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Schicksalsherzen: Der Zauber deiner Lippen

hier erhältlich:

Nach einem Unfall kann sich Cybele an kaum etwas erinnern, aber sie fühlt sich unwiderstehlich zu dem selbstbewussten Arzt Rodrigo hingezogen. Leidenschaftlich küsst sie ihn und ahnt nicht, wie gut sie ihn eigentlich kennt ...


  • Erscheinungstag: 10.08.2014
  • Seitenanzahl: 120
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956493560
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Olivia Gates

Schicksalsherzen: Der Zauber deiner Lippen

Aus dem Englischen von Roswitha Enright

MIRA® TASCHENBUCH

SILHOUETTE ™

MIRA® TASCHENBÜCHER

SILHOUETTE ™ BOOKS

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg;

im Vertrieb von MIRA ® Taschenbuch

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieser Ausgabe © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der englischen Originalausgaben:

Billionaire, M.D.

Copyright © 2010 by Olivia Gates

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Maya Gause

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München

ISBN eBook 978-3-95649-356-0

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Sie öffnete die Augen – und fand sich in einer anderen Welt wieder. Diese Welt war grau und verschneit wie ein Fernsehbildschirm bei einer Übertragungsstörung. Aber das war ihr egal. Denn sie erkannte ein Gesicht. Das Gesicht eines Engels, der sie zu beschützen schien. Allerdings war es kein gewöhnlicher Engel. Es musste sich um einen Erzengel handeln, zumindest entsprach er ihrer Vorstellung davon: der Verkörperung von männlicher Schönheit und Kraft, wie aus Stein gemeißelt oder in Bronze gegossen.

Licht und Schatten prägten seine Gesichtszüge, und sie fragte sich, ob das Ganze ein Traum sei. Oder eine Halluzination? Oder etwas Schlimmeres? Wahrscheinlich etwas Schlimmeres. Trotz des Engels. Oder vielleicht auch gerade deshalb. Denn Schutzengel tauchten nur dann auf, wenn man ernsthaft in Schwierigkeiten war.

Vielleicht war es ja der Todesengel. Allerdings wäre das wirklich eine Verschwendung. Denn warum sollte jemand, der den Tod brachte, so atemberaubend gut aussehen? Die reinste Vergeudung, wenn man sie fragte. Andererseits … Vielleicht war er gerade deshalb so unglaublich attraktiv. Damit das Opfer ihm umso williger ins Totenreich folgte.

Für sie wäre das kein Problem. Sie war zu allem bereit. Wenn sie sich nur bewegen könnte. Doch genau das gelang ihr nicht. Sie lag mit dem Rücken auf etwas, das sich wie das Nagelbett eines Fakirs anfühlte. Mit größter Willensanstrengung versuchte sie sich zu erheben, aber ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen. Es war, als bestünde zwischen den Nerven, die den Befehl gaben, und den Muskeln, die ihn ausführen sollten, keinerlei Verbindung. Vor Entsetzen wurde ihr schwindlig. Alles drehte sich um sie, in ihren Ohren dröhnte der Herzschlag …

Doch dann kam das Gesicht des Engels näher, und sofort beruhigte sie sich. Plötzlich hatte sie keine Angst mehr, gelähmt zu sein, denn er war ja da. Und er würde sich um alles kümmern. Warum sie davon so fest überzeugt war, war ihr selbst nicht klar. Sie wusste es einfach. Denn sie kannte ihn. Obgleich sie keine Ahnung hatte, wer er war.

Aber irgendetwas tief in ihr sagte ihr, dass sie in Sicherheit war, dass alles gut werden würde. Weil er da war.

Wenn sie sich doch nur irgendwie bewegen oder wenigstens sprechen könnte! Vielleicht war sie gar nicht wach. Vielleicht träumte sie und hatte deshalb keine Gewalt über ihren Körper. Das würde auch diese himmlische Erscheinung erklären. Ein Mann wie er konnte nicht von dieser Welt sein. Andererseits wusste sie genau, dass er vor ihr stand. So einen Mann konnte man sich nicht einfach so zusammenfantasieren. Außerdem gab es keinen Zweifel: Der Mann war wichtig für sie, lebenswichtig.

