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Girl Stuff - Beste Freundinnen halten zusammen

hier erhältlich:

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Freundinnen Forever

Fonda, Drew und Ruthie sind seit Ewigkeiten beste Freundinnen. Als sie endlich alle drei an dieselbe Schule kommen, sind sie sich sicher: Vor ihnen liegt das beste Jahr aller Zeiten! Doch jede von ihnen hat dafür einen anderen Plan. Fonda will, dass sie die It-Clique der Schule werden. Drew wartet darauf, dass der süße Skateboarder aus dem Urlaub sie küsst. Und für Ruthie zählt nur, dass sie als Freundinnen alles gemeinsam machen. Aber manchmal ist der beste Plan eben, keinen Plan zu haben. Denn für die drei Freundinnen kommt in diesem Sommer alles anders!

Bester Sommer-Lesespaß von Bestsellerautorin Lisi Harrison (Die Glamour-Clique)


  • Erscheinungstag: 22.06.2021
  • Aus der Serie: Girl Stuff
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 240
  • Altersempfehlung: 12
  • Format: Klappenbroschur
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505144271

Leseprobe

Dieses Buch ist für euch, liebe Leserinnen
(und vielleicht auch Leser).
Weil Mädchenkram ganz schön heftig sein kann.
Seid nett zueinander und versucht, es mit Humor zu nehmen.

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Und außerdem ist dieses Buch für Luke und Jesse Harrison.
Auch wenn sie es vermutlich nie lesen werden.
(Von Jungskram lass ich lieber die Finger.)

1. Kapitel

kapitel_01

Fonda Miller klebte ein Foto auf ihre Wunschcollage und lächelte. Aber es war ein schiefes Lächeln, eins, für das man zwei Emojis braucht, weil man gleichzeitig glücklich und traurig ist.

Auf dem Foto lag sie mit ihren beiden besten Freundinnen Drew Harden und Ruthie Goldman Arm in Arm im Garten vor ihrem Haus, und alle drei lachten sich schlapp. Es war vor zwei Monaten entstanden, im Juni, kurz bevor sie von ihren herzlosen Eltern auseinandergerissen worden waren.

Als sie erfahren hatten, dass sie die Sommerferien getrennt voneinander verbringen mussten, hatten sie sich aus Protest an den Füßen zusammengebunden. Während sie das ausgefranste Springseil verknoteten, hatte Fondas Mutter Joan auf sie eingeredet und behauptet, dass die acht Wochen wie im Flug vergehen würden.

Von der Auffahrt nebenan hatte sich Drews Dad eingeschaltet. »Die Trennung wird euch guttun«, hatte er gesagt. »Ihr geht nach den Ferien doch sowieso alle auf dieselbe Schule.«

»Da hat er recht«, sagte Drews Mom. »Auch Nesties brauchen hin und wieder mal ein Päuschen.«

Drew verdrehte ihre grünbraunen Augen. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn ihre Mutter Wörter kombinierte. »Warum kann sie nicht wie jeder normale Mensch einfach ›Besties‹ und ›Nachbarn‹ sagen?«, schnaubte sie, was Ruthie und Fonda noch mehr zum Lachen brachte.

Ruthies Eltern waren noch bei der Arbeit und brachten dort alles unter Dach und Fach, ehe sie zu ihrem Familien-Roadtrip nach Washington aufbrachen. Aber wären die Goldmans da gewesen, hätten sie garantiert so was gesagt wie: »Poplar Creek ist ja wunderschön, aber es mangelt an kreativer Vielfalt. Es ist wichtig, dass wir unser sonniges Paradies hier in Südkalifornien ab und an verlassen und unseren Horizont erweitern.« Solche Sachen sagten sie ständig. Lernen war so was wie ihr Fitnessprogramm.

Natürlich wollten die Eltern nur helfen. Trotzdem konnten ihre Worte die einsame Leere in Fondas Bauch nicht füllen. Genauso wenig wie Worte dafür sorgen konnten, dass die langen Sommertage schneller verflogen. Und Worte konnten auch nicht mit Fonda in die Stadt radeln und Frozen Yoghurt essen. Sie waren eher so wie Blasenpflaster: gut gemeint, aber nicht wirklich hilfreich.

Und so marschierten Drew, Ruthie und Fonda mit ihren zusammengebundenen Beinen im Gleichschritt auf die Stichstraße zu, in der sie wohnten. Leb wohl, Poplar Creek, hallo, unbekanntes Paradies, in dem Erwachsene ihren »Nesties« erlauben, den Sommer gemeinsam zu verbringen und es den ganzen Tag kostenlos Fro-Yo gibt, mit so vielen Toppings, wie man will!

Und dann … rumms!

