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Nora Roberts Land

hier erhältlich:

Nora Roberts hat ihre Zustimmung für die Verwendung ihres Namens im Buchtitel und in diesen mitreißenden, herzerwärmenden Roman gegeben.

"Nora Roberts hat unsere Ehe zerstört!" Die Journalistin Meredith Hale ist schockiert von dem Vorwurf ihres Exmannes, ihr Faible für Bücher mit Happy End hätten ihre Vorstellung von der Liebe verdorben. Um zu beweisen, dass es die perfekte Nora-Roberts-Beziehung sehr wohl gibt, beschließt sie eine Selbststudie über die Suche nach ihrem Traummann durchzuführen. Von allen Kandidaten lässt ausgerechnet Tanner McBride ihr Herz höherschlagen - dabei wollte sie nie wieder etwas mit einem Kollegen anfangen. Doch langsam schmilzt ihr Widerstand dahin und sie beginnt schon, in Tanner ihren Nora-Roberts-Prinzen zu sehen. Da entdeckt sie, dass er nicht mit offenen Karten spielt …


  • Erscheinungstag: 01.10.2015
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956494888
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Ava Miles

Nora Roberts Land

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Anke Brockmeyer

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Nora Roberts Land

Copyright © 2013 by Ava Miles

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München

Autorenfoto: © Gregory Stewart

ISBN eBook 978-3-95649-488-8

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

DANKSAGUNG

Unzählige Menschen haben mir geholfen, eine Leiter hinauf zu meinen Träumen zu bauen:

Meine frühere Agentin Jennifer Schober, die ihren Job kürzlich aus persönlichen Gründen aufgegeben hat. Sie hat dieses Buch ebenso wie ich sofort geliebt und mir geholfen, das Beste herauszuholen. Ich vermisse dich.

Mary Blayney und ihre Bereitschaft, sich mit Engelsflügeln ausstatten zu lassen, indem sie mir ihre großzügige Hilfe angeboten hat, um Nora Roberts’ Segen für diesen Roman zu erhalten. Sie ist eine zuverlässige und liebe Freundin.

Laura Reeth, die phänomenale Pressesprecherin von Nora Roberts, die mir bei dieser und vielen anderen Anfragen geholfen hat. Es ist mir eine große Freude, mit ihr befreundet zu sein.

Mein Dank gilt auch den unglaublichen Mitgliedern des Teams Ava einschließlich meines Marketingteams Joan Schulhafer, Debby Tobias und Alissa Di Giacomo von Joan Schulhafer Publishing and Media Consulting; Elizabeth Bemis und Sienna Condy von Bemis Promotions für meine Website; meiner Lektorin Angela Polidoro; der Killion Group für die Covergestaltung; meiner Redakteurin Helen Hester-Ossa; Gregory Stewart für meine Fotos, die wundervolle Karte von Dare Valley und für Millionen andere Dinge; Dr. Tabitha King und Janet Geary für die Unterstützung bei den Recherchen – und nicht zuletzt meinem erstaunlichen Indie-Guru Meredith Bond.

Diane Gaston, der ersten Schriftstellerin, die ich auf meiner Reise kennengelernt habe und die mir geholfen hat, ein paar Sprossen auf meiner Leiter wieder anzunageln. Bereitwillig teilt sie ihre Werkzeuge und ihre Fähigkeiten, wann immer ich Hilfe brauche, insbesondere bei diesem Buch.

Evie Owens, die mir eine neue Richtung für diese Geschichte aufgezeigt hat und mich immer zum Lachen bringt.

Meinen Inn-Boonsboro-Mädels, die unsere jährliche Tour zu Noras Bed-and-Breakfast zu einem Höhepunkt meines Jahres gemacht haben.

Den Lehrern, die mich zum Schreiben ermutigt haben. Angefangen von Jackie Mason in der sechsten Klasse bis zu den College-Professoren Dave Jauss und Michael Kleine – und vielen anderen, die namentlich nicht genannt sind, einschließlich einer ganzen Reihe von Mitgliedern der Romance Writers of America und der Washington Romance Writers, die ihre Erfahrungen so großzügig mit mir geteilt haben.

Dan Baumstark, Kerrith McKechnie, Christine Spence, Julia Turner, Abhaya Schlesinger, Zahra Yousefi, Karen Dobson, Francis Ramirez und anderen für ihre vielfältige Unterstützung.

Meinem Cousin Terry Miles, meiner Quelle über die Tageszeitung unserer Familie, der mir Geschichten über deren Gründer, unseren Ururgroßvater erzählt hat, der nachweislich die erste Zeitung beim Pokern gewonnen hat, als die Prärie noch der Wilde Westen war.

Jai Singh und Thuy-Doan Le, die mir Raum für mein wahres Ich geschaffen haben und im Göttlichen oder Weltlichen immer etwas zum Lachen finden.

Meiner Familie, die mich immer unterstützt und die mit den Personen in meinem Buch gelitten und über ihre Macken geschmunzelt hat. Damit habt ihr mich darin bestärkt, dass ich die Herzen der Menschen berühre, indem ich sie mit meiner Geschichte unterhalte.

T. F. für Gesagtes und Ungesagtes. Ich liebe dich.

Und nicht zuletzt Ihnen allen, die Sie diesen Roman lesen. Ich danke Ihnen. Und ich wünsche Ihnen Ihr eigenes Nora-Roberts-Land – auf welche Weise auch immer es Ihre Wünsche erfüllt.

PROLOG

Märchen sind wie Schuhe. Es gibt sie in allen Größen und Formen. Frösche verwandeln sich in Prinzen. Prinzen helfen Damen in gläserne Schuhe.

Und schon sind wir wieder bei den Schuhen. Sie haben etwas Tröstliches, nicht wahr? Noch nie haben sie mich im Stich gelassen, sich herumgetrieben oder meinen Glauben an die wahre Liebe zerstört.

Mein Mann hat sich nie in einen attraktiven Prinzen verwandelt. Er ist der Familie der niederen Wirbeltiere stets treu geblieben. Vielleicht ist er ein Chamäleon? Und ich bin mir absolut sicher, dass er keinen Finger rühren würde, falls ich mal einen Schuh verlöre – selbst wenn er zu einem unbezahlbaren Einzelpaar gehörte, etwa einer Sonderanfertigung von Manolo Blahnik. Warum habe ich eigentlich nicht erkannt, dass mein Mann niemals mein Prinz werden würde?

Moderne Märchen gibt es nur noch in Liebesromanen, die aus der Feder von Autorinnen wie Nora Roberts stammen. Über Jahre haben ihre Geschichten mich an jenen verwunschenen Ort geführt, an dem die Liebe alles besiegt. Ich habe daran geglaubt – Treffer und versenkt!

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, mich von dem Glauben an die Liebe und all die damit verbundenen falschen Versprechungen zu verabschieden. Es ist sowieso nur ein schmutziges Geschäft.

Künftig werde ich … mehr Schuhe kaufen. Nein, vergessen Sie’s. Ich kaufe … La-Perla-Dessous.

Ich möchte zur Superheldin werden. Zu Scheidungs-Woman.

Sie hätte genau gewusst, was zu tun ist, nachdem sie die Scheidungspapiere unterschrieben hätte.

Möglicherweise kann mir ein Alter Ego helfen, mein Selbstvertrauen wieder zurückzugewinnen.

Meine vielen Schuhe jedenfalls haben sich bisher noch nicht als besonders hilfreich erwiesen.

Tagebucheintrag der Journalistin Meredith Hale am Tag ihrer Scheidung.

1. KAPITEL

Suchend musterte Meredith Hale die Auslage des Buchladens. Da war er – der neue Roman von Nora Roberts. Auf dem Cover prangte eine wilde überwältigende Küstenlandschaft mit weitem Himmel.

Selbst ihr Superheldinnen-Alter-Ego konnte die Gänsehaut auf ihren Armen und den Knoten in ihrem Magen nicht ignorieren, die sie beim Anblick des Buchs sofort überkamen. Ganz kurz strich Meredith mit der Hand über ihr rotes Spitzenbustier von La Perla, das sie unter ihrem schwarzen Blazer trug. Dann machte sie zögernd einen Schritt zum Schaufenster und atmete einmal tief durch, als sie den bekannten Schriftzug der Autorin sah. Sie stellte sich vor, wie Scheidungs-Woman ihr sagen würde, sie könnte es ruhig wagen näher zu treten. Schließlich war es nur eine Buchhandlung, und es ging nicht darum, sich in einem Kugelhagel schützend vor den Präsidenten zu werfen.

Vor einem Jahr war sie von einem Tag auf den anderen auf Nora-Roberts-Entzug gewesen. Damals hatte ihr Exmann, Rick-the-Dick – was so viel bedeutete wie „der schwanzgesteuerte Rick“ –, das Buch Lockruf der Gefahr an die Wand gefeuert und geschrien, ihre Lieblingsautorin habe ihr eine völlig unrealistische Vorstellung von Liebe vermittelt. „Sie ist der Grund für unsere Eheprobleme“, hatte er wütend hervorgebracht. „Wegen Nora Roberts denkst du, Liebende leben immer glücklich miteinander bis zu ihrem seligen Ende. Dabei weiß jeder Mensch, dass das ein Märchen ist. Werde endlich erwachsen.“ Danach hatte er seine maßgeschneiderten Anzüge in einen Koffer geworfen und die Tür ihres eleganten Apartments in Manhattan hinter sich zugeknallt.

Im ersten Moment hatte Meredith gedacht, er könnte vielleicht recht haben. Doch mit der Zeit hatte sie Nora Roberts’ Bücher immer mehr vermisst. Und es hatte ihr die Scheidung keineswegs erleichtert, keine Romances mehr zu lesen. Und auch die Panikattacken waren dadurch nicht verschwunden.

Verdammt, sie wollte Nora Roberts zurück. Es war an der Zeit, sich ihr Leben wieder zurückzuholen.

Unglücklicherweise löste es schon beinahe eine Panikattacke aus, sich nur das Cover anzuschauen. Ihre Hände wurden eiskalt und feucht. Sie wischte sie an ihrem Kostüm ab und suchte in der Handtasche nach ihrem Handy. Ihre Schwester würde sie ermutigen, den Buchladen zu betreten. Jill schaffte es, jeden Menschen von allem zu überzeugen.

„Hey, Mere“, meldete sich ihre Schwester. Im Hintergrund lief ihre Lieblingsband ABBA, wie immer. Jill sehnte sich danach, ein Leben als Dancing Queen zu führen.

„Hey“, erwiderte sie und zwang sich, ruhiger zu klingen, als sie sich fühlte. „Wie läuft’s im Café?“

„Nachdem ein Molkereivertreter stundenlang versucht hat, mich zu überzeugen, den Namen meines Ladens von Don’t Soy With Me in Don’t Milk Me zu ändern, will ich eigentlich nur noch meinen Kopf gegen die Espressomaschine schlagen. Er war so beschränkt. Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass es ein Wortspiel ist. Aber er hat mich nur mit großen Kuhaugen angestarrt und gar nichts begriffen.“

Langsam beruhigten sich Merediths Nerven. Jill und ihre Geschichten taten ihr immer gut. „Ich glaube, in New York bin ich noch nie einem Milchmann begegnet. Hat er irgendeinen besonderen Arbeitsanzug?“

„Nein, Gott sei Dank nicht. Apropos Milch – hast du mein Geschenk bekommen?“

„Du meinst den Kaffeebecher mit der Aufschrift Du bist mein Euter?“ Meredith trat näher an die Schaufensterscheibe, um zu vermeiden, von einer Gruppe Fußgänger über den Haufen gerannt zu werden.

