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Frühlingsmagie

hier erhältlich:

Familie ist, wenn man zusammenhält!

Als Olivia von ihrer Hochzeitsreise zurückkehrt, herrscht Aufruhr in Cedar Cove. In Peggys und Bobs Bed and Breakfast wurde ein Mann tot aufgefunden und man ist sich sicher: Er wurde vergiftet. Wie konnte so etwas in ihrer idyllischen Heimat passieren? Hat Bob etwas mit der Sache zu tun? Schließlich kannte er den Toten. Die Suche nach Antworten beunruhigt den ganzen Ort und wird immer mehr zu einer Belastung für Peggy und Bob, doch in Cedar Cove hält man zusammen.


  • Erscheinungstag: 26.01.2021
  • Aus der Serie: Cedar Cove
  • Bandnummer: 4
  • Seitenanzahl: 384
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959675994
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für Leslee Borger und ihre unglaubliche Mutter Ruth Koelzer

Liebe Freundinnen und Freunde,

wenn das euer erster Besuch in Cedar Cove, Washington, ist: Willkommen! Alle Bewohner der Stadt brennen darauf, sich euch vorzustellen. Und wenn ihr zum wiederholten Mal hier seid: Willkommen zurück! Hier ist immer eine Menge los, wie ihr vielleicht schon aus den vorigen Bänden der Reihe wisst. Charlotte, Olivia, Jack, Cecilia und all die anderen freuen sich darauf, euch über sämtliche Entwicklungen und Ereignisse auf den neuesten Stand zu bringen. Ich verspreche euch, dass einige Überraschungen auf euch warten … natürlich auch Liebesgeschichten und, hoffentlich, eine Menge Spaß.

Außerdem wird sich endlich das Geheimnis um den Unbekannten lüften, der in der Pension der Beldons gestorben ist. Schließlich wünschen sich Peggy und Bob, dass ihr Leben nach dem Schrecken wieder in geordneten Bahnen verläuft. Aber es wartet schon ein neues Geheimnis auf euch, und diesmal betrifft es die Familie McAfee.

Wenn ihr mir etwas mitteilen wollt, könnt ihr mich über P.O. Box 1458, Port Orchard, WA 98366 erreichen oder über meine Webseite unter www.debbiemacomber.com. Und jetzt holt euch etwas zu trinken (Peggy würde euch einen Tee aufbrühen und einen von ihren berühmten Blaubeermuffins servieren!). Macht es euch bequem und taucht ein in das Leben in Cedar Cove. Ich bin so froh, dass ihr hier seid.

Liebe Grüße
Debbie Macomber

Die Hauptpersonen

Olivia Lockhart: von Stan Lockhart geschieden, jetzt verheiratet mit Jack Griffin. Familienrichterin in Cedar Cove, Mutter von Justine und James. Wohnt in der Lighthouse Road Nummer 16.

Charlotte Jefferson: verwitwete Mutter von Olivia, wohnt schon ihr ganzes Leben lang in Cedar Cove.

Justine (Lockhart) Gunderson: verheiratet mit dem Fischer Seth Gunderson, Mutter von Leif.

Seth Gunderson: verheiratet mit Justine. Dem Paar gehört das Lighthouse Restaurant.

Stanley Lockhart: von Olivia geschieden, Vater von James und Justine. Lebt in Seattle.

Will Jefferson: Olivias Bruder, Charlottes Sohn. Verheiratet, lebt in Atlanta.

Grace Sherman: Olivias beste Freundin, Bibliotheksleiterin, Mutter von Maryellen und Kelly. Verwitwet, lebt in der Rosewood Lane Nummer 204.

Dan Sherman: verstorbener Ehemann von Grace.

Maryellen Sherman: älteste Tochter von Grace und Dan, Geschäftsführerin der Kunstgalerie in der Harbor Street, Mutter von Katie. Geschieden.

Kelly Jordan: Maryellens jüngere Schwester, verheiratet mit Paul, Mutter von Tyler.

Jon Bowman: Kunstfotograf und Küchenchef, Vater von Maryellens Tochter Katie, verlobt mit Maryellen.

Jack Griffin: Zeitungsreporter und Chefredakteur des Cedar Cove Chronicle. Trockener Alkoholiker. Verheiratet mit Olivia, Vater von Eric, der mit seiner Frau Shelly und ihren Zwillingen in Nevada lebt.

Zachary Cox: Steuerberater, Vater von Allison und Eddie Cox, geschieden von und wiederverheiratet mit Rosie Cox, die als Lehrerin arbeitet. Die Familie lebt im Pelican Court Nummer 311.

Cliff Harding: Ingenieur im Ruhestand und Pferdezüchter, geschiedener Vater von Lisa, die in Maryland lebt. Enkel von Tom Houston (Harding), einem Cowboy-Filmstar aus den Dreißigerjahren. Grace Sherman und er führen eine wechselhafte, komplizierte Beziehung. Er wohnt in der Nähe von Cedar Cove auf seiner Pferderanch.

Cecilia Randall: Ehefrau des Marinesoldaten und ehemaligen U-Boot-Fahrers Ian Randall, Buchhalterin. Hat ihre Tochter Allison kurz nach der Geburt verloren.

Bob und Peggy Beldon: beide im Ruhestand, sie haben zwei erwachsene Kinder. Dem Ehepaar gehört das Thyme and Tide, eine Pension im Cranberry Point Nummer 44.

Roy McAfee: pensionierter Polizist aus Seattle, jetzt Privatdetektiv, verheiratet mit Corrie McAfee, die als Assistentin sein Büro führt. Sie haben zwei erwachsene Kinder und wohnen in der Harbor Street Nummer 50.

Troy Davis: Sheriff von Cedar Cove. Wohnt am Pacific Boulevard Nummer 92.

Ben Rhodes: Marineoffizier im Ruhestand. Regelmäßiger Besucher des Seniorenzentrums. Hat eine Beziehung mit Charlotte Jefferson.

Louie Benson: Bürgermeister von Cedar Cove und Bruder des Rechtsanwalts Otto Benson.

Warren Saget: Bauunternehmer, ehemals mit Justine Gunderson liiert.

Dave Flemming: Methodistenpastor, verheiratet mit Emily, zwei Söhne. Das Ehepaar wohnt im Sandpiper Way Nummer 8.

1. Kapitel

Peggy Beldon betrat ihren neu bepflanzten Garten, erfreute sich an dem Anblick und sog die vielen verschiedenen Düfte ein. Der Garten war ihr ganz privater Rückzugsort, ihr Quell der Ruhe und Gelassenheit. Vom Puget Sound wehte der frische Geruch von Salzwasser herüber, und sie beobachtete, wie die Washington-State-Fähre sich auf den Weg von Bremerton nach Seattle machte. Dies war ein typischer Nachmittag im Mai für Cedar Cove um diese Jahreszeit: angenehm warm mit nur leichtem Wind.

Peggy entrollte den Gartenschlauch und schritt vorsichtig zwischen den Reihen von Blattsalat, Erbsen und Stangenbohnen hindurch, während sie die Beete bewässerte. Sie war sehr praktisch veranlagt, und das zeigte sich an ihren Gemüse- und Kräuterbeeten. Ihren Sinn für Schönheit lebte sie im Blumengarten vor dem Haus aus. Das Haus, von dem sie immer geträumt hatte – Peggy warf einen Blick darauf und lächelte. Sie war in Cedar Cove aufgewachsen, hatte an der örtlichen Highschool ihren Abschluss gemacht und Bob Beldon geheiratet, nachdem er aus Vietnam zurückgekehrt war. Die frühen Jahre ihrer Ehe waren schwierige Jahre gewesen, denn Bob flüchtete sich vor seinen Kriegserinnerungen in den Alkohol. Aber dann, zu Peggys unendlicher Erleichterung, entdeckte er die Anonymen Alkoholiker. Das rettete ihre Ehe und vermutlich auch Bob das Leben. Bevor er den AA beigetreten war, hatte er sich abends meistens volllaufen lassen, entweder allein oder mit Freunden, und wenn er trank, dann wurde er ein anderer und war nicht mehr der Mann, den sie geheiratet hatte. Sie dachte nicht gern an diese Zeit zurück, aber Gott sei Dank war Bob inzwischen seit einundzwanzig Jahren trocken.

Behutsam goss sie die jungen Sämlinge.

Vor etlichen Jahren hatte Bob sich vorzeitig in den Ruhestand versetzen lassen, und von der Abfindung hatten sie sich das Haus im Cranberry Point gekauft. Peggy liebte es, seit sie es zum ersten Mal gesehen hatte. Es lag oberhalb des Sinclair Inlet, und sie hatte das zweistöckige Bauwerk aus den späten Dreißigerjahren immer als Herrenhaus betrachtet. Im Laufe der Zeit hatte es häufig den Besitzer gewechselt und war dabei mehr und mehr heruntergekommen, weil niemand sich um die nötigen Instandhaltungsarbeiten gekümmert hatte. Bob und Peggy hatten sich sehr nach der Decke strecken müssen, aber es war ihnen gelungen, das Haus zu einem Preis weit unter dem Marktwert zu erstehen.

