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Hitler übersetzen

Als Buch hier erhältlich:

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»Hitler zu übersetzen, bedeutet auch, sich gegen seine zeitgenössischen Epigonen zu wappnen.« Olivier Mannoni

»Hitler ist tot, sein Werk des Hasses voll glühender Schwärze ist geblieben.« Es gibt nur wenige Menschen, die so tief in die Abgründe nationalsozialistischer Rhetorik geblickt haben wie Olivier Mannoni.

Zehn Jahre lang übersetzte Mannoni Hitlers »Mein Kampf« für eine kritisch-wissenschaftliche Edition ins Französische. Das Werk, mit dem Hitler seine antisemitischen Thesen und nationalsozialistische Weltanschauung auf über 700 Seiten in eine für den Normalbürger kaum zugängliche Prosa ergoss und sie dennoch »salonfähig« machte. Zwölf Millionen Exemplare waren bis 1945 im Umlauf.

Was macht es mit einem Menschen, sich jahrelang in die Tiefen von Hitlers Sprache zu versenken?

»›Mein Kampf‹ zu übersetzen, bedeutete, ungeahnte Türen zu öffnen. In keinem Text zuvor kam Hass in dieser Dichte und mit solch einer Gewalt zum Ausdruck, dieses von Peter Sloterdijk beschriebene brodelnde, bösartige und verderbliche Ressentiment: eine Art Bank, bei der man − wie bei spekulativen Geldanlagen −, alle Wut und Frustrationen anspart, um sie, sobald der Tag gekommen ist, zu nutzen und den größtmöglichen Gewinn daraus zu ziehen.«

Angesichts einer politischen Realität, in der rechtspopulistische Parteien Regierungen stellen, demagogische Reden ein Revival erleben und nationalsozialistisches Vokabular in unseren Alltag zurückkehrt, warnt uns Olivier Mannoni vor der Wirkmacht sprachlich irreführender Überfrachtungen und dem damit einhergehenden suggestiven Kalkül.

Ein Essay von erschreckender Aktualität.


  • Erscheinungstag: 25.02.2025
  • Seitenanzahl: 144
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365008157

Leseprobe

Olivier Mannoni

Hitler übersetzen

Aus dem Französischen von
Nicola Denis

HarperCollins

Incipit
Die Invasion

In unserem Büro hat sich etwas verändert. Es ist etwas verschwunden, doch unmöglich zu wissen, was. Ich brauche ein paar Minuten, um es herauszufinden: »Er« ist nicht mehr da. Oder genauer gesagt: Er kehrt mir buchstäblich den Rücken zu. Weil meine Frau seine Anwesenheit nicht mehr erträgt, hat sie die Bücher, auf denen sein Name in fetten Druckbuchstaben steht, so gestellt, dass jetzt ihr Vorderschnitt zu sehen ist. Hat er wirklich so viel Platz bei uns eingenommen, dass seine Anwesenheit unerträglich geworden ist?

Ja, er ist fast omnipräsent. Die Arbeit ist noch lange nicht beendet, und zu der Übersetzung des brisanten Textes, die man mir anvertraut hat, ist mit einer Biografie des Betreffenden noch eine weitere hinzugekommen. In den Regalreihen meiner Bibliothek stehen drei Exemplare seines bedrückenden Pamphlets: ein altes in einem verblassten Orange, ein leuchtend orangefarbenes neueres und eine dritte, dunkelblau gebundene gekürzte Ausgabe von 1938 – eine Rarität, das Geschenk eines mittlerweile verstorbenen Freundes, der lange sämtliche Antiquariate für mich abgeklappert hatte. Die Biografien von Joachim Fest und Ian Kershaw, die beiden Bände von Richard J. Evans, das düstere Buch von Ernst Klee über die NS-Medizin, die vier Goebbels-Tagebücher und das Tagebuch von Alfred Rosenberg, dem Theoretiker der Eroberung des Ostens. Und natürlich die Grundlagenwerke: Oswald Spengler und sein »Untergang«, das wichtige Buch von Helmut Berding über »Modernen Antisemitismus« sowie das von Stefan Breuer über die »Konservative Revolution«, in der sich in den 1920er-Jahren tonangebende deutsche Intellektuelle suhlten und so die Dreckspiste blankscheuerten, auf der die Nazis wenig später herabsausen sollten.

