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How to murder your Boss – McMasters Handbuch zum Morden

Als Buch hier erhältlich:

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Ein Hogwarts für Mörder

Willkommen im McMasters-Konservatorium für Angewandte Künste - einer luxuriösen, geheimen Hochschule, die sich der hohen Kunst des Mordens verschrieben hat und in der Studenten lernen, wie sie ihre verdienstvollsten Opfer am besten "auslöschen" können.

Auf dem Campus dieses "Poison Ivy League"-Colleges - dessen Standort selbst denjenigen, die dort studieren, unbekannt ist - könnte man sich als Übungsziel eines Klassenkameraden wiederfinden ... und die obligatorische Abschlussarbeit besteht darin, mit dem perfekten Mord an jemandem davonzukommen, dessen Tod die Welt zu einem viel besseren Ort machen wird.

In diesem Handbuch folgen wir drei Studenten des McMaster-Konservatoriums in den 50ern, die nur ein Ziel vor Augen haben: ihre Vorgesetzten umbringen.Doch wenn man es nicht schafft, einen Mord zu begehen, ohne dabei erwischt zu werden, dann muss man wohl selbst dran glauben.

Überaus humorvoll und genial geschrieben. Für alle, die schon das ein oder andere Mal darüber nachgedacht haben, den oder die Vorgesetzte, um die Ecke zu bringen.


  • Erscheinungstag: 22.10.2024
  • Seitenanzahl: 608
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749907403
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

How to murder your Boss

McMasters-Fernkursus

Morden – aber richtig

Lektion: Wie ermorde ich meinen Chef?

Auszug aus den Aufzeichnungen von
Harbinger Harrow

Rektor der McMasters-Akademie für
Angewandte Kunst

Vorsitzender der Auswahl-
und Wahrheitskommission

Professor emeritus des Lehrstuhls für
Schöne und Schwarze Künste

Vorstandsmitglied des Internationalen
Fachverbandes Mordiologie

Herausgeber: RUPERT HOLMES

Dem unbekannten Liquidator

Möge dir niemals das Lob zuteilwerden,

das du dir so redlich verdient hast.

Glossar der Angewandten Kunst

LIQUIDATION: Unser bevorzugter Begriff für »Mord« {vulg.}, obgleich einige jüngere Mitarbeitende inzwischen den Terminus »Bereinigung« als weniger drastisch empfinden. Während wir die Verwendung der Verbform »liquidieren« empfehlen, ist »bereinigen« als Alternative nicht zulässig.

EXEKUTANT: Bevorzugte Bezeichnung für die Person, deren Liquidierung (oder »Exekution« {vulg.}) auf unsere Initiative zurückzuführen ist. Der Terminus »Opfer« ist unserer Ansicht nach zu subjektiv gewählt und könnte Hintergründen und Motiven nicht in ausreichendem Maße Rechnung tragen. Auch wenn es unter Umständen angebracht sein kann, diesen Ausdruck im Kontext eines wissenschaftlichen Vortrags oder Fachbuchs (so wie dem hier vorliegenden) zu verwenden, raten wir von einem Einsatz in der mündlichen Kommunikation ab. Sollte das Gespräch aufgezeichnet und der Mitschnitt später vor Gericht abgespielt werden, hat der Begriff »Exekutant« eindeutig einen positiveren Klang als »Opfer«. In diesem Zusammenhang möchte ich noch anmerken, dass die Bezeichnung KANDIDAT/KANDIDATIN ebenfalls gestattet ist.

EXEKUTOR: Dieser Begriff bezeichnet Sie – einen planmäßigen Ablauf natürlich vorausgesetzt. Denken Sie stets daran, dass wir in der McMasters-Akademie die Betonung auf die dritte Silbe legen (»Ex-ek-U-tor«). Durch nichts verrät sich der Neuling auf dem Campus schneller als dadurch, dass er sich selbst als »EX-ekutor« bezeichnet. Studenten, die eine Karriere als Profikiller anstreben, sind hiervon ausgenommen.

LIQUIDATOR: Jede Person, die ihre Abschlussprüfung an der McMasters-Akademie abgelegt hat und für fähig und würdig befunden wurde, die Liquidation eines Kandidaten durchzuführen, oder dies bereits erfolgreich getan hat.

MORDIOLOGE: Ein nicht diplomierter Exekutor (oder eine Exekutorin) früherer Tage, dem es trotz eines fehlenden Abschlusses an der McMasters-Akademie gelungen ist, seine (bzw. ihre) Liquidation/-en in der Praxis zu verwirklichen. Diesen bemerkenswerten, allerdings bedauerlicherweise in Vergessenheit geratenen Amateuren wurde das Diplom in Anerkennung ihrer bahnbrechenden Beiträge postum und ehrenhalber verliehen. Zu den herausragenden Persönlichkeiten auf dieser Liste gehören Mrs. Bess Weiss (Bess Houdini), Buffalo Bob Smith, First Lady Lucretia Rudolph Garfield, Colonel Harland David Sanders, Ihre Majestät Viktoria Königin von England und Kaiserin von Indien, Dale Carnegie und Joan Sutherland.

DER FEIND: Dieser Begriff bezieht sich niemals auf den Kandidaten/die Kandidatin, sondern ausschließlich auf die Mächte, die sich gegen die Absolventen der McMasters-Akademie verschworen haben. In diese Kategorie fallen Polizeikräfte – sowohl kommunaler als auch bundesweiter Natur –, Angehörige der Staatsanwaltschaft und die wissenschaftlichen Mitarbeiter forensischer Labors, sofern diese nicht uns unterstellt sind. Von der Anwendung dieser Bezeichnung ausgenommen sind Angehörige des FBI, da ein bemerkenswert hoher Prozentsatz dieses Personenkreises zu unseren Absolventen zählt.

Lieber Tod als Sklaverei.

– Harriet Ann Jacobs
Autorin und Bürgerrechtlerin

Gut, meinetwegen.
Aber von wessen Tod ist hier die Rede?

– R. M. Tarrant
Rektor der McMasters-Akademie 19371941

Es ist ein Leichtes,
seinen eigenen Arbeitgeber zu feuern.
Man braucht dazu nur ein wenig
brennbares Material und ein Streichholz.

– Guy McMaster
Akademiegründer

Vorwort

Sie haben sich also entschlossen, einen Mord zu begehen.

Glückwunsch. Schon durch den Kauf dieses Buches haben Sie den wichtigen ersten Schritt hin zu einem erfolgreichen Tötungsdelikt unternommen und können stolz auf sich sein. Alle ihre Zeitgenossen würden Sie bejubeln. Sofern sie je davon erfahren sollten.

Denn dieses Buch wird dafür sorgen, dass es dazu nicht kommt.

Bis dato stand einem Neuling auf dem Gebiet der Liquidation nur die Möglichkeit offen – stets beobachtet vom Auge des Gesetzes –, stümperhaft zu dilettieren. Studiengänge (ganz zu schweigen von einschlägiges Grundwissen vermittelnden Lehrbüchern) waren für den ernsthaft an der Thematik interessierten Anfänger schlichtweg nicht verfügbar. Sollten Sie versucht sein, eine Bibliothekarin nach Literatur zum Thema Kriminalistik zu fragen, wird diese Sie frohgemut zu Regal 363.2 schicken. Die dicken Wälzer, die Sie dort erwarten, behandeln Themen wie Forensik und die Analyse von Beweismitteln. Fragen Sie dieselbe Bibliothekarin nach einer Anleitung, wie sich das Ableben ihres Vorgesetzten am besten beschleunigen ließe, wird sie Ihnen wohl mit banger Miene den Weg zum Ausgang weisen. Wahrscheinlicher jedoch ist es, dass sie Ihnen gleich den Sicherheitsdienst auf den Hals hetzt.

Angesichts der schwerwiegenden Folgen, die ein Scheitern in diesem Bereich nach sich ziehen kann, ist die McMasters-Akademie für Angewandte Kunst schon seit Jahren die erste Adresse für Liquidatoren und solche, die es werden wollen. Allerdings sind die an der McMasters-Akademie gelehrten Kenntnisse bis zum heutigen Tage nur einigen wenigen Begüterten zugänglich. Denn schließlich ist es nicht leicht, einen Studienkredit für eine Hochschule zu bekommen, die nicht nur ihre eigene Existenz abstreitet, sondern ihren Studenten außerdem beibringt, wie man seine Mitmenschen erfolgreich der ihren beraubt.