Nach wenigen Schritten gerieten sie aus dem Takt und plumpsten auf den Rasen. Und einen Tag später mussten sie trotz Widerstand getrennter Wege gehen.

Jetzt, zwei Monate später, konnte Fonda es gar nicht abwarten, ihre Freundinnen wiederzusehen. Und noch viel weniger konnte sie es abwarten, Ruthie und Drew ihre neue, superstylishe Frisur vorzuführen. Nur noch dreimal schlafen …

»Joan, können wir jetzt bitte gehen?«, fragte Fondas sechzehnjährige Schwester Winfrey. Seit Neuestem redete sie ihre Mutter mit Vornamen an. Sie lehnte am Küchentisch und ließ eine Schere an den Fingern baumeln wie ein Handtäschchen. »Ich krieg sonst gleich einen Wunsch-Coll-er

Winfrey hatte heute endlich ihre Führerscheinprüfung bestanden (aller guten Dinge sind drei!) und hielt sich seitdem für was ganz Besonderes – was sie auch irgendwie war mit ihren kaktusgrünen Augen, den karamellbraunen Strähnchen und drei Siegen in Surfwettbewerben.

»Ich colla-bier gleich«, stöhnte Amelia und klapperte mit den Wimpern. Sie war vierzehneinhalb und auf ihre Art genauso einschüchternd cool wie Winfrey: groß und schlank und eine leidenschaftliche Beachvolleyballspielerin, bei der sogar ein Badeanzug als vollständiges Outfit durchging. Aber ihre riesige Meute an Fans verdankte sie vor allem ihren leuchtend rotbraunen Locken und ihren auffälligen Sonnenbrillen.

Und dann war da noch Fonda. Klein, zierlich, flach wie ein Brett und insgeheim begeistert von der Aktion mit der Wunschcollage zum Thema Schulanfang. Die Papierschnipsel, Pappschachteln vom Chinesen und Klebstoffdämpfe lösten ein wohliges Kribbeln in ihrem Bauch aus. Aber vielleicht kam das Kribbeln auch nur daher, dass sich die Abwesenheit ihrer Freundinnen zum ersten Mal in diesem Sommer nicht anfühlte wie das fiese Brennen, wenn man sich den Magen verdorben hat. Zum ersten Mal musste sie ihren Schwestern nicht hinterherhecheln und fühlte sich nicht ausgeschlossen. Sie hatte auch nicht das Bedürfnis, durch Insta zu scrollen und ein Herzchen neben die #bestezeit-Fotos anderer Leute zu setzen, während sie sich eine Netflix-Serie nach der anderen reinzog. Heute Abend hingen die Miller-Mädels miteinander ab. Heute Abend nannten Winfrey und Amelia sie nicht »nervige Klette«. Heute Abend gehörte Fonda dazu.

»Jetzt mal im Ernst, Joan«, sagte Winfrey und biss in ein Wan Tan. »Was soll die ganze Aktion eigentlich bringen?«

»Wunschcollagen helfen uns dabei, uns klare Ziele zu setzen«, erwiderte ihre Mom geduldig, obwohl sie es schon mehrfach erklärt hatte.

»Und was soll das bringen?«

»Wenn man seine Ziele nicht visualisiert, also vor Augen führt, erreicht man sie auch nicht.«

Amelia begann, auf ihrem Smartphone herumzutippen. »Dafür gibt’s doch garantiert eine App.«

»Wofür?«

»Zielvisualisierung.«

Ihre Mom nahm Amelia das Telefon ab und stopfte es in ihre Overalltasche. »Keine Displays heute. Wir benutzen unsere Hände, das bringt mehr.«

»Hey, Amelia, wieso klebst du nicht ein Bild von einer Wunschcollagen-App auf deine Wunschcollage?«, witzelte Fonda. »Dann bekommst du garantiert irgendwann eine.«

Niemand lachte. Stattdessen hielt Winfrey sich den Bauch und stöhnte: »Ups, Flitzekacke! Darf ich aufstehen?«

»Ich auch«, sagte Amelia und versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken. »Ich glaube, das Mu-Shu-Hühnchen war schlecht.«

Kichernd rauschten die beiden ab und ließen zwei armselige Wunschcollagen zurück, eine mit einem zerknickten Foto von einem Tropenstrand, die andere mit einem Bild von Surfern am Lagerfeuer.

Die meisten Moms hätten darauf bestanden, dass die beiden zurück an den Tisch kamen. Aber Fondas Mom war nicht nur Professorin für Feminismuswissenschaften an der UC Irvine, sondern auch sehr für freie Meinungsäußerung. Selbst wenn es sich um Meinungen handelte, die keine Freiheit verdienten.