„Genau. Ich habe dem Milchmann sogar angeboten, diese Tassen auszustellen, dennoch ist er nicht gegangen. Stattdessen hat er mir vorgeschlagen, er könnte mir zeigen, wie man Kühe melkt. Ich hatte das Gefühl, er wollte mich anbaggern.“

Als Meredith versuchte, ein Lachen zu unterdrücken, und dabei einen seltsam dumpfen Ton von sich gab, erntete sie einen missbilligenden Blick von einem vorübereilenden Banker. Seine Schuhe, der Gürtel und die Aktentasche passten perfekt zusammen – die typische Wall-Street-Uniform. „Und ich dachte bisher immer, mein Liebesleben wäre erbärmlich.“

„Welches Liebesleben?“

„Witzig. Gerade jetzt stehe ich vor einem Buchladen. Heute Morgen bin ich mit dem Entschluss aufgewacht, mit dem Lesen anzufangen.“

„Ich wusste gar nicht, dass du Analphabetin bist, Süße.“

„Haha.“ Sie musterte den Ansturm von Leuten, die durch die Eingangstür des Geschäfts an der Ecke 82. Straße und Broadway kamen und gingen.

„Okay, nimm einen tiefen meditativen Atemzug. Im Ernst, Mere, du klingst wie Großtante Helen an Weihnachten, wenn sie ihre Sauerstoffmaske abgenommen und sich einen Schluck von Großvaters Scotch gemopst hat.“

„Gute Idee. Einatmen.“ Bildete sie sich das ein oder konnte sie tatsächlich alles nur noch verschwommen wahrnehmen? „Ich mache jetzt den ersten Schritt.“

„Meine Kleine, ich wünschte, Mom und ich könnten das jetzt sehen.“

Der schräge Humor ihrer Schwester stieß durch den Nebel in ihrem Kopf. Meredith war nicht ganz sicher, ob sie sich überhaupt noch in ihrem Körper befand, doch zumindest bewegte sie sich vorwärts, sobald sie die Füße bewegte. Ihre Hand schaffte es, die Tür zu öffnen. Auf Beinen so unstet wie Wackelpudding betrat sie das Geschäft.

„Bist du schon drin?“

„Ja, gerade“, verkündete sie, während sie sich an ein Bücherregal presste, um andere Kunden vorbeizulassen.

„Herzlich willkommen zurück im Land des Lesens.“

Gab es etwas Wohltuenderes? „Danke. Ich stehe gerade in der Abteilung Krimis und Thriller. Dabei muss ich an Großvater denken. Er war immer überzeugt, es wären konspirative Kräfte an der Universität am Werk. Ganz nebenbei untersuche ich gerade den Drogenhandel auf dem Campus für ihn. Doch vielleicht sollte ich ihm stattdessen lieber ein Buch von John Grisham schenken.“

„Ich weiß! Ständig quetscht er mich über die Partys aus, auf denen ich war. Jedes Mal erzähle ich ihm, die Leute haben zu viel getrunken und sich irgendwann übergeben. Ende der Geschichte.“

„Davon musst du aber erst einmal sein höllisches journalistisches Bauchgefühl überzeugen.“ Nicht dass sie mit dem Finger auf ihn zeigen könnte. Schließlich hatte sie diese Eigenart von ihm geerbt.

„Jeder in der Familie ist dankbar, dass du im Verlag eingesprungen bist nach Dads Herzinfarkt“, erklärte ihre Schwester. „Doch er arbeitet noch immer viel zu viel. Die Zeitung ist sein Baby – genauso wie Großvaters.“

„Das ist mir bewusst, Jill.“ Plötzlich lastete das Schuldgefühl wieder schwer auf ihr, es war beinahe so stark wie die Panik. Natürlich unterstützte sie ihren Vater, aber sie wünschte, sie könnte mehr tun. Manchmal nervte es echt, so weit von ihrer Familie entfernt zu wohnen.

Ihre Schwester räusperte sich. „Ich habe keine Ahnung, wie ich es sagen soll, doch du musst es wissen. Der Zeitpunkt ist ganz sicher schlecht mit deinem einjährigen Scheidungsjubiläum, aber …“ Jill atmete ein bisschen schneller. „Der Arzt ist überhaupt nicht zufrieden mit Dads Genesungsprozess. Er hat ihm nahegelegt, sich eine Auszeit zu nehmen. Mom hat nicht gewagt, dich zu fragen, doch irgendjemand muss Großvater unterstützen. Mir ist klar, dass er uns noch alle in die Tasche steckt, allerdings ist er schon über siebzig. Meinst du, dass du für ein paar Monate nach Hause kommen und ihm helfen könntest? Ich würde es ja selbst tun, aber ich habe leider überhaupt kein journalistisches Gespür. Und außerdem muss ich mich um Don’t Soy With Me kümmern.“

„Nach Hause kommen?“ Meredith stieß gegen einen Bücherstapel, und eine ganze Reihe von Hardcover-Ausgaben von James Patterson rutschte zu Boden. Bei dem Gedanken, heimzukehren, stockte ihr der Atem. „Ich kriege … keine Luft mehr … und ich möchte es wirklich gerne.“ Hektisch schnappte sie nach Sauerstoff.

„Geh zur Leseecke mit der Kaffeebar, und setz dich hin. Halt den Kopf zwischen die Knie“, riet ihre Schwester.

Unsicher schritt sie zu dem nächsten Sessel. Von dort hatte sie einen Blick auf die Liebesroman-Abteilung. Noch immer fühlte sie sich, als ob eine Boa constrictor sie im Würgegriff hielte. In diesem Moment war es ihr egal, was die Leute über sie dachten. Ihr wurde erst rot und dann schwarz vor Augen, und sie ließ den Kopf nach unten baumeln.

Das Handy, das sie noch immer umklammerte, summte und signalisierte ihr einen zweiten Anruf. Doch sie ignorierte es und atmete tief durch. Sowie sie spürte, dass ihre Lebensgeister wieder erwachten, nahm sie noch ein paar tiefe Atemzüge, bis sie meinte, den Sauerstoff von ganz Manhattan inhaliert zu haben. Danach presste sie das Telefon wieder ans Ohr.

„Bist du noch da?“

„Jepp. Geht’s dir besser?“

Die Frage des Jahres. „Ich bin nicht umgekippt, aber ich war nahe dran.“

„Meredith, dein Mann hat dich betrogen und danach dir die Schuld an eurer Misere gegeben – und den Büchern von Nora Roberts. Du bist unendlich verletzt worden. Gönn dir eine Pause. Das rate ich Jemma auch immer.“

Jills beste Freundin war gerade von ihrer Sandkastenliebe verlassen worden. „Im Erteilen von Ratschlägen bist du immer gut“, entgegnete Meredith.

„Reine Übungssache. Jemma ist wirklich am Boden zerstört.“

„Ja, ich habe davon gehört.“ Ihre Augen brannten, und Meredith massierte mit den Fingern ihren Nasenrücken. „Ich halte es keine Nacht länger in meiner Wohnung aus. Mir fehlt Tribeca, das Essen in den Restaurants, die Ausstellungseröffnungen. Rick-the-Dick vermisse ich nicht, doch es fehlt mir, ein Teil dieser aufregenden Welt zu sein.“

„Du hast den Powerpärchen-Blues, Mere. Vielleicht würde dir die Arbeit bei der Zeitung eine neue Perspektive geben. Niemand von der Familie ist bei dir, und deine meisten Freundschaften haben die Scheidung auch nicht überlebt.“

Das stimmte allerdings. Was der Begriff „Schönwetterfreundinnen“ tatsächlich bedeutete, hatte sie in den vergangenen Monaten mehr als deutlich erfahren. „Ich vermisse euch“, gestand sie. Aber nach Hause zurückkehren? Seit sie ihr Studium an der Columbia University begonnen hatte, lebte sie in New York. „Lass mich erst mal einen Kaffee holen.“

„Ich würde dir gern in diesem Moment deine Lieblingsmischung aufbrühen. Danach würde ich dich ganz fest umarmen und dir erzählen, wie Paige Lorton fast erstickt wäre, weil sie Schlagsahne in die Nase gekriegt hat. Der alte Perkins hat sie schließlich mit dem Heimlich-Griff gerettet.“

Meredith lachte. „Oh Jillie, ich liebe dich.“

„Ich dich auch, große Schwester. Und du fehlst mir, Mere.“

Kurz nahm Meredith das Handy runter, ging zur Theke, um sich einen Kaffee zu bestellen – groß, ohne aufgeschäumte Milch –, anschließend ließ sie sich wieder in den Sessel sinken und hielt das Telefon erneut ans Ohr. „Lass mir ein wenig Zeit, darüber nachzudenken, nach Hause zu kommen“, bat sie.

„Karen weiß ganz sicher zu schätzen, wie sehr du dich für ihre Zeitung engagierst. Immerhin bist du jetzt schon seit einem Jahr dort. Und es spricht für den Verlag, dass es das Konkurrenzblatt von Rick-the-Dick ist. Dafür gibt’s Bonuspunkte.“

Wie von Zauberhand tauchte plötzlich der Kaffee vor ihr auf. Sie schaute hoch, und vor ihr stand eine kleine Barista mit geglätteten Haaren. „Sie sahen so aus, als könnten Sie etwas Freundlichkeit vertragen“, meinte sie lächelnd.

Höflichkeit begegnete einem nicht oft in New York. In ihrer Heimatstadt im Dare Valley, Colorado, dagegen war es völlig normal, dass man einander gegenüber aufmerksam war. „Vielen Dank.“ Plötzlich wurde sie von Heimweh ergriffen. „Vielleicht hast du recht, Jill. Es wäre schön, wieder von Menschen umgeben zu sein, die mich kennen.“

„Wunderbar! Überleg es dir. Sprich mit Karen. So, und jetzt trinkst du deinen Kaffee, und danach nichts wie rüber mit dir in die Liebesroman-Abteilung. Nora-Roberts-Land wartet schon.“

Ein Lächeln umspielte Merediths Mundwinkel. „Ich hatte ganz vergessen, dass Mom ihre Bücher so genannt hat. Immer hat sie mit dem Finger auf Dad gezeigt und gesagt, dass sie sich jetzt ein paar Stunden im Nora-Roberts-Land gönnen würde. Dann hat sie sich im Schlafzimmer verschanzt. Als wenn es eine Erwachsenenversion vom Disneyland wäre. Dad hat es nie wirklich verstanden.“

„Stimmt. Doch zumindest hat er sich nicht wegen Nora Roberts scheiden lassen. Rick-the-Dick dagegen übernimmt nicht die Verantwortung für seine Seitensprünge, sondern gibt dir die Schuld – und den Romanen. Armselig, wenn du mich fragst. Da könnte man genauso gut Romeo und Julia dafür verantwortlich machen, wenn sich ein Teenager aus Liebeskummer umbringt. Total idiotisch.“

„Das Thema ist durch“, entschied Meredith und trank den letzten Schluck von ihrem Kaffee. Vorsichtig stand sie auf und testete ihr Gleichgewicht. „So, mir geht’s wieder gut.“

„Dann auf in die Romantik-Abteilung.“

Noch immer unsicher auf den Beinen, taumelte sie zweimal. Zum Glück gab es eine Menge Regale, an denen sie sich festhalten konnte. Als sie an den Zeitschriften vorbeikam, fiel ihr Blick auf ein Titelbild, das ihren Exmann zeigte. Er schenkte der Welt jenes betörende Lächeln, mit dem er jede Frau für sich einnahm – sie selbst eingeschlossen.

