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Only You

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Der fulminante Abschluss der erfolgreichen Reihe um die Adair-Geschwister

Hollywoodstar Brodan Adair ist in die Highlands zurückgekehrt. Der zweitjüngste Adair-Bruder will sich nach Jahren des beruflichen Erfolges und zahlreicher One-Night-Stands nur noch auf das besinnen, was ihm wirklich wichtig ist: seine Familie. Als er jedoch nach achtzehn Jahren Funkstille seine ehemals beste Freundin Monroe wiedersieht, wird er von seinen Gefühlen für sie überwältigt. Monroe aber hat Angst erneut verletzt zu werden und zweifelt daran, dass Brodan sich wirklich geändert hat. Die explosive Verbindung, die schon immer zwischen ihnen bestanden hat, bringt lange vergrabene Wahrheiten ans Licht. Gerade als die beiden vor einer zweiten Chance stehen, holt Brodans Vergangenheit ihn ein und bedroht nicht nur ihr Glück, sondern auch ihre Leben.

Samantha Young in Band 5 der »Die Adairs«-Reihe wie immer mit Spice-Garantie und dem beliebten Trope Friends to Enemies to Lovers


  • Erscheinungstag: 25.03.2025
  • Aus der Serie: Die Adairs
  • Bandnummer: 5
  • Seitenanzahl: 432
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749907236
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Samantha Young

Only You

Roman

Aus dem Englischen von
Martina Takacs

HarperCollins

Liebe Leserin, lieber Leser,

vor vielen Jahren wurde ich dazu inspiriert, diese Buchreihe zu schreiben, die in meinem malerischen fiktiven Dorf in den schottischen Highlands spielt. Aufgrund von Verpflichtungen durch andere Bücher legte ich sie jedoch zunächst auf Eis, wofür ich jetzt dankbar bin – denn im Laufe der Jahre hat die Reihe sich in meiner Vorstellung zu etwas so Dreidimensionalem entwickelt. Manchmal kann ich selbst kaum glauben, dass Ardnoch mit all seinen Figuren nicht auf lebendige, atmende Weise real ist. Die Liebe und der Rückhalt, die mir und dieser Serie von der Leserschaft begegneten, haben mich total überwältigt und das Schreiben der Bände zu etwas ganz Besonderem gemacht. Vielen, vielen Dank! Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr ich euren Zuspruch schätze.

Als mir klar wurde, dass ich bereits den letzten Teil dieser Familiensaga erreicht hatte, überkam mich ein Gefühl der Unruhe. Der Abschluss einer Reihe fühlt sich normalerweise gut an: Man vollendet etwas. Doch sosehr ich auch glaube, dass die epische Liebesgeschichte zwischen Brodan und Monroe das Ende der Irrungen und Wirrungen der Familie Adair bedeutet (Hört ihr, wie sie aufatmen?), bin ich noch nicht bereit, Ardnoch zu verlassen.

»Highland Night« ist das erste Buch der Highlands-Reihe und spielt ebenfalls in dieser Welt, die mir so sehr ans Herz gewachsen ist. Wenn du die Geschichte von Brodan und Monroe beendet hast, bist du hoffentlich gespannt darauf, was und wer als Nächstes kommt. Alles, was du wissen musst, findest du, wenn du zur letzten Seite blätterst … aber das hat keine Eile. Nimm dir Zeit. Mach es dir gemütlich und lass dich von diesen Seiten in die raue Schönheit der schottischen Highlands und in eine Liebesgeschichte entführen, die ich mit jedem Wort, das ich geschrieben habe, tief in meiner Seele gespürt habe.

In Liebe und Dankbarkeit,

Sam x

PROLOG

Monroe

Jahre zuvor …

An einem Montagvormittag war im Kino nichts los, daran änderten auch die Sommerferien nichts. Nur eine Handvoll Leute warteten im großen Foyer. Nichts konnte mich von dem großen Banner ablenken, das von der Decke herabhing. Brodan Adairs faszinierendes Gesicht prangte darauf. Ich hatte es kaum glauben können, als sein Bruder Lachlan in einer Talkshow sein Hollywood-Debüt beworben hatte.

Von da an hatte man Brodan immer wieder in Nebenrollen sehen können. Nicht dass es mich gereizt hätte, seine Filme anzuschauen. Aber entgehen konnte einem sein wachsender Erfolg jedenfalls nicht. Und jetzt war er auf einem riesigen Plakat zu sehen, das seine erste große Hauptrolle in einem echten Blockbuster ankündigte.

Ein Schmerz, der seit Jahren in meiner Brust lauerte, brach erneut hervor.

Dreh dich um und verschwinde von hier, befahl ich mir. Tu dir das nicht an!

Aber ich konnte es nicht.

Ich wollte sehen, was aus ihm geworden war. Ich hatte gehofft, dass die Jahre der Trennung alles betäuben würden, vielleicht sogar auslöschen … Aber paradoxerweise hatte die Entfernung mein Herz nur noch unbelehrbarer gemacht.

Mist.

Ich drückte die Schultern zurück, marschierte durchs Foyer zum Ticketschalter und kaufte eine Eintrittskarte für die nächste Vorstellung von Brodans Film.

* * *

Da war er. Und der heiße Schmerz wuchs weiter an, während ich zu einem überlebensgroßen Brodan hinaufstarrte, der die Rolle mit einem makellosen amerikanischen Akzent spielte. Es ließ ihn fast wie einen anderen Menschen erscheinen.

Wären da nicht diese Augen gewesen. Alles hatte sich immer in Brodans Augen abgespielt. Es war ein wenig beunruhigend, ihn als so hervorragenden Schauspieler zu erleben, denn für eine Weile vergaß ich fast, dass dieser Hauptdarsteller einmal mein bester Freund gewesen war.

Bis zu dem Moment, als er die Hauptdarstellerin mit reiner Leidenschaft küsste.

Es wurde gemunkelt, dass sie auch im wirklichen Leben ein Paar seien.

Bei ihrem Anblick zweifelte ich kein bisschen daran, dass es der Wahrheit entsprach – heiße Leidenschaft loderte zwischen ihnen. Und schon erfüllte mich schmerzvolle Eifersucht. Besitzanspruch.

Mir gehörte er zuerst, dachte ich kindisch.

Dabei hatte Brodan mir nie wirklich so gehört, wie ich es mir gewünscht hatte, aber als wir Kinder waren, war er alles für mich gewesen. Erinnerungen, die ich mit aller Kraft zu vergessen versucht hatte, holten mich ein, wirbelten vor mir herum und vernebelten meinen Blick auf Brodan Adair, den Hollywood-Schauspieler …

Es war wieder einer dieser Tage, das erkannte ich an der aufgeplatzten Lippe meiner Mum, als ich in die Küche kam. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sie schüttelte heftig den Kopf.

Verdammt.

Wir wohnten in einem kleinen Reihenhaus am Rand von Ardnoch. Unser Dorf war winzig, aber nicht zu winzig, um auch solche Straßen zu beherbergen, in denen bekanntermaßen die Leute wohnten, die weniger hatten als andere. In so einer Straße wohnten wir.

»Ist das Monroe?«, rief Dad aus dem Wohnzimmer am anderen Ende des Flurs.

Mum flüsterte fast unhörbar: »Verschwinde.«

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, und ich wollte mich gerade umdrehen, als Dad in der Küchentür erschien.

Sein Gesicht war gerötet, die Augen glasig vom Whisky, die Hände hatte er an den Seiten zu Fäusten geballt.

Als Kind hatte ich nicht gewusst, dass mein Vater Alkoholiker war. Oder zumindest hatte ich es nicht verstanden. Jetzt war ich zwölf, in meinem ersten Jahr an der Ardnoch Academy. Also wusste ich es. Ich wusste inzwischen manches, was ich vorher noch nicht gewusst hatte. Ich wusste, dass es der Alkohol war, der meinen Vater in ein Monster verwandelte.

Meine Hände wurden feucht.

»Hi, Dad.«

»Wo warst du?« Er trat angriffslustig auf mich zu.

