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Mein Plan B oder Wie ich zum ersten Mal Brausepulverkribbeln im Bauch hatte

hier erhältlich:

Mit dem ABC und einem sprechenden Chamäleon ins Glück

Annaleas Welt steht kurz vor dem Untergang, denn sie hat nicht nur ihre Freundinnen an die neue Klassenkameradin Esther verloren, sondern soll auch sitzenbleiben. Zu allem Überfluss erscheint ihr nach einem Sturz auf den Kopf ein sprechendes Chamäleon und rät ihr, jeden Tag einem Buchstaben zu widmen und zum Beispiel nur Dinge zu machen, die mit dem Tagesbuchstaben beginnen. Nach einigem Zögern folgt Annalea dem merkwürdigen Rat ...

Bestes Lesefutter für starke Mädchen


  • Erscheinungstag: 20.02.2024
  • Seitenanzahl: 176
  • Altersempfehlung: 10
  • Format: Hardcover
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505151590

Leseprobe

KAPITEL 1

Am Anfang war die Apokalypse

Ich sehe meinen Klassenkameradinnen zu, wie sie die Köpfe zusammenstecken, tuscheln und kichern. Sie haben Spaß. Ich nicht. Es ist große Pause, und ich stehe allein auf dem Schulhof, schlürfe meinen Kakao und frage mich gerade zum wiederholten Mal, warum in meinem Leben alles schiefläuft, da werde ich angerempelt. Von dem Jungen mit den süßesten Locken der Welt, das finden alle in meiner Klasse: Joris. Mein Herz macht sofort einen freudigen Satz. Doch er ruft nur im Laufen: »Hab dich nicht gesehen!« Und schon ist er weg. Was bleibt, ist ein fetter Kakaofleck auf meinem Shirt. Meine sogenannten Freundinnen, die seit einiger Zeit lieber ohne mich rumhängen, prusten laut los. Dabei schauen sie in meine Richtung. Das ist kein Zufall, sie lachen über mich!

Ich spüre, wie ich rot werde, senke den Kopf und will mich schnell verkrümeln. Aber meine Beine sind wie festgefroren, als hätten sie Angst, beim nächsten Schritt zu stolpern. Irgendwann schaffe ich es doch loszulaufen. Weg von den hämischen Blicken um mich herum, rein in den modernen Betonwürfel, der meine Schule ist, und runter in den Keller zu den Toiletten. Es stinkt hier unten, es ist kühl und ungemütlich, aber mittlerweile ist das mein Lieblingsplatz. Im Spiegel blickt mir ein trauriges Mädchen entgegen. Sie hat braune Haare und trägt eine Brille. Ihr Pferdeschwanz hängt schief, und in den Augen schwimmen Tränen: Das bin ich, Annalea, zwölf und verzweifelt. Eigentlich lache ich gern und bin für jeden Blödsinn zu haben. Das Leben war für mich immer ein großer Spaß, selbst die Schule (bis auf die Klassenarbeiten). Aber seitdem meine Freundinnen mich peinlich finden, ist alles anders. Vorbei sind die lustige Zettelpost im Unterricht und das Rumalbern auf dem Schulhof. Selbst meine beste Freundin Clara ist jetzt zu cool dafür. Und schuld daran ist Esther. Esther aus London, die vor einem Monat hierhergezogen ist. Ich wünschte, sie würde auf ihre Insel zurückgehen oder dahin, wo der Pfeffer wächst, das ist weiter weg, wenn meine schwachen Geografiekenntnisse mich nicht täuschen. Ein kleines Lächeln wagt sich auf meine heruntergezogenen Mundwinkel. Früher hätte ich mit Clara über den Pfefferwitz gelacht. Heute bin ich kurz davor, selbst auf die Pfefferinsel auszuwandern. Denn seit trendy Esther da ist, weht ein neuer, hipper Wind in meiner Klasse, und plötzlich bin ich raus. Mein Look ist zu brav, meine Witze kindisch, meine sportlichen Leistungen zum Fremdschämen. Nein, mit jemandem wie mir wollen Clara und die anderen Mädchen nicht gesehen werden. So langsam kann ich mich selbst nicht mehr leiden und wünsche mir immer öfter, ich wäre durchsichtig. Und tatsächlich scheine ich mehr und mehr zu verschwinden, sonst hätte mich Joris eben nicht angerempelt.

