, die wir nicht kontrollieren können, sondern die uns kontrolliert. Ich stelle mir mein Leben als eine Reise vor hin zu einem Ziel, das ich nicht verstanden habe, das mich auf dem Weg dorthin aber zu einem besseren Menschen macht. Ich betrachte Gott genau genommen als ein Mittel zur Befreiung und nicht als Mittel, andere zu kontrollieren. Liebe beginnt und endet nicht so, wie wir offenbar glauben. Liebe ist Kampf, Liebe ist Krieg; Liebe bedeutet, erwachsen zu werden. Niemand auf der Welt […] weiß mehr über die Amerikaner oder […] liebt sie mehr als der amerikanische Schwarze.« Mitte der Sechzigerjahre empfahl Hansberry einer Gruppe junger Schwarzer Schriftstellerinnen und Schriftsteller, mit Schwarzen zu reden, wenn sie die Bedeutung von Liebe erfassen wollten – sie sollten »die Troubadoure fragen, die von denjenigen stammen, die schon geliebt haben, als der Verstand die Liebe für eindeutig sinnlos und vermessen hielt«. Sie verkündete kühn: »Vielleicht werden wir als Lehrinstanzen gelten, wenn es vorbei ist. Aus der Tiefe des Schmerzes heraus, den wir für unser einziges Erbe in dieser Welt gehalten haben – oh, wir kennen uns aus mit der Liebe!« Sowohl Hansberry als auch Baldwin glaubten, dass sich die Schwarze Identität im triumphalen Kampf gegen die Entmenschlichung herausbildete und dass die Entscheidung zu lieben eine notwendige Dimension der Befreiung war.

1974 veröffentlichte June Jordan den Essay »Notes Towards a Black Balancing of Love and Hatred« (dt. »Gedanken zu einem Schwarzen Gleichgewicht von Liebe und Hass«), in dem sie erörterte, worin die ultimative Erfahrung der Schwarzen denn nun bestünde – im Triumph der Liebe über die Entmenschlichung, wie sie in Hurstons Werk zelebriert wurde, oder im Triumph der Gewalt, des Selbsthasses und der Zerstörung, wie in Wrights Sohn dieses Landes dargestellt. Jordan schreibt: »Vor ihren Augen sahen sie Gott ist zweifellos der Prototyp des bestärkenden Schwarzen Romans; es ist der erfolgreichste, überzeugendste und beispielhafteste Roman über Liebe unter Schwarzen, den wir haben, Punkt.« Dennoch hält sie es für unnötig, sich zwischen Hurston und Wright zu entscheiden, denn Bigger Thomas lehre uns durch seine Entmenschlichung »genau so viel über die Notwendigkeit der Liebe und die Fähigkeit, lieben zu können, ohne daran zu zerbrechen, wie Hurstons Janie Starks«. Sie erklärt: »Wir sollten den Schwarzen Protest und die positive Bestätigung von Schwarzen gleichermaßen schätzen und uns zum Vorbild nehmen, da wir beides brauchen.« Doch trotz dieser hellsichtigen Erkenntnis war in der Welt des antirassistischen Aktivismus bereits damals eher der Aufruf zur Gewalt als der Aufruf zur Liebe das Gebot der Stunde. Die Bestätigung und Liebe, die Jordan für wesentlich hielt, standen unter Beschuss.

Obwohl die prophetischen Kräfte der Bürgerrechtsbewegung immer schon für eine Befreiungstheologie eingetreten waren, die der Liebe eine entscheidende Bedeutung zuschrieb sowohl bei der Erschaffung eines gesunden Schwarzen Selbstbewusstseins als Fundament der Widerstandsbemühungen als auch dabei, den hartherzigen Weißen wieder Menschlichkeit zu übertragen, hat sich dieser Fokus auf die Liebe nicht durchgesetzt. In dem Maße, in dem die organisierte Befreiungsbewegung, welche die Liebe in den Vordergrund stellte, durch den Aufruf zum militanten, gewaltbereiten Kampf verdrängt worden war, verlor die Liebe an Bedeutung, wenn es um die Selbstbestimmung und Freiheit der Schwarzen ging. Ende der Siebzigerjahre hatte sich ein neuer Zynismus breitgemacht. Die Ethik der Liebe, die von visionären Führungsfiguren einst als fundamentale Kraftquelle unseres Freiheitskampfes ausgerufen worden war, spielte nun nur noch eine geringe oder gar keine Rolle mehr im Leben der Schwarzen, insbesondere der jungen.

