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Erdbeeren und Zigarettenqualm

Als Buch hier erhältlich:

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»Der Schmerz, in sich selbst hineinzuwachsen, und die Intensität einer alles verzehrenden Frauenfreundschaft werden wunderbar eingefangen« ROSE WILDING

Du verlierst deine Jungfräulichkeit an einen Jungen aus deinem Gendertheorie-Seminar, und die erste Person, der du davon erzählst, ist Ella.
Ella ist mit dir auf der Party, als du zum ersten Mal ein Mädchen küsst.
Und Ella bringt dich in die Notaufnahme, als du die erste Diagnose erhältst.
In den nächsten Jahren hast du eine Reihe von Beziehungen und Jobs, lebst ein schnelles, unstetes Leben, aber du kannst dich immer darauf verlassen, dass Ella für dich da ist – bis der Alkoholkonsum und die Partys, die Krankenhausbesuche und die nächtlichen Anrufe die Grenzen eurer Freundschaft verwischen und daraus etwas Unausgewogenes und Fragiles entsteht, das Gefahr läuft, ganz zu zerbrechen.
Das Schlimme daran ist, dass du es kommen siehst. Das Schlimmste daran ist, dass du nicht weißt, wie du es verhindern kannst ...


  • Erscheinungstag: 25.02.2025
  • Seitenanzahl: 256
  • ISBN/Artikelnummer: 9783753001272
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Madeline Docherty

Erdbeeren und Zigarettenqualm

Roman

Aus dem Englischen
von Yasemin Dinçer

Ecco

Für Ellen – my partner in wine, meine Karaokekomplizin, meine Erstlektorin, meine beste Freundin.

Ich wollte so dringend raus aus meiner Haut, aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht hinaus, und niemand konnte herein. Die Grenzen des Körpers sind nicht verhandelbar.

Lucia Osborne-Crowley

Wohnheim

Du bist achtzehn und hast gerade zum ersten Mal dein Verlangen zum Ausdruck gebracht, um etwas gebeten, das du haben wolltest, und es auch bekommen. Er ist ein Jahr älter als du, hochgewachsen, intellektuell, erfahrener. Ihr habt eine Stunde lang im Schneidersitz auf seinem Bett gesessen und über Filme geredet, während er anscheinend nicht bemerkt hat, wie du dich nach vorn gelehnt, dir auf die Lippe gebissen und all die Dinge getan hast, die von dir erwartet werden. Deine Antworten werden immer kürzer, und euer Gespräch wird zu seinem Monolog über starke Frauen im Film. Er hat gerade damit begonnen, dir von der Braut in Kill Bill zu erzählen, als du ihm die Hände auf die Oberarme legst und ihn küsst.

Bald sitzt du auf seinem Schoß und versuchst, dich ganz im Moment zu verlieren, machst dir aber Gedanken über dein Gewicht und hoffst, dass die Grundierung nicht auf seine Laken abfärbt. Er hat seine dünnen, sehnigen Arme fest um dich geschlungen. Du versuchst, den muffigen Geruch in seinem Zimmer zu ignorieren, ebenso wie die Tatsache, dass es keinen Haken gab, an den du deinen Mantel hängen konntest, der nun einfach zerknittert auf dem Fußboden liegt, neben einem Teller mit Krümeln. Das Küssen ist ein Anfang, weshalb euer beider Bewegungen schludrig und überstürzt sind. Er zieht sich das T-Shirt über den Kopf, und es bleibt an seinem Ohrring hängen, und im selben Augenblick bemerkst du, dass er keine Vorhänge hat und der Mond hinter ihm in das Zimmer scheint. Das Licht zeigt die Umrisse seines Körpers, während er mit dem T-Shirt kämpft, und du musst lachen, wirst jedoch gestoppt, als er sich befreit hat und seinen Mund wieder auf deinen presst.

Für eine Weile ist alles still, bis auf das nasse Saugen von Mündern und Zungen. Aber dann beginnt euer Stöhnen ein Gespräch, seins zuerst, dann deins als Antwort. Kurz darauf, im Grunde zu kurz, stößt er in dich, wie eine kaputte Regenrinne gegen ein Gebäude kracht. Du liegst auf dem Rücken und schaust ihm ins Gesicht, während sein Blick nach unten auf deine Brust gerichtet ist. Du senkst deinen und betrachtest seine Schlüsselbeine und Rippen, die unter der blassen Haut zu erkennen sind. Du musst an Schmetterlinge denken, die ihr Skelett an der Außenseite ihrer papiernen Flügel tragen. Du atmest tief ein, da es langsam wehtut, aber nicht genug, um etwas zu sagen und sich dann mit dem notwendigen Neusortieren der Körperteile befassen zu müssen. Das metallene Bettgestell beginnt zu quietschen, und eine Minute später schließt er die Augen und schreit und sinkt auf dich, wobei sein harter Körper in deinen weichen sticht. Bist du?, fragt er, und du antwortest: Ja, ja. Du machst dich sauber und ziehst dich an, und er bleibt im Bett liegen, die Decke bis zum Bauchnabel hochgezogen, und scrollt auf seinem Telefon durch Videos. Du zuckst jedes Mal zusammen, wenn der Lärm eines neuen Clips kurz ins Zimmer bricht, und versuchst, ihn nicht anzusehen, während du in deine Socken schlüpfst. Beim Anziehen fühlst du dich aus irgendeinem Grund verletzlicher als beim Nacktsein, und du siehst, wie er dir im Spiegel auf seiner Kommode verstohlene Blicke zuwirft.

