×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Insellicht und Wellenglück«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Insellicht und Wellenglück« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Insellicht und Wellenglück

Als Buch hier erhältlich:

hier erhältlich:

Was passiert wenn die Liebe die Vernunft besiegt?

Aufregung auf der Nordseeinsel Juist: Die berühmte Schlagersängerin Rosemarie Brunner will eine Dokumentation über ihr bewegtes Leben drehen. Rosemarie steigt mit Filmteam und ihren beiden erwachsenen Söhnen im familiengeführten Hotel »Strandrose« ab, in dem Nele ihrer Familie derzeit unter die Arme greift. Mit Schlager hat Nele nicht viel am Hut, und die Filmcrew geht ihr schon am ersten Tag gehörig auf die Nerven. Der einzige Lichtblick ist Adrian, der ältere Sohn der Sängerin. Schon von Beginn an fühlt sich Nele zu ihm hingezogen, doch leider ist er verheiratet. Sie versucht, ihre Gefühle zu unterdrücken, was leichter gesagt als getan ist, denn auch Adrian scheint nicht abgeneigt zu sein. Aber schon bald merkt Nele, dass er etwas zu verbergen hat, und sie ist fest entschlossen, diesem Geheimnis auf den Grund zu gehen.

Der neue Küstenroman von Tina Martens darf auf keiner Sommer-Leseliste fehlen. Erneut schafft es die Autorin eine Wohlfühlgeschichte vor traumhafter Kulisse zu erzählen und jeden mitzureißen. Der perfekte Roman für einen gemütlichen Sommertag.


  • Erscheinungstag: 15.04.2025
  • Aus der Serie: Nordseeromane
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 336
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749908400
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Tina Martens

Insellicht und Wellenglück

Roman

HarperCollins

Kapitel 1

Manche Entscheidungen bereut man erst Jahre, nachdem man sie getroffen hat. Ich konnte mir inzwischen nicht mehr erklären, was mich vor zwei Jahren geritten hatte, den Mietvertrag für meine Dachgeschosswohnung zu unterschreiben. Es muss an den lichtdurchfluteten Räumen und dem Charme des alten Gebäudes gelegen haben. Diese Kombination hatte mich so sehr in ihren Bann gezogen, dass ich nicht daran dachte, welche Temperaturen hier im Sommer herrschen würden.

Heute war so ein Sommertag. Seit zwei Wochen war es durchgehend heiß, das Thermometer zeigte über dreißig Grad. Mein verschwitztes T-Shirt klebte mir am Oberkörper, und der kleine Ventilator auf meinem Küchentisch verschaffte mir nur wenig Linderung. Unter diesen Bedingungen machte es wirklich keinen Spaß, im Homeoffice zu arbeiten. Im Büro wäre es sicherlich einige Grad kühler gewesen, aber da in dem Gebäude des Versicherungsunternehmens, für das ich arbeitete, gerade ein Wasserschaden behoben wurde, sollten wir von zu Hause arbeiten. Ein Volltreffer für die Kollegen, die über einen Garten verfügten. Mein Chef unterschrieb jede dienstliche Mail seitdem mit »Schattige Grüße aus meinem grünen Paradies«, was mich regelmäßig zur Weißglut trieb. Dabei glühte ich auch ohne derartige Kommentare vor mich hin. Oftmals ertappte ich mich dabei, wie ich beim Einkaufen unnötig lange vor den Kühlregalen stand, um wenigstens zwischendurch ein wenig Linderung zu erhalten.

Meine Wohnung lag in Norden, einer Stadt nur wenige Kilometer von der Nordseeküste entfernt, und doch ließ die zentrale Lage mit der Hauptverkehrsstraße vor der Haustür nur wenig Meeresfeeling aufkommen. Den ganzen Tag hindurch schoben sich Autokolonnen unten vor meinem Fenster vorbei und versorgten mich mit Lärm und Abgasen. Viele hatten auswärtige Kennzeichen und waren unterwegs nach Norddeich, um von dort aus auf die Inseln Juist und Norderney überzusetzen.

Ich stützte den Kopf in die Handfläche und klickte mich halbherzig durch das Verwaltungsprogramm auf meinem Arbeitslaptop. Das Gerät war an diesem Tag unerträglich langsam, sicherlich machte die Hitze nicht nur mir zu schaffen. Vielleicht ahnte es aber auch, genau wie ich, dass der Versicherungsfall von Frau Bode, deren Fernseher angeblich vom Fußball des Sohnes ihrer Freundin geschrottet worden war, schlicht und einfach erfunden war. Ein vermeintlicher Freundschaftsdienst, mit dem ich in meinem Beruf tagein, tagaus zu tun hatte.

Ich wollte gerade Frau Bodes Angaben zum Unfallhergang in die Datei eingeben, als sich das Programm aufhängte. Auch auf meinen Versuch, es zu schließen, tat sich nichts. Entnervt versuchte ich es mit einem Trommelfeuer von Mausklicks auf das X in der rechten oberen Ecke des Programms, doch kein Erfolg. Ich fuhr den Laptop herunter und startete ihn neu. Nun bewegte sich zwar immerhin meine Maus wieder über den Bildschirm, aber sonst nichts. Auch das noch! Es war Freitagmittag, auf meinem Küchentisch lagen noch drei Fälle, die erledigt werden mussten, und ich hatte keinen Nerv, mich mit einem störrischen Computerprogramm auseinanderzusetzen. Das Wochenende rief, ich wollte an den Strand und mich in die Nordsee stürzen.

Ich griff nach meinem Handy und wählte die Nummer der IT-Hotline. Blieb nur zu hoffen, dass die Mitarbeiter sich nicht schon ins Wochenende verabschiedet hatten. Ich hatte Glück, denn schon nach dem dritten Klingeln ging jemand ran und stellte sich als Tim Borchers vor.

»Nele Diekena hier«, meldete ich mich. Während ich ihm mein Problem erläuterte, hörte Tim geduldig zu.

»Mit einem Neustart hast du es schon versucht?«

»Ja.« Ich war ein wenig verwundert, dass er mich gleich duzte, aber es klang, als müssten wir etwa gleich alt sein, daher störte es mich nicht weiter. Gleichzeitig war ich beruhigt, dass ich nicht wieder an einen dieser IT-Mitarbeiter geraten war, die jede Gelegenheit für eine herablassende Belehrung nutzten. Tatsächlich war Tims Stimme sehr angenehm, kein Vergleich zum letzten Mal, als ich die technische Hilfe in Anspruch nehmen musste und danach Sorgen um meinen Blutdruck hatte.

»Kein Problem, Nele, das hatten wir heute schon häufiger. Kleinen Moment.« Das Klackern im Hintergrund verriet mir, dass er etwas in seine Tastatur tippte. »Kannst du mir den Fremdzugriff auf deinen PC gewähren? Bei dir öffnet sich gleich eine Anfrage, die du bitte bestätigen müsstest.«

»Natürlich.« Ich klickte auf die OK-Taste in dem kleinen Fenster, das in diesem Moment auf meinem Bildschirm aufploppte.