»Hast du auch verdorbenes Hühnchen gegessen?«, fragte sie und wollte Fonda damit die Gelegenheit geben, ebenfalls zu verschwinden.

Aber Fonda schüttelte den Kopf. Denn mal ehrlich, was sollte sie an einem Dienstagabend schon groß machen? Die Ferienjobs, mit denen sie sich den Sommer über abgelenkt hatte, waren vorbei. Was auch gut so war. Denn irgendwann hatte man so viele Babys gesittet, Hunde ausgeführt und Pommes im Schwimmbad verkauft, dass man anfing, ein bisschen merkwürdig zu werden. Aber Drew und Ruthie kamen erst am Freitag zurück, und die Schule fing erst nächste Woche wieder an. Und deswegen blieb Fonda nichts anderes übrig, als weiter ihre Wünsche zu visualisieren.

Ganz abgesehen davon, hatten ihre Schwestern sie nicht unbedingt angebettelt, sich ihrer Hühnchen-Masche anzuschließen. Vermutlich planten sie wie so oft, sich aus dem Haus und an irgendeinen Geheimstrand oder auf die Party von einem süßen Typen zu schleichen. Und wie so oft war für Fonda in ihren Plänen kein Platz.

Es war nicht so, dass sie Fonda nicht mochten. Sie konnten nur nichts mit ihr anfangen. In ihren Augen war Fonda noch ein Baby. Es spielte keine Rolle, dass sie gerade dreizehn geworden und damit nur anderthalb Jahre jünger war als Amelia. Bis Fondas Körper sie zur Frau machte, würden ihre Schwestern weiter Sachen zu ihr sagen wie: »Ähm, hallo? Wir hätten gern ein bisschen Privatsphäre?!«, oder: »Dieses Gespräch ist nicht jugendfrei.« Sie würden sich weiter im Flüsterton unterhalten, ihre Freundinnen direkt in ihre Zimmer schleifen und Fonda die Tür vor der Nase zuknallen. Sie würden Fonda weiter belabern, ihnen ihre Haushaltspflichten abzunehmen, wenn sie ihre Tage hatten, und anschließend vergessen, sich zu bedanken. Ihre herablassende Art tat weh wie tausend frische Piercings im Herzen. Wenn Drew und Ruthie da waren, tat es viel weniger weh. Aber selbst dann verging kein Tag, an dem Fonda sich nicht sehnlichst wünschte, von ihren Schwestern akzeptiert zu werden.

Zum Glück wechselte Amelia im nächsten Schuljahr auf die Highschool. Dann würde Fonda endlich die einzige Miller an der Poplar Middle School sein. Die Jungs würden sie nicht mehr fragen, an welchem Strand ihre Schwestern am Wochenende abhingen, und die anderen Mädchen würden sie nicht mehr löchern, wo ihre Schwestern ihre Klamotten kauften. Fonda würde nur noch Fragen beantworten müssen, bei denen es tatsächlich um sie selbst ging. Endlich würde keine ältere, coolere Version von ihr durch die Gänge geistern. Und vielleicht würde sie sogar endlich die Aufmerksamkeit der Avas gewinnen, der einzigen Mädchen an der Poplar Middle, mit denen Amelia je geredet hatte. Wobei sich Fonda schon manchmal fragte, was eigentlich so besonders sein sollte an drei Mädchen, die gleich hießen und gleich aussahen. Bisher hatten die Avas Fonda nicht mal eines Blickes gewürdigt, so beschäftigt waren sie damit, zu lachen und dabei ihre seidig-glatten Haare zu werfen.

Um halb zehn hatte Fonda alles, was sie sich für die achte Klasse wünschte, an seinen Platz gepappt. Ihre Finger klebten und sie hatte sich mehrfach am Papier geschnitten, aber wenn das mit den Zielen tatsächlich funktionierte, würde sie so damit beschäftigt sein, die Herrschaft über die Achte an sich zu reißen, dass sie einfach vergessen würde, dass ihre Schwestern sie vergaßen.

Vor allem würde sie endlich eine Clique haben. Ihre eigene Clique. Sie würde nicht mehr ziellos von einer Gruppe zur anderen treiben, immer auf der Suche nach einem Sitzplatz beim Mittagessen. So war es nämlich in der Siebten gewesen, nachdem Maddie und Kaia, ihre beiden engsten Grundschulfreundinnen, auf eine Privatschule gewechselt hatten. Von nun an würde man Fonda einen Platz frei halten, und wenn sie nicht auftauchte, würde man sie vermissen. Kein Mensch würde mehr die Avas beneiden. Weil es Fonda, Drew und Ruthie waren, die beneidet wurden. Zum ersten Mal überhaupt würden sie auf dieselbe Schule gehen. Und den Avas zeigen, was echte Freundschaft war. Adieu, Geläster, Hackordnung und herablassende Blicke. Sie würden neue Hypes lostreten, Frieden und Freude verbreiten und sich gegenseitig Halt geben wie Wonderbras.