Genervt betrachte ich den Kakaofleck auf meinem Lieblings-Mickey-Mouse-T-Shirt. Hoffentlich geht der raus, das Shirt ist aus einem Secondhandladen und voll retro, das bekommt man nicht so einfach wieder. Mit einem Seufzer zupfe ich ein Papierhandtuch aus dem Spender, drehe das Wasser auf und mache mich daran, den Fleck auszuwaschen. Hinter mir geht die Tür auf, ich schaue nicht hin. Vielleicht übersieht mich die Hereinkommende, wie ich so halb über dem Waschbecken hänge und versuche, nicht komplett nass zu werden. Meine Wünsche erfüllen sich nicht: Der Wasserhahn hustet mir prompt einen großen Fleck auf die Hose und eine Stimme höhnt dazu: »Hat little Annalea sich bekleckert?«

Es ist Esther, die da schadenfroh kichert, dazu muss ich mich nicht umdrehen. Sie fand mich von Anfang an freakig, und das lässt sie mich bei jeder Gelegenheit spüren. Inzwischen wissen es alle, und auch ich fühle es deutlich: Ich bin anders und gehöre nicht dazu! Sie könnte ihre Sticheleien also getrost einstellen. Aber es scheint ihr einen Mordsspaß zu machen, mich zu piesacken, denn auch jetzt setzt sie noch einen drauf: »Das schöne Mickey-Shirt, wie ärgerlich! Was sollst du bloß heute Nachmittag auf dem Spielplatz anziehen?«

Das ist der Moment, wo ich ihr gern das quietschnasse Papiertuch ins Gesicht klatschen würde. Aber was soll das bringen? Also starre ich nur stur auf das Waschbecken vor mir, drehe den Hahn noch etwas weiter auf und hoffe inständig, dass sie von dem Geplätscher dringend aufs Klo muss. Diesmal klappt es mit dem Wünschen und Esther verschwindet in einer Kabine. Ich lasse das mit dem Kakaorauswaschen und rubble mich so gut es geht trocken. Dabei entdecke ich eine Wimper, die auf meiner von Zorn und Scham geröteten Wange klebt. Ich tupfe sie auf die Fingerspitze und puste sie weg. Dabei schließe ich die Augen und stelle mir vor, schön, schlau und sportlich zu sein, sodass alle mich mögen. Einen Versuch ist es wert. Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass ein kleines Haar meine Probleme nicht lösen kann.

Der restliche Tag wird nicht besser – wie auch, mit nassen Klamotten. Dazu kommt eine Vier in Mathe, und zu allem Überfluss bittet meine Klassenlehrerin mich zu einem persönlichen Gespräch. Da sitze ich nun, meinen Zensurenspiegel vor der Nase, und kann den Ärger nahezu riechen. Wobei ich finde, dass ich eher Mitleid verdient hätte. Das sieht Frau Lau wohl genauso, jedenfalls schaut sie mich so an. Aber statt mir zu sagen, dass alles gut wird, haut sie Folgendes raus: »Ich fürchte, ich kann dich nicht in die achte Klasse versetzen.«

Was? Mir klappt der Mund auf.

Frau Lau räuspert sich. Ihr scheint das Thema unangenehm zu sein, für mich bedeutet es Weltuntergang! Ich spüre, wie alle Luft aus meinem Brustkorb entweicht.

»Ich soll sitzenbleiben?«, bringe ich mühsam hervor.

Frau Lau legt mir einfühlsam die Hand auf den Arm. Ich bin zu schwach, um sie abzuschütteln, und höre wie gelähmt zu, was sie mir nun erklärt. Meine Mitarbeit habe im letzten Halbjahr deutlich abgenommen. Das ist mir nicht neu. Schließlich habe ich mich erfolgreich davor gedrückt, falsche Antworten zu geben und danach Esthers Spott ertragen zu müssen. Außerdem hätten meine schulischen Leistungen insgesamt enorm nachgelassen. Dem kann ich nichts entgegensetzen, ich war schon immer etwas verträumt und derzeit halte ich mich sehr oft in meinen Traumwelten auf. Da ist es schöner als hier, wo Esther herrscht und ich die Außenseiterin bin. Auch das ist Frau Lau aufgefallen. Nur, dass sie denkt, ich integriere mich absichtlich nicht in den Klassenverband.