»Danke.«

Das Wort allein jagte mir einen wohligen Schauer über den Rücken. Tim hatte eine warme Stimmfarbe, die mir ausgesprochen gut gefiel. Warum saß dieser Mann in der IT-Abteilung und arbeitete nicht als Hörbuchsprecher? Ich hätte ihn mir auch gut als Synchronsprecher für einen Hollywoodstar vorstellen können.

Auf meinem Bildschirm öffneten sich verschiedene Fenster, in die er über die Fernsteuerung unterschiedliche Zahlen- und Buchstabenkombinationen eingab, mit denen ich nichts anfangen konnte.

Nach einer Weile meldete er sich wieder. »Gleich haben wir’s, Nele. Ich muss noch ein Update durchlaufen lassen, das dauert einen Moment. Ich schlage vor, wir vertreiben uns die Wartezeit, indem du mir erzählst, was du heute noch Schönes vorhast.«

»Sobald ich die letzten Fälle abgearbeitet habe, packe ich meine Badesachen und ein gutes Buch ein und fahre an die Nordsee.«

»Was liest du denn so?«

»Liebesromane«, sagte ich zögernd, denn ich wusste, wie die meisten Männer dazu standen.

Tim jedoch schien nicht zu dieser Sorte zu gehören. »Lass mich raten: Darin spielt bestimmt ein gut aussehender IT-Mitarbeiter eine Rolle, oder?«

Ich lachte auf. »Nein, leider nicht. Aber ich denke, eine solche Geschichte sollte dringend geschrieben werden.«

Seine Stimme wurde eine Spur dunkler. »Möglicherweise fehlt es einfach an Inspirationen.«

Mir wurde ganz kribbelig zumute, doch ehe ich noch etwas erwidern konnte, bemerkte ich, dass sich auf meinem Bildschirm etwas tat.

»So, nun haben wir’s. Das Problem war, dass das Update nicht automatisch installiert wurde. Die Laptops dieser Generation haben damit so ihre Probleme.« Er startete das Verwaltungsprogramm, das sofort anlief und seine Dienste anpries. »Na also, das sieht doch gut aus.«

»Tim, du bist mein Retter in der Not. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte ich mich das ganze Wochenende hindurch gequält und wäre nicht weitergekommen.«

»Das hört man gern.«

»Wie sieht es denn bei dir aus? Wie lange sitzt man als IT-Experte an einem Freitag an der Servicehotline?«

»Bis fünfzehn Uhr, dann bin ich erlöst.«

»Dann wünsche ich dir, dass sich nicht noch mehr verzweifelte Mitarbeiterinnen bei dir melden, die ohne das Update nicht arbeiten können.«

»Na ja, so würde ich das nicht nennen. Immerhin hat mir eine ganz bestimmte Mitarbeiterin heute den Tag versüßt.«

Vor meinem inneren Auge spielten sich automatisch Szenen ab, die einem Hollywoodfilm entsprungen sein konnten. Zwei Fremde, die sich zunächst am Telefon anonym austauschen und bei denen es dann im weiteren Verlauf heftig funkt. Wie in einer abgewandelten Version des Films E-Mail für dich. Okay, mit meinen schulterlangen braunen Haaren hatte ich zwar wenig Ähnlichkeit mit Meg Ryan, aber sollte sich mein Gesprächspartner als eine jüngere Version von Tom Hanks entpuppen, hätte ich absolut nichts dagegen. Zwar war ich ausgesprochen zufrieden mit meinem Singleleben, hatte jedoch eine große Schwäche für romantische Geschichten. Das eine schloss das andere schließlich nicht aus. Für eine filmreife Romanze würde ich aber durchaus noch mal über meinen Status als Dauersingle nachdenken.

Zu gern hätte ich gewusst, wer sich hinter dieser sensationellen Stimme verbarg. Zum Glück hatte Tim sich mit seinem vollen Namen gemeldet, und im digitalen Zeitalter war man nur wenige Mausklicks davon entfernt, seine Neugier zu befriedigen.

Ich öffnete die Suchmaschine und gab Tim Borchers als Suchbegriff ein. Es erschien unter anderem ein Eintrag mit seinem Facebook-Profil. Was mir dort allerdings präsentiert wurde, stimmte überhaupt nicht mit dem überein, was ich mir gerade noch in meiner Fantasie ausgemalt hatte. Eigentlich versuchte ich immer, mir nicht vorschnell ein Urteil zu bilden, doch es gab eine Ausnahme: Menschen, die sich über Statussymbole definierten und als Lackaffen auftraten. Und genau in diese Kategorie fiel Tim. Leider. Mit seiner hochgewachsenen Gestalt und den dunklen Haaren sah er zugegebenermaßen gut aus, aber wie er sich auf seinen Fotos in den sozialen Medien präsentierte, löste automatisch Abneigung bei mir aus. Mal lehnte er an einem Cabrio, eine Sonnenbrille ins zurückgegelte Haar gesteckt, mal posierte er vor einem Boot, auf dem eine leicht bekleidete Blondine an der Reling lehnte.

»Gefällt dir, was du siehst?«, meldete sich Tims Stimme vom anderen Ende der Leitung.

Ich wusste zunächst nicht, was er meinte. Dann dämmerte es mir. Der Fremdzugriff auf meinen Firmenlaptop war noch vorhanden, er hatte meine Suchaktion live mitverfolgt. Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss und mein von der Hitze schon geröteter Kopf kurz vorm Platzen stand. Wie hatte ich das nur übersehen können?

»Entschuldige, Tim, ich dachte, dass wir … uns von irgendwo kennen würden, aber da habe ich mich wohl geirrt«, sog ich mir eine Notlüge aus den Fingern.

»Das lässt sich sicherlich ändern.«

Hätte ich doch nur nicht nachgesehen. Ich hätte einfach seine Stimme genießen und die Sache auf sich beruhen lassen sollen, aber meine Neugier hatte mir wieder mal einen Strich durch die Rechnung gemacht. »Oh, tut mir leid, ich bekomme gerade einen Anruf rein und darf die Leitung nicht blockieren. Wir hören sicherlich demnächst mal wieder voneinander.«

»Super. Ich kann dir auch gerne meine Durchwahl geben, dann musst du dich nicht extra an die Hotline wenden und hast mich nächstes Mal direkt –«

»Tschüss!«, unterbrach ich ihn und legte ohne ein weiteres Wort schnell auf. Ich rieb mir mit den Händen über das Gesicht. Wie peinlich war das denn bitte gewesen? Die Temperaturen mussten meine Gehirnzellen geschmolzen haben, sonst wäre mir eine solche Unachtsamkeit nicht passiert.

Im nächsten Moment begann mein Telefon zu klingeln, als wollte es mich für meine kleine Notlüge bestrafen.

»Hallo, Lieblingsschwester!«, meldete sich mein Bruder.

»Darf ich dich daran erinnern, dass du nur eine Schwester hast?«

»Ich bin mir sicher, dass du in einer ganzen Schar von Geschwistern mein absoluter Liebling wärst.«

Ich liebte Ole von Herzen, aber wenn er auf diese Weise Süßholz raspelte, wollte er meistens etwas von mir. Wie so oft wünschte ich mir, dass ich ihm einen Wunsch abschlagen könnte. Konnte ich erfahrungsgemäß aber nicht. »Dein Tonfall sagt mir, dass du etwas von mir willst.«

»Darf ich mich etwa nicht mehr bei meiner Schwester melden?«

»Natürlich darfst du das. Ich freue mich, von dir zu hören. Wie geht es euch? Gibt’s was Neues?«

»Das ist das Problem. Ich habe wundervolle Neuigkeiten. Eigentlich wollte ich sie dir persönlich überbringen, wenn du uns das nächste Mal besuchst«, druckste er herum.

