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Minecraft. Das Schloss

hier erhältlich:

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Ein neues, episches Minecraft-Abenteuer beginnt!

Rajah würde alles tun, um ein großer Abenteurer zu werden. Aber wie soll er das schaffen, wenn sein Vater bereits jedes erdenkliche Abenteuer gemeistert hat?
Sein Diener Pal und seine Knappin Faith tun, was sie können, um zu helfen, doch so sehr er sich auch anstrengt, Rajah ist für niemanden ein Held.
Alles ändert sich, als Rajah, Pal und Faith am Ende eines weiteren missglückten Tages eine Karte finden. Sie führt zu dem einzigen Ort, den Rajahs Vater nie erobert hat: einem legendären Schloss, das Gerüchten zufolge die wundersamen Erfindungen einer geheimnisvollen verlorenen Zivilisation beherbergt.
Endlich hat das größte Abenteuer ihres Lebens begonnen. Die drei Freunde müssen gefährliche Sümpfe durchqueren, hohe Berge erklimmen und ihren wahren Wert entdecken. Das ist der einzige Weg, um ihr fernes Ziel zu erreichen: Schloss Redstone!


  • Erscheinungstag: 19.11.2024
  • Aus der Serie: Minecraft Romane
  • Seitenanzahl: 272
  • Altersempfehlung: 12
  • Format: Hardcover
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505151781

Leseprobe

Für alle Gamer,
ob Neuling oder alte Schule.

Kapitel 1

»Au! Das tat weh!«

»Tut mir leid, Majestät. Ich versuche, vorsichtiger zu sein. Aber die Pfeile stecken ziemlich tief. Nur noch eine Minute still liegen, gleich ist es geschafft.«

Pal umfasste entschlossen den Schaft des letzten Pfeils. Wie hatten die Angreifer so präzise getroffen? Drei Geschosse, genau in Sir Rajahs Hinterteil. Zum Glück war er an der Stelle gut gepolstert, sonst hätte es viel schlimmer enden können. Pal drehte das Geschoss sanft um die eigene Achse. »Du bist sehr tapfer.«

»Natürlich bin ich das! Tapferkeit ist mein zweiter Vorname! Es braucht schon mehr als ein paar … AU

Pal hielt triumphierend den letzten Pfeil hoch. »Ha! Das wäre geschafft!«

Er warf ihn ins Feuer und wühlte in seinem Rucksack. »Uns geht langsam das Essen aus. Wir müssen in die Stadt und Nachschub kaufen.«

Faith stocherte in den Flammen, um die Glut anzufachen. »Womit? Wir haben seit Wochen keine Schätze gefunden. Und wie auch …? Wir sind ja immer nur mit Wegrennen beschäftigt. Heute war es nicht anders.«

»Es waren eben zu viele Skelette!«, verteidigte sich Sir Rajah und machte Anstalten, sich die Hose hochzuziehen. »Außerdem war das kein Wegrennen, sondern ein taktischer Rückzug! Das sind zwei völlig verschiedene Dinge«, schnaubte er abfällig. »Aber was verstehst du schon von echtem Militärjargon?«

»Ich verstehe genug, um zu wissen, dass wir nie umzingelt worden wären, wenn wir meinen Rat befolgt und uns zwischen den Bäumen versteckt hätten«, konterte Faith verdrießlich.

Rajah schnaubte schon wieder. »Versteckt? Wie Feiglinge? Das ist kein angemessenes Verhalten für wahre Helden. Die stellen sich ihren Gegnern – beherzt und mit dem Schwert in der Hand … Wo ist eigentlich mein Schwert?«

Pal hob die Diamantklinge auf. »Hier, bitte, Majestät. Aber sei vorsichtig damit. Herzensbrecher sieht etwas … mitgenommen aus.«

»Unsinn! Diese Waffe ist immer noch die beste im ganzen Reich!« Sir Rajah fuchtelte damit herum und malte eine große Acht in die Luft. »Im Nahkampf hätte kein Skelett auch nur den Hauch einer Chance gegen mich. Ich würde sie allesamt im Handumdrehen zu Knochenmehl verarbeiten!«

»Natürlich würdest du das. Sie haben uns nur kalt erwischt, das ist alles. Genau genommen haben sie geschummelt. Kein Skelett kann sich mit dem großartigen Sir Rajah und seinem mächtigen Herzensbrecher messen, dem Heldenschwert!«

»So ist es!«, bekräftigte Sir Rajah und stach energisch auf die Luft ein. »Wenn sie jetzt auftauchen würden, würde ich sie allesamt abschlachten! Ich würde … hey, was war das?«

Ein Geräusch aus der Dunkelheit jenseits des Lagerfeuers hatte ihn jäh unterbrochen. Pal schnappte sich seine eigene Waffe – eine grobschlächtige Steinaxt – und spähte in die Nachtschwärze. Irgendetwas war da draußen. Sie alle hatten den Schritt gehört, der ein morsches Zweiglein hatte zerbrechen lassen. Die anderen standen auf, und Sir Rajah stöhnte, als er die Hose endlich über sein schmerzendes Hinterteil zog. Faith positionierte sich mit angelegtem Pfeil neben ihn.

Pal musterte seine beiden Gefährten. Wie hatte es nur so weit kommen können? Als sie das Anwesen verlassen hatten, waren sie noch voller Eifer gewesen. Sie waren losgezogen, um Helden zu werden, fest entschlossen, Monster zu besiegen, den Bedürftigen zu helfen und nebenbei einen Schatzhort von enormen Ausmaßen anzuhäufen. Aber ihr Traum vom Abenteuer hatte schnell der kalten Realität verregneter Nächte, eisiger Morgenspaziergänge und faden Seegrases zum Frühstück Platz gemacht. Wer hätte gedacht, dass sich Sir Rajah davor scheuen würde, Tiere zu töten, um an ihr Fleisch zu kommen? Was würde Pal jetzt nicht für ein paar Stücke Hammelfleisch geben!