“Cybele?”

Diese Stimme, so weich und dunkel … wie gut passte sie zu dem Gesicht.

“Können Sie mich hören?”

Und ob! Sie konnte ihn nicht nur hören, sie konnte ihn auch fühlen. Jeder Nerv reagierte auf diese Stimme. Ihr war, als erwache sie durch ihn wieder zum Leben.

“Cybele, wenn Sie wach sind und mich hören können, dann antworten Sie, bitte. Por favor!”

Por favor? Spanisch? Das also war dieser weiche Akzent, der das Englisch so sinnlich klingen ließ. Warum konnte sie ihm nur nicht antworten? Sie wollte, dass er weitersprach, wollte diese verführerische Stimme hören. Jetzt beugte er sich vor, sein Gesicht kam näher, und sie konnte ihm direkt in die grüngoldenen Augen schauen. Wie gern hätte sie in sein dichtes schwarzes Haar gegriffen, seinen Kopf zu sich heruntergezogen und ihm die Lippen auf den Mund gepresst. Doch sie hatte immer noch keine Gewalt über ihren Körper. Bewegungslos lag sie da, und dennoch sehnte sie sich so sehr nach diesem Mann, der sie forschend und zugleich besorgt ansah. Nur zu gern hätte sie sich seiner Kraft überlassen, seiner Zärtlichkeit und seinem Schutz.

Sie begehrte diesen Mann. Immer schon hatte sie ihn begehrt. Aber wieso? Kannte sie ihn?

“Cybele, por dios, so sagen Sie doch etwas!”

Das klang beinahe verzweifelt, und wahrscheinlich war es dieser drängende Ton, der Cybele aus ihrer Erstarrung löste und sie befähigte, ihre Stimmbänder zu gebrauchen. “Ich … Ich höre Sie …”

Das wiederum konnte er kaum verstehen, und so beugte er sich vor, bis er mit dem Ohr fast ihre Lippen berührte. Offenbar war er nicht sicher, ob sie wirklich etwas gesagt oder ob er es sich nur eingebildet hatte.

Sie holte tief Luft und versuchte es von Neuem. “Ich bin wach … Ich denke … Ich hoffe, dass Sie nicht nur … eine Fata Morgana sind …”

Mehr brachte sie nicht heraus. Ihre Kehle brannte wie Feuer, und als sie unwillkürlich husten musste, schossen ihr vor Schmerz die Tränen in die Augen.

“Cybele!” Er war aufgesprungen, hatte sich auf die Bettkante gesetzt und nahm sie in die Arme. Erleichtert ließ Cybele sich an ihn sinken. Es war so gut, seine Wärme zu spüren. In seinen kräftigen Armen fühlte sie sich endlich geborgen. “Sagen Sie nichts mehr”, flüsterte er. “Man hatte Sie während der langen Operation intubiert, deshalb fühlt sich Ihr Hals wie Schmirgelpapier an.”

Sie spürte etwas Kühles an den Lippen. Ein Glas? Vorsichtig öffnete sie den Mund, und eine warme Flüssigkeit umspülte die trockene Zunge. Als Cybele sich nicht traute zu schlucken, nahm der Mann ihren Kopf etwas weiter nach hinten und strich ihr tröstend über die Wange. “Das ist nur ein Kräutertee. Er wird Ihrer strapazierten Kehle guttun.”

Tatsächlich? Misstrauisch sah sie ihn an. Aber offenbar wusste er, was er tat, denn er war auf diese Situation vorbereitet. Leise seufzend schloss sie die Augen, machte sich auf einen höllischen Schmerz gefasst – und schluckte. Doch zu ihrer Überraschung wirkte der Tee wie Balsam, und erleichtert atmete sie auf. Dann nahm sie einen zweiten Schluck, und während der Fremde ihr sanft über die Wange strich, spürte sie, wie ihre Lebensgeister zurückkehrten.

“Geht es Ihnen jetzt besser?”

