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Liebesreise nach Australien 2

hier erhältlich:

Ein schwieriger Mann
LINDSAY ARMSTRONG

Das ist die Chance für Juanita: Der Bestseller- Autor Gareth Walker beauftragt sie, sein Haus in Sydney komplett neu einzurichten. Aber sie hätte nicht damit gerechnet, dass die Zusammenarbeit mit ihm so schwierig würde ... Und so aufregend!
Eine außergewöhnliche Frau
HELEN BIANCHIN

Um ihren Vater vor einer Anzeige zu retten, bietet sich Mikayla dem Millionär Rafael Velez-Aguilera für ein Jahr als Geliebte an. Ohne zu zögern stimmt der smarte Unternehmer zu, nicht ahnend, dass sie schon bald sein Herz im Sturm erobert.
Ein unerwartetes Happy-End
ROSEMARY BADGER

Wütend darüber, dass ihre Firma für ein Landschaftsprojekt in Bargera nicht berücksichtig wurde, startet Kelly McGuire eine Kampagne gegen den skrupellosen Bauherrn. Doch Jack Saunders denkt gar nicht daran, sich von der zornigen Frau ins Boxhorn jagen zu lassen. Er hat da eine viel bessere Idee, um sie auf seine Seite zu ziehen.


  • Erscheinungstag: 01.06.2014
  • Seitenanzahl: 400
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955763756
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Liebesreise nach Australien 2

Lindsay Armstrong

Ein schwieriger Mann

Helen Bianchin

Eine außergewöhnliche Frau

Rosemary Badger

Ein unerwartetes Happy End

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieser Ausgabe © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der englischen Originalausgaben:

A Difficult Man

Copyright © by Lindsey Armstrong

Mistress By Contract

Copyright © by Helen Bianchin

The Hero Trap

Copyright © by Rosemary Badger

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Getty Images, München

ISBN eBook 978-3-95576-375-6

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Lindsay Armstrong

Ein schwieriger Mann

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1. KAPITEL

“Wer um alles in der Welt sind Sie?”

Wie betäubt starrte Juanita Spencer-Hill auf den hochgewachsenen Mann, der wütend, aber auch ein wenig überrascht die Haustür aufriss. Die junge Innenarchitektin hatte sich gerade mit dem Messing-Türklopfer an dem schweren Eichenportal der Villa als Besucherin bemerkbar gemacht. Der hochgewachsene Mann, der daraufhin öffnete, war eindeutig der höchst verstimmte Hausherr.

Juanita Spencer-Hill kannte ihn bisher nur aus dem Fernsehen: Gareth Walker, Autor zahlreicher Bücher mit Millionen-Auflagen, war erst vor Tagen in einer TV-Talkshow über seinen neuesten Bestseller interviewt worden. Die Sendung hatte nachträglich für Schlagzeilen in den Zeitungen gesorgt, weil Gareth Walker die ebenfalls sehr prominente TV-Moderatorin – bekannt vor allem für unerschütterlich kühle Gelassenheit – regelrecht in Grund und Boden geredet hatte. Gareth Walker war dies mit einer höchst anregenden Mischung aus Scharfsinn, Schlagfertigkeit und Humor gelungen, zu der sich obendrein der hintergründig verhaltene Charme eines Mannes im besten Alter gesellte, der mit Frauen offenbar recht weitreichende Erfahrungen hatte.

Während der spektakulären TV-Show hatten sich außer Juanita Spencer-Hill vermutlich Millionen anderer Fernsehzuschauerinnen insgeheim gefragt, wie dieser Mann wohl im Bett wäre. Als Juanita kurz darauf erfahren hatte, dass sie Walker in ihrer Eigenschaft als Innenarchitektin aufsuchen sollte, war sie von vornherein auf Überraschungen vorbereitet.

Die Überraschung fiel auf den ersten Blick größer aus als erwartet: In Wirklichkeit sah Gareth Walker noch attraktiver aus als auf dem Bildschirm – woran auch sein offenbar entnervter Gemütszustand nichts änderte. Sein etwas schmuddeliges Hemd und die ausgeblichenen Bluejeans wirkten zwar nicht gerade vorteilhaft, umso mehr aber die fantastisch männliche Figur, die sich darunter abzeichnete. Er war deutlich über einsachtzig groß, hatte breite Schultern und kein Gramm zu viel auf den Rippen. In seinem markanten Gesicht stachen unter glattem dunkelblondem Haar besonders die tiefblauen Augen hervor – im tiefsten Blau, das Juanita je gesehen hatte.

“Ich wiederhole meine Frage”, zeigte sich Gareth Walker gereizt. “Wer sind Sie, warum stören Sie mich, und warum glotzen Sie mich wie ein Weltwunder an?”

“Das … das tue ich doch gar nicht!” Juanita hatte Mühe, ihre Verlegenheit zu überspielen. Ein wenig unbeholfen streckte sie dem Bestseller-Autor die Hand entgegen. “Guten Tag! Mein Name ist Juanita Spencer … Spencer-Hill von der Firma ‘BLUEMOON-Inneneinrichtungen’. Wir hatten für heute, zehn Uhr, einen Termin vereinbart.”

“Sieh mal einer an: Spencer-Hill!” Gareth Walker betonte jede Silbe ihres Namens. “Angekündigt war aber der Besuch einer Dame, die schlicht ‘Hill’ heißen soll.”

Geflissentlich übersah Walker Juanitas ausgestreckte Hand. Nur für den Bruchteil einer Sekunde streifte sein Blick ihre feingliedrigen Finger und das zierliche Handgelenk, an dem sie außer der Uhr einen goldenen Armreif trug. Zusammen mit einem Siegelring am kleinen Finger war dies der einzige Schmuck, den sie angelegt hatte.

Mit geradezu anmaßender Gründlichkeit musterte Gareth Walker die Besucherin von Kopf bis Fuß. Sein Blick glitt von ihrem glänzenden dunklen Haar, das im Nacken zusammengebunden war, zu ihren ebenfalls dunklen Augen und weiter über den eleganten, langen schwarzen Rock, der ihre schlanke Figur besonders vorteilhaft zur Geltung brachte. Dann verharrte sein Blick einen Augenblick lang an dem Stock, auf den Juanita sich leicht stütze. Was er dabei dachte, blieb zunächst unklar.

“Also – wer sind Sie? Miss Hill? Oder Mrs. Spencer-Hill?”

Juanita schluckte. “Bei… beides, Mr. Walker. Ich arbeite unter dem Namen ‘Hill’, obwohl mein vollständiger Familienname eigentlich ‘Spencer-Hill’ lautet.”

“Dann gehören sie vermutlich”, stellte Gareth Walker mit unüberhörbarer Ironie fest, “zu dieser ruhmreichen Familie gleichen Namens, die sich damit brüstet, hauptsächlich aus Künstlern und Sportlern zu bestehen.”

“Mein … mein Vater ist Filmschauspieler, meine Mutter Porträtmalerin, und mein Bruder fährt Formel-1-Rennen. Das … das ist völlig richtig”, gab Juanita zu. “Aber unter anderem Namen arbeite ich wirklich nur, weil ich die Popularität meiner Familie nicht für persönliche berufliche Belange ausnutzen möchte.”

“Oder weil Sie Gründe haben, sich von Ihrer Familie zu distanzieren.” Gareth Walkers gereizter Gesichtsausdruck wich dem Anflug eines Lächelns.

Juanita holte tief Luft. “Ich habe weder vor, mit Ihnen über meine Familie zu diskutieren, noch mich von Ihnen beleidigen zu lassen. Ich komme rein beruflich als Beauftragte der Firma BLUEMOON zu Ihnen – aber offenbar bringen Sie mir ein so hohes Maß spontaner Ablehnung entgegen, dass ich eigentlich nicht glaube, Sie zufriedenstellen zu können. Deshalb gehe ich. Guten Tag, Mr. Walker!”

Juanita schickte sich an, zu ihrem parkenden Wagen zurückzugehen, als Gareth Walker sie mit einer unerwarteten Antwort überraschte.

“Bravo!”, sagte er ohne jede Ironie. “Sie haben gerade nicht ein einziges Mal gestottert. Aber warum gehen Sie am Stock?”

Juanita blieb wie angewurzelt stehen. “Was geht Sie das an?”

Walker lächelte entwaffnend. “Wollen wir uns lieber dem zuwenden, was mich wirklich etwas angeht – meinem Auftrag? Dann kommen Sie bitte ins Haus!”

Er machte ihr Platz, wobei er sie mit belustigtem Seitenblick musterte. “Wie alt sind Sie, Miss Spencer-Hill?”

“Auch das”, wiederholte Juanita ungerührt, “geht Sie nicht das Geringste an, Mr. Walker.”

“Ich glaube doch”, widersprach er. “Immerhin sind Sie hier, um sämtliche Räume meiner Villa vom Keller bis zum Dachboden zu renovieren – und angesichts der nicht gerade geringen Größenordnung meines Auftrages hätte ich schon ganz gerne etwas genauer gewusst, wem ich ihn anvertraue. Übrigens: Ich bin 36, und Sie schätze ich auf … etwa 28.”

“Ich bin 25”, gab Juanita ungewollt die Information preis.

“Schrecklich!” In fast jungenhafter Manier verdrehte Walker die Augen. “Ich meine nicht Ihr Alter, sondern meine miserable Schätzgabe. Das Alter einer Frau zu hoch zu taxieren, ist die einzig zuverlässige Methode, Frauen zu verletzen. Was kann ich tun, um mich zu bessern?”

“Nichts. Dass ich eine Frau bin, ist absolut nicht von Bedeutung.”

“Auch in diesem Punkt muss ich Ihnen leider widersprechen. Das Geschlecht eines Menschen ist nie gleichgültig. Daran ändern auch radikale Feministinnen nichts, die dies gern bestreiten. Gehören Sie zu dieser besonderen Gruppe von Frauen, Miss Spencer-Hill?”

“Nicht im Geringsten”, entgegnete sie frostig.

“Das freut mich – aus zwei Gründen!” Gareth Walker nickte Juanita zufrieden zu. “Erstens kann ich den Ansichten radikaler Frauen ohnehin nichts abgewinnen. Und zweitens hätte ich Sie glatt für eine Lügnerin gehalten, wenn Sie sich als engagierte Feministin ausgegeben hätten. – Aber nun treten Sie wirklich ein, Miss Spencer-Hill! Statt im Stehen vor der Haustür können wir unser Gespräch unter erheblich komfortableren Bedingungen in meinem Arbeitszimmer fortsetzen. Kommen Sie!”

Gareth Walker ging voran, um ihr den Weg zum Arbeitszimmer zu weisen, das dem Eingang gegenüber am hinteren Ende der beeindruckend großen Diele lag.

Juanita musterte ihren prominenten Kunden irritiert von hinten, bevor sie ihm zögernd folgte. Immerhin ging es um eine berufliche Chance besonderer Art: um ihren ersten größeren Auftrag als Innenarchitektin, den sie – ganz auf sich gestellt – für die Firma BLUEMOON abwickeln sollte.

“Bitte nehmen Sie Platz!”

Gareth Walker wies auf einen schweren schwarzen Ledersessel, während er sich hinter einem gewaltigen Mahagoni-Schreibtisch gemütlich rekelte. “Bequem?”

Juanita nickte.