Vielleicht war es an der Zeit, sich einzugestehen, dass nicht jeder dazu bestimmt war, ein Held zu sein. Sie könnten einfach ihre Siebensachen zusammenpacken und nach Hause zurückkehren. Lord Maharajah würde sie bestimmt wieder aufnehmen … oder? Tief im Inneren hatte der Lord doch bestimmt immer geahnt, dass sein Sohn für dieses Leben nicht gemacht war. Das hatte er Pal am Abreisetag sogar durch die Blume zu verstehen gegeben.

Pal versuchte, sich daran zu erinnern, wie sein Zimmer im Anwesen ausgesehen hatte. Welche Farbe hatte sein Bettzeug? Rot? Braun? So oder so war es jedenfalls gemütlich und warm gewesen.

Du hast nur Heimweh. Du gewöhnst dich schon noch daran.

Aber woran genau? Daran, ständig vor irgendetwas schreiend wegzurennen? Jede Nacht mit einem offenen Auge zu schlafen? Faiths und Rajahs Streitereien zuzuhören? War es das wert?

Wozu sonst bist du gut? Schließlich bist du ein Knappe.

Genau, das war er. Seine Aufgabe bestand darin, für andere da zu sein. Zum Beispiel Rajah zum Weitermachen zu motivieren, wenn die Lage brenzlig wurde – so wie heute Abend. Pal warf einen Blick über die Schulter. Rajah hielt Herzensbrecher fest umklammert und drehte sich um die eigene Achse. Schweiß stand ihm auf der Stirn, und seine Augen waren vor Angst weit aufgerissen.

Irgendetwas war da draußen, so viel war klar.

Pal wünschte, seine Gruppe wäre mehr wie die Bravos. Das war mal ein echter Heldentrupp! Pal war ihnen vor einer Weile begegnet – sie waren auf dem Rückweg von irgendeiner Quest gewesen, beladen mit Juwelen und Schätzen, und hatten damit geprahlt, wie viele Monster sie erledigt hatten. Sie besaßen die besten Rüstungen und schimmernde, rasiermesserscharfe Waffen. Schon bald würde man im ganzen Reich von ihren legendären Taten singen. Rajah hatte knurrend geschworen, von seiner nächsten Quest mindestens doppelt so viele Reichtümer mitzubringen … und nun waren sie hier, hoffnungslos verirrt in einem finsteren Wald voller Skelette und … noch etwas.

Pal umfasste seine Axt mit beiden Händen. Faiths Bogen knarzte, als sie die Sehne spannte.

Das Etwas kam näher.

Was war es? Kein Skelett, so viel war sicher. Pal erkannte das typische Klappern mittlerweile im Schlaf. Auch keine Zombies. Mit denen hatten sie ein noch größeres Desaster erlebt … In der Hoffnung auf einen vergessenen Schatz hatten sie eine uralte Ruine abgesucht und dabei die Zeit vergessen. Gerade einmal die Hälfte hatten sie geschafft, als mit einem Mal die Sonne untergegangen war und die Finsternis von gruseligem Gestöhn erfüllt wurde. Zombies – vom Mondlicht angelockt – waren scharenweise aus allen Ecken der umliegenden Ruinen geströmt. Rajahs Trupp war im Handumdrehen umzingelt worden. Es war nur Faith zu verdanken, dass sie überhaupt noch lebten. Sie hatte einen Fluchtweg gefunden – von einer bröckelnden Mauer zur nächsten waren sie gesprungen und hatten so die Lücken zwischen den ehemaligen Häusern überquert, in deren Nischen zahllose Untote lauerten. Es war extrem knapp gewesen.

»Ich sehe ihn«, sagte Faith.

»Wen?«, hakte Pal nach. »Ich sehe nichts …«

Faith ließ die Bogensehne los, und der Pfeil sauste in die Finsternis. Ein wildes, wütendes Zischen ertönte; kurz darauf tauchte ein großer, grün gefleckter Schrecken vor ihnen auf. Die Kreatur zischte erneut, als Faith einen weiteren Pfeil versenkte.

»Ein Creeper!«, brüllte Rajah. »Lauft!«

Aber Faith hatte den dritten Pfeil bereits angelegt. »Wir können ihn besiegen, Rajah! Du musst hierbleiben und dich ihm stellen!«

Pal war ratlos … was sollte er tun? Der Creeper hatte sie fast erreicht. Faiths nächster Pfeil verfehlte, und das grüne Monstrum sprang unbeirrt über einen umgestürzten Baum.

»Lauft weg!«, wiederholte Rajah.

»Wir müssen kämpfen!«, beharrte Faith und legte ihren letzten Pfeil an.

Weglaufen? Oder kämpfen? Weglaufen? Oder kämpfen?

Pal wusste nicht, was er tun sollte! Warum nur hatten sie das Anwesen verlassen?

Der Creeper zischte.

Das war schlecht. Sehr schlecht.

»Er hat recht! Lauf!«, rief Pal, packte Faith am Arm, wodurch auch ihr letztes Geschoss verfehlte und in den Nachthimmel sauste. Es spielte keine Rolle. Er würde ihr später neue Pfeile machen. Sie bedachte ihn mit einem finsteren Blick, aber er war zu beschäftigt damit, sie aus der Gefahrenzone zu ziehen, um es zu bemerken.

Rajah war ihnen weit voraus. Hals über Kopf floh er in den Wald. Das war also der Held, dem Pal Gefolgschaft geschworen hatte? All ihr Zeug war noch am Lagerfeuer!

Das Zischen hörte auf.

Pal sah sich um. Vielleicht bestand noch Hoffnung, dass …

Der Creeper explodierte mitten im Lager. Die Druckwelle vernichtete alles und tauchte die kleine Lichtung für einen winzigen Moment in gleißendes Licht. Die Wucht der Sprengung entwurzelte mehrere Bäume, wirbelte einen Haufen Erde und Schutt auf und schleuderte die drei nach hinten. Pal schrie, als er den Halt verlor und Faith loslassen musste. Zwei-, dreimal wurde er um die eigene Achse gewirbelt, alles war verschwommen und dann … Rumms! Er traf hart auf den Boden auf, ein Hagel aus Erde ging auf ihn nieder. Dann wurde es um ihn herum schwarz.

