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Schnee im Frühling

Als Buch hier erhältlich:

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The Old Farmer's Almanac ist ein Almanach mit Wettervorhersagen, Pflanzentabellen, astronomischen Daten, Rezepten und Artikeln, das seit 1792 jedes Jahr in Kanada erscheint und damit die älteste kontinuierlich erscheinende Zeitschrift Nordamerikas ist. Castle Freeman, den man hierzulande als Romanautor kennt, hat viele Jahre für den Almanach geschrieben, und Schnee im Frühling versammelt eine Auswahl seiner Texte: Er hat zu allen Aspekten des modernen Landlebens etwas zu sagen, von Rototillern und Kettensägen bis zu Kaninchen und Waschbären, von Taglilien bis zu Ahornzucker, von Schnee auf dem Dach bis zu Mäusen im Holzstapel.

In der Tradition amerikanischer Naturbeschreibungen erzählt Castle Freeman von einer Lebensweise, die zu gleichen Teilen herausfordernd, ruhig und abwechslungsreich ist. Dieses Buch ist zum Vergnügen, zum Nachdenken in der Stadt und auf dem Land, ein Buch zum Mitnehmen und Verschenken.


  • Erscheinungstag: 27.12.2024
  • Seitenanzahl: 336
  • ISBN/Artikelnummer: 9783312013319

Leseprobe

Vorwort und Ankündigung

Noch heute – besonders heute – ist es ein Grundprinzip Neuenglands und damit auch seiner historischen Enzyklopädie, The Old Farmer’s Almanac, etwas fürs Geld zu bieten. Das gilt auch für Spring Snow, Schnee im Frühling. Was Sie in den Händen halten, ist nicht nur ein Buch, es ist auch ein Zoo, ein Garten, eine Volière, ein Museum, ein Schrottplatz, eine Bibliothek, ein College und ein Observatorium.

Und so finden sich auf den folgenden Seiten sechsundzwanzig wild lebende Säugetiere, zweiundzwanzig Vögel, drei Reptilien und siebzehn Insekten. Außerdem sechzehn Baumarten, sechs Wildblumen, vier gezähmte Blumen, vierzehn Arten von Gartengemüse, ein Komet, ein Stern erster Größe und zwei Konstellationen.

Dies alles in einem fest vorgegebenen Rahmen, der sich durch seine Unveränderlichkeit auszeichnet: die »Farmer’s Calendar«-Kolumne in The Old Farmer’s Almanac. Für die Autoren, denen es im Laufe der zweihundert Jahre seit erstmaligem Erscheinen des Almanachs zufiel, diese Kolumne mit Inhalt zu füllen, war und ist die räumliche Vorgabe eine Herausforderung vergleichbar mit der, ein maßstabsgerechtes Modell der Mayflower in einer Miniaturflasche zu errichten. Ein Kasten von knapp sechzig Quadratzentimetern, die Größe eines altmodischen Briefkastenschlitzes, Raum für etwa dreihundertfünfundzwanzig Wörter. Diesen Kasten soll man füllen – zwölf Mal im Jahr. Wie tut man das?

In der Phase – übrigens der längsten – seines langen Bestehens, in der The Old Farmer’s Almanac hauptsächlich von echten Farmern gelesen wurde, war die Antwort auf diese Frage einfach: Man stellte die bewährte Bude auf und bot an, was schon Vergil und diverse alte Griechen vor zweitausend Jahren im Angebot hatten: praktischen landwirtschaftlichen Rat. Vor mir liegt der Old Farmer’s Almanac von 1874. Im »Farmer’s Calendar« für Juni schreibt der Autor:

Ich hoffe, Sie haben ein gutes Feldstück für Steckrüben. Jetzt ist die richtige Zeit, um sie auszusäen, um den zwanzigsten oder fünfundzwanzigsten des Monats. Steckrüben lassen sich gut im Frühwinter verfüttern.

Guter, nützlicher Rat, der ganz offensichtlich auf einem reichen Schatz an praktischer Erfahrung beruht – heute jedoch, da der Almanach in sein drittes Jahrhundert eingetreten ist, für die Leserschaft vermutlich von eher begrenztem Nutzen. Wir bewirtschaften das Land heute anders. Wir pflanzen keine Steckrüben mehr an.

Daher erschien es den Herausgebern des Almanachs das Beste, die ursprüngliche, zweckorientierte Ausrichtung des »Farmer’s Calendar« in den Hintergrund treten zu lassen und handfeste Informationen durch Eindrücke, Betrachtungen, etwas Bücherwissen und viel Fantasie zu ersetzen. Was natürlich bedeutete, dass sie keinen Farmer mehr als Verfasser brauchten, sondern einen stetigen Leser mit Kenntnissen in dem, was man früher Naturkunde nannte, jemand Unpraktischen, Unsystematischen, Unbeschäftigten, Nutznießer und Opfer jener Form von geisteswissenschaftlicher Ausbildung, die vor dreißig Jahren üblich war. 1981 stellten sie mich ein, und seither arbeiten wir wohlgemut zusammen.