Walker beobachtete – halb interessiert, halb belustigt – ihre kerzengerade Sitzhaltung. “Bitte entschuldigen Sie meine unfreundliche Begrüßung, Miss Spencer-Hill. Erstens habe ich – frei heraus gesagt – den heutigen Termin mit Ihnen schlicht vergessen. Und zweitens – das erklärt den ersten Punkt – beschäftigt mich heute Morgen eine bemerkenswerte Fülle literarischer Ideen. Sie wissen wahrscheinlich, dass ich Schriftsteller bin.”

Juanita nickte erneut. “Das ist mir bekannt.”

“Dann sehen Sie mir meine emotionalen Entgleisungen bei der Begrüßung hoffentlich nach. Als Kind einer Künstler-Familie wissen Sie ja selbst …” Walker schmunzelte. “… wie unberechenbar Freischaffende sind. Bei der Gelegenheit: Wie geht es Ihrer Mutter? Ihre und meine Wege haben sich in der Vergangenheit verschiedentlich gekreuzt.”

“Es geht ihr gut, danke”, erwiderte Juanita.

“Und ist die sogenannte offene Ehe Ihrer Eltern noch immer so offen wie früher?”

Juanita schwieg verstört.

“Ich habe immer geglaubt”, fuhr Gareth Walker unbeirrt fort, “dass Kinder solcher Eltern am meisten unter deren regelwidrigen Vereinbarungen zu leiden haben. Erklärt dies möglicherweise Ihr zeitweiliges Stottern, Miss Spencer-Hill?”

Der Hieb auf Juanitas Elternhaus saß. Sie wurde aschfahl im Gesicht. “Wie Sie in meine Privatsphäre einzudringen versuchen, ist unerträglich, Mr. Walker”, sagte sie mühsam beherrscht. “Wa… was gibt Ihnen das Recht, mich auf so aufdringliche Weise aushorchen zu wollen?”

Gareth Walker ließ sich mit seiner Antwort Zeit. Doch während er über Juanitas Frage ernsthaft nachzudenken schien, musterte er sie so eindringlich, dass ihr unbehaglich zumute wurde.

“Ich kann es wahrscheinlich einfach nur nicht ertragen”, gestand Walker schließlich, “der Unaufdringlichkeit zuliebe um den heißen Brei herumzureden. Können Sie das, Miss Spencer-Hill?”

“Ich? N… nein!”, entgegnete sie, zögerte sekundenlang und fügte leise hinzu: “Trotzdem finde ich, dass Sie in Ihrer Direktheit um einiges zu weit gehen.”

“Wirklich?” Gareth Walker sah Juanita ernst an. “Ich glaube, man kann die Dinge auch anders, mehr von der praktischen Seite sehen. Es ist doch so: Jeder normale Mensch fragt sich unwillkürlich nach den Gründen, warum eine so junge Frau wie Sie am Stock geht. Die Ursachen sind für fast alle Leute tabu. Sie wagen danach ebenso wenig zu fragen wie nach den Gründen Ihres zeitweiligen Stotterns. Doch gerade weil diese Fragen unbeantwortet im Raum stehen, beschäftigen sie einen. Erst wenn die Ursache klar und die Frage beantwortet ist, ist sie kein Thema mehr und damit aus der Welt.”

Mit einer so entwaffnend ehrlichen Erklärung hatte Juanita nicht gerechnet. Trotzdem hielt sie es für besser, Gareth Walker klarzumachen, dass es Grenzen gab. “Wir reden aneinander vorbei. Unerträglich finde ich vor allem, wie Sie meinen, meine Familie beleidigen zu können.”

“Auch das sollte kein Thema mehr sein.” Aus tiefblauen Augen sah er sie ebenso offenherzig wie belustigt an. “Ich wollte wirklich weder Sie noch Ihre Familie beleidigen. Trotzdem bin ich mir ganz sicher, dass Sie gute Gründe haben, mit dem Decknamen ‘Hill’ Ihre Zugehörigkeit zu der bekannten Familie ‘Spencer-Hill’ zu leugnen. Der Name ‘Spencer-Hill’ weckt nur die Neugier der Leute, deren Wissbegier vor allem Ihren Eltern gilt. Sie sind solch ein … hochprofiliertes Paar, nicht wahr?”

Einen Augenblick lang schwieg Juanita unter dem irritierenden Blick aus diesen bemerkenswert blauen Augen ihres prominenten Kunden. “Ich habe”, erwiderte sie dann, “ein bestimmtes Gefühl bei Ihnen, Mr. Walker.”

“In welcher Beziehung?”

“Dass Sie außerordentlich talentiert sind, sehr eigenwillige Ansichten zu entwickeln und …”

“Woraus schließen Sie das?”

“Würden Sie mir bitte nicht ins Wort fallen?”

“Natürlich nicht!” Gareth Walker setzte eine höflich-interessierte Miene auf.

“Sie müssen sich”, sagte Juanita mühsam beherrscht, “offenbar gezielt in Szene setzen. Hauptsächlich daraus erkläre ich mir Ihre geradezu unglaubliche Neugier, die offenbar vor allem meiner Familie gilt. Um diese grenzenlose Neugier zu befriedigen: Meine Eltern sind in der Tat hochbegabte Künstler. Einige Dinge, die sie in der Vergangenheit getan haben, sind nur aus ihrem ungewöhnlich individuellen Naturell erklärbar. Ich liebe sie beide, und Ihnen, Mr. Walker, stände es gut zu Gesicht, sich bei Gelegenheit auf Ihr eigenes Naturell mit all seinen Ecken und Kanten zu besinnen, statt …”

“Sprechen Sie ruhig weiter!”

“… statt andere Menschen zur Zielscheibe Ihrer sonderbaren emotionalen Ausbrüche zu machen.” Juanita verharrte einen Augenblick lang, bevor sie, ohne zu stottern, mit fester Stimme fortfuhr: “Nachzutragen bleibt allenfalls noch, dass ich nur deswegen nicht auf der Stelle gehe, weil es für meine berufliche Zukunft schädlich sein könnte, Ihren Auftrag zu verlieren. Und um Ihre Neugier zu befriedigen, weshalb ich am Stock gehe: Ich hatte einen Autounfall. Die Folgen sind fast überstanden. Lediglich meine linke Hüfte ist noch nicht besonders belastbar. Und was meinen leichten Sprachfehler angeht: Gestottert habe ich schon immer. Können wir uns jetzt vielleicht den geschäftlichen Dingen zuwenden, Mr. Walker?”

Gareth Walker rückte den schweren schwarzen Schreibtischledersessel zurück und stand auf. “Selbstverständlich! Ich bin, offen gestanden, froh darüber, dass Sie sich so freimütig geäußert haben. Wo fangen wir bei den wirklich wesentlichen Dingen an? Vielleicht bei der naheliegenden Frage: Bleiben Sie über Nacht?”

“Eigentlich waren sogar mehrere Übernachtungen vorgesehen.” Die Worte waren heraus, noch bevor sich Juanita der Tragweite bewusst war.

“Warum nicht? Eine ausgezeichnete Idee!” Mit verschränkten Armen blieb Gareth Walker vor seinem Schreibtisch stehen und sah sie amüsiert an.

“Eine Alternative bestände darin”, versuchte Juanita einen vorsichtigen Rückzieher, “in einem Motel in der Umgebung zu übernachten.”

“Auf keinen Fall”, wehrte Walker ab. “Ich bin zwar in mancher Beziehung ziemlich weltfremd, aber im Augenblick halte ich es nicht gerade für praktisch, Geld für ein Motel auszugeben, obwohl sich hier in meiner Villa zehn Personen verirren könnten, ohne dass es jemand merkt. Apropos Geld ausgeben: Ich habe Ihrer Firma versichert, jeden erdenklichen Preis für die bevorstehende Renovierung zu entrichten – unter der Bedingung, dass die damit verbundenen Arbeiten so rasch wie möglich durchgeführt werden.”

“Ich werde mit Sicherheit mein Bestes tun, mit einem Minimum an Zeit auszukommen”, versicherte Juanita. “Allerdings ist nicht auszuschließen, dass Sie an meinen Ideen, die Räume neu zu gestalten, überhaupt keinen Gefallen finden. Dies ist der Anlass meines heutigen ersten Besuchs, der darauf zielt, eine Reihe vorläufiger Skizzen und Pläne in Absprache mit Ihnen zusammenzutragen.”

Gareth Walker musste unwillkürlich schmunzeln. “Sie gehen mit einer Gründlichkeit zu Werke, als sei statt einer simplen Hausrenovierung mindestens eine Besteigung des Mount Everest geplant. Warum?”

“Das lässt sich leicht erklären. Häuser zu renovieren ist kein Problem, Mr. Walker – aber ihre Eigentümer stellen oft eins dar.”

“Gut ausgedrückt, Miss Spencer-Hill”, lobte Walker und lachte. “Ich bewundere Ihre Offenheit ebenso sehr wie einige andere Dinge an Ihnen. Hat Ihre Mutter Sie je gemalt?”

Juanitas Blick verriet Verwirrung. “Nein”, erwiderte sie zögernd. “Warum sollte sie?”

“Na, ich bitte Sie. Ihnen müsste eigentlich bekannt sein, wie attraktiv Sie sind!”

“Bin … bin ich überhaupt nicht”, widersprach Juanita. “Ich bin viel zu groß, viel zu schmal und habe einen viel zu blassen Teint. Mög… möglicherweise werde ich Zeit meines Lebens obendrein stottern und am Stock gehen.”

“Das ist noch nicht alles”, stellte Gareth Walker ungerührt fest. “Darüber hinaus haben Sie wundervolles Haar und ausdrucksvolle Augen, und alles, was Ihre Haut braucht, ist ein bisschen Sonne, um Ihren Teint wie Elfenbein wirken zu lassen. Zu dünn sind Sie übrigens auch nicht. Im Gegenteil – Ihre Taille verrät das Idealgewicht. Vor allem aber umgibt Sie – zusätzlich zu all diesen Vorzügen – ein Hauch von Eleganz. Ich kann mir nicht vorstellen, Miss Spencer-Hill, dass Ihnen dies alles bisher noch nie ein Mann offenbart hat.”

Vergeblich versuchte Juanita, ihre Verlegenheit zu verbergen. Sie wurde rot – und fing prompt an zu stottern. “Noch … noch nicht richtig. Ich … ich meine …”

“Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie nur stottern, wenn Sie nervös sind?”, wollte Gareth Walker wissen. “Sobald Sie wütend werden, sprechen Sie ganz normal und flüssig. Mich verwirrt allerdings, dass Sie auf ehrliche Komplimente so nervös reagieren.”

Bilde ich mir das nur ein, durchschoss Juanita der Gedanke, oder unternimmt dieser Mann einen echten Annäherungsversuch?

“Nein, ganz und gar nicht. Noch nicht”, sagte Gareth Walker leise.

Juanita glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. “Wo … woher wi… wissen Sie …”

Er lächelte verhalten. “Ihr Gesicht verrät Ihre Gedanken.”

Sie runzelte die Stirn. “Was soll das heißen?”

“Das soll nur heißen, dass …”

“Sehen Sie mich dabei bitte an, Mr. Walker!”

“Nennen Sie mich einfach Gareth”, forderte er sie freundlich auf.

“Nein, das werde ich nicht, Mr. Walker”, widersprach Juanita.