Kapitel 2

»Wie geht’s deinem Kopf?«, fragte Pal und setzte sich zu Faith an den Tisch.

»Mein Schädel dröhnt immer noch nach der Creeper-Explosion.« Faith rieb sich übers Gesicht. »Es wird ewig dauern, bis meine Augenbrauen nachgewachsen sind.«

Wie sie es hierhergeschafft hatten, war Pal immer noch ein Rätsel. Seine erste Erinnerung nach der Explosion war das Erwachen in dem kleinen, wackligen Bett eines Gasthauses. Unten hatte er Rajahs Stimme gehört, der sich über kalten Hammelbraten beschwerte, und die von Faith, die sich wieder einmal mit ihm stritt.

Alles war wie immer … absolut chaotisch.

Also hatte sich Pal an die Werkbank gesetzt. Still hatte er die vorsorglich eingepackten Materialien zur Hand genommen, sich an die Arbeit gemacht und das von unten hallende Gezeter ignoriert. Handarbeit lag ihm, und so konnte er all das Drama zumindest für ein Weilchen ausblenden … Pal tat etwas, das ihm Zufriedenheit gab.

Doch nun war es an der Zeit, den anderen die Früchte seiner Arbeit zu präsentieren.

Im Gasthaus war es brechend voll – typisch für eine billige Absteige wie diese, deren Besitzer ihren Umsatz frei nach dem Motto »Masse statt Klasse« machten. Pal fand Faith an einem Ecktisch. Von Rajah fehlte jede Spur – mutmaßlich war er davongestürmt, gekränkt ob der fehlenden Sitzpolsterung.

»Die hier muntern dich vielleicht ein bisschen auf.« Pal legte die Pfeile auf den Tisch. »Ein Dutzend für deinen Köcher. Fürs nächste Mal.«

Grinsend nahm Faith einen in die Hand. »Gute Arbeit, Pal. Sieh dir nur die feine Befiederung an. Du bist ein echter Künstler, weißt du das?«

»Es sind nur Pfeile, Faith. Nichts Besonderes.«

Prüfend berührte sie die Spitze mit dem Finger und zuckte zurück. »Wenn wir das nächste Mal einem Creeper begegnen, wird er tot sein, kaum dass er in Schussweite kommt. Ich wette, mit diesen Pfeilen kann ich bis zum Horizont schießen.«

Warum machte sie so viel Gewese um ein paar Pfeile? Letztlich waren sie nichts als ein Haufen Stöcke mit Federn und Feuersteinsplittern. Hätte Pal richtig gute Materialien gehabt, könnte er viel tollere Sachen herstellen …

Auf dem Weg in die Stadt waren sie an der Schmiede vorbeigekommen. Verstohlen hatte Pal in das flache, rußgeschwärzte Gebäude gespäht und den Schmied beobachtet, der gerade an einem Schwert mit schimmernder Diamantklinge arbeitete. Das war echte Handwerkskunst. Ein Abenteurer hatte dem Schmied eine schwere Börse voller Smaragde für seine Arbeit gegeben.

Faith schob Pal einen Teller mit Brathühnchen hinüber. »Hier. Ist gar nicht übel.«

Eigentlich hatte er keinen Hunger, aber nahm sich trotzdem einen Hühnerschenkel und kaute lustlos, während er den Blick über die Menge schweifen ließ. »Wo ist Sir Rajah?«

»Auf dem Markt. Er meinte, er will sich dort mit jemandem treffen.«

»Mit wem?«

Faith zuckte mit den Schultern und füllte ihren Köcher mit Pals Pfeilen. Dann hob sie feierlich ihre Hühnchenkeule. »Auf unser nächstes Abenteuer! Möge es uns Ruhm und Gold einbringen!«

»Du bist auffallend gut gelaunt.«

Faith zwinkerte ihm zu. »Unsere Pechsträhne ist bald zu Ende. Ich fühle es, Pal. Wir brauchen nur noch ein bisschen mehr Zeit, um uns zurechtzufinden. Anfangs gibt’s immer Rückschläge – das ist ganz normal. Man wird schließlich nicht über Nacht zu einem Helden wie Lord Maharajah. Ihm sind zu Beginn seiner Karriere bestimmt auch Missgeschicke passiert. Umso süßer schmecken danach die Siege, oder?«

»Das beantworte ich dir, sobald wir einen erlebt haben.«

Sie stieß ihn sanft mit der Schulter an. »Komm schon, Pal. Das ist erst der Anfang. Ich gebe zu, Rajah hat nicht so viel von seinem alten Herrn, wie ich gehofft hatte, aber immerhin hat er Herzensbrecher. Hat sein Vater damit nicht den Enderdrachen besiegt?«

„So erzählt man sich jedenfalls. Aber das ist lange her, und Herzensbrecher ist nicht mehr die Klinge, die sie damals war. Hast du gehört, wie sie scheppert, wenn Rajah etwas damit schlägt? Es klingt irgendwie … falsch.

»Es ist ein Diamantschwert. Besser geht’s kaum.«

Stimmte das wirklich? Pal war sich da nicht so sicher.

„Ich sage nur, ich glaube, es muss dringend repariert werden.

Faith seufzte. »Dafür bräuchten wir Diamanten.«

Genau das war das Problem. Sie besaßen keine. Sie besaßen überhaupt nicht mehr viel. Rajahs Rüstung hatte starke Abnutzungserscheinungen, Herzensbrecher wurde langsam stumpf, und Pal konnte nichts tun, als ein paar Pfeile herzustellen. Mit einer derart erbärmlichen Ausrüstung würden sie nie im Leben eine große Festung erobern. Er nagte das letzte bisschen Fleisch von seiner Keule ab und warf den Knochen einer streunenden Katze hin, die am Rand des Marktplatzes lauerte. Gierig schnappte das fast zahnlose Maul zu, und das alte Tier huschte davon. Es erinnerte Pal an seine Gruppe – zahnlose Aasgeier, die sich um die kläglichen Reste anderer balgten.

