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Harte Hunde

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Bayerwald, oh Bayerwald, es zieht hier oft ein Lufthauch kalt …

Endlich mal raus aus der Großstadt und eine ruhige Kugel schieben. Das denken sich Dosi und Zankl von der Münchner Mordkommission. Sie nehmen an einem polizeilichen Austauschprogramm teil und finden sich in der tiefen Provinz wieder. In Grafenberg im Bayerischen Wald geht es allerdings nicht wirklich gemütlich zu. Die beiden reichsten Bauern der Gegend werden erschossen auf einer Waldlichtung gefunden, heimische Neonazis treiben ihr Unwesen und ein tschechischer Großunternehmer plant einen monströsen Erlebnispark und geht dafür über Leichen. Gut, dass Dosi und Zankl auf ortskundige Unterstützung durch den lokalen Polizisten Stefan Brandner zählen können, der nebenbei eine Disco betreibt und Sänger einer HipHop-Metalband ist. Und dann sind da noch die Eventbestatter von der Trauerhilfe Miller, die es ebenfalls in den Bayerwald verschlägt. Die Gegend hat es in sich. Von wegen: Über alle Gipfeln ist Ruh ...


  • Erscheinungstag: 21.05.2024
  • Aus der Serie: Chefinspektor Mader, Hummel & Co.
  • Bandnummer: 5
  • Seitenanzahl: 222
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749907663
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für KDG

Harte Hunde ist nach Isartod, Die schöne Münchnerin, Heiligenblut und Letzte Halbzeit der fünfte Kriminalroman mit dem Münchner Ermittlerteam um Kriminalrat Karl-Maria Mader und seinen Dackel Bajazzo. Wobei in diesem Band Mader gar nicht dabei ist. Hummel auch nur ganz am Rande beziehungsweise am Ende. Und die Handlung spielt auch nicht in München, sondern in der bayerischen Provinz. Dort nehmen Dosi und Zankl an einem Austauschprogramm der bayerischen Polizei teil und machen intensive Bekanntschaft mit der dortigen Polizei und den rauen Sitten des Bayerwalds.

Doris »Dosi« Roßmeier, die niederbayerische Seele der Münchner Mordkommission, ist diesmal fast in ihrer Heimatregion unterwegs.

Frank Zankl ist froh dem Familientrubel in München zu entkommen und verzichtet bei diesem Außeneinsatz mal ganz auf die sonst so typische Reibung mit seiner Kollegin Dosi.

Stefan Brandner ist nicht nur Dorfcop im Bayerischen Wald, sondern auch Diskothekenbesitzer und Sänger in einer HipHop-Metalband. Ein bisschen runtergerockt, aber immer noch eine vielschichtige Persönlichkeit.

Andi und Diego von der Trauerhilfe Miller verschlägt es diesmal ebenfalls in die Provinz – ein wahres Eldorado für Eventbestattungen aller Art.

Bayerwald, oh Bayerwald

Es zieht hier oft ein Lufthauch kalt

Über Berge, Felder, Wiesen

Eternit und Resopal

sind Standard, ganz normal

im Wirtshaus und im Straßenbild

auf der Bundesstraße röhrt es wild

Wet-T-Shirt-Party – Großraumdisko

versus prachtvoll Deckenfresko

Heilige in Gold-Barock

Landkreisbeauty – Minirock

Bayerwald, oh Bayerwald

Es zieht hier oft ein Lufthauch kalt

Über Berg und Feld und Wiese

Hier gibt’s das Gute und das Miese

Vieles anders, als man meint

Selbst wenn mal die Sonne scheint

Täusch dich nicht, das Bayern hier

ist trüber noch als Zwickl-Bier

Täusch dich nicht, das Bayern hier

ist trüber noch als Zwickl-Bier

MATTERHORN

Hublsteiner reibt sich die Nase. Nase? Unzulässiger Diminutiv – es ist ein fünfschrötiger Zinken, erhaben wie das Matterhorn. Sie, er, es saugt die Abendluft tief ein. Oktober-Kühle, feucht und klamm, schwer und satt.

Booaaahhhh. Krass. Aber ganz seins. Der herbe Gestank der Gülle, der zäh den Hang hinaufkriecht und alles umhüllt. Das Bouquet des Erfolgs. Wertvollster Rohstoff. Dort unten ist die Quelle des edlen Dufts, sein Schmuckstück, unter einer Kuppel aus Beton: der Prototyp der Biogas- und Kläranlage Wiesbach. Eine Kathedrale der Abgase. Wenn das Ding auf vollen Touren läuft, produziert es genug Energie für die zweiundzwanzig Höfe von Wiesbach. Und in Zukunft auch für die Nachbargemeinde Wiesöd, wenn sich der Pramminger endlich auf den Deal einlässt. Auf seinem Grund sollen weitere Sickergruben für eine zweite Gasaufbereitungsanlage entstehen. Und irgendwann könnte man auch die Kreisstadt Grafenberg mit Biogas beglücken. Den Rohstoff Kuhscheiße gibt es hier im Übermaß.

Der Pramminger … Eigentlich sind sie beide ja verfeindet. Doch wenn es darum geht, sich gegen Malming vorm Wald durchzusetzen, dann halten selbst sie zusammen. Das ist Hublsteiners Hypothese für die zukünftige Kooperation. Konkurrenz sorgt manchmal für ungeahnte Allianzen. Der Bürgermeister von Malming will unbedingt selbst so eine Anlage. Und die damit verbundenen Fördergelder der FOB. Die Future of Bavaria ist das neueste Hightech-Kind der Bayerischen Staatsregierung. Fokus Grenzlandförderung. Selbstverständlich bemühen sich Hublsteiners Parteifreunde um die Sicherung der politischen Verhältnisse hier im östlichsten Winkel Bayerns. Investitionen bringen Arbeit in die strukturschwache Region. Und in diesem Fall niedrige Gaspreise und damit glückliche Wähler. So einfach. Für Hublsteiner persönlich bedeutet der Einstieg in die regionale Energieversorgung vor allem Macht und Profit. Malming ist außen vor. Trotz vorbildlicher Haushaltsbilanz. Was man weder von Wiesbach noch von Wiesöd und von Grafenberg schon gar nicht behaupten kann. Selber schuld, wenn Malming einen schwulen SPDler als Bürgermeister hat. Da flutscht so ein Antrag beim Wirtschaftsministerium in München nicht so wirklich, denkt Hublsteiner zufrieden.

Heimatverbunden und zukunftsorientiert, das sind die Schlagworte, nach denen Hublsteiner sein Leben ausrichtet. Ohne Klischees. Mit dem Scheiß von Laptop und Lederhose hat das rein gar nichts zu tun. Er ist jemand, der zupackt und meistens Blaumann trägt. Und mit dem Computer haben maximal seine Kinder gespielt. Als sie noch zu Hause wohnten. Jetzt sind sie längst in München. Hublsteiner ist Businessman. Und Business bedeutet hier vor allem Geschäfte auf dem Nährboden von Beziehungen, althergebrachten Verbindungen und Verbindlichkeiten. So hat es sich zum Beispiel bereits mehrfach ausgezahlt, dass er dem Grafenberger Bürgermeister Wagner die Scheune gebaut hat. Zu einem Superpreis, mit Leiharbeitern aus Rumänien. Ein Wahnsinn, was die für fünf Euro die Stunde stemmen! Handwerker kann man in Bayern lang suchen. Und günstige Arbeitskräfte wird man schon gar nicht finden. Da sind die Typen aus dem Osten wesentlich flexibler. Na ja, dass der eine vom Dachstuhl gefallen ist und sich das Genick gebrochen hat, das war schon blöd. Suboptimal. Aber in der Jauchegrube auf seinem Hof liegt der sehr gut und bald wird nichts mehr von ihm übrig sein. Die Scheiße ist ja so was von aggressiv. Ja, wozu die alles gut ist, sauber! Supersache. Läuft!, denkt Hublsteiner und sieht auf die Uhr. Ein bisschen Zeit ist noch.