Ihr Mann war ein talentierter Handwerker, und schon wenige Monate später konnten sie ihre Pension eröffnen. Peggy wusste damals nicht, ob das Geschäft gut laufen würde und wie viele Gäste einen Aufenthalt im Thyme and Tide, wie sie ihr Haus nannten, buchen würden. Natürlich hatte sie gehofft, dass sie genügend einnehmen könnten, um mit ihrer Rente auszukommen – und das war ihnen gelungen. Der Erfolg ihrer Pension erfüllte sie mit Stolz. Ihr traditionelles Heim, ihre herzliche Gastfreundschaft und ihre Kochkünste sorgten für einen stetigen Strom von Gästen und ein immer besseres Renommee. Man hatte ihnen sogar in einer überregionalen Illustrierten eine ausführliche Kritik gewidmet und das Essen in der Pension, insbesondere die Backwaren, in den höchsten Tönen gelobt. Der Kritiker hatte zwei ganze Sätze darauf verwandt, Peggys Blaubeermuffins und ihren Obstauflauf zu beschreiben. Zwanzig Blaubeerbüsche standen in ihrem Garten, dazu acht Himbeersträucher, und sie kümmerte sich liebevoll um diese Pflanzen. Jeden Sommer wurde sie dafür mit einer reichen Ernte für ihre Gäste und ihre Familie belohnt. Das Leben war ihr so vollkommen erschienen, wie es nur sein konnte.

Und dann war das Unvorstellbare passiert.

Vor etwas mehr als einem Jahr hatte mitten in einer dunklen, stürmischen Nacht ein Fremder an ihre Tür geklopft. Wenn die Geschichte keinen so grausamen Verlauf genommen hätte, hätte sie sich vielleicht über dieses Klischee amüsiert, aber die Sache war kein bisschen witzig. Der Mann hatte sich ein Zimmer geben lassen und sich darin eingeschlossen.

Seitdem hatte Peggy schon unzählige Male bereut, nicht darauf bestanden zu haben, dass der unbekannte Gast zuerst die nötigen Anmeldeformulare ausfüllte. Aber es war spät gewesen, und er hatte so müde und erschöpft gewirkt, dass sie ihm einfach nur sein Zimmer gezeigt hatte. Alles Weitere konnten sie am nächsten Morgen klären, beim Frühstück. Dachten sie.

Aber am nächsten Morgen war der Fremde tot gewesen.

Seitdem fühlte Peggy sich wie in einem Wirbelsturm gefangen, hilflos Kräften ausgesetzt, über die sie keine Gewalt hatte. Schlimm genug, dass der Mann in ihrem Haus gestorben war, aber dann erfuhren sie obendrein, dass er mit falschen Papieren gereist war. Nichts war so, wie es schien. Am Ende jenes Tages, nachdem sie stundenlang den Sheriff und den Gerichtsmediziner im Haus gehabt hatten, standen viel mehr Fragen offen, als es Antworten gab.

Sie sah, wie Bob den Rasenmäher aus der Garage schob. Beim Klang des Motors hielt Peggy einen Moment beim Bewässern der Sämlinge inne und beschattete die Augen mit einer Hand. Obwohl sie nun schon so viele Jahre verheiratet waren, wurde sie ihres gemeinsamen Lebens nie überdrüssig. Sie hatten auch die schlechten Zeiten überstanden, und die hatten ihrer Liebe nichts anhaben können. Auch nicht der Anziehungskraft zwischen ihnen. Bob war hochgewachsen und hatte sich stets in Form gehalten, sein hellbraunes Haar war akkurat geschnitten, die Arme bereits von der Sonne gebräunt. Er arbeitete gern in seiner Tischlerwerkstatt, und Peggy fand es beeindruckend, was er aus ein paar Stücken Eichen- oder Nadelholz zaubern konnte. Schon als Teenager hatte sie sich in Bob Beldon verliebt, und sie liebte ihn immer noch.

In diesem Moment aber machte sie sich Sorgen. Sie wollte nicht über den Toten nachdenken, aber es ließ sich nicht vermeiden, schon gar nicht nach dem, was sie kürzlich erfahren hatten. Sheriff Davis hatte den unbekannten Gast inzwischen als Maxwell Russell identifiziert. Für Bob war das mehr als nur ein Schock gewesen, denn er kannte Max von früher. Er war mit ihm in Vietnam gewesen. Zusammen mit Dan Sherman, den man ebenfalls vor einiger Zeit tot aufgefunden hatte, und einem weiteren Mann namens Stewart Samuels gehörten sie demselben Geschwader an und hatten sich im südostasiatischen Dschungel verirrt – mit tragischen Folgen.

Nachdem die Identität des Toten geklärt worden war, kam es zu einer weiteren schockierenden Entdeckung: Der Sheriff fand mithilfe des ortsansässigen Privatdetektivs Roy McAfee heraus, dass Max Russells Tod kein Unfall gewesen war.

Der Mann war vergiftet worden.

Die Wasserflasche, die er bei sich hatte, war mit einem geruchs- und geschmacklosen Mittel namens Rohypnol versetzt worden, besser bekannt als K.o.-Tropfen. Das Mittel war so hoch dosiert, dass es einen Herzstillstand auslöste. Maxwell Russell hatte sich, müde nach einem langen Reisetag, schlafen gelegt und war nie wieder aufgewacht.

Bob fuhr auf dem Rasentraktor an Peggy vorbei und winkte ihr kurz zu. Sie wässerte weiter ihren Garten, aber der Anblick ihres Mannes versetzte ihr einen Stich. Gerade in diesem Moment konnte Bob in Gefahr sein, aber anscheinend zog er es vor, das Risiko zu ignorieren, statt einzugestehen, dass sie sich zu Recht Sorgen machte.

Als sie den Schlauch weglegte, entdeckte Peggy den Wagen des Sheriffs, der den Cranberry Point entlangfuhr. Sofort spürte sie, wie sie sich zwischen den Schulterblättern verspannte. Hoffentlich hatte er vor, Bob zur Vernunft zu bringen.

Ihr Mann musste den Streifenwagen im selben Moment wie Peggy bemerkt haben, denn er schaltete den Rasentraktor aus und kletterte herunter. Sheriff Troy Davis bog in die Einfahrt ein, hielt an und stieg aus seinem Wagen. Zu Beginn der Ermittlungen, als es noch so aussah, als hielte er Bob für einen Mordverdächtigen, war Troy ihnen nicht annähernd so willkommen gewesen wie jetzt.

Der Sheriff, der ein bisschen Übergewicht mit sich herumschleppte, nahm sich einen Moment Zeit, um seine Hose etwas höher zu ziehen und seine Waffe zurechtzurücken, bevor er über den Rasen auf Bob zuging. Da sie nichts von der Unterhaltung verpassen wollte, drehte Peggy rasch das Wasser ab und eilte durch das teilweise bereits gemähte Gras zu den beiden Männern.

»Peggy.« Troy berührte zum Gruß seine Hutkrempe und nickte ihr zu. »Ich habe gerade zu Bob gesagt, dass ich es für angebracht halte, wenn wir uns zu dritt zusammensetzen und reden.«

Peggy nickte, dankbar dafür, dass er sie miteinbeziehen wollte.

Bob ging voran zur Terrasse, und Peggy war froh, dass sie sich am Morgen die Zeit genommen hatte, dort zu fegen. Sie setzten sich an den runden Kieferntisch, den Bob vor etlichen Jahren selbst getischlert hatte. Er hatte ihn in einem dunklen Graublau gestrichen, einer Farbe, die sich wunderschön vom weißen Rahmen abhob. Der gestreifte Sonnenschirm war bereits aufgespannt, und die Terrasse lag in herrlichstem Sonnenschein.

»Ich dachte, ich bringe euch auf den neuesten Stand, nachdem ich mit Hannah Russell gesprochen habe.«

Vor ein paar Monaten, nachdem Max identifiziert worden war, hatte seine Tochter darum gebeten, sich mit Bob und Peggy treffen zu dürfen. So richtig wohl war niemandem bei diesem Treffen gewesen, aber Peggy empfand großes Mitgefühl für die junge Frau, und sie hatte Hannahs Fragen, so gut sie konnte, beantwortet.

Sie selbst waren dabei kaum weitergekommen, Hannah konnte ihnen nur wenig erzählen. Sie wusste auch nur, was ihr Vater ihr gesagt hatte, nämlich, dass er kurz verreisen wolle. Wohin, das hatte er ihr nicht verraten. Und das war das Letzte, was sie von ihm gehört hatte. Als er nicht nach Kalifornien zurückkam, hatte Hannah ihn bei der Polizei vermisst gemeldet und erst ein Jahr später von seinem Tod erfahren.

»Sie tut mir so leid«, sagte Peggy. Hannah hatte schon vor längerer Zeit ihre Mutter verloren und war jetzt Vollwaise ohne weitere Angehörige.

»Sie war sehr traurig«, gab Troy zu. »Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie schmerzlich es für sie war, zu hören, dass ihr Vater tot ist. Aber dann auch noch zu erfahren, dass er ermordet wurde …« Er schüttelte den Kopf.

»Hat sie eine Idee, wer das getan haben könnte?«

»Nein. Sie hat mich gebeten, euch für eure Freundlichkeit zu danken. Mit euch zu reden, hat ihr geholfen, den Tod ihres Vaters zu verarbeiten. Peggy, sie hat den Brief erwähnt, den du ihr geschrieben hast, und ich konnte sehen, dass er ihr sehr viel bedeutet hat.«

Peggy biss sich auf die Unterlippe. »Wie kommt sie zurecht?«

Der Sheriff zögerte. »Ich kann es nicht sagen. Sie meinte, sie habe keinen Grund, länger in Kalifornien zu bleiben, und ließ durchblicken, dass sie über einen Umzug nachdenkt. Ich habe sie gebeten, Kontakt zu halten, und sie hat mir versprochen, das zu tun.«

Peggy verstand gut, wie die junge Frau sich fühlen musste. Nachdem sie beide Eltern verloren hatte, war sie entwurzelt. Peggy konnte nachvollziehen, warum sie die Gegend verlassen wollte, in der sie aufgewachsen war und die so viele Erinnerungen weckte. Wohin sie sich auch wandte, was sie auch ansah, alles musste Hannah an die geliebten Eltern erinnern.