In der Tat wurde die Liebe nun verspottet – nicht nur das Liebet-eure-Feinde-Motto der gewaltfreien Revolution, angeführt von Martin Luther King, sondern auch die Botschaft, Selbstliebe, ein gesundes Selbstbewusstsein und liebevolle Gemeinschaften aufzubauen. Sobald das Streben nach Freiheit dem Streben nach Macht untergeordnet worden war, gab es wenig bis keine Diskussionen mehr über den Sinn und die Bedeutung von Liebe im Leben der Schwarzen, im Kampf für die Freiheit. Der Verzicht auf einen Diskurs über Liebe, auf Strategien zum Aufbau eines stabilen Selbstwertgefühls und einer entsprechenden Selbstachtung als Fundament des Strebens nach Selbstbestimmung legte den Grundstein für die Untergrabung all unserer Bemühungen, eine Gesellschaft zu schaffen, in der Schwarze sowie alle anderen dem Schwarzsein voller Liebe begegnen könnten.

Die Abwertung der Liebe im Leben der Schwarzen über alle Klassen hinweg hat sich zur Brutstätte von Nihilismus, Verzweiflung, fortwährender Gewalt und rücksichtslosem Opportunismus entwickelt. Sie hat viele Schwarze der positiven Handlungsfähigkeit beraubt, die nötig wäre, damit wir uns kollektiv selbst verwirklichen und frei über unser Leben bestimmen könnten. Ein Großteil des materiellen Fortschritts, der durch den militanten Kampf gegen den Rassismus errungen wurde, hatte kaum positive Auswirkungen auf die Psyche und die Seele der Schwarzen, weil die Revolution von innen heraus als Grundlage für Selbstliebe und die Liebe anderen gegenüber ausblieb. Schwarze Menschen und unsere Verbündeten im Kampf, denen das Schicksal des Schwarzen Amerikas am Herzen liegt, wissen, dass nur die transformative Kraft der Liebe im täglichen Leben die unzähligen Krisen, denen wir heute gegenüberstehen, zu lösen vermag.

Wir können uns der Fremdbestimmung nicht effektiv widersetzen, wenn unsere Bemühungen, einen wirksamen, dauerhaften individuellen und gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen, nicht auf einer Ethik der Liebe gründen. Selbstliebe – Über Herkunft und Gerechtigkeit ruft uns dazu auf, zur Liebe zurückzukehren, als Ausgangspunkt eines erneuten, progressiven Kampfes gegen den Rassismus. Dieses Buch, das sich mit der aktuellen Bedeutung der Liebe im Leben der Schwarzen befasst und eine Vorlage für das Überleben und die Selbstbestimmung der Schwarzen bieten soll, führt uns kühn zum Kern der Sache. Uns selbst mit Liebe zu begegnen, unser Schwarzsein zu lieben, ermöglicht uns allen, zur wahren Bedeutung von Freiheit, Hoffnung und einem Leben voller Möglichkeiten zurückzufinden.

Wenn ich Schwarze Kinder sagen höre: »Liebe gibt es gar nicht«, antworte ich, dass Liebe immer da ist – dass uns nichts von der Liebe fernhalten kann, wenn wir es wagen, nach ihr zu suchen, und das, was wir finden, zu schätzen wissen. Selbst wenn wir nichts gegen die fortwährende Ausbeutung und Unterdrückung ausrichten können, verleiht die Liebe dem Leben eine Bedeutung, einen Sinn und eine Richtung. Indem wir das Werk der Liebe tun, sichern wir unser Überleben und den Sieg über die Kräfte des Bösen und der Zerstörung. Hansberry hatte recht, als sie darauf beharrte, dass wir uns »auskennen mit der Liebe«. Doch viele von uns haben vergessen, was wir darüber wissen, was Liebe ist oder warum wir sie im Leben brauchen. Dieses Buch erinnert uns daran. Liebe ist unsere Hoffnung und unsere Erlösung.