»Alles in allem laufen dir die anderen gerade etwas davon. Aber das ist kein Drama. Nicht jeder entwickelt sich in der gleichen Geschwindigkeit. Und deshalb habe ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen beschlossen, dir ein zusätzliches Jahr zu geben.« Bei diesen Worten lächelt sie mich an, als würde sie mir ein Geschenk machen. Dabei versetzt sie mir damit den Todesstoß. Allein bei dem Gedanken daran, eine Extrarunde vor den Augen Esthers und meiner ehemaligen Freunde zu drehen, möchte ich mich in meine Atome auflösen und verschwinden.

»Bitte nicht«, schluchze ich, und Tränen tropfen auf mein verdrecktes Shirt. »Es sind doch noch vier Wochen bis zu den Ferien.« Das weiß ich genau, denn ich zähle die Tage, bis ich aus diesem Schulalbtraum raus bin. Und jetzt soll ich auch noch ein Jahr dranhängen? Das muss ich um jeden Preis verhindern. »Ich tue alles, um Ihnen zu beweisen, dass ich mithalten kann«, gebe ich mich entschlossen.

Frau Lau seufzt. Ich glaube, sie mag mich, trotz Mathe-Vier. Hoffentlich genug, um mir eine zweite Chance zu geben. Ich drücke unter dem Tisch die Daumen.

»Na gut«, lenkt sie ein, auch wenn sie beim Aufstehen murmelt, dass das eigentlich zu spät sei, wegen der Zeugniskonferenzen.

Umso dankbarer bin ich. Fast hätte ich sie abgeknutscht. Aber damit würde ich wohl nur meine mangelnde Reife beweisen. Also begnüge ich mich mit einem schlichten »Danke« und mache mich so schnell es geht nach Hause. Denn ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich muss allen beweisen, dass ich was kann, dass ich wer bin, dass ich dazugehöre.

KAPITEL 2

A wie absolut abgedreht

Die ganze Nacht habe ich darüber gebrütet, wie ich mich Esther gegenüber behaupten kann. Schließlich ist sie der Schlüssel zu meinem Schlamassel. Alle finden sie mega. Also muss ich nur hipper sein, dann werden sie mich wieder mögen. Diese Logik fand ich einleuchtend, und ich hätte mir dafür glatt eine Eins gegeben. Noch schlauer fand ich mich, als ich mir im Internet Influencerinnen ansah. Deren Tanzvideos begeistern Tausende Fans, dagegen ist Esther mit ihrer Schulhof-Clique ein kleines Licht. Also machte ich mich sofort daran, diese genialen Choreografien zu lernen. Bis in die frühen Morgenstunden habe ich Hüftschwung und lockere Drehungen geübt, wobei ich höllisch aufpassen musste, dabei nicht über meine eigenen Füße zu fallen.

Jetzt sitze ich in Mathe und bin hundemüde. Die Zahlen an der Tafel hüpfen von rechts nach links, dann verschwimmen sie zu einem wilden Wirbel.

»Annalea?«

Ich schrecke hoch, anscheinend bin ich kurz eingeschlafen. Frau Lau sieht mich mit einem enttäuschten Kopfschütteln an, und mir sackt das Herz in die Hose. Leider habe ich in der Nacht nicht Mathe gepaukt und damit keine gute Ausrede für mein Nickerchen. Also nehme ich den Eintrag ins Klassenbuch stillschweigend hin und warte auf die Pause. Denn da werde ich meinen großen Auftritt haben.

Dass es ein unrühmlicher Abtritt wird, merke ich erst, als ich falle. Dabei hat alles so gut angefangen. Mit wackeligen Knien zwar, aber richtig lässig bin ich zu Esther und ihrer Truppe rübergegangen, habe die Musik auf meinem Handy so laut gedreht, dass der ganze Schulhof mithören konnte, und dann alles gegeben. Die Tanzschritte flutschten wie mit Sahne geschmiert, ich schwebte auf einer watteweichen Wolke des Triumphs. Mit vielem habe ich gerechnet: Applaus, Jubelschreie, spontane Liebesbekundungen. Aber nicht mit rutschigem Kies.

Ein heftiger Schmerz explodiert in meinem Schädel, als ich gegen den Mülleimer pralle. Dann wird alles schwarz, kurz darauf lila gepunktet und danach neonpink gestreift, sodass mir schwindelig wird.

»Oh nein, das ist viel zu grell«, murmelt eine Stimme und sofort wird es um mich herum flauschig rosa. Mein Sehnerv entspannt sich etwas. »Viel besser, so gefällt es mir«, sagt die Stimme. Sie gehört einem Chamäleon, das die gleiche Farbe wie die Umgebung hat und das ich deshalb zunächst nicht bemerke, bis es mich mit »Hallo Annalea« begrüßt.