Wie fürsorglich er war. Cybele schmiegte sich enger an ihn und hätte am liebsten ihr ganzes restliches Leben in seiner Umarmung verbracht. Sie wollte ihm antworten, ihm danken, aber vor Rührung war ihr der Hals wie zugeschnürt. Also richtete sie sich schnell in seinen Armen auf und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Überrascht drehte er den Kopf, um sie anzusehen. Dabei streiften seine Lippen kurz ihren Mund, und ihr stockte der Atem. Bis in die Zehenspitzen durchfuhr es sie heiß, und sie wusste, genau das hatte sie jetzt gebraucht. Diese intime Berührung. Etwas, das sie von früher her kannte und lange nicht gehabt hatte? Oder verloren hatte? Oder war es etwas, das sie nie gehabt, wonach sie sich aber immer gesehnt hatte?

Egal, das spielte jetzt keine Rolle mehr. Sie war endlich am Ziel. Leidenschaftlich drängte sie sich an ihn, schloss die Augen und wollte ihn küssen. Doch ganz plötzlich ließ er sie los, und verwirrt und ernüchtert sank sie zurück auf das Bett. Was war los? Wo war er? Hatte sie sich das alles nur eingebildet? War das typisch für Menschen, die aus dem Koma erwachten?

Wieder traten ihr die Tränen in die Augen. Suchend sah sie sich um. Wo war er? Da, er stand direkt neben ihrem Bett, mit der gleichen Haltung wie vorher. Doch auch durch den Tränenschleier konnte sie erkennen, dass etwas anders war. Er war nicht mehr der schützende Erzengel, dem sie sich anvertrauen konnte, sondern wirkte kalt und unnahbar, als er leicht missbilligend auf sie herabsah.

Ein Gefühl, das sie nur allzu gut kannte, überfiel sie. Niedergeschlagenheit. Mutlos ließ sie den Kopf sinken. Was sie noch vor wenigen Sekunden in seinen Augen zu lesen gemeint hatte, was sie an Wärme und Fürsorge zu spüren geglaubt hatte, hatte sie sich offensichtlich nur eingebildet. Weil sie es hatte sehen und fühlen wollen, war sie dieser Illusion aufgesessen. Wahrscheinlich war auch das eine Nachwirkung des Komas.

“Gut, Sie können den Kopf bewegen”, hörte sie erneut die tiefe kalte Stimme. “Können Sie sich auch sonst bewegen? Haben Sie Schmerzen? Zwinkern Sie, wenn Sie das Sprechen zu sehr anstrengt. Einmal für Ja, zweimal für Nein.”

Das Herz wurde ihr schwer, und sie hatte Schwierigkeiten, die Tränen zurückzuhalten. Jetzt bloß nicht heulen! Denn das waren ganz normale Fragen, wie sie jedem gestellt wurden, der eine Zeit lang bewusstlos gewesen war. Mit persönlichem Engagement hatten sie überhaupt nichts zu tun, sondern nur mit dem professionellen Interesse des Arztes.

“Cybele! Nicht wieder wegdämmern! Machen Sie die Augen auf, und beantworten Sie meine Fragen!”

Bei dem harten Ton fuhr sie innerlich zusammen und beeilte sich zu antworten: “Ich … Ich kann nicht …”

Er holte tief Luft und sah drohend auf sie herunter, dann atmete er frustriert aus. “Okay, dann beantworten Sie nur kurz meine Fragen. Danach können Sie sich ausruhen.”

“Ich fühle mich noch irgendwie … betäubt, bin ganz benommen.” Sie schwieg und versuchte, mit den Zehen zu wackeln. Es klappte. Das bedeutete ja wohl, dass die Nervenleitungen intakt waren. “Motorisch ist wohl alles in Ordnung. Schmerzen? Kann ich nicht sagen. Ist eher so, als sei ich unter eine Dampfwalze geraten. Aber gebrochen … wohl nichts.”

Kaum hatte sie das gesagt, spürte sie einen starken, beißenden Schmerz in ihrem linken Arm. Sie schrie auf. “Mein Arm!”

Obwohl sie hätte schwören können, dass der Arzt sich nicht bewegt hatte, fand sie ihn plötzlich neben sich, und Sekunden später legte sich wohltuende Kühle über den heißen Schmerz. Erstaunt blickte sie hoch, dann zur Seite. Ach so, sie hatte eine Infusionsnadel im rechten Arm, durch die ihr ein starkes Schmerzmittel zugeführt wurde, das jetzt in schnellem Rhythmus aus dem Plastikbehälter tropfte.