Du gehst hinüber zum Bett und beugst dich vor, um ihn zu küssen, diesmal ist es ein Ende, und er fragt: Kommst du am Donnerstag trotzdem mit? Und du antwortest: Klar!, auch wenn er dich gerade zum ersten Mal gefragt hat. Dann verlässt du sein Zimmer, läufst durch den Flur, aus der Tür und die Treppe hinunter, stürzt hinaus in den Mondschein und holst dein Telefon aus deiner Manteltasche. Du hast eine Reihe von Textnachrichten von Ella bekommen, die dich fragt, wo du bist, wann du nach Hause kommst, und dann: warte mal. bist du bei seminarboy??? Du machst dich auf den Rückweg zum Wohnheim, das nun dein Zuhause ist, und schließt alle paar Schritte die Augen, atmest tief ein und spürst die kalte Luft in deinem Gesicht. Du bemerkst, dass du dich verlaufen hast und die Straßen nicht mehr auseinanderhalten kannst. Du willst stehen bleiben und zur Orientierung einen Blick auf dein Telefon werfen, aber die Nacht ist so still, dass du dich zwingst, weiterzugehen, um dich mit dem Geräusch deiner Stiefel auf dem Asphalt zu beruhigen.

Manchmal hast du das Gefühl, diese Stadt könnte zu deiner werden, wenn sie sich dir gegenüber öffnet und dir die Dinge schenkt, nach denen du dich gesehnt hast, bevor du hierherkamst: Gay Bars, Vintageläden, Nachtbusse, Jungs, die Gendertheorie studieren. Aber in dieser Nacht, in der Dunkelheit, wendet sie sich von dir ab und erinnert dich daran, dass du ihre Straßen noch nicht kennst, dass du nicht einfach gedanklich abschalten und dich von deinen Füßen sicher nach Hause bringen lassen kannst. Zum ersten Mal seit deinem Umzug vermisst du die abwärts führende Hauptstraße in dem Ort, in dem du aufgewachsen bist, wie du mit dem Fahrrad von Partys nach Hause fuhrst, die Pedale reglos, während du flogst, ohne Helm und betrunken vom geschmuggelten Alkohol. Heute scheint mehr auf dem Spiel zu stehen, ohne Eltern, die eine Ausgangssperre verhängen, und mit einem neuen Zuhause, das mehr als fünf Minuten entfernt ist. Aber du läufst weiter, und ein paar Minuten später stolperst du wie durch ein Wunder in deine Straße und erkennst die Wohnungen wieder, und im Büro der Studierendenbetreuung brennt noch Licht. Du hörst die Musik von verschiedenen Partys aus verschiedenen Wohnungen, alle voller Erstis wie dir, die noch ganz am Anfang des Erwachsenwerdens stehen. Als du deinen Flur betrittst, kommt Ella grinsend aus ihrem Zimmer und führt dich in die Küche. Du weißt, dass deine Nacht erst real wird, wenn du sie mit ihr teilst. Sie setzt Wasser auf, und du erzählst ihr alles.