»Ähm, hi«, antworte ich vollkommen perplex. Jetzt ist es wohl so weit, jetzt werde ich verrückt.

»Du siehst verwirrt aus. Alles okay?«, fragt mich die Echsenerscheinung.

»Ja…, nein…«, stammle ich und will mir an den Kopf fassen, was vermutlich nichts bringt, denn in der realen Welt liege ich wahrscheinlich ohnmächtig auf dem Schulhof. Ganz genau kann ich das natürlich nicht sagen, denn ich stecke ja in einer psychedelischen Plüschlandschaft und unterhalte mich mit einem Tier. Offensichtlich habe ich bei dem Sturz doch einiges abbekommen.

»Keine Sorge, bis auf eine kleine Schramme ist nichts passiert«, klärt mich das Chamäleon auf und stellt sich mir dann als Benita vor.

Darauf muss ich mich erst mal setzen und tief durchatmen. Langsam beruhige ich mich. Zwar habe ich offenbar einen Kurzschluss erlitten, aber wenigstens ist es ganz nett hier: watteweich, hell und es riecht angenehm nach Himbeeren.

Und ein rosa Chamäleon ist auch allemal besser als irgendwelche Höllenhunde oder schleimige Monster. Benita zwinkert mir freundlich zu, holt aus dem Nichts eine Tüte mit Insekten hervor, angelt mit ihrer Zunge eine Assel heraus und knuspert sie genüsslich weg. Na ja, das ist jetzt nicht so der Renner. Mein Hals zieht sich vor Ekel zu, und als sie mich fragt, ob ich auch was möchte, lehne ich dankend ab und beschließe, dass es höchste Zeit ist zu gehen. Ich war lange genug weg, die Pausenaufsicht macht sich bestimmt schon Sorgen. Aber Benita schüttelt den Kopf, als ich ihr das sage, und ändert ihre Farbe auf hellblau.

»Erst müssen wir reden«, meint sie, und mir wird etwas mulmig. Komme ich hier vielleicht nie wieder raus? Gefangen in meinem eigenen Kopf. Zusammen mit einem Chamäleon. Das hat mir noch gefehlt! Als hätte ich nicht genug Stress.

»Genau darum geht es«, meint Benita und genehmigt sich noch eine Assel, bevor sie die Tüte beiseitelegt und mich mit ihren Glubschaugen fixiert. Hat sie etwa gerade meine Gedanken gelesen? Mir wird das hier entschieden zu gruselig, ich stehe auf und sehe mich nach einem Ausweg um. Aber wohin ich auch blicke, überall ist nur rosa Plüsch.

»Ich möchte nach Hause«, sage ich entschlossen und komme mir reichlich dämlich vor, wie ich mit einer himmelblauen Echse rede, die sich just in diesem Moment noch ein paar grüne Streifen zulegt.

»Gleich«, erwidert sie, gähnt und rollt dabei ihre lange Zunge aus und wieder ein. »Vorher müssen wir deine Probleme lösen.«

Bei diesen Worten lache ich beinahe laut auf. Eine Chamäleon-Erscheinung verdoppelt eher meine Probleme: Sprechende Echsen zu sehen ist nämlich definitiv kein gutes Zeichen. Da könnte ich auch an Feen glauben, die ihren Zauberstab für mich schwingen. Genauso irre.

»Zauberstab? Tss!«, gluckst Benita. »Feen gibt es nicht wirklich, das weißt du, oder?« Sie sieht mich prüfend an, so, als zweifle sie an meiner Zurechnungsfähigkeit.

Ich weiß darauf nicht, ob ich laut loslachen oder schreiend weglaufen soll. Nur wohin? Also setze ich mich wieder, und Benita legt sich wie von Zauberhand eine Brille zu. Dann holt sie aus dem Nichts ein Buch und blättert darin. Es sieht aus wie ein Lexikon.

»Das ABC wird dir helfen«, sagt sie nach einer Weile knapp, aber bestimmt. »Folge dem Alphabet und du wirst glücklich sein. Der Rest kommt von allein.« Sie klappt das Buch zu und lässt die Brille verschwinden. »Viel Spaß«, sagt sie noch, dann ist auch sie fort und ich wache auf. Helles Sonnenlicht blendet mich, mein Kopf brummt. Ich bin froh, wieder im Hier und Jetzt zu sein, gleichzeitig wünsche ich mich sofort weit weg.