“Tut es noch weh?” Der Mann sah sie besorgt an, und als sie den Kopf schüttelte, atmete er erleichtert aus. “Gut. Das reicht erst mal. Ich komme später wieder.”

Als er sich zum Gehen wandte, legte sie ihm schnell die Hand auf den Arm. “Nein …” Das kam ganz spontan, so als habe sie Angst, ihn nie wiederzusehen, wenn er sich jetzt entfernte. Als sei er dann für immer für sie verloren. Fester drückte sie zu, wie um sich zu zwingen, sich zu erinnern. Sie kannte ihn, aber woher? Hatte er ihr etwas bedeutet?

Er wich ihrem Blick aus und starrte auf die Hand, die ihn immer noch festhielt. “Ihre Reflexe sind gut. Motorik und Koordination scheinen wieder normal zu funktionieren. Das alles spricht dafür, dass Sie sich schneller erholen, als ich befürchtet habe.”

Offenbar hatte er nicht viel Hoffnung gehabt. Hatte er sie bereits abgeschrieben gehabt? “Darüber sollte ich … wohl froh sein?”

Sollte? Freuen Sie sich denn nicht, dass alles wieder gut wird?”

“Doch, doch … das schon. Glaube ich wenigstens. Aber so ganz bin ich noch nicht da.” Nur in seiner Gegenwart fühlte sie sich lebendig. “Was ist denn eigentlich mit mir passiert?”

Mit einer schnellen Bewegung schüttelte er ihre Hand ab. “Sie können sich nicht erinnern?”

“Nein … an nichts.”

Einen Augenblick lang sah er sie an, dann kniff er leicht die Augen zusammen und musterte sie eindringlich. “Wahrscheinlich haben Sie vorübergehend Ihr Gedächtnis verloren. Das ist nicht unüblich in Ihrer Situation. Ihr Gehirn will die traumatischen Erlebnisse ausblenden.”

Es war eindeutig der Arzt, der hier sprach. War er wirklich nur ihr Arzt? War sie vielleicht auch schon vor diesem “traumatischen Erlebnis” bei ihm in Behandlung gewesen und hatte sich in ihn verknallt? Oder kannte er bisher nur das, was bei ihrer Einlieferung ins Krankenhaus an Informationen mitgeliefert worden war? Vielleicht hatte sie in der Zeit ihrer Bewusstlosigkeit, die immer wieder von kurzen Wachphasen unterbrochen worden war, ihm gegenüber eine Art von Abhängigkeit entwickelt. Dann hatte sie einen Mann auf die Wange geküsst, der nur in seiner Eigenschaft als Arzt an ihrem Bett saß! Der ganz sicher gebunden war, vielleicht sogar Frau und Kinder hatte. Wie wahnsinnig peinlich! Sie musste es genau wissen. “Wer … Wer sind Sie?”

Er erstarrte, wirkte plötzlich wie versteinert. Als er sich nach ein paar endlosen Sekunden wieder gefasst hatte, stieß er leise hervor: “Du weißt nicht, wer ich bin?”

“Nein … Sollte ich?” Verdammt. Sie hatte ihn zärtlich auf die Wange geküsst, und nun behauptete sie, ihn nicht zu kennen? “Vielleicht sollte ich … aber ich kann mich nicht erinnern.”

“Dann hast du mich vergessen?”

Sie starrte ihn an, dann schüttelte sie langsam den Kopf. “Vielleicht … Aber vielleicht habe ich auch vieles andere vergessen. Auf alle Fälle kann ich mich nicht so ausdrücken, wie ich möchte. Dass ich mich nicht mehr erinnern kann, bedeutet vielleicht, dass ich lediglich vorübergehend vergessen habe, wer … du … bist.”

Wieder sah er sie lange an, dann strich er mit einer frustrierten Geste sein schwarzes Haar zurück und seufzte. “Ich bin wohl eher derjenige, der hier nicht die richtigen Worte findet. Du kannst dich sogar sehr gut ausdrücken. Ehrlich gesagt habe ich dich noch nie so viele Sätze hintereinander sprechen hören. Normalerweise hast du immer nur einen kurzen Satz herausgebracht.”