In Schnee im Frühling finden sich vier bedeutende Bücher, zwei Gruselfilme, drei Romanhelden, ein Geschäftsmann, ein General und zwei europäische Aristokraten. Einen dieser Adeligen habe ich allerdings erfunden. Auch die beiden fernöstlichen Philosophen sind, fürchte ich, nur erdacht, dafür zitiere ich sieben Dichter, die es alle wirklich gibt oder gab. Ebenso wie die elf bedeutenden Wissenschaftler und zehn bedeutenden Autoren.

Zu Letzteren gehört, wenig überraschend, Henry David Thoreau (1817 – 1862) aus Concord, Massachusetts, der in diesem Buch zwei kurze Auftritte hat. Ich glaube ja, offen gestanden, dass Thoreau im realen Leben ein eitler, schwieriger, ja unerträglicher Mann war, aber er ist der Autor von Walden oder Leben in den Wäldern (1854), einem der drei oder vier zweifelsfrei großen Werke der amerikanischen Literatur. Dort schreibt er, dass er »in Concord viel herumgekommen« sei. Es ist eine pointierte Bemerkung. Für Thoreaus Zeitgenossen galten Auslandsreisen – die in jüngerer Zeit relativ einfach und gefahrlos geworden waren – als wichtiger Bestandteil der Bildung. Er jedoch verschmähte das Reisen und ist bekannt dafür, sich an die Gegend rund um seine kleine Heimatstadt ein paar Kilometer westlich von Boston gehalten zu haben. Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, entfernte sich Thoreau in seinem ganzen Leben höchstens ein halbes Dutzend Mal weiter als hundertfünfzig Kilometer von diesem Ort.

Schnee im Frühling steht insofern in dieser Tradition, als es sich ebenfalls einem einzigen Ort widmet und auf dessen Fülle und Vielfalt vertraut. Und somit hat es zu guter Letzt auch noch ein altes, (vor allzu langer Zeit) rot angestrichenes Haus zu bieten, neun Hektar Vorgebirgsland, drei Wiesen, zwei Waldstücke, einen Bach, ein Gemüsebeet, drei Blumenbeete, sechs Katzen, einen Hund, zwei Kinder, zwei Erwachsene, vier oder fünf Nachbarn und gelebtes Leben aus einem Zeitraum von rund siebentausend Tagen.

Dieses Buch ist also eine Vielheit, und doch enthält es kaum Exotisches, kaum Abenteuerliches oder Fremdes, vielmehr widmet es sich kleinen, vertrauten Dingen und Alltagssituationen, die uns allen zugänglich sind – zumindest, wenn wir stillhalten können. Irgendwo habe ich gelesen, dass die meisten Amerikaner alle fünf Jahre umziehen. Für sie ist dieses Buch nicht gedacht. Oder vielleicht doch – vielleicht ist es gerade für sie gedacht. Mehr und mehr.

Schnee im Frühling handelt davon, zu bleiben, wo man ist.

Nicht direkt auf diesen Seiten, sondern hinter ihnen stehen außerdem sechs Männer und Frauen. Wer schreibt und das Glück hat, einen Verlag für seine Bücher zu gewinnen, entdeckt bald – mit einer Mischung aus Entsetzen, Kränkung, Resignation, Erleichterung und Dankbarkeit –, dass eine Buchveröffentlichung notwendigerweise ein gemeinschaftliches Unterfangen ist. Bei mir überwiegt die Dankbarkeit, und sie gilt einer ganzen Reihe von Menschen. Susan Peery, Jud Hale, Tim Clark und Debra Sanderson von The Old Farmer’s Almanac haben mich beim Verfassen des »Farmer’s Calendar« über vierzehn Jahre lang nach Kräften unterstützt und ermuntert. Christina Ward, meine Literaturagentin und Freundin, hat die Idee einer Sammlung dieser Kolumnen erfolgreich durch das Dickicht des Verlagswesens bugsiert, durch das sich einen Weg zu bahnen der Autor weder die Gewitztheit noch die Nerven hatte. Peter Davison von der Houghton Mifflin Company war der gründlichste und klügste Leser, den diese Kolumnen je hatten. Insofern ihre Auswahl und Anordnung in diesem Buch besonders gelungen erscheint, ist das vorwiegend ihm zu verdanken. Jayne Jaffe, ebenfalls bei Houghton Mifflin, hat das Manuskript mit größter Sorgfalt lektoriert und die Texte dieser Sammlung in einem Maße verbessert, das niemand so sehr zu würdigen weiß wie ich. Carol Barber aus West Brattleboro, Vermont, hat mir beim Aufspüren bestimmter Pflanzen geholfen, wenn meine Kenntnis des örtlichen Waldlandes an ihre Grenzen stieß. Alice Freeman hat entweder im konkreten Leben oder als Gedankenanstoß das Thema so mancher dieser Kolumnen angeregt. Sie hat sie alle gelesen, hat gelobt, was ihr gefiel, und sich ansonsten zurückgehalten. Kein Autor, kein Partner könnte sich Besseres wünschen, und die meisten müssen sich mit weniger zufriedengeben. Mein Dank an alle.