Der halbe Schulhof starrt mich an, einige blicken besorgt, manche kichern, Esther verbirgt ihre Schadenfreude nicht. »Da musst du wohl noch ein bisschen üben«, stichelt sie und macht vor, wie es richtig geht. Schließlich ist sie seit Kurzem die Frontfrau einer funkigen Mädchenband. Das erzählt sie jedem, der es hören will, und auch denen, die es nicht interessiert, aber das sind wenige.

Normalerweise hätte ich über diese Angeberei die Augen verdreht, gerade bin ich jedoch froh, dass Esther mit ihrer zugegebenermaßen coolen Tanzeinlage die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zieht. So kann ich mich unbemerkt hochrappeln und in den Toilettenkeller schleichen. Diesmal schließe ich mich in die letzte Kabine ein und komme erst nach Schulschluss wieder raus. Das gibt zwar unentschuldigte Fehlstunden und bestimmt mehrere Minuspunkte auf meiner Versetzungskarte. Aber was soll’s. Ich habe sowieso keine Ahnung, wie ich mich aus meiner misslichen Lage noch retten soll. Es ist aus, ich fühle mich sterbenselend. Obgleich ich körperlich topfit bin: Bis auf einen kleinen Kratzer am Handgelenk fehlt mir nichts, und meine Ohnmacht war wohl auch nicht mehr als ein Sekundenschlaf. Jedenfalls lief, als ich aufwachte, der Song, zu dem ich tanzen wollte, noch und verfolgt mich seitdem als gemeiner Ohrwurm, der mich ununterbrochen an meinen peinlichen Sturz und die verrückte Chamäleon-Vision erinnert.

Entsprechend unterirdisch ist meine Stimmung, als ich zu Hause ankomme.

»Wir müssen an deiner Mathe-Vier arbeiten!«, zieht meine große Schwester Sarah mich noch weiter runter. Sie ist die Überfliegerin in der Familie. Alles Einsen, Schulsprecherin und dazu talentierte Volleyballspielerin. Da kann ich nicht mithalten. Und das ist auch okay so, kann ja nicht jeder supergut sein. Aber heute nervt mich ihre Leistungsbereitschaft. Richtig ausflippen könnte ich, als sie sofort mit mir Mathe-Hausaufgaben machen will. Kann mich denn keiner in Ruhe lassen? Ich möchte nur noch in mein Zimmer und mit meinem angeknacksten Selbstwert unter der Bettdecke verschwinden. Doch Sarah bleibt hartnäckig. Eine Stunde lang quält sie mich, dann gibt sie auf.

»Es ist aussichtslos«, stöhnt sie und klappt das Mathebuch zu. Das sehe ich genauso. Deshalb habe ich auch (statt lineare Gleichungen zu lösen) von Joris geträumt. Und wie es wäre, wenn er mich endlich einmal bemerken würde. Ich meine nicht so wie gestern, wo er mich umrennt und trotzdem nicht sieht. In meiner Fantasie halten wir Händchen, und Esther guckt neidisch zu uns rüber.

»Spielst du mit mir?«, reißt Nele, meine kleine Schwester, mich aus meinem herrlichen Tagtraum.

»Was denn?«, brummle ich abwesend.

»Dinoschule!« Nele ist fünf und kann es kaum erwarten, nach den Sommerferien in die erste Klasse zu kommen. Sie wirbelt um mich herum, dass ihre Zöpfe fliegen. Ich habe sie sehr lieb und spiele oft mit ihr, aber heute sage ich ab. Auf Schulespielen habe ich überhaupt keine Lust, und auf Dinoschule schon gar nicht. Denn sobald ich dinonesisch sprechen würde, käme ich mir belämmert vor. Früher fand ich es funny, mittlerweile nur noch freakig. So wie alles an mir.

»Hast du schlechte Laune?«, bohrt Nele nach und zieht meine Mundwinkel mit ihren kleinen Fingern zu einem Lächeln hoch.

»Nein«, sage ich und muss gegen meinen Willen grinsen.

»Du bist sooo hübsch, wenn du lächelst. Wie eine Prinzessin«, schwärmt sie und kuschelt sich an mich. Das gibt mir den Rest. Mit einem Mal brennen Tränen in meinen Augen.

»Ich bin nur eine Witzfigur«, platzt es aus mir heraus.