»Du hast wieder diesen Blick«, sagte Faith und legte ihm den Arm um die Schultern. »Das Blatt wird sich wenden, wart’s nur ab.«

»Wann, Faith? Bist du es nicht leid, darauf zu warten?«

»Du musst eben … oh, sieh an. Der Boss ist wieder da, und es scheint, als hätte er einen Freund gefunden.«

Rajah drängelte sich durchs Marktplatzgewimmel. Er sah … eigenartig aus. Er lächelte – grinste regelrecht –, und das war alles andere als normal. Neben ihm lief ein fremder Mann – dem Aussehen nach zu urteilen ein Händler. Rajah schob sich energisch an zwei Anwohnern vorbei, schob seinen Begleiter auf die Bank und setzte sich neben ihn. Rajahs Augen funkelten. »Ich habe unsere nächste Quest gefunden. Und diesmal ist es etwas richtig Großes.« Er stupste den Mann an. »Darf ich vorstellen, das ist der Kartenmacher.«

Der Mann tippte sich zur Begrüßung an den Hut. »Guten Abend, allerseits. Welch eine Freude und Ehre, euch zu begegnen.«

»Zeig ihnen, was du hast«, forderte Rajah ihn auf.

Der Kartenmacher setzte sich kerzengerade hin und hob stolz – und ein bisschen selbstgefällig – das Kinn. »Was ich euch gleich zeigen werde, wurde seit Urzeiten über Generationen weitergegeben. Es handelt sich um einen Hinweis auf einen Schatz, der alles bisher Gewesene überstrahlt. Wenn ihr diese Quest erfolgreich abschließt, meine Freunde, werdet ihr mehr als nur Helden sein – ihr werdet zu Legenden.«

»Zeig uns einfach, was du hast«, warf Pal ungeduldig ein. Für ihn klang der Kerl wie ein gemeiner Betrüger. Rajah schien solche Typen geradezu magisch anzuziehen – so als könnten sie seine Naivität meilenweit riechen. Sie waren schon mehr als einem von der Sorte auf den Leim gegangen und hatten dabei viel verloren.

Der Kartenmacher schien Pals Vorsicht zu bemerken. Er räusperte sich geräuschvoll und griff in seine Tasche. »Diese Karte ist echt, liebe Freunde.«

Das Papier war vergilbt und sah ziemlich mitgenommen aus. Unendlich vorsichtig faltete er es auseinander – immer noch nicht vorsichtig genug, so schien es, denn das Dokument sah aus, als würde es ihm jeden Moment unter den Fingern zerbröseln. Faith schob eine Kerze näher. »Also dann, was haben wir hier? Wieder eine Schatzkarte?«

Rajah schüttelte den Kopf. »Die Schatzkarte.«

Pal ließ den Blick über das Papier streifen. Die Tinte war lange verblasst, und er verstand die Sprache nicht, aber einige Details kamen ihm bekannt vor. Ein Fluss, ein paar Berge, ein Sumpf und eine große Stadt. »Wo führt sie hin?«

Rajah ließ langsam die Hand niedersinken und zeigte auf die mit blassroter Tinte eingezeichnete Stadt. »Schloss Redstone.«

Kapitel 3

Pal tippte auf das zerknitterte Papier, das zwischen ihnen ausgebreitet lag. »Schon wieder? Komm schon, Majestät, dieser Mann ist eindeutig nur ein weiterer Betrüger … und diese Karte nur eine weitere – wenn auch sehr gute – Fälschung.«

Rajah blickte ihn finster an. »Ich lasse dir den kumpelhaften Ton durchgehen, weil ich weiß, dass mein Vater dich schätzt, Pal. Aber ich bin der Anführer dieser Gruppe. Ich treffe die Entscheidungen. Vergiss das nie.«

»Hast du ihm gesagt, wer du bist?«

»Natürlich. Wieso auch nicht?«

»Dann weiß er Bescheid, Majestät. Er weiß genau, wie viel es dir und deiner Familie bedeutet. Lass dich nicht von ihm an der Nase herumführen. Wir müssen vernünftig handeln.«

Der Kartenmacher seufzte – ein wenig theatralisch – und machte Anstalten, seine Karte zusammenzufalten. »Nun, wenn ihr die Echtheit dieses Dokuments bezweifelt … ich habe genug potenzielle Käufer. Einen schönen Abend noch.«

Der Mann erhob sich, und Rajah griff nach seinem Ärmel, um ihn aufzuhalten. »Warte noch, guter Mann. Niemand hier zweifelt an der Echtheit deiner Karte. Jedenfalls niemand, der etwas zu sagen hätte.«

»Majestät, ich versuche doch nur, dich zu beschützen. Dieser Mann ist …«

»Genug jetzt, es reicht!« Rajah beugte sich über den Tisch. Sein Blick brannte vor unterdrücktem Zorn. »Wer hat hier das Sagen? Hm?«

Pal hätte sich gern dieses eine Mal gegen ihn aufgelehnt. Rajah war noch ein Junge, dem gerade die ersten flaumigen Härchen am Kinn wuchsen und der verzweifelt versuchte, sich in einer Welt als großer, starker Mann zu beweisen, die sich nicht um ihn scherte. Pal war schon viel herumgekommen und wusste, dass Leute wie Rajah früher oder später untergingen, wenn sie niemand beschützte. Genau darum hatte ihn Lord Maharajah gebeten … seinen Sohn zu beschützen.

»Ich warte«, hakte Rajah nach.

»Du, Majestät.« Pal konnte nicht anders. Er hatte zu viele Jahre als Diener hinter sich, um dem Jungen die Stirn zu bieten. Er war nicht wie Faith.

»Vergiss das niemals, Knappe.«

Was sollte er tun? Pal sah den Triumph in den Augen des Kartenmachers aufblitzen. Der Schwindler konnte es sich leisten, selbstgefällig vor sich hin zu grinsen, denn er wusste, was immer Pal tat oder sagte, würde auf taube Ohren treffen. Das Einzige, worauf Rajah jetzt noch reagieren würde, waren die Worte »Schloss Redstone«.

Pal wünschte, er hätte diesen Namen nie gehört. Er wurde langsam zu einem Fluch.