Castle Freeman Jr.

Newfane, Vermont, im März 1995

Landschaft

Wie werden Wiesen grün? Gegen Ende April hat auf den strähnigen braunen Feldern, gebleicht und flach gedrückt vom Winterschnee, kräftiges Frühlingsgrün die Oberhand gewonnen. Wenn man im Verlauf dieses Monats eine bestimmte Wiese im Auge behält, wird man feststellen, dass ihr zunehmendes Ergrünen ein Vorgang ist, den man zwar bemerken, aber nicht messen oder verfolgen kann. Genauso wenig kann man die Alterung vertrauter Gesichter verfolgen, das eigene eingeschlossen, auch wenn man sie in einzelnen Momenten deutlich erkennt. Im April überraschen Jugend und Erneuerung die Wiesen, eine Art Umkehrung jenes schwer fassbaren Vorgangs, durch den unser Altern uns überrascht. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sich die Natur, aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet, durch die gleichen Entwicklungsschritte auf und ab, vor und zurück bewegt.

Das Grün erfasst die Wiesen ganz allmählich. Tiefer gelegene Wiesen ergrünen früher als höher gelegene, und kurz gehaltenes Gras wird überall als Erstes grün. Mitte April zeigen gestutzte Rasenflächen und Rabatten schon ein tiefes Sommergrün, während gemähte Wiesen und freies Feld noch das fahle Winterstroh tragen. Auf ihnen breitet sich das Grün von unten her aus. Manche Wiesen ergrünen ungleichmäßig, stück- und stellenweise. Zwischendurch kann eine Aprilwiese aussehen wie eine Landkarte mit Kontinenten, Halbinseln, Eilanden von Grün in einem braunen Ozean. Manche Wiesen ergrünen erst spät. Ich komme oft an einem großen Berghang vorbei, dessen unbewaldeter, geschwungener oberer Teil nach Südwesten weist und eigentlich nie vor dem ersten Mai erwacht. Jede Wiese hat ihren eigenen Plan, ihre eigene Uhr.

Wenn eine Wiese zum Leben erwacht, gibt es einen Moment, wo sich das neue Grün und die Braun- und Grautöne des Winters ungefähr die Waage halten. Dann scheint das Frühlingsgrün die alte Wiese von unten zu erhellen, sie vorübergehend zum Leuchten zu bringen. Dieses Phänomen hält höchstens einen Tag lang an. Ein sanfter Regen wird dem jungen Gras zu Hilfe kommen, und am nächsten Tag ist die Wiese vollkommen grün.

April 1983

Im vergangenen Monat hat die Sonne, die vom südlichen Himmel aufsteigt, den Frühlingspunkt durchlaufen, und jetzt bescheint sie die Erde mit wachsender Kraft. An den Straßenrändern schwindet der Schnee besonders rasch, im Wald schmilzt er ebenso. In den Schnee getretene Trampelpfade erscheinen für einen Tag wieder und verwandeln sich dann in Matsch. Bäche, Flüsse, Teiche brechen auf, ihre Ufer werden weich, das Eis, das sie festhielt, treibt auf dem Wasser, tanzt, wird davongetragen.

Jetzt, bevor die Bäume austreiben, bevor das Gras wieder grün wird und zu wachsen beginnt, ist das Land ungeschützt. Man sollte hinausgehen und es betrachten. Einen schönen Hang finden, sich hinsetzen und den Blick schweifen lassen.

Die Luft ist noch kalt, aber der Wind riecht schon nach pflanzlichem Leben, nach Wachstum und Regenwürmern. Das Land sieht aus wie eine Patchworkdecke, vor vielen Jahren von einer strengen alten Hausfrau genäht, der leuchtende Farben und raffinierte Muster suspekt waren: Aus gewöhnlichem Stoff in gewöhnlichen Farben fügte sie vorwiegend schlichte Rechtecke zusammen. Laubbaumbestände sind braun, die Nadelwaldstreifen oberhalb von ihnen mattgrün. Die Getreidefelder sind von einem undefinierbaren Farbton, einer Mischung aus braunem Matsch und dem Grau oder Braun der stehen gebliebenen Stoppeln. Die Wiesen sind lohfarben, wie ein heller Fuchs. In den Gärten zeigen die Beete ein schönes, sattes Schwarz. Nur wo Gärtner oder Farmer eine Zwischenfrucht ausgesät haben, sieht man jetzt kräftige Farben, ein intensives Grün.