ZÄRTLICH

Der Pramminger reibt sich nicht die Nase, sondern die dicke Wampe und macht sich ein weiteres Bier auf. Schnaps oder Glühwein wären eigentlich angebracht in dieser kühlen Herbstnacht. Aber es geht nichts über eine frische Halbe Waidla-Bräu. Das rustikale Etikett mit dem biertrinkenden Wolpertinger ist in der Dunkelheit nicht zu sehen. Er weiß auch so, wie es aussieht – war schließlich seine Marketing-Idee. Ah, er liebt den scharfen Stich des Bockbiers. Prammingers Atem steigt in weißen Wolken auf. Er späht vom Hochsitz auf die Lichtung. Fast märchenhaft, das mondbeschienene hohe Gras, die Schattenrisse der Fichten. Aber er hat keinen rechten Blick dafür. Er ist schlecht gelaunt. Wie immer, wenn andere ein gutes Geschäft machen. Heute hat der Hublsteiner seine Biogasanlage in Betrieb genommen, und offenbar läuft sie fehlerfrei. Mal sehen, wie lange. Er lacht und rülpst. Aber ihm ist nicht wirklich zum Lachen. Das alles stinkt ihm gewaltig. Der blöde Hublsteiner. Kann aus Scheiße Geld machen. Auch die Bauern von Wiesöd liefern ihre Gülle bei ihm an. Ich schwimm in einem Riesenmeer aus Scheiße – und hab meine Schwimmflügel vergessen, denkt er. Und so fühlt er sich tatsächlich. Vielleicht sollte er doch auf den Deal mit dem Hublsteiner eingehen? Er braucht den Grund nicht wirklich. Dann würde er mitverdienen. Gas aus Scheiße – das ist wirklich ausbaufähig! Trotzdem – jeder würde wissen, dass Hublsteiner die Geschäftsidee gehabt hat. Und dass er nur das fünfte Rad am Wagen ist. Und dann müsste er seine ganze Aktion abblasen. Nein, er wünscht dem Hublsteiner die Pest. Na ja, schon bald wird der Heini gar nicht mehr so gut dastehen und vielleicht braucht er dann ein bisschen Unterstützung. Ihm brummt der Kopf. Zu viele Gedanken. Er hat gehofft, auf der Pirsch zumindest ein bisschen abschalten zu können. Gelingt ihm nicht wirklich. Wenn ihm jetzt wenigstens ein ordentlicher Bock vor die Flinte laufen würde!

Plötzlich knacken Zweige. Rührt sich da was? Der Mond steht inzwischen so hoch, dass die ganze Lichtung beschienen ist. Wie ein Fußballplatz im Flutlicht. Pramminger muss an seine Fußballkarriere beim FC Wiesbach 1908 denken. Er mit dem Hublsteiner zusammen in einer Mannschaft. Da waren sie noch ein Herz und eine Seele. Sie besuchten in der Schule dieselbe Klasse.

Es raschelt im Unterholz. Tatsächlich, da rührt sich was. Pramminger greift zu seinem Fernglas und sucht die Lichtung ab. Wieder knacken Zweige. Das muss ein kapitaler Bock sein! Pramminger legt das Gewehr an. Starrt durchs Zielfernrohr. Ja! Da tritt er aus dem Dunkel heraus. Ein großer … nein, kein Bock! Das ist … Erst ist sich der Pramminger nicht sicher, doch, ja, die Nase. Das ist der Hublsteiner! Was macht denn der hier?! Mitten in der Nacht! Pramminger mustert ihn durchs Zielfernrohr. Hublsteiner steht mitten auf der Lichtung und wartet. Auf wen, auf was? Auf ihn etwa? Er weiß doch, dass das hier sein Revier ist. Pramminger berührt zärtlich den Abzug seines Gewehrs. So einfach. Er würde sagen: »Ein Jagdunfall, ja, sehr tragisch. Es war so dunkel …«

Der Schuss zerreißt die Stille.

Pramminger ist schockstarr. Er hat nicht abgedrückt. Im Gegenteil – er ist instinktiv hinter die Brüstung getaucht.

Nach einiger Bedenkzeit rappelt er sich auf. Sieht auf die Lichtung. Da liegt der Hublsteiner, sauber niedergestreckt. Es trifft immer die Richtigen, denkt Pramminger schadenfroh. Kurz. Sehr kurz nur. Dann ergreift ihn die Angst. Was, wenn der Schütze merkt, dass es einen Zeugen gibt? In dem Moment jodelt Prammingers Handy. Seine rechte Hand fährt panisch in die Tasche, um das Handy abzustellen. Aus.

Nichts passiert. Pramminger wartet. Als er nach einer endlos langen Minute den Kopf hebt, um erneut über die Brüstung zu spähen, hört er den Knall nicht mehr wirklich. Schon hat ihm die Kugel die Stirn zerfetzt. Für letzte Gedanken keine Zeit mehr. Pramminger wird von dem Schuss hochgerissen und auf die Bank zurückgeschleudert. Blattschuss.

Es trifft immer die Richtigen, würde sich der Hublsteiner jetzt eventuell ebenfalls denken. Wenn er noch denken könnte. Aber er hat die letzte Reise ja schon vor Pramminger angetreten. Vielleicht treffen sich die beiden jetzt in der Hölle, wo sie ein Bier trinken können, um die glorreiche gemeinsame Vergangenheit aufleben zu lassen. Damals, als Pramminger Mittelstürmer beim FC Wiesbach war. Und der Hublsteiner Innenverteidiger. Wie sie Malming im Abstiegskampf aus der Kreisliga geschossen haben. Elfer. In der letzten Spielminute. Voll auf den Mann. Pramminger hat dem Reisinger, dem besten Torwart weit und breit, den Ball mit voller Wucht in die Eier geschossen. Also nicht absichtlich. Aber mit aller Kraft. Reisinger hat die Arme hochgerissen, der hohe Ball hat einen sonderbaren Spin nach unten gemacht und ist samt Torwart ins Netz geknallt. Tosender Jubel bei 08. Eisspray bei Malming. Reisinger musste wochenlang Kühlpads in der Unterhose tragen. Ja, an solch gloriose Geschichten könnten sie sich gemeinsam erinnern. Bei einem Bier. Oder einfach all den Ärger runterspülen. Ach, die Geschichte mit der Biogasanlage – drauf gschissn!

LETZTE RUNDE

Im Wirtshaus Zur Post bringt der Wirt die letzte Runde. Der Stammtisch ist noch ansehnlich besetzt. Ein Querschnitt bayerischer Dickschädeligkeit in Zinnoberrot, hochglänzend. Der Artikulation schon nicht mehr wirklich mächtig, raunzt, rülpst und schorselt es rund um den Stammtisch wie dicker Eintopf auf der Herdplatte, die man vergessen hat abzuschalten.

