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Heart of Texas - Die Hoffnung so groß

hier erhältlich:

Willkommen in Promise, dem Herzen von Texas

Von Los Angeles ins texanische Hügelland. Direkt nach dem Ende ihres Studiums hat Jane den Job im ruhigen Promise angenommen. Nur drei Jahre muss sie durchhalten, dann kann sie ihren Studienkredit zurückzahlen. Doch wie soll sie das schaffen, wenn sie keinerlei Anschluss findet? Die Begegnung mit dem gutaussehenden, aber äußerst abweisenden Rancher Cal Patterson gibt ihr nicht gerade Zuversicht. Andererseits hat sie das Gefühl, dass mehr hinter seiner Verschlossenheit steckt, und es reizt sie, sein Geheimnis zu ergründen ...


  • Erscheinungstag: 28.06.2022
  • Aus der Serie: Heart Of Texas
  • Bandnummer: 4
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745702941
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Texas sei der einzige Staat, in dem es noch Platz für Träume gebe. Das hatte man Dr. Jane Dickinson gesagt, als sie sich zu diesem Job verpflichtet hatte. Doch wer immer so etwas behauptet hatte, war offenbar nie in Promise gewesen.

Es war ihr als perfekte Lösung erschienen, ihr Studiendarlehen mit einer dreijährigen Tätigkeit als Ärztin im texanischen Hügelland abzugelten. Schon kurz nach ihrem Umzug von Kalifornien hierher hatte sich Ernüchterung eingestellt. In Texas gab es riesige Insekten, und vor Insekten aller Art hatte sie schon immer Angst gehabt. Noch schlimmer war allerdings die Tatsache, dass sie hier keinen Anschluss fand. Die Leute waren zwar höflich zu ihr, doch sie akzeptierten sie nicht. Sie kamen nur dann zu ihr in die Praxis, wenn sie absolut nicht mehr weiterwussten, und beklagten sich dann, dass sie nicht Dr. Cummings war. Der Umstand, dass sie ihr Medizinstudium gerade erst beendet hatte und fast fünfzig Jahre jünger war als ihr Vorgänger, machte es ihr nicht gerade leichter.

Aber obwohl sie sich einsam fühlte und oft nichts mit sich anzufangen wusste, hatte Jane den Eindruck, dass sich die Dinge langsam zum Positiven wendeten. Immerhin hatte sie sich mit Lydia Boyd angefreundet. Lydia war Ende fünfzig und besaß ein Antiquitätengeschäft mit einer Teestube, dem Victorian Tea Room. Seit sie Lydia eines Morgens angesprochen hatte, ging es Jane wesentlich besser.

Gerade hatte ihr letzter Patient die Praxis verlassen, und Jenny Bender, ihre Sprechstundenhilfe, war bereits im Feierabend. Jane lehnte sich in ihrem Schreibtischsessel zurück. Sie hatte einen arbeitsreichen Tag hinter sich. Das war ein gutes Zeichen, denn es bedeutete, dass mittlerweile mehr Leute Vertrauen in ihre Fähigkeiten hatten.

Elaine Patterson würde diese Woche aus den Flitterwochen zurückkehren. Sie führte ebenfalls ein Geschäft, und Jane hatte sie durch Lydia kennengelernt. Nun hoffte sie, dass sich auch zwischen ihnen eine Freundschaft entwickeln würde.

Ein Geräusch im Vorzimmer riss sie aus ihren Gedanken, und sie stand auf, um nachzusehen, was es war.

»Ist da jemand?«, fragte sie beim Verlassen des Sprechzimmers.

Nichts.

»Hallo?«, versuchte sie es noch einmal.

»Dr. Jane?«, erklang eine Kinderstimme aus dem Wartezimmer.

Als Jane den Raum betrat, stand sie der sechsjährigen Maggie Daniels gegenüber, die offenbar gerade hereingekommen war. »Oh, hallo, Maggie.«

Die Kleine senkte den Kopf, und dabei fielen ihre Zöpfe nach vorn. »Hallo.«

Maggies Mutter war die Leiterin der Post in Promise, die neben der Arztpraxis lag. Jane unterhielt sich gern mit ihr und hatte vor einigen Tagen erfahren, dass Caroline und Grady Weston, ein Rancher aus dem Ort, sich verlobt hatten.