»Stimmt.« Nele gibt mir einen Kuss. »Du bist immer sooo lustig und hast die allerbesten Ideen. Wenn ich groß bin, will ich genauso sein wie du.«

Ich schniefe leise und knutsche ihr auf den Scheitel. Voll lieb, dass sie das sagt. Aber es hilft mir leider nicht, dass mich ein Kindergartenkind toll findet. Weil ich Sandkastenmonsterzirkus spiele, Weltraumgemüse anbaue und die Sauriersprache erfinde. Das mag für Fünfjährige spaßig sein. Cool ist es nicht, cool sind die anderen, ich bin nur anders – und das ist nicht cool.

»Komm schon, Anni, lass uns Urzeitschule spielen. Die Dinos wollen das ABC lernen!«, bettelt Nele und drückt mir eine blaue Echse mit grünen Streifen in die Hand. Beinahe hätte ich aufgeschrien vor Schreck.

»B-Benita?«, stottere ich verdattert.

»Nee, das ist Trixi«, meint Nele und stellt ihre Plastikdinos in Zweierreihen auf. Heute ist erster Schultag im Dinodorf. Ich bin so überrumpelt, dass ich mitspiele. Dabei horche ich immer wieder in mich rein, kann aber kein Chamäleon in meiner Fantasie entdecken. Erleichtert atme ich aus und stampfe mit Trixi zu den Hausaufgaben, wenigstens der Triceratops soll versetzt werden. Bei mir ist sowieso alles verloren. Brav öffne ich das Lesebuch, und da passiert es: Trixi schlüpft aus meiner Hand. Sie hüpft auf das Buch, tippt mit ihrer Kralle auf den ersten Satz, und plötzlich verschieben sich die Buchstaben. »Folge dem ABC«, steht jetzt da. Ich blinzele zweimal, dann ist der Zauber vorbei – und ich brauche dringend eine Auszeit.

Als ich Nele das sage, bekommt sie einen kleinen Wutanfall, weil es gerade so schön war, mit mir zu spielen. Ein Hartplastiksaurier fliegt an meinen Kopf, und ich verziehe mich genervt auf mein Zimmer. Dort lege ich mich aufs Bett und denke nach: über meine beste Freundin, die keine mehr ist, Joris, der mich nicht beachtet, und meine Noten, die kaum schlechter sein könnten. Wenn ich doch nur wüsste, wie ich da rauskomme! Frustriert vergrabe ich den Kopf unterm Kissen.

»Worauf wartest du?«, fragt da eine Stimme, und vor meinen Augen entsteht ein regenbogenbunter Urwald. Benita hockt auf einem Ast und schaut mich mit ihren Kulleraugen eindringlich an. »Das ABC ist die Lösung. Vertrau mir«, fügt sie hinzu, und ich frage mich das erste Mal: Was wäre wenn? Was, wenn es wirklich funktionierte?

»Tut es«, versichert mir Benita, die offenbar wieder unerlaubt meine Gedanken mithört. »Was hast du zu verlieren?«

Damit hat sie mich. Ich bin bereits uncool, aussichtslos verknallt und versetzungsgefährdet. Es kann also nur besser werden. Außerdem liebe ich verrückte Experimente. Und wer weiß, vielleicht lerne ich sogar a-b-zaubern. Kleiner Scherz, ich glaube trotz Echsenerscheinungen am helllichten Tag nicht an Magie, schließlich bin ich bald dreizehn.

Aber schaden kann dieses ABC-Ding irgendwie nicht. Im Zweifelsfall bleibt alles beim Alten.

»Okay«, willige ich ein. Benita lächelt und ist, puff, verschwunden. Dabei wollte ich sie gerade fragen, was ich tun soll. Buchstabensuppe essen? Kreuzworträtsel lösen? Oder Scrabble spielen?

»Benita?«, frage ich und lüfte das Kissen.

»Wer ist diese Benita?« Nele steht am Fußende meines Bettes und sieht sich suchend in meinem Zimmer um. Ich habe gar nicht gehört, wie sie reingekommen ist. Das mit dem Anklopfen müssen wir wohl noch üben.

»Nicht Benita. ›Wer ist da?‹, habe ich gesagt. Das hast du nur falsch verstanden«, improvisiere ich. Was ich auf keinen Fall brauche, ist, dass alle glauben, ich hätte einen Vogel. Ein Chamäleon reicht mir vollkommen. Und damit mich das endlich in Ruhe lässt, werde ich das mit dem ABC jetzt angehen. Voller Tatendrang springe ich auf. Und pralle mit dem Kopf gegen die Dachschräge. Autsch! Das fängt ja gut an. Ich reibe mir die Schläfe und überlege, ob ich das ABC-Abenteuer wirklich antreten soll. Bei meinem Glück kommt unter A die Apokalypse, ein Allergieschock oder Auffahrunfall.