Beklagenswerterweise erhält die McMasters-Akademie deshalb auch keine Zuwendungen aus sonst häufig sprudelnden Geldquellen wie dem Bildungsetat der Regierung der Vereinigten Staaten, und das, obwohl nicht wenige unserer Absolventen eine gehobene Stellung in Washington bekleiden. Dass die McMasters-Akademie aus diesen Gründen finanziell auf sich allein gestellt ist, schlägt sich leider auch in unseren Studiengebühren nieder.

Zum Glück können wir jedoch den Vorteil für uns verbuchen, dass Unterbringung und Verpflegung unserer Studierenden vom Le Guide Michelin schon seit vielen Jahren mit drei Sternen bewertet werden (ein erfreulicher Umstand, der indes geheim bleiben muss).

All dies vorausgeschickt, vertrete ich unserem Vorstand gegenüber schon seit Jahren die Auffassung, dass es an der Zeit ist, einige Grundsätze unserer Lehranstalt auch ausgewählten Mitgliedern einer gebildeten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Werk, das Sie nun in Händen halten, verkörpert gewissermaßen meinen Lebenstraum. Kurz gesagt überreiche ich Ihnen mit diesem Band ein »Werkzeug des Friedens«, das es Ihnen ermöglichen soll, auch für Ihren intendierten Kandidaten (oder die Kandidatin) ein »Ruhe in Frieden« herbeizuführen. Dabei hoffe ich inständig, dass die hier ausgeführten Kurseinheiten Sie dazu beflügeln werden, in Ihrem Denken über das bloße Luftschloss eines Wunschtraums hinauszuwachsen. Denn nur so kann es Ihnen gelingen, jemandem, der es wirklich verdient hat, nicht nur in Ihrer Fantasie, sondern auch im wahren Leben ein Happy End zu bereiten.

*

»Den Soundso könnte ich umbringen« ist ein Satz, den wohl jeder von uns schon einmal ausgesprochen hat – aber nur die allerwenigsten setzen diese Absichtserklärung auch in die Tat um.

Falls Sie zu denen gehören, die dieses Lehrbuch zurate ziehen, weil Sie noch nicht sicher sind, ob ein Mord die beste Lösung Ihrer Probleme darstellt, möchte ich Sie bitten, eine solche Entscheidung niemals leichtfertig zu treffen. Immerhin ist ein Mord ein lebensveränderndes Ereignis, nicht zuletzt für Ihre Zielperson. Deshalb sollten Sie sich, bevor Sie zur Tat schreiten, stets die Fragen stellen, die wir unseren Studienanfängern als »Die vier Schritte der Gewissenserforschung« eindringlich ans Herz legen.

Betrachtungen zur Zielsetzung dieses Werks

Bereits seit Milliarden von Jahren, also seit das Leben – unstrittig der zentrale Aspekt jeden Tötungsdelikts – auf dieser Erde wimmelt, seit die erste kühne Amöbe in einer bahnbrechenden Götterdämmerung den ersten Fuß an Land setzte, fest entschlossen, entweder ein Huhn oder ein Ei zu werden, ja, seit diesem geschichtsträchtigen Moment ist es die unerschütterliche Bestimmung der Starken, über die Schwachen zu herrschen. Allerdings hat sich die Welt im Laufe der vergangenen Jahrtausende, in krassem Widerspruch zu den Erkenntnissen Darwins, zu einem Ort entwickelt, an dem die Ungeeignetsten nicht nur überleben. Nein, sie gedeihen sogar prächtig, und zwar mit dem Ergebnis, dass sie immer wieder ihnen eigentlich überlegene Menschen im Wettlauf überholen. So hat sich inzwischen ein Gesellschaftssystem herausgebildet, in dem geistig minderbemittelte und begabungsfreie Vorgesetzte allzu oft gegenüber ihren beträchtlich klügeren Untertanen, sprich Mitarbeitern, weisungsbefugt sind. Wir in der McMasters-Akademie betrachten das als eine Umkehr der natürlichen Ordnung, als »Devolution der Menschheit« sozusagen, wobei der »sadistische Chef« unserer Auffassung nach das größte Übel unserer modernen Zeit verkörpert. Deshalb will die McMasters-Akademie all jenen, die unter der Knute eines solchen Unterdrückers ächzen, voller Stolz ihre helfende Hand reichen.

Obwohl der Großteil der Erde von Wasser bedeckt ist, gibt es dort auch zahlreiche Schuhgeschäfte, in denen vielfach nur der Inhaber, eine Verkäuferin und eine Kassiererin tätig sind, die hier einmal Jackie heißen soll. Und so kehren allabendlich kreuz und quer auf unserem gewaltigen Planeten die Mitarbeitenden von Schuhgeschäften zurück ins traute Heim, wo sie ihren Familien, von der eigenen Person ganz zu schweigen, die Stimmung bei Tisch verderben und für allgemeine Verdauungsstörungen sorgen. Im Laufe der Mahlzeit kommen nämlich unweigerlich die neusten Kränkungen aufs Tapet, die der verhasste Inhaber/Chef sich heute wieder hat einfallen lassen. Ergebnis ist, dass besagter Despot bald genauso viel Raum in den Tischgesprächen des fraglichen Paares einnimmt wie ein gewisser Mr. Hitler bei der Konferenz von Jalta.

Natürlich betreffen gegen den jeweiligen Vorgesetzten gerichtete unterdrückte Wut und brodelnder Hass keineswegs nur die Angestellten von Schuhgeschäften. Sie sind der Stoff, aus dem Meutereien auf hoher See, Gefängnisaufstände und Intrigen hinter Klostermauern gemacht sind.

Wenn die Debatte trotz des nur mäßig brennenden Kaminfeuers in der holzvertäfelten Bibliothek unseres Dozentenwohnheims wie so häufig hitzig werden sollte, vergleichen wir gerne unsere Fälle. Dabei beleuchten wir vergangene Katastrophen, Triumphe und Beinahe-Treffer, immer auf der Suche nach einer allumfassenden Theorie, um sie in die McMasters-Methode einfließen zu lassen. Bei solchen Gelegenheiten vertrete ich häufig den Standpunkt, dass es auf Erden kein größeres Unheil, ja, keine unberechenbarere Naturgewalt gibt als den sadistischen Arbeitgeber.

Um Kipling zu zitieren: »Wir wissen, was Himmel und Hölle gefällt, was dem König beliebt, weiß kein Mensch auf der Welt.« Es ist wichtig, Kipling stets im Gedächtnis zu haben, und wenn auch nur deshalb, weil wir alle vermutlich nie jemanden kennenlernen werden, der Rudyard heißt. Außerdem findet sich nirgendwo im Lehrplan unserer Akademie eine Liquidation, anhand derer sich das Konzept des persönlichen Opfers für eine gute Sache besser aufzeigen ließe als am Tyrannenmord. Wer in den Zeiten des Feudalismus einen Monarchen vom Thron stürzte, dem waren die Lobeshymnen aus den Kehlen der Leibeigenen auf den Äckern des ganzen Landes gewiss. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Für diesen Band habe ich drei Studierende desselben Abschlussjahrgangs ausgewählt, um an ihrem Beispiel die möglichen Herausforderungen und Fallstricke zu illustrieren, die sich im Rahmen der Liquidation eines unterdrückerischen Vorgesetzten ergeben können. Sie sollen hier Cliff Iverson aus Baltimore, Maryland, und Gemma Lindley aus Haltwhistle, Northumberland, England, heißen. Dritte im Bunde ist eine Frau, die wir für den Moment Dulcie Mown, damals wohnhaft in Hollywood, Kalifornien, nennen wollen.

Wir werden mit Mr. Iverson beginnen, da er ein Student mit Stipendium war, was heißt, dass seine Studiengebühren von einem Gönner übernommen wurden. Daraus leitete sich für den Stipendiaten die Pflicht ab, Tagebuch über seine Bildungserfolge zu führen, damit der dem jungen Cliff unbekannte Wohltäter einen Überblick über seine Fortschritte bekam (und beurteilen konnte, ob sich seine Investition auch lohnte). Darum liegen uns zum Glück die Aufzeichnungen von Mr. Iverson vor, weshalb wir diese Chronik eines Studiums an der McMasters-Akademie aus erster Hand mit Ihnen teilen können. An späterer Stelle werden wir uns den einzigartigen Erfahrungen von Gemma und Dulcie widmen. Eine traurige Anmerkung am Rande: Leider sind die Lektionen, die einen das Scheitern, der grausamste aller Schulmeister, lehrt, häufig schmerzlich erworben und prägen sich deshalb am lebhaftesten ins Gedächtnis ein. Aus diesem Grund möchte ich Sie schon im Vorfeld darauf hinweisen, dass es nicht allen hier aufgeführten Studierenden gelang, ihre Mission erfolgreich abzuschließen.

