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Panda Kingdom - Reißende Flut

hier erhältlich:

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Die neue Reihe der Warrior-Cats-Autorin

Panda Kingdom ist seit der großen Flut ein zerrissenes Land. So kommt es, dass die drei Geschwister Blättchen, Regen und Geist einander nicht einmal kennen. Aber als der Bambus rar wird und die Goldstumpfnasen eine böse Intrige spinnen, sind diese drei Pandas dazu auserkoren, Panda Kingdom zu retten. Dazu muss ihnen gelingen, was vor ihnen niemand gewagt hat: Sie müssen den großen Fluss überqueren. Sie müssen sich gegen ihren Anführer stellen. Und das Schwierigste: Sie müssen einander in den Bergwäldern finden und erkennen.


Drei Pandas kämpfen um ihren Lebensraum: epische Tierfantasy in Bergewäldern und Hochgebirge

Kurze Kapitel und spannende Abenteuer bieten perfektes Lesefutter


»Ein packendes Epos aus einer Welt, in der die netten Vierbeiner noch richtige Raubtiere sind. Fantasy vom Feinsten.« Der Spiegel über Warrior Cats – In die Wildnis


  • Erscheinungstag: 25.10.2022
  • Aus der Serie: Panda Kingdom
  • Bandnummer: 1
  • Altersempfehlung: 10
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505150371

Leseprobe

Danksagung

Besonderen Dank an Rosie Best

Und einen besonderen Dank auch an CCPPG.

Eure Ideen haben uns inspiriert, und überhaupt hätte es Panda Kingdom ohne euch nicht gegeben.

Für Zhong Jianto, Xu Wei und Wolffeather,
für all eure Hilfe und Gastfreundschaft.
Und für große Mädchen, die gerne auf Bäume klettern.

Prolog

Orchidee Hochbaum krallte sich mit den Tatzen im schlüpfrigen Hang fest und zog sich hoch. Der Regen hatte ihr dichtes Fell bis auf die Haut durchnässt, und sie hätte sich gerne geschüttelt, aber das konnte sie nicht riskieren. Wenn sie jetzt den Halt verlor …

»Orchidee!«, knurrte Wurzel. »Vorsicht!«

Gerade noch rechtzeitig schaute sie auf. Im Sturzregen hatte sich ein dickes Bambusbüschel gelöst und kam nun krachend auf sie zugerast. Orchidee warf sich brüllend zur Seite. Und der Bambus schien zurückzubrüllen, als er direkt an ihrem Ohr vorbei durch die Luft peitschte. Orchidee rutschte ein Stück ab, bekam aber sogleich den Stamm eines gut verankerten Baums zu fassen und sah hinab. Auf dem Weg ins Tal kam das Bambusbüschel ihrem Gefährten gefährlich nah, doch Wurzel hatte schon vorsorglich seine Richtung geändert. Das Büschel schoss über die Felskante in den angeschwollenen Fluss und wurde von der heftigen Strömung sofort unter Wasser gezogen.

Orchidee klettete sich an den Stamm und verschnaufte, während sie auf ihren Gefährten wartete, dessen schwarz-weißes Fell verklebt war von Schlamm und Blättern. Es goss in Strömen, ihr Nacken war schon klatschnass. Das gesamte Bambusreich schien auf der Flucht vor dem immer gewaltiger werdenden Fluss zu sein. Wo bisher weiches Moos und runde Felsen gewesen waren, auf denen man gemütlich in der Nachmittagssonne liegen konnte, ergossen sich nun schlammige Sturzbäche, und eine Vielzahl von Lebewesen versuchte, dem steigenden Wasser zu entkommen. Ein Stück weiter wollte sich ein Roter Panda mit dreckverkrustetem Schwanz mit letzter Kraft auf einen Baum retten. Orchidee hätte ihm gerne geholfen, aber wie?

Außerdem musste sie an ihre Jungen denken.

»Lange halte ich nicht mehr durch«, keuchte sie, als Wurzel bei ihr angelangt war. »Die Jungen kommen bald. Ich spür’s schon.«

»Wir suchen uns ein sicheres Plätzchen«, meinte Wurzel. »Siehst du den Felsvorsprung da oben? Da kommt das Wasser nicht hin. Ist nicht mehr weit.«

Orchidee nickte grimmig, stieß sich kräftig mit den Hinterbeinen ab und suchte mit den Vordertatzen neuerlichen Halt auf dem rutschigen Grund. Hoffentlich hatte Wurzel recht. Im Moment war alles ungewiss. Vielleicht würde der Regen das Bambusreich vollständig wegspülen.