Der Kartenmacher strich seine Ärmel glatt und nahm erneut Platz. »Wie ihr seht, ist diese Karte sehr alt und empfindlich … und zugegebenermaßen nicht makellos. Die linke Ecke ist beschädigt, sodass manche Details verschwommen sind. Dennoch schwöre ich, dass sie euch nach Schloss Redstone führen wird – dem Ort des Verderbens zahlreicher großer Helden. Wie viele Gruppen sind in die Wildnis hinausgezogen, um es zu suchen …? Dieses Herz einer uralten, lange vergessenen Zivilisation, bestehend aus Meistern einer Technologie, die wir heute kaum noch verstehen … des geheimnisvollen Redstone.«

Rajah hing verzückt an seinen Lippen und strich sanft mit den Fingern über das Papier. »Mein Vater hat sein halbes Leben mit der Suche nach dem Schloss zugebracht – ein Mann, der sich ins Ende gewagt und sogar den Enderdrachen besiegt hat, aber nie das Glück hatte, auch nur in die Nähe von Schloss Redstone zu gelangen. Sieh dir die Schrift an, Pal. Sie stammt aus uralten Zeiten.«

»Wenn du es sagst, Majestät.«

Rajah streifte ihn mit einem neuerlichen ärgerlichen Blick, aber widmete sich sogleich wieder der Karte. »Sie bestätigt einen Teil der Geschichte, die mir mein Vater erzählt hat. Am anderen Ufer des unbekannten Meeres liegt der Sumpf … und dort ist der Bergpass über den Grat der Blitze. Stell dir vor, wir erreichen das Schloss … die Schätze, die wir dort finden werden!«

Aber Pal wusste, das war nicht alles, was sich der Junge von dieser Karte versprach. Rajah lebte im Schatten seines Vaters. Einfach jeder hatte schon vom großen Lord Maharajah gehört. Wie musste es sich anfühlen, der Sohn des größten Helden im ganzen Reich zu sein? Wenn auch nur die kleinste Chance bestand, sich zu beweisen, musste Rajah sie ergreifen. Eine Chance wie diese. Schloss Redstone zu finden. Falls diese Karte nicht wie ihre fünf Vorgänger war und sich als Fälschung entpuppte. Aber vielleicht hatte Faith ja recht. Vielleicht hatte ihre Pechsträhne endlich ein Ende. Das Problem war nur, dass Pal längst die Hoffnung darauf aufgegeben hatte.

»Ich will sie«, verkündete Rajah.

Natürlich willst du sie. Du Narr.

Der Kartenmacher lächelte väterlich. »Nichts würde mir größere Freude bereiten, als sie dem Sohn des hochgeschätzten Helden des Reiches zu überlassen. Aber an diese Karte zu kommen, hat mich einiges gekostet. Ihr würdet kaum glauben, wie viel … die Summe ist wahrlich schockierend.«

»Komm zum Punkt und nenne deinen Preis«, drängte Pal.

Der Kartenmacher beugte sich über den Tisch und senkte verschwörerisch die Stimme. »Ich komme ohne Weiteres an alles, was es hier auf dem Markt zu kaufen gibt – alles, was in der Oberwelt hergestellt, gezüchtet und gehegt wird. Davon lockt mich nichts … anders als die enormen Schätze, die es in anderen Reichen zu holen gibt.« Er machte eine wedelnde Geste. »Gefährliche Orte, wo nur wahre Helden überleben. Nur dort gibt es Netherit zu finden.«

»Du willst in Netherit bezahlt werden?«, kreischte Pal. »Soll das ein Witz sein?«

Der Kartenmacher zuckte mit den Schultern und griff nach der Karte. »Nun, wenn es euch zu gefährlich ist …«

Rajah ließ beide Handflächen auf die Karte niederfahren. »Warte.«

Was hatte er vor? Pal beugte sich über den Tisch. »Netherit gibt es nur an einem Ort, Majestät, und zwar im Nether. Du glaubst, das Leben hier oben ist hart? Es ist gar nichts im Vergleich zum Nether.«

»Die Geschichten über die Gefahren sind übertrieben, Pal.«

»Selbst dein Vater fürchtet den Nether!«

Kaum hatte er es ausgesprochen, erkannte er seinen Fehler. Nichts spornte den jungen Rajah so sehr zu neuen Großtaten an wie die Erkenntnis, dass sein Vater sie nicht vollbracht hatte. Hilfe suchend wandte sich Pal an Faith, aber die war ganz und gar in die Betrachtung der Karte versunken – und ihren glänzenden Augen nach zu urteilen war sie mindestens ebenso begeistert wie Rajah. Sie strebte nach großen Abenteuern, und eine Reise in den Nether wäre genau das. Falls sie überlebten.

Was nicht passieren würde.

Pal musste an ihren Verstand appellieren. »Kartenmacher, würdest du uns einen Moment allein lassen? Hol dir ein Stück Kuchen.«

Pal sah dem Mann an, dass er langsam ungeduldig wurde. Sie beide wussten, je mehr Zeit sie mit Reden verschwendeten, desto wahrscheinlicher war es, dass Pals übereifrige Gefährten Vernunft annahmen und das Angebot des Händlers doch noch ausschlugen. Widerwillig steckte er die Karte ein, stand auf und verbeugte sich knapp. »Ich lasse euch allein, aber vergesst nicht, dass bereits viele Käufer Schlange stehen, um meine Waren zu erstehen.«

Pal wartete ab, bis er mit der Menge verschmolzen war. »Es ist zu gefährlich. Wir haben kaum unseren Ausflug in den Wald überlebt. Unsere Hinterteile wurden von den Knochengerüsten förmlich durchsiebt. Wie kannst du nur glauben, dass es uns im Nether besser ergehen würde?«

»Wie viel schlimmer kann es schon sein?«, konterte Faith.