»Wo ist deine Mutter?«, fragte sie Maggie.

»Sie arbeitet.« Das Mädchen hatte den Kopf noch immer gesenkt und hielt sich den Bauch.

Jane kniete sich vor sie. »Geht es dir gut?«

Die Kleine schüttelte den Kopf.

»Wo tut’s denn weh?«

»Ich hab Bauchschmerzen.«

Jane legte ihr die Hand auf die Stirn, doch offenbar hatte Maggie kein Fieber. »Weiß deine Mommy, dass du hier bist?«

Alarmiert sah Maggie sie an. »Nein! Bitte sagen Sie es ihr nicht, ja?«

»Aber sie macht sich vielleicht Sorgen.«

»Ich sollte so lange spielen, bis sie fertig ist. Mrs. Murphy musste mich heute eher hier absetzen, weil sie einen Zahnarzttermin hatte.«

Jane nahm an, dass Mrs. Murphy nachmittags auf Maggie aufpasste.

»Hast du Probleme in der Schule?«, fragte sie die Kleine. Dass ihre Mutter nicht erfahren sollte, wo Maggie war, machte sie stutzig. Vielleicht hatte Maggie Ärger mit einem ihrer Lehrer, oder die Verlobung ihrer Mutter hatte sie aufgewühlt.

»Ich geh gern zur Schule.« Maggies Miene hellte sich auf. »Ich bin in der ersten Klasse.«

»Aber du fühlst dich nicht gut, stimmt’s?«

Maggie nickte. »Mein Bauch tut weh.«

»Okay, dann sollten wir uns das mal ansehen.« Jane streckte die Hand aus, und Maggie ergriff sie.

»Aber Sie sagen es nicht Mommy, ja?«

»Nicht, wenn du es nicht willst.« Jane fragte sich, ob es klug war, ihr das zu versprechen. Doch wenn sie es nicht getan hätte, wäre Maggie wahrscheinlich weggelaufen.

Sie führte sie ins Sprechzimmer und hob sie auf die Untersuchungsliege.

»Nimm deinen Rucksack ab, dann höre ich deinen Bauch ab«, wies sie das Mädchen an und griff zu ihrem Stethoskop.

Langsam und widerstrebend gehorchte Maggie, doch als Jane den Rucksack von der Liege heben wollte, griff Maggie danach und hielt ihn fest.

»Ist etwas Wichtiges darin?«, erkundigte sich Jane beiläufig.

Maggie nickte. Dann öffnete sie zögerlich den Reißverschluss. Dabei hielt sie zweimal inne und blickte Jane an.

Jane sagte nichts und wartete. Offenbar hatte die Kleine beschlossen, ihr zu vertrauen, denn sobald sie den Rucksack geöffnet hatte, zog sie eine alte, schäbige Puppe heraus. Es musste sich entweder um eine echte Antiquität handeln oder um ein Replik. Auf jeden Fall hatte die Puppe schon bessere Zeiten gesehen. Die ehemals roten Lippen in ihrem aufgestickten Gesicht waren nur noch blassrosa. Das vergilbte Musselinkleid musste einmal weiß gewesen sein, und die Schürze war ausgefranst. Trotz ihres Zustands hatte die Puppe etwas Besonderes an sich.

»Können Sie sie für mich aufbewahren?«, fragte Maggie angespannt und hielt ihr die Puppe entgegen.

»Das geht nicht«, entgegnete Jane vorsichtig.

»Bitte …« Maggies dunkle Augen füllten sich mit Tränen. »Ich hab sie mitgenommen …« Wieder hielt sie sich den Bauch. »Es tut mir leid, dass ich sie einfach eingesteckt habe …« Ihre Lippen bebten, doch sie riss sich zusammen.