»Was hast du über Colonel Samuels in Erfahrung bringen können?«, fragte Bob, die Augen schmal zusammengekniffen.

Peggy wusste, dass der Sheriff kürzlich Kontakt zu Stewart Samuels aufgenommen hatte. Der Verdacht gegen den Colonel war für Troy ausgeräumt, aber ihr Mann hegte offensichtlich noch Zweifel. Während Bob, Dan und Max nach dem Vorfall damals, in den frühen Siebzigerjahren, so schnell wie möglich aus der Armee entlassen werden wollten, war Samuels beim Militär geblieben und hatte eine steile Karriere hingelegt.

»Zurzeit betrachte ich den Colonel nicht als Verdächtigen.«

»Er ist ein hohes Tier im Militärischen Geheimdienst, soweit ich weiß«, murmelte Bob, als müsste das als hinreichendes Mordmotiv gelten.

»Und lebt in Washington, D. C.«, erwiderte Troy gelassen. »Ich habe ihn von mehreren Leuten überprüfen lassen. Er ist hoch geachtet, hat sich als kooperativ erwiesen und ist bereit zu helfen, so gut er kann. Vielleicht solltest du selbst mit ihm reden.«

Bob lehnte mit knappem Kopfschütteln ab. Er wollte so wenig wie möglich an Vergangenem rühren. Es war ihm schon schwer genug gefallen, mit Dans Tod fertigzuwerden – er hatte Selbstmord begangen – und mit dem von Max. Je weniger er über die Vergangenheit oder ihre Auswirkungen auf die Gegenwart nachdenken musste, desto besser.

»Ist Bob in Gefahr?«, fragte Peggy rundheraus. Ihr Mann mochte es vorziehen, vor einer wahrscheinlichen Bedrohung die Augen zu verschließen, aber Peggy wollte eine realistische Einschätzung der Lage.

»Ich glaube, er könnte in Gefahr sein«, antwortete der Sheriff leise.

Das war nicht die Antwort, die Peggy sich erhofft hatte, aber sie war ihm trotzdem dankbar für seine Offenheit. Sie mussten der Wahrheit ins Auge sehen, so unangenehm sie auch sein mochte, und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen treffen.

»Unsinn«, widersprach Bob. »Wenn jemand mich würde umbringen wollen, läge ich bereits unter der Erde.«

Vielleicht hatte er recht, aber Peggy war nicht bereit, ein Risiko einzugehen, wenn es um sein Leben ging.

»Warum machen wir nicht einen verlängerten Urlaub?«, schlug sie vor. Ihre letzte Auszeit von der Pension lag viele Jahre zurück, und sie konnten die Erholung gebrauchen.

»Für wie lange?«, fragte Bob.

»Bis der Fall gelöst ist«, erwiderte Peggy und sah ihn flehend an. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um den Mutigen zu spielen – jedenfalls ihrer Meinung nach.

»Kommt nicht infrage.« Bobs prompte Weigerung überraschte sie nicht. Er verschloss zu gern die Augen vor der Wahrheit, aber irgendwer musste ihm klarmachen, dass er in realer Gefahr schwebte. Und wenn er in Gefahr war, dann war sie es auch.

»Ich gehe nicht fort aus Cedar Cove.«

»Bitte, Bob …«

»Ich lasse mich von nichts und niemandem aus meinem Zuhause verjagen!«

Peggy lief es eiskalt den Rücken hinunter. »Aber …«

»Nein, Peg«, fiel er ihr ins Wort, und seine Miene gab unmissverständlich zu verstehen, wie entschlossen er war. »Wie lange sollen wir uns verkriechen? Einen Monat? Zwei? Noch länger?«

Diese Frage konnte Troy Davis nicht beantworten.

»Max ist vor über einem Jahr gestorben. Damals war ich vermutlich auch in Gefahr, richtig?«

Der Sheriff und Peggy wechselten besorgte Blicke. »Ich verstehe, was du damit sagen willst, aber damals wussten wir noch nicht, was wir jetzt wissen.«

»Ich laufe nicht davon! Ich habe mein halbes Leben damit verbracht, davonzulaufen, und das tue ich nicht noch einmal. Wenn mich jemand umbringen will, dann ist es eben so.«

Peggy schnappte erschrocken nach Luft.

»Es tut mir leid, Schatz«, fuhr ihr Mann fort, beugte sich über den Tisch und fasste nach ihrer Hand. »Ich weigere mich, so zu leben. Ständig einen Blick über meine Schulter werfen zu müssen.«

»Wie wäre es dann mit einem Kompromiss?«, meinte Troy. »Ihr müsst ja nicht unbedingt jemanden in euer Haus einladen, der euch womöglich Böses will.«

»Wie meinst du das?« Bob wandte sich wieder dem Sheriff zu, und Peggy erkannte an seiner Haltung, dass er trotz seiner kühnen Worte Angst hatte. Seine Körpersprache verriet, was er nicht zugeben wollte.

»Ich weiß nicht, wie viele Reservierungen ihr für eure Pension habt, aber ich empfehle euch dringend, keine weiteren Buchungen anzunehmen.«

»Den Gästen, die reserviert haben, können wir problemlos absagen«, murmelte Peggy. Es gab genügend andere Unterkünfte in der Stadt, die sich über die zusätzlichen Gäste freuen würden.

Bob schaute Peggy fragend an. »Würdest du dich damit wohler fühlen?«

Sie schluckte. Nickte.

Bob wirkte immer noch unsicher, geradeso, als wäre ihm schon dieses eine Zugeständnis eines zu viel.

»Ich mache mir schon seit Jacks und Olivias Hochzeit Sorgen«, flüsterte sie.

Dort war Bob vor einer Woche der Trauzeuge seines Freundes Jack Griffin gewesen – nur einen oder zwei Tage bevor sie erfahren hatten, dass Max Russell ermordet worden war.

»Na schön«, gab Bob zögernd und widerwillig nach. »Wir stornieren alle Buchungen.«

»Keine Gäste«, sagte Peggy.

»Keine Gäste«, bestätigte er, »bis diese Sache ein für alle Mal geklärt ist.«

Finanziell würde das für sie hart werden, aber das spielte keine Rolle. Viel wichtiger war ihr die Gewissheit, dass sich ihr Mann in Sicherheit befand.

»Ich werde alles tun, um den Fall so schnell wie möglich zu klären«, versprach Troy.

Peggy fragte sich bang, wie lang das wohl dauern mochte.

2. Kapitel

Cecilia Randall stand am Marinekai und sah zu, wie sich der Flugzeugträger John F. Reynolds langsam in den Sinclair Inlet schob. Nach einem sechsmonatigen Einsatz im Persischen Golf kam ihr Mann Ian endlich nach Hause. Cecilia hatte oft gehört, wie andere davon sprachen, dass ihnen »das Herz überschäumte«. Sie hatte diese Redewendung als übertrieben und sentimental abgetan. Jetzt aber wusste sie, was damit gemeint war und wie sich das anfühlte. Auch ihr schäumte jetzt das Herz über vor Liebe, Stolz und Heimatliebe, als das gewaltige Schiff sich auf Bremerton zubewegte.

Die anderen Seemannsfrauen und ganze Horden von Freunden und Angehörigen drängten sich auf dem Pier. Bunte Fähnchen flatterten im Wind, Schilder mit der Aufschrift »Willkommen daheim« wurden in die Höhe gehalten und fröhlich geschwenkt. Hubschrauber verschiedener Fernsehsender aus Seattle kreisten über dem Hafen und zeichneten das Ereignis für die Fünf-Uhr-Nachrichten auf. Die Freude und Aufregung um sie herum wirkten ansteckend, obwohl trübes Wetter herrschte und der Himmel bedeckt war. Selbst die bleigraue Wolkendecke und der drohende Regen konnten Cecilias Stimmung nichts anhaben. Im Hintergrund spielte eine Kapelle, und die amerikanische Flagge flatterte im Wind. Eine Szene wie aus einem Gemälde von Norman Rockwell.

Cecilias beste Freundinnen Cathy Lackey und Carol Greendale, deren Männer ebenfalls als Marinesoldaten dienten, standen neben ihr. Beide hielten ihre Kinder auf dem Arm, abgestützt auf den Hüften, und winkten wie verrückt. Auch Cecilia hoffte, bald wieder Mutter zu werden.

»Ich glaube, ich sehe Andrew!«, rief Cathy, quietschte vor Freude und winkte noch wilder mit einem Arm über ihrem Kopf. Dann deutete sie für ihren kleinen Jungen auf seinen Daddy.

Dreitausend Seeleute, alle in weißen Marineuniformen, standen aufgereiht entlang der Reling des Schiffs, die Beine leicht gespreizt, die Hände hinter dem Rücken. Auf diese Entfernung konnte Cecilia ihren Mann nicht ausmachen. Der Wind peitschte ihr ins Gesicht, während sie rief und winkte. Vielleicht konnte Ian sie ja sehen.

»Nimmst du bitte Amanda?«, bat Carol sie und hob Cecilia ihre dreijährige Tochter entgegen.

Die nahm die Kleine gern. Dabei hatte es Zeiten gegeben, in denen sie das kleine Mädchen nicht einmal anschauen konnte, ohne dass sie ein heftiger Schmerz durchzuckte. Allison, ihre Tochter, war in derselben Woche geboren worden wie Amanda. Wenn sie überlebt hätte, wäre sie jetzt ebenfalls drei Jahre alt, aber sie starb schon wenige Tage nach der Geburt. Der Tod ihres kleinen Mädchens ließ Cecilias Ehe zerbrechen. Wenn sich die Familienrichterin nicht gegen das übliche Prozedere gestellt und ihnen die Scheidung verweigert hätte, dann wären sie vermutlich in die traurige Scheidungsstatistik eingegangen.