Fonda trat einen Schritt zurück, um die aufgeklebten Bilder zu begutachten, die sie aus verschiedenen Magazinen geschnippelt hatte. Ihr zweites Ziel lautete: zur Style-Ikone der Achten werden. Ja, sie würde mit den abgelegten Sachen ihrer Schwestern auskommen müssen – aber sie war wild entschlossen, das Beste aus ihnen rauszuholen. Mustermix ohne Gnade, das war ihr Ding. Nehmt dies, bauchfreie Tops von Winfrey und Statement-Sonnenbrillen von Amelia – die Stadt hat eine neue Influencerin!

»Und wofür steht der hier?«, fragte ihre Mom und zeigte auf den roten Kreis oben rechts in der Ecke.

»Meine … körperlichen Ziele«, sagte Fonda, während ihr Gesicht gefühlt die Farbe des Kreises annahm.

»Was stimmt denn nicht mit deinem Körper? Der ist doch perfekt, so wie er ist!«

Fonda verdrehte die Augen. »Das sagst du nur, weil du meine Mom bist.«

»Nein, das sage ich, weil es die Wahrheit ist. Du solltest deinem Körper jeden Tag dafür danken, dass er …«

»Dass er was? Faulenzt?«

»Nein! Dafür, dass er gesund ist.«

»Aber hier geht es doch nicht um Gesundheit, Mom.«

»… sagte die Gesunde. Von Kranken hab ich so was noch nie gehört.« Ihre Mom drehte ihre knallroten, wilden Locken zu einem Knödel zusammen und steckte ihn mit einem sauberen Essstäbchen fest.

Fondas flache Brust zog sich zusammen. Ihre Mutter hatte recht, und das ärgerte sie. Na ja, vielleicht ärgerte sie sich auch einfach nur über ihre eigene Oberflächlichkeit. Aber warum sollte sie dankbar sein für etwas, das ihr das Gefühl gab, weniger wichtig zu sein als ihre Schwestern! Nie ging sie mit ihrer Mom BH-Shoppen. Nie bekam sie Akne-Behandlungen von dieser deutschen Kosmetikerin namens Katrin. Und von den selbst gebackenen Zimtkeksen gegen Menstruationsbeschwerden blieb auch nur selten was für sie übrig.

»Ach, es ist nur, weil ich dreizehn bin und noch nicht meine …« Fonda starrte zum Deckenventilator und blinzelte eine Träne weg. Heulen war was für Kleinkinder, nicht für Teenies.

Ihre Mom biss sich auf die Lippe, um ein Lächeln zu unterdrücken. »Ach, Schatz, die meisten in deinem Alter sind unsicher und tun alles dafür, dass du dich genauso schrecklich fühlst wie sie. Lass dich davon bloß nicht aus dem Konzept bringen. Bleib dir selbst treu, egal, was die anderen sagen. Dein Körper wird sich entwickeln, wenn er so weit ist. Und bis dahin solltest du dich darüber freuen, wie du jetzt bist. Dieses ›Jetzt‹ gibt es nämlich nur ein einziges Mal.«

»Wow«, brummte Fonda. »Das ist echt deprimierend.«

Ihre Mom grinste liebevoll, zerbrach einen Glückskeks und reichte Fonda den kleinen Zettel, der drinsteckte. Darauf stand: Eine einmalige Gelegenheit wartet auf dich.

Fonda las den Text noch mal. Und dann noch mal.

Wenn mit dieser Gelegenheit gemeint war, was Fonda hoffte, nein, was gemeint sein musste … dann würde sie zusammen mit Drew und Ruthie eine angesagte Clique gründen, die Style-Trends für die achte Jahrgangsstufe bestimmen und endlich von ihren Schwestern akzeptiert werden. Wenn der Glückskeks recht hatte, stand Fonda das beste Jahr ihres Lebens bevor.

Und wenn er sich irrte?

Tja, das war einfach keine Option.

2. Kapitel

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Drew Hardens Lieblingsort im Battleflag Family Camp war die Krankenstation. Besonders während der Stunde nach dem Frühstück. Warum das so war, behielt sie allerdings lieber für sich. Aber wenn jemand nachfragte – und es gab viele Jemands –, sagte sie: »Die Krankenstation ist die einzige Hütte mit Ventilator.« Und damit gaben sich die Jemands in der Regel zufrieden.