»In der Schule.«

»Du solltest arbeiten und mithelfen«, knurrte er.

»Ich bin z-zwölf«, erinnerte ich ihn leise.

»Ich habe mit zwölf gearbeitet, du faules Stück.«

»Ich muss aber zur Schule, Dad. Es ist illegal, nicht hinzugehen.«

Seine Nasenlöcher blähten sich. »Denkst du, das wüsste ich nicht? Willst du mich verarschen?«

»Nein. Es ist nur … Man kriegt kaum einen Job, bevor man fünfzehn ist.« Außerdem wollte ich zur Schule gehen. Ich wollte etwas aus meinem Leben machen.

»Dann streng dich mehr an. Wir bezahlen einen Haufen Geld für alles.«

Ich weiß nicht, was über mich kam, ob ich es einfach satthatte, den Mann mit Samthandschuhen anzufassen, jedenfalls murmelte ich: »Dann gib lieber nicht alles für Alkohol aus.«

Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, erstarrte ich vor lauter Angst.

Seine Miene verfinsterte sich. »Was zum Teufel sagst du da?«

»Dad …«

»Callum, nicht«, flehte Mum.

»Freche Schlampe! Komm her!«

Von da an war alles nur noch ein schmerzender Nebel in Rot und Schwarz. Ich hörte, wie Mum schrie: »Hör auf!« Sie muss ihn schließlich von mir weggezerrt haben, aber mein Gesicht tat überall weh, und ein Auge konnte ich nicht mehr öffnen.

»Warum?«, zischte Mum. »Warum musst du ihn auch provozieren?«

Ich versuchte, durch die höllischen Schmerzen hindurch zu sprechen, aber das Einzige, woran ich denken konnte, war das Gesicht meines besten Freundes.

Brodan.

Ich wollte bei Brodan sein. Bei ihm fühlte ich mich sicher.

Meine rechte Seite schmerzte furchtbar, als Mum mich in einen unsicheren Stand zog. Sie schob mich auf einen Stuhl.

»Sieh nur, zu was du ihn getrieben hast«, jammerte Mum leise. »Das ist deine eigene Schuld.«

Meine eigene Schuld?

War es das?

Vielleicht.

Brodans Vater würde seinen Kindern niemals etwas antun. Ich wusste, dass Brodan sich wünschte, dass er öfter bei ihnen wäre. Um die Adair-Brüder und ihre Schwester Arrochar kümmerte sich hauptsächlich sein ältester Bruder Lachlan, aber trotzdem – Mr. Adair war ein sanfter Mann. Er würde seine Tochter nicht zu Brei schlagen.

»Jetzt können wir dich weiß Gott wie lange nicht in die Schule lassen«, schimpfte Mum, und ich konnte mit dem einen Auge sehen, dass sie Tränen in den Augen hatte. »Ich hol was zum Desinfizieren für deine Lippe, und dann legen wir dir Eis aufs Gesicht.«

Auf welchen Teil davon?, dachte ich wie betäubt.

Als sie die Küche verlassen hatte, rappelte ich mich auf. Dad war immer noch im Haus. Er konnte zurückkommen und alles noch schlimmer machen. Mich diesmal womöglich sogar umbringen.

Also schleppte ich mich zur Küchentür. Der Boden wogte wie Wellen im Meer auf und ab. Ich verdrängte das seltsame Gefühl und stürzte aus dem Haus.

Die Angst trieb meine schweren Beine an, und ich rannte. Rannte Richtung Landstraße, die zu Ardnoch Castle führte. Brodan und seine Geschwister fuhren immer mit dem Rad zu dem Schloss, das ihr Zuhause war. In ein paar Jahren wäre Lachlan alt genug, um sie mit dem Auto zur Schule zu fahren.

Ein scharfer Schmerz stach in meine Rippen, und ich musste mein Tempo verlangsamen. Es würde eine Ewigkeit dauern, bis ich das alte, zugige Schloss erreichte, und mir tat alles so weh, dass ich nicht wusste, ob ich es überhaupt schaffen würde.

»Roe!«, rief da eine vertraute Stimme.

Ich hob den Kopf und versuchte, mit dem einen guten Auge etwas zu erkennen. Auf der Straße vor mir tauchten verschwommene Gestalten auf.

Auf Fahrrädern.

Brodan?

Brodan! Ich versuchte, den Mund zu öffnen, aber plötzlich kippte die Welt um, und meine Beine waren weg. Schmerzen schossen mir durch die Knie.

»Monroe!«

Brodan.

Nur Sekunden schienen vergangen, als ich Hände auf mir fühlte, und ich blickte in Brodans aufgewühltes Gesicht. In seinen Augen schimmerten Tränen. »Arran, hol Dad.«

»Was … was ist hier los?«, hörte ich seinen Bruder Arran flüstern.

»Arran, hol Dad!«, schrie Brodan. Schiere Panik erfüllte die Stimme meines Freundes.

Dann legte er den Arm um mich und drückte mich an sich. »Alles wird gut, Sunset, du wirst wieder ganz heil, okay? Ich lasse nicht zu, dass dir jemals wieder etwas zustößt. Du bist in Sicherheit. Ich bin da, Roe.«

Ich blinzelte, als ich aus einer der lebhaftesten Erinnerungen meiner Kindheit erwachte. Tränen hatten meine Wangen benetzt, und ich schaute mich um, aber zum Glück beachtete mich niemand.

Nur zwei weitere Personen waren anwesend, die ganz auf den Film fixiert waren.

Auf Brodan.

Seit mein Vater angefangen hatte, mich zu schlagen, war Brodan, mein bester Freund seit unserem ersten Schultag, mein Beschützer geworden. Schon als Zwölfjähriger hatte er beschlossen, sich um mich zu kümmern. Nach diesem Tag hatte sich mein Leben verändert. Durch ihn und seinen Vater.

Und ich hatte dummerweise geglaubt, dass Brodans leidenschaftliche Sorge um mein Wohlergehen etwas zu bedeuten hatte.

Mit vierzehn gestand ich mir endlich ein, dass Brodan für mich mehr als ein Freund war.

Die Hoffnung hatte mich an ihn gebunden, bis er sie zerstörte.

In meinem Schmerz hatte ich impulsiv gehandelt.

Wir hatten alles kaputt gemacht, er und ich.

Warum also konnte ich mich nicht von ihm befreien?

Emotionen rissen mich mit, als ich sein Gesicht auf der Leinwand sah.

So vertraut.

Und doch so sehr ein Fremder.

Ich wusste nicht, wer dieser Mann war. Dieses Wissen war so verdammt schmerzhaft, dass ich es nicht ertragen konnte.

Wütend wischte ich mir die Tränen ab, fuhr vom Sitz hoch und kehrte der Leinwand den Rücken.

Und ihm.

Genug. Es reichte.

Ich musste ihn vergessen. Um mein Leben leben zu können.

Ich musste es.

1. KAPITEL

Monroe

Gegenwart

Ardnoch, Schottland

Ich versuchte, beim Einparken nicht an den Stapel Schulhefte auf dem Rücksitz zu denken, die ich zu korrigieren hatte. Es grenzte an ein Wunder, dass ich einen Parkplatz in der Castle Street gefunden hatte. Im Gloaming, dem alten Hotel und Restaurant aus dem neunzehnten Jahrhundert, waren Renovierungsarbeiten im Gange, sodass der Parkplatz von Handwerkerfahrzeugen und den Wohnmobilen der letzten Touristen der Saison in Beschlag genommen wurde.

Der Einkauf für Mum lag bereits im Kofferraum, aber ich hatte versprochen, ihr einen To-go-Kaffee von Floras Café mitzubringen, und ich musste noch ein Paket bei der Post abholen, bevor sie dort zumachten. Dann würde ich den Einkauf abliefern, für Mum kochen, zum Wohnwagen zurückkehren, mein eigenes Abendessen zubereiten und den Rest des Abends damit verbringen, die Mathe- und Online-Arbeiten meiner Klasse zu korrigieren, während auf dem Laptop eine Folge Gilmore Girls nach der anderen lief.