Doch was blieb ihr anderes übrig, als weiterzuklettern? Stück für Stück kämpfte sie sich den aufgeweichten Hang hoch. Dabei hielt sie den Blick starr auf den Felsvorsprung geheftet. Er war so nah, dass sie den festen Boden unter den Tatzen schon förmlich spüren konnte. Vielleicht gab es dort oben ja Schutz, einen kräftigen Baum oder einen überhängenden Felsen, wo sie ihre Jungen zur Welt bringen konnte, ohne dass sie fürchten musste, gleich weggespült zu werden …

»Hey!«, kreischte es über ihr. Als sie aufschaute, konnte sie vor lauter Regen erst nichts sehen. »Schaut mal! Pandas!« Nachdem Orchidee sich die Tropfen aus den Augen geblinzelt hatte, machte sie in den schwankenden Ästen einen Haufen schmuddeliger Gestalten mit langen Schwänzen aus. Goldstumpfnasen, vielleicht zehn – mehr waren von ihrer Horde wahrscheinlich nicht übrig. Ihre seltsamen blauen Gesichter mit den platten Nasen waren wutverzerrt, die scharfen Zähne gebleckt.

»Das ist eure Schuld!«, schrie einer der Affen gegen das Trommeln des Regens an und zeigte mit seinem langen Finger auf die Pandas. »Ihr hättet uns warnen sollen!«

»Wir wussten es doch selbst nicht«, brüllte Orchidee zurück.

»Wo ist eure Drachenzunge?«, wollte ein anderer Affe wissen. Orchidee bekam Angst, als die Goldstumpfnasen begannen herunterzuklettern, langsam erst, aber dann sprangen sie immer schneller von Ast zu Ast, als wäre es ihnen in ihrer Wut egal, ob sie stürzten oder nicht. »Warum hat er uns nicht vor der Flut gewarnt?«

»Sonnenrot kann nichts dafür«, knurrte Wurzel und schob sich schützend vor Orchidee. »Der Große Drache hat ihm nichts davon gesagt.«

Das ist doch gelogen, dachte Orchidee verzweifelt. Zumindest wissen wir nicht, ob es stimmt. Wo ist Sonnenrot Schattenforst bloß?

»Samtfuß ist tot«, jammerte ein Affenweibchen. Sie war zu Boden geklettert und stand nun mit peitschendem Schwanz vor ihnen. »Flatterherz auch. So viele sind tot …«

»Und alles bloß, weil ihr Pandas nichts unternommen habt«, knurrte ein anderer Affe. »Ihr habt uns das angetan. Ab jetzt hören wir nie wieder auf irgendeinen Panda! Schnappt sie euch!«

»Renn weg!«, bellte Wurzel, als die Affenbande durch den Schlamm auf sie zugesprungen kam. Orchidee wandte sich dem Felsvorsprung zu und stürmte los. Wenn sie es bis dorthin schaffte, wenn sie dort bloß irgendwo Halt fand, sollten die Affen ruhig kommen – Orchidee würde mit ihnen kurzen Prozess machen.

Als sie sich zu ihrem Gefährten umschaute, erfasste sie Panik: Wurzel folgte ihr nicht.

»Wurzel, komm!«, brüllte sie. Doch Wurzel stellte sich den Affen fauchend in den Weg. Packte den Schwanz eines Angreifers mit den Zähnen und schleuderte ihn mit einer ruckartigen Kopfbewegung ein paar Bärenlängen durch die Luft. Sofort stürzten sich weitere Affen von hinten auf ihn, gruben ihm die Finger ins Fell und in die Ohren, bissen und kratzten. Orchidee wollte gerade umkehren, da rutschte Wurzel weg. Im Fallen versuchte er sich aus der Umklammerung der Affen zu befreien. Alles ging ganz schnell, fühlte sich aber wie eine Ewigkeit an.

Endlich ließ die Meute von ihm ab. Doch Wurzel konnte sich nicht mehr halten, schlitterte den schlammigen Hang hinunter und schoss über die Felskante. Der dumpfe Aufprall war bis nach oben zu hören. Wurzel überschlug sich und wurde in die Fluten katapultiert. Kurz blitzte noch etwas Schwarz-Weißes im Wasser auf, dann war er verschwunden.

Orchidee schrie auf, doch ihr Wehklagen wurde vom Prasseln des Regens verschluckt.

Fast hoffte sie, dass die Affen jetzt auf sie losgehen würden und sie ein paar von ihnen erledigen könnte, bevor sie selbst in den Fluss stürzte, doch die Affen kletterten stumm ganz nach oben in den Baum zurück. Ehe Orchidee es sich versah, war sie allein.

Nicht ganz allein.

War es Wurzels Stimme, die sie aus ihrer Schockstarre aufrüttelte? Oder eine andere? Jedenfalls stimmte es. Allein wäre sie bloß, wenn sie ihre Jungen nicht beschützte. Sie musste es bis zum Felsvorsprung schaffen.

Auch wenn der Anstieg noch so beschwerlich war, sie durfte nicht aufgeben. Das schuldete sie ihrem Gefährten. Und den Jungen.

Als sie sich auf den zerklüfteten Felsvorsprung hievte und endlich festen Grund unter den Tatzen spürte, versagten ihr beinahe die Beine, so sehr zitterten sie. Doch was sie sah, überwältigte sie fast vor Glück: Vor ihr lag der Eingang zu einer Höhle. Sie schien tief ins Herz des Berggipfels zu führen. Mit neuer Energie trabte sie zur Öffnung und schnupperte. Trocken war es da drinnen auch nicht, nichts im Bambusreich war zurzeit trocken, vielleicht würde es auch nie wieder trocken werden, aber sie wäre zumindest geschützt vor dem peitschenden Regen. Warm auch. Und sicher.