»Ian, hier bin ich!«, rief Cecilia, mit hoch erhobenem Arm winkend. »Siehst du deinen Daddy?«, fragte sie Amanda.

Die Kleine hatte ihre Arme fest um Cecilias Nacken geschlungen und barg ihr Gesicht an Cecilias Schulter.

»Da ist Daddy, da ist Daddy!«, rief Carol und deutete auf den Flugzeugträger.

Amanda blickte auf und lächelte, und Carol griff wieder nach ihrer Tochter.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Gangway heruntergelassen wurde und die Seeleute mit ihren Seesäcken von Bord gehen konnten. Cathy entdeckte Andrew und rannte vor Freude weinend zu ihrem Mann.

Cecilia hielt immer noch Ausschau nach Ian, bis sie ihn endlich entdeckte: groß, durchtrainiert und sonnengebräunt. Seine dunklen Haare blitzten unter der weißen Marinemütze hervor. Ihr verschlug es bei seinem Anblick den Atem, und sie brach in Freudentränen aus.

Keine Minute später zog Ian sie in seine Arme. Sie klammerten sich aneinander, und Tränen standen ihnen in den Augen, als er sie küsste.

Es war ein langer, sinnlicher Kuss, der den vergangenen sechs Monaten voller Sehnsucht und Verlangen Ausdruck verlieh. Als er schließlich endete, fühlte Cecilia sich schwach und außer Atem. Ian war zu Hause, ihre Welt war wieder heil. Das Universum hätte sich um sie herum verflüchtigen können, und es wäre ihr egal gewesen.

»Ich habe dich schrecklich vermisst«, flüsterte sie, ohne ihn loszulassen. Mit den Fingern massierte sie seinen Nacken. Es gab so viel zu sagen, ihr lag so viel auf dem Herzen, aber nichts davon war in diesem Moment wichtig. Hier und jetzt zählte nur, dass sie Ians Arme um sich spürte und wusste, dass er zu Hause und in Sicherheit war und ihr gehörte, auch wenn er nur eine Leihgabe der US-Marine war.

»Oh, mein Schatz, das waren die längsten sechs Monate meines Lebens.« Immer noch drückte er sie fest an sich, und Cecilia schloss die Augen, genoss diesen Augenblick, auf den sie so lange gewartet hatte.

Ian hatte drei Tage Landurlaub, und Cecilia plante, jede einzelne Stunde ihrer gemeinsamen Zeit intensiv zu nutzen – die Tage und die Nächte. Es hätte keinen günstigeren Zeitpunkt für seine Heimkehr geben können. Wenn sie sich nicht irrte, würde sie in den nächsten Tagen empfängnisbereit sein.

Anscheinend war sie ihm immer noch nicht nah genug, denn er schlang seinen Arm um ihre Taille und zog sie an seine Seite. Er lächelte, und seine Liebe hüllte sie ein wie – warmer Sonnenschein. Dies schien ihr der passendste Vergleich. Ians Liebe glich der lebenspendenden Wärme der Sonne, die sich an diesem Tag hinter einer dichten Wolkendecke verbarg. Es hatte leicht zu nieseln begonnen, und sie gingen schneller, ohne den Blick voneinander abzuwenden.

»Ich liebe dich«, formte sie still mit den Lippen.

»Ich kann es kaum erwarten, dir zu zeigen, wie sehr ich dich liebe.« Dann, als wäre ihm gerade erst dieser Gedanke gekommen, fragte er: »Du musst doch jetzt nicht zurück zur Arbeit, oder?«

Einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, ihn im Ungewissen zu lassen, brachte es aber doch nicht übers Herz. »Nein, Mr. Cox hat mir die ganzen drei Tage frei gegeben.« Sie reichte Ian den Wagenschlüssel, und er schloss das Auto auf.

»Dein Chef wird mir immer sympathischer.«

Cecilia ging es genauso, vor allem seit Mr. und Mrs. Cox erneut geheiratet hatten. Im Büro herrschte eine deutlich entspanntere Atmosphäre, seit das Paar wieder zusammen war. Auf der Fahrt nach Hause verschwendete Cecilia jedoch keinen weiteren Gedanken an das Ehepaar Cox. Ians und ihre Blicke trafen sich immer wieder, doch sie redeten nicht viel. Zehn Minuten später erreichten sie ihr Zuhause.

»Hast du alles, was ich dir geschickt habe, wieder mitgebracht?«, fragte Cecilia heiser, als Ian den Wagen auf ihren Parkplatz stellte. Sie waren unmittelbar vor seinem letzten Einsatz in diese Dienstwohnung gezogen, die gerade frei geworden war.

»Das war sehr sadistisch von dir, Frau«, erklärte Ian mit finster zusammengezogenen Augenbrauen.

Hätte sie ihn nicht so gut gekannt, dann hätte sie womöglich geglaubt, ihr kleiner Scherz wäre bei ihm nicht gut angekommen. Das Leuchten in seinen Augen verriet ihr jedoch, was er wirklich dachte. In den letzten drei Wochen vor seiner geplanten Heimkehr hatte Cecilia ihm wöchentlich je ein Teil eines durchsichtigen Negligé-Sets geschickt. Dem letzten Teil hatte sie eine Karte beigelegt, auf der sie ihm versprach, die Kleidungsstücke für ihn zu tragen, wenn er wieder zu Hause war. Beim Lesen seiner letzten E-Mail konnte sie regelrecht spüren, wie wild er auf sie war.

»Ich hoffe, dir ist klar, dass du mit diesem kleinen Scherz eine Bestie heraufbeschworen hast.«

»Eine Bestie, die ich nur zu gern zähmen möchte«, erwiderte sie flüsternd, beugte sich zu ihm hinüber und küsste ihn.

»Oh, Schatz …« Er beendete den Kuss. »Lass uns zusehen, dass wir ins Haus kommen. Schnell!«

»Aye, aye«, antwortete sie verträumt und salutierte ihm.

Ian stieg rasch aus, rannte um den Wagen herum und riss die Beifahrertür für sie auf. Er half ihr beim Aussteigen und schnappte sich dann seinen Seesack von der Rückbank. Aufgeregt kichernd liefen sie im leichten Regen auf die Doppelhaushälfte zu, die sie bewohnten. Ian war so aufgeregt, dass er es kaum schaffte, die Haustür aufzuschließen.

Cecilia hatte die Wohnung geputzt, bis alles glänzte. Die Bettwäsche war frisch aufgezogen, die Decken zurückgeschlagen, die Vorhänge im Schlafzimmer geschlossen. Nachdem sie sechs Monate getrennt gewesen waren, wusste sie genau, dass sie es gar nicht würden abwarten können, miteinander zu schlafen.

Sowie sie die Haustür hinter sich geschlossen hatten, ließ Ian seinen Seesack fallen und griff nach Cecilia. Sie kam ihm bereitwillig entgegen und schlang ihm die Arme um den Hals. Er hob sie hoch und strebte sofort in Richtung Schlafzimmer. Kaum dort angekommen, küsste er sie erneut, sein Mund war hungrig und sein Kuss voller Verlangen.

Dann ließ er sie los und begann hastig, sich die Kleidung abzustreifen.

»Möchtest du, dass ich das schwarze Negligé für dich anziehe?«, fragte sie.

»Beim nächsten Mal.« Sein Atem ging flach und schnell, während er sich aufs Bett setzte und rasch die Schuhe auszog.

»Eine Sache noch …«

Fragend schaute er sie an.

Sie kniete sich hinter ihm aufs Bett und legte ihr Kinn auf seine nackte Schulter. »Ich glaube, es gibt da etwas, was du wissen solltest.«

»Und das hat nicht Zeit bis später?«

»Doch, vermutlich schon, aber ich schätze, das wirst du wissen wollen

»Was?«, fragte er knurrend, drehte sich zu ihr um, packte ihre Taille und schaute ihr prüfend in die Augen.

Cecilia begegnete seinem Blick mit einem Lächeln, strich ihm mit den Händen langsam über die muskulösen Schultern und genoss es, ihn zu berühren, ihn zu fühlen. »Ich glaube, heute Nachmittag wäre eine wundervolle Gelegenheit, ein Baby zu machen.«

In seinen Augen blitzte es auf. »Ich dachte, du nimmst die Pille.«

Mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen schüttelte sie langsam den Kopf. »Nicht mehr. Ich habe die Packung vor sechs Monaten in den Müll geworfen.«

Stirnrunzelnd betrachtete er sie.

»Während du auf See warst, brauchte ich keine Verhütung. Außerdem …«

»Du hast nicht wieder angefangen, die Pille zu nehmen, obwohl du wusstest, dass ich nach Hause komme?«

»Nein.«

»Aber – aber du wusstest doch, wann ich kommen würde.«

»Ja, das wusste ich … und ich habe mich sehr auf deine Heimkehr gefreut«, säuselte sie.

»Aber, Liebling, du hast mir kein Wort davon gesagt! Ich habe nichts dabei, um zu verhüten.«

»Wer sagt denn, dass ich verhüten will? Was ich will, Seemann«, flüsterte sie, »ist ein Baby.«

Ian erstarrte zur Salzsäule.