»Aber?«, half ich ihm auf die Sprünge.

»Ich weiß nicht recht, wie ich anfangen soll.«

»Spuck’s einfach aus«, schlug ich vor. »Gute Neuigkeiten höre ich immer gern.«

»Marie ist schwanger.«

»Ach, Ole! Das ist ja großartig! Herzlichen Glückwunsch! Endlich werde ich Tante. Aber warum klingst du bei einer derart tollen Neuigkeit so bedrückt?«

»Es geht ihr fürchterlich schlecht. Sie ist in der zehnten Woche, ihr Körper ist mit der Hormonumstellung total überfordert, ständig muss sie sich übergeben. Ich brauche dir wohl nicht zu erklären, dass das bei den Hotelgästen nicht besonders gut ankommt.«

»Nein, das kann ich mir durchaus vorstellen.« Ole und Marie führten unser Familienhotel Strandrose auf Juist. Sie hatten es von unseren Eltern übernommen, die immer noch in den Hotelbetrieb eingebunden waren, sich aber aus Alters- und Gesundheitsgründen nach und nach zurückziehen wollten.

»Und nun kommt ausgerechnet diese Brunner auf die Insel.«

»Wer?«, fragte ich.

»Rosemarie Brunner, die Schlagersängerin.«

»Kenne ich nicht.«

»Du hast bestimmt schon mal eins ihrer Lieder gehört. Der Höhepunkt ihrer Karriere liegt einige Jahre zurück, aber vor ein paar Wochen hat ein junger DJ eine Technoversion von ihrem alten Hit ›Tanzen, bis der Morgen graut‹ rausgebracht, und nun ist sie wieder in aller Munde – zumindest bei der jüngeren Generation.«

»Dazu zähle ich dann wohl nicht mehr. Und was hat diese Schlagersängerin auf Juist zu suchen?«

Ole holte tief Luft, bevor er zu einer Erklärung ansetzte. »Sie möchte eine Dokumentation über ihr Leben drehen. Eigentlich lebt sie in Bayern am Starnberger See, aber ihr Mann wurde auf Juist geboren und hat hier bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr gelebt. Ihm zu Ehren soll die Doku in großen Teilen hier gedreht werden, er ist im vergangenen Jahr gestorben. Sie bringt neben der Filmcrew auch ihre Familie mit. Überhaupt soll sie ein totaler Familienmensch sein, und daher möchte sie unbedingt in einem familiengeführten Hotel unterkommen. Du darfst raten, auf welches ihre Wahl gefallen ist.«

»Das ist doch bestimmt eine gute Werbung für die Strandrose

»Schon, aber eigentlich sollte Marie sich um das Filmteam kümmern und bei den Drehs mit Rat und Tat zur Seite stehen.« Er machte eine nachdenkliche Pause. »Ich habe jedoch die Befürchtung, dass sie die Dreharbeiten laufend mit Würgegeräuschen aus dem Hintergrund untermalt, und das ist dann wiederum nicht gerade gut fürs Geschäft.«

Ich nickte vor mich hin. »Ich ahne, worauf du hinauswillst.«

»Hinzu kommt der Fachkräftemangel. Wir haben auch so schon alle Hände voll zu tun, ohne einen Schlagerstar mit Filmcrew und Familie. Die Buchung haben wir erhalten, als Marie noch nicht schwanger war, und wir dachten, wir würden das schon stemmen. Mama und Papa sind ja auch noch da. Aber du weißt ja, wie das mit Mamas neuem Knie ist. Von Papas Rücken ganz zu schweigen.«

»Du willst also, dass ich dir helfe«, unterbrach ich ihn, bevor er noch die Krankengeschichte unserer ganzen Familie aufzählte.

»Wenn es sich irgendwie für dich einrichten ließe, ja. Das größte Chaos steht sicherlich dieses Wochenende an, wenn das Team am Sonntag anreist. Wenn es erst mal einquartiert ist und sich akklimatisiert hat, bekommen wir das sicherlich auch so irgendwie hin.«

»Grundsätzlich wäre es möglich, dass ich komme und auch länger bleiben könnte«, überlegte ich laut. »Ich arbeite derzeit im Homeoffice, und wo das ist, sollte ja eigentlich egal sein. Im Notfall wäre ich schnell auf dem Festland, falls es wegen der Arbeit mal nötig sein sollte.«

»Das wäre der absolute Wahnsinn, Nele.«

Natürlich stand es außer Frage, dass ich meinem Bruder helfen würde. Ich war mit dem Hotelbetrieb aufgewachsen und kannte die Strandrose in- und auswendig. Doch so leicht wollte ich ihn nicht davonkommen lassen. »Was bekomme ich denn dafür?«

»Wir werden dich natürlich regulär bezahlen.«

»Quatsch, ich will doch kein Geld von euch.«

»Sondern?«

»Das kommt drauf an. Wie wollt ihr mich denn unterbringen?«

»Sonst hast du doch immer das kleine Eckzimmer im zweiten Obergeschoss unter dem Dach, wenn du uns über Nacht besuchst. Wie wäre es damit?«

»Keine Chance«, entgegnete ich. »Ich nehme nur was im Erdgeschoss oder ersten Stock.« Das Zimmer, das er mir vorgeschlagen hatte, bekam den ganzen Tag hindurch Sonne, was mich in meiner derzeitigen Lage überhaupt nicht reizte. Wenn ich schon auf die Insel fuhr, um meiner Familie zu helfen, musste auch eine gewisse Abkühlung drin sein.

Ole überlegte einen Moment. »Okay, das mit dem ersten Stock müssten wir hinbekommen.«

»Und ich möchte freie Poolnutzung, meinetwegen außerhalb der Gäste-Öffnungszeiten.«

»Die hast du doch sowieso immer.«

»Reine Vorsichtsmaßnahme. Dann bin ich dabei.«

»Du bist ein Engel, Nele.« Ich konnte den Stein beinahe durch die Leitung hören, der meinem Bruder vom Herzen fiel. »Besonders weil … du weißt schon.«

»Lass gut sein, Ole, du konntest nichts dafür.«

»Du hast echt was gut bei mir.«

Ich lächelte in mich hinein. Hatte er echt gedacht, ich würde ihn hängen lassen? »Keine Sorge, Bruderherz, ich werde dich zu gegebener Zeit daran erinnern.«

Wir beendeten das Gespräch, doch ich starrte noch eine ganze Weile auf den schwarzen Handybildschirm in meiner Hand und hing meinen Gedanken nach. Einerseits war da die Vorfreude auf unseren Familienzuwachs, denn es war ganz klar, dass ich die coole Tante werden würde, die das Kleine nach Strich und Faden verwöhnte und immer ein offenes Ohr für seine oder ihre Probleme haben würde. Auf der anderen Seite ließ mich der Gedanke an die kommende Zeit nicht los. Dass ich meine Familie auf Juist besuchte, war nichts Ungewöhnliches, denn dies tat ich ohnehin alle paar Wochen. Neu war, dass wir wieder miteinander arbeiten würden. Ich war auf der schönsten Sandbank der Welt, wie die Insel gemeinhin genannt wurde, und mit dem Hotelbetrieb unserer Eltern aufgewachsen, doch inzwischen liefen meine Besuche streng getrennt von allem ab, was mit dem Hotel zu tun hatte. Meine Eltern hätten mich nie im Leben um meine Mithilfe gebeten, um keine alten Wunden aufzureißen. Was genau es allerdings mit dieser Rosemarie Brunner auf sich hatte, durchblickte ich noch nicht so ganz. Ich entsperrte mein Handy und startete eine Internetsuche.