„Richard ist auf dem Cover von New York Man“, stieß sie hervor, während sie den dunkelblauen Anzug und die rote Krawatte auf sich wirken ließ.

„Was?“, fragte Jill nach, da ihre Schwester plötzlich wie ein Raucher auf Sauerstoff geklungen hatte.

„Rick-the-Dick ist auf dem Cover eines Magazins“, wiederholte sie überdeutlich. „New York Man ist so etwas wie eine wöchentliche Regionalausgabe von GQ.“

„Und was schreiben sie über ihn? Bitte, sag mir, sie haben herausgefunden, dass er Transvestit ist und jetzt als Model die La-Perla-Dessous präsentiert, die du gerade trägst.“

Nach ihrer Trennung hatte Meredith ihre gesamte Baumwollunterwäsche entsorgt und sich mit edlen Bustiers und dazu passenden Slips eingedeckt. Seither gab es ihr Alter Ego, Scheidungs-Woman. Sie war so etwas wie eine weibliche Version von Superman, allerdings ohne den wehenden Umhang und die schillernden Strumpfhosen. Vielleicht war es ein bisschen seltsam, für sich selbst ein zweites Ich zu erfinden, doch ihr half es dabei, nach vorn zu schauen. So konnte sie sich vorstellen, eine junge heiße New Yorkerin zu sein, die jeden Mann schwach werden ließ.

Allerdings war es schon eine Weile her, seit tatsächlich ein Mann bei ihr schwach geworden war. Sehr, sehr lange sogar.

Seit Rick-the-Dick, dem Bastard.

Sie las die Überschrift. Medienmogul wirft seinen Hut in den Ring der Politik. „Oh Mist“, stieß sie hervor und griff nach der Zeitschrift.

„Was ist?“, wollte Jill wissen.

„Die Gerüchte stimmen.“ Sie blätterte vor bis zur Titelgeschichte. „Rick will es wirklich wagen. Er stellt eine Mannschaft für die Senatswahlen zusammen.“

„Nicht dein Ernst! Zum ersten Mal wünschte ich, New Yorkerin zu sein. Dann könnte ich ein dickes schwarzes Kreuz bei ‚Nein‘ neben seinem Namen machen.“

Aufregt überflog Meredith den Artikel. Hatte er sich an die Vereinbarung gehalten? Ihre Unruhe wuchs, sowie sie den Teil über ihre Scheidung entdeckte. Also war er wortbrüchig geworden. Hatte ihr Herz deshalb bis zum Hals geklopft, als sie das Titelbild erspäht hatte? „Wir hatten vereinbart, kein Wort über die Scheidung zu verlieren, er hat unsere Abmachung gebrochen.“

„Arschloch. Was schreiben sie?“

„Warte …“ Ihr Puls raste, während sie las. Am liebsten hätte sie wieder den Kopf zwischen die Beine gesteckt, aber im Stehen war das ziemlich unmöglich. „Er sagt, wir hätten unterschiedliche Vorstellungen von unserem Leben gehabt. Er strebe nach höheren Zielen, wolle die Lebensbedingungen der Bürger verbessern. Was für ein Unsinn! Oh, und er will die Beamtenlaufbahn einschlagen! Er meint, ich hätte immer die traditionelle Familie mit Kindern gewollt. Zitat: Die Art, die es nur in Büchern gibt. Aber natürlich sei er nicht gegen eine Familie.“ Am liebsten hätte sie das Magazin in Stücke gerissen. Ganz plötzlich war der alte Schmerz wieder da – wie eine frische blutende Wunde.

„Arsch, Idiot …!“

Während ihre Schwester Rick mit unzähligen Schimpfwörtern bedachte, wirbelten die Gedanken in Merediths Kopf herum. Sie tippte eine Mitarbeiterin an, die den Arm voller Bücher hatte. „Wann ist das erschienen?“

Die junge Frau blieb stehen. „Das ist ein Vorabdruck. Wir haben es geschafft, ein paar Exemplare vor allen anderen Buchhandlungen zu ergattern“, erklärte sie mit stolzgeschwellter Brust. „Er ist toll, nicht wahr? Ich werde ihn wählen.“ Dann ging sie weiter.

„Wir waren uns einig, dass wir kein Wort über unsere Scheidung verlieren wollten“, sagte Meredith in ihr Handy.

„Wann hat dieser Typ jemals kein Versprechen gebrochen? Ich wette, er hat eine Riesenangst davor, dass du über seine Seitensprünge plaudern könntest. Wähler mögen keine untreuen Ehemänner.“

Oder Politiker, die für Sex bezahlten … Aber das hatte ihn auch davon nicht abgehalten. Nichts hielt ihn auf. Genau deshalb nannte man ihn einen Mogul. Das Anklopf-Zeichen signalisierte ihr, dass erneut ein anderer Anrufer in der Leitung wartete. Sie schaute auf das Display. Die vertraute Nummer raubte ihr einmal mehr den Atem. Dann überfiel sie pure Wut. Rick-the-Dick! Nun, er war nicht der Einzige, der etwas zu sagen hatte.

„Jill, es ist Richard. Ich melde mich wieder.“

„Warte …“

Doch sie beendete das Gespräch und nahm das andere Telefonat an. „Was zur Hölle willst du?“

„Meredith“, begann er in freundlichstem Plauderton. „Ich hatte schon befürchtet, dass ich dich nicht mehr erreiche, bevor du die Neuigkeiten gehört hast.“

„Genauso ist es.“

„Dreimal habe ich deine Assistentin heute Morgen schon angerufen. Und nachdem sie schließlich gemeint hat, dass sie dich nicht erreichen könne, habe ich beschlossen, es auf deinem Handy zu versuchen.“

Sie lehnte sich an eines der Regale. Der Klang seiner charmanten, einschmeichelnden Stimme ließ ihre Knie weich werden. Zum ersten Mal seit einem Jahr redeten sie miteinander. „Du Bastard! Du hast dich nicht an unsere Vereinbarung gehalten.“

„Nun, das ließ sich nicht vermeiden. Wähler wollen informiert sein. Ich habe all meinen Charme spielen lassen und dich über den grünen Klee gelobt, aber der Reporter hat sich offensichtlich entschieden, diese Zitate rauszulassen.“

Selbst Meister Proper könnte den ganzen Mist, den Rick da von sich gab, nicht wegwischen. „Das glaube ich dir aufs Wort“, erwiderte sie spöttisch.

„Und genau deshalb rufe ich dich an. Wahrscheinlich werden sich nicht so viele Journalisten an dich wenden, nachdem ich verkündet habe, dass ich ein Wahlkampfteam zusammenstelle. Aber ich wäre dir dankbar, wenn du dich auf kurze und positive Statements beschränken könntest. Etwa, was für ein wunderbarer Mensch ich bin – und dass ich ganz sicher ein fantastischer Senator wäre, auch wenn unsere Ehe in die Brüche gegangen ist.“

Er hatte echt Nerven. Sie sah rot, und das lag nicht am Sauerstoffmangel. „Du bist ein echtes Arschloch.“

„Meredith …“

„Hör sofort auf! Du hast dich nicht eher gemeldet, weil dir klar war, dass ich deiner Darstellung widersprechen würde. Du bist selbstgefällig bis zum Letzten.“

Ein paar Kunden schauten sie stirnrunzelnd an und schoben sich an ihr vorbei.

„Verdammt, ich hatte gehofft, du würdest nicht so reagieren! Herrgott noch mal, immerhin habe ich mich ziemlich großzügig gezeigt bei unserer Scheidung.“

Geld war nur eines der vielen Werkzeuge, mit denen er seine Mitmenschen manipulierte. „Es ging nie ums Geld. Meine Güte! Ich habe dich geliebt!“ Sie biss die Zähne zusammen und versuchte, sich zu beruhigen. Dieses Spiel konnte man ebenso zu zweit spielen, und auch sie beherrschte die Regeln. „Hast du wirklich geglaubt, du könntest dir mein Schweigen erkaufen?“

„Meredith …“

„Sei still. Du weißt, was ich weiß. Und wenn du mich nicht in Ruhe lässt und mich aus deinem … verdammten Senator-Medienrummel heraushältst, könnte es passieren, dass auch mir mal etwas rausrutscht.“

„Wag es nicht, mir zu drohen.“

„Wag es nicht, mich für dumm zu verkaufen. Du hast keinerlei Recht, mir vorzuschreiben, was ich tun soll. Solltest du das noch einmal versuchen, wirst du es bereuen, das schwöre ich dir. Bye, Richard.“

Sie drückte den Knopf, mit dem sie das Gespräch beendete, so fest, dass sie sich einen Fingernagel abbrach. In ihrem Schädel summte es wie in einem Bienenkorb. Entschlossen stolzierte sie hinüber in die Liebesroman-Abteilung.

Sie würde nicht zulassen, dass er noch einmal Kontrolle über ihr Leben bekam.

Wie von selbst gaben ihre Füße die Richtung an, und ehe sie sich versah, hatte sie das aktuelle Buch von Nora Roberts in der Hand. Sie straffte sich, fuhr mit der Fingerspitze über den Namenszug und atmete tief durch, um ihr heftig pochendes Herz zu beruhigen.

Wie hatte sie jemals Rick-the-Dicks Anschuldigung ernst nehmen können?

Er war ein Haufen Mist.

Ihre Scheidung hatte nichts zu tun mit einem übertriebenen Bild von Romantik und Hochzeitsglocken. Ihre Ehe war gescheitert, weil sie einen betrügerischen, selbstverliebten Arsch geheiratet hatte.

Um Himmels willen, sie musste darüber – über ihn – hinwegkommen. Sie würde nicht zulassen, dass er ihr ganzes Leben ruinierte.

Sowie sie das Buch an ihre Brust presste, normalisierte sich ihr Puls. Sie spürte förmlich, wie Scheidungs-Woman sie umarmte.

Diese Romane waren Balsam für Geist und Seele und ließen den Leserinnen den Glauben an die positiven Dinge des Lebens – Romantik, heißen Sex, Liebe, Unabhängigkeit, Familie, den Sieg des Guten über das Böse. Nora-Roberts-Land. Daran wollte sie wieder glauben.

Nein, daran musste sie wieder glauben.

Auf der Suche nach den anderen Büchern der Autorin, die seit ihrer Scheidung erschienen waren – insbesondere nach jenen, die Nora Roberts unter dem Pseudonym J. D. Robb geschrieben hatte –, streifte sie durch die Reihen. Sie brauchte eine große Dosis von Roarke, dem Helden aus der Eve-Dallas-Serie. Vielleicht würde sie eines Tages ihre eigene Version dieses Mannes finden.