Rasch lief sie hinein, immer weiter, bis es so schummrig wurde, dass sie nur noch wenig sehen konnte. Die blank gewetzten Felsen unter den Tatzen beruhigten sie. Dies war ein geeigneter Ort, um ihre Jungen zur Welt zu bringen.

Doch …

Aus der Tiefe der Höhle nahm sie einen Geruch wahr. Ihr sträubte sich das Fell. Blut und Fleischfetzen.

Das war die Höhle eines Raubtiers.

Plötzlich wurde es noch dunkler. Orchidee fuhr herum. Irgendetwas stand im Höhleneingang. Etwas, das größer war als ein Panda. Etwas, das kaum noch das fahle Licht von draußen hereinließ.

Orchidee ging in Lauerstellung und bleckte die Zähne. Sie würde ihre Jungen beschützen, ganz gleich, was da vor der Höhle stand. Nachdem sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, wurde ihr allerdings klar, dass sie so ein Wesen noch nie gesehen hatte. Es war riesengroß mit gewaltigen Tatzen und einem langen Schwanz, jedoch weder so rundlich wie ein Bär, noch hatte es das dichte Fell eines Leoparden. Dieses Tier hatte einen geschmeidigen, glatten Pelz. Zwei große grüne Augen leuchteten in einem schwarz-orange gestreiften Gesicht.

Das Tier betrat die Höhle.

1. Kapitel

Blättchen rollte sich auf den Bauch, reckte die Vordertatzen und harkte mit den Krallen durch die dünne Erdschicht, bevor sie sich wieder auf den Rücken legte und gemächlich die Augen öffnete. Der Himmel über ihr war von einem fahlen, blassen Grau. Wolkenlos. Mehr als einen hohen Baumwipfel am Rande ihres Sichtfelds konnte sie nicht ausmachen. Blättchen kam es vor, als könnte sie direkt in den Himmel purzeln.

Ihr knurrte der Magen.

Nach dem ersten Mahl kann ich noch lange genug in den Himmel starren, dachte sie, gähnte herzhaft und drehte sich zurück auf den Bauch. Sie stemmte sich hoch, tapste zu dem großen Baum mit der knorrigen Rinde, um sich daran kräftig Nacken und Ohren zu schubbern.

Weil die Nordhänge so spärlich bewaldet waren, sah sie, wie sich Tante Pflaume und die anderen Rankforsts von ihren gemütlichen Laubhaufen erhoben, von den flachen Felsen kletterten und sich zu den dünnen Bambushalmen begaben, die zwischen den Bäumen in die Höhe ragten. Blättchen schüttelte sich und trabte zu der Stelle, wo sie gestern Abend grüne Blätter sprießen gesehen hatte. Und tatsächlich, alle paar Tatzenschritte konnte sie einige zarte Triebe mit schmalen grünen Blättern pflücken. Doch Blättchen nahm nicht alle, sondern ließ noch welche stehen.

Gieriges Junges jetzt, hungriges Junges später, predigte Tante Pflaume immer, und da hatte sie recht.

Mit den Stängeln in der Pfote eilte Blättchen zur großen Lichtung, auf der sich die anderen Rankforst-Pandas schon versammelt hatten. Ein jeder saß in gebührendem Abstand zu den anderen mit dem Rücken zu einem Baum.

»Komm schon, Blättchen.« Tante Pflaume gähnte. »Der Große Drache wartet nicht auf dich.«

Das war auch so einer ihrer Lieblingssprüche. Blättchen grinste und setzte sich zu Klein-Bambusrohr und seiner Mutter Hyazinthe. Bambusrohr robbte auf dem Bauch zu dem kleinen Haufen Sprösslingen vor ihnen, doch Hyazinthe schob ihn sanft beiseite.

»Noch ist es nicht so weit, Kleiner«, sagte sie. Bambusrohr quiekte enttäuscht, was Blättchen ihm gut nachempfinden konnte. Der Bambus in ihrer Tatze roch auch köstlich, doch kein Panda durfte vor dem Segen anfangen.

Tante Pflaume rieb ihren Pelz am Baumstamm, räusperte sich und hielt die Bambustriebe hoch. »Oh, Großer Drache, zum Mahl des Silberlichts verbeugen sich deine Pandas vor dir. Aller Bambus, alle Weisheit kommt von dir. Großer Drache, wir danken dir dafür.«

Blättchen verbeugte sich wie alle anderen Pandas auf der Lichtung; Klein-Bambusrohr senkte die Schnauze so tief, dass er mit der Nase den Waldboden berührte. Nach einem Moment der Stille blickten alle auf, und im Nu war die Lichtung von fröhlichem Knabbern und Knuspern erfüllt. Blättchen hielt sich die Stängel vor die Nase und sog den frischen, kühlen Duft ein, bevor sie die Blätter abrupfte, zu einem Bündel fasste und in die schmackhaften grünen Spitzen biss. Hyazinthe löste die äußere harte Schale von den Halmen und reichte Klein-Bambusrohr das weichere Grün, das er mit Appetit verputzte.