»Oh, glaub mir, sehr viel schlimmer.« Wo sollte er anfangen? Er kannte alle Geschichten, genau wie Rajah. »Es ist das finstere Reich, aus gutem Grund getrennt von unserem und beherrscht von Monstern. Wenn dich die Lohen nicht kriegen, tun es die Piglins.«

Faith lachte. »Piglins? Das klingt ja niedlich.«

»Sind sie aber nicht. Darüber hinaus ist der gesamte Nether von Lava überflutet. Wir sind nicht so weit, uns dorthin zu wagen.«

Rajah schlug mit der Faust auf den Tisch. »Und wann sind wir es? Wenn wir Diamantrüstungen haben? Eimerweise Tränke? Verzauberte Gegenstände? All das kommt erst danach, Pal. Nachdem wir große Siege erlangt, mächtige Bastionen erobert und uns unseren Ruhm verdient haben! Die Karte ist echt. Ich habe inzwischen genügend Fälschungen gesehen, um eine echte Karte zu erkennen. Das ist die Chance, Pal. Wir können uns endlich einen Namen machen und aus dem Schatten meines Vaters treten.«

»Aber du musst nicht in seine Fußstapfen treten, Majestät. Finde deinen eigenen Weg. Du musst nicht diesem Heldenunsinn nachjagen. Nicht jeder ist dafür gemacht.«

Rajahs Blick verfinsterte sich. »Was willst du damit sagen? Dass ich nicht das Zeug zum Helden habe?«

»Äh … ich will nur sagen, deine Talente liegen vielleicht anderswo. Wir müssen sie nur noch … äh, finden.«

»Hör auf deinen Knappen, Rajah. Die Stimme der Vernunft.«

Wer hatte das gesagt? Pal drehte sich abrupt um und entdeckte eine Gruppe am Nebentisch.

O nein.

Die Bravos. Die härteste und erfolgreichste Heldentruppe des ganzen Reichs. Jeder Einzelne von ihnen trug die besten Rüstungen, allesamt auf Hochglanz poliert. Ihre Waffen lagen auf dem Tisch oder hingen an ihren Gürteln, und jede einzelne war ein Glanzstück der Handwerkskunst. Ihr Anführer Sir Tyrus hob wie zum Gruß eine Hammelkeule. »Widme dich lieber dem Schafehüten. Obwohl ich gehört habe, dass du selbst vor denen fliehst. Wie kommt’s? Ist ihr Blöken zu Furcht einflößend?«

»Ich bin allergisch gegen Wolle!«, antwortete Rajah ungehalten.

Pal seufzte. »Ich wünschte, du hättest das nicht gesagt.«

Einen Moment lang saßen die Bravos wie vom Donner gerührt da. Dann brachen sie in lautes Gelächter und Geblöke aus. Einer von ihnen erhob sich, um wie ein Schaf durch die Gegend zu staksen. Ein Zweiter rannte ängstlich um den Tisch. Es war nicht schwer zu erraten, wen er imitierte.

»Kommt, lasst uns gehen. Ich habe einen Schlafplatz für uns gefunden. Der Besitzer hat ein paar Betten in der Scheune aufgestellt, und die Pferde sahen friedlich aus.«

»Ich schlafe in keiner Scheune!«, schimpfte Rajah.

»Etwas Besseres können wir uns nicht leisten, Majestät. Bitte, komm jetzt.«

»Mäh! Määh! Määääh!«, krakeelten die Bravos. »Seht nur, sie rennen schon wieder weg! Määääh!«

Pal ergriff Rajahs Arm. »Komm, Majestät.«

Rajah leistete nur für einen Moment Widerstand, um sich noch einmal zu den Bravos umzusehen. Was er wohl empfand? Dann versteifte er sich, und Pal wusste, was der Junge verspürte, war Neid. Was sonst sollte es sein? Die Bravos verkörperten alles, was sein eigener Trupp nicht hatte. Stolz und Vernunft bekriegten sich in Rajahs dunklen Augen. Da war er, dieser schreckliche, ewig pochende Gedanke in Rajahs Kopf … genau der Gedanke, der ihn und seine ganze Gruppe immer wieder aufs Neue in Schwierigkeiten gebracht hatte.

Was würde Vater tun?

Rajah ließ die Hand sinken und berührte Herzensbrechers Heft.

Die Bravos verstummten. Ein Stuhlbein schabte laut über den Bruchstein, als Sir Tyrus demonstrativ die Hand auf den Griff seiner Axt legte. Die Klinge war rasiermesserscharf, von zahllosen Schlachten schartig und bestimmt mehr als geeignet, um mit einem einzigen Hieb drei Zombies auf einmal zu enthaupten. Anders als Herzensbrecher bestand sie aus altem, hartem Eisen, und sie diente Sir Tyrus schon sein ganzes Leben. Einen Namen hatte sie nicht, aber diese Axt war eine Waffe, vor der man sich fürchten sollte.

Rajahs Hand glitt vom Schwertheft. »Lasst uns die Scheune suchen. Ich bin müde.«

Puh! Er hatte gerade noch rechtzeitig Vernunft angenommen. Das hier war kein Wegrennen, sondern ein taktischer Rückzug. »Komm, Faith.«

Sie rührte sich nicht. Saß nur da und starrte finster die Bravos an. »Das sind die reinsten Mobber. Wir sollten ihnen eine Lektion erteilen.«

»Ein andermal, okay? Rajahs Wunden sind noch immer nicht ganz verheilt.«

Widerwillig … sehr widerwillig stand sie auf. »Na gut, Pal. Ein andermal.«

Die Scheune war nicht weit entfernt. Dort würden sie sich ausruhen und neue, vernünftige Pläne für morgen schmieden. Ohne diesen Nether-Unsinn. Sie würden ihren überschäumenden Ehrgeiz im Zaum halten … klein anfangen und sich von dort hocharbeiten.

»Määäh.«

Rajah hielt abrupt an.

Pal versuchte, ihn hinter sich herzuzerren, aber der Junge bewegte sich kein Stück.

»Määäh. Määäh.«

Warum nur musste ihm das ausgerechnet heute passieren? Er hatte doch nur in Ruhe etwas essen, einen warmen, sicheren Schlafplatz finden und vielleicht die Aussicht auf etwas Warmes zum Frühstück genießen wollen. War das zu viel verlangt?

»Määäh.«

Anscheinend schon.