Da sitzen sie alle, beim voraussichtlich letzten Bier: der Hallhuber, der Hintermaier, der Rottmann, der Fachinger, der Bronner, der Gschwendtner und der Gerber. Sechshundert Kilo rotes haariges Fleisch. Alkoholimprägniert und mit festen Grundsätzen. Harte Hunde.

»Der Hublsteiner hat doch den Arsch offen, die dumme Sau!«

»Jetzt soll ma dem Zipfel sein Gas kaufen?«

»Eher kauf ich im Baumarkt eine Kartuschn, bevor ich dem sein Scheiß-Gas kauf.«

»Meinst du, mei Frau kocht mit de Schörs von dem seine Küh? Echt ned.«

»Dem reiß ma ’n Arsch auf!«

»Aber so was von!«

Alle reden durcheinander und alle meinen eigentlich dasselbe: dass sie nicht besonders erfreut sind über den Umstand, dass sie nun vom Hublsteiner ihr Gas kaufen sollen. Auch wenn es zweifelsfrei billiger ist als vom Grafenberger Versorger BayGas. Sparen ist das Eine, Missgunst das Andere. Sie gönnen dem Hublsteiner das Geschäft nicht. Wenn es einer nicht verdient hat, dann der geldgierige Sack. Da besteht Konsens. Eigentlich ist die ganze Aufregung umsonst, weilt doch der Hublsteiner schon nicht mehr unter den Lebenden weilt. Aber das wissen die Stammtischbrüder noch nicht, als sie lautstark das Wirtshaus verlassen und zu ihren Autos stolpern.

ASPIRIN

Stefan Brandner erwacht mit schwerem Kopfweh. Mit 34 soll man keine Underground-Disko im Bayerischen Wald mehr betreiben und auch nicht in einer Metal-Hip-Hop-Band spielen. Und dabei noch Polizist sein. Früher lief das alles wunderbar nebeneinander. Da konnte er acht Halbe an einem Abend trinken und morgens topfit im Büro auflaufen. Mit nur einem zarten Hauch von Kopfweh. Heute brummt ihm der Schädel bereits nach vier Halben und er muss morgens drei Aspirin einwerfen. Die Frauen liegen ihm auch nicht mehr zu Füßen wie anno domini. Früher war er die beste Partie weit und breit – zumindest für eine Nacht. Er genoss lange einen gewissen Ruf in Frauenkreisen. Und die Männer raunten bewundernd: »A Hund is er scho!« Solange es nicht die eigene Frau war oder gar die erwachsene Tochter, mit der sich Brandner vergnügte, zollten sie dem Bayerwald-Casanova größten Respekt. Aber seit Brandner die Dreißig überschritten hat, ist es nicht mehr dasselbe. Die Leichtigkeit ist dahin. Der Lack ist ab. Nicht nur ein bisschen, es blättert gewaltig. Manchmal fühlt er sich einfach nur entsetzlich müde. Er besieht sich den nackten Frauenrücken in seinem Bett. Matt rosa erleuchtet vom ersten Tageslicht. Kennt er die Frau? Nicht, dass er wüsste. Das Tattoo über dem Arsch zeigt einen Mississippi-Schaufelraddampfer. Ungewöhnlich. So von den Dimensionen. Die Pofalte wie eine große Stromschnelle. Jedenfalls gut gemacht, sehr detailreich.

Lautlos steigt er aus dem Bett und tappt auf ein Kondom, das ein schlurpsendes Geräusch von sich gibt. Uah. Er hebt es auf und tippelt über den kalten Steinboden in die Küche. Mülleimer. Er stöhnt leise. Ihm tut alles weh. Auch sein Schwanz. Er hat keine Erinnerung, was gestern alles gelaufen ist. Sicher besser so. Die Küche sieht aus wie eine Müllhalde. Überall schmutziges Geschirr. Er lädt die Bialetti und stellt sie auf die Herdplatte. Im Gang liegen Klamotten verstreut. Wild style. Er hebt die Sachen auf und betrachtet skeptisch einen G-String mit Hello Kitty. Seiner ist das nicht. Er nimmt die Sachen mit ins Bad.

Als er in der Dusche unter dem heißen Wasserstrahl steht, denkt er über sein Leben nach. So kann es nicht weitergehen. Nachts der Traum von ewiger Jugend in der eigenen Disko, tagsüber der freundliche Beamte von nebenan in der Polizeidienststelle Grafenberg. Und im Bett jetzt irgendeine Tante ohne ihren Hello-Kitty-Schlüpfer, die ihm offenbar seine Rebellenpose abgekauft hat. Eine Lady, von der er nicht mehr als den Rücken sehen will. Er muss los. Er zieht seine alten Sachen noch mal an, stürzt den Kaffee runter und verlässt das Haus. Nicht, dass die Grazie noch aufwacht. Auf Reden hat er jetzt echt keinen Bock.

Er setzt den Helm auf und schwingt sich auf seine Kawasaki 900 Turbo, das heißeste Bike des Bayerwalds. Na ja, einstmals. Er hat das Teil mit achtzehn gekauft und hält ihm bis heute eisern die Treue. Das Ding macht glatt zweihundertvierzig Sachen und immer noch Eindruck bei den Ladys. Sofern sie keine Ahnung von Motorrädern haben. Denn die Kawa ist schon sehr von gestern, ein röhrender Spritfresser, dessen Turbolader nach Lust und Laune einsetzt und für so manch überraschende Momente im Straßenverkehr sorgt, wenn das Vorderrad in den Himmel steigt, weil die Drehzahl von dreitausend auf siebentausend hochschnellt. Aber Brandner hängt an dem Teil. Ist aus der Zeit gefallen – wie er selbst.

WROOAAAARRRR!

UFO

Die Explosion ist infernalisch. Das Spannbetondach hebt sich wie ein Topfdeckel, all die braune Soße wird in den milchweißen Morgenhimmel gepeitscht. Atompilz. Fallout. Die Häuser in direkter Nachbarschaft des Biokraftwerks werden von einem braunen Sprühnebel überzogen. Furchterregender Gestank dringt in alle Ritzen des Herbstmorgens.

Die Gruberin, die gerade die Wäsche aufgehängt hat, wischt sich den Film aus dem Gesicht und schenkt ihrer ehedem weißen Bettwäsche einen Blick voll tiefer Verzweiflung.

»Was is ’n passiert?!«, ruft ihr Mann, der aus dem Schweinestall gelaufen kommt.

»A Ufo. Notlandung in der Güllegruam!«

»A geh?« Der Gruber sieht irritiert zum Misthaufen.

»Na, des Bio-Dings is explodiert.«

Ein breites Grinsen fräst sich in Grubers Gesicht. »Heilige Scheiße. Wird der Hublsteiner doch ned graucht haben, in der Anlage?«

Schon erklingt die Sirene der Freiwilligen Feuerwehr Wiesbach, und Gruber schickt sich an, zum Spritzenhaus zu kommen. Schließlich ist er der Fahrer des Löschwagens.

KNÖCHELTIEF

Die Feuerwehr kann nicht mehr viel tun. Die Explosion hat das große Betonbehältnis komplett zerstört und die Kuhscheiße steht auf den Wiesen knöcheltief. Mit Atemschutzgeräten wagen sich zwei Feuerwehrleute in das Innere der Ruine, um nachzusehen, ob dort eine Person zu finden ist, die zu Schaden gekommen ist – am Ende gar der Hublsteiner selbst. Aber nichts. Kein Mensch. Dafür finden Sie die Reste eines stählernen Druckbehälters. Offenbar hat jemand hier eine Bombe hochgehen lassen. Das ist kein Fall für die Feuerwehr, sondern für die Polizei.