»Ian?«

Er straffte sich und wandte ihr dann den Rücken zu. »Meinst du nicht, darüber hätten wir erst einmal reden müssen?«

»Wir reden doch darüber … jetzt.«

»Im allerletzten Augenblick.«

»Du willst kein Baby?«

Er erhob sich und drehte sich zu ihr um. Mit nackten Schultern und halb offener Hose stand er vor ihr und rieb sich mit der Hand über die Augen, als würde ihre Frage ihn vollkommen überfordern. »Ich will Kinder, aber noch nicht jetzt.«

»Ich dachte …«

»Es ist zu früh, Liebste.«

»Drei Jahre ist es her.« Ihre Sehnsucht nach einem Kind war im Laufe der Monate, in denen Ian auf See gewesen war, immer stärker geworden. Es war ihr sinnvoll erschienen, erst ihre Ausbildung zu beenden, bevor sie wieder schwanger wurde, aber den Abschluss hatte sie jetzt und einen tollen Job noch dazu. »Ich bin bereit, Ian.«

Er ließ die Schultern hängen. »Ich nicht … ich kann es nicht riskieren, dass du schwanger wirst.« Damit riss er den Reißverschluss seiner Hose hoch, griff nach seinem Hemd, zog es sich hastig über und knöpfte es in rekordverdächtiger Geschwindigkeit zu. Dann schnappte er sich die Autoschlüssel von der Kommode.

Cecilia biss sich auf die Unterlippe. Er hatte recht – sie hätte das Thema früher ansprechen sollen. Fast täglich hatten sie einander E-Mails geschickt und miteinander telefoniert, wann immer das möglich war. Es hatte genügend Gelegenheiten gegeben, diese Angelegenheit zu bereden, lange bevor er nach Hause kam.

Ian verließ das Schlafzimmer, drehte sich im Türrahmen aber noch einmal um. »Bleib, wo du bist«, sagte er, mit dem Finger auf sie deutend.

»Wohin willst du?«

Er lachte, aber es klang schwach vor Ungeduld. »Zur Drogerie. Bleib, wo du bist, in Ordnung? Ich bin schneller zurück, als du denkst.«

Ihr kam es vor, als wäre die Sonne hinter einer dunklen Wolke verschwunden.

Vielleicht hatte Cecilia tief in ihrem Innersten gewusst, wie Ian reagieren würde. Ihr Mann hatte Angst vor einer neuen Schwangerschaft. Angst davor, was eine Schwangerschaft ihr körperlich abverlangen würde, und davor, was sie womöglich mit ihnen als Paar anrichten würde.

Sie verstand, warum er so empfand, denn sie hatte mit denselben Ängsten und Befürchtungen zu kämpfen gehabt. Sie hatte aber geglaubt – oder glauben wollen –, dass Ian genau wie sie darüber hinweg war. Offensichtlich hatte sie sich geirrt.

3. Kapitel

Voller Freude trug Maryellen Sherman den schweren Karton aus ihrem Mietshaus und stellte ihn in den Kofferraum ihres Autos. Schon bald würde sie bei Jon Bowman wohnen – als seine Ehefrau.

Auch nach so langer Zeit kam es ihr noch immer unwirklich vor. Ihre Masken waren gefallen, und sie konnte ihre Liebe zu Jon nicht länger verbergen. Das musste sie auch nicht, denn sie hatten einander gestanden, was sie für den anderen empfanden. Die Zeit der Missverständnisse war vorbei, Stolz und Zorn waren überwunden.

Jon folgte ihr mit einem zweiten Karton, den er neben den ersten in den Kofferraum stellte. Dann griff er nach ihrer Hand und drückte sie sanft, gab ihr so schweigend zu verstehen, wie froh er war, dass sie endlich für immer zusammen sein würden.

Katie, ihre neun Monate alte Tochter, schlief zufrieden in ihrem Bettchen, während sie beide die nächsten Kartons zum Auto schleppten und dann zurück ins Haus eilten. Maryellen wusste, dass ihnen nur noch wenige Minuten Frieden blieben, bevor ihre Tochter aufwachen würde. Die meisten ihrer Besitztümer waren noch nicht einmal zusammengepackt.

»Ist das alles für diesmal?«, fragte Jon, die Hände in die Hüften gestemmt, und ließ den Blick durchs Wohnzimmer schweifen.

»Später kommt noch mehr«, versprach Maryellen. Sie hatte kaum angefangen zu packen. Seit fast zwölf Jahren wohnte sie schon in diesem Haus, und was sie alles in dieser Zeit angesammelt hatte, war überwältigend. Allein schon das Sortieren ihrer Kleidung und Bücher – was sollte mit, was sollte weggegeben werden, was sollte auf den Müll? – hatte schon Wochen gekostet.

»Wie viel noch?« Jons Stimme verriet, dass er allmählich keine Lust mehr hatte.

»Eine Menge. Wollen wir noch ein paar Kartons packen?« Wahrscheinlich würden sie noch einiges auf der Rückbank des Autos unterbringen können, bevor sie zu seinem Haus zurückfuhren.

»Was ich will, ist, dass du endgültig bei mir einziehst.« Er klang so ungeduldig, wie sie selbst sich fühlte.

»Darauf freue ich mich genauso sehr wie du.« Sie betrat die kleine Küche und versuchte sich zu entscheiden, was sie heute Nachmittag noch alles mitnehmen sollten. Ein Umzug war ihr noch nie so kompliziert und frustrierend vorgekommen.

»Hast du schon mit deiner Mutter über einen Hochzeitstermin gesprochen?«

»Sie hält den Memorial Day für perfekt.« Maryellen unterdrückte ein Lächeln. Sie hegte den Verdacht, dass ihre Mutter einfach nur erleichtert war, dass sie und Jon sich endlich dazu entschlossen hatten, einander das Jawort zu geben. Da sie schon ein gemeinsames Kind hatten, war die Trauungszeremonie in den Augen von Grace Sherman mehr als überfällig.

»Macht es dir etwas aus, die Hochzeit nicht groß zu feiern?«

Maryellen schüttelte den Kopf, öffnete den Kühlschrank und holte die Kanne mit Eistee heraus. Sie hatte beim ersten Mal mit allem Prunk und Pomp geheiratet. Die Hochzeitsfeier war wunderschön gewesen, die Ehe das ganze Gegenteil. Sie war jung und naiv gewesen, und die Scheidung, die ein Jahr später folgte, hatte sie für lange Zeit aus der Bahn geworfen.

Zwölf Jahre später, als sie Jon kennenlernte, hatte sie immer noch große Angst davor, sich erneut zu verlieben. Zu Anfang hatte sie ihn zurückgewiesen, ihn beleidigt und überhaupt alles getan, von dem sie sich vorstellen konnte, es würde ihn von ihr und aus ihrem Leben fernhalten. Wenn sie jetzt an die Dinge zurückdachte, die sie gesagt und getan hatte, schämte sie sich zutiefst.

Jon holte zwei Gläser aus dem Küchenschrank und stellte sie auf die Theke. »Du weißt aber schon, dass du mit deinem Ehemann keinen besonders guten Fang gemacht hast?«

Den Zorn, den diese Worte in ihr hervorriefen, konnte sie unmöglich verbergen. »Wenn du das jemals wiederholst, dann schwöre ich, dass ich … dass ich dafür sorge, dass es dir leidtut.«

Kurz huschte ein Lächeln über Jons scharf geschnittene Züge und ließ sie weicher wirken. Objektiv betrachtet war er kein auffallend gut aussehender Mann. Doch er war groß gewachsen, mit langen Gliedmaßen, dunklem Haar und ausdrucksstarken dunklen Augen. Und sehr wahrscheinlich der begabteste Fotograf, dem sie jemals begegnet war. Seine Werke wurden in einer der besten Galerien von Seattle ausgestellt, und sein Name wurde rasch immer bekannter.

»Du weißt jetzt alles«, sagte er, ließ den Kopf hängen und wich ihrem Blick aus.

»Und du weißt alles über mich«, erinnerte sie ihn.

Sie hatten beide ihre Geheimnisse, schmerzliche Dinge aus ihrer Vergangenheit, doch jetzt hatten sie einander, und zum ersten Mal seit ihrer Scheidung erfüllte Maryellen das Gefühl, all den Kummer aus ihrer ersten Ehe überwinden zu können. Heilen zu können. Sie wusste, dass ihre Vergangenheit zwischen ihnen gestanden hatte. Trotz allem fühlten sie sich von Anfang an zueinander hingezogen, aber ihre Geheimnisse, die sie so verzweifelt voreinander zu verbergen suchten, hätten sie fast für immer getrennt.

»Du bist nicht diejenige mit dem Vorstrafenregister«, murmelte Jon.

Maryellen umfasste seine Hand und führte sie an ihre Lippen. »Ich betrachte es als einen der größten Segen meines Lebens, deine Frau zu werden. Bevor ich dich kennengelernt habe, war ich auch im Gefängnis – einem selbst geschaffenen Gefängnis.« So melodramatisch das auch klingen mochte, sie meinte jedes ihrer Worte ernst.

Sein Lächeln erhellte die Küche, und Maryellen schlang ihre Arme um seinen Leib und barg ihr Gesicht an seiner Brust. »Die Wahrheit ist: Ich kann es kaum erwarten, den Rest meines Lebens mit dir zu verbringen.«

Er zog sie fester an sich, und sie spürte an seiner Brust, wie er seufzte. »Findest du es nicht ein bisschen albern, bis nach der Hochzeit hier wohnen zu bleiben?«

»Vielleicht ist es albern, aber ich ziehe es vor zu warten.« Sie hatte schon zu viele Fehler begangen, und mit dieser Ehe wollte sie alles richtig machen. Wenn sie in ihrer Hochzeitsnacht zu ihm kam, sollte das etwas Besonderes sein.

»Wir haben schon ein Kind zusammen. Es ist also nicht so, als wenn …« Seine Stimme verklang.

Sie legte den Kopf zurück, um zu ihm hochzuschauen. Wie sollte sie ihm sagen, was sie auf dem Herzen hatte? »Macht es dir sehr viel aus?«

»Entsetzlich viel, aber ich kann warten, wenn es dir so viel bedeutet.«

Sie nickte und küsste ihn auf den Unterkiefer, um ihm zu zeigen, dass sie ihm dankbar für seine Geduld war. Jon vergrub seine Finger in ihren dunklen Haaren und küsste sie auf den Mund. Sie konnte seine Leidenschaft und sein Verlangen schmecken, und ihre Entschlossenheit geriet ins Wanken. Das körperliche Verlangen zwischen ihnen war von Anfang an überwältigend gewesen, ihr Hunger aufeinander ließ sich nicht leugnen.