Sie war besonders in den Achtzigern als junge Frau bekannt gewesen. Mit ihren Hits wie »Im Regen tanz ich Tango« und »Ich hätt dich gern eher geküsst« – Lieder, von denen ich noch nie etwas gehört hatte – mischte sie die Hitparaden auf. Danach war es ihr schwergefallen, an die alten Erfolge anzuknüpfen, und inzwischen trat sie nur noch bei Dorffesten oder Kaufhauseröffnungen auf. Hin und wieder erschienen kurze Berichte über sie, zuletzt nach dem Tod ihres Mannes im vergangenen Jahr. Er war ein angesehener Historiker gewesen, der mit seinem Fachwissen an so mancher TV-Dokumentation mitgewirkt hatte. Die beiden hatte ein Altersunterschied von über zwanzig Jahren getrennt. Auf den Fotos war die Sängerin mit einer blonden toupierten Frisur abgebildet, die eindeutig von Dolly Parton inspiriert war. Im Frühjahr war sie zum ersten Mal seit Jahren wieder in die Hitparaden gerutscht, als ein junger DJ ihren ersten großen Hit mit wummernden Beats unterlegt und damit einen Überraschungserfolg gelandet hatte.

Meine Neugier war fürs Erste befriedigt. Nun galt es, meinen Chef davon zu überzeugen, mich auch auf Juist im Homeoffice arbeiten zu lassen. Doch was sollte er dagegen haben? Ins Büro zitieren konnte er mich ja schlecht. Sobald er sein Okay gab, würde mich hier nichts mehr halten, und ich würde mich in die nächste Fähre nach Juist setzen.

Kapitel 2

Töwerland. Dieser Schriftzug empfing mich schon am Fähranleger in Norddeich. Unwillkürlich musste ich lächeln. Juist wurde in einem alten Seemannslied Töwerland, also Zauberland, genannt, und ich fand die Bezeichnung durchaus passend. Unzählige Male hatte die Insel mir ihren besonderen Zauber gezeigt. Etwa dann, wenn sie sich im Herbst in Nebel hüllte und die Spinnenweben in den Bäumen wie in einem Märchenwald glitzerten. Oder damals, als meine Freundin Hilka und ich uns am Hammersee trafen und uns von den beiden Hexen erzählten, die sich dort angeblich ein Duell geliefert und damit für die Teilung der Insel gesorgt hatten. Wir mussten damals etwa elf Jahre alt gewesen sein. In unserer kindlichen Fantasie steigerten wir uns so in diese Geschichte hinein, dass wir bis zum Einbruch der Dunkelheit spielten und es dann mit der Angst zu tun bekamen. Mit wackeligen Knien gingen wir nach Hause, wo uns ein Donnerwetter erwartete, weil sich unsere Eltern solche Sorgen gemacht hatten. Auf Juist vergaß man leicht die Zeit, ganz egal, ob man zu den Einheimischen gehörte oder zu denen, die sich auf der Insel eine Auszeit gönnten.

Das strahlende Weiß der Fähre hob sich vom wolkenlosen blauen Himmel und dem graublauen Wasser der Nordsee ab. Bei diesem Anblick ging mir jedes Mal das Herz auf. Ich liebte es, mit der Fähre zu fahren. Zwar hätte ich auch einen der Inselflieger nehmen können, der mich in wenigen Minuten an mein Ziel gebracht hätte, aber für mich war das Warten auf das Erreichen der geliebten Insel etwas, das ich nicht missen wollte. Es gehörte zu Juists Seele, denn dort tickten die Uhren tatsächlich ein wenig anders als an allen anderen Orten, die ich kannte. Natürlich musste es auch hier oft schnell gehen, gerade in der Hochsaison, aber man akzeptierte, dass die Nordsee den Takt vorgab, und richtete sich danach.

Tief atmete ich die frische Meeresluft ein und spürte, wie eine Welle aus Vorfreude durch meinen Körper rauschte. Ich konnte es kaum erwarten, meine Füße wieder auf die Insel zu setzen, meine Familie zu sehen und ihr in dieser doch recht außergewöhnlichen Situation zu helfen. Noch nie in meinem Leben hatte ich es mit einer prominenten Person zu tun gehabt. Zwar hatte ich eine solche Erfahrung bislang auch nicht sonderlich vermisst, interessant würde es aber allemal werden.

Schnell verstaute ich meinen Koffer in einem der bereitstehenden Gepäckwagen und ging auf das Terminal zu. Meine Karte für die Überfahrt hatte ich bereits online gebucht, also trat ich direkt auf die Fähre. Sie war brechend voll, wie es in der Hochsaison nicht anders zu erwarten war. Ich ging an den Sitzbänken, Tischen und Stühlen vorbei, bis ich einen freien Platz neben einem jungen Paar fand, das ein Baby im Kinderwagen dabeihatte.

»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

»Ja, natürlich.« Die Mutter des Babys ermunterte mich mit einem Lächeln. Sie sah übernächtigt aus, wie man es bei jungen Eltern beinahe schon erwartete, der Mann neben ihr stand ihr in dieser Hinsicht in nichts nach.

Ich setzte mich, sodass ich der Frau direkt gegenübersaß. Auf dem Tisch standen zwei Tassen Kaffee, die die Eltern wohl benötigten, um auf der Überfahrt nicht einzuschlafen. Das Baby hingegen sah putzmunter aus und schaute dem geschäftigen Treiben um sich herum begeistert zu.

»Wie heißt Ihr Baby denn?«

»Lübbo.« Die Mutter lächelte müde. »Benannt nach meinem Ururgroßvater. Er ist unser kleiner Sonnenschein.«

»Machen Sie Urlaub auf der Insel, oder sind Sie Einheimische?«, fragte ich.