In diesem Zusammenhang ist hinzuzufügen, dass alle drei bei ihrer Ankunft weniger Wissen über unsere Akademie besaßen, als selbst Sie es aktuell besitzen. Denn während Sie schon allein durch die Auswahl dieses Bandes ein messerscharfes Urteilsvermögen an den Tag gelegt haben und offenbar die Absicht verfolgen, sich die Methode McMasters mit Bedacht und zumindest einem Quantum an böswilligem Vorsatz anzueignen, traf das auf den jungen Cliff Iverson ganz und gar nicht zu. Er trat sein Studium in einem Zustand der Unwissenheit an, den man wohl kaum als glückselig bezeichnen kann.

I

AUS DEM TAGEBUCH VON CLIFF IVERSON

Obwohl ich mich eigentlich nicht für sonderlich eitel halte (vielleicht abgesehen davon, dass ich häufiger an mich selbst denke, als es vermutlich angebracht wäre), war ich sehr mit mir zufrieden: Es war mir nämlich gelungen, einen wunderbaren Mordplan zu entwerfen, insbesondere wenn man dabei bedachte, dass ich noch nie zuvor in Erwägung gezogen hatte, jemanden umzubringen.

In meinem ersten Jahr am California Institute of Technology (Caltech) strebte ich anfangs einen Master in Luftfahrtdesign und englischer Literatur an, was man in etwa damit vergleichen kann, als wollte man an der Musikhochschule Juilliard Klavier und gleichzeitig Feldhockey studieren. Allerdings war ich ein mittelloses Waisenkind, weshalb man mir bald mitteilte, dass mein überaus großzügiges Stipendium nur dazu gedacht war, meine Fähigkeiten auf dem Gebiet der Luftfahrttechnik weiterzuentwickeln. Mein Vorhaben, mich auch der unsterblichen Welt der Literatur zu widmen, stand leider nicht auf dem Programm.

Vermutlich gibt es viele Menschen wie mich, die feststellen, dass sie zwar über eine spezielle Begabung verfügen, allerdings nur eine stille Freude daran haben, ohne wirklich dafür zu brennen. Das Problem ist nur, dass die meisten von uns ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, vermutlich ein wichtiger Grund, warum es auf dieser Welt studierte Urologen gibt. (Falls mein Wohltäter, der diese Aufzeichnungen liest, zufällig studierter Urologe sein sollte, danke ich ihm für seine Nachsicht und packe sofort meine Sachen.)

Vom Caltech wechselte ich irgendwann ans MIT, und von dort aus war es kein weiter Weg zum Flugzeughersteller Woltan Industries, ein Schritt, der mich zum Mörder machen würde. Daran war nicht allein das MIT schuld. Auch Woltan als Unternehmen kann man eigentlich nichts vorwerfen. Wenn da die nicht unternehmenseigenen Einstellungskriterien für Abteilungsleiter wären, von denen einer mein direkter Vorgesetzter Merrill Fiedler ist. Und Fiedler muss sterben.

Bitte glauben Sie mir, dass sinnloses Morden meiner Natur grundsätzlich widerstrebt. Doch in Fiedlers Fall ist ein Mord alles andere als sinnlos.

Ich habe keine Ahnung, ob Sie mich persönlich kennen, verehrter Wohltäter. Falls nicht, lassen Sie mich nur sagen, dass mein Äußeres von einigen als »streberhaft«, von meiner kurzsichtigen Tante hingegen als »ansprechend« bezeichnet wird. Jedoch spielt das im Zusammenhang mit diesen Aufzeichnungen nur eine geringe Rolle, denn an dem Tag, als meine Beziehung mit der McMasters-Akademie in einem U-Bahnhof in Midtown Manhattan begann, war mein Gesicht unter der tief in die Stirn gezogenen Krempe eines altmodischen Filzhuts, einer Perücke und einem falschen Bart, beides struppig und grau, sowie einer Pilotenbrille verborgen. Meine eigentlich schlanke Gestalt war ausgepolstert wie ein Kaufhaus-Weihnachtsmann, denn ich trug unter dem Mantel eine lange Steppweste, die den vier Nummern zu großen Trenchcoat restlos ausfüllte.

So elegant wie Oliver Hardy, wenn er ein Tänzchen mit Stan Laurel aufs Parkett legt, schlängelte ich mein neues unbeholfenes Ich den Parcours entlang, also erst durch das Drehkreuz und dann die Betonstufen hinunter zum Bahnsteig für die Züge in nördlicher Richtung. Dort stellte ich zu meiner Zufriedenheit fest, dass sich meine Zielperson genau dort befand, wo ich sie haben wollte: Merrill Fiedler, geschniegelt, gebügelt, Anfang fünfzig und eine wandelnde Erfolgsgeschichte. Derzeit hielt er sich im Auftrag des Woltan-Werks Baltimore, wo er als mein direkter Vorgesetzter fungiert hatte, wegen einer Sitzung in New York auf. Im Moment stand er an einem Zeitungskiosk am südlichen Ende des Bahnsteigs und blätterte in einer Zeitschrift. Ich hatte, so präzise wie möglich, nur wenige Meter von ihm entfernt Posten bezogen, denn die Verwirklichung meines Vorhabens setzte voraus, dass Fiedler sich genau dort befand, wo die Züge nach Uptown in die Haltestelle einfuhren. Bis die Bahn das andere Ende des Bahnsteigs erreicht haben würde, stand sie nämlich schon fast, was ein kurzes und schmerzloses Ende weniger wahrscheinlich machte.

Ja, ich weiß, ich habe eben ein gutes Herz.

Außerdem war es schließlich der Zug, der Fiedler den Todesstoß versetzen würde, hielt ich mir zum wohl hundertsten Mal vor Augen, wohl wissend, dass es sich um eine der faulsten Ausreden der Weltgeschichte handelte. Doch obwohl ich mich mit Mordplänen trug, hatte ich eigentlich alles andere als eine Mörderseele. Pistolen, Messer, Gifte … All das waren Waffen, zu deren halbwegs erfolgreichem Einsatz mir entweder die Kaltblütigkeit oder die Erfahrung fehlt. Gifte und alle Distanzmethoden, die mir sonst noch eingefallen waren, hatte ich auch aus dem Grund für mich verworfen, weil sie mir zu kühl und berechnend erschienen und die gründliche Planung erforderten, zu der nur ein wahrer Psychopath in der Lage ist. Und da hatte ich die zündende Idee, Fiedler einfach einen kräftigen Schubs zu versetzen. Ja, das war vermutlich zu schaffen. Insbesondere deshalb, weil ich in den letzten Jahren oft hatte an mich halten müssen, wenn Fiedler wieder einmal einen hilflosen Mitarbeiter schurigelte. Ein Stoß, ein Schubs, ein kleiner Rempler – das erschien mir keine sehr gebräuchliche Methode zu sein, jemanden ins Jenseits zu befördern. So ein Verhalten bildete doch meist die Vorstufe zu einer guten alten Kneipenschlägerei, bis jemand, der etwas zu sagen hatte, »Jetzt aber Schluss damit, Jungs, so was gibt es bei uns nicht!« rief. Nach all den Demütigungen, Herabwürdigungen, Beleidigungen und abfälligen Seitenhieben war ein kleiner Schubs doch etwas, das einem niemand verübeln konnte.

Daran fiel einzig und allein aus dem Rahmen, dass dieser Schubs genau dann zur Anwendung kommen würde, wenn Fiedler an der Bahnsteigkante stand, während gerade der IRT-Zug in den Bahnhof raste.

Also war es der Zug, der Fiedler umbringen würde.

Ein weiterer Vorteil dieser Methode bestand darin, dass man für das Mitführen eines Schubses keine amtliche Genehmigung brauchte. Mit einem Schubs ließen sich keine Beschusstests durchführen, weshalb man ihn auch nicht bis zu seinem Ursprung zurückverfolgen konnte. Er verursachte weder eine Eintrittswunde, die Rückschlüsse auf den Schusswinkel erlaubte, noch verräterische Schmauchspuren. Ja, ein Bluterguss konnte zurückbleiben, doch meine viel zu großen Lederhandschuhe würden den wahren Umfang meiner Hände verschleiern. Ganz zu schweigen von meinen Fingerabdrücken.