Plötzlich begann Katie in ihrem Zimmer zu schreien. Jon seufzte und löste sich von Maryellen.

Als sie Katies Zimmer erreichte, stand ihre Tochter bereits senkrecht in ihrem Bettchen und streckte ihr beide Arme entgegen. Maryellen hob sie aus dem Bett, wechselte ihr die Windel, trug die Kleine in die Küche und setzte sie in den Hochstuhl. Dort wartete bereits Katies Nachmittagssnack – ein Fruchtsaft und ein Cracker.

Jetzt hellwach und bestens gelaunt, griff Katie nach ihrem Saftbecher und hob ihn gierig an den Mund. Sie trank geräuschvoll daraus und schlug dann den Becher gegen das Plastiktablett.

»Jedes Mal, wenn ich sie anschaue, kann ich nur staunen«, sagte Jon und ging in die Hocke, um auf Augenhöhe mit seiner Tochter zu sein. »Du bist Daddys kleines Mädchen, nicht wahr?«

Katie antwortete ihm mit einem vierzahnigen Grinsen.

Automatisch griff Jon nach seiner Kamera und begann zu fotografieren.

»Jon.« Maryellen musste lachen. Sein Verhalten war so berechenbar. Als sie zum ersten Mal seine Werke in der Harbor Street Art Gallery ausgestellt hatte, bat er sie wohl ein Dutzend Mal, mit ihm auszugehen. Maryellen schlug sämtliche Einladungen aus. Damals wollte sie keinen Mann in ihrem Leben. Später gab sie seinen Avancen ein einziges Mal nach – und stellte kurz darauf entsetzt fest, dass sie schwanger war. Mit allergrößter Mühe versuchte sie, Jon aus dem Leben des Kindes auszuschließen. Und aus ihrem eigenen …

Wie viele andere Frauen auch entschied sie sich für ein Leben als alleinerziehende Mutter. Erst nachdem Katie auf der Welt war, begriff sie allmählich, wie sehr ihre Tochter einen Vater brauchte und wie sehr sie selbst Jons Hilfe beim Aufziehen ihres Kindes wollte und brauchte. Aber da schien es zu spät zu sein. Jon liebte zwar ganz offensichtlich ihre gemeinsame Tochter, hatte zunächst jedoch jeglichen Kontakt mit Maryellen vermieden.

Als er nun genug Bilder von Katie geschossen hatte, richtete er seine Kamera auf Maryellen. Bevor sie noch reagieren konnte, hatte er bereits etliche Fotos gemacht. Als er sie das erste Mal fotografierte, hatte sie noch unsicher und geschmeichelt reagiert – inzwischen vertraute sie ihm einfach und wehrte sich nie dagegen, wenn er seine Nikon auf sie richtete, mochte das auch noch so unerwartet geschehen. In vieler Hinsicht fühlte Jon sich hinter seiner Kamera am wohlsten. Über die Fotografie offenbarte er seine Persönlichkeit und drückte seine Gefühle aus.

»Ich möchte, dass du und Katie so bald wie möglich bei mir lebt«, erklärte er.

»Es dauert nicht mehr lange. Zwei Wochen.«

Er sah sie an, als wollte er widersprechen, schien es sich aber anders zu überlegen. »Jetzt haben wir so lange gewartet. Da werden weitere zwei Wochen mich wohl nicht umbringen.«

»Vorfreude ist die schönste Freude.«

Er knurrte etwas Unverständliches in sich hinein. Sie konnte sich in etwa denken, was er gesagt hatte, und musste lächeln.

»Ich dachte, wir bitten Pastor Flemming, uns zu trauen.« Maryellen ging nicht regelmäßig zur Kirche, aber die beste Freundin ihrer Mutter, Olivia Lockhart, hatte kürzlich Jack Griffin geheiratet, und der Methodistenpastor hatte die Trauung durchgeführt. Die Zeremonie hatte sie zutiefst berührt.

»Wie wäre es mit Richterin Lockhart – oder nun wohl Richterin Griffin?«

»Sie benutzt beide Namen«, sagte Maryellen.

Jon nickte.

»Ich – ich hätte gern eine kirchliche Trauung.« Olivia war eine langjährige Freundin der Familie, aber Maryellen hatte sich bereits gegen eine standesamtliche Trauung entschieden. Wenn sie ihr Ehegelübde sprach, wollte sie vor Gott und der Gemeinde geloben, Jon für den Rest ihres Lebens zu lieben.

Jons Augen wurden schmal. »Du möchtest in einer Kirche heiraten? Bist du sicher?«

»Entweder in der Methodistenkirche oder vielleicht in deinem Haus, wenn es dir recht ist?« Er hatte das Land von seinem Großvater geerbt und darauf ein wunderschönes zweistöckiges Haus gebaut. Von dort konnte man den Puget Sound überblicken, mit dem Mount Rainier im Hintergrund.

»Einverstanden«, sagte er. »Und der Empfang?«

»Auch in deinem Haus.« Schlagartig kam ihr die Frage in den Sinn, ob sie zu viel von ihm verlangte. »Ich glaube nicht, dass wir viele Gäste haben werden. Nur Familienangehörige und ein paar Freunde. Wir müssen nur die Hochzeitstorte und Champagner servieren, und wenn das Wetter mitspielt, könnten wir im Freien heiraten.« Das wäre eine umwerfend schöne Bühne für ihre Hochzeit, denn die Rhododendren, die in großer Anzahl wild auf dem Grundstück wuchsen, und die Azaleen würden dann in voller Blüte stehen.

Er nickte. »Vielleicht sollten wir noch ein paar Horsd’œuvres servieren. Ich kann sie problemlos einen oder zwei Tage vorher vorbereiten.«

»Jon …«

»Ein Freund von mir kann fotografieren, aber die Fotos von dir möchte ich selbst schießen.«

Maryellen sah, dass er sich allmählich mit dem Gedanken an eine Hochzeit, wie sie ihr vorschwebte, anfreundete. »Schaffen wir die ganzen Vorbereitungen innerhalb von zwei Wochen?«, fragte sie.

Er zögerte keine Sekunde. »Natürlich. Sonst noch irgendwelche Wünsche?«, fügte er zu ihrer Freude hinzu.

Einen hatte sie, wusste aber nicht recht, wie sie den aussprechen sollte.

»Was denn?« Das klang ein wenig argwöhnisch, als hätte er ihre zögernde Stimmung gespürt.

»Die Gästeliste …«

»Wie viele?«

»Es geht nicht um die Zahl der Gäste. Mom, meine Schwester und ein paar Freunde sollen natürlich kommen, aber es gibt ein paar weitere Leute, die ich gern einladen würde, und ich weiß nicht, ob du damit einverstanden wärst.«

Katie quietschte fröhlich und ließ ihren Becher auf ihr Tablett fallen.

Jon hauchte einen Kuss auf Maryellens Schläfe. »Du weißt, dass ich dir fast nichts abschlagen kann. Wen möchtest du einladen?«

Sie lehnte sich an ihn, weil sie seine Miene nicht sehen wollte, wenn sie es aussprach. »Deinen Vater und deine Stiefmutter.« Jon hatte ihr erst kürzlich erzählt, wie seine Eltern sich entschieden hatten, seinen jüngeren Bruder zu beschützen – auf seine Kosten. Sie hatten im Zeugenstand gelogen, und infolgedessen war Jon wegen Drogenhandels verurteilt worden. Sieben Jahre hatte er dafür abgesessen. In diesen sieben und allen folgenden Jahren danach hatte er nicht ein einziges Mal mehr mit seinem Vater oder seiner Stiefmutter gesprochen.

Jon erstarrte und ließ Maryellen langsam los. »Nein. Sie gehören nicht mehr zu meinem Leben. Sie haben mich im Stich gelassen und …«

»Sie sind die einzigen Angehörigen, die du noch hast.« Sein Bruder war an einer Überdosis gestorben, und Maryellen war überzeugt davon, dass seine Familie bereute, was sie getan hatte – sowohl den Verrat an Jon als auch das Versäumnis, seinen Bruder die Konsequenzen seines Verbrechens tragen zu lassen.

Sichtlich aufgewühlt packte Jon sie an den Schultern, so hart, dass er ihr beinahe wehtat. »Wir werden nie wieder darüber reden, verstehst du? Ich habe keine Familie außer dir und Katie.« Stockend holte er Luft und ließ sie los.

Sie hätte gern widersprochen, sehnte sich danach, die Beziehung zwischen Jon und seiner Familie in Ordnung zu bringen, aber sie konnte erkennen, dass er nicht dazu bereit war. Seine Eltern hatten eine Enkeltochter, von der sie nichts wussten. Das wäre doch bestimmt eine Chance für einen Neuanfang, aber Maryellen hatte nicht das Recht, sich einzumischen, zumal Jon bei diesem Thema unerbittlich blieb.

»Wie sieht es mit Flitterwochen aus?« Sie war so mit ihrem Umzug und der Trauung beschäftigt gewesen, dass sie über Flitterwochen noch gar nicht nachgedacht hatte.

»Selbstverständlich will ich Flitterwochen.«

»Wie wäre es mit dem Thyme and Tide?« Bob und Peggy Beldon führten die Pension, die den Ruf genoss, die beste der Stadt zu sein.

Jon schüttelte den Kopf. »Ich habe mich schon erkundigt, aber sie nehmen keine Buchungen an, bis der Mordfall aufgeklärt ist.«

»Oh …« Das war eine Enttäuschung.