Was für ein glamouröses Leben ich doch führte.

Je eher ich zu meiner Mum kam, desto eher konnte ich zum Wohnwagen zurück, den Gordon mir für wenig Geld auf seinem Campingplatz am Strand vermietet hatte.

Wie sich herausgestellt hatte, war die Rückkehr in mein Heimatstädtchen Ardnoch nicht so einfach gewesen, wie gedacht. Die Nachbarin meiner Mum hatte mich angerufen, um mir mitzuteilen, dass meine Mum sich die Hüfte gebrochen hatte und nicht mehr allein zurechtkam. Da sie auch berichtete, dass in der Ardnoch Primary School eine Lehrerstelle frei geworden war, hatte ich keine gute Ausrede, um meiner Mum nicht zu Hilfe zu eilen. Erst nachdem ich die Stelle angenommen hatte und auf Wohnungssuche ging, stellte ich fest, dass meine Heimatstadt mittlerweile für mich unerschwinglich geworden war. Ich bekam ein gutes Gehalt und war alleinstehend, doch die Miete war einfach zu hoch. Aus eigener Kraft konnte ich mir das Leben hier einfach nicht leisten. Jetzt saß ich also in Gordons Wohnwagenpark fest und versuchte, keine Panik zu bekommen.

Ich hätte jederzeit zurück zu meiner Mum ziehen können, aber es hatte schon nicht geklappt, als ich bei meiner Ankunft für einige Wochen bei ihr untergeschlüpft war. Ich hatte mir geschworen, das nie wieder zu tun. Mein Leben würde sonst völlig den Bach runtergehen.

Nein, die einzige wirklich vernünftige Option war es, dieses Jahr im Wohnwagen zu überstehen.

Mit diesen sorgenvollen Gedanken im Hinterkopf schlenderte ich die Castle Street hinunter auf Floras Café zu, um mir und meiner Mum Kaffee zu holen. Ich nickte ein paar Einheimischen zu, als ich zum Tresen ging, den Flora gerade abwischte. Sie schaute auf und lächelte mich warmherzig an.

»Monroe. Wie geht es dir, meine Liebe?«

Flora war immer sehr nett zu mir. Ihre Mum, Mrs. Belle Rannoch, war Mums Nachbarin, und obwohl Flora älter war als ich und wir nicht direkt zusammen aufgewachsen waren, hatte sie, genau wie ihre Mum, gewusst, wie es um meine Familie stand. Ihre Freundlichkeit hatte nichts mit Mitleid zu tun, und ich war ihnen beiden sehr dankbar dafür. Es war nicht leicht gewesen, wieder nach Hause zu kommen, und daher bedeutete es mir viel, neben all denen, die über meine Rückkehr lästerten, ein paar freundliche Menschen um mich zu haben.

»Völlig fertig, wie immer.« Ich lächelte sie an. »Wie war dein Tag?«

»Ruhig. Jetzt sind nur noch wenige Touristen da. Das Übliche?«, fragte sie.

»Ja, bitte.« Ich kam fast jeden Morgen und Nachmittag auf einen Kaffee vorbei.

Flora warf die stylishe Kaffeemaschine an und wandte sich mir zu. »Hast du schon jemanden wiedergetroffen? Ein paar alte Freunde vielleicht …?«

Ich versuchte, auf ihre gezielte Frage hin nicht zusammenzuzucken. Flora hatte mich ermutigt, die Initiative zu ergreifen und meine alten Freundschaften aufzufrischen. Leider gehörten alle meine drei alten Freunde zur selben Familie – den Adairs. Die Adairs waren das, was man früher als Landadel bezeichnete. Ihr Schloss und das große Anwesen waren über Generationen weitergegeben worden. In unserer Kindheit waren sie auch das, was man »reich an Land, arm an Geld« nannte. Bis Lachlan, der Älteste der fünf Geschwister und Hollywood-Actionstar, sich von der Schauspielerei zurückzog und den Familiensitz in einen äußerst exklusiven und äußerst lukrativen Privatclub für Mitglieder der Film- und Fernsehbranche verwandelt hatte. Thane, der Zweitälteste, war ein angesehener Architekt, Brodan offensichtlich ein noch größerer Hollywood-Star als Lachlan. Arran war von seinen jahrelangen Reisen zurückgekehrt, um mit Lachlan das Gloaming zu kaufen, es zu renovieren und zu leiten, und Arrochar, das Nesthäkchen, war Forstingenieurin. Auch wenn mich eine besonders enge Freundschaft mit Brodan verbunden hatte, so war ich doch auch mit Arran und Arro gut befreundet gewesen … vor langer Zeit.

Arran hatte zwar schon deutlich gemacht, dass er unsere Freundschaft wieder aufnehmen wollte … aber es war einfach zu viel passiert. Ich hatte Arro gemieden, und sie hatte nicht versucht, Kontakt aufzunehmen, also dachte ich, dass es die beste Strategie sei, ihr aus dem Weg zu gehen.

Was Nummer drei betraf, so war er wahrscheinlich für seinen neuesten Film in irgendeinem exotischen Land unterwegs.

Es war sowieso nicht wichtig. Ich hatte bereits angefangen, die Schulen in den Lowlands im Großraum Glasgow und Edinburgh zu kontaktieren, um mich nach freien Lehrerstellen für das nächste Jahr zu erkundigen.

Auf mein Kopfschütteln hin runzelte Flora die Stirn, wandte sich aber wieder der Zubereitung des Kaffees zu. Mit zwei To-go-Bechern kam sie um den Tresen herum und reichte sie mir. »Geht aufs Haus.«

»Flora, du musst aufhören, mir den Kaffee zu schenken.«

»Ich muss nichts dergleichen tun.« Sie hielt sie mir hin.

Lächelnd nahm ich sie entgegen. »Danke.«

Sie ließ die Becher jedoch nicht los und senkte den Kopf, um mir einen sehr ernsten Blick zuzuwerfen. »Es gibt da etwas, das du über Brodan wissen solltest …«

»Wenn es um seinen Zusammenbruch bei der Hochzeit geht, Flora, dann weiß ich es schon«, fiel ich ihr ins Wort. Mein Herz raste bei der bloßen Erwähnung seines Namens. Ich war Brodan Adair aus dem Weg gegangen, als er vor ein paar Wochen im Ort gewesen war, aber nicht nur die Dorfbewohner hatten mir von seinem Zusammenbruch bei der Doppelhochzeit seines Bruders und seiner Schwester erzählt, auch die Boulevardpresse hatte es von jemandem aus dem Krankenhaus erfahren, in dem er behandelt worden war.

»Nein. Es geht darum …« Sie brach den Satz ab, als das Glöckchen über der Tür klingelte, und sah nach, wer hereinkam. Flora ließ die Kaffeebecher los, spannte den Körper an und warf mir einen besorgten Blick zu.

Mit rasendem Puls angesichts ihrer seltsamen Reaktion blickte ich zur Tür, und es war, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen.

Brodan Adair.

Höchstpersönlich.

Er sah jetzt noch besser aus als damals als junger Mann. Brodan war klassisch gut aussehend mit einer starken, geraden Nase, schönen eisblauen Augen und einem verführerischen Mund. Er war die schottische Version von Captain America. Er hatte Fältchen um die Augen, die früher nicht da gewesen waren, aber sie machten ihn nur noch attraktiver. Genauso wie der Dreitagebart.

Er war jetzt siebenunddreißig. Genau wie ich.

Wie ungerecht, dass Männern das Alter so gut steht, dachte ich.

Ich hatte Brodan seit fast achtzehn Jahren nicht mehr im wirklichen Leben gesehen.

Und er starrte mich an, als würde er einen Geist sehen.

Seine Gesichtszüge waren angespannt, als sich unsere Blicke im Raum begegneten. Diese eisblauen Augen hatten früher all seine Gefühle preisgegeben. Jetzt war in ihnen nichts anderes als kühle Höflichkeit zu sehen.