»Kannst du sie nicht demjenigen zurückgeben, dem sie gehört?«, fragte Jane.

Energisch schüttelte Maggie den Kopf.

Jane zog die Stirn kraus und betrachtete das Mädchen eingehend. »Du möchtest also unbedingt, dass ich sie für dich aufbewahre.«

Die Kleine nickte.

Wieder vertraute Jane ihrem Instinkt, der ihr sagte, dass sie Maggie zu nichts drängen durfte. Offenbar bedauerte sie es, die Puppe mitgenommen zu haben, und wusste nicht, wie sie sich jetzt verhalten sollte.

»Also gut, ich mach’s.« Jane beschloss, die Puppe in ihr Sprechzimmer zu setzen, in der Hoffnung, dass der rechtmäßige Besitzer sie dort früher oder später entdecken würde. »Ich verspreche dir, gut auf sie aufzupassen«, fügte sie ernst hinzu und half Maggie von der Liege herunter. »Komm, lass uns ein neues Zuhause für deine Puppe finden.«

Später würde sie sich etwas im Ort umhören. Möglicherweise wusste Lydia ja etwas über die Puppe, da sie ein Antiquitätengeschäft besaß. Allerdings schien ihre Freundin zurzeit andere Probleme zu haben. Vermutlich hatte es etwas mit Frank Hennessey, dem Sheriff von Promise, zu tun, mit dem sie seit Langem liiert war. Offenbar hatten die beiden sich gestritten und trafen sich momentan nicht mehr.

Maggie umfasste Janes Hand, als sie mit ihr in das kleine Sprechzimmer ging, das einmal Dr. Cummings gehört hatte. Vorsichtig setzte sie die Puppe in das Bücherregal, das man auch vom Flur aus sehen konnte.

»Okay«, sagte sie dann und trat einen Schritt zurück. »Was meinst du?«

Maggie lächelte und seufzte. »Mein Bauch tut nicht mehr weh.«

»Das ist toll.« Eine Wunderheilung, dachte Jane. Anscheinend war sie eine bessere Ärztin, als sie angenommen hatte. »Du kannst deine Freundin jederzeit besuchen.«

Maggie schüttelte den Kopf und wirbelte dann herum. »Mommy wartet auf mich.« Sie lief in den Untersuchungsraum, schnappte sich ihren Rucksack und rannte ins Wartezimmer. Dort blieb sie noch einmal stehen und drehte sich um. »Danke, Dr. Jane.«

»Gern geschehen«, erwiderte Jane lächelnd.

Daraufhin verschwand Maggie durch die Tür.

Wenn ich mit meinen anderen Patienten doch auch so gut zurechtkommen würde, ging es Jane durch den Kopf.

***

Traurig lief Lydia in ihrem Gemüsegarten von Tomatenstaude zu Tomatenstaude und pflückte die reifen Früchte. Ihr einziger Trost war, dass es Frank wahrscheinlich noch schlechter ging als ihr. Zehn Jahre lang waren sie ein Paar gewesen, und während dieser Zeit hatte sie oft das Thema Ehe angesprochen. Frank hatte sein ganzes Leben als Junggeselle verbracht. Da sie verstehen konnte, dass eine Heirat eine große Veränderung für ihn bedeuten würde, war sie geduldig gewesen. Nein, ich bin dumm gewesen, entschied sie. Obwohl sie Frank liebte, hatte ihre Situation sie nie glücklich gemacht. Das wusste er, und wahrscheinlich hatte er ihr deswegen leere Versprechungen aufgetischt. Als sie ihn nach Elaine Frasiers und Glen Pattersons Hochzeit darauf festgenagelt hatte, hatte er schließlich zugegeben, dass er nicht für die Ehe gemacht war und sie daher nicht heiraten konnte.