Zum Glück stehen diese Bücher nicht allein. Sie sind sogar eine winzige Minderheit in unserer insgesamt fünftausend Bände zählenden Bibliothek. Sie pflegen Umgang mit Bergson, Bataille, Majakowski, Deleuze, Bulgakow und, natürlich, mit Peter Sloterdijk. Neben Goebbels glänzt Goethe mit seiner Feder und seiner umfangreichen Bildung, ganz in der Nähe von Heine und Himmler, dicht gefolgt von Kafka. Ein Stückchen weiter steht Rosenberg neben Rosenzweig und, noch etwas weiter weg, Manès Sperber, der seinerseits den nötigen Abstand zu den drei kompletten Regalreihen mit dem Werk Sigmund Freuds wahrt. Das gesamte deutschsprachige Europa des 20. Jahrhunderts ist hier vereint, seine Genies und seine Verbrecher. Manche wechseln zwischen beiden Rollen, wie Ernst Jünger: Ich hatte die traurige Ehre, ganz widerwärtige Seiten von ihm zu übersetzen, aus denen Hass, Beschimpfungen und Gewalt troffen.[1] Diese Bibliothek umgibt mich, sie mauert und kerkert mich manchmal ein und öffnet mir dennoch sämtliche Tore der Welt und des Denkens. Meistens lasse ich mich von meinen Autoren leiten, deren Bücher jeweils eine Reise durch ihr Denken sind.

Durch zwei Langzeitprojekte war Adolf Hitler 2013 bei uns zum Dauergast geworden: eine Biografie von Volker Ullrich, die ein paar Monate darauf bei Gallimard erscheinen sollte, und das Ende des ersten Teils meiner Arbeit an Mein Kampf, dieses Buch, dessen Titel man – er wurde übrigens weltweit fast nie übersetzt – kaum auszusprechen wagt. Zusammen mit ihm wurde auch das Gefolge aus dem Regal genommen, das ihn für gewöhnlich begleitet: die Bände mit den Reden, die zahllosen Biografien und Zeitzeugenberichte – darunter der des französischen Botschafters François-Poncet und der von Hermann Rauschning, eines Jugendfreundes von Hitler –, ein Buch über das Attentat vom 20. Juli, historische und politische Analysen über die Situation in Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie allgemeinere Studien zu den internationalen Beziehungen und dem Zweiten Weltkrieg.

Als mich ein Lektor vom Verlag Fayard anrief, von dem ich früher einmal ein Buch zum Nationalsozialismus gelesen hatte, um mir vorzuschlagen, Hitlers Wälzer neu zu übersetzen – siebenhundert Seiten, um deren Erbärmlichkeit ich wusste –, zögerte ich keinen Moment. Den orangefarbenen Band in meiner Bibliothek, die 1934 im Verlag Nouvelles Éditions latines (NEL) erschienene Ausgabe von Mein Kampf, hatte ich bisher nur selten benutzt. Die Übersetzung entspricht den damaligen Standards: gut lesbar und flüssig. An sich zwei grundsätzlich nachvollziehbare Prinzipien, abgesehen davon, dass das Original komplett unlesbar und nur in den wagnerhaften Passagen, in denen sich der Autor von seinem Überschwang mitreißen lässt, einigermaßen flüssig ist. Die Übersetzung merzt alles Unlesbare aus – wie hätte es damals anders sein sollen? –, sie gibt das Unbeholfene der schwungvollen Passagen nicht entsprechend wieder. Seither schaute ich jedes Mal, wenn ein deutscher Autor ihn in einem Werk zitierte, das ich gerade übersetzte, in den Originaltext, um meine eigene französische Fassung zu erstellen.