Wenn der Schnee endgültig schmilzt, dann schmilzt er zuerst unter den Kiefern und Hemlocktannen. Dort ist es warm und trocken. Man kann sich hinsetzen und diese besondere Periode genießen. Es ist eine der kürzesten im Jahr. In einer Woche wird alles grün sein. Schon jetzt, wo die Nächte noch kalt sind, hört man abends im Wald einen einzelnen Frühlingspfeifer, diesen winzigen Frosch, der immer wieder ein und denselben Ton hören lässt, langsam, gleichmäßig, wie ein gelangweiltes Kind am Klavier.

April 1986

Arbeiten und Arbeitsgeräte

Neulich habe ich unseren Abfall zur städtischen Deponie gebracht und wäre fast von einem der Stadtväter über den Haufen gefahren worden, der in seinem Pick-up, den er kaum mehr unter Kontrolle hatte, an der Altpapierstelle vorbeiraste. Ich meinte den alten Herrn dabei jauchzen zu hören. An der eigentlichen Müllhalde, wo die Hausabfälle hingehören, musste ich einer alten Frau ausweichen, die beim Wegfahren durch den Matsch derart auf die Tube drückte, dass ihre Räder durchdrehten, ehe sie auf das Tor zuschoss.

Auf einer städtischen Mülldeponie liegt irgendetwas in der Luft, das ansonsten gesetzestreuen und gesitteten Menschen alle Hemmungen nimmt. Zwischen den Abfallbergen pesen sie mit einer Hingabe über die matschigen Wege, die eines Demolition Derby würdig wäre. Vielleicht liegt es an den Ausdünstungen des Reifenbergs oder am Qualm der brennenden Matratzen, dass es auf dem Gelände einer Deponie jeden Samstagvormittag so rasant und gefährlich zugeht wie bei einem Schrott-Motocross. Vielleicht ist es auch ein subtilerer Einfluss: die Beschwingtheit, die uns alle erfasst, wenn wir, und sei es nur für eine Stunde, einen Teil des materiellen Ballasts, den wir mit uns herumschleppen – unseren Müll –, losgeworden sind. Wie starke junge Pferde, die vom Geschirr befreit und auf die Weide gelassen wurden, müssen Menschen, die gerade die Abfälle der vergangenen Woche weggeworfen haben, ein bisschen herumtollen und über die Stränge schlagen. Und warum auch nicht?

Was immer diesen Müll-Derby-Effekt auch auslöst, es kann die Leute hier gewaltig auf Touren bringen. Nachdem sie vorsichtig durchs Tor gefahren sind, drücken sie das Gaspedal bis zum Boden durch und lassen den Motor aufheulen. Wo sonst kann man einen Stadtrat dabei überraschen, wie er mit quietschenden Reifen ums Altmetall schlittert oder einen Angehörigen des Board of Civil Authority dabei antreffen, wie er Schlamm aufschleudernd an den kaputten Kühlschränken vorüberrast?

März 1988

Vor ein paar Jahren entdeckte ich, als der Schnee wegtaute, dass eine der alten Steinmauern in der Nähe unseres Hauses an einer Stelle eingebrochen war. Die Mauer war dort bloß hüfthoch, und nur wenige der Steine waren groß, deshalb entschied ich, dass ich die Reparatur des eingestürzten Teils selbst übernehmen konnte. Nicht dass ich mir das einfach vorgestellt hätte, bewahre, oder die Erwartung gehabt hätte, die Mauer würde dann so gut wie neu sein. Die rundlichen, knubbeligen Granit-Feldsteine von unserem Berg so zusammenzusetzen, dass sie bleiben, wo sie sind, und eine gute Mauer bilden, erfordert größere Kunstfertigkeit, als ich sie je besitzen werde, das weiß ich nur zu gut. Aber, dachte ich, eine neue Mauer muss ich ja nicht errichten, nur die alte wiederaufbauen. Die schwierige Arbeit war bereits getan: Die Steine waren schon so arrangiert worden, dass sie an ihrem Platz blieben – oder jedenfalls bis vor Kurzem geblieben waren. Ich musste sie nur ungefähr so wieder aufeinanderschichten.

Ich machte mich ans Werk. Ein schemelgroßer Feldstein aus Vermont ist das Unhandlichste, Schwerste, was man sich nur denken kann. Dass Millionen von diesen Dingern als potenzielle Meteoriten federleicht im All herumfliegen sollen, ist eine absolut unhaltbare Vorstellung. Ich wuchtete die Steine hoch, ruckelte sie zurecht, bis sie stabil lagen, verkeilte sie mit kleineren Steinen. Schließlich stand die Mauer wieder.

Doch ich war verdutzt: Es waren noch sechs oder sieben Steine übrig. Die Mauer sah nicht toll aus, aber durchaus sorgfältig gebaut, fand ich. Warum also waren einige Steine ungenutzt geblieben? Ich musste daran denken, wie ich früher als kleiner Junge billige Taschenuhren auseinandergenommen hatte. Ich hatte all die Einzelteile wieder zusammengesetzt, aber irgendwie war immer ein Schräubchen, ein Stift, eine Feder zu viel da gewesen. Jedes Mal, wenn ich eine Uhr auseinander- und wieder zusammenbaute, blieben Teile übrig. Mit meiner neuen Mauer verhielt es sich genauso: Sie war wieder ganz, aber unvollständig. Wobei meine neue Mauer, so dachte ich, ihren Dienst tat – was ich von meinen neu zusammengesetzten Uhren nie hatte behaupten können.