»Ich habe dir etwas gemalt«, unterbricht Nele meine Endzeit-Fantasien, die ich komischerweise amüsant finde. »Als Entschuldigung, weil ich dich mit dem Dino beworfen habe«, fährt meine kleine Schwester fort und holt mit einem strahlenden Lächeln mein allerliebstes Lieblingsshirt hinter dem Rücken hervor. Darauf hat sie mit Textilfarbe einen pummeligen, pinken Dino gezeichnet. Mir bleibt augenblicklich die Luft weg. Wahrscheinlich ist das der befürchtete Asthmaanfall.

»Magst du es?« Nele drückt mir das T-Shirt in die Hand.

»Ah«, keuche ich. Zum Glück klingt es wie ein halbes Ja, denn Nele hat es nur gut gemeint. Trotzdem könnte ich heulen.

»Hab dich lieb.« Nele gibt mir einen Schmatzer auf die Wange, dann hüpft sie mit einem selbstgedichteten Liedchen (»Ein Aalfisch wollte Hochzeit feiern in dem tiefen Abflussrohr«) auf den Lippen aus dem Zimmer.

Und ich? Schließe erst mal die Augen! Das Gute ist, jetzt kann es kaum schlimmer werden. Ich schnaufe ein paarmal tief durch: Hier unten, im tiefsten Abgrund, ist die Luft ausgesprochen dünn. Mehrere A-Wörter flirren durch mein Hirn, einige davon ziemlich unanständig. Nach mehreren Atemzügen entscheide ich mich gegen Ausrasten und gehe runter. Wenn ich heute noch von A nach B kommen will (über dieses kleine Wortgedankenspiel muss ich trotz allem schmunzeln), brauche ich dringend was zu essen. Ein mies gelaunter Bauch kann einem nämlich jeden Spaß verderben. Und meiner orakelt finster herum, vielleicht ist es auch nur Hunger.

Angesichts meines frisch gestarteten ABC-Experiments beschließe ich, etwas mit A zu essen. Im Kühlschrank finde ich aber nur abgelaufene Ananasstückchen. Appetitlich ist das nicht. Ich ziehe weiter zum Süßigkeitenfach und entdecke tatsächlich eine Tüte saurer Apfelringe. Was für ein Glück. Ich liebe diese Teile. Genüsslich kaue ich auf einem herum und überlege, wie ich meine ABC-Tour am besten starte. Benita hätte mir ruhig eine Anleitung geben können. Was soll’s. Muss ich mir eben selbst ein paar Aktivitäten ausdenken. Spontan fällt mir unter A zunächst nur so was Beklopptes wie »achtsames Achselzucken« ein (was ich gleich mal ausprobiere und für öde befinde). Mal sehen, was gibt es noch mit A? Akrobatik fänd ich super, bin dafür jedoch zu unsportlich, also mache ich alternativ Armkreiseln. Aber außer, dass ich mich fühle wie eine altersschwache Propellermaschine, die es nicht schafft abzuheben, passiert nichts. Ich komme mir nur albern vor. Absolutely awkward, kann ich Esther beinahe lachen hören.

Das ist doch für’n Arsch, denke ich (obwohl ich solche Worte normalerweise nicht benutze). Wie soll mich das hier weiterbringen? Wahrscheinlich mache ich mich dabei nur noch mehr zum Affen. Ich will schon hinschmeißen, da höre ich ein strenges Chamäleonräuspern in meinem Ohr, und so gebe ich dem Ganzen noch eine allerletzte Chance.

Ich schnappe mir einen Zettel und notiere alles, was mir mit A einfällt: Amöbenzucht, Astronautenkekse, Ablenkmanöver, Autoklauen und Abwaschen. Das ist alles irgendwie nichts. Achterbahnfahren wäre aufregend, aber das kann man in einer Kleinstadt wie meiner an einem gewöhnlichen Dienstagnachmittag nicht mal eben machen. Dieses ABC-Experiment ist aufwendiger als gedacht. Ich überlege weiter und esse. Esse und überlege. Doch es kommt nichts Gutes dabei heraus. Nach dem achtzehnten Apfelring ist mir nur schlecht, und ich beschließe, das A zu überspringen. Schließlich habe ich drei davon in meinem Namen, und die haben mir in den vergangenen zwölf Jahren auch nicht besonders viel Glück gebracht.