Eins

Das Wesen aller Dinge

Hin und wieder kehre ich in arme Schwarze Wohngegenden zurück, in denen ich als Kind einmal gelebt oder Zeit verbracht habe. Diese Gegenden, wo einst das Leben pulsierte, wo Blumen vor den Wänden verfallener Hütten blühten und Menschen auf den Veranden saßen, wirken heute völlig verlassen. Viele von ihnen sehen aus wie Kriegsgebiete. Als Rückkehrerin sticht mir die Trostlosigkeit ins Auge. Umgeben von einer Aura der Leere stehen diese Orte, die einst von Hoffnung kündeten, nun mit bloßen ausgebreiteten Händen da, einsam und leblos. Niemand kommt, um sich von ihnen umschließen, sich von ihnen halten zu lassen oder sie zu halten, Wärme zu spenden. Diese Trostlosigkeit ist kein Produkt der Armut; die Generationen von Menschen, die hier im Verlauf der Zeit wohnten, waren immer schon arm. Was ich erlebe, sind Verheerungen des Geistes, die Trümmer, die nach einem Angriff auf die Emotionen und deren Zerstörung zurückbleiben. Was ich erlebe, sind herzzerreißende Verluste, Verzweiflung und ein so tiefgreifender Liebesmangel, dass er die Umgebung sowohl innerlich als auch äußerlich verändert.

Die Trostlosigkeit dieser Orte, an denen die einstige Liebe verschwunden ist, ist nur eines von vielen Anzeichen einer fortwährenden Krise des Geistes, die Schwarze Menschen und ihre Gemeinschaften überall erleben. Die politischen Führungsfiguren und die Verantwortlichen vor Ort geben als Grund für diese Krise häufig die lebensbedrohliche Armut, die Gewalt oder die verheerenden Folgen von Suchterkrankungen an. Und obwohl es zutrifft, dass all diese Dinge unser Wohlergehen beeinträchtigen, liegt dem Ganzen doch eine tief reichende spirituelle Krise zugrunde. Wir als Volk verlieren die Zuversicht. Unsere kollektive Krise ist ebenso emotionaler wie materieller Natur. Sie lässt sich nicht nur mithilfe von Geld beheben. Das wissen wir, weil sehr viele der Führungsfiguren, die predigen, wie wichtig der Zugang zu materiellen Privilegien sei, trotz ihres eigenen Wohlstands und ihrer gesellschaftlichen Position emotional genauso orientierungslos und handlungsunfähig sind wie diejenigen unter uns, die an materiellem Mangel leiden. Führungspersonen, die süchtig sind nach Alkohol, Konsum, Gewalt oder immer mehr Macht und Ruhm um jeden Preis, hegen nur selten eine Vision, wie sich aus dem Lot geratene Leben und zerrüttete Gemeinschaften wieder in Ordnung bringen lassen.

Um unsere angeschlagenen Gemeinschaften zu heilen, sie wieder divers und vielschichtig zu machen, müssen wir zu einer Ethik der Liebe zurückkehren, gekennzeichnet durch die vereinten Kräfte von Fürsorge, Respekt, Wissen und Verantwortung. Im Verlauf der Geschichte unseres Landes haben Schwarze Führungsfiguren immer wieder die Bedeutung der Liebe betont. In der Tat betonen auch zeitgenössische Autoritäten hin und wieder die Bedeutung einer Ethik der Liebe. So schreibt der Philosoph Cornel West in seinem Buch Race Matters dazu: »Eine Ethik der Liebe hat nichts mit sentimentalen Gefühlen oder Gruppenzugehörigkeit zu tun […]. Selbstliebe und die Liebe zu anderen erhöhen beide den Selbstwert und fördern den politischen Widerstand innerhalb einer Gemeinschaft.« Doch obwohl heutige Schwarze Meinungsführerinnen und Meinungsführer und ihre Vordenkerinnen und Vordenker darüber sprechen, dass eine Ethik der Liebe als Grundlage im Kampf um das Recht auf Selbstbestimmung nötig wäre, befassen sich die meisten Sachtexte über das Leben der Schwarzen nicht eingehender mit dem Thema Liebe.