»Der Große Drache könnte mit seinen Gaben ruhig etwas spendabler sein«, knurrte einer der älteren Pandas mit vollem Maul.

»Und du könntest ein wenig dankbarer sein, Wacholder Rankforst.« Pflaume funkelte ihn über ein Büschel grüner Blätter hinweg an.

»Wacholder Flachteich«, murmelte Wacholder.

»Den flachen Teich gibt es nicht mehr, Wacholder«, meinte Hyazinthe behutsam. »Wir sind jetzt alle Rankforsts.«

»Wenn du kein Rankforst sein willst, dann solltest du Reißender Strom oder Flutwasser heißen«, warf Gras mit einem höhnischen Blick aufs Flussufer ein. Schnaubend kam Wacholder auf die Tatzen und kehrte den anderen den Rücken zu. Dann ließ er sich auf der anderen Seite des Baums nieder und zerkaute dort die hölzernen Halme seines ersten Mahls.

Blättchen fand es gemein von Gras. Wacholder war zwar ein schrulliger, alter Panda, aber irgendwie konnte sie es ihm nicht verdenken. Musste schlimm sein, wenn man sein Zuhause von einem Tag auf den anderen verlor, weil der Fluss einfach alles verschlang. Blättchen konnte es sich schwer vorstellen, denn für sie hatte es immer nur den Rankforst mit seinen schlanken, hohen Bäumen und dem spärlichen Bambus gegeben.

»Ihr lebt doch alle noch in der Vergangenheit.« Gras rollte sich auf den Rücken und leckte sich das Maul. »Neunmal am Tag danken wir dem Großen Drachen für unser Fressen, aber warum? Seit der Flut haben wir nicht einmal so viel wie eine drachenförmige Wolke zu Gesicht bekommen! Wacholder hat recht, der Drache hat uns verlassen.«

»So habe ich das nicht gesagt«, knurrte Wacholder, ohne sich umzudrehen.

Blättchen war nicht die Einzige, die erwartungsvoll zu Pflaume schaute. So halbwegs rechnete sie damit, dass ihre Tante mit Gras schimpfte, doch sie schüttelte bloß den Kopf.

»So funktioniert das nicht, Gras«, sagte Pflaume ruhig. »Der Drache kann uns gar nicht verlassen. Der Große Drache ist das Bambusreich. Solange es Pandas und Bambus gibt, wacht der Drache über uns.« Dann hielt sie einen langen Halm hoch, als wäre die Sache damit besiegelt. Eine Weile herrschte Stille, die nur von knirschendem, krachendem Kauen durchbrochen wurde.

»Könnt ihr euch noch an den Sommer vor der Flut erinnern, als Wacholders Teich ausgetrocknet ist?«, fragte Holzapfel und pulte sich mit einer langen schwarzen Kralle eine Bambussprosse aus den Zähnen. »Da hat uns Drachenzunge alle gewarnt. Und du hattest ausreichend Zeit, einen tieferen Teich zu finden, weißt du noch, Wacholder?«

Wieder grunzte Wacholder bloß, doch Hyazinthe schmunzelte und schob Klein-Bambusrohr ein paar Blätter hin. »Und erinnert ihr euch noch an die Sandfüchse?«, fragte sie. »Knorreiche Klammshorst musste ihnen die Botschaft überbringen und dafür bis hoch hinauf ins Weißkammgebirge klettern. Konnte sie gerade noch rechtzeitig vor der Lawine warnen.«

»War es nicht ein Schneesturm?« Gras klang längst nicht mehr so zynisch, auch ihre Gesichtszüge hatten sich entspannt.

»Nein, es war eine Lawine«, brummte Immergrün und schubberte sich mit den Schultern an der Baumrinde. »Vorsicht vor der weißen Welle lautete die Botschaft. Ich habe es noch genau im Kopf.«

Blättchen rollte sich auf den Rücken und ließ sich mit den letzten Bissen ihres Mahls Zeit. Wenn die älteren Pandas erst einmal auf die Vergangenheit zu sprechen kamen, konnte sich das ewig hinziehen. Die würden auch noch in Erinnerungen schwelgen, wenn es Zeit fürs Goldlichtmahl und das Mahl der steigenden Sonne war.

Ihre Tante hatte recht, der Große Drache wachte noch immer über sie. Blättchen glaubte es von ganzem Herzen. Doch wenn sie die Geschichten von der Zeit vor der Flut hörte, als der Fluss noch friedlich in seinem Bett geflossen war, der Bambus üppig gewachsen war und so viel Nahrung und Platz vorhanden gewesen waren, dass jeder Panda sein eigenes Territorium gehabt hatte, fragte sie sich schon, warum das nicht mehr so war.