Diese ist gerade ganz in der Nähe, aber anderweitig beschäftigt – in Person von Stefan Brandner. Die Ehefrauen vom Pramminger und vom Hublsteiner haben morgens auf der Wache angerufen – fast konzertierte Aktion –, weil sie ihre Männer vermissen. Nicht im engeren, emotionalen Sinne. Sondern rein physisch. Nachdem ihre Männer die ganze Nacht nicht heimgekommen sind, machen sie sich jetzt doch langsam Sorgen. Miss Hublsteiner und Miss Pramminger vermuten ihre Gatten im Lucky Punch, dem Großraum-Casino in Strážný kurz hinter der Grenze in Tschechien. Frau Hublsteiner ist sich jedenfalls sicher, dass ihr Gatte dort wieder zugange ist. Aus seinen tschechischen Lustreisen macht er schon lange kein Geheimnis mehr. Was hat er zu ihr gesagt, als das Blitzfoto von der tschechischen Polizei gekommen ist – mit einer Lederlady auf dem Beifahrersitz? »Des war a Anhalterin. Weißt, da musst du schon aufpassen. Ned, dass dene was passiert. Die Straßen san ja voll mit de ganzen Nutten, des is gefährlich, wenn du da so rumstehst.« Auf gut Deutsch: Er schiss sich gar nix. Und der Pramminger sagt zu seiner Frau immer: »Geh Mausi, a bisserl zocken und gelegentlich a Hoibe am Tresen. Mei, die Damen da san doch bloß Dekoration!«

Zocken und ein bisschen auswärts naschen, könnte schlimmer sein. Aber jetzt sind die Ehegattinnen doch nervös, als ihre Männer am Vormittag immer noch nicht heimgekehrt sind. Da ist noch nix passiert. Miss Pramminger hat sogar ihren Flug nach Mallorca ausgesetzt, den sie ihrem Mann in zähem Ringen abgetrotzt hat. Er hätte sie zum Flughafen nach München fahren sollen.

Brandner kümmert sich. Die tschechischen Kollegen hat er bereits angerufen und befragt. Ergebnislos. Jetzt sieht er sich ein bisschen in der Gegend um. Er hat es den beiden Ladys versprochen. Der Pramminger hat ein paar Hektar Forst, wo er gelegentlich auf die Pirsch geht. Vielleicht ist er ja dort. Zu Hublsteiners möglichem Aufenthaltsort hat er keinerlei Idee.

Inzwischen steht die Herbstsonne fett am Himmel und bringt die Schönheit des Bayerischen Walds zum Leuchten: das satte Grün der Wiesen, das Farbenspiel der Laubbäume, das silberne Band der Bundesstraße. Rage Against the Machine dröhnt aus der Stereoanlage des altersschwachen Dienstgolfs, als Brandner über die gut ausgebaute Straße kurvt. Seine Augen sind lose auf den Straßenrand gerichtet, nach rechts und links. Schließlich sieht er tatsächlich Prammingers Mercedes auf einem Wanderparkplatz. Bei seinem Forst. Also doch auf der Jagd. Immer noch? Da ist auch Hublsteiners BMW X5. Hat er gleich beide aufgespürt. Ein romantisches Stelldichein? Nach außen Kontrahenten, insgeheim Bussibussi? Brandner hat kurz die Vision, wie die beiden Herren Schulter an Schulter hinter einem Busch auf der Pirsch liegen und sich zärtliche Worte zuflüstern.

Brandner hält an, steigt aus dem Wagen und streckt die Glieder. Dann geht er ein paar Schritte in den Wald hinein, um zu biseln. Sein goldener Strahl schießt dampfend ins Gebüsch. Er stutzt. »Ja, was hamma denn da?!« Er zieht den Reißverschluss hoch und geht in die Hocke. Fasziniert betrachtet er die Gruppe stattlicher Steinpilze, jetzt leider frisch geduscht. Wo ein paar sind, sind bestimmt noch mehr, denkt er fröhlich und geht in den Wald hinein. Tatsache. Manchmal gibt es Tage, an denen ist einem das Glück hold. Einfach so. Er sieht immer wieder Steinpilze am Wegesrand, sodass seine Mütze bald nicht mehr ausreicht, um die kostbaren Pilze zu beherbergen. Er stopft sich die Taschen seiner Jacke voll und setzt seinen Weg fort.

Er erreicht eine Lichtung. Letzter Bodennebel steht noch über hohem Gras, mystisch erleuchtet von der Sonne. Er geht zum Jägersitz hinüber. Ein Tropfen fällt auf seinen Kopf. Er sieht in den Himmel. Keine Wolke. Noch ein Tropfen. Diesmal auf die Wange. Als er ihn wegwischt, sieht er, dass der Regen rot ist. Entsetzt blickt er zum Hochsitz hinauf. Tritt einen Schritt zur Seite. Sein Schuh quatscht. Der Boden ist vollgesogen wie ein Schwamm. Brandner braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was das ist.

BLUT.

Brandner steigt die Leiter hoch. Volltreffer. Auf dem Hochsitz findet er den Pramminger – in eleganter Jagdmontur lässig zurückgelehnt auf der Bank, ein kühler Zug im erstaunten Gesicht. Kein Wunder, denn ein Teil der Stirn und die hintere Partie seines Kopfes fehlen. Weggeknallt. Prammingers letzte Gedanken kleben am Stamm der nächsten Fichte. Eintopf für einen Fliegenschwarm und ein Bataillon Ameisen.

Prammingers Gewehr liegt am Boden des Hochsitzes. Selbstmord? Brandner riecht am Lauf der Flinte. Nein. Aus der wurde kein Schuss abgefeuert. Brandner blickt hinab, wo sich allmählich der Nebel auf der Lichtung lichtet. Er sinniert kurz über diese Tautologie – ist es überhaupt eine? –, dann sucht er konzentriert das Gelände ab. Woher mag der Schuss gekommen sein? Jetzt sieht er den zweiten Vermissten, den Hublsteiner, dahingestreckt im grünen Moos. Brandner ist sich instinktiv sicher, dass es niemand anders sein kann.

»Na sauber, a Jagdunfall ist des ned«, murmelt Brandner und wählt die Nummer seiner Dienststelle, um Verstärkung anzufordern, beziehungsweise die Mordkommission aus Regensburg. Denn das ist eine Hausnummer zu groß für die Grafenberger. Innerlich freut sich Brandner schon darauf, wenn wieder so ein tougher Kriminaler kommt und seinem Chef Gerber auf die Finger schaut. Wie das letzte Mal, als sie die Brandstiftung auf dem Einödhof hatten und der eine Regensburger meinte, dass Gerbers Büro wie ein Saustall ausschaut. Eins a – Gerbers Gesicht. Klar, wenn der Regensburger Beamte sein Büro gesehen hätte, wäre er noch viel schockierter gewesen. Aber er ist ja nicht der Chef. Es gibt Wichtigeres in seinem Leben als Ordnung auf dem Schreibtisch. Gerber ist damals jedenfalls krebsrot angelaufen ob dieses Affronts.