“Ich wüsste nicht, was daran anrüchig wäre.” Er sah sie belustigt an. “Haben Sie etwa Angst davor, dass ich mich zu dem Versuch hinreißen lassen könnte, Sie … anzubaggern?”

“So weit werde ich es nicht kommen lassen”, antwortete Juanita betont kühl. “Es tut mir leid, Mr. Walker, aber unter diesen Bedingungen kann ich selbstverständlich nicht mit Ihnen zusammenarbeiten.”

Er hob die Augenbrauen. “Unter welchen Bedingungen?”

“Ich glaube, Sie wissen, was ich meine.”

“Keineswegs.” Ebenso arglos wie offenherzig sah er sie an. “Natürlich gibt es Männer, die Frauen aus Gewohnheit anbaggern. Aber zu dieser Sorte von Männern gehöre ich nicht.”

Juanita atmete schwer. “Das sagen Sie! Gleichzeitig sind Sie aber derjenige, der das Thema ‘Annäherungsversuch’ überhaupt ins Gespräch gebracht hat.”

“Und Sie, Miss Spencer-Hill, waren diejenige, die als Erste zwar nicht darüber gesprochen, aber immerhin daran gedacht hat”, konterte Gareth Walker. “Ich habe mir nicht mehr zuschulden kommen lassen, als Ihnen in aller Aufrichtigkeit zu sagen, wie interessant und attraktiv Sie als Frau auf mich wirken. Und ich habe mir wirklich nichts dabei gedacht, als ich die beiden fatalen kleinen Worte ‘noch nicht’ benutzt habe – was Sie nicht daran hinderte, auf das hohe Ross zu steigen und Verdächtigungen übelster Art gegen mich zu hegen. Doch ich kann Sie beruhigen, Miss Spencer-Hill: Bevor ich mit einer Frau intim werde, pflege ich diese Frau um einiges besser zu kennen als Sie!”

Die Wut, die Juanita empfand, machte sie einen Augenblick lang sprachlos.

“Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?”, erkundigte sich Walker spöttisch. “Falls es so ist, darf ich dann …”

“Nein, Sie dürfen nicht”, fand Juanita die Worte wieder. “Ich bin nicht bereit, Ihr albernes Spiel und die damit verbundenen Wortklaubereien weiter mitzuspielen.”

“Wieso?”

“Wieso was?”

“Wieso klammern Sie automatisch die Möglichkeit aus, dass dieses Spiel, wie Sie es nennen, dazu führt, uns gegenseitig kennen- und vielleicht lieben zu lernen?”

“Weil ich mich nicht den lieben langen Tag über auf Partnerschaftssuche begebe – und erst recht nicht, während ich geschäftliche Termine wahrnehme”, erwiderte Juanita wütend. “Letztmalig meine Frage, Mr. Walker: Können wir jetzt bitte endlich zum konkreten Anlass meines Besuchs kommen?”

“Natürlich.” Seine Stimme verriet unerschütterliche Gelassenheit. “Aber sagen Sie: Kommen Ihnen eigentlich bei dem berühmten letzten Wort, das Sie sich offenbar gern gönnen, nie nachträgliche Bedenken?”

Ebenso wütend wie abrupt erhob sich Juanita – was ein Fehler war, wie ihre Hüfte sie im gleichen Augenblick spüren ließ. Noch bevor Juanita nach dem Stock greifen konnte, der sicheren Halt versprach, stolperte sie.

“Hoppla!” Hilfsbereit legte Gareth Walker die Hand um Juanitas Taille, stützte sie kurz – und zog, kaum dass sie das Gleichgewicht zurückerlangt hatte, sofort die Hand zurück, um Juanita den Stock zu reichen.

“Danke”, sagte sie steif.

Nur wenige Zentimeter trennten Juanita von Gareth Walker, und als ihr Blick seinem begegnete, erschien ihr die Situation irgendwie unwirklich – was nichts an der Wärme auf ihrer Haut änderte, die sie erst nur auf den Wangen, Sekunden später am ganzen Körper spürte. Ihr Herz schien schneller zu schlagen, während Walker sie besorgt ansah.

Juanita dachte unwillkürlich daran, was der bekannten TV-Reporterin Linda Hennessey während der Talkshow mit Gareth Walker widerfahren war. Er hatte Mrs. Hennessey, die nicht gerade auf den Mund gefallen war, in Grund und Boden geredet, bis ihr buchstäblich nichts mehr einfiel. Dass Walker dabei kein einziges Mal laut, grob oder aggressiv geworden war, stattdessen durchgängig Humor, Charme und Schlagfertigkeit unter Beweis gestellt hatte, sprach für sich und für Gareth Walkers persönliche Ausstrahlungskraft. Juanita spürte in diesem Augenblick, dass auch sie sich dieser Ausstrahlungskraft nicht entziehen konnte – trotz aller Abneigung gegen Männer, die, wie Walker, den eigenen Charme wie eine Waffe gebrauchten.

Juanita fühlte sich unfähig, den Blick von seinen tiefblauen Augen zu wenden. Seine Hände hatten sich auf ihrer Taille unerwartet sanft – ja, zärtlich angefühlt und wirkten wie eine wortlose Verständigung zwischen Mann und Frau. Die Sprache der Sinne, dachte Juanita erregt und: Warum begehrt er ausgerechnet mich?

Ein plötzliches Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Gareth Walker wandte den Blick von ihr ab und sah zur Tür. “Herein!”

Ein Mädchen, kaum älter als neunzehn, trat ins Arbeitszimmer. “Gareth, sind Besucher im Haus? Ich kann sie nirgendwo finden. Oh, Entschuldigung!” Das Mädchen hatte Juanita entdeckt. “Dann sind Sie bestimmt die Fahrerin des kleinen Cabrios draußen auf der Garagenauffahrt. Ich bin Wendy, die Haushälterin.”

Juanita musste unwillkürlich in sich hineinlächeln. Wendy wirkte nicht im Entferntesten wie eine Haushälterin. Zu engen Bluejeans trug sie ein pinkfarbenes Hemd, und das lange blonde Haar hatte sie mit einem ebenfalls pinkfarbenen Band zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Das sommersprossige Gesicht des Mädchens strahlte Frische und Fröhlichkeit aus.

“Haushälterin im ersten Lehrjahr”, korrigierte Gareth Walker trocken. “Meine reguläre Haushälterin ist Wendys Mutter, die aber im Augenblick im Krankenhaus liegt. Sie führt hier bei uns normalerweise ein strenges Regiment. Jetzt hält Wendy die Stellung.” Er wandte sich zu dem Mädchen um. “Wendy, dies ist Miss Spencer-Hill. Sie ist Innenarchitektin, wird eine Weile bei uns bleiben und wahrscheinlich für allerhand Unruhe sorgen.”

“Na und?” Wendy strahlte. “Dann kommt hier endlich mal richtig Leben in die Bude. Super! Auch Ma wird sich darüber freuen.”

Walker verdrehte die Augen. “Ich bin ja so glücklich.” Ein fast jungenhaftes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er Wendy fragte: “Und wo stecken deine schrecklichen Geschwister?”

Fast wie ein Echo auf die Frage wirkte der Lärm heftig zankender Kinder, der in diesem Augenblick so schrill von draußen ins Zimmer drang, dass Gareth, Juanita und Wendy unwillkürlich ans Fenster eilten. Von dort war der kiesbedeckte Vorhof des Anwesens mitsamt einem prachtvoll angelegten Gartenteich und der dazugehörenden Fontäne zu sehen.

Überrascht riss Juanita die Augen auf, als sie im Vorhof zwei Kinder von etwa sieben Jahren ein Duell ausfechten sah, bei dem nicht nur geboxt wurde. Obendrein zerrten die beiden kleinen, heftig streitenden Widersacher wechselseitig wie wild am Haar des Kontrahenten.

“Meinen Sie die Zwillinge?”, reagierte Wendy schmunzelnd auf Walkers Frage. “Dort sind sie!” Ihr Blick streifte Kleidung und Gesichter des Geschwister-Duos, die während des hitzigen Gefechts nicht gerade an Sauberkeit gewonnen hatten. “Ich werde die beiden am besten gleich mal in die Badewanne stecken.”

“Nein, das übernehme ich”, widersprach Gareth Walker. “Und du, Wendy, zeigst Miss Spencer-Hill inzwischen das Gästezimmer.” Er sah kurz auf die Uhr, dann wieder die beiden Frauen an. “Danach sehen wir uns alle zum Mittagessen wieder.”

Auf dem Weg zum Gästezimmer redete Wendy unentwegt auf Juanita ein. “Innenarchitektin – das wäre ich auch wahnsinnig gern! Ist bestimmt ein tierisch aufregender Job, oder? Aber man muss garantiert auch ein Superwissen drauf haben”, sprudelte sie ebenso frisch wie unbefangen hervor. “So, hier sind wir. Aber – Sie haben ja gar keinen Koffer oder so dabei.”

“Mein Gepäck liegt noch im Auto”, erklärte Juanita. “Bevor ich meinen Koffer ins Haus hole, wollte ich mich Mr. Walker zunächst vorstellen und habe das Gepäck dann ganz vergessen.”

“Ich hole es Ihnen eben.”

“Nein, das brauchen Sie nicht, Wendy”, wehrte Juanita ab. “Ich hole es selbst herein.”

“Mach’ ich aber gern für Sie, Miss Spencer-Hill. Ich muss schon sagen …” Wendy warf ihr einen bewundernden Seitenblick zu. “… so elegant wie Sie würde ich auch echt gerne aussehen! Aber irgendwie kriege ich das einfach nicht so richtig hin. Gareth behauptet zwar immer, das brauche mich nicht zu beunruhigen. Er stände sowieso nicht auf Frauen, die aussehen, als wären sie einem Modejournal entsprungen. Aber Männer verstehen davon eh nichts, oder was meinen Sie? So, nun setzen Sie sich aber erst einmal hin und gönnen Ihren armen Beinen eine Verschnaufpause. Sie humpeln ein bisschen, Miss Spencer-Hill. Haben Sie den Knöchel verstaucht oder so?”

“Meine Hüfte ist nicht ganz in Ordnung”, gab Juanita Auskunft, setzte sich und durchforstete die Handtasche nach den Autoschlüsseln. “Aber keine Sorge, ich bin dabei ganz mobil. Machen Sie also wirklich keine …”

“… Panik? Mach’ ich eh nicht!” Keck steckte Wendy die Daumen beider Hände in die hinteren Jeans-Taschen. “Ihr Gepäck ist gleich da.” Und schon sauste sie wie ein geölter Blitz von dannen.

Ein richtig netter Teenager, dachte Juanita und lächelte in sich hinein, kaum dass die Zimmertür hinter Wendy ins Schloss gefallen war. Und Ihnen, Mr. Walker, missfallen elegante Frauen? Weshalb?

Sie erhob sich, humpelte ohne Stock zum Fenster – und entdeckte dort die atemberaubend schöne Aussicht, die der Blick vom Gästezimmer auf die farbenfrohe Szenerie der Städtchen Bowral und Mittagong südlich von Sydney freigab. Neusüdwales präsentierte sich ganz im goldenen Glanz des Sommers sowie – Juanita schnupperte genießerisch den Geruch – im betörenden Duft der reifen Saat der Felder.