Selbst Wut wäre besser gewesen als das.

Ein Mann bewegte sich hinter seinem Rücken, und jetzt erst wurde mir bewusst, dass Brodan nicht allein war. Dass mir sein Begleiter komplett entgangen war, bewies, wie es Brodan gelang, mich alles andere um mich herum vergessen zu lassen. Sein Freund war mindestens eins neunzig oder eins fünfundneunzig groß und sah auf raue Weise gut aus. Er hatte einen gestutzten Bart und dunkles Haar, an den Seiten rasiert und oben auf dem Kopf länger. Seine Brust war so breit wie Brodans, und die beiden Männer schienen das ganze Café auszufüllen.

Als ich spürte, dass alle Blicke sich auf uns richteten, und weil Floras Stammkundschaft das Wiedersehen von Brodan und Monroe beobachteten wie eine Szene aus einem Kinofilm, bekam ich heiße Wangen, und mir wurde schlecht.

Die Übelkeit verstärkte sich noch, als Brodan zum Tresen weiterging, den Blick auf Flora gerichtet. »Flo, wie steht’s?«, fragte er und blieb hinter mir stehen, ohne meine Anwesenheit zu beachten. »Machst du uns bitte zwei Americano?« Ich bemühte mich, den Schauer beim Klang der vertrauten Stimme zu unterdrücken.

Flora warf mir einen gequälten Blick zu, den ich nicht ertragen konnte.

»Bis bald«, flüsterte ich.

»Bis dann, Liebes.«

Ich ging, ohne einen Blick zurück, aber Brodans Begleiter versperrte die Tür.

Sein Gesicht war ausdruckslos, er trat zur Seite und zog die Tür für mich auf.

»Danke«, murmelte ich und eilte hinaus, bevor ich mir eine Gefühlsregung zur ersten Begegnung mit meinem ehemals besten Freund erlaubte.

Er hatte mich links liegen gelassen.

Nach all diesen Jahren hatte er mich einfach ignoriert.

Als hätte ich ihm nie etwas bedeutet.

Andererseits sollte es mich nicht überraschen, denn er hatte mich damals weggeworfen, ohne sich umzublicken.

In meiner Brust tat sich ein Abgrund auf, der so schmerzte, dass es mir den Atem raubte. Dieser Mann war mir öfter durch den Kopf gegangen, als ich zugeben mochte, was beschissen war, da er offensichtlich keinen Gedanken an mich verschwendete.

Blindlings machte ich mich auf den Weg zum Postamt, um mein Paket zu holen, bevor sie dort zumachten. Keine Ahnung, was ich zu der Postangestellten sagte oder sie zu mir, denn ich war noch ganz benommen von der Begegnung im Café. Das Paket jedoch riss mich aus meiner Apathie. Es war ein großer, unhandlicher Karton mit Bastelmaterial für ein Projekt, das ich in der Schule geplant hatte. Wie an den meisten Schulen, an denen ich gearbeitet hatte, war auch an dieser leider kein Budget für solche Dinge vorhanden, also besorgte ich die Sachen selbst, wie viele meiner Kollegen, und bezahlte sie aus eigener Tasche.

Schließlich ging ich, die beiden Kaffees vorsichtig auf dem Paket balancierend, wieder die Straße hinunter. Ich war zwar noch nie so dankbar gewesen, meinen alten Yaris zu sehen, aber die Aktion hatte mich immerhin von dem Arschloch abgelenkt, das aus meiner Vergangenheit in die Gegenwart zurückgekehrt war. Bis ich mein Auto erreichte.

Er hatte mich ignoriert!

Ich legte den Karton auf den Boden, machte den Kofferraum auf und stellte fest, dass ich erst Platz schaffen musste, also räumte ich die Einkaufstüten mit den Lebensmitteln meiner Mum um.

Als ich eine heraushob, gab der Boden der Tüte nach, und Milch, Brot, Obst, Konservensuppen flogen in alle Richtungen. Tränen der Frustration stiegen in mir auf, und dann beging ich den Fehler, nach vorn zu schauen.

Mein Herz raste, als ich Brodan mit seinem schweigsamen Freund vor Floras Café stehen sah, von wo aus er die Szene teilnahmslos beobachtete.

Dann schaute er brüsk weg, und die Tränen wollten verzweifelt heraus, aber ich zwang sie zurück und presste die Lippen zusammen, während ich den Kopf senkte und begann, die Einkäufe einzusammeln.

Früher wäre Brodan als Erster über die Straße gelaufen, um mir zu helfen.

Als ich mich gerade hingehockt hatte, um unter dem Auto nach der Milch zu tasten, nahm ich vage Schritte wahr. Als ich sie endlich gefunden und herausgezogen hatte, drehte ich mich um und sah, wie Brodans Freund die anderen Sachen einsammelte.

Ich richtete mich auf und schaute wieder zu Floras Café. Kein Brodan zu sehen. Ich suchte die Castle Street ab. Keine Spur von ihm.

Sein stiller Freund jedoch kam mit den Einkäufen im Arm zu mir. »Wo soll das hin?«, fragte er.

Er war auch Schotte.

»Äh, in den Kofferraum. Danke.«

Er trat zu mir, und ich konnte sein attraktives Aftershave riechen, als er sich vorbeugte und die Sachen für mich ablegte.

»Danke«, wiederholte ich.

Er begegnete meinem Blick, als er zurücktrat. »Kein Problem.«

»Ich bin Monroe.«

»Ich weiß, wer Sie sind«, sagte er geheimnisvoll.

»Haben Sie einen Namen, damit ich Ihnen richtig danken kann?«

»Walker.«

»Vielen Dank, Walker.«

Er nickte mir mit unbewegter Miene zu, bevor er sich umdrehte und wegging.

* * *

Wenn ich schon in einer Welt lebte, die sich einen Dreck um mich und meine Bedürfnisse scherte, hätte ich auch direkt zum Wohnwagen zurückfahren (in einer perfekten Welt hätte ich ein eigenes Haus gehabt) und mich über meine erste Wiederbegegnung mit Brodan ausheulen können. Er hatte mich nicht nur ignoriert, sondern mich im Stich gelassen. Sein verdammter einsilbiger Freund war ritterlicher gewesen als er! War es unter der Würde des großen Brodan Adair, verstreute Lebensmittel aufzusammeln?

Arschloch.

Aber nein. In meiner beschissenen, emotionalen Stimmung musste ich auch noch Zeit mit meiner Mum verbringen.

»Ich habe neulich schon gesagt, dass ich dieses Brot nicht ausstehen kann«, schnauzte Mum mich von der Küche aus an.

»Du solltest doch liegen bleiben«, erinnerte ich sie.

Nachdem sie sich beim Sturz die schmale Treppe im Haus hinunter die Hüfte gebrochen hatte, war Mums Heilung nicht so verlaufen, wie die Ärzte gehofft hatten. Sie sollte nun ein neues Hüftgelenk bekommen, was bedeutete, dass ich für weiß Gott wie lange hier das Kindermädchen spielen musste. Bei dem Gedanken daran hätte ich schreien können.

»Das ist die falsche Suppe«, schnauzte sie und griff nach der Dose mit Linseneintopf. »Ich will diese Marke nicht.«

»Sie ist billiger«, murmelte ich.

»Ach ja? Schließlich bezahle ich dafür, also kauf gefälligst die verdammte Marke, die ich haben will!«

Ich holte tief Luft. »Ich bin diejenige, die bezahlt. Du hast mir kein Geld für die Einkäufe gegeben.« Sie hatte es versprochen, aber seit sechs Wochen kaufte ich für sie ein, ohne dass sie einen Penny dafür herausgerückt hätte.

»Ach, jetzt bin ich wohl ein Schmarotzer, oder was?«

Ich schreckte bei ihrer lautstarken Äußerung zusammen, räumte aber weiter die Vorräte ein. »Was möchtest du zum Abendessen?«

»Eine dankbare Tochter«, knurrte sie. »Ich habe für dein Essen bezahlt, bis du achtzehn warst, Fräulein. Ein paar Wochen, in denen du dich revanchieren kannst, sind ja wohl nicht zu viel verlangt.«

Na ja, eigentlich war es die Aufgabe von Eltern, ihr Kind zu ernähren, aber wie sollte man gegen diese Art von Logik ankommen?