»Ich komme aus Norddeich, aber Juist ist sozusagen mein zweites Zuhause, genau wie Norderney. Es bietet sich einfach an, den Inseln öfter mal einen Besuch abzustatten, wenn man hier lebt. In den letzten Jahren habe ich in Oldenburg gewohnt, bin aber dann doch wieder hier gelandet.« Sie warf ihrem Begleiter ein liebevolles Lächeln zu. »Ich bin übrigens Lisa, und das ist mein Mann Simon.«

»Ich bin Nele. Gebürtige Juisterin, lebe jetzt aber in Norden.«

»Also auch ganz in der Nähe. Und nun stattest du deiner Heimatinsel einen Besuch ab.«

»Genau, meine Familie betreibt ein Hotel auf der Insel. Ich helfe dort kurzzeitig aus.«

»Dann musst du ja eine tolle Kindheit gehabt haben. Ich stelle es mir nahezu magisch vor.« Sie musste lachen, als sie sich dieser Beschreibung bewusst wurde. »Aber klar, es heißt ja auch Töwerland.« Sie seufzte. »Ich liebe die Entschleunigung. Keine Autos, kein Lärm. Schade, dass die Fähre tideabhängig ist. Diese kleinen Inselflieger sind mir nicht ganz geheuer. Vielleicht nehmen wir beim nächsten Mal eins der Inseltaxis, die fahren immerhin mehrmals am Tag.«

Meine Gesprächspartner waren mir sympathisch, und ich wollte gern mehr über sie erfahren. »Aber Norddeich ist doch auch nicht schlecht. Was macht ihr denn dort beruflich?«

»Wir betreiben ein Immobilienbüro. Wenn du also mal auf der Suche nach einem Haus oder einer Wohnung bist, melde dich gern.« Sie zog eine Visitenkarte aus ihrer Tasche und reichte sie mir. »Wir finden für jeden Geschmack das Passende.«

Ich nahm die Karte an. »Danke, aber ich glaube, das gibt mein Bankkonto derzeit nicht her.«

»Keine Sorge, wir vermitteln auch Mietwohnungen.« Sie zwinkerte mir zu, doch dann erforderte ihr Sohn ihre ganze Aufmerksamkeit.

Ich steckte die Karte in mein Portemonnaie. Unwahrscheinlich, dass ich in absehbarer Zeit etwas an meiner Wohnsituation ändern würde. Zwar wünschte ich mir ein Zuhause, in dem ich mich im Sommer nicht wie in einem Backofen fühlte, doch ich war froh, dass ich mir meine Wohnung einigermaßen leisten konnte, und es würde schwierig werden, etwas Günstigeres zu finden.

»Hast du Hunger, mein kleiner Sonnenschein?« Lisa nahm ihren Sohn aus dem Kinderwagen auf ihren Schoß und bot ihm etwas aus einem Gläschen an. Er streckte die Ärmchen aus, um den Löffel wegzudrücken, und übergab sich auf ihr Oberteil. Ihr Mann Simon machte sich gleich daran, das Malheur zu beseitigen. Als er gerade das Gröbste bereinigt hatte, legte Lübbo nach.

Als sich der kleine Sonnenschein zum dritten Mal übergab, fand ich, es sei an der Zeit, an die frische Luft zu gehen. Oben auf dem Deck tummelten sich die Urlauber und streckten die Nasen in den Wind. Ich sah mich um. Wir hatten uns bereits ein gutes Stück vom Festland entfernt. Hier auf der Nordsee, wo die Wellen leicht gegen das Schiff schwappten, war es überraschend kühl.

Juist kam immer näher, die Gebäude und die grüne Natur zeichneten sich deutlicher ab, und ich konnte das Seezeichen in der Form eines Segels erkennen. Mit jedem Meter steigerte sich meine Vorfreude. Ich hatte meinen Laptop und die wichtigsten Unterlagen im Gepäck, damit ich neben meiner unterstützenden Tätigkeit im Hotel an meinen Versicherungsfällen weiterarbeiten konnte. So hatten wir alle gewonnen: Mein Chef musste keine Arbeitskraft entbehren, mein Bruder hatte Hilfe im Hotel, und ich konnte mir die frische Inselluft um die Nase wehen lassen und musste mich nicht mehr in meiner Dachgeschosswohnung durchgaren lassen.

Manchmal fragte ich mich, wie es wäre, wenn ich Juist nie verlassen hätte, doch auch wenn dies nicht ganz freiwillig geschehen war, hatte es sich als die richtige Entscheidung entpuppt. Inzwischen konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen, dauerhaft auf der Insel zu leben. Klar, ich liebte mein Zauberland, aber noch mehr liebte ich die Unabhängigkeit, die mir das Festland bot. Ich fand Gefallen an den Dingen, die auf der Insel einfach unmöglich waren, wie den Führerschein zu machen und Auto zu fahren, denn Juist war seit jeher autofrei. Außerdem konnte ich nun spontan mit Freunden im Winter ins Kino gehen, auf der Insel war das nur in der Hauptsaison möglich. Letztlich war es also alles gut so, wie es sich entwickelt hatte.

Die Fähre legte an. Eine Schlange an Wartenden hatte sich bereits am Ausgang gebildet, um ja als Erste einen Fuß auf die Insel zu setzen. Die Tür wurde freigegeben, und ich fügte mich in den Strom meiner Mitreisenden. Am Gepäckwagen, der draußen aufgestellt worden war, entbrannte eine wilde Schlacht, jeder wollte seinen Koffer zuerst abladen. Kopfschüttelnd blieb ich etwas abseits stehen. So viel zum Thema Entschleunigung. Ich wartete, bis sich das größte Getümmel gelegt hatte, nahm meinen Koffer an mich und zog ihn hinter mir her. Dessen Rollen gaben auf dem gepflasterten Weg ein regelmäßiges Klappern von sich, das die Umgebungsgeräusche beinahe vollständig übertönte. Dann jedoch glaubte ich, meinen Namen zu hören, und sah mich um.

»Joost!« Ich winkte, als ich meinen alten Freund sah, der lässig auf seinem Kutschbock thronte. Seine wuscheligen braunen Haare tanzten in der Meeresbrise. Eben noch hatte sich eine Traube von Touristen um ihn geschart, sodass ich ihn zunächst nicht gesehen hatte, doch nun waren Gepäck und Gäste auf der Kutsche verstaut und zur Abfahrt bereit.

Breit grinsend saß er da. »Auch mal wieder im Lande?« Joost musterte meinen Koffer und schien überrascht zu sein. »Sag bloß, du bleibst tatsächlich mal mehr als eine Nacht auf der Insel? Dann könnte ich ja das Glück haben, dass wir mal einen Kaffee miteinander trinken.«

»Deine Chancen stehen gut, ich bleibe länger.«

»Das sind doch mal gute Aussichten.« Er deutete neben sich auf den Kutschbock. »Spring auf, ich fahre ohnehin in Richtung Strandrose

»Nicht nötig, ich laufe gern.«

»Und ich fahre dich gern. Du kannst noch oft genug spazieren gehen, während du hier bist. Aber dann hast du keinen schweren Koffer dabei.«

»Stimmt auch wieder.«

Er stieg vom Kutschbock, um mir zu helfen, meinen Koffer auf die Kutsche zu hieven, auf der sich bereits mehrere Personen niedergelassen hatten. Ich grüßte sie mit einem kurzen »Moin«. An den leuchtenden Blicken erkannte ich, dass es sich um typische Urlauber handelte, die jedes ostfriesische Wort mit Begeisterung aufsogen.

»Um Himmels willen, was schleppst du denn alles mit?« Joost keuchte, als er meinen Koffer anhob und ihn hochstemmte.

»Nur das Nötigste.«

»Schon klar.«

»Ich weiß eben noch nicht, wie lange ich bleiben kann, da möchte ich nicht ständig in denselben Klamotten rumlaufen.«

Wir kletterten auf den Kutschbock, und er gab seinen beiden Pferden das Kommando zur Abfahrt. Gemächlich setzten sich die Braunen in Bewegung, ihre Hufeisen klapperten über das Pflaster. Wie hatte ich dieses Geräusch vermisst. Zusammen mit dem warmen Geruch der Pferde umfasste mich ein wohliges Gefühl.