Doch nicht nur die Ferne, auch der Nahbereich – nämlich Mr. Walkers weitläufiges Anwesen – nahm sich höchst attraktiv aus. Auf einer umzäunten Koppel weideten Pferde, und davor lag ein verwilderter, aber wunderschöner Garten. Zu Rabatten und Rasenflächen gesellten sich ganze Gruppen baumhoher Kautschukpflanzen, die in der erwachenden Hitze des Vormittags angenehm kühlen Schatten verbreiteten.

Der weitaus größte Teil der Villa war vom Gästezimmer aus gut zu überblicken. Die Außenwände waren aus Naturstein auffallend zierlicher Größe errichtet und verrieten eine ebenso nostalgische wie aufwendige Form der Baukunst. Lang und flach schmiegte sich der beeindruckend schöne Bau an einen sonnigen Hang. Mehrere Schornsteine lugten fast vorwitzig aus dem Schieferdach hervor, und hübsche Bogenfenster zierten die Fassaden.

Das bereits recht hohe Alter der Villa änderte nichts an dem offenbar grundsoliden Zustand der Bausubstanz. Allerdings – Juanitas Finger glitten über die verblichenen Vorhänge, und ihr Blick streifte den fadendünnen Teppich – war eine komplette Instandsetzung der Inneneinrichtung längst überfällig.

Trotz der geradezu traumatischen Erlebnisse bei der Ankunft und dem eher exzentrischen Eindruck, den Gareth Walker auf Anhieb erweckte, spürte Juanita wachsendes Interesse an den Aufgaben, die in nächster Zeit vor ihr lagen.

Die Villa entsprach nicht nur voll und ganz dem persönlichen Geschmack der jungen Innenarchitektin, sondern erwies sich obendrein als willkommenes Betätigungsfeld für ihre Vorliebe, die nüchterne Sachlichkeit moderner Wohnkultur mit Anmut und Reiz vergangener Zeiten planvoll zu verbinden.

Für Juanita beinhaltete der Auftrag eine doppelte Herausforderung: Zum einen galt es, Mr. Walker als Auftraggeber zufriedenzustellen – und zum anderen, sich ihrer eigenen Familie gegenüber zu beweisen, in der sie jahrelang als schwarzes Schaf gegolten hatte.

“Dies ist Steven – und das Rebecca!”, stellte Gareth Walker die siebenjährigen Zwillinge vor – dieselben Kinder, die sich noch vor gut einer Stunde heftig gezankt hatten, nun aber frisch gewaschen und wie aus dem Ei gepellt geradezu geläutert wirkten. “Und dies, Kinder, ist Miss Spencer-Hill.” Hilfesuchend wandte sich Walker Juanita zu. “Wie war doch gleich Ihr Vorname? Irgendetwas Ungewöhnliches, nicht wahr?”

Juanita gab die gewünschte Auskunft und begrüßte dann die Zwillinge: “Hallo Steven und Rebecca!”

“Hallo”, echoten die Zwillinge wie aus einem Munde. Die Ähnlichkeit mit ihrer älteren Schwester Wendy war verblüffend: Auch an Steven und Rebecca stach auf den ersten Blick nicht nur das hellblonde Haar hervor, sondern auch die Unzahl an Sommersprossen im Gesicht.

“Den Namen ‘Juanita’ habe ich noch nie gehört!” Die kleine Rebecca wirkte unbefangen wie ihre große Schwester. “Warum gehen Sie am Stock, Miss Spencer-Hill?”

“Rebecca”, warnte Wendy, die gerade den Tisch deckte. “Du warst heute Morgen ungezogen genug. Treib es jetzt nicht noch mit Neugier auf die Spitze!”

“Ich frag’ doch nur”, rief Rebecca trotzig.

“Das stimmt.” Gareth Walker rückte einen Stuhl für Juanita an den Esstisch. “Bitte setzen Sie sich, Miss Spencer-Hill. Hoffentlich stört es Sie nicht, mit uns in der Küche zu essen.” Dann wandte er sich der kleinen Rebecca zu. “Weißt du”, erklärte er ihr, “Juanita ist ein spanischer Name, der natürlich auch spanisch ausgesprochen wird. Obwohl der Name ‘J-u-a-n-i-t-a’ buchstabiert wird, spricht man das ‘J’ mehr wie ein ‘CH’ aus, und die Buchstaben ‘U’ und ‘A’ kommen fast gleichzeitig über die Lippen. Das hört sich dann so an …” Langsam und deutlich sprach Walker Juanitas Namen aus. “Habt ihr ihn jetzt richtig verstanden?”

Die beiden kleinen siebenjährigen Blondschöpfe nickten andächtig.

“Gut”, fuhr Gareth Walker fort, “und der Grund, weshalb Miss Spencer-Hill am Stock geht, hängt mit ihrer Hüfte zusammen.”

“Wieso?”, krähte der kleine Steven.

“Weil …”, hob Walker an, bevor er sich selbst ärgerlich unterbrach. “Nun reicht es aber! Kinder mit zu vielen Fragen lassen sich die wirklich guten Sachen meist entgehen – zum Beispiel das Essen.”

Hastig machten sich Steven und Rebecca über das Mittagessen her, das aus kaltem Fleisch und Salat bestand. Danach gab es noch Obst und Käse, und während gemeinsam gegessen wurde, erfuhr Juanita, dass der Vater von Wendy, Steven und Rebecca kurz nach der Geburt der Zwillinge gestorben war. Die Mutter, Mrs. Spicer, war froh, mit ihren drei Kindern kurz darauf bei Gareth Walker aufgenommen zu werden, der gerade eine Haushälterin suchte. Mrs. Spicer und ihre Kinder zogen in ein zu Walkers Villa gehörendes Nebengebäude. Während sich Mrs. Spicer einer Operation unterziehen und anschließend eine Kur antreten musste, versuchte Wendy, ihre als Haushälterin ebenso tüchtige wie resolute Mutter zu vertreten – kein leichter Job für Wendy, denn ausgerechnet zum Zeitpunkt, als die Mutter ins Krankenhaus kam, erkrankten auch die Zwillinge an Windpocken, die zum Glück inzwischen nahezu überstanden waren. Zur Schule allerdings brauchten die Zwillinge noch nicht wieder zu gehen.

“Jetzt, Miss Spencer-Hill”, sagte Walker und schmunzelte, “sind Sie über die Menschen, die hier mit mir zusammenleben, umfassend informiert.” Behaglich lehnte er sich zurück, während Wendy bereits damit begann, das Geschirr zu spülen. Vergnügt summte sie dabei vor sich hin. Auch die Zwillinge hatten den Tisch bereits verlassen, sodass sich nur noch Juanita und Walker gegenübersaßen.

“Nun mal ganz ehrlich”, fragte er sie augenzwinkernd. “Glauben Sie, hier bei mir vernünftig arbeiten zu können – oder fürchten sie noch immer, in Blaubarts düsterem Schloss gelandet zu sein?”

“Ich habe Ihre Villa bisher nicht für Blaubarts Schloss gehalten.” Juanita war fest entschlossen, sich von Gareth Walker nicht noch einmal aus der Fassung bringen zu lassen. “Wollen Sie”, kam sie zur Sache, “mit mir zusammen die Räumlichkeiten besichtigen? Dann könnten Sie mich dabei gleich über Ihre persönlichen Vorstellungen von der künftigen Inneneinrichtung informieren. Oder soll ich den Rundgang allein antreten, um Ihnen später eigene Ideen zu präsentieren?” Juanita konnte sich nicht verkneifen, ein wenig ironisch hinzuzufügen: “Falls Sie noch immer ganz unter dem Eindruck Ihrer literarischen Eingebungen stehen, Mr. Walker, erspart Ihnen die Möglichkeit, mich allein durch die Villa gehen zu lassen, allerhand Zeit.”

“Andererseits”, reagierte er gelassen, ohne die Ironie zu erwidern, “habe ich einige verbindliche Vorgaben, wie die Räume eingerichtet werden sollen. Deshalb werden wir den Rundgang gemeinsam antreten.”

Juanita nickte Gareth Walker höflich zu – ganz so, als wollte sie ihm sagen: Wie Sie wünschen, schließlich geht es um Ihr Geld.

Er erhob sich, hielt – als sie ebenfalls aufstand – hilfsbereit ihren Stuhl und reichte ihr gleich darauf den Stock. Sekundenlang standen Walker und Juanita sehr dicht beieinander.

Die Erkenntnis durchzuckte sie erneut, dass dieser Mann eine geradezu unglaubliche Ausstrahlung besaß – und diese Ausstrahlung wie eine Waffe einzusetzen wusste, gegen die Juanita sich kaum wehren konnte … oder wollte.

Zum Kuckuck mit dir, Gareth Walker, dachte Juanita insgeheim, während sie ihn höflich bat: “Sind Sie so freundlich, voranzugehen?”

2. KAPITEL

“Dies”, erklärte Gareth Walker, “ist das Schlafzimmer des Hausherrn.”

“Was für ein wundervoller Raum!” So spontan Juanita die Bemerkung entfuhr, hätte sie sich im nächsten Moment am liebsten auf die Zunge gebissen.

Walker reagierte mit einem spöttischen Blick.

“Das Schlafzimmer ist wirklich schön”, beharrte Juanita. “Ich weiß überhaupt nicht, warum Sie mich so ansehen, Mr. Walker. Mit Räumen – gleich welcher Art – habe ich immerhin beruflich zu tun.”

“Sicher”, stimmte Gareth Walker Juanita zu. “Mich wundert nur, dass der einzige Raum, der Ihr Temperament stimuliert, ausgerechnet ein Schlafzimmer ist.”

Juanita spürte Wut in sich aufsteigen. Während der bisherigen Hausbesichtigung war sie bewusst zurückhaltend aufgetreten. Das spontane Entzücken über Walkers Schlafzimmer war Juanita selbst ein wenig peinlich. Immerhin – es handelte sich tatsächlich um einen schön geschnittenen Grundriss, und auch die Ausstattung bestach auf den ersten Blick. Zur Einrichtung gehörten unter anderem eine Sitzgruppe am Fenster, ein eigener Kamin und sogar ein Solarium. Obwohl die Möbel offensichtlich ihre beste Zeit hinter sich hatten, der Teppich dünn wie ein Faden wirkte und seine ursprünglichen Farben kaum noch erkennbar waren, repräsentierte der Raum irgendwie eine Art Mittelpunkt des Hauses.

“Ich versichere Ihnen, dass mich Ihr Schlafzimmer keineswegs aus den Gründen interessiert, um die Ihre Gedanken ständig zu kreisen scheinen, Mr. Walker.” Juanitas Stimme klang voller Verachtung.

“Lassen Sie uns darüber nicht diskutieren”, erwiderte Walker mit leisem Lächeln. “Fest steht jedenfalls, dass Sie dieser Raum regelrecht zu faszinieren scheint. Deswegen bin ich gut beraten, Ihnen bei der Neugestaltung völlig freie Hand zu lassen.”

“Warum diese Freiheit?”, erkundigte sich Juanita.

“Warum sollte ich sie Ihnen nicht einräumen?”

“Weil …” Juanita warf einen kurzen Blick auf die Notizen, die sie während der bisherigen Hausbesichtigung gemacht hatte. “Weil Sie selbst vorhin von persönlichen Vorgaben sprachen. Bedenken Sie im Übrigen, dass meine Einrichtungsideen erheblich von Ihren Vorstellungen abweichen könnten. Deswegen wäre es von Vorteil, wenn Sie vorab entscheiden, ob Ihnen an einer eher weiblich orientierten Innenausstattung gelegen ist. Gerade bei dem Design dieses Raumes sollte übrigens die Dame des Hauses ein Wort mitsprechen.”