Da unsere intellektuellen Instanzen sich einig darüber sind, dass ein Aspekt der Krise, die wir Schwarzen durchleben, der Mangel an Liebe ist, sollte es offensichtlich sein, dass wir umfassende Literatur benötigen – sowohl soziologische als auch psychologische Texte –, die das Thema der Liebe unter Schwarzen, ihre Bedeutung für den politischen Kampf und ihre Bedeutung für unser Privatleben ausloten. Dass derartige Texte fehlen, fiel mir zum ersten Mal auf, als sich eine öffentliche Debatte um Schulen entfachte, die eigens für Schwarze Jungen eingerichtet werden sollten. Wohin ich mich auch wendete, hörte ich, dass Schwarze Schuljungen Disziplin nötig hätten, sie die Bedeutung harter Arbeit kennenlernen müssten und starke Vorbilder brauchten, die ihnen Grenzen setzten und sie zum Gehorsam anhielten. Als Lösung für ihre problematischen Verhaltensweisen wurde immer wieder ein militaristisches Modell präsentiert, eine Art Bootcamp samt Grundausbildung. Ich vernahm nicht ein einziges Mal, dass man ihnen vielleicht Liebe als Grundlage vermittelt sollte, damit sie ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln und sich selbst und andere lieben könnten. Obwohl unter den führenden Stimmen, die den Liebesmangel als Schlüsselfaktor für die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung der Schwarzen Jugendlichen ausmachten, auch Schwarze Männer waren, sprach niemand von ihnen die Rolle der Liebe in der Erziehung Schwarzer Jungen an.

Als sich eine riesige Anzahl Schwarzer Männer, jung und alt, zum »Million Man March« in der Hauptstadt versammelte, wurde nicht über Liebe diskutiert. In keiner der großen Reden wurde das Wort auch nur in den Mund genommen. Wenn es um die aktuelle Krise im Leben der Schwarzen geht, bleibt die Debatte über Liebe ein ums andere Mal aus. So war es aber nicht immer. Die meisten radikalen Schwarzen Führungsfiguren in der Geschichte unseres Landes stammten aus einem religiösen Umfeld, sei es christlich, muslimisch oder von einer weniger verbreiteten Glaubensgemeinschaft geprägt. Innerhalb dieser Religionen, und ganz besonders im Christentum, bildet die Liebe ein zentrales Thema.

Martin Luther King Jr., seines Zeichens Pastor, war ein Prophet der Liebe, der sich den Seelen der Schwarzen und unserer nichtweißen Verbündeten überall zuwandte. Seine Predigtsammlung Strength to Love erschien erstmals 1963 in gedruckter Form. Später, im Jahr 1967, ließ er vor einer Gruppe kriegskritischer Geistlicher verlauten:

»Wenn ich von Liebe spreche, spreche ich nicht von einem sentimentalen oder schwachen Gefühl. Ich spreche von der Kraft, die alle großen Religionen als das höchste vereinigende Prinzip des Lebens angesehen haben. Die Liebe ist gewissermaßen der Schlüssel, der die Tür zur letzten Wirklichkeit aufschließt. Dieser von Hindus, Moslems, Christen, Juden und Buddhisten geteilte Glaube an die letzte Wirklichkeit wird im ersten Johannesbrief wunderschön zusammengefasst: ›Lasst uns einander lieben, denn die Liebe ist Gott, und alle, die lieben, sind von Gott und erkennen Gott.‹« Dass King die Liebe als grundlegendes Prinzip des Freiheitskampfes herausstellte, zielte darauf ab, seinen Glauben an die Gewaltfreiheit aufrechtzuerhalten. Während er den Schwarzen immer wieder vor Augen führte, wie wichtig es war, den Feind zu lieben und keinen Hass auf Weiße zu empfinden, schenkte er den Themen Selbstliebe und Liebe innerhalb der Schwarzen Gemeinschaft deutlich weniger Aufmerksamkeit.