“Dann kennst … du mich also wirklich? Sehr gut sogar?”

Kurz runzelte er die Stirn. “Sehr gut kann man eigentlich nicht sagen, Cybele.”

Leise seufzend sah sie ihn an und lächelte. “Cybele … Ich liebe es, wenn du meinen Namen sagst.”

Wieder erstarrte er und musterte sie ausdruckslos, dann setzte er sich vorsichtig auf die Bettkante. Unter dem Gewicht gab die Matratze nach, und Cybele rutschte an seine Seite, bis sie mit der Hüfte gegen ihn stieß. Bei der Berührung durchfuhr es sie heiß. Selbst bei ihrer schwachen Konstitution reagierte sie heftig auf ihn. Aber warum? Was hatte er mit ihr gemacht? Sie musste ihn von früher kennen, sonst wäre ihre Reaktion nicht erklärlich.

Zu ihrer Überraschung lächelte er zurück. “Und du kannst dich wirklich überhaupt nicht mehr an mich erinnern? Du weißt nicht, wer ich bin?”

“Nein.” Warum lächelte er? Die Situation war alles andere als komisch. Panik überfiel sie bei der Vorstellung, das Gedächtnis verloren zu haben. Denn das bedeutete, dass sie eine neurologische Störung hatte, dass sie vielleicht nie wieder normal würde leben können. Aber vielleicht war alles nicht so schlimm, vielleicht war dieser Zustand nur vorübergehend. Es tat ihr gut, zu wissen, dass dieser Mann offenbar beunruhigt war, weil sie ihn nicht erkannte. Es machte ihm etwas aus. Sie war ihm wichtig. Das war tröstlich.

“Ich dachte, das hätte ich klargemacht”, fuhr sie fort. “Zumindest hörte es sich für mich so an. Aber wahrscheinlich hat das nichts zu bedeuten. Denn ich weiß nicht nur nicht, wer du bist. Ich habe auch keine Ahnung, wer … ich bin.”

2. KAPITEL

Rodrigo war aufgestanden und stellte den Tropf neu ein. Dabei vermied er es sehr bewusst, Cybele anzusehen.

Cybele – die verbotene Frucht. Die personifizierte Versuchung. Die Frau, die allein durch ihre Existenz sein Leben vergiftete. Alles hätte er dafür gegeben, wenn er den einen Tag mit ihr aus seinem Gedächtnis streichen könnte. Und nun war sie diejenige, die sich nicht mehr an ihn erinnerte.

Zwei Tage zuvor hatte sie ihn damit konfrontiert, und er hatte sich immer noch nicht von dem Schock erholt. Sie hatte ihm gesagt, dass sie sich nicht mehr an das erinnerte, was ihn wie ein Fluch verfolgte. Weil es ein Leben vernichtet hatte und sein eigenes vergiftete.

Aber das sollte ihm nichts ausmachen. Und er hätte sich nicht so sehr um sie kümmern sollen, zumindest nicht mehr als um seine anderen Patienten. Denn es sah ihm nicht ähnlich, wegen einer Patientin die anderen zu vernachlässigen. Doch genau das hatte er getan. Dabei hatte er hoch qualifizierte Pflegekräfte, die diese Aufgaben sehr gut hätten übernehmen können. Aber er hatte keine Wahl, er musste bei Cybele bleiben. In den drei Tagen nach der Operation war er nicht von ihrer Seite gewichen. Und sooft er sich auch sagte, dass er sich um seine anderen Patienten kümmern müsste, er vermochte es nicht, sich von ihr zu lösen. Sie schwebte in Lebensgefahr, und er konnte sie nicht verlassen.

Sie musste wieder aufwachen, ihn mit ihren großen blauen Augen ansehen, die ihn von Anfang an bezaubert hatten. Hin und wieder hatte sie diese Augen auch aufgeschlagen, aber Rodrigo sah sofort, dass sie noch im Koma lag und nichts wahrnahm. Auch ihn nicht, der sie schon nach der ersten Begegnung nicht hatte vergessen können.