“Das gilt für alle Zimmer”, gab Walker zu bedenken. “Aber es gibt keine Dame des Hauses.”

“Wie problematisch! Und wer war die letzte Lady, die hier übernachtet hat?”

“Meine Frau.”

Juanita sah Walker erschrocken an. “Ich wusste nicht, dass Sie verheiratet waren.”

“Woher hätten Sie dies auch wissen sollen?”, gab er ungerührt zurück.

“Kein … keine Ahnung.”

Gareth Walker versuchte zu lächeln, aber seine Augen wirkten ernst wie seine Stimme. “Zu Ihrer Information, Miss Spencer-Hill: Meine Frau hatte – wie Sie – einen Verkehrsunfall, der – wie bei Ihnen – einige Jahre zurückliegt. Anders als bei Ihnen endete der Unfall meiner Frau allerdings tödlich.”

“Das tut mir aufrichtig leid”, erwiderte Juanita leise.

“Sämtliches Mobiliar hier im Haus stammt zwar aus der Zeit, bevor meine Frau verunglückte. Aber wir lebten nicht lange genug zusammen, als dass meine Frau den Räumen eine individuelle Note hätte verleihen können. So können Sie bei aller gestalterischen Freiheit, die ich Ihnen gewähre, keine sichtbaren persönlichen Erinnerungen an meine Frau zerstören.”

Juanita nickte. “Ich verstehe. Aber …”

“Vielleicht hilft es allerdings weiter, wenn ich Ihnen einfach verrate, dass ich Rüschen und Falbeln ebenso verabscheue wie Tressen, Seide und Satin. Ich mache Ihnen allerdings durchaus keine Vorwürfe, wenn Sie derartige Dinge mögen. Irgendwie hoffe ich aber, dass Ihr persönlicher Geschmack einfach feiner ist – und eleganter.”

Das Wort “elegant” machte Juanita hellhörig. “Ich verstehe, Mr. Walker”, wiederholte sie. “Mich irritieren allerdings gewisse Widersprüche, die zwischen Ihren spontanen Äußerungen und tatsächlichen Ansichten über Eleganz zu klaffen scheinen. Was halten Sie beispielsweise in Wahrheit von Frauen, die aussehen, als wären sie einem Modejournal entsprungen? Meine äußere Erscheinung haben Sie als elegant gelobt, Wendy dagegen erklärt, wie sehr Sie Eleganz verabscheuen.”

Walker wahrte Gelassenheit. “Es war und ist tatsächlich so, dass ich Frauen aus Modemagazinen nicht mag. Dies habe ich Wendy zu einem Zeitpunkt erklärt, als sie Anstalten machte, sich die Eleganz eines dreißigjährigen Vampirs zuzulegen, von der sich allerdings Ihre Eleganz deutlich unterscheidet, Miss Spencer-Hill. Also glätten Sie bitte den geschwollenen Kamm, bevor wir die Hausbesichtigung fortsetzen.”

“So, jetzt haben Sie sämtliche Räume gesehen. Erschöpft?”

Juanita schüttelte auf Walkers Frage zwar den Kopf, war aber in Wahrheit froh, sich setzen zu können.

Die Hausbesichtigung endete im Arbeitszimmer. “Nun – was sagen Sie nach diesen ersten Eindrücken?”, wollte Gareth Walker wissen.

Juanita überflog die Notizen, die sie während der Besichtigung angefertigt hatte. “Es geht um ein gewaltiges Projekt …”

“Das schon vor Jahren hätte in Angriff genommen werden müssen, wie man sehen kann. Immerhin ist die Bausubstanz in solidem Zustand.”

Juanita nickte bestätigend.

“Trauen Sie sich zu, den Auftrag durchzuführen?” Ein Anflug von Ungeduld war in Walkers Stimme erkennbar. “Oder entsprechen meine Einrichtungsideen nicht Ihrem persönlichen Geschmack?”

Juanita billigte Gareth Walkers Gesamtkonzept, das er während der Besichtigung grob skizziert hatte, voll und ganz. Seine Vorstellungen zielten darauf, möglichst viele antike Möbelstücke zu behalten, ohne dass dabei jedoch die bisherige Inneneinrichtung wiederzuerkennen sein sollte. “Meine Villa”, hatte Walker wörtlich geäußert, “soll nicht wie ein Museum wirken.”

“Ihr Konzept trifft durchaus meinen eigenen Geschmack”, stellte Juanita klar. “Aber wissen Sie – Räume zu renovieren erfordert mehr als die Festlegung von Farbschemen und Ähnlichem. Ich würde mir ganz einfach gern ein wenig Zeit lassen, gewisse Dinge zu begutachten, die für die endgültige Gestaltung von Bedeutung sein werden. Dazu gehören beispielsweise die Lichtverhältnisse ebenso wie die Atmosphäre der jeweiligen Räume zu den verschiedenen Tageszeiten. Letztendlich lässt sich ein Haus – wie die Menschen, die darin leben – regelrecht fühlen.”

“Sie haben die Freiheit, dies alles zu tun”, bot Walker an.

“Dafür brauche ich Zeit”, erklärte Juanita. “Sie dagegen möchten sämtliche Renovierungsarbeiten so rasch wie möglich fertiggestellt wissen. Alles in allem halte ich dafür einen Zeitraum von mindestens einem Monat für realistisch, was eher knapp bemessen ist.”

Juanita zögerte kurz, bevor sie fortfuhr: “Es ist natürlich nicht so, dass ich mich die ganze Zeit über durchgängig hier aufhalten muss, aber …”

“Soll das heißen, dass Sie während der Renovierungsphase nicht hier im Haus wohnen wollen?”

“Ich will damit lediglich sagen”, erwiderte Juanita ruhig, “dass eine zu enge räumliche Nähe zu Problemen zwischen uns führen könnte.”

“Für eine Berufsanfängerin, deren künftige Karriere einen empfindlichen Knick erleiden dürfte, falls dieser Auftrag flöten geht, wirken Sie geradezu selbstzerstörerisch, Miss Spencer-Hill.” Die Ironie in Walkers Stimme war unüberhörbar. “Warum sollte es Probleme zwischen uns geben, wenn Sie hier wohnen?”

“Weil Sie sehr wahrscheinlich in Ihren Bemühungen fortfahren werden, mich ständig aus der Fassung zu bringen.”

“Wirke ich wirklich so negativ auf Sie?” Gareth Walker begann unwillkürlich zu lachen. “Zugegeben: Vielleicht bin ich heute Morgen wirklich mit dem sprichwörtlich falschen Fuß zuerst aufgestanden. Es mag auch sein, dass ich mich allzu unbedacht in Ihrer Gegenwart zu Spielen habe hinreißen lassen, die zwischen Mann und Frau seit ewiger Zeit gespielt werden. Aber ich habe mich dabei wirklich von keinen unlauteren Motiven leiten lassen – außer vielleicht von der Feststellung, dass Sie sehr zielstrebig Hiebe verbaler Art auszuteilen verstehen, beim Einstecken derartiger Hiebe umgekehrt aber sehr verletzlich zu sein scheinen. Darf ich Ihnen dies einmal in aller Deutlichkeit sagen?”

“Darf ich Ihnen in gleicher Deutlichkeit sagen, dass ich Ihre praktischen Methoden, in die Spiele von Mann und Frau zu verfallen – wie Sie es zu nennen belieben –, zutiefst verachte?” Juanita konnte vor Wut kaum noch an sich halten.

Walker blieb ungerührt. “Wer sind Sie? Eine Nonne?”

“Natürlich nicht – nur eine Frau, die nicht im Traum daran denkt, wochenlang an Ihren Spielchen beteiligt zu sein.”

“Wenn Sie mir als Auftraggeber die Absicht unterstellen wollen, mit Ihnen wochenlang nur spielen zu wollen, liegen Sie voll daneben, Miss Spencer-Hill. Nehmen Sie jetzt den Auftrag an oder nicht?”

Juanita zögerte.

Gareth Walker lehnte breitschultrig an einem Bücherschrank. Nicht weniger als zwei ganze Wände füllten die Regale mit weiteren Büchern im Arbeitszimmer. Computer und Drucker standen auf einem zweiten Schreibtisch. Ungezählt viele Akten, Manuskripte und Broschüren füllten eine Reihe weiterer Regale. Wo die Wände nicht mit Regalen vollgestellt waren, hingen Ölgemälde – darunter ein geschmackvolles Landschaftsmotiv, in Gold gerahmt, auf dunkelgrünen Tapeten. Einen Teil des Fußbodens bedeckte eine Brücke in Grün, Gold und gedämpftem Rubin. Anders als die übrigen Räumlichkeiten wirkte das Arbeitszimmer eher unordentlich als aufgeräumt – und bestach doch durch seine anregende Atmosphäre.

Juanita wurde plötzlich bewusst, dass dieser Raum vor noch nicht langer Zeit neu eingerichtet worden war – nach gestalterischen Gesichtspunkten, die Juanitas eigenen Vorstellungen nahezu vollkommen entsprachen. Sollte Gareth Walker selbst am Werk gewesen sein, entsprach sein Geschmack fast völlig ihrem.

“Haben Sie vor nicht allzu langer Zeit das Arbeitszimmer neu eingerichtet?”, erkundigte sich Juanita.

“Ja.” Walker hob die Augenbrauen. “Irgendwelche Einwände?”

Etwas verwirrt schüttelte sie den Kopf. Wieder einmal wirbelten ihre Gedanken ungewollt durcheinander. Wie kann dieser Mann solch eine unerhörte Wirkung auf mich entfalten? Was gibt ihm das Recht, so mit mir zu spielen? – Egal, dachte Juanita, ich weiß jetzt, woran ich bin, und stehe der Situation deshalb nicht hilflos gegenüber.

“Ich nehme den Auftrag an”, sagte sie unvermittelt. “Nur eines möchte ich vorher noch gern wissen.”

“Ich höre.” Fragend sah Walker Juanita an.

“Leben Sie hier ganz alleine?”

“Warum wollen Sie das wissen?”

“Mir fällt einfach auf, dass die Villa irgendwie weitgehend unbewohnt wirkt. Zimmer sind zwar überreichlich vorhanden, doch die meisten von ihnen werden offenbar seit Jahren nicht mehr benutzt. Kaum ein Raum ist von Leben beherrscht, wie es der Fall wäre, wenn eine Frau hier wohnen würde, die sich meistens mehr als ein Mann im Haus aufhält. Kurz gesagt: Nicht lebendige Gegenwart, sondern tote Vergangenheit bestimmt die Atmosphäre auffallend vieler Zimmer Ihrer Villa.”