Eine der meistdiskutierten Predigten in der Sammlung trug den Titel Loving Your Enemies. Darin erklärte und begründete King, warum er uns Schwarze so nachdrücklich dazu auffordert, unsere Feinde zu lieben: »Während wir die Segregation verabscheuen, werden wir ihre Verfechter lieben. Dies ist der einzige Weg, die ersehnte Gemeinschaft herbeizuführen.« Doch er wandte sich auch direkt an die weiße Mehrheit und sagte: »Unseren erbittertsten Gegnern sagen wir: ›Unsere Leidensfähigkeit ist ebenso groß wie euer Vermögen, uns Leiden zuzufügen. Eurer physischen Kraft werden wir mit seelischer Kraft entgegentreten. Macht mit uns, was ihr wollt, wir werden euch trotzdem lieben. Wir können eure ungerechten Gesetze nicht guten Gewissens befolgen, weil wir nicht nur dem Guten verpflichtet sind, sondern auch dazu, das Böse zu verweigern. Werft uns ins Gefängnis, wir werden euch trotzdem lieben. Schickt eure vermummten Gewalttäter nachts in unsere Häuser, lasst sie uns schlagen und halb tot zurücklassen, wir werden euch trotzdem lieben.‹« Von der Liebe zum Schwarzsein ist in der Predigtsammlung an keiner Stelle die Rede. Wie Schwarze den Feind lieben sollten, ohne Selbstliebe zu empfinden, damit befasste sich King nicht.

Der Nachdruck, mit dem er uns Schwarze zur Feindesliebe aufforderte, war der Aspekt seiner politischen Agenda, der ihm von den Radikalen, die den Freiheitskampf der Schwarzen deutlich militanter angehen wollten, die schärfste Kritik einbrachte. Malcolm X warnte immer wieder vor den Gefahren eines gewaltfreien Kampfes. In einer Rede vor jungen Schwarzen aus den Südstaaten im Jahr 1964 sagte er: »Lauft hier nicht herum und versucht, euch mit Leuten anzufreunden, die euch eure Rechte vorenthalten. Sie sind nicht eure Freunde, nein, sie sind eure Feinde. […] Ich werde nicht zulassen, dass jemand, der mich hasst, mir vorschreibt, ihn zu lieben.« Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen Malcolm X über Liebe sprach, ging es um die Notwendigkeit, die Sichtweise der Schwarzen aufeinander zu ändern, da wir die rassistische Denkweise selbst verinnerlicht hätten. Doch insgesamt hatte er nicht viel zum Thema Liebe zu sagen.

Seinen Attacken und der Kritik anderer militanter Schwarzer Anführer gegenüber Kings Philosophie der Gewaltlosigkeit lag die Annahme zugrunde, dass Liebe etwas für Schwache und Verweichlichte sei. Echte Männer befassten sich mit wichtigeren Dingen. Militante Führungsfiguren der Black-Power-Bewegung, die sich das Thema Selbstbestimmung auf die Fahnen schrieben, Leute wie Huey Newton, Elaine Brown und Kwame Ture (damals noch als Stokely Carmichael bekannt), zogen den Auseinandersetzungen über die Liebe Debatten rund um die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins vor. Je weiter sich der Schwarze Radikalismus von seinen religiösen Wurzeln entfernte, je säkularer er wurde, desto stiller wurde es um das Thema Liebe. Da der Freiheitskampf immer mehr zu einem Synonym für die Erschaffung starker Schwarzer Patriarchen wurde, hatte die Liebe keinen zentralen Platz mehr in der Bewegung. Echte Männer liebten nicht, sie kämpften. Bei der Freiheit, erklärten die militanten Schwarzen Autoritäten der Welt, gehe es um den Willen zur Macht, nicht um den Willen zur Liebe.