»Wen hast du denn heute dabei?«, fragte ich mit einem Blick zu den Pferden.

»Henry und Bob.«

Joost betrieb mit seiner Familie ein Fuhrunternehmen. Da Autos auf Juist verboten waren, war dies durchaus ein einträglicher Geschäftszweig. Alle Pferde des Betriebs waren braun, kräftig gebaut und hatten eine schwarze Mähne. Es gelang mir nie, sie zu unterscheiden. Joost hingegen konnte sie nicht nur sofort auseinanderhalten, sondern sie auch anhand ihres Wieherns identifizieren, wenn sie ihn auf der Weide begrüßten.

Er und ich waren seit unserer Kindheit befreundet. Früher hatten wir zusammen die Inselschule besucht, wo jeder jeden kannte – man hatte schließlich auch wenig Möglichkeiten, sich aus dem Weg zu gehen. Da war es von Vorteil, wenn man sich gut verstand. Und das taten Joost und ich seit jeher. Zusammen mit meiner besten Freundin Hilka und seinem besten Freund Marten bildeten wir ein unschlagbares Quartett, das die Jahre überdauerte und selbst meinen Wegzug von der Insel überstand. Von Zeit zu Zeit trafen wir uns und schwelgten in gemeinsamen Erinnerungen. Hilka und Marten waren inzwischen verheiratet, und unsere Treffen fanden meist in ihrer gemütlichen Wohnung im Loog, dem Inseldorf, statt.

»Was verschlägt dich denn hierher, dass du sogar mal länger bleibst, Nele?« Joost sah mich fragend an. »Es ist hoffentlich nichts Schlimmes passiert?«

Schnell schüttelte ich den Kopf. »Nein, im Gegenteil. Ole und Marie bekommen ein Baby. Leider geht es ihr nicht gut, und sie brauchen Unterstützung im Hotel.«

»Das erklärt, warum sie neulich so blass aussah und sich die Hand vor den Mund gehalten hat, als sie aus dem Teeladen von Trien Jacobs gestürmt ist. Die Arme, die Gerüche da drin müssen ihr den Rest gegeben haben. Und das gerade in der Hauptsaison, wo hier überall Hochbetrieb herrscht.«

»Wenn es nur das wäre. Eine Sängerin namens Rosemarie Brunner hat sich in der Strandrose eingemietet. Mit einem kompletten Filmteam. Sie scheint früher eine ganz große Nummer gewesen zu sein und dreht jetzt eine Dokumentation über ihr Leben. Ein Teil wird hier gefilmt, weil ihr Mann wohl von Juist kam, er ist inzwischen verstorben. Hast du schon mal was von ihr gehört?«

»Rosemarie Brunner sagtest du?« Joost konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen, warf sich in die Brust und stimmte »Im Regen tanz ich Tango« an.

Ich starrte ihn entgeistert an. »Bist du etwa ein Fan von ihr?«

»Haha, nein, aber meine Mutter. Ich bin mit den Liedern aufgewachsen.«

»Dann kann ich mir ja vorstellen, wer bald ständig um unser Hotel herumschleichen wird.«

»Davon ist auszugehen, sie hat schon so was in der Art angedeutet.«

»Zum Glück sind unsere Mütter befreundet, sonst würde man deine Mutter für eine Stalkerin halten.«

Wir bogen in unsere Straße ein. Die Strandrose schmiegte sich zwischen die Nachbarhäuser, die ebenfalls aus roten Backsteinen gemauert waren, und empfing ihre Gäste mit frisch bepflanzten Blumenkübeln rechts und links der gläsernen Eingangstür. Joost hielt an, ich schwang mich vom Kutschbock und machte mich daran, den Koffer von der Kutsche zu ziehen, als er neben mich trat.

»Lass mich das machen. Das Ding ist so schwer, dass du wahrscheinlich davon erschlagen wirst, wenn du nicht aufpasst.« Er hob den Koffer herunter und stellte ihn zu meinen Füßen auf der Straße ab.

»Danke fürs Mitnehmen, Joost.«

»Gerne. Vielleicht klappt es ja wirklich mit einem Treffen.«

»Bestimmt.«

Wir verabschiedeten uns, die Kutsche setzte sich in Bewegung, und ich trat durch die Eingangstür. Im Inneren empfing mich der vertraute Geruch von Holz, Reinigungsmitteln und den noch leicht wahrnehmbaren Essensgerüchen, die vom heutigen Frühstück in die Lobby gezogen waren. Die Wände waren halbhoch mit sandfarbenen Holzelementen vertäfelt und in der oberen Hälfte hellblau gestrichen. Ein Anblick wie der Strand unter blauem Himmel. Früher hatten hier noch Gemälde und alte Fotos der Insel gehangen. Sie fehlten mir, denn irgendwie hatten sie dem Eingangsbereich das besondere Flair verliehen.

An der Rezeption entdeckte ich Marie. Sie bemerkte mich in ebendiesem Moment, und ein erleichtertes Lächeln zog sich über ihr Gesicht.

»Nele, du bist unsere Rettung.« Mit schnellen Schritten eilte sie um den Empfangstresen herum und schloss mich in die Arme. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie dankbar wir dir sind.«

»Nicht der Rede wert. Herzlichen Glückwunsch zur Schwangerschaft!« Ich löste mich aus unserer Umarmung und sah sie streng an. »Sag bloß, Ole lässt dich hier arbeiten, wenn es dir nicht gut geht. Ich muss wohl mal ein ernstes Wort mit meinem Bruder reden.«

Lachend schüttelte sie den Kopf. »Lieb, dass du dich um mich sorgst, aber ich vertrete Imke nur für eine halbe Stunde, weil sie gerade Mittagspause macht. Wir haben außerdem noch kurzfristig jemanden zur Unterstützung einstellen können, sie heißt Helga und ist im Wechsel mit Imke stundenweise hier. Du wirst ihr bestimmt mal über den Weg laufen. Sie ist Mitte fünfzig und hat kurze braune Haare. Dein Bruder ermahnt mich ständig, dass ich nicht zu viel machen soll, und würde mich am liebsten in Watte packen.«

Aufmerksam musterte ich meine Schwägerin. Trotz der fröhlichen Begrüßung war ihr deutlich anzusehen, dass es ihr nicht gut ging. Ihre ohnehin schon helle Gesichtshaut war blass, und ihr gewelltes blondes Haar war zu einem achtlosen Pferdeschwanz gebunden, aus dem einzelne Härchen störrisch abstanden.

Sie bemerkte, dass ich ihre Frisur musterte, und strich sich mit den Handflächen über die Haare. »Schau bloß nicht so genau hin, momentan liegt mir das Styling nicht so. Ich muss mich ungefähr zwanzig Mal am Tag übergeben und bin froh, wenn meine Haare mir dabei nicht im Weg sind.«

»Du Arme. Aber im Verlauf der Schwangerschaft wird es sicherlich besser werden.«

Mutlos hob sie die Schultern. »Ich kann es nur hoffen. Meine Ärztin meint, wenn ich Glück habe, geht die Spuckerei bis zur zwölften Woche, wenn ich Pech habe, bis zur Geburt.«

Ach du liebe Güte. Schlimm genug, dass man schwer an einer Babykugel zu schleppen hatte, aber sich dann auch noch ständig übergeben zu müssen, machte die Sache noch viel schlimmer. Zum Glück hatte ich derzeit keinen Mann an meiner Seite, somit lief ich nicht Gefahr, in einer ähnlichen Situation zu landen. Ein weiterer Punkt, warum sich daran in absehbarer Zeit auch nichts ändern würde.