Wieder neigte sich eine Sommersaison dem Ende zu, und Drew half Krankenschwester Cate beim Packen. Weniger aus dem Grund, den sie lieber für sich behielt, als deswegen, weil Cate diesen Sommer Drews Mentorin gewesen war. Allerdings eher nach dem Modell »coole Babysitterin«. Cate brachte Drew bei, wie man Schürfwunden, Sonnenbrand und Bienenstiche behandelte, damit sie eines Tages ihren Traum wahrmachen und selbst Krankenschwester werden konnte.

Im vergangenen Schuljahr hatte sich Drews Lehrerin beim Traumjob-Tag an der St. Catharine, der privaten Mädchenschule, auf die Drew nie wieder gehen musste, über Drews »mangelnden Ehrgeiz« beschwert. Krankenschwester? Weshalb nicht Ärztin?, hatte sie unter Drews Aufsatz geschrieben und ihn mit einem B bewertet. Woraufhin Drew dachte: Die Frau war eindeutig noch nie in der Notaufnahme.

Drew war eine furchtlose Skateboarderin und hatte sich gefühlt schon hunderte Male verletzt. Immer waren es die Schwestern in der Notaufnahme gewesen, die dafür gesorgt hatten, dass es ihr wieder besser ging. Außerdem durften sie das Blut und die Eingeweide wegputzen, ehe die Ärzte kamen, und kaum etwas faszinierte Drew mehr als Blut und Eingeweide. Natürlich nicht so serienkillermäßig, sondern eher aus einer gesunden Neugierde heraus. Der Art Neugierde, die Eltern gut fanden. Wie sieht eigentlich das Innere meines Körpers aus? Wie fühlt es sich an? Und wie kann es sein, dass sechseinhalb Meter Darm in mich reinpassen? Natürlich gab es zu dem Thema zahllose Bücher und Videos, aber mit dem wahren Leben konnte nichts davon mithalten. Verletzungen waren eine Möglichkeit, einen Blick auf das Innere zu erhaschen. Wie bei schlampig verpackten Geburtstagsgeschenken.

Hätte Drew an den Aktivitäten im Camp teilnehmen dürfen, wäre die Krankenstation sicher weniger reizvoll gewesen. Aber Battleflag gehörte ihren Eltern, und deshalb waren Drew und ihr älterer Bruder Doug nicht hier, um abzuhängen, sondern um zu arbeiten. Sie wurden auch dafür bezahlt, es war also keine Sklaverei. Aber den ganzen Tag skaten, das war eben nicht drin. Einen Tag die Woche hatte Drew frei und konnte im See schwimmen, die Halfpipe und den Hochseilgarten benutzen und Freundschaftsbänder für Fonda und Ruthie knüpfen, die sie sogar noch mehr vermisste als Fro-Yo. Was auch daran lag, dass es streng verboten war, sich mit den Feriengästen anzufreunden.

»Die Gäste sind hier, um Zeit mit ihren Familien zu verbringen, nicht mit unserer«, erinnerten ihre Eltern sie gefühlt dreimal am Tag. Aber sie hatten nicht gesagt, dass Drew sich nach dem Frühstück von der Krankenstation fernzuhalten hatte. Also stöpselte sie jetzt Kabel aus, packte Zungenspatel weg und warf dabei immer wieder verstohlene Blicke zur Uhr an der Mikrowelle. Ebenfalls aus Gründen, die sie lieber für sich behielt.

»Da kommt er«, flötete Cate.

Drews Wangen brannten auf einmal. »Wer denn?«, fragte sie, auch wenn sie genau wusste, um wen es ging.

»Will Wilder. Er kommt jeden Morgen nach dem Frühstück vorbei, um sein Allergiemittel einzunehmen. Ist dir das noch nicht aufgefallen?«

»Nee, hab ich irgendwie nicht mitbekommen.«

Drew überprüfte ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe. Ihr blonder Pferdeschwanz saß hoch und straff, ihre Stirn war pickelfrei, und ihr pfirsichfarbenes Tanktop ließ ihre gebräunte Haut noch gebräunter wirken. Und falls Will ein Problem mit abgeschnittenen Jeans und Vans mit Schachbrettmuster hatte, tja … nicht ihr Problem. Sechs Jahre lang hatte Drew in der Privatschule Faltenrock und Blazer tragen müssen. Jetzt, wo sie auf eine öffentliche Schule wechseln durfte, konnte sie endlich selbst entscheiden, was sie anzog. Und das musste bequem sein. Falls Will also auf zimperliche Tussen in Minirock und Sandalen stand – sein Pech. Obwohl er gar nicht wissen konnte, was ihm entging. Sie hatten nämlich noch nie ein Wort miteinander geredet.