Mai 1991

Erste Insekten

An einem Märztag vor ein paar Jahren stieß ich bei einem Spaziergang auf eine Stelle im Schnee, die aussah, als hätte jemand dort Eisenspäne oder geschroteten Pfeffer verstreut. Ich schaute genauer hin: Kleine schwarze Körnchen waren dicht über den Schnee verteilt. Ich ging auf die Knie, um sie mir aus der Nähe anzusehen. Kaum hatte ich festgestellt, dass jedes dieser Körnchen winzig klein war, passierte etwas: Das Körnchen, das ich betrachtete, verschwand. Gerade war es noch da, und im nächsten Moment war es fort. Ich schaute auf ein anderes Körnchen. Kurz darauf verschwand es ebenfalls. Ich richtete mich wieder auf, und jetzt sah ich, dass diese Handvoll Pfefferschrot tatsächlich eine riesige Ansammlung von Lebewesen war. Das ist ja interessant, dachte ich.

Ist man bei seinen Beobachtungen an diesem Punkt angelangt, wendet man sich der Fachliteratur zu – nur um festzustellen, dass das Wunder, das man zufällig entdeckt hat, etwas ganz Gewöhnliches ist. Mein verschwindender Pfeffer ist ein Insekt namens Schneefloh (Achorutes nivicolus), ein nördliches Mitglied jener großen Gruppe von Insekten, die Springschwänze genannt werden. Diese wie winzige Reiskörner geformten kleinen Wesen haben an ihrem Hinterleib eine sogenannte Sprunggabel, die unter ihren Körper gefaltet ist und dort wie eine Feder in Spannung gehalten wird. Man kann sich das wie eine umgedrehte, gespannte Mausefalle vorstellen. Wird sie ausgelöst, schleudert die Sprunggabel den Schneefloh in die Höhe, und da die Tiere so klein sind, scheinen sie mit dieser schnellen Bewegung zu verschwinden. Sie entwickeln sich am Ende des Winters aus einer Jungform, der Nymphe, und kriechen durch den Schnee hinauf an die Oberfläche, wo sie sich in der ersten Frühlingssonne tummeln, belebter Staub, der die Saftsammler im Ahornwald erstaunt, sofern sie nicht zu beschäftigt sind, um ihn zu bemerken. Wie alle anderen Insekten lieben auch Schneeflöhe Süßes. Man kann sie in den Safteimern herumschwimmen sehen.

März 1985

Man muss im Garten nur einen Spaten voll Erde umwenden, und schon sieht man eine dieser fetten, braunköpfigen Maden, die in Form und Größe einem stark gekrümmten kleinen Finger ähneln und die Farbe von altem Elfenbein haben. Genau wie Schlangen sehen sie glitschig aus, sind aber tatsächlich trocken und vollkommen sauber. Durch Maden wie diese habe ich gelernt, dass nicht alle Leute so viel Gefallen daran finden wie ich, das, was aus der Erde hochkommt, anzufassen.

Die Maden sind ein Zeichen, dass es Frühling wird, denn im Frühling graben wir den Garten um, und dabei entdecken wir sie, aber tatsächlich ist der Boden zu jeder Jahreszeit voller Maden. Am vertrautesten sind mir unter den Dicker-kleiner-Finger-Maden die Larven des Junikäfers, jenes lauten braunen Insekts, das im Frühsommer vor erleuchteten Fenstern seine Vorstellung gibt. Der Gattungsname ist Phyllophaga. Laut der Fachliteratur gibt es mehr als hundert Arten von Junikäfern. Sie legen ihre Eier in kleine Höhlungen in der Erde, in Gärten, Feldern und Rasenflächen. Die Larven, die aus den Eiern schlüpfen, leben zwei oder drei Jahre in der Erde und ernähren sich von Wurzeln. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie viel herumkommen, für die Fortbewegung scheinen sie nicht gebaut. Wenn man genauer hinschaut, sieht man aber, dass sie vorne kleine Greifarme haben, wie Raupen, und tatsächlich sind sie ja auch eine Art Raupe. In ihrem dritten Herbst verpuppen sie sich für den Winter, und im Frühjahr schlüpfen dann die neuen Junikäfer.

In meiner Kindheit haben wir die Maden aus dem Garten fürs Angeln sehr geschätzt. Wenn man sie auf den Angelhaken spießte, schien ihnen das nichts auszumachen, was mich daran zweifeln ließ, dass sie wirklich gute Köder waren. Wie kann ein so tumbes Geschöpf andere anlocken? Doch es war allgemein bekannt, dass Maden aus dem Garten für Barsche der absolute Killer sind, besser als jeder andere Köder. Wobei ich persönlich mit einer Made noch nie einen Barsch gefangen habe. Ich versuche es immer wieder. Allerdings gibt es in dem Weiher, in dem ich angele, gar keine Barsche.