Rajah drehte sich um. »Was hast du gesagt?«

Sir Tyrus stand auf. »Du hast mich gehört. Jetzt zieh ab, Jungchen. Dieser Bereich ist für Erwachsene.«

»Ich bin kein Kind. Mein Name ist Rajah, und ich bin der Sohn von Lord …«

»Wen kümmert’s? Wäre dein Schwertarm so rege wie dein Mundwerk, könntest du es vielleicht zu etwas bringen, aber – und das sage ich jetzt im Namen aller hier – dein Windbeutel von einem Vater interessiert hier niemanden. All die Abenteuer, die er erlebt hat?« Sir Tyrus schnipste mit den Fingern. »Das sind nur Geschichten irgendwelcher Barden, die er dafür bezahlt hat. Ich wäre nicht überrascht, wenn sein Hinterteil ebenfalls von zahlreichen Pfeilwunden gezeichnet wäre – so oft, wie er in seinem Leben schon vor irgendetwas weggelaufen ist. Genau das hast du von ihm geerbt, Jungchen. Seine Feigheit.«

Das war ein großer Fehler. Sir Tyrus hätte damit davonkommen können, Rajah mit verbalem Dreck zu bewerfen, aber nicht Rajahs Vater.

Der junge Abenteurer zog Herzensbrecher. »Nimm das zurück.«

»Und was, wenn nicht?«

»Dann machen wir die Sache auf der Stelle unter uns aus und finden heraus, wer hier der Feigling ist.«

Sir Tyrus griff grinsend nach seiner Axt. »Nichts lieber als das.«

Kapitel 4

Den Marktplatz freizuräumen hatte nicht einmal lange gedauert. Eifrig hatten sich die Anwohner zwischen die Stände gedrängelt, die den Platz umringten, und eine Freifläche geschaffen. Eine Arena. Die Bravos standen in einer Ecke und hatten sich um ihren Anführer geschart. Sir Tyrus machte große Schwünge mit seiner Axt, die Pal sogar in all dem Aufruhr und gespannten Geschnatter der Schaulustigen durch die Luft pfeifen hörte.

Seine Gruppe stand in der gegenüberliegenden Ecke – blass und nur ein winziges bisschen panisch.

Rajah schluckte mühsam, reckte sich und machte ein paar Lockerungsübungen. »Nur weil er größer, stärker, schneller und erfahrener ist als ich, heißt das nicht, dass er gewinnt.«

»Wir müssen seine Schwächen gegen ihn einsetzen«, sagte Faith.

Ihre Gefährten sahen sie verwirrt an.

»Wie?«, fragte Rajah, dessen Stimme vor Hoffnungslosigkeit bebte.

»Ich weiß nicht … aber das sagt man doch so, wenn sich der Held einer Geschichte irgendeinem unbesiegbaren Ungeheuer stellen muss, oder? Irgendeine Schwäche muss er jedenfalls haben. Pal, wirf einen Blick auf seine Knie … aber nicht zu auffällig.«

»Seine was?«

»Seine Knie. Vielleicht sind sie angreifbar. Ein Schwachpunkt. Schließlich müssen sie tagein, tagaus einen Riesenhaufen Muskeln tragen.«

Pal warf einen Blick über die Schulter und schüttelte den Kopf. »Seine Beine sind wie Baumstämme.«

»Mein Sieg ist unvermeidbar«, verkündete Rajah und zückte Herzensbrecher. »Das Schwert meines Vaters wird mich in der Stunde der Not nicht im Stich lassen.«

Nicht zum ersten Mal wünschte sich Pal, er hätte diese vermaledeite Waffe nie zu Gesicht bekommen … Herzensbrecher. Wer gab Waffen Namen? Wozu? Tyrus’ Axt hatte auch keinen und schien ihm trotzdem gute Dienste zu leisten. Wenn man einer Waffe einen Namen gab, führte das nach Pals Ansicht nur dazu, dass man sich darauf verließ, dass sie schon all die harte Arbeit erledigen würde, und dabei allzu schnell vergaß, dass es die Person war, die sie führte, die sie zu dem machte, was sie war … eine Legende.

Aber die Legende um Herzensbrecher war uralt. Pal zuckte zusammen, als Rajah das Schwert ein paarmal hin und her schwang. Bildete er sich das nur ein, oder war die Klinge ein wenig … wacklig?

»Wir können uns immer noch entschuldigen«, schlug er zaghaft vor.

»Wofür? Er hat meinen Vater beleidigt!«, schimpfte Rajah. »Den Mann, der dich praktisch aufgezogen hat!«

Ja, und zwar als Diener. Ich durfte nie an eurem Tisch sitzen. Er hat mich aufgezogen, um seine Befehle zu befolgen … und jetzt deine.

Warum ließ er nicht einfach alles stehen und liegen und ging? Wieso ließ er sich von einer Gefahrensituation in die nächste schleppen, watete durch Schlamm und schlug sich durchs Dickicht … nur für irgendeine dumme Quest? Welchen Unterschied machte es für ihn, ob Rajah Erfolg hatte oder nicht? Selbst wenn man die Großtaten des Jungen irgendwann an Lagerfeuern und in den Anwesen besang – würde Pals Name in den Liedern auftauchen? Wohl kaum. Ruhm zu teilen bedeutete, ihn zu verringern. Und Rajah brauchte jeden noch so kleinen Fetzen für sich allein, denn seine bisherigen »Großtaten« sahen im Vergleich zum schimmernden Vorbild seines Vaters wie armselige Kupferklumpen neben funkelnden Goldbarren aus. Das war der Knackpunkt, nicht wahr? Pal hatte nie jemanden gehabt, dem er nachstrebte, also hatte er es nie getan. Er erwartete nichts von sich, und deshalb versuchte er es gar nicht erst. Wozu die Erfolgsleiter hinaufklettern? Dort oben wird dir nur schwindelig. Du bist es nicht gewohnt, jemand zu sein … jemand von Bedeutung. Du stehst auf der untersten Sprosse und dienst einzig dem Zweck, die Leiter für alle anderen stabil zu halten.

Für mehr taugst du nicht.

Vielleicht. Vielleicht.