Aufmerksam und ruhig hatte Gareth Walker Juanita zugehört. Er räusperte sich, bevor er antwortete. “Sie haben recht, und gerade deswegen weiß ich es zu würdigen, wenn Sie das Haus beleben. Die Villa ist in der Tat momentan meist mehr oder weniger unbewohnt. Sehen Sie, ich verbringe viel Zeit im Ausland, wo ich weite Teile des Jahres mit Recherchen für meine Bücher befasst bin. Meine übrigen Familienangehörigen – ich habe noch sechs Brüder und Schwestern – gehen ihre eigenen Wege, auch wenn sie gelegentlich vorbeischauen. Was der Villa seit Jahren wirklich fehlt, ist – über die Existenz einer Haushälterin hinaus – die Obhut einer Frau. Dabei wird es aber auch bleiben, denn ich beabsichtige keine erneute Heirat.” Gedankenverloren glitt Gareth Walkers Blick aus dem Fenster, und er schwieg einen Augenblick, bevor er mit leiser Stimme fortfuhr: “Dies ändert aber alles nichts daran, dass die Villa mit all ihren Räumlichkeiten in früherer Zeit ein Zentrum des Glücks und der Geborgenheit darstellte. Sollte es Ihnen als Innenarchitektin auch nur im Ansatz gelingen, den Glanz dieser Vergangenheit und die damalige Atmosphäre wiederaufleben zu lassen – vielleicht obendrein noch um einige persönliche Akzente zu bereichern –, ich glaube, dann …” Walker räusperte sich erneut. “… dann wäre wirklich das Beste bewerkstelligt, was unter den gegebenen Umständen geleistet werden kann, nicht wahr?”

Sprachlos sah Juanita ihn an. Dieser Mann, der druckreif sprach, diese Fähigkeit aber allzu oft für Ironie und Zynismus missbrauchte, hatte eben gerade ein ganz anderes Gesicht präsentiert. Walker war offensichtlich imstande, nicht nur herablassend, sondern auch offen, fair und freundlich anderen Menschen gegenüberzutreten.

Juanita riss sich aus ihren Gedanken. “In Ordnung. Ich werde jetzt auf der Stelle mit meiner Arbeit beginnen. Sie selbst haben sicher auch zu tun, Mr. Walker.”

“Womit fangen Sie an?”

“Mit einigen Skizzen und Fotos. Außerdem gibt es allerhand auszumessen. Die früheren Baupläne sind sicherlich nicht mehr vorhanden, oder?”

“Erfreulicherweise doch”, antwortete Walker.

“Oh, wunderbar!” Juanita strahlte. “Übrigens habe ich im Auto mehrere Mustermappen und Warenproben liegen, die Sie sich vielleicht einmal ansehen möchten. Es eilt aber nicht.”

“Ich brauche weder Mustermappen noch Warenproben zu sehen”, wehrte Walker ab. “Alle Entscheidungen, auch die Wahl der Materialien oder was immer ausgesucht werden muss, sind Ihnen überantwortet.” Er lächelte, als er fortfuhr. “Sie wirken auf mich wie ausgewechselt, kaum dass der Enthusiasmus Sie so richtig gepackt hat. Mir kommt es vor, als hätte ich es plötzlich mit einem völlig anderen Menschen zu tun, der höchst lebendig und absolut zauberhaft auf mich wirkt. – Wie lange liegt Ihr Unfall zurück, Juanita?”

Sie sah zu ihm auf. “Drei Jahre.”

“Also schon eine Weile her.”

“Schon”, bestätigte Juanita, “aber Knochenbrüche brauchen nun einmal eine Weile, bis sie keine Beschwerden mehr bereiten. Bei mir waren es ziemlich viele Brüche. Eine Zeit lang konnte ich überhaupt nicht gehen, aber allmählich kommt alles wieder in Ordnung.”

“Und vor dem Unfall?”, erkundigte sich Walker.

“Was meinen Sie?”

“Wie haben Sie davor gelebt?”

Juanita senkte den Blick. “So wie viele andere auch”, antwortete sie ausweichend.

“Wollten Sie schon immer Innenarchitektin werden?”

“Ich … nein, ich war mir nicht so ganz sicher, wo meine Begabungen liegen und welchen Beruf ich ergreifen möchte.”

“Das”, stellte Gareth Walker fest, “deutet auf einen Mangel an Selbstsicherheit hin.”

“Finden Sie? Es gibt viele Menschen ohne berufliche Orientierung”, gab Juanita zu bedenken.

“Aber in Ihrem speziellen Fall kam noch die Fehleinschätzung hinzu, über absolut keine persönlichen Begabungen zu verfügen.”

Juanita wusste, wie sehr Walkers Worte ins Schwarze getroffen hatten. Hoffentlich, schoss es ihr durch den Kopf, ist ihm das nicht bewusst. Doch dann gab sie sich einen Ruck. “Stimmt, Mr. Walker. Daraus erklärt sich – jedenfalls teilweise – wahrscheinlich auch mein zeitweiliges Stottern.”

“Spielen dabei noch andere Gründe eine Rolle?”

Juanita zögerte. “Ich weiß nicht, warum Sie den möglichen Ursachen meines Sprachfehlers so große Bedeutung beimessen. Ich denke, in erster Linie hängt mein Stottern damit zusammen, dass ich schon immer eines dieser besonders schüchternen Kinder war, die aus Angst vor dem Leben von Geburt an vor sich hinkränkeln. Zweifellos war ich das einzige untalentierte Kind in unserer Familie. Ich sprach zu undeutlich und wirkte ebenso unbeholfen wie schlaksig. Manchmal drängte sich geradezu der Gedanke auf, ich sei direkt nach der Geburt vertauscht worden, zumal ich nicht einmal äußerlich Ähnlichkeit mit den übrigen Familienangehörigen hatte. Im Lauf der Jahre wurde aus mir ein schüchterner, unbeholfener Teenager. Später passierte dann der Unfall, den ich zum Glück überlebt habe. Während ich für eine Weile an den Rollstuhl gefesselt war, wurde mir bewusst, wie glücklich ich – trotz allem – vorher war. Nach und nach reifte mein Entschluss, mich nicht aufzugeben. Statt in einem Meer von Selbstmitleid zu versinken, beschloss ich, aus meinem Leben, das ich trotz aller schweren Unfallverletzungen am Ende behalten durfte, von nun an etwas zu machen.”

“Bravo!” Walkers Stimme klang ein bisschen belegt. “Und wie haben Sie später die Stelle bei BLUEMOON bekommen? Ich meine, BLUEMOON ist ein Unternehmen von besonders hohem Renommee. Mitarbeiter wie Kundschaft – beides nur vom Feinsten.” Er schmunzelte. “So jedenfalls ist es mir zugetragen worden.”

“Ich habe Kunst studiert und mein Magisterexamen bestanden, bevor ich den Unfall erlitt. Mehr oder weniger durch Zufall bin ich während der langen Rehabilitationsphase dazu gekommen, ein Architektur-Fernstudium zu beginnen. Obwohl ich dabei zu Anfang eigentlich nur etwas wie einen Zeitvertreib suchte, erwarb ich am Ende mein Diplom als Innenarchitektin. Meine Vorliebe für Holz allgemein, für Möbel im Besonderen und die dazugehörigen Fachkenntnisse sicherten mir dann meine erste Stelle – bei BLUEMOON, wo ich nun versuche, meinen Weg zu machen.”

“Mit Erfolg, wie man sieht”, kommentierte Gareth Walker. “Immerhin ist es nicht gerade alltäglich, als Fünfundzwanzigjährige so selbstständig zu arbeiten und mit Aufträgen dieser Größenordnung betraut zu werden.”

Juanita lächelte unmerklich. “Dies ist mein erster größerer Auftrag überhaupt – und damit auch eine Art Vertrauensgeste, die mir BLUEMOON entgegenbringt. Nun will ich aber wirklich mit der Arbeit beginnen.”

Unverhofft stellte sich Gareth Walker Juanita in den Weg und griff – eine Sekunde vor ihr – nach der Türklinke.

“Irgendwie spüre ich noch immer Ihre Voreingenommenheit gegen mich. Weshalb diese Vorbehalte?”, fragte Walker. “Haben Sie irgendetwas Nachteiliges über mich gehört oder gelesen? Ich kann Ihnen versichern: Neunzig Prozent dessen, was Leuten wie mir nachgesagt wird, ist frei erfunden.”

“Ich habe keine Vorbehalte gegen Sie”, wehrte Juanita ab. “Meine bisher einzigen Informationen über Sie stammen aus dem Fernsehen. Ich habe nicht einmal Bücher von Ihnen ge… gelesen.”

“Das sollten Sie ruhig tun. Meine Bücher sind wirklich gut!”

“Mag sein, aber ich glaube nicht, dass sie meinem Lesegeschmack entsprechen.”

“Woher wollen Sie das wissen, ohne je eine Zeile von mir gelesen zu haben?”

Juanita holte tief Luft. “Na gut, ich werde die Lektüre nachholen. Und jetzt lassen Sie mich bitte gehen.”

“Sie wirken”, sagte Walker, “schon wieder verärgert.”

Statt zu antworten, warf Juanita – von jäher Wut überwältigt – das Klemmbrett mit ihren Notizen nach Walker, verfehlte aber das Ziel.

Die Stille, die plötzlich eintrat, hatte etwas Betäubendes an sich. Juanita war über ihre eigene Reaktion sprachlos, und auch Gareth Walker hüllte sich einen Augenblick lang in Schweigen. Reglos beobachtete er, wie Juanita tief durchatmete, während sich ihre Brüste hoben und senkten. Als sie sich umdrehen wollte, um sich seinen Blicken zu entziehen, legte er unvermittelt die Hand um ihre Hüfte und umschlang sie. Es war Juanita nicht möglich, sich diesem Griff zu entwinden.

“Ich lasse Sie nicht gehen, bevor Sie mir nicht sagen, warum Sie sich so sonderbar verhalten”, erklärte Walker entschlossen.

“Weil Sie geradezu grenzenlos aufdringlich, indiskret und neugierig sind”, entgegnete Juanita wütend, während sie vergeblich versuchte, Ruhe und Gelassenheit zurückzugewinnen. “Hören Sie endlich damit auf, mich mit Fragen zu löchern.”

“Ich bin Schriftsteller – und damit automatisch auf Menschen neugierig. Das gehört zu meinem Beruf.” Gareth Walker lockerte den Griff, mit dem er Juanitas Hüfte umschlungen hielt, ohne sie völlig loszulassen. “Tief in Ihrem Inneren, Juanita, wühlt mehr, als Sie sich anmerken lassen wollen. Gab es eigentlich je Männer in Ihrem Leben?”

“Das ist einzig und allein meine Sache! Wie würden Sie eigentlich reagieren, wenn ich Ihnen ebenso ungeniert Fragen stellen würde, die mich nicht zu interessieren haben? Warum Sie beispielsweise nicht wieder heiraten. Oder warum …” Juanita zögerte, während sie in Sekundenschnelle überlegte, mit welcher weiteren vorwitzigen Frage sie Walker attackieren könnte – und war selbst überrascht, worauf sie ihn im nächsten Augenblick gezielt ansprach: “… oder warum Sie sich vor laufender Kamera erdreisten, auf einer Fernsehmoderatorin so lange herumzuhacken, bis sie unter dem Eindruck Ihrer grenzenlosen Wortgewalt nicht mehr moderieren, sondern nur noch verlegen lächeln und am ganzen Körper zittern kann.”

“Wenn Sie damit auf den Vorfall mit der TV-Moderatorin Laura Hennessey anspielen wollen: Ich habe es in der Sendung nicht darauf angelegt, die Dame zur Idiotin zu degradieren”, rechtfertigte sich Walker. “Die Geschichte hat einen Hintergrund, den man kennen muss, um sie richtig zu verstehen: Wie mir zugetragen wurde, hat Laura Hennessey einige Zeit vor dieser Fernsehsendung meine Bücher als oberflächlich und viel zu leichte Lesekost bezeichnet, die bei Weitem nicht die Popularität verdient, der sich meine Bücher erfreuen.”