Wie alle anderen Pandas auch hatte Knorreiche Klammshorst die Warnung für die Sandfüchse am heiligen Ort seines Territoriums empfangen. So hatte es damals funktioniert, hatte ihre Tante ihr erklärt: Die Drachenzunge bekam die Botschaft des Großen Drachen und gab sie an die übrigen Pandas weiter, die sie ihrerseits im Bambusreich verbreiteten. Die Pandas waren etwas Besonderes: Sie waren die auserwählten Boten des Drachen gewesen.

Doch von der Flut hatte keiner gewusst, bis es zu spät gewesen war. Warum hatte das Warnsystem versagt? Hatte der Große Drache keine Botschaft gesandt, oder hatte die Drachenzunge die Warnung ignoriert?

»Was wohl mit der Drachenzunge passiert ist?« Blättchen erwartete keine konkrete Antwort darauf, denn niemand wusste, was aus Sonnenrot Schattenforst geworden war.

»Das ist ja wohl offensichtlich«, antwortete Immergrün mit einem tiefen Seufzer. »Es ist jetzt ein Jahr her, und wir müssen der Wahrheit ins Gesicht sehen: Drachenzunge Sonnenrot ist bei der Flut ums Leben gekommen.«

Blättchen erwartete, dass ihm jemand widersprechen würde, doch zu ihrer Bestürzung tat das keiner. Nicht einmal Tante Pflaume. Sie ließ bloß traurig den Kopf hängen.

»Einmal bin ich ihm begegnet«, sagte Hyazinthe. »Ich war noch ein Junges, aber ich werde nie vergessen, dass er mich wie einen ausgewachsenen Panda behandelt hat. Eines Tages würde ich die Zeichen auch sehen, meinte er, dann könnte ich vielleicht die Ausbreitung einer Krankheit verhindern, ein Nest retten oder … Er hat mir das Gefühl gegeben, dass in mir eine Heldin steckt.«

»Keine Drachenzunge war so weise wie er«, sagte Pflaume leise.

»Aber wenn Sonnenrot tot ist, warum wurde dann keine neue Drachenzunge erwählt?«, fragte Gras. »Es sei denn, der Drache ist so erzürnt, dass er sich von uns abgewandt hat.«

Pflaume schüttelte den Kopf. »Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Wenn die Zeit reif ist, wird uns der Drache eine neue Drachenzunge schicken.«

Darauf folgte eine trübsinnige Stille. Blättchen vermutete, dass alle Rankforst-Pandas das Gleiche dachten: Wie lange sollen wir denn noch warten?

Blättchen stand auf und schüttelte sich kräftig. Nachdem das Mahl vorbei war, hatte sie keine Lust, noch länger über der Vergangenheit zu brüten.

»Ich gehe mal Flitzer suchen«, verkündete sie.

»Falls du zum Mahl des Goldlichts nicht zurück bist –«, setzte Tante Pflaume an.

»Spreche ich den Segen, keine Sorge.« Blättchen stupste ihre Tante zum Abschied noch mal mit der Nase.

Kaum hatte sie die Lichtung verlassen, fiel ihr eine Riesenlast von den Schultern. Dann gab es eben keine Drachenzunge. Na wenn schon! So schlecht war das Leben trotzdem nicht. Immerhin hatte sie Tante Pflaume, und Freunde hatte sie auch.

Nachdem sie eine Weile gelaufen war, erreichte sie Goldblatt, das Territorium der Roten Pandas. Hier wuchs kaum noch Bambus, dafür gediehen die Bäume besser.

Blättchen schnupperte an den Bäumen, ob sie Flitzers Duft ausmachen konnte, doch da hörte sie schon die Stimmen ihrer Freunde über sich. Sie schaute auf. Zwischen den schwankenden Ästen blitzten rot-schwarze Gestalten auf, bevor sie lachend wieder im Laub verschwanden.

»Flitzer!«, rief Blättchen. Eine der roten Gestalten ließ sich von einem Ast hängen, der Kopf baumelte zur einen, der Schwanz zur anderen Seite herunter.

»Blättchen! Komm rauf!«, rief Flitzer Kletterweit. Neben ihm tauchten zwei weitere rote Pandagesichter in der Baumkrone auf.

»Hallo, Blättchen!«

»Komm hoch zu uns, Blättchen!«

Blättchen grinste und schnüffelte am nächsten Baum. Der sollte geeignet sein. Weil sie so viel größer war als ihre roten Pandafreunde, musste sie darauf achten, wohin sie ihre Tatzen setzte, doch wenn Blättchen Rankforst erst einmal am Klettern war, konnte es kein Panda im ganzen Nordwald mit ihr aufnehmen. Rasch fand sie Halt, grub ihre Krallen in die Borke und begann mit dem Aufstieg. Sie zog sich auf einen Ast und hangelte sich mithilfe eines Knubbels zum nächsten. In null Komma nichts hatte sie den Waldboden unter sich gelassen und hing in der schwankenden Krone, in der es weniger kletterfesten Pandas schon längst angst und bange geworden wäre. Das erste Sonnenlicht schimmerte durchs Laub und ließ die Welt um sie in Grün und Gold erstrahlen.