So schmerzlich sein Geständnis auch für sie gewesen war, es hatte ihr zu einer wichtigen Einsicht verholfen: Entweder akzeptierte sie Frank so, wie er war, und gab sich mit ihrer Beziehung zufrieden, oder sie musste sich von ihm trennen. Letzteres hatte sie schließlich auch getan. Es war ihr nicht leichtgefallen. Er fehlte ihr. Sie vermisste ihre gemeinsamen Unterhaltungen am Nachmittag, die romantischen Abendessen auf der Veranda und die Nächte mit ihm. Fast neun Jahre lang hatte er zweimal in der Woche bei ihr übernachtet.

Mit ihrem ersten Mann Marvin war sie sechsundzwanzig Jahre glücklich verheiratet gewesen, doch leider hatten sie keine Kinder bekommen. Sie hatte Marvin sehr geliebt und stark um ihn getrauert, als er gestorben war.

Das war vor dreizehn Jahren gewesen. Damals war sie jung genug gewesen, um sich einen neuen Partner zu wünschen – und sie war es immer noch! Frank hatte sie zwei Jahre umworben, bevor sie ein Paar geworden waren. Schon damals war sie fest davon überzeugt gewesen, dass er sie eines Tages heiraten würde. Wie sehr hatte sie sich geirrt …

In diesem Jahr würde sie Frank Hennessey keine grünen Tomaten braten. Der Gedanke machte Lydia traurig und erinnerte sie daran, dass sie einen wichtigen Menschen in ihrem Leben verloren hatte. Doch diese Entscheidung war notwendig gewesen.

In diesem Moment bog Franks Streifenwagen um die Ecke, und ihr Herz klopfte sofort schneller. Sie tat jedoch so, als würde sie ihn nicht sehen.

»Hallo, Lydia!«, rief Frank.

Nun blickte sie in seine Richtung. Er hatte angehalten und das Fenster heruntergelassen.

»Wie geht es dir?«, fragte er in dem verführerischen Ton, den er immer anschlug, wenn er ihr zu verstehen geben wollte, wie sehr er sie liebte.

Langsam drehte sie sich zu ihm um. »Sehr gut, danke der Nachfrage«, erwiderte sie und pflückte dann weiter. Als sie hörte, wie er unmittelbar darauf die Wagentür zuschlug, musste sie sich beherrschen, um ihn nicht anzusehen. Obwohl er kurz vor der Pensionierung stand, war er immer noch ein sehr attraktiver Mann.

»In diesem Jahr hast du ja viele Tomaten«, bemerkte er von der anderen Seite des Zaunes her.

»Ja, sieht ganz so aus«, bestätigte sie nach einer Weile. Ihr war klar, dass er versuchte, sie umzustimmen.

»Wie ist es dir so ergangen?«, hakte er nach.

»Sehr gut«, log sie.

»Das kann ich von mir leider nicht behaupten. Du fehlst mir, Lydia.«

Er fehlte ihr auch, doch das würde sie nicht zugeben. Obwohl sie ihn liebte, konnte sie nicht so weitermachen wie vorher, denn sie hatte sich ihr Leben anders vorgestellt. Sie sehnte sich nach Sicherheit und Geborgenheit, danach, dass er sich für immer bedingungslos zu ihr bekannte.

»Du fehlst mir, Schatz«, wiederholte Frank leise.

»Dann heirate mich.«

Er kniff die Augen zusammen. »Das haben wir schon x-mal durchexerziert, Lydia. Du weißt, was ich für dich empfinde. Wenn ich je heiraten würde, dann dich, aber ich kann es nicht.«

Seine Worte verletzten sie, doch sie war froh, dass er es aussprach, denn das führte ihr vor Augen, dass sich zwischen ihnen nie etwas ändern würde.

»Ich liebe dich, Lydia, und ich versuche wirklich, zu begreifen, warum zwischen uns plötzlich alles anders ist – und das nur, weil ich dir die Wahrheit gesagt habe. All das wäre nicht passiert, wenn ich nicht zugegeben hätte, dass ich dich nicht heiraten kann.«

Lydia nahm den Korb in die andere Hand. »Wir haben bereits alles gesagt.«

»Lass mich dir helfen. Der Korb ist viel zu schwer für dich.«

Er ging zur Pforte, doch ehe er sie erreicht hatte, hielt Lydia ihn auf. »Ich komme schon zurecht.«

Flehend sah er sie an. »Lydia, bitte.«

Sie merkte bereits, wie sie schwach wurde, und zwang sich, stark zu bleiben. Es waren nicht einmal zwei Wochen vergangen. Früher oder später würde Frank es begreifen. Das hier war weder ein Spiel noch ein Ultimatum, und sie versuchte auch nicht, ihn zu manipulieren. Sie hatten einfach zu unterschiedliche Auffassungen.