»Also, welches Essen?«

Sie gab einen angewiderten Laut von sich und wandte sich ab. »Egal, schmeckt sowieso scheiße.«

Wieder stiegen Tränen in mir auf, aber mein Ärger drängte sie zurück. Ich packte schnell die restlichen Sachen aus und bereitete Mum eine warme Mahlzeit zu. Dann übermannte mich die Neugierde, und ich googelte Brodans Namen, um vielleicht eine Erklärung für seine Rückkehr in den Ort zu finden.

Und ich wurde fündig.

In verschiedenen Artikeln hieß es, dass Brodan sich aus mehreren Filmprojekten zurückgezogen habe, um sich auf dem berühmten Ardnoch Estate seines Bruders Lachlan von seinem Erschöpfungszustand zu erholen.

Brodan war zu Hause.

Auf unbestimmte Zeit.

Shit.

Und Brodan musste sich von einem Zusammenbruch erholen.

Hinter der Panik blitzte ein Funke Sorge auf, den ich aber sofort wieder erstickte. Den Mann scherte es nicht, dass ich überhaupt existierte. Warum sollte ich mir Gedanken um ihn machen?

Ich verdrängte das Thema, brachte Mum ihre Mahlzeit und bezog das Bett im Wohnzimmer frisch, das wir ihr dort aufgestellt hatten, um ihr den Weg die Treppe hinauf zu ersparen.

»Hast du in letzter Zeit etwas von Dad gehört?«, rutschte es mir heraus, bevor ich mir die Frage verkneifen konnte. Ich hatte sie in den letzten Monaten mehrmals gefragt, aber sie sagte immer Nein. So auch jetzt, begleitet von einem ärgerlichen Schnauben, aber diesmal drängte ich weiter: »Weißt du, wie man ihn erreichen kann?«

»Nein!«, schnauzte sie. »Und jetzt lass mich in Ruhe essen.«

Einen Versuch war es wert gewesen. Ich hatte das Internet nach ihm abgesucht, aber nichts gefunden. Ich hätte einen Privatdetektiv engagieren können, aber dafür fehlte mir das Geld. Irgendetwas störte mich an der Art, wie Mum immer den Blickkontakt mied, wenn ich nach ihm fragte. Mein Gefühl sagte mir, dass sie etwas wusste. Ich würde es einfach später noch einmal versuchen.

Als ich sie verließ, klang mir ihre Kritik über das Essen noch in den Ohren.

Ich hatte ihr Bratkartoffeln mit Salat gemacht, etwas, das schnell ging, damit ich rasch von dort wegkam.

Meine Mum war die letzte Person, die ich nach der schrecklichen Begegnung mit Brodan in meiner Nähe haben wollte.

Auf der Fahrt zum Wohnwagenpark oberhalb der Dünen von Ardnoch Beach ließ ich mich einfach von dem ganzen Elend umhüllen. Nur ein paar Sekunden.

Als ich dann den Wohnwagen betrat und mich ein Schauer aufgrund der kühlen abendlichen Herbstluft erfasste, ergab ich mich dem Jammer noch ein wenig länger. Wenn der Winter kam, wäre es hier eisig kalt.

Unbehagen erfasste mich.

Mums Boshaftigkeit hallte in meinem Kopf wider.

Dann dachte ich an Brodan.

Er war zu Hause.

Warum zum Teufel war ich nur zurückgekommen?

2. KAPITEL

Monroe

Vergangenheit

Das Einzugsgebiet der Ardnoch Academy ging weit über Ardnoch hinaus. Im Vergleich zu den meisten anderen Secondary Schools – vergleichbar mit der Highschool in den USA – in Schottland war sie dennoch winzig. Neben den klassischen Unterrichtsfächern konnte man hier Fächer belegen, die die Schüler auf bestimmte Berufe vorbereiteten, beispielsweise Bauwesen, Sozialpädagogik, Lehramt oder Agrarwissenschaften.

Dass die Schule so klein war, machte mir nichts aus. Ich mochte sie eigentlich. Im Gegensatz zu Brodan und Arran machte mir die Schule Spaß. Ich konnte mich auf Kurse konzentrieren, die mich auf den Lehrerberuf vorbereiteten. Aber ich mochte nicht nur das Lernen, sondern ich mochte es auch, von zu Hause weg zu sein.

In der Academy war ich in Sicherheit.

Letzten Monat, am 3. Januar, war Brodan vierzehn geworden, bei mir dauerte es auch nur noch ein paar Tage. Nach dem Sommer wären wir dann in der S4 – nur noch zwei Klassen vom Abschluss entfernt. Der Gedanke fühlte sich gut an. Ich konnte es nicht ausstehen, zu den Schulbabys gezählt zu werden. Aufgrund meiner geringen Größe wurde ich von vielen Erwachsenen immer noch wie ein Kind behandelt, dabei hatte ich vor langer Zeit aufgehört, Kind zu sein.

Vor allem wollte ich nicht, dass Brodan mich als Kind ansah, zumal er nur ein paar Wochen älter war als ich.

Auf dem Weg durch den Flur zu einem der Ausgänge grübelte ich tagträumend darüber nach, ob ich wohl jemals den Mut aufbringen würde, meinem besten Freund zu sagen, dass ich total in ihn verknallt war. Es hatte zum Schulschluss geklingelt, und um mich her stürmten die meisten Schüler in Richtung der Türen, als wären sie auf der Flucht vor dem Teufel.

»Hoppla! Oh, tut mir … gar nicht leid!«, stieß Harry Grant hervor, wobei er mich voll von der Seite anrempelte, sodass meine Bücher und Hefte herumflogen. Mein Oberarm schmerzte, wo ich den Stoß abbekommen hatte, und ich warf ihm einen bösen Blick zu, bevor ich mich hinhockte, um meine Sachen einzusammeln.

Harry grinste mich hämisch an und wandte sich ab. Irgendetwas ließ ihn kurz erstarren, bevor er wie der Blitz durch die Seitentür davonhuschte.

Ein Stück weiter stand Brodan und starrte ihm mit düsterer Miene nach.

Dann war mein bester Freund vor mir auf den Knien und half mir, meine Sachen aufzuheben.

»Danke«, murmelte ich und nahm sie ihm ab.

»Alles okay?«, fragte Brodan, fasste mich am Ellenbogen und half mir auf.

Ich sah auf seine Hand, mit der er mich berührte, und versuchte, nicht zu erröten. Es war Brodan. Wir waren beste Freunde, seit wir fünf Jahre alt gewesen waren. Nur weil ich plötzlich Schmetterlinge im Bauch bekam, wenn er mich anlächelte, musste ich mich in seiner Nähe ja nicht komplett wie eine Idiotin benehmen. »Klar. Alles bestens.«

Wenn man von jemandem sagen konnte, dass er atemberaubende Augen hatte, war das Brodan. Seine Augen waren eisblau, und er sah damit direkt in einen hinein. Seine kleine Schwester Arro hatte dieselbe Augenfarbe, diesen auffallend zarten Blauton, aber sie blickten nicht bis auf den Grund meiner Seele wie Brodans. Allerdings war Arro erst zehn.

Brodan war vierzehn und bereits einen Meter dreiundachtzig groß. Alle, sogar die Lehrer, hielten ihn ständig für älter.

Zum Glück hatte ich mich im Lauf der Jahre an seinen Blick gewöhnt. Irgendwie. »Alles okay«, legte ich nach.

Mein bester Freund schaute über seine Schulter dorthin, wo Harry verschwunden war. Dann nahm er mir den Rucksack ab, obwohl er bereits seinen eigenen trug. Als er meine Sachen zum ersten Mal für mich tragen wollte, hatte ich versucht, ihn davon abzuhalten, aber Brodan hatte nichts darum gegeben. Ehrlich gesagt waren in dem Rucksack so viele Bücher, dass es eine enorme Erleichterung war, wenn mein Freund ihn trug.