»Auf zu Großvater Ginkgo! Wer zuerst oben ist«, rief Springer Kletterweit, gerade als sich Blättchen auf den Ast hievte, auf dem die Roten Pandas saßen. »Bereit?«

Mampfer Klammfest schüttelte den Kopf. »Das ist unfair. Blättchen hat sich gerade erst den ganzen Baum hochgemüht, während du auf deinem Hintern gesessen und Eicheln gefuttert hast!«

»So habt ihr zwei wenigstens eine Chance! Stimmt’s, Blättchen?« Flitzer machte auf der Stelle kehrt und tänzelte geschickt über den dicken Ast.

»Genau!«, keuchte Blättchen. »Bereit, wenn ihr es seid!«

»Los!«, quiekte Springer. Kichernd schossen er und Mampfer davon.

Flitzer und Blättchen grinsten sich an.

»Die holen wir uns!« Flitzer schlug mit dem Schwanz und jagte los, Blättchen hinterher. Natürlich konnte sie nicht so schnell über die Äste rennen oder so weit springen wie ihre roten Pandafreunde, doch das machte nichts. Die anderen beiden hatten sich nämlich viel zu hastig auf einen zu kurzen Ast gestürzt und würden umdrehen müssen, während Blättchens überlegtere Herangehensweise immer zum Ziel führte.

Großvater Ginkgo war der höchste Baum im Nordwald und überragte alle anderen Wipfel wie eine strahlende Sonne. Blättchen hielt sich an die dicksten Äste, klammerte sich in Nähe des Stamms fest und arbeitete sich so immer höher. Einmal wäre sie fast abgerutscht, als sie ihre Hintertatze aus Versehen in ein Astloch setzte, in dem ein Eichelhäher sein Nest gebaut hatte. Der Vogel hackte kreischend nach ihr. Erschrocken rutschte Blättchen ein Stück am Stamm hinab. Als sie einen Blick nach unten riskierte, sah sie, wie tief es abwärts ging … doch sie grub die Krallen in die Rinde und stoppte die Talfahrt.

»Tut mir leid!«, rief sie dem Eichelhäher zu, als sie wieder hochkletterte. Diesmal sah sie sich vor, und der Eichelhäher schimpfte bloß und plusterte sein rauchgraues Gefieder auf.

Das letzte Stück bis zur Krone war die kniffligste Kletterstrecke im gesamten Wald, doch Blättchen hatte es schon mehrfach geschafft, aber mit jedem Mal kam ihr Großvater Ginkgo noch größer und kräftiger vor. Sie wusste genau, über welche Äste sie ganz nach oben gelangte. Flitzer war immer direkt neben ihr, klammerte sich an Zweige, die unter ihren Tatzen sofort zerbrochen wären. Auch die anderen beiden Roten Pandas hatten mittlerweile aufgeholt. Blättchen stemmte sich erneut hoch und ließ sich dann triumphierend in der höchsten Astgabel nieder. Da verschnaufte sie einen Moment und blickte über die goldenen Blätter hinweg.

Ringsherum erstreckte sich der Nordwald, Gebiete mit kräftigerem Bewuchs wurden von schütteren Stellen wie der Rankforst-Lichtung mit ihren spärlichen Bambusbüscheln durchbrochen. Jenseits des Waldes lag das Tal mit dem Fluss, der so breit war, dass kein Wesen hinüberschwimmen konnte. Wegen der schnellen Strömung bildeten sich kleine, kabbelige Wellen, die in der aufgehenden Sonne schillernden Schlangen oder gar Drachen glichen.

Hinter dem Fluss begann der Südwald. Die Hänge waren dort ebenso steil, doch während im Nordwald alles eher spärlich wuchs und grau wirkte, schien alles jenseits des Flusses grün und saftig zu sein. Wenn Blättchen nur genau genug hinschaute, meinte sie riesige Bambusbüschel zu erkennen, die nicht einmal der hungrigste Panda alle vertilgen könnte.

Beim Gedanken an Bambus knurrte ihr der Magen, und sie leckte sich das Maul. Die Sonne ging gerade auf, und es war Zeit für das Goldlichtmahl. Auch ohne Bambus durfte sie kein Mahl verpassen, also schaute sie sich nach etwas Essbarem um. In den Zweigen hingen kleine gelbliche Früchte, die waren zwar nicht so schmackhaft wie Bambus, aber in der Not würden sie es auch tun. Blättchen pflückte eine der mirabellenähnlichen Früchte, hielt sie in den Pfoten und neigte den Kopf.

»Großer Drache, zum Goldlichtmahl verbeuge ich mich vor dir. Aller Bambus … ähm, diese stinkige gelbe Frucht, und alle Kraft kommt von dir.«

Die Roten Pandas saßen mit wippenden Schwänzen um sie herum, während sie in das weiche Fruchtfleisch biss, das in seiner Mitte einen knackigen Kern enthielt. Kein Vergleich zu Bambus, aber Hauptsache etwas zu fressen.

»Scharrer meinte, der Fluss hätte sich nach dem letzten Regen etwas beruhigt«, sagte Springer, nachdem Blättchen sich mit den Früchten den Bauch vollgeschlagen hatte.