Trotz dieser Schlichtheit handelte es sich eigentlich um eine ziemlich gut durchdachte Mordmethode. Für etwaige Zeugen auf dem Bahnsteig war ich ein kräftig gebauter Mann mit Trenchcoat, der mindestens fünfundzwanzig Kilo mehr wog als mein wahres Ich. Mein Gesicht wurde von Hutkrempe, dunkler Brille, grauem Haar und ebensolchem Bart getarnt. Zugegeben, ich machte vielleicht eine lächerliche Figur und war womöglich sogar ein Mann, an den sich Zeugen erinnern würden. Aber mit meinem wirklichen Äußeren gab es nicht die geringsten Übereinstimmungen. Ich spähte über den Rand meiner Sonnenbrille und überlegte, wer wohl als Zeuge infrage kam. Ein paar Schritte entfernt focht ein unscheinbarer Mann mit Schlapphut und Gesichtszügen, so hart und dunkel wie Onyx, einen Kampf der Titanen mit einem Kaugummiautomaten aus. Neben der Treppe, die ich gerade hinuntergekommen war, stand eine ältere Nonne. Und links von mir brütete ein gedrungener, muskulöser Mann über dem Kreuzworträtsel einer Boulevardzeitung und leckte dabei immer wieder einen Bleistiftstummel ab.

Irgendwo in den Tiefen des Tunnels erklang ein durchdringendes metallisches Kreischen wie von einem Blechschwein, das an Ketten durch ein eisernes Schlachthaus gezerrt wird. Inzwischen konnte ich meinen eigenen Herzschlag hören und spürte, wie er an meinen Handgelenken und Schläfen pulsierte. Dank meiner Recherchen wusste ich, dass das ohrenbetäubende Kreischen elf oder zwölf Sekunden lang andauerte, bevor der Zug nach Norden in den Bahnhof raste. Wenn ich das Undenkbare wirklich tun würde, musste es jetzt sein. Nie wieder würde ich meine Zielperson in dieser idealen Position vorfinden, und zwar einzig und allein dank meiner eigenen Genialität.

Wie gerne hätte ich nun Gelegenheit gehabt, Fiedler dieselben Worte ins Ohr zu flüstern, die ich ihm an jenem demütigenden Nachmittag auf dem Mitarbeiterparkplatz von Woltan entgegengeschleudert hatte. Als ich mich am fraglichen Tag meinem Wagen näherte, hatte ich nämlich gesehen, dass Fiedler, die Arme verschränkt und flankiert von zwei Männern vom Werkschutz, am Heck Posten bezogen hatte. Offenbar hatten die drei den Kofferraum aufgebrochen und außerdem einige der schmucklosen, schwarz-gelb gestreiften Ordner ausgebreitet, die bei Woltan dem Abheften von Bauplänen dienten. Diese Ordner vom Firmengelände zu entfernen, war streng verboten. Obenauf erkannte ich verschiedene Flugblätter der American Communist Party, damit alle Kollegen sie begutachten konnten wie auf einem Flohmarkt. Natürlich hatte Fiedler mir die Sachen untergeschoben, und nun teilte er mir in wichtigtuerischem Ton mit, ich hätte gegen die in meinem Vertrag aufgeführte Geheimhaltungspflicht verstoßen. Jacek Horvarth und ich seien ab heute nicht mehr Mitarbeiter dieses Unternehmens. Es sei bereits ein Bericht per Telex nach New York und München gegangen. Bald werde mein Ruf so vollständig ruiniert sein, dass ich in dieser Branche keinen Fuß mehr auf den Boden kriegen würde.

Als ich meine eigene Stimme hörte, erkannte ich sie selbst nicht wieder. »Was Sie anderen Menschen antun, Fiedler«, ich geriet ins Stocken, »eines Tages wird man es Ihnen gebührend heimzahlen.« Ja, dem hatte ich es aber gezeigt!

»Ich habe bereits das, was mir gebührt«, erwiderte Fiedler kühl. »Nämlich einen Posten als Ihr Vorgesetzter. Und manchmal müssen Vorgesetzte eben unpopuläre Dinge tun. Chirurgen schneiden Menschen auf. Generäle schicken Leute in den Tod …«

»Wir sind weder Patienten noch Soldaten!«, unterbrach ich ihn mit lauter Stimme. »Wir arbeiten nur hier. Und als wir hier angefangen haben, hat uns niemand gewarnt: ›Eigentlich stellen wir Sie nur deshalb ein, weil wir in unserem Unternehmen einen Abteilungsleiter haben, dessen Ego wichtiger ist als das Wohlergehen der ganzen Firma.‹ Oder glauben Sie etwa, dass dieser Laden ausdrücklich einen Menschenschinder gesucht hat und Sie eben die besten Referenzen mitbrachten? Hoffentlich verpasst Ihnen eines Tages jemand eine richtige Abreibung, damit Sie endlich kapieren, dass anständige Leute Ihretwegen Angst haben, zur Arbeit zu gehen.« Ich betrachtete meine Kollegen, die reglos bei ihren Autos standen und sich plötzlich sehr für ihre Schuhe zu interessieren schienen. Wenigstens wurde Cora nicht Zeugin dieses Tiefpunkts in meinem Leben. Allerdings lag das nur daran, dass ihr eigenes Leben bereits vorbei war.

»Die Ergebnisse sprechen für sich und für mich«, entgegnete Fiedler mit einer Selbstgewissheit, die mich zur Weißglut reizte. »Wir sind die Nummer eins in dieser Region.«

»Alles, was wir an Positivem erreicht haben, hätten wir auch ohne Sie geschafft. Die Fünfzigerjahre werden für sämtliche Unternehmen wie unseres den Aufschwung bringen. Ihre einzige Leistung besteht darin, dass Sie uns das Leben zur Hölle gemacht haben!« Als ich drohend einen Schritt auf ihn zutrat, stellten sich mir die Wachleute in den Weg. »Sie haben es mit Woltan gut getroffen. Aber Sie würden auch als Leiter eines Gefängnisses oder einer Anstalt glücklich werden. Alles, solange Sie nur der Boss sind!«

Doch nun, auf dem Bahnsteig, hatte Fiedler keine Leibwächter mehr. Bald würde der Zug uns, insbesondere Fiedler, erreicht haben. Die geschwungenen Gleise, die vom Tunnel in den Bahnhof führten, wurden bereits vom langen Strahl des Frontscheinwerfers beleuchtet. Gleich würde ich zum Mörder werden.

Wer hätte gedacht, dass mein Leben einmal eine solche Wendung nehmen würde? Bis jetzt hatte ich nur ein einziges Mal ein Gesetz verletzt, und zwar die Regel, dass man zum Steak keinen Weißwein trinkt. Was würde Cora wohl von mir denken, wenn sie mich nun hätte sehen können, in dieser lächerlichen Kostümierung und im Begriff, das Unaussprechliche zu tun? Ich schob meine Zweifel beiseite und stellte mir stattdessen die entsetzten Passagiere an Bord der von mir entworfenen W-10 vor, wenn es plötzlich totenstill in der Kabine wurde. Der Strom fiel aus, und alle Fluggäste waren rettungslos verloren, denn die Stabilisatoren blockierten, sodass sich die Nase der Maschine ganz langsam zum Erdboden dreitausend Meter unter ihnen ausrichtete. Wenn ich jetzt zögerte, würde ich nie wieder Gelegenheit haben, diese unschuldigen Menschen zu retten.

Inzwischen spähte mein Opfer ungeduldig in den Tunnel und konnte die Ankunft des Zuges, der ihn umbringen würde, offenbar kaum erwarten. Während ich mich von hinten an ihn heranschob, liefen in meinem Kopf in rasender Geschwindigkeit Bilder des Schadens ab, den er bereits angerichtet hatte oder noch anrichten würde. Schubs ihn! Für Cora. Für meinen Freund Jack Horvarth, der tot in einer vermüllten Grünanlage aufgefunden worden war. Für alle Mitarbeiter, deren Leben Fiedler ruiniert, und alle Seelen, die er erstickt hatte. Für die Kinder, die einmal in eine W-10 steigen würden, voller Vertrauen, dass ihre Eltern wussten, was sie taten, als sie die Tickets kauften. Wut stieg in mir hoch, bis es nicht mehr nur um Fiedler ging, sondern um alles, was in dieser Welt im Argen lag. Und die einfache Lösung des Problems bestand darin, diesen aufgeblasenen Fatzke kräftig anzurempeln, wenn der Zug in den Bahnhof einfuhr.