Weil Freiheit mit der Erlangung gleicher Rechte innerhalb des bestehenden Gesellschaftssystems gleichgesetzt wurde, blieb für die Liebe in dieser Gleichung kein Raum. Der Schwarze Freiheitskampf zielte immer mehr auf den Zugang zu materiellen Privilegien ab. Wirtschaftliche Autonomie galt als der Maßstab, an dem die Freiheit gemessen wurde. In dieser Hinsicht fielen die Ziele der aggressiveren und militanteren Stimmen, die sich für Gewalt aussprachen, sogar weniger radikal aus als diejenigen, die King in seinen Schriften proklamierte. Ihr Aufruf zum gewalttätigen Kampf hatte nicht zum Ziel, die bestehende Ordnung zu verändern, sondern Macht und Privilegien innerhalb des Systems zu erringen. King warnte gleich in mehreren Predigten in Strength to Love vor den möglichen Gefahren des Kapitalismus und machte darauf aufmerksam, wie gefährlich es sei, Geld mehr zu lieben als Freiheit. Seine Worte sind unmissverständlich: »Ich behaupte weiterhin, dass die Liebe zum Geld die Wurzel vieler Übel ist und einen Menschen zum schlimmen Materialisten machen kann.« Natürlich konnte King nicht ahnen, dass Schwarze eines Tages Zugang zu materiellem Reichtum erlangen würden, indem sie ihr Schwarzsein auf ähnliche Weise ausbeuteten, wie es die dominante Kultur tat. Doch in den Reden und Predigten, die er kurz vor seiner Ermordung hielt (von denen viele in der Textsammlung A Testament of Hope enthalten sind), spricht er sich vehement gegen Imperialismus, Militarismus und Kapitalismus aus und ruft zu einer radikalen Transformation der Gesellschaft auf.

King erkannte mit prophetischem Blick, dass eine Ethik der Liebe unerlässlich war, um die Dominanzverhältnisse wirksam zu durchbrechen. In seinen letzten Texten ging es weniger darum, Schwarze zu lehren, wie wir den Feind lieben könnten, sondern um die Gefahren der moralischen Korruption, die unsere Hinwendung zum materialistischen Hedonismus barg. Seiner Meinung nach würde diese das Land in eine spirituelle Krise stürzen. Damit lag er genau richtig. Cornel West beschreibt die aktuelle Notlage der Schwarzen in seinem Buch Prophetic Reflections so: »Es gibt eine zunehmende Spaltung und Abgrenzung zwischen den Klassen, was einerseits eine bedeutende schwarze Mittelschicht hervorbringt, die von immensen Ängsten und Unsicherheiten geplagt wird, willens, sich von den Machthabern vereinnahmen zu lassen, und die sich nur dort Gedanken über Rassismus macht, wo er ihre gesellschaftliche Mobilität einschränkt; und andererseits gibt es eine riesige und wachsende schwarze Unterschicht, eine Art Nihilismus auf zwei Beinen, geprägt von Drogensucht, Mordlust und einer exponentiell ansteigenden Selbstmordrate. Aufgrund der Deindustrialisierung haben wir heute zudem eine am Boden zerstörte schwarze Arbeiterklasse vor uns. Das führt zu einer enormen Hoffnungslosigkeit.« Was West noch nicht einmal erwähnt, ist die stetig wachsende Schwarze Elite, reiche Individuen, die über einen noch nie da gewesenen Zugang zu den Massenmedien verfügen und als Produzentinnen und Produzenten sowie als Kulturschaffende Werte verbreiten, die dem kollektiven Überleben der Schwarzen abträglich sind. Um ihre Klasseninteressen zu schützen, erwecken diese Personen oft den Eindruck, als wäre Schwarzer Kapitalismus das Gleiche wie Schwarze Selbstbestimmung. Sie tun so, als wäre der liberale Individualismus, dem sie anhängen, der einzige Weg zum Erfolg, und untergraben dadurch die Vision eines kollektiven Wohlergehens, das darauf angewiesen ist, dass Fähigkeiten und Ressourcen geteilt werden.