Ihr Blick fiel auf den Sammelband Going Home. Sofort musste sie an Jills Bitte denken, nach Hause zu kommen und der Familie beizustehen. Gab es etwas Wichtigeres als das? Wenn sie sich recht erinnerte, hatte die Heldin in dem ersten Roman Die Sehnsucht der Pianistin genau die gleiche Entscheidung getroffen. Und dabei hatte sie Mr Right getroffen.

Also, was würde eine Heldin bei Nora Roberts in meinem Fall tun?

Die Frage war kaum mehr als ein Flüstern in ihrem Kopf. Nachdenklich tippte sie mit dem Fingernagel auf den Buchrücken.

Eine dieser Heldinnen … würde sich ihren größten Ängsten ohne Ausflüchte stellen.

Sie konnte wieder klarer denken, und gleichzeitig kristallisierte sich eine brillante Idee aus ihrem Gedankennebel heraus. Eine neue Herausforderung.

Keine Ahnung, ob ich schon dazu bereit bin, dachte sie, doch ich werde der Liebe eine neue Chance geben. Als Erstes würde sie ins Büro marschieren und ihre Chefin informieren, dass sie ihre Familie im Verlag unterstützen musste. Und gleichzeitig würde sie die Zeit nutzen, um an einem Artikel für den Daily Herald zu schreiben – die Geschichte über eine geschiedene Frau, die in ihre kleine Heimatstadt zurückkehrt, um den Mann ihres Lebens zu finden und mit ihm glücklich zu sein bis ans Lebensende. Eine Geschichte aus dem Nora-Roberts-Land.

Während sie bei der eigenen Zeitung arbeitete, würde die Familie für ihr Gehalt aufkommen, sodass es finanziell keine Probleme gab. Und Karen wusste, was sie an ihr hatte, deshalb würde sie ihr bestimmt den Job freihalten. Und wenn nicht, würde Meredith etwas anderes finden. Der Familienname öffnete manche Tür, und sie selbst hatte sich mittlerweile einen guten Ruf in der Stadt erarbeitet. Außerdem würde dieser Artikel großartig werden, unabhängig davon, wie die Geschichte endete. Wer würde nicht die Story einer enttäuschten Frau lesen wollen, die versucht, wieder an die Kraft der Liebe zu glauben?

Beflügelt schritt sie zur Kasse. Es war Zeit, etwas ganz Neues zu beginnen.

Sie würde über Rick-the-Dick hinwegkommen. Und wenn sie sich dafür mit jedem Mann im Dare Valley verabreden musste!

2. KAPITEL

Tanner McBride blieb an der Kreuzung stehen und wartete, dass die Ampel auf Grün sprang. Er liebte dieses kontrollierte Chaos auf New Yorks Straßen, das Hupen der aggressiven Fahrer und die Massen an Passanten, die sich mit ausgreifenden Schritten ihren Weg bahnten. Ihn überfiel ein beinahe euphorisches Glücksgefühl, wenn er daran dachte, dass er sich keine Sorgen darüber machen musste, angestarrt oder womöglich erschossen zu werden, weil er Amerikaner war.

Als er neben sich eine Person mit einem britischen Akzent sprechen hörte, wandte er sich um. Jemand zeigte mit einem blassen Finger auf einen Stadtplan. Kopfschüttelnd ging eine ältere Dame in einem geblümten Kleid über die Straße.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Tanner das herankommende Taxi, streckte geistesgegenwärtig den Arm aus und zog die Frau zurück auf den Bürgersteig. Der Wagen fuhr so dicht an ihm vorbei, dass seine Jacke vom Fahrtwind aufgebläht wurde wie Wäsche, die auf einer Leine im Wind wehte.

Die Frau presste ihre Hand auf die Brust. „Mein Gott, ich habe in die falsche Richtung geguckt!“

Einen Moment lang schlug Tanners Herz schneller, dann fand es zu seinem normalen Rhythmus zurück. Diese Schrecksekunde war ein Witz, verglichen mit allem, was er in Afghanistan erlebt hatte.

„Wir fahren auf der anderen Seite als die Briten. Seien Sie vorsichtig.“

Sie drückte seinen Arm. „Vielen Dank.“

Hastig überquerte er die Fahrbahn.

Nachdem er nach Hause zurückgekehrt war, hatten ihm alle prophezeit, er werde den Alltag als unwirklich empfinden und vielleicht sogar gelangweilt sein von der Ereignislosigkeit, den fehlenden Konflikten und Kämpfen. Das stimmte zum Teil sogar. Er hoffte, dass New York groß und quirlig genug war, um zu verhindern, dass er durchdrehte. Schnell ließ er den Blick über die Straße schweifen, die kleinen Imbisse und Restaurants, die sich – kaum größer als Briefmarken – dicht an dicht aneinanderreihten. Zumindest genug zu essen gab es. In den nächsten sechs Monaten würde er alles essen, was ihm unter die Augen kam.

Das etwas abseits gelegene Restaurant The Porterhouse schien ihm ein eher ungewöhnlicher Ort zu sein, um sich mit seinem künftigen Chef zu treffen. Aber Richard Sommerville stand auch nicht gerade in dem Ruf, konventionell zu sein. Obwohl ihn jeder für einen echten Widerling hielt, war er als Herausgeber der Tageszeitung The Standard hoch angesehen. Und jetzt dachte er darüber nach, für den Senat zu kandidieren.

Für das Ressort International des Standard zu arbeiten konnte ein echter Karrieresprung sein. Tanner hatte eine Reihe Beiträge als Auslandskorrespondent geschrieben. Jetzt war es Zeit, wieder zu Hause anzukommen und ein normales Leben zu beginnen – was zum Teufel das auch bedeutete.

Er würde es herausfinden.

Schließlich war er gut darin, Dinge herauszufinden.

Eine kleine Glocke bimmelte, als er die Tür öffnete. Sommerville saß am dritten Tisch rechts und telefonierte. Seine Mutter hätte ihn als Gauner in Nadelstreifen bezeichnet, und Tanner hätte gewettet, dass der feine graue Anzug, den Sommerville trug, mehr gekostet hatte als sein Flug von Kabul nach New York. Im Gegensatz dazu waren die rot gestrichenen Wände des Restaurants abgenutzt, ebenso wie die schlichten Holztische. Außer ihnen war kein einziger Gast hier. Der Duft nach über dem offenen Feuer gegrillten Steaks ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Tanner rückte sich einen der Stühle zurecht und setzte sich. Er hoffte nur, dass er für diesen Job keinen Anzug tragen musste. Zu mehr als einem lässigen Jackett, einem Freizeithemd und einer Hose mit Bügelfalte war er nicht bereit.

Mit einem Fingerzeig bedeutete Sommerville ihm, dass er sein Gespräch sofort beenden würde. „Hör zu, ich muss los. Tu einfach, was ich dir gesagt habe. Ich will keine weiteren Ausflüchte mehr hören.“ Danach legte er auf und platzierte sein Handy so ehrfürchtig vor sich auf dem Tisch wie ein Priester die Bibel. „Tanner McBride, schön, Sie kennenzulernen. Willkommen im Big Apple.“

Während sie sich die Hände schüttelten, musterten sie sich gegenseitig. Sommerville mochte ein begnadeter Journalist sein, aber er sah aus wie einem Modemagazin entsprungen. Er hatte sein blondes Haar in einer Weise zurückgegelt, die manche Menschen modern nennen mochten, für Tanners Geschmack war es viel zu übertrieben. Anscheinend ging er sogar zur Maniküre, zumindest wirkten seine Hände so. In seinen Augen lag ein gefährliches Glitzern. Wie ein Raubtier auf dem Sprung, aber auf eine elegante Art. Wer nicht auf der Hut war, nahm das vermutlich nicht wahr.

Doch Tanner war immer auf der Hut.

Der Mann hinter der Theke drehte das Geschlossen-Schild im Fenster um und schloss die Tür ab. Sofort war Tanner in höchster Alarmbereitschaft, allerdings blieb seine Miene ausdruckslos. Sommerville erwartete Diskretion, also musste es um etwas Wichtiges gehen. Kein Wunder, dass er sich für diesen Laden abseits des Trubels entschieden hatte.

„Lassen Sie uns bestellen, und dann erzählen Sie mir von Ihren letzten Tagen in Kabul.“

Er war es leid, von seiner Zeit in Afghanistan zu erzählen. Aber immerhin war Sommerville sein künftiger Chef. Und außerdem wusste er aus Erfahrung, dass Politikredakteure, die jeden Tag Nachrichten über Kriegsgebiete schrieben, schnell das Interesse an seinen Schilderungen verloren.

Sommerville schlürfte seinen Scotch, während Tanner auf ein paar Höhepunkte seines letzten Auftrags einging. Hinterhalt, Blut, Tod machten ganz schön was her. Natürlich gab es auch dort gute Menschen, ebenso wie überall auf der Welt. Aber er wäre froh, niemals dorthin zurückkehren zu müssen. Er hatte es so satt, mitzuerleben, wie selbst Kinder Opfer von Politik und Drogengeschäften wurden.

Gespannt wartete Tanner, wann Sommerville ihm den Grund für ihr konspiratives Treffen mitteilen würde. Erst als er sein medium gebratenes Ribeye-Steak schon zur Hälfte aufgegessen hatte, stellte sein Gegenüber endlich den Drink zur Seite und schien bereit zum Reden. Tanner griff nach seinem Wasserglas.

„Ich habe einen neuen Auftrag für Sie. Eine ziemlich große Sache.“ Sommerville rieb seine Handflächen aneinander, und das Geräusch erinnerte Tanner an Schmirgelpapier.

„Und zwar?“

Sommervilles Handy klingelte erneut, doch er ignorierte es. „Ich habe Erkundigungen über Sie eingeholt. Einige behaupten, Sie seien ausgebrannt und brauchten ein bisschen Zeit abseits der Überholspur. Deshalb werden Sie zunächst ein bisschen aufs Land ziehen.“

Tanners Miene verhärtete sich. „Das war so nicht abgemacht.“

Mit einer Handbewegung wischte Sommerville den Einwand beiseite. „Ich weiß. Aber das ist eine ziemlich pikante Aufgabe.“ Er griff nach seiner Brieftasche und holte ein Foto heraus.

Tanner betrachtete es ausgiebig. Die blonde Frau darauf war Anfang dreißig, schätzte er, und wirkte wie die Ruhe selbst. Bei ihrer Frisur musste er an die Journalistinnen denken, die CNN bevorzugt vor die Kamera stellte. Die Blondine war attraktiv – eine Schönheit, wenn er ehrlich war –, und der Blick aus ihren grünen Augen wirkte intelligent und selbstbewusst.

„Wer ist das?“

Sommerville legte das Bild direkt vor ihm auf den Tisch, als wenn er einer der Geber an den Spieltischen in Las Vegas wäre. „Meine Exfrau. Und ich will, dass sie sich in Sie verliebt.“

Lachend klopfte Tanner ihm auf die Schulter, wie er es bei einem der Soldaten getan hätte, der die Anspannung nach einem Einsatz mit einem schmutzigen Witz versuchte zu lösen. „Das ist echt gut. Ja, da macht es doch Spaß, sesshaft zu werden.“

Sommerville verkniff die vollen Lippen zu einem schmalen Lächeln.