Doch als sie zwei Tage zuvor die Augen geöffnet hatte, hatte er bemerkt, dass etwas anders war. Wach, wenn auch verwirrt hatte sie um sich geblickt, und als sie ihn angesehen hatte, hatte sie kurz die Stirn gerunzelt, als dämmere ihr etwas. Sein Herz hatte wie verrückt geschlagen, als sie ihn kaum merkbar angelächelt hatte. Irgendetwas, womit er nicht gerechnet hatte, war in ihr vorgegangen, obgleich ihr Verhalten ihn hätte darauf hinweisen müssen. Wie ein Kätzchen, das endlich seinen Besitzer gefunden hatte, hatte sie sich an ihn geschmiegt, und der Kuss auf die Wange und die kurze Lippenberührung hatten nicht nur bei ihm heiße Gefühle ausgelöst, das hatte er genau gespürt.

Doch sie hatte ihn nicht erkannt. Denn die Cybele Wilkinson von früher, die er einfach nicht aus seinen Gedanken und seinem Herzen verbannen konnte, hätte ihn nie so angesehen oder berührt, wenn sie bei sich gewesen wäre. Wenn sie gewusst hätte, wer er war. Ganz offensichtlich war er ihr fremd.

Sofort war die Versuchung da gewesen, die Situation auszunutzen. Da Cybele sich nicht an die Vergangenheit erinnerte, könnte er doch eine ganz neue unbelastete Beziehung zu ihr aufbauen. Endlich gab es die Chance, dass sie sich nicht mehr länger als Feinde gegenüberstanden.

Aber das war unmöglich, das durfte nicht sein. Besonders jetzt nicht.

“Warum sprichst du denn noch immer nicht mit mir?” Ihre Stimme klang nicht mehr rau, sondern sanft und weich wie eine Liebkosung.

Gegen seinen Willen wandte er sich zu ihr um. “Das stimmt nicht. Jedes Mal, wenn ich hier war, habe ich mit dir gesprochen.”

“Na ja, vielleicht zwei Sätze alle zwei Stunden in den letzten zwei Tagen”, schmollte sie. “Das war eher eine Therapie als ein menschlicher Kontakt. Andererseits hast du wirklich häufig nach mir gesehen, das muss ich zugeben.”

Viel zu oft. Das war gar nicht nötig gewesen. Aber er hatte es einfach tun müssen. “Du solltest möglichst wenig sprechen wegen deiner wunden Kehle. Und außerdem ist strikte Ruhe erforderlich, damit deine Erinnerungen zurückkommen.”

“Seit gestern habe ich keine Schmerzen mehr. Erstaunlich, was bestimmtes Essen und Trinken für Wunder vollbringen können. Und an meinen Gedächtnisverlust habe ich bisher keinen Gedanken verschwendet. Ich weiß, ich sollte beunruhigt sein, aber ich bin es nicht. Vielleicht ist das eine Nebenwirkung des Traumas. Vielleicht aber will ich mich unterbewusst auch gar nicht erinnern.”

“Warum denn das nicht?”, fragte er hastig.

Sie lächelte kurz. “Wenn ich das wüsste, hätte es ja nichts mit meinem Unterbewusstsein zu tun. Ergibt das einen Sinn, oder erscheint es nur mir logisch?”

Mit Mühe löste er den Blick von ihren verführerischen Lippen und sah ihr in die Augen. “Nein, ich verstehe, was du meinst. Ich kann mich nur nicht damit abfinden, dass du wirklich das Gedächtnis verloren haben solltest.”

“Umso mehr ist meine Fantasie bemüht, herauszufinden, aus welchen Gründen ich wohl nicht erinnern kann oder will, was früher war.”

“Und weshalb, meinst du, ist das so?”

Sie lachte kurz auf. “Vielleicht war ich eine berüchtigte Verbrecherin oder eine Spionin, die alles vergessen will, um noch einmal neu anzufangen. Das ist jetzt die Gelegenheit, und deshalb sträubt sich alles in mir, mich zu erinnern. Ich will gar nicht wissen, wer ich bin.” Sie versuchte, sich aufzusetzen, und stöhnte laut auf.