»Im Kühlschrank ist ein Plastikbeutel mit der Aufschrift Wilder. Kannst du ihm den geben?«, fragte Cate, wandte sich ihrem Laptop zu und begann zu tippen, obwohl er gar nicht eingeschaltet war.

»Ich?«, rief Drew etwas schriller als beabsichtigt. »Wieso?«

Cate blickte auf und flüsterte: »Weil das Camp vorbei ist. Heute ist deine letzte Chance.«

»Meine letzte Chance wofür?«

»Na, mit ihm zu reden.«

»Und wie kommst du drauf, dass ich mit ihm reden will

Cate hob ihre kräftigen Brauen. »Ähm, vielleicht, weil du jeden Vormittag hier aufkreuzt?«

»Na und?«

»Tja, vormittags brauche ich eigentlich nie Hilfe, und das weißt du. Also gehe ich davon aus, dass du hier bist, weil du weißt, dass Will um diese Zeit sein Allergiemittel bekommt.«

»Ist das so?« Drew kicherte verlegen. Cate hatte sie durchschaut.

Cate klappte den Laptop zu. »Na komm, red einfach mit ihm.«

»Ich war die letzten sechs Jahre auf einer Mädchenschule. Ich hab keine Ahnung, wie das geht!«

»Na, dann solltest du dir schnell was einfallen lassen«, erwiderte Cate.

Das dumpfe Geräusch von Sneakersohlen auf Holzstufen unterbrach ihre Unterhaltung. Cate flitzte Richtung Klo, obwohl Drew ganz sicher war, dass sie gar nicht musste.

»Nein! Bleib da!«

»Bin gleich zurück!«

Die Fliegengittertür quietschte, und herein kam ein gut gelaunter Will.

Er trug ein weißes T-Shirt mit Grasflecken und olivgrüne Shorts und sah auf zerzauste Weise gut aus, wie ein Nickelodeon-Star nach einem langen Tag am Set. Sein verstrubbeltes blondes Haar schrie förmlich nach einem Friseurtermin vor Schulanfang, aber das Grinsen hinter seinen jeansblauen Augen sagte: Mir doch egal. Er war einer von den Jungs, denen es wichtiger war, die Iron-Man-Wettbewerbe des Camps zu gewinnen (und er gewann immer!), als ihren Look zu perfektionieren. Weshalb sein Look immer perfekt war. Aber Drew fühlte sich wegen etwas anderem zu Will hingezogen. Etwas, das sie nicht sehen, aber spüren konnte. Er wirkte entspannt, aber nicht unbekümmert. Nett, aber nicht langweilig. Ehrgeizig, aber nicht wie jemand, der um jeden Preis gewinnen musste. Eigentlich also wie Drew, nur in der Jungs-Version.

Nicht, dass das eine Rolle gespielt hätte. Denn wenn sie Will sein Medikament in die Hand gedrückt hatte, würden sie einander vermutlich nie wieder sehen.

»Hey«, sagte er mit seiner etwas kratzigen Stimme. »Ich bin da, um mein …«

»… dein Levocetirizin abzuholen«, platzte Drew heraus. Und schon flitzte sie zum Kühlschrank, schneller, als Will Stalkerin sagen konnte.

»Die Krankenschwester hat ein Krown Rookie?«, fragte er und bückte sich, um das Skateboard, das neben der Tür lehnte, genauer in Augenschein zu nehmen.

Drew prustete. Als ob Cate jemals auf einem rosa Board mit lila Flammen im Camp rumfahren würde. Sie war eher der Typ für unauffällige Designs. »Das gehört mir«, sagte sie.

»Ich hab dich fahren sehen. Du bist echt gut.«

Mit dem Beutel in der Hand und einem schüchternen Lächeln im Gesicht kehrte Drew zurück. »Danke.«

»Ich wär gern mal mit dir zusammen skaten gegangen, aber …«

»Aber was?«, hakte sie nach, und es gelang ihr, dabei total gelassen zu wirken.

»Dauer-Familienzeit«, antwortete er in Anspielung auf das Battleflag-Motto Familienzeit pur, rund um die Uhr!

»Familie, das heißt, für den Rest deines Lebens nie wieder allein zu sein«, zitierte Drew aus der Camp-Hymne, die wiederum irgendeinen berühmten Autor namens Mitch Irgendwas zitierte.

»M-hm.« Will rieb sich den Nacken. »Dieses ganze Nicht-Alleinsein ist manchmal ganz schön anstrengend.«

»Dann stell dir mal vor, du wächst hier auf«, sagte Drew.

Will lachte ein bisschen.

Drew lachte auch ein bisschen.

Will schaute runter auf seine roten Sneakers.

Drew schaute in Richtung Toilette. Wo steckte Cate bloß?