Schweigend gingen wir hinaus, aber dann stieß Brodan rau hervor: »Harry steht auf dich, deshalb benimmt er sich wie ein Arsch dir gegenüber.«

Diesmal konnte ich nicht verhindern, dass meine Wangen rot anliefen.

Brodan sah mir mit leicht zusammengekniffenen Augen ins Gesicht. »Aber das wusstest du.«

Das war das Problem, wenn man mit jemandem so lange befreundet war wie ich mit Brodan. Wir konnten uns gegenseitig wie ein offenes Buch lesen. Ich versuchte, es locker zu überspielen, und zuckte mit den Schultern. »Zu Beginn des Schuljahres hat er mich gefragt, ob ich mit ihm ausgehen möchte.« Und seit ich ihm einen Korb gegeben hatte, war er fies zu mir.

»Warum hast du mir das nicht erzählt?«, schmollte er. »Warum hat mir das keiner erzählt?«

Wahrscheinlich, weil jeder weiß, dass du wie ein überfürsorglicher großer Bruder reagieren würdest. Herrje. Ich zuckte wieder mit den Schultern. »Weil ich nicht auf ihn stehe und es keine Rolle spielte.«

Sein Stirnrunzeln blieb, während wir zum Schultor gingen, wo am Fahrradständer Arran auf uns wartete.

Wie vom Teufel geritten, platzte ich – mit einer Lockerheit, die meine Eifersucht Lügen strafte – heraus: »Und ich dachte, du würdest jetzt eigentlich mit Michelle Kingsley knutschen.« Brodan hatte sich in den letzten Wochen bei jeder Gelegenheit weggeschlichen, um Michelle zu treffen.

Sie war in der Klasse über uns, und den Gerüchten nach ließ sie Brodan weit mehr tun, als nur mit ihr zu knutschen.

Der Gedanke machte mich fertig.

Brodan stupste mich sanft an. »Wann habe ich dich je allein nach Hause gehen lassen?«

Noch nie. Er begleitete mich immer nach Hause, außer in den seltenen Fällen, wenn er mal krank war und nicht in die Schule konnte.

Arran kam in Sicht. Er stand mit einigen Kumpels am Fahrradständer. Er war im zweiten Jahr und hatte gerade einen Wachstumsschub. Er war echt süß. Alle Adairs waren beneidenswert gut aussehend, aber auch behaftet mit Herzschmerz und einem bröckelnden alten Schloss, das sie eines Tages in Armut zu stürzen drohte. Nicht dass ich jemals tatenlos zusehen würde, wie Brodan und seiner Familie etwas zustieß, wenn es in meiner Macht stand, zu helfen.

»Ich bin froh, dass du Harry einen Korb gegeben hast«, gestand Brodan plötzlich.

Mein Herz schlug einen Purzelbaum. »Warum?«

»Weil er ein kleiner Wichser ist. Du bist viel zu gut für ihn.« Er blickte zu mir herunter. »Du bist für alle hier zu gut.«

Mein Puls raste, und ich konnte ihn nur anstarren und mich fragen, ob er sich selbst zu »allen« dazuzählte.

»Bro! Roe!«

Unser intensiver Blickkontakt wurde unterbrochen, als Brodan sich auf den Ruf hin umwandte.

Brodans Freund Fergus, der wie ein Erstklässler aussah, obwohl er in unserem Jahrgang war, kam zu uns gerannt. Sein riesiger Rucksack wackelte, dass es fast komisch aussah. Der arme Fergus wurde schlimm gemobbt, weil seine Familie nicht viel Geld hatte und er noch dazu so klein war. Die Adairs hatten zwar eigentlich auch nicht viel Geld, aber niemand wagte es, sich mit ihnen anzulegen, vor allem, weil die drei Ältesten – Lachlan, Thane und Brodan – so gebaut waren, als stammten sie direkt von Wikingern ab. Außerdem gehörte ihre Familie zu einem in Sutherland angesehenen Landadelsgeschlecht. Sie lebten in einem verdammten Schloss auf einem der größten Anwesen des Landes. Es kümmerte niemanden, dass sie im Grunde genommen knapp bei Kasse waren.

Fergus hatte nicht so viel Glück, aber Brodan versuchte, ihn, so gut es ging, zu beschützen. So war Brodan nun mal, und wahrscheinlich war das einer der Gründe, warum ich begonnen hatte, tiefe Gefühle für meinen besten Freund zu entwickeln.

Manchmal wünschte ich mir, wir könnten wieder bloß Kinder sein. Damals war das Leben viel unkomplizierter gewesen.

Auch die Gefühle.

»Lass Arran nicht hören, dass du uns so nennst«, brummte Brodan gutmütig, als Fergus uns eingeholt hatte.

Fergus grinste mich an, und ich lächelte. Ich hatte nichts gegen die Spitznamen Roe und Bro, die Arran uns gegeben hatte. Es gab mir das Gefühl, dass unsere Verbindung so stark war, dass alle anderen es auch sehen konnten.

Arran verabschiedete sich von seinen Freunden, und er und Brodan machten ihre Fahrräder vom Fahrradständer los. Ardnoch Castle war gut zehn bis fünfzehn Autominuten vom Dorf entfernt, sodass die Jungs meist mit dem Fahrrad fahren mussten. Letzten Monat hatte es allerdings geschneit, weshalb ihr Dad Stuart alle Adair-Kinder zur Schule gebracht hatte. Bald würde Lachlan sie fahren können. Wenn er dann seinen Abschluss machte, fiel dieser Job Thane zu.

Die Jungs plauderten über ein Fußballspiel, das sie zum Wochenende planten, und ich ging still an Brodans Seite. Er achtete immer darauf, nicht seine üblichen schnellen, großen Schritte zu machen, damit ich mithalten konnte.

Wir verabschiedeten uns zuerst von Fergus, und Arran schwang sich aufs Fahrrad und fuhr langsam vor uns her.

Dann sah er seinen Bruder über die Schulter hinweg an. »Ich warte an der Landstraße auf dich, okay?«

Brodan runzelte die Stirn. »Fahr nicht zu weit voraus.«

»Du kannst ruhig mit ihm fahren«, sagte ich.

Er schüttelte den Kopf, und ich verdrehte die Augen, obwohl ich es toll fand, dass er mich zu Fuß bis nach Hause begleiten wollte.

»Wie läuft es denn bei euch?«, fragte Brodan, als wir uns der schmalen Straße mit Reihenhäusern näherten, in der ich wohnte.

Ich versuchte, mich bei der Frage nicht zu verkrampfen. Seit mein Dad nicht mehr bei uns wohnte, war irgendwie trotzdem alles genauso schrecklich. Mum schlug mich zwar nicht, aber ihre grausamen Worte trafen mich hart genug, um Spuren zu hinterlassen. Nur wollte ich nicht, dass sich mein bester Freund Sorgen um mich machte. »Ganz gut.«

Er sah nicht überzeugt aus. »Sunset.«

»Es ist, wie es ist.« Ich lächelte ihn strahlend an. Er hatte mir den Spitznamen Sunset – Sonnenuntergang – gegeben, als wir zwölf waren, und als ich ihn nach dem Grund fragte, hatte er sein jungenhaftes Grinsen aufgesetzt und geantwortet: »Wenn ich den Sonnenuntergang sehe, denke ich immer an deine Haare.« Ich glaube nicht, dass ihm klar war, wie romantisch das in diesem Moment für mich klang.

Als ich lächelte, glitt Brodans Blick zu meinem Mund, und er runzelte noch mehr die Stirn.