Bei diesem Schmerzenslaut krampfte sich Rodrigos Herz zusammen, und er versuchte, die spontane Regung, ihr zu helfen, zu unterdrücken. Doch es gelang ihm nicht. Sofort war er an ihrer Seite und umfasste den weichen Körper, den er am liebsten in die Arme geschlossen hätte. Er zog sie hoch, verstellte die Rückenlehne des Bettes und ließ sie zögernd los. In ihren Augen standen Dankbarkeit und ein so grenzenloses Vertrauen, dass er sich schnell abwenden musste. Sein Gewissen peinigte ihn, und sein Körper war derartig in Aufruhr, dass ihm die Hände zitterten, als er die Schläuche und Leitungen zurechtrückte, die lebenswichtig für sie waren.

Automatisch hatte auch sie das Gleiche getan, als seien ihr diese Aufgaben vertraut. So berührten sich ihre Hände, und sofort richtete sich Rodrigo auf und trat ein paar Schritte zurück, so als habe er ins Feuer gefasst.

Verwirrt, ja verletzt sah sie ihn an. Dann senkte sie den Blick. “Du bist Arzt? Chirurg?”

“Ja. Neurochirurg.”

Jetzt richtete sie die klaren blauen Augen wieder auf ihn. “Es ist seltsam, ich habe den Eindruck, als hätte auch ich eine medizinische Ausbildung. Zumindest sind mir die Apparate hier vertraut. Und ich weiß, was die Fachbegriffe bedeuten.”

“Ja, du hast in einer Reha-Klinik gearbeitet. Mit Trauma-Patienten.”

“Hm … also hatte ich keine kriminelle Karriere und war auch keine Spionin. Aber vielleicht war ich in großen Schwierigkeiten, bevor ich hier gelandet bin. Hatte eine Klage wegen schweren Fehlverhaltens am Hals. Bin möglicherweise schuld am Tod eines Patienten. War kurz davor, meine Berufslizenz zu verlieren …”

Unwillkürlich musste Rodrigo lachen. “Vollkommen falsch! Ehrlich gesagt hätte ich dir nie eine so blühende Fantasie zugetraut.”

“Ich möchte doch nur herausfinden, warum ich beinahe erleichtert bin, dass ich nichts erinnern kann. Vielleicht bin ich abgehauen, um wieder neu anzufangen, wo mich niemand kennt. Und so bin ich hier gelandet … aber wo genau bin ich eigentlich?”

“In Barcelona. In meiner Privatklinik, die etwas außerhalb der Stadt liegt.”

Erstaunt riss Cybele die Augen auf. “Wir sind in … Spanien?” Wie sie ihn so groß ansah, die Wangen leicht gerötet, war sie für ihn die schönste Frau der Welt, obgleich die Lider noch geschwollen waren und Stirn und Hals verschorfte Wunden aufwiesen. “Entschuldige die dumme Frage”, fuhr sie lächelnd fort, “natürlich weiß ich, dass es nirgendwo sonst ein Barcelona gibt.”

“Ich wüsste auch nicht, wo.”

“Und ich spreche amerikanisch.”

“Ja, du bist Amerikanerin.”

“Und du bist Spanier?”

“Ja. Genauer gesagt Katalane. Aber ich habe auch einen amerikanischen Pass.”

Nachdenklich biss sie sich auf die Unterlippe, und sofort erinnerte sich Rodrigo daran, wie es sich anfühlte, diese sinnlichen Lippen zu küssen. “So? Dann hast du auch die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben?”

“Nicht ganz. Ich bin in den USA geboren und habe nach meiner Ausbildung die spanische Staatsbürgerschaft angenommen. Aber das ist eine lange Geschichte.”

“Warum hast du denn dann so einen starken spanischen Akzent?”

“Hab ich?” Überrascht sah er sie an. “Ich habe in meinen ersten acht Lebensjahren nur Spanisch gesprochen, weil wir zwar in den USA, aber in einer kleinen spanischen Gemeinde lebten. Erst danach habe ich Englisch gelernt. Komisch, ich war immer der Meinung, meinen spanischen Akzent ganz abgelegt zu haben.”

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