»Coole Kette«, sagte Drew in dem verzweifelten Versuch, die Stille zu übertönen. Aber die Kette aus Elfenbeinschnecken, die sie ein bisschen an die von Maui in Vaiana erinnerte, war echt schön.

Wills Hand wanderte zu der Kette, als wolle er sich versichern, dass sie noch da war. »Die hab ich in der Familienwerkstatt gebastelt.«

»Cool.«

Und da war sie wieder, die Stille. Nur schwerer. Vollgestopft mit Verlegenheit, die entsteht, wenn man keine Ahnung hat, was man als Nächstes sagen soll. Drews Kopf dagegen hörte gar nicht mehr auf, in voller Lautstärke Anweisungen zu trompeten. Los, sag was. Sei schlagfertig und nett. Aber nicht zu nett, sonst denkt er, du flirtest mit ihm. Und auch nicht zu schlagfertig, sonst denkt er, du willst angeben. Schnell! Wenn du jetzt nicht den Mund aufmachst, geht er wieder. Moment mal. Vielleicht ist es ja besser, wenn er geht. Ich meine, irgendwann geht er ja sowieso, da können wir es eigentlich auch gleich hinter uns bringen. Argh! Hätte ich nicht die letzten sechs Jahre auf einer privaten Mädchenschule verbracht, wüsste ich, was ich jetzt sagen soll. Fonda wüsste es bestimmt. Und ihre Schwestern auch, definitiv. Ruthie vermutlich sogar auch, und falls nicht, würde sie einfach einen von ihren »Fun Facts« vom Stapel lassen. Und deswegen würde es zumindest so wirken, als ob sie weiß, was sie sagen soll. Ich wünschte, die beiden wären hier. Ich muss mir einprägen, wie Will aussieht, damit ich ihn nachher genau beschreiben kann. O nein, wir hatten gerade Blickkontakt. Schnell, wegschauen!

»Woher hast du die Narbe da?«, fragte Will und zeigte auf die dünne weiße Linie zwischen Drews Oberlippe und ihrem linken Nasenloch.

»Zombie.« Sie wurde rot. Die Narbe war kaum mehr zu erkennen. Wenn sie Will aufgefallen war, bedeutete das, dass er Drew nicht nur flüchtig musterte – er schaute sie an. So richtig.

»Fangen mit verbundenen Augen?«

Drew nickte. Normalerweise wusste kein Mensch, was Zombie überhaupt war! »Da war ich neun. Hallo, Gesicht, darf ich dir Ast vorstellen? Ast, das hier ist Gesicht.«

Will nickte, als wüsste er genau, was sie meinte. »Hast du schon mal auf dem Skateboard Zombie gespielt?«

»Nein. Du?«

»Letztes Jahr wurde unser Schulparkplatz asphaltiert. Seitdem spielen wir da am Wochenende.«

»Klingt nach einer coolen Schule.«

»Ist sie auch«, sagte Will. »Am Wochenende.«

Drew lachte ein bisschen.

Will lachte auch ein bisschen.

»Auf welche Schule gehst du?«

»Poplar Middle.«

Drew legte den Kopf schief, weil sie sicher war, dass sie sich verhört haben musste. »Sag das noch mal.«

»Poplar Middle.«

»Echt jetzt?«, sagte Drew und boxte ihm in den Oberarm. »Im Ernst?«

»Äh, ja.« Will rieb sich den Arm. »Die kennst du?«

»Da geh ich auch hin!«

»Ehrlich?« Wills Wangen liefen rot an. »In die Achte?«

»Jepp.«

»Und warum hab ich dich dann noch nie bei uns gesehen?«

»Ich war auf der St. Catharine und fange dieses Jahr neu auf der Poplar an. Sind die Lehrer sehr streng?«

»O Maaaaannnn, hör bloß aaaauuf!«, sagte Will, dann wurde er noch ein bisschen röter. »Sorry, das stammt aus so einem alten Skateboard-Film, den ich auf YouTube gefunden habe. Der ist voll albern, aber irgendwie steh ich drauf.«

»The Skateboard Kid

»Den kennst du?!«

Drews Mund verzog sich zu einem Lächeln, das sich viel zu breit für ihr Gesicht anfühlte. »Mein Bruder Doug und ich gucken den ständig.«

»Ach, komm.«

»Doch, echt!«

Die Fliegengittertür öffnete sich quietschend, dann schloss sie sich stotternd hinter einer durchtrainierten Frau mit braunem Haar, die einen breitkrempigen Hut, ein Battleflag-Tanktop und eine garantiert lebensgefährliche Menge Insektenschutzmittel trug.

»Da bist du ja, Will«, sagte sie und bedachte Drew mit einem höflichen Lächeln. »Hast du dein Medikament schon genommen? Dein Vater und deine Schwester warten im Auto.«

Drew reichte Will die Tüte.