»Wie wäre es stattdessen mit einer Nacht in Seattle? Nur wir beide. Deine Mutter würde sich doch um Katie kümmern, oder?«

Maryellen lachte leise. »Ohne zu zögern.«

»Also Seattle?«

Sie nickte.

»Das wird das Beste an der ganzen Hochzeit.« Jon küsste sie auf die Nase, und Katie kicherte, als hätte sie noch nie etwas so Lustiges gesehen. »Das amüsiert dich, nicht wahr?«, meinte Jon lächelnd. »Ich glaube, ich verstehe dich.«

»Wir werden eine wunderschöne Hochzeit haben«, versicherte Maryellen ihm. Die Aussicht darauf machte das Umzugschaos mehr als wett. Schon in zwei Wochen würde sie Jons Frau sein, und sie drei wären endlich eine Familie.

4. Kapitel

Charlotte Jefferson war nervös, als sie sich für ihren Gerichtstermin am Nachmittag ankleidete. Sie hatte bereits viele Stunden im Gerichtsgebäude des Kitsap Countys verbracht und ihrer Tochter stolz bei deren Arbeit als Familienrichterin zugesehen. Charlottes Meinung nach war ihre Tochter eine der klügsten Richterinnen des ganzen Bundesstaates. Nur zu gern war sie dabei, wenn Olivia ihre Entscheidungen fällte und in ihrer schwarzen Robe so amtlich wirkte.

An diesem Nachmittag jedoch wurde sie in einem anderen Gerichtssaal erwartet, nämlich vor Richter Robson. Und sie würde nicht allein vor dem Richter stehen. Zusammen mit etlichen ihrer besten Freunde würde sie für ihren zivilen Ungehorsam zur Rechenschaft gezogen werden. Doch selbst wenn man sie schlimmstenfalls ins Gefängnis werfen sollte, wäre ihr der Preis für ihre Aktionen nicht zu hoch, sofern diese den Stadtrat dazu bringen würden, endlich die Eröffnung eines Gesundheitszentrums in Cedar Cove zu beschließen.

Laura, Bess und die anderen, einschließlich Ben Rhodes, wollten sich mit ihr um eins im Foyer vor Richter Robsons Gerichtssaal treffen.

Charlotte entschied sich für ihr bestes Sonntagskleid und den breitkrempigen Hut, den sie sich 1966 gekauft hatte. Er war gelb, mit einer einzelnen weißen Feder am Satinband. Wenn Richter Robson beschloss, ihr und den anderen eine Haftstrafe aufzubrummen, dann wollte sie ihre Zelle so gut gekleidet betreten, als würde sie einen Gottesdienst besuchen.

Olivia und Jack schienen eine Haftstrafe für unwahrscheinlich zu halten, aber Charlotte hatte Gerüchte über Richter Robson gehört. Er galt als wesentlich regelstrenger als Olivia, als Hardliner und – auch das besagten die Gerüchte – als jemand, der gern an dem einen oder anderen Missetäter ein Exempel statuierte.

Es klingelte an der Tür, und ihr Kater Harry sprang mit für ihn ungewöhnlicher Energie von ihrem Bett herunter und trottete ins Wohnzimmer. Da Olivia und Jack in den Flitterwochen waren, fragte Charlotte sich, wer das wohl sein mochte. Die Geschichte war ihr peinlich, deshalb hatte sie ihre Enkelin Justine nicht gebeten, sie zum Gerichtstermin zu begleiten. Natürlich wusste Olivia über die Sache Bescheid und war alles andere als glücklich darüber. Aber Charlotte wollte nicht, dass sonst jemand aus der Familie oder ihrem Freundeskreis davon erfuhr. Natürlich war es unmöglich, solche Neuigkeiten völlig geheim zu halten.

Ein Blick durch den Spion in ihrer Haustür beantwortete die Frage. Vor der Tür stand Ben Rhodes, so adrett und lässig elegant gekleidet wie immer. Trotz ihres Alters schlug ihr Herz bei seinem Anblick schneller. Seit vielen Jahren war sie nun schon Witwe und davon ausgegangen, zu alt und zu sehr in ihren Gewohnheiten gefestigt zu sein, um sich noch einmal zu verlieben, aber Ben hatte ihr bewiesen, dass selbst solche felsenfesten, lange gehegten Annahmen falsch sein konnten.

»Ben!« Hastig entriegelte sie die vier Bolzenschlösser ihrer Haustür. »Was tust du denn hier?«, fragte sie, obwohl sie überglücklich war, ihn zu sehen. »Wir wollten uns doch am Gericht treffen?«

»Ich weiß, aber ich dachte, ich begleite mein Lieblingsmädchen dorthin. Bist du fertig?«

Charlotte strich den Rock ihres geblümten Kleides glatt und fühlte sich dabei einen Augenblick lang wie die Hauptdarstellerin eines Fünfzigerjahre-Musicals. Ben ließ den ganzen Schlamassel eher wie ein Abenteuer erscheinen und nicht wie einen Skandal – oder Schlimmeres. »Wie sehe ich aus?«

Träge breitete sich ein Lächeln auf seinen Lippen aus. Bei solchen Gelegenheiten vergaß sie fast, dass er nicht wirklich Cesar Romero war, dieser wundervolle kubanische Schauspieler. Ihrer Meinung nach hätte Ben dessen Double sein können. »Du siehst wunderschön aus«, erklärte er.

Abenteuer hin oder her, Charlotte konnte ihre Nervosität nicht ganz unterdrücken. »Oje … ich weiß einfach nicht, was uns blühen könnte.«

Ben tätschelte ihr sacht die Hand. »Ich glaube nicht, dass der Stadtrat an negativen Schlagzeilen interessiert ist. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, was die Zeitungen von Seattle schreiben würden, wenn eine Stadt eine Handvoll Senioren bestraft, weil sie für ein Gesundheitszentrum demonstriert haben.«

»Widerrechtliche Zusammenrottung«, murmelte Charlotte kaum hörbar. »Ich für meinen Teil bin bereit, meine Strafe abzusitzen, wenn das nötig ist, damit diese Stadt endlich aufwacht.« Bens Gegenwart reichte aus, um sie in ihrer Entschlossenheit zu bestärken. Er gab ihr das Gefühl, mutig zu sein, half ihr, für ihre Prinzipien einzustehen und gemäß ihrer Überzeugung zu handeln.

»Ich bin ganz deiner Meinung. Aber …« Er zögerte, stieß dann heftig den Atem aus. »Ich glaube nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen, ins Gefängnis gesteckt zu werden. Wahrscheinlich wird uns nur eine Geldstrafe auferlegt.«

Charlotte war sich dessen nicht so sicher. Sie machte sich Sorgen, besonders wenn sie an Richter Robsons Ruf dachte. Würde er sie als Rädelsführerin betrachten? Vor allem hatte sie Angst wegen ihrer Freundinnen, die ihr loyal zur Seite gestanden hatten, als sie Sheriff Davis trotzte.

»Ich habe einen Anwalt engagiert«, erklärte Ben. Zuvor hatte er sich bereiterklärt, sie alle vor Gericht zu vertreten, aber offenbar hatte er es sich anders überlegt.

Charlotte hatte keine Anwälte hinzuziehen wollen. Zum einen, weil Anwälte teuer waren, und zum anderen würde ein Anwalt garantiert mit Olivia über die Angelegenheit reden, sobald sie aus den Flitterwochen zurückkam. Charlotte wollte jedoch, dass Olivia so wenig wie möglich erfuhr, so schwierig das auch zu bewerkstelligen sein mochte. Sie hatte gehofft, den Klatsch im Zaum halten zu können.

»Sharon Castor sagte, sie trifft sich mit uns im Gericht.«

»Sharon Castor!«, rief Charlotte entsetzt. Die Anwältin stand oft vor Olivias Richterbank. Erst kürzlich hatte sie Rosemary Cox bei ihrem Scheidungsprozess vertreten. Charlotte war dabei gewesen, als Olivia eines ihrer umstrittensten Urteile in Sachen gemeinsames Sorgerecht fällte – ein Urteil, das nach Charlottes Überzeugung dazu geführt hatte, dass sich das Paar schließlich wieder aussöhnte.

»Oje«, seufzte sie. »Ach, lass uns gehen.« Sie holte ihren kleinen Koffer aus dem Schlafzimmer, der ihre Medikamente und die Nachtcreme enthielt, und griff nach ihrer Jacke. Nur für den Fall der Fälle … Es war ein kühler Tag, und nach allem, was sie gelesen hatte, zog es in Gefängniszellen eigentlich immer. Sie warf einen letzten Blick in die Runde. Falls es zum Schlimmsten kommen sollte, würde sie nach der Verurteilung Justine anrufen und sie darum bitten, sich um Harry zu kümmern.

»Charlotte«, sagte Ben kopfschüttelnd, als sie zurück ins Wohnzimmer kam. »Den Koffer wirst du nicht brauchen.«

»Sei dir da nicht zu sicher«, erwiderte sie finster. »Stell dir vor, Richter Robson beschließt, an mir ein Exempel zu statuieren. Ich möchte vorbereitet sein.« Sie hatte schon immer viel davon gehalten, sich auf das Schlimmste vorzubereiten – und zugleich auf das Beste zu hoffen.

Ben versuchte ihr das auszureden, aber sie blieb stur. Schließlich stellte er ihr Gepäck in den Kofferraum seines Autos.

Als sie das Gericht betraten, hatten Helen, Laura und Bess sich bereits im Foyer vor Richter Robsons Gerichtssaal eingefunden. Die drei Frauen gesellten sich hastig zu Charlotte.