Warum habe ich nicht gezögert, mich auf eine solche Quälerei einzulassen? Nach knapp fünfzig Übersetzungen von Büchern, die sich mit der NS-Medizin, dem Antisemitismus, dem Holocaust durch Kugeln oder der Organisation der Konzentrationslager von Auschwitz und Birkenau befassten, war es nur konsequent, zur Quelle zurückzukehren. Und die Übersetzung von Mein Kampf resolut und in Gänze anzupacken und einen Text zu verfassen, der von Historikerinnen und Historikern, einer kundigen Leserschaft und Übersetzerkollegen benutzt werden konnte. Ich willigte also ein, unter den üblichen Bedingungen, die ich für solche Projekte einfordere: keine »nackte« Veröffentlichung des Ausgangstextes, sondern dessen Einrahmung durch einen fundierten, von Historikern erarbeiteten textkritischen Apparat.

Das alles geschah vollkommen rational. Nur das Problem entpuppte sich als nicht ganz so rational. Ich hatte vergessen, dass das, was mir – unabhängig von den unguten Ausdünstungen – eine Quelle unter vielen zu sein schien, schon seit Langem nicht mehr einfach nur ein Buch war. Ich hatte unterschätzt, dass ich an eine Art Fetisch rühren würde, an ein Objekt, das mit seiner Tragweite, seiner »unheilvollen Aura«, wie es manchmal hieß, schon lange mehr war als sein reiner Inhalt. Ein paar Jahre später, ich hielt mich gerade in Straßburg auf, ließ mich eine anonyme Zuschauerin über einen Journalisten von France 3 fragen, was sie mit der deutschen Ausgabe, die vermutlich aus der Bibliothek ihrer Eltern stammte, »machen solle«. Eine andere, diesmal in der Touraine, bot sich an, mir »das Exemplar, das ihr Vater aus der Reichskanzlei mitgenommen hatte«, zu überbringen – ein völlig unwahrscheinliches Szenario, weil die Truppen der 2. Panzerdivision, in der besagter Vater angeblich gekämpft hatte, an der Einnahme des Bunkers gar nicht beteiligt waren. Die Frage, was mit dem Buch anzufangen sei, stellten sich nach Kriegsende viele Besitzer der zwölf Millionen Exemplare, die in Deutschland Verbreitung gefunden hatten. Und sie brachte kuriose Antworten hervor: Seltsamerweise hatte man das Buch nicht weggeworfen. Manche hatten es verbrannt. Viele andere hatten es vergraben, als wollten sie es mundtot machen. Und die, die es behalten hatten, fürchteten sich vor ihm wie vor einem unheilvollen Talisman, der nachts plötzlich aufzuwachen drohte. Ich würde kein Buch übersetzen, sondern ein Symbol, ein »Hexenbuch«, wie die Journalistin Florence Aubenas später schrieb.

Ich wiederum hatte mir all diese zwingenden Fragen noch nicht gestellt, als ich mit der Arbeit begann. Erst im Laufe der folgenden Jahre sollte ich ihre ganze Bedeutung ermessen.

Letztlich ist ein Buch immer nur ein bisschen Tinte auf Papier. Im Fall von Mein Kampf war es zwar viel Tinte – eintausendzweihundert Normseiten Übersetzung – auf viel Papier, aber alles in allem hatte ich schon deutlich umfangreichere Bücher übersetzt. Ein politischer Text, der zu Katastrophen führte – auch das war an sich keine Seltenheit. Dieser hier war der erste Schritt auf dem Weg zur Auslöschung von sechs Millionen Menschen aufgrund ihrer »Rasse« und hunderttausend weiterer aufgrund ihrer Überzeugungen, ihrer politischen Aktivitäten oder ihrer sexuellen Orientierungen. Ein Schritt hin zum Tod von sechzig bis siebzig Millionen Menschen weltweit, darunter nach Angaben des Mémorial de Caen vierundvierzig bis fünfzig Millionen Zivilisten. Gab es eine direkte Verbindung zwischen diesen Worten und diesen Toten? Kündigte der Text sie schon an? Für die zweite Gruppe, die zahlenmäßig größte, fiel die Antwort eindeutig positiv aus. Hitlers Kriegshetze und Expansionismus sprachen aus jeder Zeile. Im ersten Fall verhält es sich nicht ganz so eindeutig: Die Shoah zeichnete sich in Mein Kampf an keiner Stelle ab, wohl weil sie 1924 schlicht noch nicht geplant war. Der Antisemitismus jedoch, der ihr ursächlich zugrunde lag, sickert aus allen Sätzen und Schmähreden Hitlers, gewaltsam, systematisch und bestialisch. Er ist seine Antwort auf sämtliche Übel der »deutschen Nation«, die Ursache ihrer Irrtümer, Niederlagen und »Demütigungen«. »Der Jude« ist das Übel, das es loszuwerden gilt – wobei das, was das Verb später konkret implizieren sollte, damals noch nicht klar war.