»Sind Mama und Papa in der Nähe?«

»Deine Mutter ist in der Küche bei den Nachbereitungen des Frühstücks, und dein Vater tauscht gerade irgendwo eine Glühbirne aus.«

»Okay. Dann statte ich Mama einen schnellen Besuch ab. Kann ich meinen Koffer kurz bei dir stehen lassen?«

»Klar doch. Bis gleich, Nele.«

Ich schlug den Weg zur Küche ein und fand meine Mutter nach einer kurzen Suche in eine Unterhaltung mit unserer Küchenchefin Herma vertieft. Sie winkte, als sie mich sah, und lächelte. Herma bemerkte dies und drehte sich um. Noch bevor meine Mutter ein Wort der Begrüßung sagen konnte, war Herma schon bei mir und drückte mich an ihre üppige Brust.

»Nele, was hab ich dich vermisst!«

Herma gehörte fast schon zum Inventar der Strandrose, und in meinem ganzen Leben, was immerhin schon einunddreißig Lenze zählte, hatte ich nie eine andere Küchenchefin kennengelernt. Nicht nur das, sie war außerdem oft als Babysitterin für Ole und mich eingesprungen, wenn meine Eltern etwas Dringendes zu erledigen hatten. Sie war nicht nur unsere Angestellte, sie war Teil unserer Familie, und ich verband viele Erinnerungen mit ihr, die mir beim Blick in ihr liebes rundes Gesicht sofort wieder ins Gedächtnis schossen. So manches Mal hatte ich mich bei ihr ausgeheult, wenn die Welt mal wieder böse und ungerecht war, und sie hatte immer ein offenes Ohr und aufbauende Worte parat gehabt.

»Du hast mir auch gefehlt«, sagte ich, nachdem wir uns voneinander gelöst hatten.

Meine Mutter bekam nun auch die Gelegenheit, mich zu begrüßen. »Nele, mein Schatz, wie schön, dass du da bist.« Auch sie drückte mich an sich. »Wir wissen es sehr zu schätzen, dass du uns unter die Arme greifst.«

»Ist doch selbstverständlich. Kann ich euch bei irgendwas helfen?«

»Nix da, Fräulein, heute kommst du erst mal ganz in Ruhe an«, meinte Herma mit strenger Miene. »Wir haben schon die Platten fürs nächste Frühstücksbüfett vorbereitet.«

»Ab morgen halsen wir dir dann jede Menge Arbeit auf«, stimmte meine Mutter ein. »Ach, bevor ich es vergesse: Wir treffen uns heute zum Familienabendessen nebenan, um alles zu besprechen.«

»Klingt super. Also gut, dann bringe ich erst mal mein Zeug nach oben und mache einen kleinen Spaziergang. Wir sehen uns sicherlich morgen, Herma.« Ich hob die Hand zum Abschied und verließ die Küche.

Hinter mir hörte ich Herma erleichtert aufseufzen. »Endlich ist unsere Nele zurück.«

Mit einem wohligen Gefühl im Bauch und einem Lächeln auf den Lippen setzte ich meinen Weg fort.

Kapitel 3

Die Strandrose verfügte über eine Haupttreppe, die sich vom Foyer aus nach oben zog, und ein hinteres Treppenhaus, durch das man zum Poolbereich und zum Hinterausgang gelangte. Ein leichter Chlorgeruch zog sich vom Schwimmbad im Erdgeschoss nach oben, wo mein Zimmer direkt in diesem hinteren Flur lag. Ich hielt mein Zimmerkärtchen vor den Leser und trat ein.

Seit Ole den Betrieb übernommen hatte, waren einige Räume renoviert worden, aber dieser gehörte nicht dazu. Hier standen noch holzfarbene Möbel, und der Boden war mit Teppich ausgelegt. Bei den renovierten Zimmern setzte er inzwischen auf einen frischen weißen Look und wischbare Böden. Auch dieser neue Stil gefiel mir, aber ich hatte festgestellt, dass dadurch ein Teil der Gemütlichkeit verloren gegangen war, welche die Strandrose auszeichnete. Hoffentlich hatte er wenigstens dafür gesorgt, dass die Bilder, die früher an den Wänden hingen, nach der Renovierung wieder aufgehängt worden waren. In der Lobby hatte ich sie jedenfalls vermisst. Meine Eltern hatten über Jahrzehnte Bilder und Fotos mit Nordseemotiven gesammelt, teils stammten sie von unbekannten Künstlern, teils von professionellen Fotografen. Die Mischung war ausgewogen und verband verschiedene Perspektiven und Stile auf harmonische Weise miteinander.

Das Fenster in meinem Zimmer ging auf die Straße hinaus, die vor dem Haus entlangführte, davor stand eine Sitzgruppe aus zwei Sesseln und einem kleinen runden Tisch. Ich trat an die Scheibe heran und sah, wie sich unten Trauben von Touristen tummelten, einige trugen große Badetaschen und schienen gerade vom Strand zu kommen. Das klatschende Geräusch ihrer Flip-Flops drang durch das gekippte Fenster nach oben. Ich öffnete es weit, um die salzige Meeresluft hereinzulassen. Was für ein Unterschied zu meiner Wohnung in Norden. Kein Verkehrslärm, keine Abgase. Nur rote Backsteinhäuschen, Sonne und Meer.

In aller Ruhe räumte ich den Inhalt meines Koffers in den Kleiderschrank, deponierte meine Kulturtasche nebenan im weiß gefliesten Badezimmer und loggte meinen Arbeitslaptop in das hoteleigene WLAN ein. Dann machte ich mich auf zu einem Spaziergang. Ich nahm den Hinterausgang, da er meinem Zimmer am nächsten lag, und warf einen Blick hinüber zum Wohnhaus, in dem meine Eltern gemeinsam mit Ole und Marie lebten. Der Wohnraum auf der Insel war knapp und teuer, und solange unsere Eltern noch in den Hotelbetrieb eingebunden waren, war dies ein Arrangement, das allen zugutekam. Wenn sie sich eines Tages aus dem aktiven Betrieb zurückzogen und sich Oles und Maries Familie weiter vergrößerte, musste eine andere Lösung her. Vielleicht würden meine Eltern dann sogar das Festland unsicher machen, nachdem sie fast ihr ganzes Leben auf der Insel zugebracht hatten, wer wusste das schon? Ausschließen würde ich es nicht, denn in den vergangenen Jahrzehnten hatten sie wegen des Hotels kaum Urlaub gemacht. In meinem Kopf gab es nur wenige Erinnerungen, in denen wir die Insel länger als einen Tag verlassen hatten, und meistens blieben wir dann im ostfriesischen Binnenland, um im Notfall schnell wieder nach Juist fahren zu können.