»Ich muss jetzt wieder reingehen. Es war schön, dich wiederzusehen, Frank. Hoffentlich hast du einen schönen Abend.« Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging sie zum Haus.

Nachdem sie den Korb in der Küche abgestellt hatte, griff sie zum Telefon und wählte die Nummer ihrer besten Freundin.

Mary Patterson führte zusammen mit ihrem Mann Phil das Bed and Breakfast im Ort. Sie waren schon seit Jahren mit Lydia befreundet, und Mary war die Einzige, die genau über die Sache mit Frank Bescheid wusste.

»Frank war gerade hier«, verkündete Lydia, sobald Mary sich gemeldet hatte, und verstärkte den Griff um den Hörer. Ihre Knie fühlten sich weich und zittrig an.

»Was hat er gesagt?«

»Dass er mich vermisst und sich wünscht, es würde wieder so sein wie vorher.«

»Und du hast dich geweigert, ihm zuzuhören, stimmt’s?«

»Stimmt.«

»Sehr gut!«, lobte Mary sie.

»Er meinte, es würde ihm nicht gut gehen«, erklärte Lydia.

»Das geschieht ihm recht!«

»Mir geht es auch nicht gut.«

»O Lydia«, tröstete Mary sie mitfühlend. »Ich weiß, wie schwer es für dich ist. Aber Frank hat dich all die Jahre hingehalten, und dann hat er plötzlich erklärt, er könnte dich nicht heiraten. Du hast eine Menge guter Gründe, wütend auf ihn zu sein.«

»Ich weiß. Ich fühle mich nur so einsam«, gestand Lydia. »In gewisser Weise geht es mir genauso wie nach Marvins Tod.«

»Es ist ja auch ein Tod«, stimmte Mary ihr zu. »Der Tod einer Beziehung.«

Lydia musste ihrer Freundin recht geben. Sie hatte ihren Mann beerdigt und ihn und ihr gemeinsames Leben zur Ruhe betten können. Sie hatte sich die Zeit zum Trauern genommen, die sie brauchte, und als es ihr etwas besser ging, das Antiquitätengeschäft eröffnet. Es hatte ihr geholfen, das erste Jahr durchzustehen. Was sie jetzt brauchte, war eine neue Ablenkung.

»Ich spiele mit dem Gedanken zu verreisen«, verkündete sie.

»Verreisen?«, wiederholte Mary überrascht. »Wohin?«

»Ich weiß nicht … vielleicht nach Europa. Ich habe in den letzten Jahren eine ganze Liste vielversprechender Antiquitätenmärkte erstellt. Ich könnte eine Einkaufsreise machen.« Die Idee gefiel Lydia immer mehr. Es würde nicht nur ihre erste Auslandsreise sein, sondern sie würde die Kosten auch von der Steuer absetzen können.

»Wann?«, fragte Mary.

»Ich … ich bin mir noch nicht sicher, aber ich werde gleich morgen früh mit Gayla Perkins von Adventure Travel sprechen.«

»Lydia …« Zum ersten Mal zögerte Mary. »Das ist ziemlich gewagt.«

»Ich brauche unbedingt Abwechslung«, erklärte Lydia. »Sonst werde ich womöglich noch schwach.«

»Willst du allein reisen?«

»Mir bleibt wohl nichts anderes übrig.«

»Dann mach eine Kreuzfahrt«, riet Mary.