Ich wusste nicht mehr, was ich tat, als ich die Schulter senkte und Fiedler mit der geballten Wucht meines Körpers rammte wie ein Footballspieler. Im Moment des Zusammenpralls wurde ich Teil der Gemeinschaft derer, die schon einmal getötet haben. Angefangen bei Kain bis hin zu dem Soldaten, der seine Heimat verteidigt, dem Justizmitarbeiter, der bei der Hinrichtung den Hebel betätigt, und dem Kind, das einen Tausendfüßler zertritt. Einige taten es mit dem Segen der Gesellschaft, sodass heute Denkmäler von ihren Namen zeugen. Andere wurden von ihren Mitmenschen verflucht und in anonymen Gräbern verscharrt.

Aus meinem Blickwinkel konnte ich Fiedlers Gesicht nicht sehen. Der Rückstoß schleuderte mich nach hinten wie eine Kugel bei einer Karambolage auf dem Billardtisch, und Schreckensschreie drangen an mein Ohr. Ich fühlte mich seltsam unbeteiligt am Geschehen. Mein einziger Gedanke war, diesen Bahnsteig so schnell wie möglich hinter mir zu lassen und die Treppe hinauf und durch das nächstbeste Drehkreuz zu eilen. Genau nach Plan verdrückte ich mich durch die Drehtür am anderen Ende des Bahnhofs in die personell chronisch unterbesetzte Abteilung mit den Sonderangeboten im Untergeschoss des Kaufhauses Brandt’s, wo ich mich durch ein Labyrinth von Wühltischen zu der Tür durchschlängelte, die in die Herrenumkleide führte. In einer der winzigen Kabinen schlüpfte ich aus den Handschuhen, entledigte mich des Mantels, Barts, der Perücke und Steppweste und ließ alles kühn auf der Holzbank zurück. Falls jemand, was recht unwahrscheinlich war, einen Zusammenhang zwischen diesen Kleidungsstücken und dem bedauerlichen Unfall in der U-Bahn herstellte, würde man mich ganz gewiss nicht damit in Verbindung bringen, denn ich hatte alles erst am Vortag in verschiedenen Läden für Army-Restbestände in weit auseinanderliegenden Orten der Stadt gekauft. Ich nahm mir einen Moment Zeit, um mein Haar zu glätten und meine Züge im Spiegel der Umkleidekabine zu begutachten. Das war nicht das Gesicht eines Mörders, dachte ich. Keine triumphierende Miene, nur das traurige Wissen, dass mein Leben nie wieder sein würde wie zuvor.

Ich verließ die Umkleide und täuschte im Vorbeigehen Interesse an einem Ständer mit wollenen Krawatten vor, als hätte ich es überhaupt nicht eilig. Dann betrat ich entschlossen die Rolltreppe, die mich ins Erdgeschoss brachte. Als mich ein atemloser Verkäufer mit einer Wolke Herrenparfüm besprühte, wimmelte ich ihn mit einem lässigen »Danke, aber heute nicht!« ab. Dann spuckte mich die niemals stillstehende Drehtür des Kaufhauses hinaus auf den Gehweg, wo ich mich gesenkten Hauptes in den wogenden Strom der Passanten einreihte. Sie alle waren in ihrer eigenen Mission unterwegs, aber gewiss nicht in einer, wie ich sie gerade vollbracht hatte. Ich beneidete sie, weil ihre Last nicht so schwer war wie meine. Mein noch so junges Geheimnis lastete auf mir wie ein bleierner Rucksack, den ich zu dem von längst vergangener Pracht zeugenden Van Buren Hotel and Ballrooms schleppte, wo ich Quartier bezogen hatte. In meinem Zimmer angekommen, stellte ich fest, dass ich um einiges erschöpfter war als erwartet. In einem Zustand, den man beschönigend als Ohnmacht bezeichnen könnte, fiel ich auf die dünne Überdecke meines viel zu kleinen Bettes und schlief in dem beruhigenden Wissen ein, den perfekten Mord begangen zu haben.

Kurz darauf läutete das Telefon in meinem Zimmer.

Ich griff nach dem Hörer. Wie ich mir dabei vor Augen hielt, wusste niemand auf der ganzen Welt, dass ich mich in diesem Hotel eingemietet hatte, weshalb der Anruf nicht privat sein konnte. »Ja?«

»Hier ist die Rezeption, Mr. Williams.« (Williams war der unauffälligste Name, neben Smith und Jones, der mir eingefallen war. Ein Name, den die Leute leicht vergaßen, solange man mit Vornamen nicht Ted wie der Baseballspieler hieß.) »Einige Detectives von der Polizei sind auf dem Weg zu Ihnen. Eigentlich sollte ich es Ihnen nicht sagen, aber das ist ein Service für unsere Gäste. Falls Sie gefragt werden sollten, haben Sie es nicht von mir.«

Ich hörte, wie sich draußen auf dem Flur die Aufzugtüren öffneten, und ehe mir ein harmloser Grund einfiel, warum die New Yorker Polizei einen Ortsfremden aufsuchen sollte, und das nur wenige Minuten, nachdem dieser einen Mord begangen hatte, wurde schon dreimal ziemlich rüde an die Tür gehämmert. Darauf folgte ein: »Polizei, Mr. Iverson! Aufmachen.«

Mein Gott, dachte ich – auch ich habe meine spirituellen Anwandlungen, wenn die Umstände stimmen –, die kennen meinen echten Namen! Mein Mund wurde schlagartig so trocken, als hätte mir jemand eine Tasse Mehl in den Rachen geschüttet. Woher konnten die nur wissen, wer ich war? Der einzige andere Weg aus diesem Zimmer führte über die Feuertreppe acht Stockwerke nach unten. Und da mir Flucht als Beweis meiner Schuld ausgelegt werden konnte, versuchte ich, all meinen Mut zusammenzunehmen. Nur um festzustellen, dass da keiner war. Als ich, ein gezwungenes Lächeln auf den Lippen, die Tür öffnete, spürte ich, wie meine Mundwinkel nervös zuckten. »Ja?«, fragte ich, um den Tonfall eines mustergültigen Bürgers bemüht.

Vor mir stand ein schwarzgesichtiger Mann mit Schlapphut und im grauen Anzug. Seine billige Krawatte sah aus wie das widerwillig überreichte Geburtstagsgeschenk einer entfremdeten Ehefrau. Er hielt mir ein Mäppchen hin, das offenbar einzig dem Zweck diente, eine Marke mit dem Siegel der Stadt New York vorzuzeigen. »Captain Dobson«, sagte er, womit er mir das Lesen ersparte. »Das ist Sergeant Stedge.«

Stedge war ein gedrungener, muskulöser Mann, der die Nähte seines Anzugs aus Kunstseide zu sprengen drohte. Seine Krawatte war mit der von Dobson identisch, ein Hinweis darauf, dass er entweder eine Affäre mit dessen entfremdeter Ehefrau hatte oder seine Krawatten im selben Laden kaufte. Und zwar von dem Wühltisch mit dem Schild »Alles für einen Vierteldollar«. Hinter seinem linken Revers lugte der Griff eines Polizeirevolvers hervor, der dort in einem schlecht sitzenden Schulterhalfter steckte.

»Wo haben Sie sich in der letzten Stunde aufgehalten?«, kam Dobson ohne Umschweife auf den Punkt.

Die Verzweiflung nahm unaufgefordert an meinem Tisch Platz. War es immer so einfach, einen Mörder zu schnappen? Ein Satz, und schon war man mitten im Verkaufsgespräch. »Im Wochenschau-Filmtheater in der Grand Central Station.«

»Und was haben Sie sich angeschaut?«

Ich tat, als müsste ich nachdenken. »Äh, einen Trickfilm mit Tom and Jerry, die Nachrichten, einen Reisebericht über Marokko, einen lustigen Kurzfilm mit den Three Stooges und einen Bericht über die Glasbläserei.«

»Hat Sie jemand dort gesehen?«, wollte der Sergeant wissen.

»Nein, ich bin ja aus …

Moment.« Spontaneität vortäuschend, drehte ich mich zu der winzigen Kommode um, die meinem schmalen Bett gegenüberstand. »Hier«, verkündete ich und wies auf meine Uhr, die Brieftasche und ein Stückchen aus dünner roter Pappe. »Ich habe noch meinen Kartenabriss.«

Dobson hatte den Blick nicht von meinem Gesicht abgewandt, und ich war ziemlich sicher, dass hier keine Liebe auf den ersten Blick im Spiel war. »Wollen Sie eigentlich nicht wissen, warum ich mich für Ihren Aufenthalt interessiere?«, erkundigte er sich mit aufrichtiger Neugier. »Wenn ich jemanden nach seinem Alibi frage, kommt normalerweise die Gegenfrage nach dem Warum.«

»Tja, ich habe angenommen, dass im Hotel ein Verbrechen geschehen ist und Sie deshalb mit allen Gästen sprechen«, erwiderte ich lässig. »Aber ja, natürlich würde ich gerne wissen, worum es geht.«

Dobson griff nach dem Kartenabriss. »Jemand hat heute Ihren Chef direkt vor eine U-Bahn gestoßen.«

»Oh, mein Gott!«, rief ich aus. Möglicherweise war es nicht die gelungenste Interpretation dieses Satzes.