Ich erschrak, als mir aus dem liebevoll gepflegten Blumenbeet neben der Tür etwas entgegensprang, musste jedoch lachen, als ich den Übeltäter erkannte.

»Napoleon!« Ich kniete mich nieder, um den schwarz-weißen Kater zu streicheln, was dieser mit einem lauten Schnurren quittierte. Er stieß mich mit seinem Köpfchen an und rieb sich an meinen Beinen. »Du hast mir gefehlt, mein Kleiner.«

Napoleon lebte seit vierzehn Jahren bei meiner Familie und war der heimliche Herrscher in der Strandrose. Er saß eines Tages einfach vor der Tür und nutzte die erstbeste Gelegenheit, um mit den Gästen ins Hotel zu huschen. Von da an ging er nicht mehr fort, und was noch seltsamer war: Niemand schien ihn zu vermissen. Wir hängten Plakate auf und gaben Anzeigen in Auftrag, aber niemand meldete sich, sodass wir schließlich beschlossen, ihn als Hotelkater zu behalten, falls es den Gästen nichts ausmachte. Das tat es nicht, und ich hegte die Vermutung, dass so mancher Gast nur zu uns kam, um Napoleon zu treffen. Mit seiner speziellen Mischung aus Charme und dem geringschätzigen Interesse, das er den Gästen von seinem Körbchen in der Rezeption aus entgegenbrachte, hatte er es bislang geschafft, jedes Herz zu erobern.

Für seinen Namen hatte mein Vater gesorgt, denn oftmals humpelte der Kater, wie er anfangs nur hieß, wenn er von der Jagd kam, und dann hielt er die Vorderpfote schräg vor der Brust, was stark an die bekannten Bilder von Napoleon Bonaparte erinnerte.

Ich vertröstete Napoleon auf später und nahm den kürzesten Weg zum Strand. Dabei begegneten mir neben den unbekannten Gesichtern unzähliger Urlauber auch einige Einheimische, die mich mit einem fröhlichen »Moin« grüßten.

Das Wasser hatte sich weit zurückgezogen. Der weiße, lang gezogene Strand wirkte dadurch nahezu gigantisch, fast wurde ich von der hellen Fläche geblendet. Ich ging näher an das Wasser heran, der Sand unter meinen Sohlen mischte sich mit Muschelschalen, die knackend unter meinen Füßen zerbrachen. Es gab einfach keine Möglichkeit, ihnen auszuweichen.

Ich näherte mich einem recht flachen Priel, wo ein Mann mit Schirmmütze, Jeans und kariertem, kurzärmeligem Hemd barfuß hindurchwatete. Es musste sich um einen Urlauber handeln, denn die Einheimischen kannten den Tidekalender und wären nicht so leichtsinnig gewesen. Zwar wirkte der von kleinen Rinnsalen durchzogene Meeresboden in diesem Moment alles andere als gefährlich, aber dieser Eindruck täuschte.

»Entschuldigen Sie bitte.«

Er wandte sich verwundert zu mir um. »Ja?«

»Bitte kommen Sie aus dem Priel raus auf meine Seite. Wenn die Flut einsetzt, könnte die Strömung Sie wegreißen.«

»Welche Strömung denn? In dieser kleinen Pfütze?«, entgegnete der Mann spöttisch und deutete auf seine Hose, die nur bis zu den Waden hochgekrempelt war.

»Das kann sich innerhalb von Minuten ändern«, klärte ich ihn auf. »Sie haben dann keine Chance mehr, an Land zurückzukehren, wenn Ihnen das Wasser den Weg abschneidet. Und einen Priel können Sie selbst als geübter Schwimmer kaum durchqueren, die Strömung zieht jeden fort.«

Die Überheblichkeit war aus seinem Gesicht gewichen. »Kommt so was denn häufiger vor?«

»Sogar zu oft. Jedes Jahr müssen Menschen aus dem Watt gerettet werden, manchmal gelingt das aber auch nicht mehr. Wenn Sie morgen also nicht als Meldung in der Tageszeitung landen oder in ein paar Tagen irgendwo an Land gespült werden wollen, empfehle ich Ihnen, auf meine Seite zu kommen und bald an Land zurückzukehren.«

Er sah sich unschlüssig um und schien abzuwägen, ob ich ihm einen Bären aufbinden wollte oder nicht. Schließlich fasste er sich ein Herz, nickte und kam in meine Richtung.

Erleichterung machte sich in mir breit. Leider kam es schon mal vor, dass Urlauber abweisend reagierten, wenn man sie auf diese Gefahr hinwies, die sie oftmals einfach nicht einschätzen konnten. Ich wünschte dem Mann noch einen schönen Tag und setzte meinen Weg fort.

Ein Stück entfernt blieb ich stehen und sah in die Weite der Nordsee hinaus, die mich immer wieder überwältigte. Neben mir machte sich eine Möwe daran, den Inhalt einer Schwertmuschel zu fressen. Mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination beobachtete ich, wie der kräftige gekrümmte Schnabel das Fleisch aus der Schale rupfte.

Ich beendete meinen Strandspaziergang, um nicht selbst in Bedrängnis wegen der bald einsetzenden Flut zu kommen, und marschierte noch eine Runde durch das Ortszentrum. Überall herrschte reges Treiben, und ich spürte, wie mich eine angenehme Spannung befiel, wenn ich an die Dinge dachte, die mir bevorstanden. Es würde Spaß machen, wieder im Hotel zu helfen, das letzte Mal hatte ich das im Sommer vor meinem Abitur gemacht und danach nie wieder.

Ich ging in das nächstgelegene Lebensmittelgeschäft und deckte mich mit Schokolade, Nougat und Lakritz ein. Nur für den Fall, dass ich Nervennahrung brauchte, wenn unser VIP-Gast anreiste und die Fans unser Hotel belagerten.

Auf meinem Weg zur Kasse traf ich Erika Petersen, Joosts Mutter.

»Nele, wie schön, dass du auch mal wieder im Lande bist.«

Ich winkte ab. »Das bin ich doch oft genug. Wir schaffen es nur immer wieder, uns zu verpassen.« Insgeheim war ich nicht besonders traurig darüber, denn Erika war eine Quasseltante, und nach einer Stunde mit ihr im selben Raum klingelten mir schon die Ohren.

»Wie geht es dir, Nele? Arbeitest du immer noch bei dieser Versicherung?«

»Grundsätzlich schon, aber in der kommenden Zeit bin ich erst mal hier auf Juist und helfe im Hotel mit. Mama hat dir ja sicherlich schon von Rosemarie Brunners Besuch bei uns erzählt. Joost sagte, du bist ein Fan von ihr?«

»Soll das ein Witz sein? Früher haben mein Herbert und ich endlos zu ›Die Liebe in deinen Augen‹ getanzt.« Zu meinem Entsetzen räusperte sie sich und begann mit einer etwas knödelig klingenden Stimme zu singen. »Die Liebe in deinen Augen strahlt; warum warst du nur erst so kalt?«

»Schon gut«, unterbrach ich sie, da die ersten Umstehenden schon in unsere Richtung guckten. »Ich bin mir sicher, dass das eine tolle Zeit war.«

»Ja, das war sie.« Ihr Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an. »Vielleicht könntest du uns ja mal miteinander bekannt machen.«

Autor