Ich merkte, dass er das Thema vertiefen wollte, darum wechselte ich es vorsorglich. »Wie wär’s, wenn wir diesen Samstag mit dem Bus nach Inverness fahren? Ich habe bei Ness Island Vinyl angerufen, und die haben das White Stripes-Album aus den USA bekommen.« Wir hatten das Album nirgendwo bekommen können, weil es im Vereinigten Königreich noch nicht erschienen war. »Sie wollen es mir zurücklegen, wenn ich verspreche, es diesen Samstag abzuholen. Ich habe dafür gespart.« Meine Großmutter väterlicherseits schickte mir jedes Jahr Geld zu Weihnachten und zum Geburtstag, und ich hatte fast jeden Penny davon gespart. Jetzt, da Dad nicht mehr da war, waren wir noch knapper bei Kasse als vorher. Meine Mum war Krankenschwester im Krankenhaus in Golspie, etwa fünfundzwanzig Minuten nördlich von hier. Sie hob sich sozusagen alle guten Umgangsformen, derer sie fähig war, für ihre Patienten auf.

Als Brodan schwieg, schaute ich zu ihm auf. Er schien mit sich zu kämpfen.

»Muss aber nicht sein.« Ich zuckte mit den Schultern, als wäre es mir egal, wenn er den Samstag nicht mit mir verbringen wollte.

Natürlich war es mir alles andere als egal.

Er senkte den Blick. »Nein, ja, klar. Samstag.«

»Wir können auch ein anderes Mal fahren, wenn du was vorhast.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich kann das absagen.«

Eifersucht durchzuckte mich, als wir gerade vor meiner Haustür ankamen. Ich drehte mich zu ihm um und zwang mich, seinen Blick zu erwidern, während ich durch den Schmerz hindurch grinste. »Wenn du etwas mit Michelle geplant hast, können wir auch ein anderes Mal fahren.«

Brodan musterte mein Gesicht einige Sekunden lang, dann hob sich der eine Mundwinkel ein wenig nach oben, und er neigte den Kopf zu mir, sodass unsere Nasen für meinen Geschmack zu nah beieinander waren. »Roe, sie ist nicht meine Freundin. Ich kann das absagen.« Er richtete sich auf, zupfte aber an einer Haarsträhne, die sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst hatte. »Ich möchte lieber mit dir nach Inverness fahren. Ich verbringe immer lieber Zeit mit dir.«

Er rieb meine Haare zwischen seinen Fingern, ließ sie dann los und fasste den anderen Griff des Fahrradlenkers. Er schenkte mir ein jungenhaftes Lächeln. »Inverness, Samstag?«

Ich nickte, und mein Herz klopfte so wild, dass man mit Sicherheit den Pulsschlag an meinem Hals sehen konnte. »Samstag.«

Er reichte mir meinen Rucksack, und ich ließ ihn beinahe fallen, so schwer war er.

Brodan gluckste leise und murmelte dann abrupt: »Ach ja, bevor ich es vergesse.« Er zog seinen Rucksack ab und öffnete ihn, kramte zwischen den Büchern und zog einen schwarzen, ziegelsteinförmigen Klotz heraus.

Nein, falsch.

Es war ein Mobiltelefon.

»Was ist das?«

»Dad kennt jemanden bei Nokia.« Er hielt mir das Telefon hin. »Ich habe ihn gebeten, dir eins zu besorgen. Wir bezahlen die Gesprächsminuten und die SMS, also brauchst du dir darüber keine Gedanken zu machen.«

Letztes Jahr hatte es angefangen, dass auf einmal fast alle ein Handy in der Schule dabeihatten. Da ich meine Mum auf keinen Fall um eines bitten konnte, fühlte ich mich als Außenseiterin. In den Pausen simsten alle miteinander, obwohl sie sich doch verdammt nah beieinander aufhielten.

»Das kann ich nicht annehmen.« Ich schob seine Hand weg.

Brodan runzelte die Stirn. »Nimm es, für mich. Ich will nur, dass du, wenn …« Er ließ den Blick zur Haustür wandern. »Wenn du mich mal brauchst, kannst du einfach anrufen, und ich hole dich ab.«

»Brodan, es geht mir gut.«

Seine Miene verfinsterte sich, und in seinen Augen blitzte etwas auf, das wie Panik aussah. »Für mich, Roe. Nimm es für mich, damit ich ein besseres Gefühl habe. Ich kann nicht … Ich will nie wieder so was durchmachen, was wir im ersten Jahr erlebt haben.«

Es war schwer für mich gewesen, die Prügel zu ertragen, die mein Dad mir im ersten Jahr verpasst hatte, Prügel, die unser Leben verändert hatten. Denn daran, dass Broden noch beschützender und enorm wachsam geworden war, erkannte ich, dass es ihn traumatisiert hatte, mich so vorzufinden. Er war zu meinem ultimativen Beschützer gegenüber dem Klatsch und Tratsch in den Wochen darauf geworden. Er hatte sich mit Leuten angelegt, die abfällige Bemerkungen machten, und versucht, mich vor mitleidigen Blicken zu schützen.

Weil er sich um mich sorgte.

Ich habe Brodan immer geliebt. Seit wir Kinder waren.

Aber in dem Moment, als er mir das Telefon hinhielt, verliebte ich mich richtig in ihn.

Und als ich das Handy nahm, das er mir um seines Seelenfriedens willen geben wollte, wünschte ich mir, wir könnten wieder Kinder sein. Denn ich war mir sicher, dass Brodan, wenn er sich ebenfalls in mich verliebte, nicht jeden Tag hinter dem Schulgebäude mit Michelle Kingsley knutschen würde.

3. KAPITEL

Brodan

Gegenwart

Was für eine spektakuläre Aussicht man von Lachlans Privat-suite im renovierten Schloss unserer Familie aus hatte! Weil Robyn schwanger war, hatte er mir sein Refugium im zweiten Stock des Schlosses überlassen, bis ich mir darüber klar wäre, wie es für mich weitergehen sollte. Von den Fenstern blickte man über das Anwesen zum Ardnoch Firth, der kleinen Bucht, die sich zur Nordsee öffnet, und an einem dermaßen perfekten Septemberabend sank die Sonne in Rot-, Orange- und Goldtönen über dem Wasser. Kein bisschen Rosa oder Violett milderte den feurigen Schimmer des Himmels ab.

So konnte ich gar nicht anders, als das rote Haar von Monroe Sinclair vor mir zu sehen.

Die Frau hatte sich in fast achtzehn Jahren so gut wie gar nicht verändert.

Es war wirklich so, als hätte ich eine Erscheinung vor mir gehabt.

Und dementsprechend hatte ich sie behandelt, als würde sie gar nicht existieren.

Hatte zugesehen, wie sie sich mit den Lebensmitteln abquälte, und meinen Bodyguard geschickt, ihr zu helfen.

Sehr erwachsen.

»Arschloch«, murmelte ich vor mich hin.

Ich bekam ihre großen grauen Augen nicht aus dem Kopf.

Fast achtzehn Jahre.

Wir waren nun schon länger getrennt, als wir befreundet gewesen waren. Ich rieb mir die Brust, dort, wo es mich schmerzte.

Auf ein Klopfen an der Tür hin wandte ich den Kopf, und Walker Ironside kam ins Zimmer.

Er gehörte seit vier Jahren zu meinem privaten Sicherheitsteam, und es war bei uns ähnlich wie bei meinem Bruder Lachlan und seinem ehemaligen Leibwächter Mac. Zwei Schotten, die sich in einem fremden Land begegneten, neigten dazu, sich zu verbrüdern. Walker war mehr als mein Leibwächter – er war ein guter Freund.

»Willst du immer noch zum Gloaming?«, fragte Walk, der im Türbereich stehen geblieben war.

Als ich entschieden hatte, dass ich mich genug abgestrampelt hatte und es ausnahmsweise meinem selbstherrlichen großen Bruder überlassen würde, meine Karriere zu managen, hatten die meisten Leute aus meinem Sicherheitsteam andere Jobs angenommen. Aber Walker nicht. Lachlan hatte ihm einen Job im Sicherheitsteam auf Ardnoch angeboten. Walker hatte den Job angenommen, jedoch klargestellt, dass er in erster Linie immer noch zu meinem Schutz da war.