»Eine Kreuzfahrt? Ich weiß nicht …«

»Vielleicht lernst du jemanden kennen.« Nun klang ihre Freundin richtig begeistert. »Es gibt auch kurze Kreuzfahrten, die nur drei oder vier Tage dauern. Und soweit ich weiß, nehmen viele alleinstehende Männer daran teil.«

Dabei wollte Lydia überhaupt keinen Mann kennenlernen.

»Vor Kurzem habe ich etwas über Kreuzfahrten speziell für Singles gelesen«, fuhr Mary fort. »Das wäre doch ideal.«

»O Mary, ich weiß nicht …«

»Was weißt du nicht? Du willst doch verreisen. Also tu es im großen Stil.«

»Eine Kreuzfahrt«, wiederholte Lydia langsam.

»Keine normale Kreuzfahrt, sondern eine für Singles. Kannst du dir vorstellen, wie Frank zumute sein wird, wenn er davon erfährt?«

Ein dutzendmal am Tag musste Lydia sich ins Gedächtnis rufen, dass Frank und sie kein Paar mehr waren. Sie lebte jetzt ihr eigenes Leben. Ja, eine Kreuzfahrt für Singles war vielleicht genau das Richtige für sie.

»Also gut, ich tu’s«, erwiderte sie. »Gleich morgen früh rufe ich bei Adventure Travel an.«

»Du wirst es nicht bereuen«, versicherte ihre Freundin.

Lydia hatte das untrügliche Gefühl, dass Mary recht hatte.

***

Der Wecker klingelte zur gewohnten Zeit, und Cal Patterson stand auf und streckte sich gähnend. Als er auf dem Weg zum Badezimmer am Spiegel vorbeikam, blieb er kurz stehen, um sich zu betrachten. Normalerweise tat er das nicht. Wahrscheinlich hing es damit zusammen, dass sein Bruder und Elaine geheiratet hatten.

Seit die beiden in die Flitterwochen gefahren waren, hing er oft seinen Gedanken nach, und ihm war klar geworden, dass er Glen vermisste.

Selbst jetzt fiel es ihm schwer zu glauben, dass Glen verheiratet war. Sie waren nicht nur Brüder, sondern führten auch gemeinsam die Lonesome Coyote Ranch. Sie waren beide hier geboren, und Cal würde auch hier sterben. Die Ranch war sein Leben.

Genau wie er war Glen mit Leib und Seele Rancher. Ihre Vorfahren hatten sich vor hundertfünfzig Jahren in Texas niedergelassen, und seitdem hatte eine Generation nach der anderen Viehwirtschaft betrieben. Vermutlich würde Glen zu gegebener Zeit eine eigene Ranch kaufen, die näher an Promise lag.

Cal hatte sich gerade angezogen, als er hörte, wie unten eine Tür geschlossen wurde.

»Sag nicht, dass du noch schläfst«, erklang eine vertraute Stimme. »Was für ein Laden ist das hier eigentlich?«

Glen? Sein Bruder sollte doch in den Flitterwochen sein! Cal lief nach unten. »Was machst du denn hier?«, rief er.

Als er die letzte Treppenstufe erreichte, stand Glen ihm gegenüber. Obwohl die Hochzeit noch nicht einmal zwei Wochen zurücklag, kam es ihm vor, als wären seitdem Jahre vergangen. Sie fielen einander in die Arme.

Schließlich löste Cal sich von seinem Bruder und ging in die Küche, um Kaffee aufzusetzen. »Wie war’s am Golf von Mexiko?«

»Toll«, erwiderte Glen. »Allerdings sind Elaine und ich kaum vor die Tür gekommen.«

Das hatte Cal nicht anders erwartet. »Ich dachte, ihr kommt erst in einigen Tagen zurück.«

»Das war auch so geplant, aber du kennst ja Elaine. Sie hat sich Sorgen um das Geschäft gemacht.«

»Und du hast dir Sorgen um die Ranch gemacht.«

Glen fuhr sich übers Kinn. »Sorgen nicht direkt.«

Sie lachten beide, und Cal nahm zwei Becher aus dem Schrank. »Und, ist die Ehe das, was du dir erhofft hast?«

»Mehr als das«, sagte Glen sehnsüchtig. »Erst in dieser Woche ist mir klar geworden, wie sehr ich Elaine liebe. Ich glaube, ich bin der glücklichste Mann der Welt. Vielleicht wagst du den Schritt eines Tages ja auch.«

Cal antwortete nicht darauf, sondern schenkte ihnen schweigend Kaffee ein. Dann reichte er Glen einen Becher. »Elaine ist etwas Besonderes.«

Nachdem sie sich vierzig Minuten übers Geschäft unterhalten hatten, gingen sie gemeinsam zum Stall, um mit der Arbeit zu beginnen.