Bis die Kollegen kommen, wird Brandner dem zweiten Herrn auch einen Besuch abstatten. Doch erst mal eine Zigarette. Er steckt sie an, denkt nach, raucht. Was Pramminger mit gedankenverlorenem Blick toleriert. Als Brandner fertig ist, steigt er vom Hochsitz und geht zum Hublsteiner, sieht auch ihm ins Gesicht. Was davon übrig ist. Ebenfalls Kopfschuss. Hier keine Waffe. Und keine Jagdkleidung, sondern wie meistens Janker an Blaumann. Brandner zieht die Lederhandschuhe an und holt den dicken Geldbeutel aus der Brusttasche von Hublsteiners Blaumann. Die Börse ist prall gefüllt mit Fünfzig-Euro-Scheinen. Er nimmt sich fünf – was mit den Handschuhen nicht so einfach ist – und steckt den Geldbeutel zurück. »Weil du die Scheißgeburtstagsparty in meiner Disko immer noch nicht bezahlt hast, alter Geizkragen.« Hublsteiner lässt ihn gütig gewähren. Brandner hat nicht den Hauch eines schlechten Gewissens. Denkt an das wilde Fest zu Hublsteiners fünfzigstem Geburtstag. Zuckende Leiber zu grauenvoller Musik. YMCA, Major Tom und der ganze Schmarrn. Live is Life. So schnell kann es vorbei sein. Haben die Jungs vielleicht gleichzeitig abgedrückt? Ein Duell? Aber wo ist dann Hublsteiners Waffe? Schmarrn. Und Prammingers Waffe wurde nicht abgefeuert. Wurde Pramminger erschossen, weil er Zeuge von Hublsteiners Tod auf der Lichtung war? Oder ist es umgekehrt? Fragen über Fragen. Brandner stiefelt vorsichtig durchs Unterholz. Er sieht zum Hochsitz und dreht sich um. Da hinten, der gefällte Baum wäre ein geeignetes Versteck. Circa fünfzig Meter. Um so genau zu treffen, muss man ein guter Schütze sein. Natürlich denkt Brandner gleich an den Schützenverein und daran, wer sich mit einem der Herren in der Wolle hat. Aber schwierig, warum mit beiden? Die sind Todfeinde, und hier in der Region stehen die einen auf Hublsteiners und die anderen auf Prammingers Seite.

Brandner sieht im Gras etwas aufblitzen: eine Patronenhülse. Er ist schon versucht, sie aufzuheben. Aber nein! Er ist hier nicht der ermittelnde Beamte. Das sollen die Regensburger mit der Spurensicherung machen. Die Profis. Obwohl es ihn schon mal reizen würde. So ein richtiger Mordfall. Vielleicht bietet der Polizeidienst doch noch eine Perspektive für ihn? Nein, der Zug ist längst abgefahren. Mehr Zeit zum Sinnieren hat er nicht, denn da kommt bereits Gerber den Waldweg entlang. Gerber hält seine Dienstmütze in der Hand und zeigt strahlend seine Beute: »Steinpilze, direkt beim Parkplatz vorne.« Er steckt die Nase in die Mütze und schnuffelt. »Hach, welch Aroma! Und noch feucht vom Morgentau.«

Brandner deutet zum Hublsteiner. »Wie hingerichtet. Großkalibrige Waffe. Der Pramminger ist am Hochsitz. Da drüben bei dem Baumstamm liegt eine Geschosshülse.«

»Du hast nichts angefasst?!«

»Nein, hab ich nicht.«

»Gut so. Die Kollegen aus Regensburg und München sind in einer knappen Stunde hier. Schauen wir uns schon mal um.«

»Wieso auch aus München? Die Regensburger sind doch für uns zuständig?«

»KTU schon, aber es kommen auch zwei Leute aus München.«

»Weil die schlauer sind als die Regensburger?«

»Nein, die Münchner machen gerade mit bei Poli-Swap.«

»Bei was?«

»Swap ist Englisch und heißt tauschen. Hat sich das Innenministerium ausgedacht. Polizistinnen und Polizisten sollen sich besser vernetzen, also Münchner auch mal nach Niederbayern oder nach Franken. Oder jemand aus dem Bayerwald auch mal nach München. Ich hab mich auch beworben.«

»Nach München?«

»Nein, nach Würzburg, ich liebe Franken.«

»Na dann kann ich mich ja nach München bewerben.«

»Wenn du eine Bewerbung auf die Reihe kriegst.«

»Was soll denn das schon wieder heißen?«

»Dass du ruhig ein bisschen ambitionierter sein könntest. Generell.«

Arschloch!, denkt Brandner und lächelt verständnisvoll.

Gerber stiefelt durch das kniehohe Gras, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Plötzlich stutzt er. Zwischen den Halmen schimmert ein metallischer Gegenstand. Er zieht die Latexhandschuhe an und greift vorsichtig danach. Eine Pistole. Mit spitzen Fingern hebt er sie hoch. Ungeschickt. Sie entgleitet ihm und er greift zu.

BUMMM! »I shoot you, dirty Motherfuggas!!!«, gellt eine verzerrte Stimme – aus der Waffe.

Brandner hebt den Kopf und sieht in Gerbers dämliches Gesicht. Eine Spielzeugwaffe mit einem Soundchip. Gerber grinst verwirrt und drückt noch mal ab.

BUMMM! »I shoot you, dirty Motherfuggas!!!«

»Interessant«, meint Gerber und reicht Brandner die Waffe. »Sicher das für die Kollegen.«

»Ja, vielleicht ist das die Tatwaffe«, sagt Brandner.

»Wir müssen jeder noch so kleinen Spur nachgehen«, murmelt Gerber und sucht weiter den Boden ab. »Mit dem Äußersten rechnen, in das Gehirn des Täters hineinkriechen, seine Gedanken lesen, sie voraussehen …«

Brandner nickt. Ja, sein Chef ist verrückt. Hoffentlich sind die Kollegen bald da, damit die mal sehen, was hier draußen abgeht.

KONTRASTREICH

Lustige Kunststoffbändchen flattern im frischen Bayerwaldwind und Gestalten in weißen Schutzanzügen stolzieren durchs Gelände. Brandner wartet pflichtschuldigst am Rand des Geschehens, bis seine Meinung gefragt ist. Nur: Niemand fragt nach seiner Meinung. Das hat Gerber an sich gerissen. Doch, jetzt kommt Gerber auf ihn zu, im Schlepptau zwei Personen. »Brandner, das sind die Frau Roßmeier und der Herr Zankl aus München, beide bei der Mordkommission tätig. Du unterstützt die beiden bei allem, was sie brauchen, ist das klar?«

»Mit dem höchsten Vergnügen«, sagt Brandner mit säuerlicher Miene, dem der jovial-väterliche Ton von Gerber kolossal auf den Sack geht.

Dosi grinst und stellt sich vor: »Servus, I bin die Dosi. Du, des is fei koa guade Idee, zwei Leichen da draußen bei euch.«

Zankl schüttelt den Kopf. »Dosi, selbst wenn du aus Niederbayern kommst, kannst du normal reden, dass auch ich dir folgen kann.« Er wendet sich an Brandner. »Servus, ich bin der Frank. Oder Zankl.«

»Stefan Brandner. Freut mich.«

»Und, was denkst du? Am besten Jagdunfall. Und wir legen das gleich zu den Akten.«

»Akten sind mein Spezialgebiet«, meint Brandner. »Aber stimmt schon, die zwei Toten sind nicht gut. Haben wir auch nicht oft. Bei uns gibt’s in der Regel bloß Tote, wenn sich einer auf der Bundesstraße derrennt.«

»Ja, schön habt ihr’s hier«, sagt Zankl, »ich hab einen Riesenhunger. Besprechung im Wirtshaus. Habt’s ihr so was?«

»Wenn’s ned mit der Güllegrube explodiert ist, gibt’s auch ein Wirtshaus.«

»Was ist explodiert?«

»Unsere neue Biogasanlage. Ein Sprengsatz. Wir wissen noch nix Genaues. Aber vielleicht gibt’s da einen Zusammenhang, also mit den beiden Toten. Dem einen gehört sie nämlich.«

»Aha …« Zankl kräuselt die Stirn.