»Im Ernst?« Blättchen spitzte die Ohren und schaute hinüber zum glitzernden Wasser. Von hier sah es immer noch nach gefährlichen Stromschnellen aus, aber vielleicht, ganz vielleicht wäre es ja eine gute Gelegenheit …

»Na ja … Scharrer ist ein ziemlicher Schwätzer«, entgegnete Flitzer. »Wahrscheinlich bildet er sich das bloß ein.«

»Irgendwann packen wir’s«, sagte Blättchen entschlossen. »Vielleicht nicht heute, doch irgendwann schaffen wir es auf die andere Seite. Daran glaube ich ganz fest.«

»Hat weniger mit Glauben als mit Schwimmen zu tun.« Springer hing kopfüber von einem Ast. »Kannst du denn schwimmen?«

»Klar!«, schnaubte Blättchen. Nicht … super, fügte sie in Gedanken hinzu. Nicht so, wie ich klettern kann. Aber wir finden einen Weg!

»Meinst du, dass sie auf der anderen Seite sind?« In Flitzers Stimme schwang ein Hauch von Skepsis mit. »Deine Mutter und dein Zwilling?«

Blättchen starrte so lange hinüber zum Südwald, bis die dunkelgrünen Stämme vor ihren Augen verschwammen.

»Ja«, antwortete sie. »So hat mir das Tante Pflaume immer erzählt. Ihre Schwester Orchidee kam mit zwei Jungen und bat sie, gut auf mich aufzupassen, und verschwand mit dem anderen. Wo sollen sie denn sonst sein?«

Dass die Roten Pandas darauf keine Antwort gaben, war ihr nur recht. Denn natürlich wusste sie, dass auch die Möglichkeit bestand, dass sie überhaupt nicht im Südwald waren – dass abgesehen von Pflaume ihre gesamte Familie genauso verschwunden war wie Sonnenrot Schattenforst.

Doch solange jenseits des schillernden Wassers ein ganzer Wald lag, wollte sie sich damit nicht abfinden.

»Eines Tages überqueren wir den Fluss, Flitzer. Und dann finde ich meine Familie wieder!«

2. Kapitel

»Ich bin so satt, ich bekomme keinen Bissen mehr runter!« Regen streckte die Vordertatzen von sich und gähnte wohlig. Dann lehnte sie sich gegen die dicken, baumhohen Bambushalme, die unter ihrem Gewicht ächzend nachgaben und ihr so eine bequeme Rückenstütze boten. Als ihr Blick nach oben wanderte, lugte da ein Seitentrieb mit frischen, hellgrünen Blättern hervor, genau in Tatzenweite. Einer geht noch, dachte sie und krallte ihn sich.

Doch bevor sie ihn fressen konnte, wurde er ihr entrissen.

»He!«, knurrte sie, als die andere Pandabärin ihre Schultern als Trittstein benutzte, um über sie hinweg zu einem etwas höher gelegenen Felsvorsprung zu steigen. Fauchend kletterte Regen hinterher.

Blüte, die andere Pandabärin, wollte sich die Blätter gerade ins Maul schieben, als Regen auf dem Felsvorsprung erschien und sich den Halm mit den Zähnen schnappte. »Grrr! Das ist meiner!«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Such dir deinen eigenen Bambus.«

»Da hast du dich aber geschnitten«, säuselte Blüte. »Ich bin älter als du. Der Halm gehört mir und der Felsen auch. Kletter du mal schön wieder runter zu den anderen Jungen. Unten am Hang gibt es noch massig Bambus.«

Regen knurrte. Massig Bambus gab es überall, bloß darum ging es nicht. Es knackte, als sie am Halm zerrte.

»Regen hat recht, sie hat den Trieb gepflückt«, ertönte eine Stimme. Kiesel tauchte in einer Astgabel über ihnen auf. »Ich hab gesehen, wie du ihn ihr weggenommen hast.«

Blütes Lächeln erstarb, und sie krallte die Tatzen noch fester um den Halm. Regen fauchte und zerrte erneut daran. Es knackte und der Halm brach entzwei. Dabei verlor Regen den Halt, rutschte unelegant vom Felsen und landete mit einem Rums im Laub. Doch als sie wieder auf die Tatzen kam, schnaufte sie zufrieden. An ihrem Teil des Halms hingen all die saftigen Blätter, während für Blüte nur der holzige Strunk blieb.

»Wie respektlos!«, versetzte Blüte.

»Ja, du hast recht«, gab Regen zurück. »Vor dir habe ich auch kein bisschen Respekt!«

»Regen!«, meldete sich eine forsche Stimme von hinten. Regen drehte sich langsam um. Ihre Mutter Pfingstrose. »Entschuldige dich bei Blüte.«

»Mach ich nicht«, murmelte Regen. »Sie ist eine Diebin. Bloß weil sie älter ist, bildet sie sich ein–«

»Regen!« In Pfingstroses Stimme hatte sich ein warnendes Knurren gemischt. »Entschuldige dich.«

Regen ließ die Schultern hängen und schaute zu Blüte, die ihr oben auf dem Felsvorsprung den Rücken zugedreht hatte, als wäre sie tief gekränkt, sich jedoch immer wieder verstohlen über die Schulter umsah. Regen verzog verärgert die Schnauze und richtete sich auf.