Am Nachmittag schien es Cal, als wäre Glen überhaupt nicht weg gewesen. Sie arbeiteten nun schon so lange zusammen, dass sie sich auch ohne Worte verstanden. Sobald sie mit dem Entlausen der Kälber fertig waren, ging Glen zu seinem Lieblingswallach Moonshine. Nachdem er ihn gestriegelt hatte, wusch er sich die Hände und das Gesicht. »Bis morgen«, meinte er auf dem Weg nach draußen.

Cal lächelte in sich hinein, als er ihm zum Abschied zuwinkte. Obwohl Glen schon vor der Hochzeit den größten Teil seiner Freizeit mit Elaine verbracht hatte, war sie oft auf der Ranch gewesen, und er war in den Genuss ihrer Kochkünste gekommen. Sie hatte sich von Lydia zeigen lassen, wie man solide Hausmannskost zubereitete. Ihm war es nur recht, wenn sie die Rezepte an ihm ausprobierte, zumal er selbst kein besonders guter Koch war.

»Verdammt, das hätte ich beinah vergessen!«, rief Glen, als er schon fast zur Tür hinaus war. »Ich soll dich von Elaine fragen, ob du am Freitagabend etwas vorhast.«

»Nein, nichts Besonderes. Falls sie mich zum Essen einladen will, nehme ich gern an.«

Glen wirkte überrascht. »Bist du sicher?«

»Warum sollte ich nicht sicher sein?«

»Na ja …« Sein Bruder grinste und schüttelte den Kopf. »Schon gut. Ich sage Elaine, dass sie am Freitagabend mit dir rechnen kann.«

»Tu das.«

Cal begleitete ihn nach draußen und blickte ihm nach, als er in einer Staubwolke davonfuhr. Nicht zum ersten Mal in den vergangenen beiden Wochen fragte er sich, wie sein Leben aussehen würde, wenn er Jennifer Healy geheiratet hätte.

Vor etwas über zwei Jahren war er mit ihr verlobt gewesen. Doch weniger als achtundvierzig Stunden vor der Hochzeit hatte Jennifer es sich anders überlegt und Hals über Kopf die Stadt verlassen, ohne jede Erklärung.

Er wusste, warum sie es getan hatte. Er hatte einfach nicht ihren Vorstellungen entsprochen.

Er hatte sie geliebt – oder es zumindest geglaubt. Aber sie hatte offenbar angenommen, ihn nach der Hochzeit dazu überreden zu können, seinen Anteil an der Ranch Glen zu verkaufen und mit ihr nach San Antonio oder Houston zu ziehen. Selbst jetzt konnte er sich nicht vorstellen, in einer Großstadt zu leben. Ihm war unbegreiflich, warum sie nicht verstanden hatte, dass das Stadtleben ihn umgebracht hätte. Er war durch und durch ein Landmensch.

Als er sich kategorisch geweigert hatte, auf ihre Forderungen einzugehen, hatte Jennifer ihn abserviert und es ihm überlassen, die Hochzeit in letzter Minute abzusagen. Und dennoch hatte er das Gefühl, dass sie vielleicht bei ihm geblieben wäre, wenn er sie darum gebeten hätte.

Doch er hatte sie nicht gefragt, hatte nicht daran geglaubt, dass es sich lohnte, für ihre Beziehung zu kämpfen. Ihr Wunsch, Promise zu verlassen, wäre immer ein Thema gewesen, und sie hätten ständig darüber gestritten. Also hatte er Jennifer gehen lassen.