»Jetzt schau ma uns erst mal die Leichen an«, schlägt Dosi vor.

Das tun sie auch. Ganz kühl und sachlich, was gar nicht so einfach ist, denn die beiden Toten sehen gar nicht schön aus. Gesichter wie Schlachtplatten. Brandner zieht sich schließlich hinter die Absperrbänder zurück, um eine zu rauchen. Sein Blick geht über die Lichtung. Irgendwas ist komisch hier. Wenn er nur wüsste, was? Also nicht die Leichen.

Das halbhohe Gras, die viele Erika, die Spinnweben, an denen Tautropfen im Sonnenlicht glitzern. Es ist echt schön hier im Bayerwald. Warum hat jemand den beiden Streithähnen die Gehirne rausgeschossen? Göttliche Gerechtigkeit? Vielleicht.

Er sieht wieder über die Lichtung. Alles so friedlich, wenn man die Leichen und die vielen Polizisten abzieht. Nein, irgendwas stimmt nicht. Ihm ist vorhin was aufgefallen. Auf dem Hochsitz.

»Hey, runter da!«, stoppt ihn eine Frau von der Spurensicherung, als er auf den Hochsitz steigen will. Widerwillig steigt Brandner wieder herunter. Sieht sich um. Kein weiterer Hochsitz. Dann eben anders.

»Brandner, was wird des, bist du wahnsinnig?«, ruft Gerber und hält ihn am Bein fest, als Brandner eine Fichte hochklettert.

»Lass meine Haxn los!«, zischt Brandner.

»Spinnst du? Wie schaut denn des aus, vor den Münchnern? Wo san ma denn?«

»Bei de Waidler. Jetzt lass mein Bein los, sofort!«

»Ich bin dein Vorgesetzter.«

»Ich ermittle«, sagt Brandner und klettert weiter. Dann stößt er einen Pfiff aus.

»Was ist da oben?«, fragt Gerber, jetzt doch neugierig.

»Hol mal die Münchner«, ruft Brandner hinunter.

»Den Teufel tu ich. Was ist da oben?«

»Hier oben ist nix, aber da unten!«

Da unten ist was, Tatsache, und eigentlich ist es nicht zu übersehen. Zumindest, wenn man von oben draufschaut. Vorhin im Morgendunst war es nur schemenhaft zu erkennen. Jetzt aber scharf und in voller Blüte. Sehr kontrastreich. Die fliederfarbene Erika ergibt aus der Vogelperspektive ein großes Hakenkreuz, wie auch Dosi und Zankl feststellen, nachdem sie auf den Hochsitz gestiegen sind.

»Respekt«, meint Zankl, »auf die Idee muss man erst mal kommen.«

»Ja, meine Männer sind hervorragend ausgebildet«, pflichtet ihm Gerber bei.

»Und, meinen Sie, wir haben es hier mit einer Straftat mit Neonazi-Hintergrund zu tun?«, fragt Zankl Gerber.

»Na ja, offenbar hat es dem Pramminger Vergnügen bereitet, sich das von seinem Hochsitz aus anzuschauen. Ist ja sein Forst.«

»Soll heißen?«

»Dass er ein Nazi ist?«

»Gibt es hier einen Flugplatz?«, fragt Zankl.

Gerber sieht ihn erstaunt an. »Wieso?«

»Na, wenn jemand Freude an so was hat, muss er es ja von oben sehen.«

»Das kann man doch vom Hochsitz.«

»Ein recht einsames Vergnügen. Nazis sind eher so Gruppendynamiker. Vielleicht gibt‘s noch mehr Kreuze. Wie steht es mit einem Flugplatz? Gibt es hier einen?«

»In Meierhofen gibt es einen kleinen Sportflugplatz.«

»Und, kennen Sie jemanden von den Sportfliegern?«

»Hm, ja, der Vorsitzende ist der Bürgermeister von Grafenberg. Der Wagner-Hans.«

»Selber Pilot?«

»Ja, klar.«

»Das ist doch interessant. Dann fragen wir den doch mal, ob er das Örtchen hier kennt.«

FRANZ-JOSEF

Das Büro des Bürgermeisters von Grafenberg ist deckungsgleich mit der Wohnstube von Hans Wagners Bauernhof. Er arbeitet zu Hause. In zweifelhaftem Ambiente: Inneneinrichtung niederschmetternd, ein Halali aus Eiche dunkel mit Hirschgeweihen an vergilbten Rauputzwänden in einem Raum fast ohne Licht. Wagners zwei halbwüchsige Töchter lümmeln in kurzen Lolitaröcken vor dem Fernseher und sehen die Castingshow Bavaria’s Next Top-Dirndl. Überall Zeitschriften und Pizzakartons.

»Ihre Frau ist nicht da?«, fragt Dosi.

»Schaut des aus, als wohnt da a Frau?«, fragt der in Gummistiefeln und Parka gewandete Wagner zurück.

Brandner mustert ihn. Der einst stolze Wagner-Hans, der seit einer gefühlten Ewigkeit in Grafenberg Bürgermeister ist, der sich immer trachtenmäßig korrekt gekleidet und stets einen sauber gewaschenen Mercedes-Geländewagen gefahren hat. Jetzt nur noch ein Schatten seiner selbst und sein Wagen ist dreckverkrustet. Seit dem Krebstod seiner Frau vor einem halben Jahr ist Wagners volles schwarzes Haar komplett weiß geworden. Gesicht aufgeschwemmt. Rest auch. Wagner hat schwer abgebaut. Na ja, kein Wunder bei dem Schicksalsschlag. Und er hat die beiden Grazien am Hals. Im Ort spricht man hinter vorgehaltener Hand von den »Mini-Nutten«. Was es sicher nicht trifft, aber irgendwie auch nicht ganz von der Hand zu weisen ist – zumindest optisch. Wagner ist jedenfalls ein gebrochener Mann und Vater.

»Sagen Sie, Herr Wagner, haben Sie schon von den Todesfällen im Wald gehört?«, fragt Dosi.

»Der ganze Ort spricht von nix anderm.«

»Wie stehen Sie zu den beiden Herren?«

»Wie man zu zwei so Platzhirschen steht. Man arrangiert sich. Die beiden konnten sich nicht riechen, aber auf kommunaler Ebene hat es gepasst. Wiesöd und Wiesbach sind die beiden größten Gemeinden von Grafenberg.«

»Und das mit der Biogasanlage?«, fragt Brandner.

»Das hat dem Pramminger natürlich brutal gestunken. Die hätt er selbst gern gehabt. Aber wenn der Hublsteiner so gute Verbindungen zur Regierung hat. Das Wichtigste ist, dass nicht Malming den Zuschlag bekommen hat. Aber mit ihrem schwulen Sozi ham die eh koa Chance ghabt. Wobei des a guada Typ ist. Also so allgemein.«

»So allgemein, aha«, sagt Zankl. »Ist schon ein recht dunkler Landstrich hier, gell?«

»Wie meinen Sie das?«

»Wie schaut’s denn mit deinem Alibi aus?«, fragt Brandner.