Tanners Lachen erstarb. „Das ist Ihr Ernst, nicht wahr?“

„Ich mache grundsätzlich keine Scherze über Journalismus. Wenn Meredith – so heißt meine Ex – den Artikel schreibt, den sie ihrer Chefredakteurin angekündigt hat, könnte das meinem Ruf schaden, denn ich bin mir nicht sicher, dass sie meinen Namen da rauslässt. Wir hatten letztens eine … Meinungsverschiedenheit. Deshalb brauche ich jemanden, der sie bei Laune hält. Drehen Sie es so, dass Sie der Mittelpunkt des Berichts sind, und dann untergraben Sie ihr Vorhaben.“ Er trank seinen Scotch aus. „Ich werde nicht zulassen, dass sie meine Pläne für den Senat zerstört.“

Tanner legte seine Hände flach auf die Tischplatte. „Ich erkenne noch nicht, was das alles mit mir zu tun hat.“

Ehe er weitersprach, hob Sommerville sein Glas und bedeutete einem vorbeikommenden Kellner, dass er Nachschub wollte. „Dann lassen Sie es mich erklären. Aus sicherer Quelle weiß ich, dass meine Exfrau in ihre Heimatstadt Dare Valley in Colorado zurückkehren will, um dort einen Artikel über ihren Versuch zu schreiben, die wahre Liebe zu finden. So wie die Heldinnen in diesen Nora-Roberts-Romanen.“ Er knallte ein Taschenbuch auf den Tisch. „Haben Sie je von ihr gehört?“

Tanner griff nach dem Buch. Der weite Himmel. Sommerville war übergeschnappt! „Sicher, meine Mutter liest diese Romane. Warum?“

„Diese Bücher sind meiner Meinung nach schuld an meiner Scheidung. Und jetzt will meine Ex beweisen, dass ich unrecht habe, indem sie versucht, das Leben einer dieser Romanfiguren zu führen und zu beweisen, dass die wahre Liebe existiert.“

Okay … Tanner winkte den Kellner heran. „Einen Bourbon. Ohne Eis.“

Sommerville griff nach dem Buch. „Haben Sie eine Ahnung, wie viele Leute Nora Roberts lesen?“

Ahnungslos zuckte Tanner mit den Schultern. Sprachen sie wirklich gerade über Liebesromane? Das war der große Auftrag? Sein Traumjob hatte sich gerade in Luft aufgelöst. Dieser Sommerville war unzurechnungsfähig. Auf keinen Fall würde er für ihn arbeiten.

„Millionen“, fuhr dieser gerade unbeirrt fort. „Ein solcher Artikel wird von jeder Frau in Amerika förmlich verschlungen werden. Vielleicht sogar in Übersee. Meredith muss gestoppt werden! Ich muss sicherstellen, dass sie nur Positives über unsere Ehe und über ihre Beweggründe zu diesem Artikel ausplaudert. Sie ist hysterisch.“

Abwartend verschränkte Tanner die Arme vor der Brust. „Sie glauben tatsächlich, dass es ihre Exfrau aufhalten könnte, wenn sie sich in mich verliebt?“

Sommerville griff nach seinem Glas. „Allerdings. Wenn sie sich in Sie verliebt und Sie Meredith schließlich fallen lassen, kann sie den Artikel von der großen Liebe nicht schreiben. Außerdem können Sie sie die ganze Zeit über kontrollieren. Damit schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich kann nicht zulassen, dass sie meinen Ruf ruiniert.“

Unfassbar. „Das klingt nicht gerade nach einem Job für einen Journalisten.“

„Quatsch. Es ist perfekt. Betrachten Sie es einfach als Rechercheauftrag. Außerdem haben Sie nebenbei ein bisschen Zeit, sich zu erholen. Es wird Ihnen in Dare Valley gefallen. Es ist eine kleine Collegestadt mitten in den Rocky Mountains. Merediths Familie gehört ein Zeitungsverlag, vielleicht kennen Sie ihn sogar.“

Plötzlich machte es bei ihm klick. „Heilige Scheiße! Sie meinen den Western Independent.“ Jeder Journalist, der diese Bezeichnung verdiente, kannte das kleine unabhängige Blatt, das von einem der besten Reporter des Landes gegründet worden war, Arthur Hale. Die Blondine hatte Klasse.

„Arthur Hale ist ihr Großvater. Mich hat er nie leiden können. Für ihn kam es nicht mal ansatzweise in Betracht, mir den Verlag zu überschreiben. Er ist ein mürrischer alter Bastard. Doch in die Familie Hale einzuheiraten hat mir eine Menge Türen geöffnet, und das war es wert. Und auch bei der Wahl schadet es nicht, mit diesem Namen in Verbindung gebracht zu werden.“ Lautstark zermalmte er einen Eiswürfel zwischen den Zähnen. „Sie werden im nächsten Semester als Juniorprofessor an der Hale Journalistenschule der Emmits Merriam University unterrichten. Ich habe da meine Beziehungen spielen lassen. Sie waren überglücklich, dass jemand mit Ihren Erfahrungen dort so kurzfristig anfangen kann. Es ist ein kleines, geisteswissenschaftlich orientiertes College.“

Energisch schob Tanner seinen Bourbon beiseite. „Warten Sie einen Moment. Sie haben einen Job für mich besorgt?“

Mit einem Zug leerte Sommerville sein Glas. „Ja. Kommen Sie schon, McBride.“

Tanner sprang so rasch auf, dass der Stuhl laut über den Boden schabte. „Keine Ahnung, was Sie sich einbilden. Doch bei mir sind Sie definitiv an der falschen Adresse. Mein Anwalt wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen, um den Vertrag aufzulösen. Und nachdem Ihr Angebot in keiner Weise dem entspricht, was wir vereinbart hatten, werden Sie wohl kaum dagegen angehen können.“

Gelassen lehnte Sommerville sich zurück. „Das wird nicht nötig sein. Nehmen Sie wieder Platz, McBride. Da ist noch mehr.“

Na hoffentlich, dachte er zornig. Er ließ sich auf den Stuhl fallen und öffnete den Ordner, den Sommerville ihm hinüberreichte. Seitenweise schmutzige Schwarz-Weiß-Fotos. Laut Datumsanzeige waren sie vor zehn Monaten gemacht worden. Bei der Frau, die auf den Bildern zusammen mit seinem Bruder zu erkennen war, handelte es sich definitiv nicht um seine Schwägerin. Fassungslos und schockiert schaute Tanner hoch.

„Soweit ich weiß, erwartet die Frau Ihres Bruders ein Baby, nicht wahr? Es ist eine Schande, dass er nicht ein bisschen vorsichtiger bei der Wahl seiner Gesellschaft war, nachdem er letztes Jahr wieder zur Flasche gegriffen hat. Prostituierte können die politische Karriere eines Mannes zerstören. Ganz zu schweigen von seiner Ehe, seiner Familie.“

Mit einem Finger klappte Tanner die Mappe zu. Rot glühende Wut überrollte ihn. „Das glaube ich nicht“, stieß er hervor. Aber die Aufnahmen wirkten echt. Und David war immer ein Frauenheld gewesen. Doch eine Prostituierte?

„Natürlich können Sie die Fotos überprüfen. Aber ich verspreche Ihnen, dass sie echt sind. Nachdem Ihr Vater abgehauen ist, haben Sie ihren Bruder mit großgezogen, stimmt’s? Eine ziemlich große Verantwortung für einen Vierzehnjährigen.“

„Sie verdammter Bastard!“

Doch Sommerville lachte nur. „Das bin ich gewohnt. So läuft das Geschäft nun mal. Das hat nichts mit Ihnen persönlich zu tun. Ich will, dass Sie etwas für mich erledigen. Und damit Sie es machen, erleichtere ich Ihnen die Entscheidung. So funktioniert die Welt.“

Tanner hatte schon viele Menschen in einer ähnlichen Zwangslage erlebt. Aber normalerweise war er derjenige, der darüber schrieb, nicht … das Opfer. Von Objektivität keine Spur mehr. Mit schnellem Griff zog er Sommerville an seiner blauen Seidenkrawatte über den Tisch zu sich heran.

„Am liebsten würde ich Sie dafür umbringen.“

Der schnitt bloß eine Grimasse. „Wir sind nicht in Kabul. Und solche Methoden helfen Ihrem Bruder nicht. Sobald die Sache mit Meredith abgeschlossen ist, werden alle Beweisstücke gelöscht. Sie müssen nur nach Dare Valley fahren, mit meiner Exfrau anbändeln und dafür sorgen, dass sie das mit diesem Artikel sein lässt. Geben Sie sich einen Ruck, McBride.“

Noch einmal zerrte Tanner an der Krawatte, ehe er sie losließ und seine Hände streckte. So leicht war Sommerville nicht einzuschüchtern. Es war gut, das nächste Mal daran zu denken.

„Und wenn mich die Fotos gar nicht interessieren?“ Die Lüge schien auf seinen Lippen zu brennen.

Ungerührt ließ Sommerville die Eiswürfel in seinem Glas kreisen. „Wir wissen beide, dass es nicht so ist. Rufen Sie Ihren Bruder an. Ich warte.“

Klar wartete er. Wie die Spinne im Netz auf die Fliege wartet. „Geben Sie mir Ihr Handy. Ich habe mir noch keines gekauft, seit ich zurück bin.“

Er wählte die Nummer seines Bruders und erhielt die Bestätigung, die eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre. Wenn sein Leben anders verlaufen wäre, hätte er vielleicht einfach verschwinden können. Aber er hatte seiner Mutter versprochen, auf seinen kleinen Bruder aufzupassen. Und obwohl sie längst erwachsen waren und weit voneinander entfernt lebten, fühlte er sich noch immer an sein Wort gebunden. Gerade jetzt, wo sein Bruder ein neues Leben anfangen wollte und wieder bei den Anonymen Alkoholikern war. Und er meinte es ernst damit, sich ändern zu wollen. Er war Stadtrat und unterstützte seine Gemeinde.

„Wie haben Sie es geschafft? Haben Sie ihn in eine Falle gelockt oder die Fotos von jemandem abgekauft?“, hakte er nach, nachdem er aufgelegt hatte.

Siegessicher lehnte Sommerville sich zurück. „Welche Rolle spielt das? Ein Mann in einem öffentlichen Amt steht immer im Rampenlicht. So wie ich künftig auch. Ihr Bruder hat einen Fehler begangen, und davon profitiere ich. Und gleichzeitig passe ich auf, dass niemand sich meine Fehler zunutze macht.“

„Und warum gerade ich? Da draußen laufen eine Menge besser aussehende Esel herum, die Ihre Exfrau aufhalten könnten.“

Erneut ließ Sommerville seinen Drink in seiner Hand kreisen. „Sie sind perfekt für diese Rolle. Meredith und Sie waren beide auf der Columbia University, beide mit einem Sportstipendium. Das verbindet. Sie können gemeinsam in der Erinnerung schwelgen, Columbia Lions gewesen zu sein. Ra-ra – und all das. Außerdem waren Sie Kriegsberichterstatter und genießen einen hervorragenden Ruf. Meredith wird Sie als Journalisten respektieren.“

„Ich befürchte, Sie überschätzen meinen Einfluss.“

„Keineswegs. Ich kenne Frauen wie sie.“ Spöttisch hob er sein Glas. „Und was noch wichtiger ist – an der Journalistenschule zu unterrichten ist die perfekte Tarnung. Und jeder wird verstehen, dass es ein sinnvoller Schritt ist für jemanden von ihrem Kaliber, der gerade aus Übersee zurückgekehrt ist. Oder sind Sie kein Bewunderer des großen Arthur Hale?“

„Wer wäre das nicht?“

„Außerdem weiß niemand, dass Sie für mich arbeiten, Sie sind also völlig unverdächtig. Was Meredith betrifft, müssen Sie sich nicht den Kopf zerbrechen. Und Sie werden sich ganz sicher nicht in sie verlieben. Sie ist nicht Ihr Typ. Darüber hinaus sind Sie viel zu anständig, um die Situation richtig auszukosten.“

Der Kellner trat an ihren Tisch, doch ein vernichtender Blick von Tanner ließ ihn sofort wieder verschwinden.