»Tut mir leid, Blüte«, sagte sie laut und deutlich. Dann stopfte sie sich grinsend die schmackhaften grünen Blätter ins Maul, kaute und sah Blüte dabei unverwandt in die Augen, so lange, bis sie die Leckerei vollständig vertilgt hatte. Blüte ließ sich wutschnaubend auf den Bauch fallen. Hinter sich hörte Regen, wie Pfingstrose und Kiesel seufzten.

»Kommt mal mit mir, ihr zwei«, sagte Pfingstrose. Mit ihrem besten Freund im Schlepptau trabte Regen selbstzufrieden hinter ihrer Mutter her.

Sie liefen über den viel begangenen Pfad, der sich in sanften Windungen zum Fluss hinunterschlängelte. Schneller wäre es gegangen, wenn sie einen steileren Abstieg genommen hätten, doch da hätte man sich immer wieder an Bambusbüscheln oder Bäumen festhalten müssen, sonst purzelte man eher, als dass man kletterte. Regen tat noch alles vom Sturz eben weh, deshalb folgte sie brav ihrer Mutter.

»Was habe ich dir gesagt, Regen?«, fragte ihre Mutter, als sie durch eine mit Efeu bewachsene Steinspalte traten.

»Dass ich nicht bis zur Mitte des Flusses hinausschwimmen soll«, antwortete sie. »Und nicht mit offenem Mund einschlafen.«

Pfingstrose schüttelte den Kopf. »Das Leben ist viel leichter, wenn du dich mit den anderen verträgst.«

»Tue ich ja«, sagte Regen. »Mit Kiesel komme ich gut aus. Und mit Horizont. Und den Jungen.«

Als sie an die Stelle mit dem umgestürzten Baum kamen, wo der Weg abflachte, ließ sich Pfingstrose auf dem Stamm nieder und kratzte sich mit der Tatze hinterm Ohr. »Auf Glücksberg leben über zwanzig Pandas, Regen. Früher … Mach mal kurz Platz, Kiesel. Ja, so ist gut.«

Eine Pandabärin kam des Weges. Und als wollte die alte Nebel Glücksberg Pfingstroses Argument untermauern, streifte sie Regen mit ihrem schütteren Pelz, und Kiesel musste sogar ins Gebüsch tauchen, um nicht umgerannt zu werden.

»Freudiges Mahl der langen Strahlen, Pfingstrose«, krächzte Nebel im Vorbeigehen.

»Wünsch ich dir auch.« Pfingstrose verneigte sich leicht und wartete, bis die alte Bärin weiter den Hang hinaufgestiegen war, bevor sie ihre Standpauke fortsetzte. »So war es nicht immer. Pandas wie Blüte sind es nicht gewohnt zu teilen, früher wäre ihr tagelang kein anderer Panda über den Weg gelaufen.«

»Na ja, nun hatte sie ja schon mein Leben lang Zeit, sich daran zu gewöhnen«, meinte Regen schmollend.

»Und du hattest ein Leben lang Zeit, dich an sie zu gewöhnen.« Pfingstrose seufzte. »Nicht mehr lange bis zum Mahl der sinkenden Sonne. Habt ihr zwei nicht noch etwas zu erledigen? Ich bin überzeugt, dass eure Nester vor dem steigenden Mond noch etwas frisches Schilf vertragen könnten.«

Ihre Mutter wollte bloß das Thema wechseln, doch das freute Regen eher, denn damit hatte sie am Ende doch recht behalten.

»Komm«, sagte Kiesel. »Lass uns die Jungen holen und Schilf sammeln.«

»Seid aber zum Mahl zurück.« Pfingstrose legte sich auf den Stamm und schloss die Augen.

Regen schnaubte und machte sich mit Kiesel weiter an den Abstieg. Nebeneinander liefen sie den ausgetretenen Pfad durchs Unterholz, bis sie auf eine kleine geschützte Lichtung kamen, wo Horizont und Morgenrot zusammensaßen. Die beiden Freundinnen verstanden sich prächtig, ohne sich gegenseitig den Bambus zu stehlen. Ihre Jungen Frosch und Tanne kugelten zu ihren Tatzen herum. Frosch war der Ältere, doch er ließ Tanne beim Spielen immer gewinnen.

Die beiden Jungen begleiteten Regen und Kiesel nur zu gerne hinunter zum Fluss und hüpften glücklich vor ihnen her, bis Regen plötzlich schlitternd zum Stehen kam. »Wartet!« Sie sank auf den Bauch. Frosch und Tanne machten kehrt und kamen zurückgerannt, ihre dunklen Augen weit aufgerissen. »Ich … ich … ich habe … eine Vision!«

Regen rollte sich auf den Rücken, starrte in den Himmel und klappte das Maul auf.

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