“Woher wussten Sie, dass Mrs. Hennessey Ihre Bücher so negativ beurteilt?”, fragte Juanita.

Gareth Walker lächelte. “Von ihrer Sekretärin.”

“Und als Ihnen die Sekretärin diese Information zugespielt hatte, war für Sie die Einladung in Mrs. Hennesseys TV-Talkshow willkommene Gelegenheit, Mrs. Hennessey nach allen Regeln Ihrer begnadeten Ausdrucksgabe nicht nur rund, sondern regelrecht fertig zu machen.”

“Durchaus nicht”, widersprach Walker Juanita. “In der Sendung wollte ich eigentlich nur mein Recht verteidigen, zu schreiben, was ich mag – und das Recht meiner Leser, Bücher zu kaufen, die ihnen gefallen. Dass meine Bücher Anklang finden, belegen die Auflagen, die sich immerhin nach Millionen bemessen. Natürlich habe ich Mrs. Hennessey während der Livesendung gefragt, weshalb sie meinen Veröffentlichungen literarische Qualitäten abspreche. Darauf fiel ihr nichts Naiveres ein, als auf das fehlende ‘L’ hinzuweisen, das – im Gegensatz zu meinen Büchern – die Einbände bestimmter Klassiker ziert. Dieses groß gedruckte ‘L’ steht für das Wort ‘Literatur’, und zwar oft genug für literarische Werke, die sich heute nicht mehr besonders gut verkaufen. Dies alles habe ich Mrs. Hennessey vor laufender Kamera erklärt und mit der abschließenden Feststellung verbunden, dass ich auf den unscheinbaren Buchstaben ‘L’ ungleich lieber als auf Millionen treuer Leser verzichten mag. Wenn diese Bemerkung eine prominente Moderatorin vom Format Laura Hennesseys so sehr aus dem Konzept geworfen hat, dass ihr buchstäblich nichts mehr einfiel, dann können Sie mich dafür wirklich nicht verantwortlich machen, Juanita.”

“Höchstens etwas daraus lernen”, ergänzte sie mit leiser, fast tonloser Stimme, schloss sekundenlang die Augen und wunderte sich, weshalb sie – wenn auch kaum hörbar – spontan geäußert hatte, was eigentlich nur ein unausgesprochener Gedanke hätte sein sollen.

“Sagten Sie etwas?” Gareth Walker sah Juanita aus tiefblauen Augen an und streichelte ganz sanft ihre Hüfte.

Was zu sagen wäre, dachte Juanita, ist nicht für Ihre Ohren bestimmt, Mr. Walker. Unterschätzen Sie nie die Macht Ihrer überaus männlichen Ausstrahlung! Aber eigentlich bin ich mir sicher, dass Sie sich dieser Macht voll und ganz bewusst sind – und damit ganz schön gewissenlos umgehen.

“Nichts Wichtiges”, beantwortete Juanita die Frage eher ausweichend als aufrichtig. “Bitte lassen Sie mich jetzt gehen.”

Gareth Walker ließ Juanita los und musterte kurz deren Hüfte. “Hoffentlich habe ich Ihnen keine blauen Flecken zugefügt. Sie hätten ruhig eher zugeben können, dass Sie solch ein Laura-Hennessey-Fan sind. Und offenbar obendrein, entgegen vorheriger Behauptung, wohl auch überzeugte Feministin.”

“Bin ich überhaupt nicht.” Juanita presste die Lippen zusammen. “Jedenfalls nicht mehr als die meisten anderen Frauen. Und wie Sie mit Ihren Kritikern umgehen, kann mir gleichgültig sein.”

“Mir nicht – ebenso wenig wie der Eindruck, den Sie von mir gewinnen.” Gareth Walker lächelte. “So, und jetzt lassen Sie sich bitte nicht länger von Ihrer Arbeit abhalten. Nur ein Wort noch: Haben Sie keine Hemmungen, alle Annehmlichkeiten zu nutzen, die mein Anwesen bietet. Hinter dem Haus finden Sie beispielsweise nicht nur einen Swimmingpool, sondern auch Reitpferde – und manches mehr.”

“Danke, ich reite nicht”, erwiderte Juanita kühl.

“Vielleicht schwimmen Sie gern?”

“Schon eher.”

“Na schön.” Walker warf einen kurzen Blick auf die Uhr. “Wir sehen uns heute Abend gegen sieben beim Essen.”

3. KAPITEL

Stunden später überraschte Wendy Juanita mit der Nachricht, dass sie abends alleine mit Gareth Walker würde essen müssen.

Juanita hatte gerade die Arbeit dieses ersten Tages beendet, als Wendy ins Gästezimmer stürmte, um sich zu erkundigen, ob Juanita mit allem Notwendigen versorgt sei – und natürlich um die Neuigkeit loszuwerden, die Juanita mit Unbehagen erfüllte.

“Oh nein, bitte”, bat sie, “wollen wir nicht lieber – wie heute Mittag – alle gemeinsam essen?”

“Wir essen normalerweise immer zusammen, aber ich möchte gern eine Ausnahme machen, wenn Gareth Besuch hat”, erklärte Wendy mit ebenso wichtiger wie ernster Miene. Doch plötzlich verzog sie das sommersprossenübersäte Gesicht zu einem vergnügten Lächeln. “Bisher ist es noch nie so weit gekommen”, gestand sie. “Wissen Sie, ich brenne geradezu darauf, in Mas Abwesenheit ein richtig gutes Menü zuzubereiten und den Tisch im Esszimmer total festlich zu decken. Dies habe ich Gareth erzählt, und er sagte prompt: ‘Warum nicht?’ Ich koche nämlich wahnsinnig gerne, und sobald Ma zurückkommt, werde ich an einem Lehrgang teilnehmen, bei dem es nicht nur um Kochen, sondern auch um die Kunst geht, eine Tafel richtig zu decken. Gareth beteiligt sich an den Lehrgangskosten, aber ich habe natürlich vor, ihm das Geld zurückzuzahlen.”

Wendys Gesicht strahlte so große Vorfreude darauf aus, schon an diesem Abend eine Kostprobe ihres Könnens zu geben, dass Juanita es einfach nicht fertigbrachte, ihr zu widersprechen und es abzulehnen, mit Walker allein zu tafeln. “Vielen Dank, Wendy”, erwiderte Juanita. “Ich glaube, Sie sind ganz schön glücklich, Ihre Mutter, während sie im Krankenhaus liegt, so würdig zu vertreten.”

“Wir waren in diesem Haus vom ersten Tag an glücklich”, gestand Wendy. “Gareth ist so gut zu uns. Als meine Mutter ins Krankenhaus kam und die Zwillinge einen Tag später an Windpocken erkrankten, hätte ich ohne Gareth gar nicht gewusst, wie ich alleine mit allem hätte fertig werden sollen.”

“Er hat Ihnen geholfen?”, erkundigte sich Juanita interessiert.

“Ja, Gareth hat sich mit mir zusammen um die Zwillinge gekümmert. Er kann echt toll mit Kindern umgehen.” Wie zur Bekräftigung ihrer Worte wippte Wendy mit dem Pferdeschwanz. “Gareth hat ihnen etwas vorgelesen, mit ihnen Puzzles gelegt und so, und niemand sonst – nicht einmal Ma – versteht es so gut wie Gareth, Steven und Rebecca zu beruhigen. Es ist wirklich ein Jammer …”

“Was ist ein Jammer?”, fragte Juanita überrascht.

“… dass Gareth sein eigenes Kind so früh verloren hat – zusammen mit seiner Frau. Beide kamen bei einem Unfall ums Leben, der passiert ist, bevor wir hierher kamen. Das Kind war noch ein Baby, ein kleiner Junge. – Aber jetzt sollte ich mich besser sputen, damit mein Abendessen für Gareth und Sie echt toll und keine mittlere Katastrophe wird.” Wendy zögerte, bevor sie hinzufügte: “Werden Sie sich zum Essen … umziehen?”

Juanita lächelte. “Aber natürlich!”

Wendy strahlte und sauste davon.

Was ziehe bloß ich an, überlegte Juanita, nachdem sie geduscht hatte. Die Auswahl war nicht gerade groß. Bei der Zusammenstellung der mitgebrachten Garderobe hatte Juanita die Einladung zu einer festlichen Tafel nicht in Erwägung gezogen. Am brauchbarsten schien ein rehbrauner Rock zusammen mit einer ärmellosen cremefarbenen Seidenbluse zu sein. Gut dazu machte sich eine leuchtend bernsteinfarbene Stola – und doch bestätigte Juanita ein prüfender Blick in den Spiegel, dass sich ihr äußeres Erscheinungsbild nicht allzu deutlich vom Aussehen bei der Arbeit abhob. Auch die breite goldene Perlenkette, die Juanita noch anlegte – ein Erbstück ihrer Großmutter, das sie mit anderen Schmuckstücken zusammen zum 21. Geburtstag geschenkt bekommen hatte –, brachte nicht den erhofften Effekt. Noch immer wirkte ihr Äußeres zu ernst – ja, streng.

Aus dem Esszimmer drang Stevens Stimme. “Darf ich die Kerzen anzünden, Wendy?”, krähte der kleine Blondschopf aufgeregt.

Juanita schmunzelte in sich hinein und löste mit entschlossenem Griff das im Nacken zusammengebundene Haar, das schon im nächsten Moment auf ihre Schultern fiel und mit seinem schwarzen, matten Glanz ihr Gesicht umrahmte. Juanitas Gesichtszüge wirkten plötzlich noch feiner, die Augen größer und die Haut unter dezentem Make-up überhaupt nicht mehr blass, sondern hell, glatt und klar.

Während Juanita sich selbst über die erhebliche Veränderung wunderte, die ein einziger Handgriff bewirkt hatte, streifte ihr Blick die kleine Vase mit Kamelien, die Wendy auf den Frisiertisch gestellt hatte. Ohne zu zögern, zog Juanita eine Pflanze aus der Vase, trocknete den Stängel mit einem Taschentuch, kürzte ihn ein kleines Stück mit der Nagelschere und steckte sich die Blüte ins Haar.

“Toll!”, rief Rebecca, als Juanita im Esszimmer erschien, wo alle anderen bereits versammelt waren.

“Sie sehen großartig aus”, stellte Steven fast ehrfurchtsvoll fest.

“Stimmt!” Stolz führte Wendy Juanita zu dem kleineren von zwei Tischen in dem riesigen Esszimmer. Er stand vor einem Bogenfenster und war höchst akkurat für zwei Personen gedeckt. Auf einer pinkfarbenen, gestärkten Damast-Tischdecke glänzten im Kerzenschein Porzellan, Silber und Kristall. Teller, Bestecke, Gläser – alles war in großer Sorgfalt angeordnet. Die Mitte des Tisches zierte ein aufwendiges, wirklich wunderschönes Kamelien-Gesteck mit dunkelgrünen Zweigen. Bereits aufgedeckt waren zwei ebenso reichhaltig wie kunstvoll zusammengestellte Salatplatten, offensichtlich die Vorspeise.

Gerührt betrachtete Juanita den liebevoll gedeckten Tisch. “Das kann kein noch so gutes Restaurant überbieten, Wendy. Ganz großartig haben Sie das gemacht!”