Ein Buch des Hasses also, ein langes Pamphlet, in dem das künftige Grauen vorweggenommen wird. Nach der Veröffentlichung brauchte sein Verfasser fast zehn Jahre, um die ersehnte Macht zu ergreifen und seine ersten politischen Gegner inhaftieren zu lassen; fünfzehn Jahre, um den Docht des Pulverfasses in Europa zu entzünden; siebzehn, um mit dem gigantischen Morden an Juden, Sinti und Roma, »Asozialen«, geistig Behinderten und Homosexuellen zu beginnen. Ein Buch, das auch von der monströsen Frustration eines gescheiterten kleinen Politikers erzählt, der beschlossen hatte, seine zivile und militärische Biografie zu schreiben.

Wahrscheinlich hat all das Mein Kampf zu einem unheilvollen Fetisch gemacht. All das und die Tatsache, dass seit dem Tod seines Verfassers niemand mehr dieses explosive, brisante Objekt je ernsthaft analysiert hat. Hitler ist tot, sein Werk des Hasses voll glühender Schwärze ist geblieben. Das Werk, mit dem ich mich die folgenden Jahre befassen werde.

Eins
Die braune
Brühe

Von der braunen Brühe, die mich bis zu Mein Kampf gespült hat, kenne ich zumindest eine Quelle mit Sicherheit: ein kleines Büchlein, das mir wohl aufgrund seines Formats unter all den anderen doppelt so großen und breiten Bänden aufgefallen war. Der kurze erläuternde Text von Louis Saurel, Ende der 1960er-Jahre unter dem schlichten Titel Les Camps de la mort (dt. Die Todeslager) erschienen, war mit Fotos illustriert, die ich zum damaligen Zeitpunkt nicht zu deuten wusste: Sie zeigten ausgemergelte Menschen, Leichenberge, leere Augenhöhlen – die mittlerweile bekannte Ikonografie der Nazi-Hölle. Doch was sich meiner Erinnerung eingebrannt hat, ist ein Blick, der Blick eines Mannes, der unter seinem zerrissenen gestreiften Häftlingsanzug und der gestreiften Mütze nur noch Haut und Knochen war. Ein Blick, aus dem die nackte Angst sprach, schwach aufflackernde Wut und ein unmerklicher Hauch von Hoffnung. Die bei der Befreiung der Lager entstandenen Aufnahmen waren oft die letzten jener Frauen und Männer, die bis zu diesem Zeitpunkt durchgehalten hatten, aber gleich danach zu Tausenden starben, weil ihr Organismus am Ende war oder nicht mehr in der Lage, wieder Nahrung zu sich zu nehmen.

Deutsch zu beherrschen – eine Sprache, die ich in einer Familie von Germanisten bereits im Alter von fünf oder sechs lernte –, bedeutete, sich früher oder später, frei- oder unfreiwillig mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Da waren die Bücher in der Bibliothek – Mein Kampf zählte nicht dazu – oder die Spiegel-Ausgaben, die sich auf einem Wohnzimmerstuhl meiner Eltern stapelten und in den 1970er-Jahren regelmäßig mit historischen Titelfotos aufwarteten, die mit einem Adler bekrönte schwarze Mützen zeigten: der Führer mit seinen Getreuen bei der letzten Lagebesprechung; ein Hakenkreuz vor dem überdimensionalen Kürzel NPD; Hitler als Säugling nebst einer Analyse seines Stammbaums; ein Hakenkreuz, das über der Landkarte der Tschechoslowakei neben Hammer und Sichel erschien; Willy Brandts Kniefall am Ehrenmal für die Helden des Warschauer Ghettos im Dezember 1970.[2] Auch wenn diese Bilder in mir damals kaum mehr als eine Frage aufwarfen, auch wenn mich die ersten freizügigeren Spiegel-Titel der 1970er-Jahre stärker beeindruckten,[3] kann ich sie heute doch nicht wieder anschauen, ohne ein Stück des zurückgelegten Weges umgekehrt zu gehen: Man konnte Deutschland nicht beobachten, ohne auch das zu beobachten. Auch oder vor allem das? So lautete die zentrale Frage.