»Wofür?«

»Für letzte Nacht. Für den Mord am Hublsteiner und am Pramminger.«

»A geh! Als Bürgermeister bring ich zwei so wichtige Leute um? Die im Gemeinderat sitzen und einen Haufen Steuern zahlen. Warum soll ich die umbringen?«

»Das wissen wir doch nicht. Also, Alibi?«

»Ich war daheim. Ich hab zwei Töchter. Die wollen was zum Abendbrot, die müssen ins Bett.«

»Und später?«

»Bin ich auch ins Bett gegangen.«

Zankl nickt. Und fragt dann: »Haben Sie hier in der Gegend ein Problem mit Nazis?«

»Was solln des heißen?«

»Wie stehen Sie zu rechtem Gedankengut?«

»Rechts der CSU darf es keine Partei geben.«

»Genau das will ich hören. Lebt Franz-Josef Strauß noch?«

»Mir san ned im Himmel, mir san im Bayerwald. Von wo kommt’s ihr denn her? Oberbayern? München?« Er mustert Dosi abschätzig.

»Ich bin aus Passau, Obacht!«

»Es ist Folgendes«, sagt Zankl vermittelnd, »am Ort, wo die beiden Leichen gefunden werden, gibt es ein Nazisymbol. Ein Hakenkreuz aus Erika.«

»Welche Erika?«

»Die Pflanze, Bodendecker.«

Hans Wagner lacht. »Und jetzt denken Sie …?«

»Wir denken nicht, wir fragen ganz konkret.«

»Also, gibt es im Ort Probleme mit Neonazis?«, fragt Dosi.

Wagner schüttelt den Kopf. »Nein, hier ist die Welt noch in Ordnung.«

»Haben Sie das Hakenkreuz schon mal gesehen, also von oben? Sie haben doch einen Flugschein?«

FLYING HIGH

Es ist ein schöner Herbsttag und Brandner hat nichts dagegen, den Fremdenführer für die beiden Münchner zu geben, kommt er doch so in den Genuss, seine bayerische Heimat auch mal von oben zu sehen.

Furchtlos muss man schon sein, denn Wagner steuert seine Cessna wie einen Traktor – ruppig. Nach einigen magenerschütternden Luftlöchern erreichen sie endlich eine kommode Flughöhe, die einen wahrhaft zauberhaften Ausblick auf den Bayerischen Wald und den angrenzenden Böhmerwald bietet. Das fröhliche Herbstlaub in bunten Farben und die leuchtende Sonne am Himmel sorgen für heitere Betriebsausflugsatmosphäre.

»Ja, wenn man das so sieht«, sagt Brandner, »möchte man glatt in die CSU eintreten.«

»Red kein Scheiß, Brandner«, sagt Wagner. »So, wo is jetzt euer Hakenkreuz?«

»Die Lichtung ist in der Nähe vom Bachinger Weiher.«

Abrupt reißt Wagner das Steuer herum und die drei Polizisten klammern sich angstvoll an die Vordersitze und ans Armaturenbrett.

Wie ein glitzerndes Auge liegt der Bachinger See zwischen den Baumwipfeln. Jetzt kommt auch die Lichtung in Sicht. In strahlendem Lila ist dort unten das Hakenkreuz zu sehen.

»Öha«, sagt Wagner und muss lachen. »So a scheene Farb. Des dad unserm schwulen Sozi gfalln.«

»Das ist nicht lustig«, sagt Zankl.

»Sind Sie schwul?«

»Was solln des heißen?!«

»Gar nix. Sind Sie Ausländer, Herr Zankl?«

»Nein. Hören Sie, Herr Wagner: Ausländer, Schwule, Nazisymbole – da ist nix lustig dran.«

Wagner überlegt ein wenig, dann sagt er: »Ja, stimmt. ’tschuldigung. Was machen wir jetzt?«

»Noch eine Runde drehen.«

»Ja?«

»Wir schauen, ob es noch mehr Kreuze gibt. Und Sie haben das noch nie gesehen?«

»Nein, in die Richtung fliegst du normalerweise nicht, das ist schon ziemlich nah an der tschechischen Grenze. In der Regel fliegt man von hier in Richtung Passau und Vilshofen oder nach Straubing.«

»Wahrscheinlich sieht man das Kreuz auch nur im Herbst so richtig.«

»Ach, Erika blüht auch im Sommer ganz hübsch«, meint Dosi. »Ui, da unten ist noch ein Kreuz!«

»Und da noch eins«, sagt Zankl und deutet nach rechts. »Ich glaub, ihr habt’s da ein Problem.«

»Wer, wir?«, fragt Wagner.

»Na ja, des schaut jetzt schon so aus, als gibt’s bei euch mehr als einen Nazigärtner.«

In diesem Moment spotzt der Motor.

»Scheiße«, brummt Wagner, »ich hab vergessen zu tanken.«

»Ist das ein Problem?«, fragt Brandner. »Die paar Meter kommen wir doch zurück?«

Wagner schüttelt den Kopf. »Koa Chance. Wir sind fast leer losgeflogen.«

»Und jetzt?«, fragt Zankl.

»Suchen wir einen Platz zum Landen.«

»Haben Sie Rettungsschirme an Bord?«, fragt Dosi.

»Geh Schmarrn, die Kiste hab ich noch immer runtergebracht. Seht’s ihr die Bundesstraße irgendwo?«

»Sie wollen doch nicht auf der Straße landen?!«

»Habt’s ihr eine bessere Idee?«

Nein, haben sie nicht. Der Motor spotzt noch ein paarmal, dann setzt er komplett aus. Es wird totenstill in der Kabine – vonseiten der Besatzung. Die Windgeräusche sind jetzt ohne den Motor-Sound laut und schneidend. Von einer Straße ist weit und breit nichts zu sehen. Bald streifen sie die ersten Baumwipfel. Das sind keine hundert Meter mehr. Aber plötzlich ist sie da, die Zufahrt zu dem Einödhof.

»Des schaff ma nie!«, stöhnt Brandner.

»Lässig.« Wagner peilt die Straße an.

Nur noch zehn Meter über dem Boden.

Bumm! Die Räder schlagen hart auf, Wagner hat genau die schmale Straße getroffen. Super gemacht, aber noch nicht finito. Das Flugzeug ist schnell, zu schnell. »Bremsfallschirm«, murmelt Brandner, während die Cessna mit hohem Tempo auf die Scheune des Einödhofs zuschießt. Nein! Das würde nicht reichen. 4, 3, 2, 1 … Nichts. Brandner öffnet die Augen. Die Cessna steht zwei Meter vor der Scheune. Maßarbeit.

»Respekt«, murmelt Brandner und dreht sich um. Die beiden Münchner sind kasweiß.

Sie schälen sich aus der engen Maschine und stehen mit wackeligen Füßen auf dem Kies der Zufahrt des Einödhofs. Dosi fummelt nervös eine Schachtel Zigaretten heraus.

Brandner deutet auf das Flugzeug: »Äh, hier lieber nicht rauchen.«

»Wenn ma eins ned ham, dann Sprit«, murmelt Wagner.

Sie rauchten gierig und sind sich einig: Das wäre ziemlich blöd gewesen, mitten im Bayerwald in die ewigen Jagdgründe einzugehen.

»Brandner, wem gehört der Hof?«, fragt Dosi.