Wendy wirkte geschmeichelt. “Das Essen steht auf Warmhalteplatten auf dem Sideboard, wo Sie sich selbst bedienen können. Ich glaube, so ist es besser, als wenn ich hier dauernd herumhusche. Aber falls Sie irgendeinen Wunsch haben, brauchen Sie nur nach mir zu rufen.” Dann wandte sich Wendy den Zwillingen zu. “Und ihr kommt jetzt mit mir mit!”

“Aber”, wagten die Zwillinge scheuen Protest in Stereo, “können wir denn nicht …”

“Nein!”

Sie murrten zwar ein bisschen, gingen dann aber doch, und Juanita nahm nun erst richtig Gareth Walker wahr, der bisher ohne ein Wort zu äußern ein wenig abseits gestanden hatte. Auch er hatte sich inzwischen umgezogen und trug jetzt zu einer dunklen Hose ein weißes Hemd mit blauer Krawatte. Frisch frisiert, groß und kultiviert stand er da – und amüsierte sich offenbar über die Blume in Juanitas Haar.

“Denken Sie sich nichts dabei”, bat sie Walker. “Auch wenn es Sie vielleicht ein bisschen belustigt: Ohne wirklich elegante Garderobe dabeizuhaben, wollte ich mich Wendy zuliebe einfach so gut es eben geht so festlich zurechtmachen wie sie die Tafel.”

Walker nickte. “Ich verstehe. Aber nun nehmen Sie bitte Platz, Miss Spencer-Hill.” Er entkorkte den Wein und schenkte ein. “Vielleicht wird dieser gute Tropfen helfen.”

“Helfen – wobei?” Verkrampft nestelte Juanita an der Serviette.

“Dabei helfen, die festlich gedeckte Tafel um die Gemütlichkeit zu bereichern, die Wendy uns wünscht.”

Doch die Gemütlichkeit wollte sich, während wortlose Stille den als Vorspeise servierten Salat-Gang begleitete, einfach nicht einstellen. Als Juanita den Salat halb verzehrt hatte, hielt sie die beklemmende Stille nicht länger aus.

“Ich habe Ihnen heute gleich nach meiner Ankunft so viel über mich und mein Leben berichtet, Mr. Walker. Was halten Sie davon, diese Geste zu erwidern und ein wenig über Ihr Leben zu berichten?”

Walker sah überrascht hoch. “Was möchten Sie gern wissen?”

“Zum Beispiel, wie Sie Schriftsteller geworden sind.”

Er ließ die Gabel sinken. “Ähnlich wie bei Ihnen, Miss Spencer-Hill, gab es auch bei mir eine Zeit, in der ich mir über meine beruflichen Ziele nicht recht im Klaren war. Doch bei mir ging es mehr um das Problem, mich für eine von mehreren Möglichkeiten zu entscheiden. Mich lockten hauptsächlich zwei Gebiete: der Journalismus und die Politik. Eigentlich beherrschte mich obendrein eine dritte Leidenschaft – die Reiselust. Nachdem ich Journalismus und Politik studiert und das Examen bestanden hatte, half mir ein glücklicher Zufall, in der Auslandsredaktion einer größeren Zeitung beschäftigt zu werden. So konnte ich alles, woran ich interessiert war, sinnvoll unter einen Hut bringen. Jahrelang reiste ich um die Welt – stets auf der Suche nach neuen Storys über politische und andere aktuelle Ereignisse.”

“Ist das schon”, wunderte sich Juanita, “die ganze Geschichte?”

Walker lächelte. “Mehr oder weniger. Irgendwann habe ich dieses Anwesen geerbt und damit eine unerwartete Verantwortung übernommen. Mein Vater unterhielt hier früher eine Ponyzucht, die er jedoch mit zunehmendem Alter immer mehr heruntergewirtschaftet hatte. Die Ausgaben überstiegen am Ende die Einnahmen, und so stand ich nach der Erbschaft vor der Wahl, entweder alles zu verkaufen oder einen Neubeginn zu wagen. Ich entschied mich für die zweite Möglichkeit, kündigte meine gut bezahlte Auslandstätigkeit und kehrte nach Australien zurück, um mich hier niederzulassen – was sich allerdings als wesentlich schwieriger erwies, als es sich im Nachhinein anhört.”

“Das glaube ich”, erwiderte Juanita. “Und dann haben Sie sich entschlossen, Ihre früheren Berufserfahrungen und die dabei gewonnenen Kenntnisse zu nutzen, spannende Romane mit politischem Hintergrund zu schreiben, ja?”

“So ungefähr lässt es sich zusammenfassen”, bestätigte Walker. “Ich schrieb wie besessen, erschloss mir allerdings gleichzeitig noch eine zweite Erwerbstätigkeit, indem ich Polo-Ponys trainierte. Als sich einige Zeit später die ersten schriftstellerischen Erfolge einstellten, begann ich systematisch, die Villa zu renovieren. Sie bekam ein neues Dach, die Schornsteine wurden instand gesetzt, die Warmwasserversorgung auf Vordermann gebracht und so weiter. Als Nächstes wollte ich eigentlich sämtliche Sanitäranlagen modernisieren, bis mir der Gedanke kam, vor allen weiteren Renovierungsmaßnahmen den fachkundigen Rat eines Innenarchitekten einzuholen.”

Eine kurze Pause entstand. “Ist es nicht eigentlich”, erkundigte sich Juanita dann, “ein sehr einsames Leben, das Sie leben?”

“Überhaupt nicht.” Walker schüttelte den Kopf. “Erst hat meine jüngste Schwester Xanthe, die jetzt 22 geworden ist, Turbulenz in meinen Alltag gebracht, indem sie hier für einige Zeit einzog. Nach Xanthes Auszug erzielte ich durch meine Bücher zwischenzeitlich so hohe Honorare, dass ich meiner weiteren Leidenschaft, der Reiselust, ausgiebig nachkommen konnte. Sie lässt sich übrigens ausgezeichnet mit meiner ständigen Suche nach neuen Stoffen für meine Bücher verbinden. Jetzt sollten wir uns aber wirklich den zweiten Gang gönnen.”

Gareth Walker stand auf, ging zum Sideboard und servierte gleich darauf Hähnchenschenkel mit Sesamkruste, Sojasoße und pikant gewürztem Kräuterreis. Das Gericht lockte nicht nur mit verheißungsvollem Duft – es schmeckte auch ausgezeichnet.

“Ich glaube”, sagte Juanita genießerisch, “Wendy ist auf dem richtigen Weg.”

“Bestimmt”, zeigte sich Walker überzeugt. “Sie ist wirklich ein liebes Mädchen.”

“Offensichtlich sind Sie aber auch sehr nett zu ihr.”

“Das fällt mir nicht schwer.”

Wieder herrschte eine Weile Schweigen, das andauerte, bis Walker Wein nachschenkte.

“Waren Sie eigentlich schon einmal richtig verliebt?”, fragte er dabei fast beiläufig.

Halb überrascht, halb ärgerlich sah Juanita zu ihm auf. “Das geht …”

“Mich gar nichts an, ich weiß.” Walker lächelte.

“Wenn Sie es genau wissen wollen: Nein, so richtig gepackt hat es mich bisher nie”, räumte Juanita trotzig ein. “Was absolut nicht bedeutet, dass ich nicht oft genug in Männer verknallt war. Umgehauen hat mich allerdings keiner von ihnen – weder am Anfang noch am Ende einer Beziehung.”

“Und wie eng waren diese Beziehungen?”, forschte Walker weiter. “Haben Sie sich ein einziges Mal vollkommen fallen lassen können, um einem Mann wirklich nahe zu sein?”

Juanitas Blick flackerte. “Nein, bisher no … noch nicht”, brachte sie stockend hervor.

“Sie sind also ohne Zweifel noch Jungfrau”, sagte ihr Gareth Walker auf den Kopf zu.

Juanita glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. “Und Sie, Mr. Walker”, sagte sie mühsam beherrscht, “tun fast so, als sei dies eine schreckliche Krankheit.”

“In Ihrem Alter noch Jungfrau zu sein”, gab er ungerührt zurück, “ist absolut keine schreckliche Krankheit – aber jammerschade.” Versonnen sah Walker auf die glatte, helle Haut ihrer entblößten Arme, auf den schlanken Hals und das seidenmatt glänzende, fast schwarze Haar, das ihr bis auf die Schultern fiel. “Na gut”, riss er sich dann abrupt aus seinen Gedanken, “wollen wir jetzt den Nachtisch probieren?”

“Nein”, erwiderte Juanita aufgebracht. “Sie können nicht einfach derartige Feststellungen treffen und danach das Thema wechseln, Mr. Walker.”

“Was möchten Sie denn gern?”

“Ihnen am liebsten eine schallende Ohrfeige verpassen!” Wütend warf Juanita die Serviette zur Seite und machte Anstalten, aufzustehen und das Esszimmer auf der Stelle zu verlassen.

“Bitte lassen Sie uns das Abendessen nicht so beenden – auch, aber nicht nur Wendy zuliebe”, bat Walker, schob seinen Teller zur Seite und sah Juanita aus tiefblauen Augen so eindringlich an, dass sie unwillkürlich der Gedanke durchzuckte, dies alles sei in Wahrheit sehr viel mehr als nur ein vordergründiges Spiel.

Juanita sank auf den Stuhl zurück. “Was soll das jetzt wieder heißen?”

“Seien wir doch ehrlich zueinander”, sagte Gareth Walker nüchtern. “Die Wahrheit ist: Wir sind beide neugierig aufeinander. Ich als Mann auf Sie und Sie als Frau auf mich.” Wieder traf Juanita ein bedeutungsvoller Blick aus bemerkenswert blauen Augen, bevor Walker fortfuhr: “Aber aus Gründen, die nur Sie selbst kennen, Juanita, macht Sie diese Wahrheit wütend – und aus Gründen, die ausschließlich mir bekannt sind, macht umgekehrt dieselbe Wahrheit mich einfach nur zynisch. Doch weder Ihre wütende noch meine zynische Reaktion ändert irgendetwas an der zugrunde liegenden Wahrheit – an unserem wechselseitigen Interesse aneinander. Und so …” Walker hob sein Glas und prostete Juanita lächelnd zu. “… können wir beide getrost hochinteressanten Zeiten entgegensehen!”

Als für Juanita die Arbeit des nächsten Tages begann, fiel es ihr schwer, die Erinnerung an das ärgerliche Tischgespräch vom Vorabend abzuschütteln. Glücklicherweise war Wendy, noch bevor das Dessert serviert wurde, mit Kaffee ins Esszimmer gekommen. Gareth hatte ihr vorgeschlagen, als Dritte am Tisch Platz zu nehmen, und sich selbst bald darauf zurückgezogen und sich für den Rest des Abends nicht mehr blicken lassen. Juanita war Wendy noch beim Abwasch behilflich, anschließend früh zu Bett gegangen – und ebenfalls recht früh in den neuen Tag gestartet.

Vogelgezwitscher hatte Juanita in der Morgendämmerung geweckt, und als sie aufstand und in die Küche ging, um sich eine Tasse Tee zu machen, entdeckte sie dort – sorgfältig gebündelt – die Baupläne des Hauses mitsamt den Unterlagen über alle später vorgenommenen Änderungen.

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