Mai 1984

Der Mai ist die Zeit der großen gelben Schmetterlinge. Es sind Tigerschwalbenschwänze (Papilio glaucus), gelb mit schwarzen Streifen und so groß wie eine Jungenhand. Es dürften die größten Schmetterlinge sein, die es im nördlichen Neuengland gibt. Bei uns in der Gegend tauchen sie Mitte des Monats auf und sind dann ein paar Wochen lang überall. Man findet sie auf den Wiesen und in den Gärten, aber sie mögen auch den Wald, wo es so scheint, als würde mit jedem Schritt, den man tut, ein weiterer dieser Schmetterlinge aufflattern und im Licht der Sonnenstrahlen, die durch das Laubdach dringen, vor einem herfliegen. Auch an den Straßen sind sie zu finden, und dort gehen Tausende von ihnen zugrunde, von Autos zur Strecke gebracht. Ihre gelben Flügel zieren den Kühlergrill, wenn man von einer Fahrt zurückkommt.

In einem guten Jahr kann man kaum in die Welt hinausblicken, ohne einen Tigerschwalbenschwanz vorbeigaukeln zu sehen. Bis der Juli beginnt, sind so viele von ihnen von Vögeln geschnappt oder von Autos erledigt worden oder sonstigen Missgeschicken zum Opfer gefallen, dass sie einem nicht mehr ganz so gewöhnlich vorkommen. Derzeit aber dominieren diese großen Schmetterlinge die länger werdenden Maitage wie gelb geflügelte Sommergedanken.

Der Tigerschwalbenschwanz entwickelt sich aus einer Raupe, einem grünen Ding von etwa zweieinhalb Zentimetern Länge mit einem Buckel und zwei gelben Glubschaugen, die in Wirklichkeit keine Augen sind (sie sitzen da, wo die Schultern der Raupe wären, wenn sie denn welche hätte). Unter den Raupen ist diese nichts Besonderes, sie ist unscheinbar und unansehnlich, und sie beherrscht keines der Kunststückchen, mit denen manch andere Raupe aufwarten kann. Und doch geht aus diesem nicht gerade vielversprechenden Material ein Geschöpf hervor, das prächtig, berühmt und auf seine Weise kraftvoll ist. Dieser Kontrast lässt einen an die letzte der sieben Fragen des Weisen denken. Auf die Raupe bezogen, lautet sie: Weiß sie es?

Mai 1983

Wandel

Der März ist wie eine Schultheater-Aufführung: Das wohlwollende Publikum ist versammelt und wartet begierig darauf, dass die Vorstellung beginnt. Auf der Bühne hört man die Geräusche fieberhafter Aktivität, aber alles ist hinter dem Vorhang verborgen, der sich bisher nicht gehoben hat. Das Publikum muss noch etwas länger warten, aber es kann sich die Zeit mit dem Versuch vertreiben, das Gepolter, Gerangel und gedämpfte Geschrei hinter dem Vorhang zu interpretieren oder zuzuordnen, und Ausschau halten, ob eins der Kinder schon mal herauslinst.

Im März ist das Schauspiel, das wir erwarten, der Frühling, und die Anzeichen seines Nahens sind zwar zahlreich, aber noch unauffällig, sie gehen in der noch winterlich geprägten Szenerie fast unter. Es ist, als würden Bühnenbild und Requisiten für den Frühling insgeheim vorbereitet und die Schauspieler würden unter der Schneedecke schon einmal ihre Plätze einnehmen, damit die neue Jahreszeit startbereit ist, wenn der Winter schließlich weicht. Man muss nach diesen Vorbereitungen ausspähen und horchen, aber wenn man es tut, wird man die Anzeichen bemerken. Manche Schmetterlinge befinden sich in Winterstarre, und an einem sonnig warmen Märztag kommen sie aus ihren Verstecken hervor. Man kann sie träge über den Schnee taumeln sehen. Auch die Waschbären sind draußen. Nachdem sie die grimmigsten Wochen des Winters verschlafen haben, sind sie jetzt wieder nachts unterwegs. Die Wälder sind noch tief verschneit, aber die Buchenknospen sind schon spitz und glänzen; die Knospen der Schuppenrinden-Hickorys sehen aus wie große Wachsblumen. Wenn man im Wald lauscht, hört man leise Rufe und ein Wispern: Unter dem Eis rinnen die Bäche wieder.

An Berghängen und Straßenböschungen, die in der prallen Sonne liegen, sieht man dunkle Flecken im Schnee. Es ist Erde. Man erkennt sie nicht gleich, weil es vier oder fünf Monate her ist, dass man ein nennenswertes Stück nackten Boden gesehen hat. Aber da ist es – ein Mitglied der Frühlingstruppe, das hinter dem Vorhang hervorlinst, wie das Kind beim Schultheater.