Durch ihre Worte und Taten treiben diese reichen Schwarzen mehr als alle anderen die Schwarzen Massen dazu, den Gott des Geldes anzubeten. Die Sucht nach materiellen Dingen kennt keine Klassen, doch die Auswirkungen dieser Abhängigkeit sind je nach Klasse unterschiedlich. Für reiche Schwarze aus der Sport- oder Musikbranche, die sich teure Autos, Designerkleidung, Drogen und so weiter kaufen, muss niemand leiden. Doch arme Schwarze aus der Unterschicht, die mit Drogen handeln, um sich materiellen Luxus leisten zu können, fügen damit den Mitgliedern ihrer Gemeinschaften Schaden zu. Wenn reiche Schwarze drogen- oder alkoholsüchtig werden, haben sie ohne Weiteres Zugang zu Therapiemaßnahmen, die ihnen helfen und sie unterstützen. Armen und unterdrückten Schwarzen, die abhängig sind, fehlt häufig ein solches Angebot. Ihr Versuch, den Lebensstil der Reichen und Berühmten nachzuahmen, hat gewöhnlich tragische Folgen.

Ganz unabhängig von der Klassenzugehörigkeit sind Schwarze, die dem Geld verfallen sind, nicht an einer Ethik der Liebe interessiert. Das Streben nach wirtschaftlicher Autonomie ist ein würdiges und notwendiges Ziel aller. Die Kontrolle über die eigenen Ressourcen ist ein wichtiger Aspekt eines gesunden Selbstwertgefühls. Doch wer materiellen Dingen mehr Wert beimisst als allem anderen, gerät in eine spirituelle Krise. Das wird sehr anschaulich in Lorraine Hansberrys preisgekröntem Theaterstück Eine Rosine in der Sonne dargestellt. Nach dem Tod des Vaters, Big Walter, muss Familie Younger entscheiden, was mit dem Geld passieren soll, das sie von der Versicherung erhält. Der erwachsene Sohn, Walter Lee, möchte damit einen Schnapsladen eröffnen. Seine Mutter Lena stellt ihn daraufhin zur Rede und fragt: »Seit wann bestimmt das Geld unser Leben?« Das Stück, das Ende der Fünfzigerjahre entstand, zeigt beispielhaft die Veränderungen, die sich durch die zunehmende gesellschaftliche Mobilität für uns Schwarze ergaben. Marktunabhängige Werte wie Gemeinschaft und Ressourcenteilung, symbolisiert durch die weitverzweigte Familie, wurden durch liberalen Individualismus ersetzt. Walter Lee geht es nicht um das Wohlergehen der Gemeinschaft; er will kapitalistischen Erfolg für sich selbst. Als Lena ihn vor dem Verkauf eines Suchtmittels warnt, verhöhnt er sie.

Mit prophetischem Blick sah Hansberry voraus, welche negativen Auswirkungen die Verehrung des Geldes und die Gleichgültigkeit gegenüber Suchterkrankungen auf das Leben der Schwarzen hätten. In ihrem Stück behalten die marktunabhängigen Werte die Oberhand. Im Leben vieler Schwarzer haben sie sich dagegen nicht durchgesetzt. Die Liebe erwähnt Hansberry in Eine Rosine in der Sonne nicht. Dennoch sah sie den überhöhten Stellenwert, den ihre Familie und die Schwarzen im Allgemeinen dem Streben nach materiellem Erfolg beimaßen, sehr kritisch und war der Ansicht, dass wir die Liebe zu sehr vernachlässigen, zu unserem eigenen Nachteil. In einem autobiografischen Text beschreibt sie ihre Familie so: »Über das Thema Liebe und meine Eltern ist wenig zu sagen – ihr Verhältnis ihren Kindern gegenüber war zweckmäßig. Sie versorgten uns mit Essen, einem Dach über dem Kopf, Kleidung und mehr Geld, als unseresgleichen hatte, und das war es dann auch. Wir waren keine liebevollen Menschen.« Hansberry musste erkennen, dass es in der Welt, in der sie aufgewachsen war, stets nur um materiellen Erfolg ging.