Danach hatte sich seine Einstellung Frauen gegenüber geändert. Glen und auch andere hatten versucht, ihn davon zu überzeugen, dass nicht alle Frauen so wie Jennifer waren. In seinem tiefsten Inneren glaubte Cal das ebenfalls, aber er wollte nie wieder einer Frau so viel Macht über ihn zugestehen. Er hatte seine Lektion gelernt.

Seine Schwägerin bildete da zugegebenermaßen eine Ausnahme. Er hatte Elaine immer gemocht und war stolz darauf, dass er lange vor Glen und ihr gemerkt hatte, was sein Bruder und sie füreinander empfanden.

Allerdings war Elaine ziemlich idealistisch, denn sie glaubte an die Macht der Liebe – im Gegensatz zu ihm.

Er würde niemals heiraten. Er war sechsunddreißig und in seinen Gewohnheiten festgefahren. In seinem Leben war überhaupt kein Platz für eine Beziehung, dafür hatte er gesorgt. Wann immer er versucht war, sich doch auf jemanden einzulassen, passierte etwas, das ihn daran erinnerte, dass man Frauen nicht trauen konnte.

Neunundneunzig Prozent aller Frauen würden sich irgendwann immer gegen ihren Mann wenden. Das hatte er selbst erlebt. Na ja, vielleicht nicht in Promise – zumindest nicht oft. Tatsächlich fielen ihm einige Gegenbeispiele ein. Glen natürlich. Seine Eltern. Savannah Weston und Laredo Smith. Und nun war sein bester Freund, Grady Weston, mit Caroline Daniels verlobt, und auch die beiden würden sicher glücklich werden. Trotzdem war Cal nach wie vor davon überzeugt, dass er recht hatte.

Texanische Männer neigten nicht dazu, sich bei anderen auszuheulen. Sie ertränkten ihre Sorgen vielmehr im Alkohol. Und wenn ein Mann Probleme hatte, ging es in neun von zehn Fällen um eine Frau.

Cal kehrte zum Haus zurück, um sich etwas Leichtes zum Abendessen zu machen und anschließend die Büroarbeit zu erledigen. Am Freitag würde er wieder in den Genuss von Elaines Kochkünsten kommen.

Er blieb abrupt stehen, als er sich daran erinnerte, wie Glen gegrinst hatte, als er die Einladung angenommen hatte.

Plötzlich ging ihm ein Licht auf. Elaine hatte ihn zwar eingeladen, aber es war nicht die Rede davon gewesen, dass sie kochen wollte. Sie hatte vor, ihn mit einer ihrer Freundinnen zu verkuppeln.

Eher fror die Hölle zu, als dass er sich das gefallen ließ.

2. KAPITEL

Jane war verblüfft – und aufgeregt. Obwohl Elaine erst vor zwei Tagen aus den Flitterwochen zurückgekehrt war, hatte sie es sich nicht nehmen lassen, in ihrer Praxis vorbeizuschauen. Da Jane noch etwas Zeit bis zu ihrem nächsten Termin hatte, plauderte sie einen Moment mit ihr. Schließlich verkündete Elaine, dass sie am Freitagabend mit Glen und ihr essen gehen wolle.

»Aber …«

»Sie haben keine andere Wahl«, meinte Elaine lächelnd. »Sie brauchen eine Einführung in die texanischen Sitten.«

»Also gut, ich komme«, erwiderte Jane nach kurzem Zögern. Schließlich hatte sie Elaine um Hilfe gebeten.

»Seien Sie am Freitagabend um sieben im Chili Pepper«, wies Elaine sie beim Hinausgehen an.

Nachdem Jane den Termin in ihren Kalender eingetragen hatte, lehnte sie sich mit einem triumphierenden Lächeln in ihrem Schreibtischsessel zurück. Nach sechs Monaten in Promise machte sie nun endlich Fortschritte. Zum ersten Mal würde sie mit Leuten in ihrem Alter ausgehen, und darauf freute sie sich.

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