»Dem alten Staller und seinen beiden Söhnen.«

Sie sieht Wagner an. »Und wo san die? Landet doch sicher ned jeden Tag a Flieger bei dene vorm Haus.«

Brandner geht zu dem Wirtschaftsgebäude, späht hinein, dann zum Stall hinüber. Nichts. Dann zum Wohnhaus. Keiner da.

Zankl betritt die Scheune und stöhnt auf. »Kommt’s a mal her!«, ruft er.

Ihre Augen brauchen ein bisschen, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Jetzt sehen sie die drei Stallers. Sie hängen von einem Deckenbalken wie die Fledermäuse. Also andersrum. Richtigrum – Kopf oben. Die hohlen Wangen lappig wie Vampirflügel.

»Ja, scheiße«, murmelt Wagner.

Die anderen pflichten ihm bei. Mit offenen Mündern. Wie bei den hängenden Herren. Wo Fliegen munter ein- und ausfliegen.

»Krankenwagen brauch ma da nimmer«, sagt Brandner.

Dosi ist schon am Handy und ruft die Kollegen an. »Wie heißt’n des hier?«

»Staller-Hof. Bei Baching.«

Sie gibt es durch und geht raus, um mit den anderen noch eine zu rauchen.

»Da is ganz schön was los bei euch«, sagt Zankl zu Wagner und Brandner.

Brandner nickt. Wortlos. Ja, das ist wirklich ein bisschen viel. Fünf Leichen und dann noch das explodierte Biogaskraftwerk. Das hier ist eine beschauliche, unterdurchschnittlich erfolgreiche Tourismusregion, wo sicherlich der eine oder andere ein bisschen Dreck am Stecken hat oder mal besoffen Auto fährt, aber fünf Mordopfer an einem Tag, das ist eindeutig zu viel!

Nach den Zigaretten erster Überblick. An die Scheune hat jemand Nazirunen geschmiert. Ein Hinweis auf die Täter?

»Brandner, was meinst du?«, fragt Zankl.

»Keine Ahnung. Der Jüngste, der Hubert, ist mal auf der Wache wegen dem Tragen von Nazisymbolen gewesen. So Buttons auf der Jeansjacke. Aber da war er 17. Wie die orientierungslosen Jungs halt sind.«

Dosi sieht ihn schräg von der Seite an.

Brandner hebt entschuldigend die Hände. »Ich weiß es doch auch nicht.«

Im Wohnhaus finden sie nichts Besonderes, wenn man den Umstand ignoriert, dass dort drei Männer nach ganz eigenen hygienischen Regeln gelebt haben. Ohne Regeln. Nicht nur sie, sondern auch zahlreiches Getier, vor allem in der Küche. Alles kreucht und fleucht. Ein Kleinsttierzoo. Der Kühlschrank bietet außer Bier keine Lebensmittel.

»Weißt du, was mich wundert?«, sagt Wagner zu Brandner. »Die Stallers haben doch einen Schäferhund, so ein richtig böses Viech. Wo is der?«

»Den finden wir sicher noch.«

Das tun sie auch. Kurz darauf. In seinem Zwinger. In dem, was vom Zwinger übrig geblieben ist. Und vom Hund auch. Offenbar hat jemand eine Handgranate in den Käfig geworfen. Die haarigen Reste des Hundes kleben an der Rückwand des Wirtschaftsgebäudes.

»Ist des auch eine Nazi-Spur?«, fragt Zankl.

»Wieso?«, fragt Brandner zurück.

»Na ja, so eine Handgranate …«

Brandner winkt ab. »Die kriegst du auf den Tschechenmärkten nachgeschmissen.«

Als sie auf den Hof zurückgehen, sehen sie Wagner neben seiner Cessna posieren. Ein Reporter lichtet ihn ab.

»Kiermayer!«, schreit Brandner über den Hof. »Dass di glei schleichst!«

Kiermayer winkt ihm fröhlich zu.

Brandner legt ihm die Hand aufs Objektiv. »Was machst du hier?«

»Fotos.«

»Warum bist’n du hier? Hat der Wagner dich angerufen?«

»Naa, ich wollt’ eigentlich zu euch nach Wiesbach wegen dem Biodings. Und dem Pramminger und dem Hublsteiner.«

»Woher weißt du des?«

»So was spricht sich rum.«

»Und was machst du hier?«

»Ich hab das Flugzeug von der Straße aus gesehen. Dachte: Da machst du schnell einen Zwischenstopp. Weil die Leichen in Grafenberg, die laufen mir ja nicht davon.«

»Hast du hier sonst noch was gesehen? Außer dem Flugzeug?«

»Wieso, gibt’s hier sonst noch was?«

Die Antwort erübrigt sich, denn jetzt rollt der Polizeikonvoi an.

Kiermayers Augen leuchten.

Brandner schüttelt den Kopf. »Du gehst jetzt zum Gerber rüber und fragst, was du darfst und was nicht. Gell?«

»Ois easy«, sagt Kiermayer und zieht ab.

SUPERGAU

Gerbers Amtsstube in Grafenberg ist gut gefüllt: die zwei Münchner, Brandner, Karl Sonnleitner, ein Kripobeamter aus Passau, der auf Neonazis spezialisiert ist, und der Pressesprecher der Polizei Niederbayern, Dr. Markus Zimmermann aus Landshut.

Der Beamte aus Passau mustert Gerbers Schreibtisch und legt die Stirn in Falten. »Da schaut’s aus …«, murmelt er.

»Herr Zimmermann, Sie haben das Wort«, sagt Gerber müde.

»Meine Herrschaften«, erhebt Zimmermann das Wort, »pressetechnisch ist das hier ein Supergau. Eine Biogasanlage fliegt in die Luft, zwei Würdenträger dieses schönen Landstrichs lassen ihr Leben bei einem mysteriösen Attentat, dann gibt es drei Tote auf einem Einödhof und zu allem Überdruss bepflanzen durchgeknallte Neonazis Waldlichtungen mit Hakenkreuz-Erika. Und das alles steht morgen in der Passauer Neuen Presse – wie kommt der Kiermayer zum Tatort auf dem Einödhof? Des muss ihm doch einer gesteckt haben!«

Brandner schüttelt den Kopf. »Das ist purer Zufall, der hat die Notlandung von der Cessna gesehen.«

»Notlandung?« Zimmermann schüttelt den Kopf. »Hier geht’s ja drunter und drüber.«

»Jetzt gast’s euch mal nicht so hoch«, meint Dosi. »So was passiert halt. Auch hier draußen.«

»Ja, im wilden Osten«, meint Zimmermann.

Dosi zieht die Augenbrauen hoch. »Die Kollegen können nix dafür. Wir fangen jetzt erst mal mit den Ermittlungen an.«

Zimmermann sieht ernst in die Runde. »Keine Infos an die Presse und ja nicht das Gerücht aufkommen lassen, dass die Fälle zusammenhängen.«

Sonnleitner schüttelt den Kopf. »Des Gerücht ist längst da. Alle sprechen’s jetzt darüber, dass die Neonazis des waren.«

»Welche Neonazis, Herr Sonnleitner? Wenn es da verdächtige Personen gibt, dann sehen wir uns die an. Also?«, fragt Zankl.

»Wir haben da schon länger einen Hof im Visier, der eventuell ein Neonazi-Treffpunkt ist.«

»Aha? Der Staller-Hof?«

»Nein. Der Rottmann-Hof.«

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