»Der Film mit den Three Stooges war sicher sehr komisch«, fuhr er fort. »Keine Ahnung, wie viele Leute ihre Karten als Souvenirs aufbewahren würden. Wenn Sie das Ticket voller Fussel in Ihrer Hosentasche entdeckt hätten, könnte ich das ja verstehen. Doch hier liegt es, ordentlich bei Ihrer Uhr auf der Kommode, obwohl gleich daneben ein Papierkorb steht. Welchen Grund hatten Sie, diese Eintrittskarte aufzuheben, wenn nicht den, sich ein Alibi zu verschaffen?«

»Das weiß ich auch nicht. Haben Sie noch nie Ihre Taschen ausgeräumt, ein altes Kaugummipapier gefunden und es nicht sofort weggeworfen?«

»Nein, eigentlich nicht«, antwortete Dobson. »Aber das kann auch an mir liegen. Jedem Tierchen sein Pläsierchen.« Aus seiner Brusttasche zog er eine Klarsichthülle, die eine Pilotenbrille enthielt. Sie war mit der identisch, die ich am Vortag gekauft hatte.

Ich war erledigt. Wenn Dobson genug wusste, um mir diese Sonnenbrille zu zeigen, hatte er mich bestimmt durchschaut. Ich überlegte, ob sie mich gleich hier an Ort und Stelle festnehmen würden. Ich hätte nämlich gerne noch ein letztes Bier getrunken, bevor ich ins Gefängnis musste. Im Todestrakt gab es ganz sicher kein Bier. Und gewiss keines vom Fass. Plötzlich erschien mir lebenslange Haft mit einem Arbeitsplatz in der Gefängnisbibliothek wie ein Urlaub im sonnigen Madrid.

Mein Blick wanderte zum Fenster meines Hotelzimmers.

»Unten an der Feuertreppe steht einer unserer Männer«, teilte Dobson mir hilfsbereit mit. »Nun also zu dieser Brille. Und Ihrer … Verkleidung.« Sein Tonfall setzte das Wort in Anführungszeichen. »Wissen Sie, eine gute Tarnung wäre zum Beispiel, wenn man sich den Bart abrasiert, den man fünf Jahre lang getragen hat. Oder wenn eine Nonne plötzlich Lippenstift und Lidschatten benutzt. Selbst ein langweiliges Äußeres kann hilfreich sein. Denn alle, die man um eine Personenbeschreibung bittet, antworten dann mit ›Normal‹, und damit kann ich überhaupt nichts anfangen. Aber wenn ein Mann beobachtet wird, der in einem U-Bahnhof eine Sonnenbrille trägt. Dazu auch noch einen ausgepolsterten Mantel, einen Hut und einen falschen Bart … Tja, ich weiß dann zwar immer noch nicht, wie derjenige aussieht, aber sobald ich seine Verkleidung finde, habe ich ihn.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«

»Sie haben heute am frühen Morgen eine Eintrittskarte für das Wochenschau-Filmtheater gekauft und sind geblieben, bis sich die Stunde mit den Kurzfilmen wiederholte. Dann sind Sie in Ihre schlaue Verkleidung geschlüpft. Und zu guter Letzt haben Sie Fiedler irgendwie auf den Bahnsteig gelockt. Dafür kriegen Sie von mir eine glatte Eins. Anschließend haben Sie Ihr hinterhältiges Verbrechen begangen. Und danach sind Sie ins Untergeschoss von Brandt’s gelaufen, um dort Ihre Verkleidung wieder loszuwerden. Schon mal von Ladendieben gehört?«

Sergeant Stedge antwortete an meiner statt. »Bei Brandt’s kommt es öfter vor, dass Leute etwas stibitzen, damit in eine Umkleidekabine gehen, dort das Preisschild entfernen und das Diebesgut dann am Körper verstecken. Deshalb postiert das Kaufhaus als Kunden getarnte Detektive in der Nähe der Umkleiden. Diese halten Ausschau nach Personen, die beim Herauskommen ein wenig dicker sind als beim Hineingehen.«

»Aber ein Freund von mir«, erklärte Dobson weiter, »er heißt Dave Vlastnoff, ein pensionierter Polizist, der bei Sentry Security arbeitet, hat einen beleibten, bärtigen Mann die ansonsten menschenleere Umkleide betreten sehen. Als der einzige Kunde eine Minute später wieder erschien, war er glatt rasiert und um einiges schlanker. Er ist Ihnen auf der Rolltreppe gefolgt und hat Sie, eine geniale Idee, mit einem neuen Herrenparfüm besprüht, das es nur bei Brandt’s gibt.«

»Ich will einen Anwalt«, stieß ich mühsam hervor.

»Das hat meine kleine Schwester auch immer gesagt, aber gekriegt hat sie einen Klempner«, entgegnete Dobson. »Übrigens haben Sie in Ihrer Eile, die sonderbare Kostümierung loszuwerden, offenbar zuerst die Handschuhe ausgezogen und dabei einen makellosen Fingerabdruck auf dem rechten Glas der Sonnenbrille hinterlassen. Also: Ein Mann in einer albernen Verkleidung schubst Ihren ehemaligen Chef vor eine einfahrende U-Bahn. Ihre Fingerabdrücke befinden sich auf der Sonnenbrille und in der Kabine, wo Sie sich umgezogen haben. Ein professioneller Wachmann folgt Ihnen von den Umkleiden bis hierher. Und außerdem haben wir einen Polizeihund, einen Labrador, in die Hotelhalle bringen lassen. Er ist ganz versessen auf das Parfüm, mit dem man Sie eingesprüht hat, und will Sie jetzt unbedingt kennenlernen.«

»Der Name ist Wanderlust«, ergänzte Stedge hilfsbereit. »Der des Parfüms, meine ich. Der Labrador heißt Roscoe.«

Ich setzte mich aufs Bett, ohne es zu bemerken. »Ich habe nichts zu sagen.«

»Aber ich«, entgegnete Dobson. »Sie sind festgenommen, und zwar wegen des versuchten Mordes an Merrill Fiedler.«

»Versucht?« Ich sprang auf. »Er ist nicht tot?«

Dobson und Stedge wechselten einen Blick, in dem sich unendliches Mitleid malte, während mir klar wurde, dass der Satz »Er ist nicht tot?« vor Gericht gegen mich verwendet werden konnte. Ja, es war eine wundervolle Nachricht, dass ich nicht auf dem elektrischen Stuhl landen würde. Doch dass ich nun wegen versuchten Mordes ins Gefängnis musste, während Fiedler quicklebendig war und weiter eine Bedrohung für seine Mitmenschen darstellte, war fast ebenso niederschmetternd.

Dobson wandte sich an seinen Assistenten. »Wenn man die Indizienbeweise und den eindeutigen Vorsatz bedenkt, wie viele Jahre, glaubst du, kriegt er?«

Stedges Achselzucken drohte die Nähte seines Sakkos zu sprengen. »Zwanzig vielleicht. Und wenn es nach mir ginge, ohne Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung. Diese Freizeitmörder sind eine öffentliche Gefahr. Es könnte noch jemand dabei zu Schaden kommen.«

Ich beschloss, dass ich nichts mehr zu verlieren hatte, und hielt Dobson mit schicksalsergebener Miene die Handgelenke hin. Links auf rechts. »Dann los, legen Sie mir schon Handschellen an«, sagte ich so mutlos wie möglich. Stedge schien mit meiner Entscheidung einverstanden, doch als er die Handschellen aus der Hosentasche nehmen wollte, machte ich einen Satz vorwärts und riss ihm mit der bereits ausgestreckten rechten Hand die .38er aus dem locker sitzenden Schulterhalfter. »Okay, und jetzt keine Bewegung, alle beide. Dann muss ich Ihnen auch nicht wehtun«, warnte ich. »Ich verlasse jetzt rückwärts und die Waffe auf die Tür gerichtet dieses Zimmer. Sie beide bleiben hier, während ich mit dem Aufzug in die Vorhalle fahre.« In Wahrheit plante ich, die Feuertreppe zum Ballsaal im ersten Stock zu nehmen, wo es sicher einen Zugang zur Hotelküche gab. Dort konnte ich durch den Lieferanteneingang die Straße erreichen. Aber das würde ich den Polizisten natürlich nicht unter die Nase reiben.