März 1983

In dem Bereich, wo die Uferstraße einen Bogen beschreibt, sind etliche Autos am Straßenrand geparkt, und auf der Brücke haben sich acht oder zehn Leute versammelt. Den ganzen Tag herrscht ein reges Kommen und Gehen. Die Leute bestaunen das Eis. Das Aufbrechen der Eisdecke und die den Fluss hinabtreibenden Schollen sind das letzte große Schauspiel des Winters, oft ein echtes Spektakel: Das Untergeschoss des Winters wird einsehbar, der Maschinenraum, die knirschende, knarzende Technik.

Der Fluss bei uns in der Nähe ist an der Stelle, wo er eine Biegung macht, nicht mehr als fünfundvierzig Meter breit, dahinter weitet sich das Flussbett etwas. Vor der Biegung bleibt das Eis, das den Fluss heruntertreibt, gern hängen. Ein Damm aus aufgestauten Schollen beginnt sich zu bilden. Immer mehr Eis kommt den Fluss herunter, trifft auf den Damm, versucht sich hindurchzudrängen, vergebens, versucht darüberzuklettern, vergebens. Der Damm wird tiefer, höher. Es sieht aus wie ein Projekt des Pionierkorps, eine gewaltige Steinschüttung. Aber diese Pioniere müssen Riesen sein, keine Menschen. Die Eisblöcke sind gigantisch. Die kleineren haben die Größe von Billardtischen, von Doppelbetten. Die großen sind halbe Tennisplätze. Sie sind bis zu anderthalb Meter dick, grau oder grün, manchmal auch von einem blassen Blau, wie der Frühlingshimmel.

Diese Eisplatten sind unvorstellbar schwer, doch die Naturgewalt, die sie vorwärtsbewegt, wirft sie wie Spielkarten umher. Wild durcheinander, in jedem nur denkbaren Winkel werden sie in den Damm verkeilt. Werden an die Ränder des Flusses geschleudert, wo sie über die Ufer scharren und ausgewachsene Bäume ummähen. So groß diese Eisplatten auch sein mögen: Was sie vorwärtstreibt, ist größer. Sie folgen dem vorgegebenen Kurs, und es gibt kaum etwas, das sie aufhalten könnte. Die Leute schauen aus sicherer Entfernung zu, schweigend und respektvoll.

März 1995

Von den zwölf Monaten ist der März der aussagekräftigste. Er zeigt das charakteristische Klima und Wetter eines beliebigen Orts am differenziertesten an. Er gleicht einer zitternden Nadel, die in einer nur um ein paar Kilometer veränderten geografischen Breite oder mit ein-, zweihundert Höhenmetern mehr oder weniger Richtung Winter oder unzweifelhaftem Frühling ausschlägt.

Ich lebe im südlichen Teil von Vermont. Hier liegt bis in den März hinein Schnee. Die grimmigste Kälte ist vorbei, und die Bäume haben schon Frühlingsknospen, aber noch ist mit ein, zwei Schneestürmen zu rechnen. Wer hier in der Region gärtnert, kann im Haus schon Samen einpflanzen, aber an eine Aussaat im Freien ist nicht zu denken. In Illinois dagegen, wo ich auch schon gelebt habe, blühen im März die Krokusse, und die Kinder ziehen auf dem Heimweg von der Schule die Jacken aus, wenngleich es noch nicht richtig warm ist. Der Schnee ist fort. In Pennsylvania wiederum wird einem im März manchmal schon wirklich warm, man kann seinen Garten bepflanzen, und einige Baumarten fangen an zu blühen. Man kann seine Zimmerpflanzen auf die Veranda stellen und die nächsten acht, neun Monate draußen lassen. In den Südstaaten bin ich im März noch nie gewesen. Ich stelle mir vor, dass die Leute dort auf der Veranda sitzen, Juleps trinken, Fliegen totschlagen und sich wundern, warum die Vermonter immer noch nicht nach Hause gefahren sind. 

Der März tritt also sehr unterschiedlich in Erscheinung, wie sich zeigt, wenn man auf dem Kontinent Richtung Norden oder Süden reist. Befriedigender zu beobachten sind jedoch die kleinen Unterschiede, die man in seinem näheren Umfeld entdecken kann. In den Niederungen entlang der breiteren Flüsse liegt bei mir in der Gegend noch Schnee, aber er ist alt und eingesunken, und hier und da schaut schon die matschige Erde hervor. Im Tiefland ist der März im Wesentlichen ein Frühlingsmonat, auch weiter im Norden. Fährt man allerdings dreißig Kilometer in die Berge hinein, sieht es ganz anders aus: Hier reichen einem die Schneewehen über den Kopf. Die Laubbäume wagen noch nicht zu knospen. In den Bergen ist der März ein Wintermonat.