»Eins sage ich euch gleich«, erklärte Bess, »niemand wird bei mir eine Leibesvisitation machen und das überleben.« Sie hob ihre Hände und nahm eine allen vertraute Karatestellung ein. Vor ein paar Jahren hatten die regelmäßigen Besucher des Seniorenzentrums an einem Selbstverteidigungskurs teilgenommen, und Bess hatte nicht eine Stunde ausfallen lassen.

»Hast du dir wieder Karate Kid angesehen?«, murmelte Charlotte.

Bess funkelte sie ärgerlich an. »Ich mache keine Witze.«

»Was meinst du, wird der Richter uns erlauben, unsere Stricknadeln mit ins Gefängnis zu nehmen?«, fragte Laura. »Offen gesagt, ich habe mehrere Projekte für Weihnachten, mit denen ich gern anfangen würde, und ich könnte die freie Zeit dafür ganz gut gebrauchen.«

Gerade als Charlotte antworten wollte, tauchte Sharon Castor auf und wandte sich an Ben. »Sind alle da?«, fragte sie.

Ben nickte.

»Ben hat für uns eine gesetzliche Vertretung engagiert«, flüsterte Charlotte ihren Freundinnen zu. »Er scheint zu glauben, dass der Richter uns nur eine Geldstrafe auferlegen wird.«

»Mehr nicht?« Laura klang enttäuscht. »Ich habe mich aufs Gefängnis gefreut.«

Ganz anders die Reaktion von Bess, die die Hände faltete und den Blick gen Himmel hob: »Gott segne Ben!«

Charlotte musste zugeben, dass sie dankbar war, weil die ganze Sache nicht an ihr allein hängen blieb. Sie war diejenige, die ihre Freundinnen in Schwierigkeiten gebracht hatte, und sie fühlte sich verantwortlich für die Konsequenzen, die sie womöglich tragen mussten.

»Wir sind als Nächstes dran«, erklärte Sharon Castor, »und sollten alle zusammen den Gerichtssaal betreten.«

Charlotte rückte ihren Hut zurecht, Ben griff nach ihrer Hand, und die kleine Gruppe betrat gemeinsam den Gerichtssaal. Sharon ging voraus, Bess, Helen und Laura folgten direkt hinter ihr, und das Schlusslicht bildeten Charlotte und Ben.

Zu Charlottes Überraschung war der Gerichtssaal rappelvoll – nur noch Stehplätze waren frei. Als Erste fielen ihr Bob und Peggy Beldon von der Pension Thyme and Tide ins Auge.

»Wir stehen hinter dir, Charlotte!«, rief Peggy.

Justine und ihr Mann Seth waren auch da. Seth hielt Leif auf dem Schoß, der inzwischen fast ein Jahr alt war. Der Kleine wand sich in den Armen seines Vaters, wurde aber ruhig, als er Charlotte entdeckte. Justine winkte, und Charlotte schossen Tränen in die Augen, die sie wild blinzelnd zu unterdrücken versuchte. Anscheinend war die halbe Stadt gekommen, um sie zu unterstützen.

Bess und Helen, die sich über die Aufmerksamkeit sichtlich freuten, winkten, als wären sie Ballköniginnen, die an einer Parade zum Unabhängigkeitstag teilnahmen.

»Wusstest du davon?«, fragte Charlotte und schaute zu Ben hoch, der sie um gut einen Kopf überragte.

»Ich hatte keinen blassen Schimmer«, sagte er und blickte sich um. »Sogar Troy Davis ist gekommen.«

Der Sheriff, der sie festgenommen hatte, befand sich tatsächlich im Gerichtssaal, um ihr Anliegen zu unterstützen. Charlotte hatte Troy schon immer gemocht und war bereit, ihm seinen »Fehler« zu verzeihen. Immerhin hatte der Gute ja gar keine andere Wahl gehabt, als sie festzunehmen. Schließlich hatten sie sich geweigert, ihre Demonstration aufzulösen und auseinanderzugehen. Er hatte einen Eid abgelegt, für das Gesetz einzutreten, ob er nun im Einzelfall dahinterstand oder nicht. Seine Anwesenheit am heutigen Nachmittag zeigte sehr deutlich, welche Meinung er persönlich in dieser Sache vertrat.

»Roy und Corrie McAfee sind auch da«, flüsterte Ben.

Die McAfees wohnten noch nicht sehr lange in Cedar Cove. Roy war Detective bei der Polizei von Seattle gewesen. Nach seiner Pensionierung waren seine Frau und er nach Cedar Cove gezogen, und Roy hatte dort eine eigene Privatdetektei eröffnet.

Grace Sherman trat an Charlotte heran und nahm sie in die Arme. »Olivia hat mich gebeten, heute Nachmittag hier zu sein«, flüsterte sie Charlotte zu. »Ich dachte mir, es stört euch vermutlich nicht, wenn ich ein paar regelmäßige Besucher der Stadtbibliothek bitte, euch den Rücken zu stärken.«

Dankbar drückte Charlotte ihre Hand. Grace und Olivia waren schon fast ihr ganzes Leben lang eng befreundet. Es war typisch für Olivia, dass sie Grace gebeten hatte, an diesem Nachmittag für sie einzuspringen, weil sie selbst nicht kommen konnte. Und das aus sehr gutem Grund, einem, mit dem Charlotte mehr als einverstanden war: Olivia und Jack waren auf Hawaii, wo sie ihre Flitterwochen verbrachten.

Die Tür am hinteren Ende des Saals wurde geöffnet, Maryellen Sherman kam herein und nahm neben ihrer Mutter Platz. Begleitet wurde sie von Jon Bowman, der sich die kleine Katie auf die Hüfte gesetzt hatte. Charlotte fand den Fotografen äußerst sympathisch und freute sich darüber, dass Maryellen ihn bald heiraten würde. Dafür war es ihrer Meinung nach auch höchste Zeit – nicht, dass jemand sie um ihre Meinung gebeten hätte.

»Ruhe im Saal!«, rief der Gerichtsdiener. »Richter Robson führt den Vorsitz.«

Der Richter kam herein und nahm am Richtertisch Platz.

Obwohl Ben versucht hatte, sie zu beruhigen, geriet Charlottes Herzschlag aus dem Takt, bevor er sich langsam wieder normalisierte. Was jetzt kam, könnte unschön enden. Bevor sie und ihre Freunde gebeten wurden, aufzustehen, während die Anklage verlesen wurde, war ihr gar nicht klar gewesen, wie viel Angst sie hatte. Bess übte Karate, und Laura freute sich darauf, im Gefängnis ungestört stricken zu können, aber Charlotte war zutiefst verunsichert. Sie wusste einfach nicht, was sie erwartete.

Sharon Castor ging hochprofessionell an die Sache heran. Damit gewann die Rechtsanwältin Charlottes Achtung.

»Euer Ehren«, sagte sie und trat ein paar Schritte auf die Richterbank zu. »Schauen Sie sich diese Gruppe von Gesetzesbrechern an, und sagen Sie mir, was Sie sehen.«

»Ms. Castor«, erwiderte Robson und hielt dabei den Blick auf die Anklageschrift gerichtet. »Rechtswidrige Zusammenrottung, der Aufforderung, die Versammlung aufzulösen, wurde nicht Folge geleistet …«

»Ja, Euer Ehren, aber meine Mandanten haben damit einer Forderung Ausdruck verliehen. Einer Forderung, von der sie glaubten, dass sie nur auf diese Weise verdeutlicht werden konnte. Sie sind der Meinung, dass Cedar Cove ein Gesundheitszentrum braucht, und ich für meinen Teil gebe ihnen recht.«

»Dann hätten sie sich mit ihrem Anliegen an den Stadtrat wenden sollen.«

»Was wir getan haben, Euer Ehren«, warf Charlotte ein, ehe ihr klar war, was sie tat. »Ich bitte um Verzeihung, Richter Robson«, fuhr sie fort, denn sie spürte, dass sie jetzt nicht die Nerven verlieren durfte. »Sowohl Mr. Rhodes als auch ich haben mehrere Stadtratssitzungen besucht – ohne jeden Erfolg. Bürgermeister Benson sagte, die Stadt habe kein Geld, um ein Gesundheitszentrum zu errichten, aber …«

»Jetzt ist nicht der richtige Moment, um über das Für und Wider eines Gesundheitszentrums in Cedar Cove zu diskutieren.«

»Ja, Euer Ehren«, murmelte Charlotte beschämt. Ben lächelte ihr aufmunternd zu.

Zu Charlottes Erleichterung schien der Vertreter der Anklage keinen Wert darauf zu legen, die Angeklagten ins Gefängnis werfen zu lassen. Er machte ein paar Anmerkungen und setzte sich wieder. Dann stand Sharon Castor erneut auf.

»Sie können sich Ihren Atem sparen, Ms. Castor. Ich habe meine Entscheidung bereits gefällt.«

Die Anwältin setzte sich langsam wieder.

»Mir scheint, Sie fünf haben versucht, Ihre Forderung nach einem Gesundheitszentrum für Cedar Cove öffentlich zu machen.«

Charlotte nickte und bemerkte, dass die anderen ebenfalls nickten.

»Ihr Plan ist offenbar aufgegangen. Die halbe Stadt ist anwesend, um Ihnen den Rücken zu stärken. Wenn jemand vom Stadtrat ebenfalls hier ist, kann ich nur hoffen, dass er sich genaue Notizen macht. Ich sehe keinen Sinn darin, fünf ältere Mitbürger zu bestrafen, die das Ziel hatten, Cedar Cove zu einer besseren Stadt zu machen. Wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben, sich nie wieder ohne die nötige Genehmigung zu versammeln, dann bin ich bereit, die Klage abzuweisen.«

Charlotte und die anderen erklärten sich schnell einverstanden.

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