Sommerville schob ihm das Bild hinüber. „Glauben Sie mir, der Job ist gar nicht übel. Meredith ist eine tolle Frau. Und Sie können ein bisschen ausspannen. Sehen Sie es als bezahlten Urlaub.“

Nachdenklich spielte Tanner mit seinem Steakmesser und strich mit dem Zeigefinger über die Klinge. Am liebsten hätte er Sommerville damit die Kehle durchgeschnitten. „Sie müssen Ihre Ex wirklich hassen.“

Die Augen seines Gegenübers verengten sich. „Sie wollte ein Leben aus dem Kitschroman. Ewige Liebe, Partnerschaft, eine Familie. Das ist nichts für mich.“ Er griff nach dem Buch. „Dieses Zeug hat ihr Flausen in den Kopf gesetzt. Ich wahre nur meine Interessen.“

Tanner ließ das Messer sinken. Er musste sich diesem Albtraum stellen, bis er einen Ausweg gefunden hatte. „Sind wir dann fertig?“

Noch einmal griff Sommerville in seine Brieftasche und reichte Tanner einen Umschlag. „Hier ist Ihr Ticket nach Denver, die Buchung Ihres Mietwagens, Ihre Adresse in Dare Valley, Ihr Ansprechpartner an der Journalistenschule und eine komplette Auflistung von Merediths Vorlieben und Abneigungen. Prägen Sie sich die ein, und reisen Sie ab. Meine Exfrau wird morgen nach Hause fahren.“

„Wann beginnt das Semester?“

„In zwei Wochen, direkt nach dem Labor Day.“

Tanner erhob sich und steckte das Kuvert ein. Breitbeinig, wie kampfbereit, blieb er stehen. „Wenn das erledigt ist, will ich das gesamte belastende Material gegen meinen Bruder haben. Ansonsten vernichte ich Sie, dann können Sie den Senat vergessen. Das ist keine Drohung – das ist mein blutiger Ernst. Und glauben Sie mir, davon habe ich in Afghanistan genug gesehen.“

Während er sich zum Gehen wandte, zermarterte er sich das Hirn, wie er diesem Pakt mit dem Teufel entkommen könnte, ohne seinen Ruf zu schädigen und eine unschuldige Frau zu verletzen.

„Und ich hatte gedacht, wir könnten danach zu unserer ursprünglichen Vereinbarung zurückkehren“, rief Sommerville ihm noch hinterher, und seine Stimme troff förmlich vor Ironie und Boshaftigkeit.

Tanners Schritte hallten auf dem Boden wider.

„Ich erwarte wöchentlich Bericht“, war das Letzte, was er von Sommerville hörte.

Dann öffnete er die Tür und knallte sie hinter sich ins Schloss.

Seinen Bericht würde das Arschloch kriegen.

3. KAPITEL

Kleine Meerjungfrau!“

Sowohl der Spitzname als auch der schrille Tonfall, in dem er ausgerufen wurde, ließen Meredith zusammenzucken. Ihre Schwester kam von der Veranda auf sie zugerannt, ihr rotes Haar wehte wie eine züngelnde Flamme hinter ihr her.

„Jillie Bean!“ Sie legte ihre Handtasche auf die Motorhaube ihres Wagens und bereitete sich auf den Ansturm vor. Ihre Schwester stürzte auf sie zu, schlang ihre Arme um sie und sprang mehrmals aufgeregt auf und ab.

„Mere, ich bin so froh, dass du wieder hier bist!“ Jill trat einen Schritt zurück, musterte sie mit den typisch blitzenden grünen Augen der Hales, ehe sie zum zweiten Angriff überging. „Du bist hier, du bist hier!“

Meredith drückte sie fest. Obwohl ihre Schwester gut acht Zentimeter größer war als sie, benahm sie sich wie ein Labradorwelpe – allerdings in einem violett-weiß gepunkteten Kleid. Meredith ging das Herz auf. Befreit lachte sie auf, und die Knoten in ihrem mit Schmerztabletten gefüllten Magen schienen sich auflösen. „Lass mich in Ruhe, du verrücktes Huhn.“

Liebevoll legte Jill einen Arm um ihre Taille. „Ist das der Audi, den du von Rick-the-Dicks Geld gekauft hast?“

„Er ist geleast. Ich dachte mir, dass ich hier draußen unbedingt einen Wagen brauche. Und er fährt sich wie ein Traum.“

Ausgelassen hüpfte Jill davon wie eine riesige Elfe und hinterließ Fußspuren in dem frisch gemähten Gras. „Ich kann es kaum abwarten, eine Probefahrt zu machen.“ Dann war sie wieder bei Meredith und griff nach ihrer Bluse. „Zeig mir deine La-Perla-Dessous.“

Meredith gab ihr einen leichten Klaps auf die Finger. „Lass das.“

Völlig unbeeindruckt schob ihre kleine Schwester den Stoff hoch. „Oh, ein rotes Bustier! Oh, là, là. Meine züchtige baumwollliebende Schwester hat die wilde Seite des Lebens entdeckt.“

Als ihre Eltern die Verandastufen hinunterstiegen, winkte Meredith ihnen lächelnd zu. Ganz offensichtlich waren sie irritiert über den Striptease in ihrem Vorgarten. „Hör jetzt auf. Mom und Dad kommen.“

Jill schnaubte laut. „Als wenn Mom das nicht interessieren würde. Ich seh ’ne Wiese, ich seh ’ne Rose, ich seh Merediths Unterhose.“

„Benimm dich“, warnte Meredith sie und knuffte sie in die Seite. „Ich zeig’s dir später.“

„Versprochen?“

„Natürlich.“

Ihre Schwester rannte über den Rasen. „Die Meerjungfrau ist da.“

„Das sehen wir.“ Linda Hales Gesicht mit den kleinen Fältchen hatte jenen besonderen Glanz, den Mütter kriegen, wenn ihre Kinder nach Hause zurückkehren. Die grauen Strähnen, die ihr rotes Haar durchzogen, waren seit dem Herzinfarkt ihres Vaters mehr geworden. „Danke, dass du gekommen bist, Liebling. Es bedeutet uns viel.“

„Gut schaust du aus“, stellte Alan Hale mit einem Augenzwinkern fest. Um seine Mundwinkel hatten sich tiefe Furchen gebildet. „Deine Frisur gefällt mir. Doch unabhängig davon, dass ich mich freue, dich zu sehen, hättest du nicht meinetwegen herfahren müssen. Aber auf mich hört ja keiner.“

„Stimmt“, gaben Jill und ihre Mutter einhellig zu.

Nacheinander umarmten ihre Eltern sie. Sie ließ es zu und sog ihren altvertrauten Duft liebvoll lächelnd ein. Ihre Mutter benutzte noch immer die Zitronenlotion. Und an ihrem Vater haftete wie eh und je der Geruch nach Lösungsmitteln. Sein Hobby, die Restaurierung von alten Möbeln, konnte er nicht verbergen.

Als sie bemerkte, wie sehr die Krankheit ihres Vaters sowohl bei ihm als auch bei ihrer Mutter ihre Spuren hinterlassen hatte, war sie doppelt froh, sich zu der Entscheidung durchgerungen zu haben, für drei Monate nach Hause zu kommen. Sie schaute ihre Eltern an, und zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass sie alt wurden. Sie hatten ein Haus in Sedona gemietet, wo sie sich erholen wollten. Es war gut an einem Tag zu erreichen, sodass sie bei Bedarf schnell wieder daheim sein konnten. Die Strecke machte ihren Eltern nichts aus. Sie kannte niemanden, der es so sehr genoss, Auto zu fahren.

Wieder umarmte Linda sie. „Ich bin froh, dass deine Chefin dir die Auszeit bewilligt hat. Du hast keine Ahnung, was mir das bedeutet.“

Meredith streichelte ihr sanft über den Rücken. „Schon okay, Mom. Ich helfe euch gern.“

Und plötzlich fühlte sie sich wie von einer Last befreit. Zum ersten Mal seit Langem war ihr nicht mehr schwer ums Herz. Hier war sie bei den Menschen, die sie liebten. Hier konnte sie ganz sie selbst sein, ohne Angst haben zu müssen, betrogen zu werden. Sie konnte lachen und sich ausruhen. Vielleicht würde sie ihr Haar ein bisschen wachsen lassen. Auf einmal wurde ihr klar, dass sie ihr Leben in den vergangenen Monaten wie unter einer Glasglocke wahrgenommen hatte.

Jetzt trat auch Arthur Hale in den Garten hinaus. „Wurde auch Zeit, dass du endlich mal wieder auftauchst“, stieß er knurrend hervor und stützte sich mit seinem Krückstock direkt neben ihrem Fuß ab. „Gib deinem Großvater einen Kuss.“ Er küsste sie auf beide Wangen, und sein Atem, der nach würzigen Zimtbonbons roch, ließ sie unwillkürlich lächeln. Während er sie eindringlich anschaute, fiel ihm eine Strähne seines dichten grauen Haars über die Augen. „Wie ich sehe, hast du dich entschieden, wieder zu deinen roten Haaren zu stehen. Sehr gut. Du warst nie der blonde Sexbomben-Typ.“

Liebevoll tätschelte sie seinen Arm. Seine wettergegerbte Haut fühlte sich an wie Leder. „Danke, Großvater. Du weißt, wie man mit Frauen umgeht.“

Er versetzte ihr einen neckischen Stoß, kraftvoll für seine fünfundsiebzig Jahre. „Allerdings. Ich habe manchem Mädchen den Kopf verdreht, bevor ich deine Großmutter kennengelernt habe. Du bist also mein neuer Schützling, hm? Ich erwarte einiges von dir.“

Ihre Augen verengten sich. „Ich werde mein Bestes geben.“

Wieder stupste er sie an, dieses Mal mit seinem Stock. Dabei musterte er sie prüfend durch seine Brillengläser. „Die Familie muss zusammenhalten.“

„Das weiß ich.“

Ihr schnürte sich die Kehle zusammen, da sie bemerkte, wie ihre Mutter verstohlen eine Träne wegwischte. Oh Gott, ihre Mutter weinte nie! Als dann noch ihr Vater gerührt nach ihrer Hand griff, wandte sie sich Hilfe suchend an Jill. Aber auch die hatte feuchte Augen. Es war also wirklich sehr schlimm. Erst jetzt wurde ihr das Ausmaß bewusst.