März 1984

In jedem Frühling gibt es einen letzten heftigen Schneesturm, doch auf ihn reagieren die Leute nicht mehr mit einer der verschiedenen Spielarten von Resignation, die sie während eines langen Winters mit wiederholten Schneefällen perfektioniert haben. Um diese Zeit ist ein starker Schneefall, nun ja … amüsant. Schneestürme im Frühling sind zum Lachen. Warum? Schnee ist Schnee, und wenn man schon im Februar genug davon hat, sollte man ihn im April eigentlich erst recht leid sein. Zudem sind Frühlingsschneestürme – zumindest hier in der Gegend – hinsichtlich der Schneemenge oft die ergiebigsten des ganzen Jahres. Letztes Jahr sind im April in einem einzigen Blizzard sechzig Zentimeter Schnee gefallen. Sollte nicht allein die schiere Menge deprimierend wirken, vom Zeitpunkt mal ganz abgesehen?

Nein. Diese Annahme geht von einer falschen Voraussetzung aus, nämlich der, dass Schnee immer gleich ist. Aber das stimmt nicht. Jeder Schnee ist anders, und der große Frühlingsschnee unterscheidet sich am stärksten von den anderen. Diese gewaltige Anhäufung lastet nicht auf der Seele, vielmehr ist die Heftigkeit eines Frühlingsschneesturms genau das, was ihn zu einem Witz macht. Diese Schneestürme sind wie ein völlig überzogenes Dessert nach einem siebengängigen Menü: eine lebensgroße Figur von General Grant aus blauem Speiseeis beim Bankett der Grand Army of the Republic.

Außerdem kann man an allem seine Freude haben, solange man weiß, dass es nicht echt ist. Frühlingsschneestürme gleichen gemalten Kulissen von Ladenfronten in einem Bühnenbild. Man lässt sich auf die Illusion ein, im Wissen darum, dass man die Backsteinmauern mit der Faust durchschlagen könnte, dass sehr bald jemand kommen und die Kulissen wegräumen wird. Es sind weiße Stürme. Trotz des Schnees ist der Himmel hell, und die Sonne, die am nächsten Tag wieder herauskommen wird, ist eine Frühlingssonne, die es ernst meint: Binnen eines Tages wird der ganze Schnee weggeschmolzen sein. Also muss man ihn nicht ernst nehmen. Die Vögel nehmen ihn auch nicht ernst. Die Sommervögel sind schon da, und mitten im Schneegestöber kann man die Wanderdrossel singen hören.

April 1985

Aus dem schwindenden Schnee tauchen die Hörner eines Bullen empor, der Bug eines Schiffs, ein Speer, eine Urne. Wenn die winterlich hohe Schneedecke in den Frühlingstagen zusammenschrumpft, kommen vergessene Gegenstände zum Vorschein, so wie die Dächer und Türme von Atlantis, die aus den Wellen aufsteigen.

Hier in der Gegend kann vier oder fünf Monate lang Schnee liegen. Wenn er schließlich schmilzt, gibt er einem die Welt zurück, die sich in mancher Hinsicht verändert hat, in anderer jedoch auf beschämende Weise gleich geblieben ist. Welch nachlässige Haushaltsführung der tauende Schnee doch jedes Jahr aufs Neue offenbart! Was taucht nicht alles an Werkzeug, Geschirr, Kleidungsstücken, Spielzeug, Sommermöbeln wieder auf – alles letztes Jahr nicht weggeräumt. Aber wie sind all die Sachen nur an genau die Stellen gelangt, wo sie die letzten paar Monate offenkundig gelegen haben?

Natürlich ist man nicht überrascht, den Rechen und ein Stück alte Schnur im Garten zu finden, wenn der Schnee sich zurückzieht. Womöglich habe ich die Schnur letztes Jahr sogar absichtlich dorthin gelegt – behaupte ich jetzt einfach mal. Aber ich habe auch schon einen Socken auf der Wiese gefunden, einen Hut an der Rasenkante, einen Gartenstuhl oben zwischen den Kiefern, eine Tasse mit Untertasse unter dem Butternussbaum, eine Puppe über der Einfahrt, Blumentöpfe praktisch überall und ein Exemplar von Große Erwartungen unter der Steinmauer.

In meiner Vorstellung entspricht dieses bunte Allerlei, das wiederauftaucht, wenn der Schnee verschwindet, den Einwohnern von Neuengland, die den Winter in Florida verbringen. Das eine wie die anderen bleiben, um den Herbst zu genießen – unsere schönste Jahreszeit –, doch sobald das Wetter scheußlich wird, verschwinden sie. Weder die einen noch die anderen haben mir je eine Postkarte geschickt. Sowohl der ganze Krempel als auch die Leute erscheinen im Frühjahr wieder und sehen noch mehr oder weniger genauso aus wie vorher, höchstens ein bisschen älter. Nicht, dass es eine exakte Entsprechung wäre: Die Sachen, die ich letzten Herbst vergessen habe, kommen nicht sonnengebräunt zurück, und mein Exemplar von Große Erwartungen war leider ein Totalschaden.

März 1990

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