»Äh, Cliff, die Waffe ist noch gesichert«, wandte Stedge freundlich ein.

Automatisch schaute ich in Richtung Waffe, als Dobson schon das Wort ergriff. »Nein, der Sergeant will Sie nur veräppeln. Revolver haben keinen Sicherungshebel.«

»Die Smith and Wesson Model 40 schon«, protestierte Stedge.

»Das ist eine Griffsicherung.«

»Die Waffe ist trotzdem gesichert«, beharrte der Sergeant. »Ach, und Cliff? Die Waffe ist auch nicht geladen. Dafür aber die vom Captain.«

Als ich mich umdrehte, stellte ich fest, dass Dobson mit einer identischen .38er auf mich zielte. »Der Sergeant macht sich gern einen Spaß daraus, Verdächtige mit seiner ungeladenen Waffe zu einer Dummheit zu verleiten. Denn der Versuch, einem Polizisten die Dienstwaffe abzunehmen, ist ein weiterer Schuldbeweis.«

Ich richtete die Waffe auf das Badezimmer und drückte ab. Ein demütigendes Klicken ertönte.

»Geben Sie meinem Sergeant die Waffe zurück, und wir werden diesen peinlichen Zwischenfall nicht in unserem Bericht erwähnen«, schlug Dobson vor.

Ich reichte Stedge seinen Revolver. »Ich hatte nie vor, auf Sie zu schießen«, sagte ich, als ob das die beiden interessiert hätte. »Es gibt nur einen einzigen Menschen auf der Welt, den ich umbringen will, und ich dachte, ich würde vielleicht eine zweite Gelegenheit kriegen, wenn ich Ihnen entwische.« Ich musterte die reglosen Mienen der Polizisten. »Aber das können Sie nicht verstehen.«

»Natürlich können wir das«, widersprach Dobson. »Fiedler ist ein Dreckskerl, der seinen Mitarbeitern Druck macht oder sie manipuliert, und zwar aus purem Sadismus, sexuellem Lustgewinn oder weil es seiner Karriere förderlich ist. Manchmal gelingt ihm sogar der große Wurf, und er schafft drei Fliegen auf einen Streich. Er hat Sie nicht nur um eine vielversprechende Karriere gebracht, sondern auch um eine Frau, die Ihnen etwas bedeutet hat, und außerdem um einen sehr engen Freund. Weiterhin vertuscht er einen gefährlichen Fehler, der ihm bei einer Änderung Ihres Entwurfs unterlaufen ist, was früher oder später für viele unschuldige Menschen tragische Folgen haben wird. Was sonst könnte einen anständigen Burschen wie Sie dazu treiben, jemanden ermorden zu wollen?«

Ich war wie vom Donner gerührt. »Woher … Wie haben Sie das in so kurzer Zeit in Erfahrung gebracht?«

»Oh, wir beobachten Sie schon seit Wochen. Als Sie Fiedler gestoßen haben, waren wir auf dem Bahnsteig.« Er wies auf Stedge. »Der Sergeant hier war der heldenhafte Fahrgast, der Fiedler von den Schienen gezogen hat.«

Ich sah Stedge an. »Dann hätte ich besser zuerst Sie umgebracht«, sagte ich erbittert.

Offenbar fanden die beiden Männer das amüsant. Dann jedoch schlug Dobson einen ernsteren Ton an. »Also, erzählen Sie mal, Cliff. Keine Spur von Reue?«

Nun ging es darum, trotz dieses Fiaskos das Gesicht zu wahren. »Nur deshalb, weil ich es nicht richtig hingekriegt habe.«

Wieder wurde ich überrascht, diesmal von Dobsons Reaktion. Denn er klopfte mir mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter, als wollte er mir gratulieren. »Das ist die richtige Einstellung!«, begeisterte er sich. »Wenn man vom Pferd fällt, muss man sofort wieder in den Sattel steigen.«

»Wobei der Reitsport übrigens wundervolle Gelegenheiten bietet, jemanden umzubringen«, ergänzte der Sergeant vergnügt.

Die beiden schienen ausgesprochen zufrieden mit mir zu sein, so als hätte ich erfolgreich irgendeinen sonderbaren Initiationsritus absolviert. »Was … sind Sie denn für komische Polizisten?«, stammelte ich.

»In Ihrem Fall die besten, denen Sie begegnen konnten. Wir wurden exkommuniziert.«

»Dann haben Sie mir also einen falschen Ausweis gezeigt?«

»Echt, aber abgelaufen. Dreiundachtzigstes Revier, Bushwick.«

Stedge nahm einen stählernen Flachmann aus der Brusttasche. »Ein Mann ist in unserer Obhut ums Leben gekommen. Also hat man uns verstoßen«, erklärte er. »Es handelte sich um einen wohlhabenden Kinderschänder, der die richtigen Geschworenen bestochen hat und deshalb freigekommen ist. Wir mussten ihn nach Hause in sein Landgut in Alpine, New Jersey, fahren, doch in Edgewater wollte er unbedingt Pause machen. Dort machen die Leute nämlich immer Pause, wenn sie vorhaben, von den Palisades-Klippen zu fallen.« Stedge lächelte, als sei das Erklärung genug. Dann ging er in das winzige Badezimmer, wo er ein Glas vom Waschbeckenrand nahm.

»So … Werde ich jetzt nicht verhaftet?«, fragte ich. Unzählige Engelsflügel streichelten mein Gesicht, als ich aus dem Abgrund ins strahlende Licht emporstieg. »Was ist mit Fiedler?«

»Ich habe ihm meine Marke gezeigt und ihm gesagt, in letzter Zeit würden immer wieder Leute vor die U-Bahn gestoßen«, erwiderte Dobson. »Wir seien dem Täter bereits auf den Fersen.«

»Was ja auch stimmte«, fügte Stedge hinzu und schüttete den Inhalt des Flachmanns ins Glas.

»Dann darf ich also gehen?«, hakte ich ungläubig nach.

Dobsons Gesichtszüge verfinsterten sich wieder. Offenbar war sein mimisches Repertoire damit erschöpft. »Damit Sie wieder genauso stümperhaft zuschlagen wie gerade eben? Das können Sie vergessen. Sie brauchen dringend ein wenig Unterricht.«

Der Sergeant zog eine Viertelliterflasche Early Times aus der Tasche und goss die mir unbekannte Flüssigkeit aus dem Flachmann mit einem ordentlichen Schluck Bourbon auf. Nachdem er mit dem kleinen Finger umgerührt hatte, reichte er mir das schmuddelige Zahnputzglas. Ich starrte darauf. »So hübsch serviert. Woher weiß ich, dass das kein Gift ist?«, erkundigte ich mich.

»Gar nicht. Sie müssen uns einfach vertrauen«, antwortete Dobson.

»Wirklich sehr unhöflich von mir, an Ihnen zu zweifeln, obwohl wir einander schon seit so vielen Minuten kennen!«, entgegnete ich in gespielt vorwurfsvollem Ton. »Wenn Sie mir vorhin, als ich dachte, dass ich verhaftet bin, einen Becher mit Gift gegeben hätten, hätte ich ihn vermutlich ausgetrunken.«

»Es handelt sich um eine mildere Version von K.-o.-Tropfen«, erwiderte Dobson. »Mit unserer Hilfe werden Sie es gerade noch durch die Vorhalle und in ein Taxi schaffen. Danach überlassen Sie alles uns. Wie in Alice im Wunderland: durch die Falltür.«

Am meisten beschäftigte mich in diesem Moment, dass Fiedler zwar noch lebte, allerdings auch nichts von meinem Wunsch ahnte, ihn zu töten. Wenn ich mich weigerte, diesen beiden Ex-Polizisten zu gehorchen, konnten sie mich jederzeit verraten. Und das wäre dann das Ende meiner Mordpläne gewesen. Wahrscheinlich war es deshalb das Beste, Dobson und Stedge Kooperation vorzuspielen, die nächste Gelegenheit zur Flucht zu nutzen und zum zweiten Schlag gegen Fiedler auszuholen – vielleicht sogar buchstäblich. Ich trank das Gebräu mit der Begeisterung eines Dr. Jekyll, der erfahren hat, dass ein Mann namens Hyde gerade Erbe eines Vermögens geworden ist.