Ihr Großvater trat näher, und sie hörte das Bonbon, das an seine Zähne schlug. „Ich habe gehört, der Schuft von deinem Exmann will für den Senat kandidieren. Wie kommst du damit klar?“ Er sah sie durchdringend an. Arthur Hale schaffte es immer, in die Seele eines Menschen zu schauen.

Unbändige Wut überfiel sie, und sie senkte den Blick. Kurz durchwühlte sie ihre Handtasche nach dem Autoschlüssel, danach sah sie wieder auf. „Das ist seine Sache, oder?“

„Großvater, lass es gut sein“, mischte Jill sich ein. „Mach nicht die Wiedersehensfreude kaputt. Sonst muss ich dir den Stock wegnehmen, alter Mann.“

„Dieses Kind hat keinen Respekt vor dem Alter“, grummelte er, allerdings zerzauste er dabei Jills Haare. „Gut. Ich bin froh, dass deine Chefin keinen Ärger gemacht hat und dein Dad sich eine kleine Pause gönnen kann. Ich will nämlich nicht, dass er noch einen Herzinfarkt kriegt. Himmel, er ist gerade mal zweiundfünfzig. Anscheinend hat er die verdammten Gene meines Vaters geerbt.“

„Er hat noch einen großen Teil seines Lebens vor sich“, widersprach Merediths Mutter lächelnd. „Aber wir sind deiner Chefin wirklich dankbar, Mere. Richte ihr das bitte aus.“

Meredith lachte. „Mom, das hast du mir schon hundertmal gesagt. Ich habe es ihr ausgerichtet.“

„Es ist ausgesprochen großzügig von ihr.“

„Ich werde von hier aus ein paar … Sachen für sie bearbeiten.“ Worum es ging, würde sie aber tunlichst für sich behalten. Wenn sich in diesem kleinen Ort herumsprach, dass sie die große Liebe im Nora-Roberts-Stil finden und darüber schreiben wollte, würde die Gerüchteküche brodeln. Diese Peinlichkeit wollte sie sich ersparen. Außerdem hatte sie keine Ahnung, wie die Männer hier im Ort darauf reagieren würden. Als Mann würde sie selbst in diesem Fall definitiv die Finger von einer solchen Journalistin lassen.

„Ist ja nicht so schwierig für Karen, sich großzügig zu zeigen. Schließlich spart sie Geld“, meinte Arthur und zeigte auf Meredith. „Während ihr Gehalt mich dazu treibt, einen Überfall zu begehen.“

„Ich bin es wert, Großvater.“

„Das wollen wir erst mal sehen, Kleines.“

Kurzerhand nahm ihre Mutter ihr die Handtasche ab. „Schatz, es gibt dein Lieblingsessen. Gebratenes Hühnchen, Kartoffelpüree und Mais. Und zum Nachtisch eine Zitronen-Baiser-Torte.“

Ihr Vater klopfte sich auf sein kleines Bäuchlein. „Zur Feier des Tages hat deine Mutter mich von meiner Diät erlöst. Das habe ich nur dir zu verdanken, Mere. Wenn ich auch nur noch eine Mahlzeit mehr mit diesen Ballaststoffen …“

„Hör auf, Alan“, unterbrach Linda ihn. „Es ist nur zu deinem Besten.“

Meredith sah von einem zum anderen. „Es ist schön, wieder hier zu sein“, erklärte sie schlicht.

Und das entsprach den Tatsachen. Sie ließ den Blick über die Berge schweifen, die das kleine Städtchen umgaben. Die zerklüfteten grauen Felsen ragten wie Säulen empor. Das Laub der Erlen, Espen und Pappeln leuchtete in herbstlichem Orange. Meredith spürte, wie eine Gänsehaut über ihre Arme zog. Wie wunderschön es hier war, so vollkommen anders als in New York! Plötzlich stieg Panik in ihr auf. Würde sie es wirklich drei Monate lang hier aushalten? Unwillkürlich presste sie eine Hand auf ihr Dekolleté. Und sie hätte schwören können, eine heisere Stimme zu hören, die ihr versicherte: Ja, das schaffst du. Wie seltsam!

„Wollen wir hier den ganzen Tag stehen bleiben und die Aussicht bewundern?“, riss Großvater Hale sie aus ihren Gedanken „Ich sterbe vor Hunger.“

Während ihre Eltern zum Haus gingen, wollte Meredith den Kofferraum ausladen, doch Jill hielt ihre Hand fest. „Du wirst bei mir wohnen, Mere. Nach dem Dinner fahren wir in mein Apartment.“

Bei Jill? Sie liebte ihre Schwester, aber … „Ich weiß nicht …“

Jill schüttelte den Kopf, und ihre riesigen Ohrringe streiften ihre Schultern. „Sag nicht Nein, Mere. Schließlich willst du doch nicht ganz allein hier im Haus wohnen, oder?“

„Lass uns …“

„Großvater hatte auch angeboten, dich bei ihm einzuquartieren, doch wir haben eine Münze geworfen.“

„Kinderkram.“ Nachdrücklich klopfte er mit seinem Stock auf den Weg. „Lass dich nicht von Kopf oder Zahl beeinflussen, Meredith.“

Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihre Familie alles bereits über sie hinweg entschieden hatte. „Ich …“

Ihre Schwester dirigierte sie zum Haus. „Es wird bestimmt lustig.“

Lustig? Worauf hatte sie sich da bloß eingelassen?

4. KAPITEL

Jills Wohnung entpuppte sich als ein Aufbewahrungsort für alles, was verrückt und seltsam war. Kühne Farben prägten die Räume, in denen sich Meredith fühlte wie in einem Gemälde von Dalí im Drogenrausch. Sie fragte sich, ob bei Jills Geburt irgendwas schiefgelaufen war, denn sie selbst bevorzugte alles ein bisschen … dezenter.

„Dir ist hoffentlich klar, dass deine Heimkehr für uns alle etwas ganz Besonderes ist“, meinte Jill, während sie eine von Merediths Taschen ins Haus wuchtete und gegen eine rote Affenstatue lehnte. Zum Glück hatte diese zumindest kein Echthaar wie die afrikanische Maske, die darüber an der Wand hing.

Meredith wischte ein paar Kekskrümel von einem Zweisitzersofa mit verschlissenem grünem Bezug.

„Nein, setz dich nicht drauf. Ein Bein ist abgebrochen. Nimm lieber die andere Couch.“

„Okay. Aber warum steht es noch hier, wenn es kaputt ist?“ Sie räumte ein paar rote, gelbe und blaue Kissen zur Seite und nahm auf dem orangefarbenen Monstrum Platz.

„Weil ich es mag. Nur weil der Stoff ein bisschen abgeschabt ist, muss man es ja nicht gleich wegwerfen.“

„Da würde Großvater dir sicher zustimmen.“

Jill stellte zwei Bier aus einer kleinen Brauerei auf den abgenutzten, dunkelviolett lackierten Tisch. „So, und jetzt heraus mit der Wahrheit. Ich habe gehört, was du Großvater gesagt hast. Aber wie gehst du tatsächlich damit um, wie Rick-the-Dick sich benimmt? Hey, wir könnten ihn künftig ‚Tricky Dicky‘ nennen.“

„Bitte keine Anspielung auf Nixon“, erwiderte Meredith, als ihre Schwester ihrem Exmann den gleichen Spitznamen wie dem ehemaligen US-Präsidenten verpassen wollte. „Ich nehme mein Leben selbst in die Hand. Mit Richards Spielchen bin ich durch, und ich habe ihm klargemacht, dass er mich da raushalten soll.“

Pathetisch hielt Jill ihr Bier an den Busen gedrückt. „Gut. Mögen seine Eier verschrumpeln.“

„Genau.“ Meredith trank einen Schluck. Das intensive Aroma brannte auf der Zunge und brachte sie zum Husten. „Wow! Was zum Teufel ist das?“

„Kürbisbier. Jemma und ich lieben es.“ Jill lehnte sich in dem lilafarbenen Sessel zurück, über dem eine breite limonengrüne Decke lag.

„Widerlich. Ich stehe mehr auf Kürbiskuchen. Wer braut denn aus so was Bier?“

„Jemand, der betrunken in einem Kürbisfeld aufwachte und eine Eingebung hatte. Bist du etwa eine von diesen versnobten Weintrinkerinnen geworden in New York?“

Ausgelassen warf Meredith ein Kissen nach ihrer Schwester. „Und wenn? Wirst du mich dann verstoßen, Kürbiskopf?“

„Auf keinen Fall. Ich freue mich viel zu sehr, dass du wieder hier bist, wenn auch nur für kurze Zeit. Mom ist überglücklich, den Winter im Süden verbringen zu können. Du weißt, wie gern sie in Sedona ist, und diese Reise wird ihnen beiden guttun. Sie hat Dad für alle möglichen Kurse angemeldet – Yoga, Entgiftung mit Obstsäften, du weißt schon. Er beklagt sich zwar darüber, aber insgeheim ist er selbst auch besorgt, schätze ich.“

Meredith zog ihre Schuhe aus. „Natürlich, ich auch. Sie wirken so … alt.“ Ihre Brust war plötzlich wie zugeschnürt, und sie fühlte sich, als würden die vielen Sofakissen sie ersticken.

„Großvater ist dagegen noch ziemlich rüstig. Stahlhart, der Mann. Pass bloß auf, er hat Pläne für dich.“

„Das ist mir klar.“

Genau wie sie war auch Arthur Hale nach New York gegangen, um dort das Zeitungsgeschäft von der Pike auf zu lernen. Allerdings war er zurückgekommen in seine Heimatstadt. Sie dagegen hatte beschlossen, dort zu bleiben. Na ja, jetzt war sie hier – zumindest für einige Zeit.

„Hast du was Stärkeres?“

„Nein, nur Bier“, antwortete Jill bedauernd. „Du hast ganz vage angedeutet, dass du nebenbei einen Artikel für Karen schreiben willst. Worum geht es da?“

„Es ist nur so eine Idee, die entstanden ist, während ich in dem Buchladen alle Bücher von Nora Roberts und J. D. Robb gekauft habe, die seit meiner Scheidung erschienen sind.“

„Nun sag schon“, drängte Jill und nahm neben ihr auf der Couch Platz.

Der Augenblick der Wahrheit war gekommen.

„Ich will eine ganz besondere Story schreiben.“ Und dann erzählte sie ihrer Schwester, was sie vorhatte.

Euphorisch stellte Jill ihr Bier auf den Tisch und fasste Meredith an den Armen. „Das klingt ja großartig, Mere! Das ist die beste Idee, die du je hattest. Nora-Roberts-Land. Gefällt mir!“ Sie sprang auf und drehte die Stereoanlage auf. Dancing Queen ertönte. Jill hatte einen Hang zur Dramatik.

„Ich bin froh, dass du die Idee gut findest“, schrie Meredith dagegen an. „Du bist die Einzige, der ich davon erzählt habe.“

„Wahnsinn! Nora Roberts.“ Jill tänzelte zu einem unordentlichen Bücherregal und holte zielsicher ein Buch heraus. „Sie ist die Oprah Winfrey des geschriebenen Worts.“ Mit dem Roman Das Haus der Donna in der Hand ließ Jill sich wieder in den Sessel fallen. „Eine irre Idee!“

„Nun, der Wille zumindest ist da. Ich werde nicht mehr zulassen, dass Rick-the-Dick mein Leben zerstört. Allerdings wird mir allein bei dem Gedanken schon übel, jetzt wieder anfangen zu müssen, mich mit Männern zu treffen.“ Sie setzte ihr Bier ab. Ein Säuremittel wäre jetzt hilfreich.