Zu Hansberrys Zeiten gab es eine rege Debatte darüber, ob die entmenschlichenden Auswirkungen des Rassismus es Schwarzen tatsächlich unmöglich gemacht hatten, zu lieben. Ihr enger Freund und Wegbegleiter James Baldwin äußerte sich häufig und sehr nachdrücklich zu dem Thema. Seine Auseinandersetzungen mit dem Schriftstellerkollegen Richard Wright drehten sich oft um das Thema Entmenschlichung. Wright war fest davon überzeugt, dass Schwarze Menschen aufgrund der emotionalen Narben, die die rassistische Unterdrückung hinterlassen hatte, liebesunfähig seien. Baldwin beharrte klugerweise darauf, dass wir immer mehr sind als unser Schmerz. Er glaubte nicht nur an unsere Fähigkeit zu lieben, sondern meinte darüber hinaus, dass wir geradezu prädestiniert seien, das Risiko des Liebens einzugehen, gerade weil wir so gelitten hatten. In seinem Essay »Nach der Flut das Feuer« schreibt er über die »geistige Widerstandskraft«: »Ich will Leiden nicht romantisieren […], aber wer nicht leiden kann, wird nicht erwachsen, wird nicht herausfinden, wer er ist.«1 Baldwin wäre zweifellos schockiert, würde er miterleben, wie viele Schwarze heute das Leiden nicht auf eine Weise ertragen, die sie zur Liebe führt. Stattdessen lässt die weitverbreitete Sucht darauf schließen, dass das Verlangen, den Schmerz zu betäuben, größer ist als die Kraft des Geistes, uns durch den Schmerz hindurch zu einer möglichen Heilung zu führen. In ihrem Essay »Where Is the Love« ruft uns June Jordan in Erinnerung: »Es ist immer die Liebe, ob wir den Blick auf Fannie Lou Hamer richten oder auf Agostinho Neto, es ist immer die Liebe, welche die Handlung an positive neue Orte trägt.«

Die Liebe bleibt für uns Schwarze ein wichtiger Weg hin zur Heilung. Im Rückblick ist klar: Wenn wir keine Grundlage der Liebe schaffen, auf der unser Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung aufbauen kann, werden die Kräfte des Bösen, der Gier und der Korruption unsere Bemühungen untergraben und letztlich zunichtemachen. Es ist nicht zu spät für uns Schwarze, zur Liebe zurückzukehren und uns erneut mit den metaphysischen Fragen zu befassen, die viele Schwarze Künstlerinnen und Künstler sowie deren Vorbilder während der Hochphase des Freiheitskampfes gestellt haben, Fragen über das Verhältnis zwischen Entmenschlichung und Liebesfähigkeit, Fragen über internalisierten Rassismus und Selbsthass.

Die aktuelle Konzentration auf materiellen Erfolg als Schlüssel zur Überwindung der Krise hat die Aufmerksamkeit vom notwendigen emotionalen Wachstum abgelenkt, von unserer Aufgabe, uns rückhaltlos der Kunst und dem Akt des Liebens zuzuwenden. Tina Turners Hit »What’s Love Got to Do with It?« brachte die Abkehr von einer Ethik der Liebe auf populäre Weise zum Ausdruck. Ein Großteil der Hip-Hop-Kultur tritt für einen hedonistischen Materialismus ein, indem alles, was mit noch mehr Reichtum in Verbindung gebracht werden kann, als Inbegriff des Coolen darstellt wird. Wie die gesamte Kultur betrachten nun auch unzählige Schwarze Menschen materiellen Erfolg als einzigen Maßstab für den Wert und die Bedeutung des Lebens. Wir brauchen zwar nicht zu lieben, um großen Reichtum anzuhäufen, doch materielle Privilegien ohne ein solides emotionales Fundament verleiten zur Korruption. Der Zugang zu materiellen Gütern kann niemals die Bedürfnisse des Geistes stillen. Dessen Hunger bleibt und verfolgt uns. Wir versuchen das Verlangen zu befriedigen, indem wir immer mehr konsumieren, doch der Appetit wird schnell zu einer Sucht, die niemals gesättigt werden kann. Bedürfnisse des Geistes lassen sich nur befriedigen, indem wir uns um unsere Seele kümmern. Unsere Vorfahren wussten das. Nur eine Politik der Neuausrichtung, eine Hinwendung zur Liebe, kann uns retten.

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