KAPITEL 3

B wie Blessuren

»Benita«, rufe ich ein paarmal unter mein Kissen in der Hoffnung, dass sie mir erklären kann, wie ich am besten weitermache. Denn nachdem ich mit dem A keinen Erfolg hatte, überfällt mich gerade (wie so oft in letzter Zeit) eine merkwürdige Bangigkeit, die man in etwa so beschreiben kann: Ich habe brutal Schiss, es zu vermasseln. Das habe ich bislang noch niemandem erzählt. Nun beichte ich es in meinen Bettbezug und drücke dabei die Daumen, dass Benita mir hilft. Doch mein magisches Chamäleon erscheint nicht. Also frage ich meinen Teddy Bommel, ob er eine Idee hat. Schließlich ist er seit dem Kindergarten mein treuester Freund und hat als Braunbär gleich mehrere B am Start. In den letzten Wochen hat er sich geduldig all meinen Kummer angehört. Vor ein paar Tagen allerdings kam es mir plötzlich bescheuert vor, mit einem Plüschbären zu reden, und so habe ich Bommel ins Bücherregal verbannt. Jetzt hole ich ihn wieder raus und entschuldige mich. Er verzeiht mir, und ich drücke ihn fest an mich. Seine kuschelweiche Umarmung tut gut. Ich erzähle ihm von Benita und dem ABC-Experiment. Bommel findet das brillant und hat gleich eine Billion Vorschläge.

Lange sitzen wir auf dem Bett und diskutieren darüber, was wir mit dem B anfangen wollen. Ich könnte mir vorstellen, ein Buch zu lesen (ein Wie-werde-ich-beliebt-Ratgeber wäre prima), Bommel findet das aber einfallslos und schlägt seinerseits Bimmelbahnfahren und Baumfällen (wie er darauf kommt, ist mir ein Rätsel) vor, woraufhin ich Bungee-Jumping bringe, aber davon hält der Bär nichts. Er möchte Butterblumenhonig, ich habe Lust auf Bananenmuffins. Irgendwann ist mein Bommelchen vom vielen Beratschlagen müde und schläft ein. Ich hingegen will jetzt dringend etwas B-mäßiges machen. Mein Blick fällt auf die Buntstifte, die verstreut auf dem Boden liegen. Das ist es: Ich verfasse einen Brief! Gesagt, getan. Ich schnappe mir einen Block und bin bereit. Bloß, wem soll ich schreiben? Bedächtig tippe ich mit dem Bleistift gegen mein Kinn. Meiner Patentante aus Berlin vielleicht. Und was? Dass ich keine beste Freundin mehr habe, in Mathe auf Vier stehe und unglücklich verliebt bin? Prompt wandern meine Gedanken zu Joris. Wenn er mich doch nur beachten würde … Unwillkürlich male ich ein großes Herz, mein eigenes klopft ein bisschen schneller, als ich dichte: Lieber Joris, deine Augen sind blau, das weiß ich genau. Deine braunen Locken haun mich von den Socken. Ich find dich total süß, deine Annalea, tschüs. Ich zeichne noch ein paar Blumen dazu, dann ist das Blatt voll. Danach verfasse ich noch ein böses Totenkopf-Memo an Clara und Esther, in dem ich sie bärtige Besenhexen nenne. So, da habt ihr’s!

Irgendwie fühle ich mich plötzlich leichter, als hätte ich all meinen Ärger und Kummer auf dem Papier gelassen.

Sorgfältig verstaue ich die Briefe in meinen Rucksack (da sind sie sicher vor neugierigen kleinen und großen Schwestern) und begebe mich in die Küche, denn ich habe nach den vielen Apfelringen Durst.

Während ich mir Wasser einschenke, das bedauerlicherweise nicht so blau wie im Bilderbuch ist, kommt mir eine Idee: Ich braue mir eine Blaubeerbrause. Bestimmt macht die schön und schlau, allein schon wegen der Vitamine.

Beschwingt schütte ich tiefgefrorene Beeren und etwas Bourbonvanillezucker in einen Messbecher und schnappe mir den Stabmixer. Der brummt mit einem tiefen Bass los und wird dann immer schriller. Es ist gar nicht so leicht, die knallharten Beeren kleinzukriegen. Ich schalte den Turbo-Booster ein, und meine Arme, die Beine, sogar meine Brille vibrieren. Ich komme mir vor wie bei einem Raketenstart. Kurz bevor ich abhebe, macht es plötzlich dicht neben meinem Ohr »BUH«!

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