»Aye.« Ich nickte und ließ den Sonnenuntergang hinter mir, der mich allzu sehr an einen Geist erinnerte. »Ich wollte gerade los.« Ich hatte sowohl meinem ältesten als auch dem jüngsten Bruder versprochen, mich mit ihnen in ihrem frisch renovierten (aber noch nicht ganz fertiggestellten) Pub, Restaurant und Hotel auf einen Drink zu treffen, das in Ardnoch schon immer eine Institution gewesen war.

»Ich begleite dich.«

Der Ton war nicht der eines Freundes, sondern der des Leibwächters. »Walk, ich habe dir gesagt, dass ich hier sicherer bin als irgendwo sonst.«

»Du bist gerade erst hier angekommen und überall in den Medien, also gibt es immer noch ein Risiko, und solange ich nicht entschieden habe, dass es im Dorf sicher ist, gehst du nirgendwo allein hin.«

Das war der längste Satz, den Walker seit Langem von sich gegeben hatte. Meine Lippen zuckten unvermittelt, und ich klopfte ihm auf die Schulter. »Na, dann lass uns gehen.«

Als Walker mich vom Anwesen in Richtung Dorf chauffierte, überraschte er mich noch einmal, indem er mich unvermittelt ansprach. »Willst du über das reden, was dich in eine so seltsame Stimmung versetzt hat?«, fragte er.

Ich warf ihm einen Blick zu. Walker wusste mehr über mich als irgendjemand sonst, meine Familie eingeschlossen. Er wusste sogar, dass meine beste Freundin mit meinem Bruder geschlafen hatte und dann fortgegangen war, ohne je wieder von sich hören zu lassen.

»Die Rothaarige heute.«

»Aye?«

»Das war Monroe.«

»Ich weiß.« Er sah mich an, starrte dann wieder auf die Straße. »Sie hat mir ihren Namen gesagt.«

Mit finsterer Miene erwiderte ich: »Du hast nichts gesagt.«

»Ich habe darauf gewartet, dass du etwas sagst. Jedenfalls war mir klar, dass sie jemand Spezielles sein musste. Ich habe noch nie erlebt, dass Brodan Adair sich die Gelegenheit entgehen lässt, einer schönen Frau zu Hilfe zu eilen.«

Ich zog meine Brauen noch mehr zusammen.

Er schnaubte. »Keine Sorge. Selbst wenn sie mein Typ wäre, was sie nicht ist, würde ich die Finger von ihr lassen.«

»Es würde mir nichts ausmachen«, log ich.

Walker gab mit einem leisen Laut seinen Zweifel an meiner Aussage kund, aber ich beließ es dabei.

Ehrlich gesagt war ich immer noch verdammt zu müde, um mich meinen Gefühlen widmen zu können. Der Zusammenbruch bei der Doppelhochzeit meiner Geschwister Thane und Arrochar war ein echter Weckruf gewesen. Ich hatte mich immer nur weiter gepusht und gepusht.

Und war gerannt wie im Hamsterrad.

Ich war zu müde, um meinen berühmten Charme und Humor auch nur vorzutäuschen.

Einer der Gründe, warum ich Lachlan erlaubt hatte, Filmprojekte abzusagen, für die ich bereits unterschrieben hatte, war der, dass ich keinen Treibstoff mehr im Tank hatte. Keine Leidenschaft. Der Gedanke, in die Rolle einer anderen Person zu schlüpfen, erschöpfte mich.

Ich vermisste meine Familie.

Ich vermisste die Highlands.

Ich vermisste die Person, die ich einmal gewesen war, und ich war mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt noch wusste, wer das war. »Ich bin siebenunddreißig Jahre alt, und ich habe keine Ahnung, was ich machen soll«, gestand ich.

»Du schaffst das schon, Bro«, sagte Walker leise. »Im Leben geht es darum, Entscheidungen zu treffen. Man muss sich nur Zeit nehmen, um über alles nachzudenken, bevor man den nächsten Schritt geht.«

Ich wandte mich Walker zu. Über die Jahre hatte ich ihn ein wenig geknackt. Mit mir redete er mehr als mit anderen, aber er machte den Mund gewöhnlich nur auf, wenn er etwas von Bedeutung zu sagen hatte. Und alles, was er sagte, hatte Hand und Fuß. Mir kam etwas in den Sinn. »Ich habe eine Idee.«

»Okay.«

»Von jetzt an triffst du alle meine Entscheidungen. Du bestimmst über mich.« Ich grinste und fühlte mich bereits von der Last befreit. »Aye, ich zahle dir sogar einen Bonus dafür.«

Walker warf mir einen ungläubigen Blick zu. »Du willst, dass ich dein Chef bin?«

»Wer wäre besser geeignet?« Ich setzte mich auf, und meine Stimmung stieg, je mehr ich mich auf die Idee einließ. »Walker Ironside ist ein weiser Mann.«

»Du nennst mich beim Nachnamen?«

»Bei einem Namen wie Ironside müsste man dich eigentlich grundsätzlich beim Nachnamen nennen.«

Er schnaubte genervt, denn er war sauer, weil ich ihn zumindest zu einem winzigen Anteil auch wegen seines verdammt coolen Nachnamens eingestellt hatte.

»Komm schon, Walk! Ich weiß nicht mehr weiter. Ich bin am Arsch. Keine Ahnung, was ich tun soll. Aber du bist ein Mann mit gesundem Menschenverstand und einer schier übersinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit.«

»Bro …«

»Ich habe in den letzten Jahren einige richtig blöde Entscheidungen getroffen. Ich weiß, du bist mein Kumpel, aber selbst du kannst das nicht leugnen.«

»Angesichts der Tatsache, dass du dich verausgabt hast, bis du im Krankenhaus gelandet bist, kann ich dem nur zustimmen.«

»Also – du entscheidest, was ich mit meinem Tag anfangen soll. Für die nächsten … drei Monate. Drei Monate, in denen du mich herumkommandierst. Das wird eine schöne Abwechslung für dich, da bin ich mir sicher.« Das war sarkastisch gemeint. Er kommandierte verdammt gern herum.

Walker sah aus, als würde er darüber nachdenken. »Von jetzt an entscheide ich alles für dich?«

»Aye.«

»Drei Monate lang?«

»Drei Monate. Mein Leben liegt in deiner Hand.« Wenn ich so darüber nachdachte, dann lag mein Leben sowieso täglich in seinen Händen. »Noch mehr als sonst«, fügte ich hinzu.

»Und du musst alles tun, was ich dir sage?«

»Alles.«

»Was passiert, wenn du nicht tust, was ich dir sage?«

Hmm. »Ich wasche einen Monat lang deine Wäsche.«

Er schnaubte. »Erbärmlich.«

»Ich, äh … kaufe dir eine tolle Uhr.«

»Was zum Teufel scheren mich tolle Uhren?«

Ich runzelte die Stirn. »Okay, was willst du dann?«

Walker parkte vor dem Gloaming ein und stellte den Motor ab. Er drehte sich zu mir, einen todernsten Blick in den Augen. »Sichergehen, dass du es ernst nimmst … Ich will deine Black Shadow.«

»Fuck!«, stieß ich hervor. Ich besaß eine der äußerst seltenen, äußerst wertvollen ikonischen 1950er Vincent Black Shadows, ein legendäres Motorrad, von dem es nur noch sehr wenige gab. Heutzutage war sie ein Sammlerstück, und sie hatte mich ein Vermögen – genauer: einen sechsstelligen Betrag – gekostet.

Mein Freund zuckte mit den Schultern. »Wenn ich das wirklich tun soll, gib mir einen Grund, zu glauben, dass du meine Entscheidungen ernst nehmen wirst.«

»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein penetranter Arsch bist?«

Er fixierte mich mit einem kühlen Blick, der entweder bedeutete, dass er gelangweilt war oder aber kurz davor, mich zu erwürgen.

Na bitte!

Penetrant.

»Gut«, lenkte ich ein. »Wenn ich deine Entscheidungen missachte, kriegst du die Black Shadow.«

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