„Das wird schon!“ Mit glänzenden Augen zog Jill ihre Schwester vom Sofa hoch. „Ich unterstütze dich. Schließlich kenne ich die meisten der Junggesellen im Ort. Mein Café ist ja so etwas wie ein Dreh- und Angelpunkt.“ Sie umarmte Meredith. „Ich freue mich so für dich. Es war schlimm, dich so traurig zu sehen. Du hast es verdient, einen wundervollen Mann zu finden, Mere. Einen Helden aus dem Nora-Roberts-Land.“

Meredith drückte ihr Gesicht an Jills Scheitel. Sie war keineswegs überzeugt, dass irgendwo da draußen ein guter Mann auf sie wartete oder dass sie überhaupt schon bereit war für eine neue Beziehung. Doch sie würde es nach Kräften versuchen. Karen war von ihrer Idee begeistert gewesen, und sie schätzte, dass die weibliche Leserschaft verrückt danach sein würde.

„Verrat bloß niemanden etwas darüber“, flüsterte sie und atmete den Duft von Jills Körperlotion ein, der an Kekse erinnerte.

Ihre Schwester löste sich von ihr. „Natürlich nicht, schließlich wollen wir ja nicht die Pferde scheu machen.“ Danach seufzte sie wohlig auf. „Oh Mere, ich bin so glücklich, dass du da bist. Und wenn du tatsächlich deinem Mr Right begegnest, bleibst du vielleicht sogar für immer.“

„So wird es nicht funktionieren, Jill“, warnte Meredith sie, während sie innerlich bebte. Sie stellte die Musik leiser. „Ich lebe gern in New York. Und ich habe einen guten Job dort.“

Jill erstarrte in ihrer Bewegung. „Blödsinn. Zum Schluss ging es dir miserabel. Warum solltest du irgendwohin zurückkehren, wo du völlig verzweifelt warst? Und wenn Rick-the-Dick tatsächlich für den Senat kandidiert, wird eure ganze Scheidungsgeschichte ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Vergiss nicht, was der Schuft dir angetan hat.“

„Wer könnte das besser wissen als ich?“

Sie hatte nie darüber gesprochen, dass sie ihn mit einer Prostituierten erwischt hatte. Ihrer Familie hatte sie nur gesagt, er sei ein notorischer Fremdgänger, aber das ganze Huren-Ding machte es noch weit schlimmer. Ihr Ehemann hatte eine andere Frau für Sex bezahlt. Auf die Frage, warum er ihr das angetan habe, hatte er nur geantwortet, er habe sich nach Professionellen gesehnt. Was das zwischen den Zeilen bedeutete, stand noch immer unausgesprochen zwischen ihnen und verpestete die Atmosphäre.

Unruhig bewegte Jill sich durch den Raum. „Du hast dich für ihn verändert, weil du geliebt werden wolltest. Erkennst du das nicht? Je mehr er die Frau liebte, die zu sein du vorgegeben hast, umso weniger hast du dich selbst gemocht. Und was ist dann passiert?“

Meredith senkte den Blick. „Er hat aufgehört, mich zu lieben, weil ich keine Selbstachtung mehr hatte.“

Liebevoll umfasste Jill das Gesicht ihrer Schwester mit den Händen. „Dieser Mann ist viel zu selbstsüchtig und rücksichtslos, um irgendjemanden zu lieben – außer sich selbst. Das weißt du genau.“

Gimme, Gimme, Gimme A Man After Midnight sangen ABBA.

„Hier drinnen ist mir das eigentlich klar.“ Meredith tippte sich an die Stirn. „Aber ich fühle es hier nicht“, und damit presste sie die Handfläche auf ihr Herz.

Jill schlang die Arme um sie. „Doch, das wirst du, Mere. Glaube mir.“

Wie gut, dass es Schwestern gab! Sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. Ihre neue Story wartete auf sie. Keine Zeit für Selbstmitleid.

„So, willst du jetzt meine neue Unterwäsche sehen?“

Lachend ließ Jill sie los. „Gern, aber vorher brauche ich noch ein Bier.“ Damit tänzelte sie beschwingt in die kleine Küche.

Ein guter Zeitpunkt für weitere Geständnisse, befand Meredith. „Die Unterwäsche hängt übrigens mit meinem Alter Ego zusammen, das ich mir nach der Scheidung zugelegt habe“, rief sie in die Küche. „Eine Superheldin.“

Mit einem Plopp öffnete Jill ihr zweites Bier. „Hast du auch einen Umhang?“

Grinsend legte Meredith den Finger an die Lippen. „Noch nicht.“

Vorsichtig, als wäre es feinste chinesische Seide, befühlte Jill die Dessous ihrer Schwester. Ein kleiner Stich von Eifersucht durchfuhr sie. Insgeheim sehnte sie sich danach, die Art von Frau zu sein, die solche heiße Wäsche trug.

„Ich werde deine neuen Initialen auf einige der Stücke sticken“, bot sie an. „SW – Scheidungs-Woman. Dann wirst du dich erst recht wie eine Superheldin darin fühlen. Die Sachen sind wunderschön.“

Sie konnte es kaum fassen, dass ihre Schwester die bequemen Baumwollslips aufgegeben hatte, um sich sexy und begehrenswert zu fühlen. Wenn Meredith in diesen Dessous ihr Selbstbewusstsein nicht zurückeroberte …

„Der glückliche Mann – oder die glücklichen Männer der Stadt, die dich in diesen Sachen sehen, werden den Verstand verlieren.“

Ihre Schwester wurde tatsächlich rot, also setzte sie noch eins drauf. So waren Schwestern eben. „Beim ersten Mal werden sie schon nach dreißig Sekunden fertig sein, danach werden sie sich vielleicht besser im Griff haben.“

Aufgrund ihrer geringen sexuellen Erfahrungen konnte Jill nur hoffen, dass ihre große Liebe – wenn sie sie denn eines Tages fand – die ganze Nacht durchhielte. So wie die Helden bei Nora Roberts.

„Es ist nicht so, dass ich ständig mit irgendwelchen Typen schlafe“, erinnerte Meredith sie.

„Stimmt“, murmelte Jill. „Da war dieser Junge am College, dann der Mann, mit dem du zusammen warst, als du nach New York gezogen bist, und schließlich Rick. Wir müssen einen echten Kerl für dich finden, Süße“, stellte sie fest.

„Du bist unverbesserlich.“

„Das behauptet Großvater auch immer.“ Sie stieß gegen ein Regal und fiel neben ihrer Schwester aufs Sofa. „Wir brauchen einen Plan.“

„Wir?“

„Ich bin sozusagen deine Kupplerin.“

Meredith stupste sie an. „Nur über meine Leiche.“

„Meinst du nicht, dass wir viel Spaß hätten?“

Mit einem großen Kissen schlug Meredith ihr auf den Kopf. „Na klar, ich bin eine geschiedene Superheldin und lasse mich von meiner Schwester verkuppeln. Unglaublich witzig.“

Rasch sprang Jill auf und sah sich die Bücher an, die Meredith in den größeren ihrer Koffer gepackt hatte. „Irgendwie hast du deinen Sinn für Humor verloren. Erzähl schon, Scheidungs-Woman, wer ist dein Lieblingsheld in den Nora-Roberts-Romanen? Beichte!“

Meredith verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Das ist ungefähr so eine Frage wie nach dem Lieblingsessen.“

Triumphierend hielt Jill eines der Bücher hoch. „Meiner ist Roarke. Ganz ohne Zweifel. Dieser Typ ist so heiß, dass ich darüber eine Ode schreiben könnte.“ Schließlich legte sie den Roman von J. D. Robb wieder zur Seite. „Doch einen Typen wie Roarke werden wir hier nicht finden.“

„Gut, aber ich werde mir wenigstens vorstellen, dass es möglich wäre.“ Mit sicherem Griff zog Meredith Tief im Herzen heraus. „Ah, mein erster Nora-Roberts-Roman. Es gibt kaum jemanden, der heißer ist als Cameron Quinn.“

„Stimmt. Ein knallharter Rennfahrer kehrt nach dem Tod seines Vaters nach Hause zurück und übernimmt die Verantwortung für einen kleinen Jungen. Großartig! Aber sein in der Werbebranche tätiger Bruder Phillip Quinn aus Hafen der Träume war auch unglaublich, allerdings ein bisschen zu großstädtisch für meinen Geschmack. Der Typ hat gejammert, wie schwer es ist, Blutflecken aus einer Baumwollmischung herauszubekommen, erinnerst du dich?“

„Stimmt, er war so ein versnobter Weinkenner wie ich. Wir wären ein Traumpaar.“

„Haha. Gut, nenn mir noch zwei.“ Jill lehnte sich an den Koffer. Seit Meredith sich in Rick-the-Dick verliebt hatte, war sie unsicher, welcher Typ Mann ihre Schwester ansprach. „Damit ich weiß, wonach ich suchen muss. Es müssen Naturburschen, Kleinstadt-Jungs sein.“

Meredith machte es sich bequem. „Wie wär’s mit Bradley Vane aus Zeit des Glücks? Besitzer einer erfolgreichen Baumarktkette, der heiß in einem Anzug aussieht, aber auch keine Angst hat, sich die Hände schmutzig zu machen.“

„Ich liebe die Zeit-Trilogie. Es ist großartig, welche teuflischen Schlachten sich die Heldinnen mit ihren attraktiven Helden liefern. Weiter.“

Nachdenklich legte Meredith den Finger an die Lippen, dann lächelte sie geheimnisvoll. „Ein ganz altes Schätzchen. Wie findest du Alex Stanislaski aus Die Stanislaskis: Heißkalte Sehnsucht? Er liebt rothaarige Frauen, und ich stehe auf diesen raubeinigen Detective. Auch wenn mir Handschellen im Bett wahrscheinlich einen Riesenschrecken einjagen würden.“

Jill heulte auf. „Oh Mere, übertreib nicht! Mir gefällt sein Bruder Mikhail aus Die Stanislaskis: Verführung in Manhattan. Aber generell stehe ich auf den heißblütigen, künstlerischen Typ.“

„Wahrscheinlich würde jeder Künstler die Affäre mit dir spätestens dann beenden, wenn er herausfände, dass du deinen Couchtisch lila gestrichen hast.“

„Dann würden wir erst darüber diskutieren und später eine wilde Nacht miteinander verbringen. Dafür würde ich sogar all meine Möbel violett lackieren.“

Erneut schlug Meredith mit dem Kissen nach ihr, und die Schwestern rangelten miteinander, bis sie keuchend voneinander abließen.

Mit einem weiteren Buch griff Jill das Thema wieder auf. „Was hältst du von den MacGregors?“

„Wer mag die nicht? Doch die sind weit davon entfernt, als Kleinstadttypen durchzugehen. Immerhin sind sie so reich wie Krösus.“

„Wie wer?“

„Ach, egal.“

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