Was sollte er tun? Morgen weggehen? Beim ersten Sonnenlicht verschwinden? Sich ein eigenes Leben aufbauen? Nein, noch nicht. Noch wurde er gebraucht. Pal musterte kritisch Rajahs Rüstung. Die Riemen seines Brustpanzers mussten neu vernäht werden, aber vorerst würden sie halten. Und der Helm? Die Delle hätte schon vor Ewigkeiten ausgebessert werden sollen, aber irgendwie waren sie nie dazu gekommen. Jetzt war es zu spät. Pal hätte nur das richtige Werkzeug und bessere Materialien gebraucht, um Rajah eine richtige Rüstung anzufertigen …

Jemand drängelte sich durch die gaffende Menge und kam auf sie zu. »Und? Seid ihr so weit?«

Es war … wie hieß sie noch? Lady Payne? Sir Tyrus’ rechte Hand. Sie gestikulierte über die Schulter, um auf ihre wartenden Gefährten hinzuweisen. »Der Boss würde sein Abendbrot gern aufessen, solange es noch warm ist.«

Rajah setzte sich energisch den Helm auf. »Wie, ähm … Wie lauten noch mal die Regeln?«

»Regeln?« Payne runzelte die Stirn und lachte. »Ha, das wird ein Heidenspaß.«

Sie wandte sich ab, und Pal sah ihr mit schwerem Herzen hinterher. Hier ging es nicht mehr ums Gewinnen, sondern ums nackte Überleben. Er wollte nicht, dass Rajah schwer verletzt wurde. Andererseits … was, wenn sich dieser Schlamassel am Ende als etwas Gutes entpuppte? Vielleicht würde eine Niederlage dem Jungen klarmachen, dass er sich nicht für dieses Leben eignete … keiner von ihnen. Dann könnten sie endlich nach Hause gehen – voller blauer Flecken, aber um einiges schlauer.

Der Gedanke allein grenzte an Verrat, aber Pal konnte ihn nicht aus seinem Kopf verbannen. Er wollte das Beste für Rajah, wirklich. Und vielleicht war das hier das Beste. Er gab dem Jungen den Schild. »Halte ihn aufrecht. Lass Tyrus darauf eindreschen, bis er müde wird, und halte immer die Augen nach einer guten Gelegenheit offen. Ziele auf seine Knie, wenn’s sein muss. Gaukele ihm vor, dass er der Überlegene ist.«

»Vorgaukeln ist gut«, murmelte Rajah mutlos.

Faith zurrte die letzten Riemen fest. »Denk an die Lektionen deines Vaters.«

Rajah sah furchtbar blass aus. »Alle? Es waren so viele, dass mir der Kopf schwirrte. Manchmal konnte ich nicht einmal rechts von links unterscheiden. Außerdem hat Vater immerzu gebrüllt, sodass ich mich nicht konzentrieren konnte.«

Die Menge jubelte. Sir Tyrus wartete in der Mitte des Marktplatzes. Das Fackellicht schimmerte grell in seiner auf Hochglanz polierten Rüstung. Er sah … unglaublich aus. Ein echter Held von Kopf bis Fuß. Rajah hingegen? Eher wie ein … unvollendetes Projekt.

Er schluckte hörbar. »Das war’s dann wohl.«

»Halt den Schild hoch und passe gute Gelegenheiten ab«, erinnerte ihn Pal.

»Du schaffst das«, sagte Faith. »Du bist Sir Rajah, vergiss das nie.« Sie stieß die Faust in die Luft. »Rajah! Rajah! Rajah!«

Und siehe da … ein paar Leute in der Menge – wenn auch nicht viele – stimmten in ihren Jubelgesang ein. Vielleicht würde das schon ausreichen. Rajah schien jedenfalls ein wenig aufrechter zu stehen …

Aber selbst bei voller Größe reichte er Sir Tyrus nur bis zur Brust. Nun, da sich die beiden gegenüberstanden, war der Unterschied geradezu schmerzlich offensichtlich. Vielleicht war die Angriffsstrategie, sich auf Tyrus’ Knie zu konzentrieren, tatsächlich nicht die schlechteste Idee … höher kam Rajah ohnehin nicht.

»Halte den Schild hoch«, murmelte Pal.

»Vergiss nie, wer du bist«, ergänzte Faith.

Sir Tyrus hielt sich nicht mit einem Schild auf. Er umklammerte seine Axt mit beiden Händen. Der Griff war dick wie ein Ast, aber die Pranken des Mannes waren so groß, dass sie ihn mit Leichtigkeit umfassten. Er hob die Waffe, und die Menge johlte.

Faith stupste Pal an und nahm ihren Sprechgesang wieder auf. »Rajah! Rajah! Rajah!«

Pal stimmte ein und versuchte, die Leute zum Mitmachen zu bewegen, aber nach wenigen halbherzigen Rufen verstummten sie. Er sah zu den Duellanten. Es ging los.

Kapitel 5

Und dann … war es schon vorbei.

Pal – und alle Versammelten – brauchten einen Moment, um es zu begreifen. Zu begreifen, dass Rajah in einer Wolke aus Diamantstaub stand … den kläglichen Überresten von Herzensbrecher.

Dem legendären Herzensbrecher. Dem Schwert, das Lord Maharajah auf all seinen großen Quests so gute Dienste geleistet hatte. Der Klinge, mit der er den Enderdrachen erschlagen hatte.

»Was … was ist passiert?«, fragte Faith verdattert. »Ich muss geblinzelt haben.«

Sogar Sir Tyrus sah … fassungslos aus. Und er war nicht der Einzige. Pal spulte in seinem Kopf zurück, um zu ergründen, was da eben geschehen war. Er brauchte nicht lange.

»Was war das für ein Quieken?«, fragte Faith. »Es klang, als wäre jemand auf eine Maus getreten.«

»Das war Rajahs Kampfschrei. Möglicherweise habe ich ihm den Helm ein wenig zu fest gezurrt.«

»Es ist also … vorbei?«

»Ja. Aus und vorbei.« Das war’s also. »Komm mit, Rajah braucht uns jetzt.«

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