In Wirklichkeit war der Weg schon vorgezeichnet, und jeder einzelne Schritt meines beruflichen Werdegangs war nur eine weitere Bestätigung.

Mein erster richtiger Kontakt zum Übersetzen kam über einen bedeutenden Maler und Zeichner zustande, eine Ikone der Vornazizeit, die noch vor der Machtergreifung Hitlers und seiner Clique geflohen war: George Grosz, ein Künstler mit spitzer Feder und ätzendem Blick, ein überzeugter Verächter alles Bürgerlichen und Antimilitarist. Er hatte rasch begriffen, wes Geistes Kind die Nazis waren, und Deutschland 1932 gegen New York eingetauscht, wo seine malende Wut allmählich erlosch. Er hatte jedoch ein starkes, verstörendes Werk hinterlassen, das mit seinen Monokel tragenden Gestalten, seinen Szenen der Gewalt und dem in den Augen seiner Figuren lodernden Hass nicht nur die Kriegshetze und das reine Gewissen der deutschen Bourgeoisie anprangerte, sondern gleichzeitig schon das nationalsozialistische Grauen vorwegnahm.

Die nächste Etappe führte mich nach Hamburg und stürzte mich buchstäblich in die Flammen der Hölle. Jean-Etienne Cohen-Séat, damals Verleger bei Hachette livre, hatte mir meine erste »große« Übersetzung anvertraut: Die Bertinis von Ralph Giordano, die Geschichte einer jüdischen Familie – der des Autors –, die in einem Hamburger Keller den Krieg überlebt hatte und erst dann wieder daraus hervorkam, als die Engländer die Stadt in ein Flammenmeer verwandelt hatten. Nach ihrer Befreiung hatten sie ein irrwitziges Freudengeheul ausgestoßen, gleichzeitig aber entdecken müssen, dass nach dem endlosen Aufenthalt in der Finsternis Zombies aus ihnen geworden waren.

Noch heute bin ich außerstande zu sagen, in welchem Zustand man aus einer Übersetzung wie dieser hervorgeht. Ja, hatte ich mir die Frage überhaupt gestellt? Ich hatte nachts daran gesessen, während meines Wehrdienstes. Sie ermöglichte mir, in intellektueller wie materieller Hinsicht zu überleben, aber ich hatte bei den äußerst brutalen Szenen, die Giordano akribisch beschrieb, nicht so eingehend in die Tiefe gehen können, wie ich es gewollt hätte – das extreme Zusammengepferchtsein, die ständige Angst, entdeckt zu werden, der unbändige Überlebenswille. Drei Bilder stellten sich seither immer wieder ein: das glühende Licht, das auf dieser der Vorhölle entkommenen Familie lag; das Glücksgeschrei, das durch die zur Feuersglut gewordene Stadt hallte; und die Haare der etwa vierzigjährigen Mutter, die weiß geworden waren wie die einer Todgeweihten. Etwas später sollte mir Ralph Giordano wiederbegegnen: Als Autor des provokativen Buchs Die zweite Schuld (1987) reihte er sich in die kontroversen Debatten ein, die in Deutschland zur Nazivergangenheit ausbrachen, angefangen bei Ernst Noltes Der europäische Bürgerkrieg (1987), das den sogenannten Historikerstreit einläutete, bis hin zu Günter Grass’ Ein weites Feld (1995) und den diversen Skandalen, die sein turbulenter Verfasser nach der Wiedervereinigung auslöste.

Autor