»Danke«, sagte Will, allerdings eher zur Tüte als zu Drew. »Also, schätze, wir sehen uns in der Schule.«

»Nicht, wenn du Zombie spielst.«

»Hä?«

»Wegen der verbundenen Augen.«

»Stimmt.« Will fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das danach in alle Richtungen vom Kopf abstand. »Jedenfalls solltest du auch mal mitspielen.«

»Klingt gut«, sagte Drew und verkniff sich die Frage, wann und wo genau sie sich treffen sollten, weil sie auf keinen Fall übereifrig wirken wollte.

»Will, können wir jetzt endlich?«, sagte seine Mutter.

»Also, ich sollte dann mal …«

»Klar.«

»Okay.«

»Tschüss«, sagte Drew und winkte steif. Die Art Winken, die so viel bedeutete wie: Meine Hand sagt zwar Lebwohl, aber mein Herz ist noch lange nicht so weit. Drew blinzelte und filmte die Situation in Gedanken mit. Dann legte sie die Erinnerung unter »Analysematerial für Ruthie und Fonda« ab. Bald schon würde sie wieder mit ihren Besties zusammen sein. Sie konnte es gar nicht abwarten, den beiden alles bis ins kleinste Detail zu erzählen. Und zwar mindestens zweimal.

3. Kapitel

kapitel_3

Das Weiße Haus war majestätisch. Bei Sonnenuntergang an dem großen Wasserbecken zu sitzen, in dem sich das Kapitol spiegelte, war echt überirdisch gewesen. Und die berühmten siebzehn Mahnmale hatten die Familie Goldman zu Tränen gerührt. Doch nichts, was diesen Sommer passiert war, würde auch nur ansatzweise mithalten können mit dem großen Wiedersehen, das gleich in Ruthies Schlafzimmer stattfinden sollte.

Nimm’s mir nicht krumm, Washington, dachte sie, während sie ein paar verirrte Mandelsplitter, Bleistiftspäne und sechs Kreuzworträtselhefte aus ihrem Reiserucksack leerte. Ruthie mochte die Urlaube mit ihren Eltern – sie waren wie ein All-You-Can-Eat-Buffet fürs Gehirn. Aber jetzt war ihr Hirn voll bis obenhin, und sie freute sich auf zu Hause. Schließlich hieß es nicht umsonst »Trautes Heim, Glück allein«. Ein gutes Stück vom Glück hatte sie nämlich zu Hause bei Fonda und Drew lassen müssen. Und weil sie unterwegs keine Mobilgeräte benutzen durfte, hatte sie null Kontakt zu ihren Freundinnen gehabt.

Eigentlich hatte sie darauf gehofft, dass sie sich schon in der Auffahrt kreischend und hüpfend in die Arme fallen würden. Aber Fonda war mit ihren Schwestern einkaufen, und Drew war selbst erst vor einer halben Stunde aus dem Camp zurückgekehrt und packte noch aus.

Doch das spielte alles keine Rolle, weil sie in … Ruthie warf einen Blick auf ihre pinke Casio … fünf Minuten hier bei ihr sein würden! Nur noch dreihundert Sekunden bis zu ihrem traditionellen freitäglichen Sleepover – das erste Mal seit zwei Monaten würden sie wieder beieinander übernachten.

Ruthie konnte es kaum erwarten, Drews superwitzige Beschreibungen der Battleflag-Gäste und Fondas Geschichten über ihre drei Ferienjobs anzuhören. Konnte es kaum erwarten, ihren Freundinnen Chips vom Teller zu stibitzen, über ihre Rülpser zu lachen und am Ende zum beruhigenden Klang ihrer Atemgeräusche einzuschlafen. Konnte es kaum erwarten, endlich und für immer und ewig wieder mit ihren Mädels zusammen zu sein.

Jetzt lag nur noch Foxie auf dem Teppich. Ruthie nahm sie hoch und legte sie auf ihr Bett. Foxie war ihr über alles geliebtes Geheimstofftier, und nur ihre Besties und ihre Eltern wussten, dass es Foxie noch gab. Ruthie hatte sie vor fünf Jahren in der Fundgrube der Drittklässler gefunden. Wie ein Schnorchel hatte Foxies spitze Schnauze aus dem Wirrwarr aus Pullis, Turnschuhen und Brotzeitdosen hervorgeragt. Das arme Ding war ganz allein. Da blieb Ruthie natürlich nichts anderes übrig, als sie zu retten, vor allem in Anbetracht der Myriaden an Gemeinsamkeiten, die sie hatten:

1. Dunkle Augen, die vor Neugierde funkelten

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