»Oh, und wenn Sie aufwachen«, fügte Dobson hinzu, »wird Ihr Kopf bandagiert sein, damit Sie nicht sehen können, wo Sie sind. Geraten Sie nicht in Panik. Unsere neuen Studenten befürchten beim Aufwachen manchmal, dass sie erblindet sind. Oder sogar noch etwas Schlimmeres.«

Wovon redete der Mann? »Studenten …?«

»Alles zu seiner Zeit«, antwortete Dobson. »Nutzen Sie Ihre Chance.«

II

Da der junge Cliff während seiner Anreise zur McMasters-Akademie sowohl buchstäblich als auch im übertragenen Sinne im Dunkeln tappte, werde ich seine Ankunft hier in knappen Worten schildern. Sobald er in der Lage ist, seine Umgebung wahrzunehmen, übergebe ich wieder an sein Tagebuch. –HH

Neulinge in der McMasters-Akademie müssen zunächst vor dem prunkvollen Haupttor innehalten, für alle Außenstehenden der einzige Eingang in dem fast drei Meter hohen eisernen Zaun, der unsere nahezu fünfhundert Hektar umfassenden Ländereien umschließt. Jede schwarze Eisenstange dieses Zauns, enger gesetzt als das Gitter an der Tür einer Gefängniszelle, wird von einer rasiermesserscharfen Spitze gekrönt, deren Form der Spielkartenfarbe Pik nachempfunden ist. Der spielerische Aspekt mag scherzhaft gemeint sein, doch diese Spitzen erfüllen ihren Zweck ausgezeichnet.

In regelmäßigen Abständen entlang des Zauns aufgestellte Schilder warnen vor Hochspannung. Drei tote Eichhörnchen und eine ebensolche große Krähe dicht dahinter sollen dieser Mahnung Nachdruck verleihen. (Man braucht nicht eigens zu erwähnen, dass die Tiere nach ihrem natürlichen Tod fachkundig ausgestopft wurden. Wir an der McMasters-Akademie dulden weder Grausamkeiten gegenüber nicht-menschlichen Lebewesen noch ihr Einspannen zu unlauteren Zwecken.)

Auf der linken Seite unseres reich verzierten Tors ist ein unverwechselbares Wappen zu sehen: ein umgedrehtes ägyptisches Anch-Kreuz, eigentlich das Symbol des Lebens, flankiert von einer ernst dreinblickenden Katze und einer Eule. Auf der rechten Seite liefert eine Bronzeplakette die Erklärung für den abschreckenden Charakter des Zauns: MCMASTERS HEIM FÜR GEISTESKRANKE STRAFTÄTER. Diese Information dient dem Zweck, Neugierige gleichermaßen zufriedenzustellen und zu vergraulen. Außerdem entbehrt sie nicht eines Körnchens Wahrheit und enthält sogar ein kleines Wortspiel. Denn schließlich tragen sich unsere Studenten eindeutig mit strafbaren Absichten. Und da unsere Lehrenden sie in diesen Bemühungen unterstützen, könnte man ein wenig an ihrer geistigen Gesundheit zweifeln. Doch obwohl der Wahnsinn an der McMasters-Akademie Methode hat, folgt unser Lehrplan den Gesetzen der Logik und ist dem Fortkommen unserer Studenten zuträglich.

Wenn Sie die McMasters-Akademie persönlich aufsuchen, werden Sie dieses Tor aller Wahrscheinlichkeit nach niemals von außen sehen, denn Bewerber legen nur die erste Etappe der Reise selbstständig zurück, indem sie sich von ihrem Teil der Welt zum nächsten Hafen oder Privatflugplatz begeben. Von dort aus werden sie – betäubt und mithilfe eines Kopfverbands vorübergehend ihres Augenlichts beraubt – zu uns begleitet. Dabei wird alles unternommen, um ihre Wahrnehmung in Bezug auf Reisezeit und -route zu verwirren. Wer ganz in der Nähe wohnt, ist vielleicht länger unterwegs als jemand, der von der anderen Seite des Erdballs stammt. Vor einigen Jahren, in den späten Vierzigern, gab es sogar einmal einen bedauernswerten Studenten, den man auf eine viertägige Reise an Bord eines Frachters schickte. Darauf folgte ein dreistündiger Flug mit einer gecharterten Maschine, die schließlich auf demselben Flugplatz landete, wo er zuvor gestartet war. Den letzten Abschnitt der Reise legte er mit einem Pferdewagen zurück. Diese Fahrt war allein deshalb umso bemerkenswerter, weil der fragliche Student nur etwa zwanzig Kilometer südlich der Akademie lebte.

Viele unserer Studienanfänger wähnen sich irgendwo in Großbritannien, denn obwohl die Mitglieder unseres Lehrkörpers aus aller Herren Länder stammen, ist die Atmosphäre hier bewusst britisch gehalten. Das liegt wohl hauptsächlich daran, dass der Großteil der Gebäude, der kleinen wie auch der großen, die sich auf dem Gelände der McMasters-Akademie verteilen, ursprünglich zu einem gewaltigen Landgut in Derbyshire namens Oxbane gehörten. Bei dem dortigen Herrenhaus im gotisch-viktorianischen Stil handelte es sich um eine umfangreiche Erweiterung der Residenz aus dem 17. Jahrhundert, die wiederum auf den Sandsteinfundamenten einer normannischen Festung errichtet worden war.

Wie der Akademiegründer Guy McMaster in den Besitz dieses Familienanwesens kam, ist eine grausige Geschichte, die wir an dieser Stelle lieber nicht erzählen wollen. Mir hat er sie an einem Totenbett gebeichtet. (An wessen Totenbett genau wir standen, als Guy sich seiner Leistung rühmte, ist seine Privatangelegenheit.) Jedenfalls ließ Guy den Familiensitz nach dem Kauf umgehend abtragen, Stein für Stein nummerieren und alles an den jetzigen streng geheimen Standort schaffen. Ebenso wie die Wassermühle samt Mühlrad, das Häuschen des Gärtners, Stallungen und Verwaltung, die Gästehäuser und Nebengebäude, die Kapelle, den Pavillon im nachgeahmten griechischen Stil und vieles andere mehr. Guy benannte das Herrenhaus und seine bewaldete Umgebung in »Gut Ulmenburg« um und baute alles im nahezu identischen Grundriss wieder auf. Auf seinen zahllosen Reisen rund um den Globus, auf denen er das Vermögen seiner Familie mehrte, machte sich Guy einen Spaß daraus, architektonische Spielereien mitzubringen, die ansonsten womöglich der Abrissbirne zum Opfer gefallen wären. So schmückte er weiter das alte Anwesen aus, wie ein gewöhnlicher Millionär es vielleicht mit der aufwendig gestalteten Anlage seiner Modelleisenbahn tut.

So wie aus der Farm der Familie Bronck mit den Jahren »Bronck’s Land« und irgendwann später »die Bronx« (sic) wurde, war Guy McMasters umgesetztes Landgut bald als »McMasters« bekannt (zumindest den wenigen, die es kennen durften). Nachdem die mit dem Umzug Betrauten allesamt Opfer einer Reihe unvermeidlicher Unfälle geworden waren, beschränkte sich der Kreis der in die geografische Lage der Akademie Eingeweihten auf einige enge Vertraute. Wie ich allerdings gerne einräume, erleben wir hier vier sich deutlich voneinander unterscheidende Jahreszeiten, und wer einmal durch den Schnee zu seinem stärkenden Frühstück im Speisesaal gestapft ist, wird Ihnen bestätigen, dass wir uns vermutlich nicht in der Nähe von Palm Springs befinden.

An dem Tag, um den es hier geht, stoppte der hochschuleigene Kombi mit den holzvertäfelten Seitentüren vor dem Haupttor. Am Steuer saß Captain Dobson, der ein begeisterter Autofahrer war. Nun wandte er sich an seinen Sergeant. »Bist du so gut und übernimmst das Knöpfedrücken, Carl?«, sagte er. »Ich verabscheue dieses Theater, und außerdem habe ich mein heutiges Losungswort vergessen.«

»Wird gemacht, Captain«, erwiderte Stedge, der Dobson in Gegenwart Dritter stets mit seinem Rang ansprach, obwohl man Jim Dobson diesen Titel schon vor Jahren entzogen hatte.

»Und pass auf, dass du nicht an den Elektrozaun kommst«, warnte er. »Der hat ordentlich Schmackes.«

Der Sergeant stieg aus und war froh, sich die Beine vertreten zu können. Währenddessen drehte Dobson sich zu seinem Fahrgast um, de...

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