Wohnungspartys

Du bist betrunken und kannst Ella nicht finden, und du unterhältst dich mit einer Person, die definitiv auf Koks ist, weil sie in ihren Redeschwall keine Pausen einbaut, in denen du zu Wort kommen könntest. Aber diese Person stellt dir ohnehin keine Fragen, sie redet, redet und redet nur, und ihre Worte verschmelzen und verwandeln sich in einen Rhythmus in deinem Kopf, der zur Musik passt, die ebenfalls keinen Text hat, also wiegst du dich einfach irgendwie zum Hämmern der Worte, der Musik und deines Kopfes, der mittlerweile wehtut, weil du schon viel zu lange auf dieser Party geblieben bist. Du schwebst aus deinem Körper und fragst dich, wie du wohl für andere Menschen aussiehst, ob irgendjemand hier dich attraktiv findet, ob irgendwann an diesem Abend irgendwer seiner Begleitung auf die Schulter geklopft und sie gefragt hat: Hey, wer ist das?, und dann klopft Ella dir auf die Schulter, und du drehst dich blitzschnell um und denkst: Oh, da ist sie ja. Und sie ist ebenfalls betrunken, aber nicht so betrunken wie du, und ihre Augen glitzern feucht, als hätte sie geweint oder richtig heftig gelacht. Und sie greift nach deinem Arm und steuert dich hinaus aus dem Gespräch, und ihr setzt euch zum Rauchen in die Küche. Du hockst dich auf die Arbeitsfläche und aschst in die Spüle und fängst an, dich über deine Umgebung lustig zu machen. Du fragst sie, ob ihr schon aufgefallen sei, dass jetzt alle, die ihr kennt, in richtige Wohnungen gezogen sind und sich an erwachsener Einrichtung versucht haben – Pflanzen, wiederverwendbare Kaffeebecher, Schuhregale –, aber zugleich den geschmacklosen Accessoires des Studierendenlebens noch nicht entkommen können – eine Pyramide aus Bierdosen, ein Verkehrshütchen, die ironisch gemeinte Pappfigur irgendeiner Berühmtheit (in diesem Fall Danny DeVito), eine Wand voller Polaroids. Ella lacht nun, was dich auch zum Lachen bringt, und als jemand in die Küche kommt und fragt, worüber ihr lacht, lacht ihr noch lauter. Und das Beste ist, dass eure Wohnung ganz genauso aussieht – ihr habt sogar einen Plattenspieler und eine Schublade extra für Stoffbeutel – und dass du all die Klischees über Kunststudent*innen liebst, weil sie wahr sind, und das gibt dir das Gefühl, Teil von etwas zu sein. Du versuchst das Ella zu erklären, aber du bist betrunken, also verstummst du einfach mitten im Satz und fragst: … verstehst du? Und sie antwortet: Ja, auf jeden Fall. Und dann fragst du, ob sie gehen möchte, und das möchte sie, also teilt ihr euch auf und lauft getrennt durch die Wohnung, sammelt Mantel, Tasche und Schuhe ein und verabschiedet euch von allen. An der Tür trefft ihr euch wieder, und als du sie öffnest, kannst du nicht glauben, dass der Morgen bereits dämmert. Und Ella packt dich und sagt: Ich hatte ganz vergessen, heute ist Mittsommer. Und ihr hakt euch unter, geht los und schaut beide schweigend in den Sonnenaufgang mit seinem Pink und Orange, und du bemerkst, wie warm sie ist, wie du die Hitze ihrer Haut durch ihre dünnen Ärmel spüren kannst. Und du denkst, wie angenehm das Schweigen mit ihr ist, dass es keine leeren Worte oder Fehleinschätzungen gibt. Und du bemühst dich, dieses heiße Knäuel aus Gefühlen verborgen zu halten, das in deiner Magengrube sitzt und in Nächten/an Morgen wie diesen zum Vorschein kommt, das aus Kurven und süß duftendem Haar und Suchanfragen nach »Frau mit Frau« und abgebrochenen Berührungen besteht. Und eine Frage kullert in deinem betrunkenen Hirn herum, und du weißt nicht, ob du jemals in der Lage sein wirst, sie zu stellen. Und du schaust Ella an und denkst: Sie war die schönste Frau auf der Party, auf jeder Party, überall.

*

Deine Teufelshörner drücken an den Schläfen, also nimmst du sie ab und legst sie auf einen Tisch, auf dem sich halb leere Flaschen mit Mischgetränken, Schnapsgläsern und Tabakpäckchen drängen. Ein Typ aus dem Seminar über viktorianische Literatur hat dich zu dieser Party eingeladen, das Motto ist »Himmel und Hölle«, und sobald du durch die Tür getreten warst, fragte dich jemand in einem Nonnenkostüm, ob du Poppers nehmen möchtest. Du begibst dich in die Küche, um nach deinem versteckten Lambrini zu suchen, und beginnst ein Gespräch mit einer jungen Frau, die sich als Engel verkleidet hat. Sie fragt: Wie ist es in der Hölle? Und du antwortest: Heiß, und sie lacht. Du kannst deinen Birnen-Cider nicht finden, aber sie schenkt dir einen Wodka Cola ein und fragt dich, woher du ihr bekannt vorkommst. Du sagst: Keine Ahnung, und sie zupft an deinem Tutu und fragt: Lesbisch? Und du erwiderst: Hm? Und sie zieht ihr Kleid hoch und fragt dich, ob dir ihre Strapse gefallen. Du entschuldigst dich und gehst weiter nach Ella suchen, stolperst aber stattdessen über zwei Frauen, die sich um ein Telefon streiten, das die größere der beiden hoch über ihren Kopf hält und ruft: Auf gar keinen Fall! Eure Blicke treffen sich, und sie erklärt vielsagend: Sie will ihrer Ex schreiben. Du nickst verständnisvoll.

Du fühlst dich fehl am Platz, du trägst zu viele Kleidungsstücke und hast keinen Glitzer im Gesicht, und du bist zu schüchtern, um auf irgendjemanden zuzugehen und ein Gespräch anzufangen. Wenn du Ella findest, denkst du nun, wird sie wahrscheinlich gerade dabei sein, eine ganze Gruppe von Menschen zu bezaubern, sie zum Lachen zu bringen und dafür zu sorgen, dass sie sich wohlfühlen, wie es ihr bei allen Leuten gelingt – wie es ihr auch bei dir gelungen ist. Du leerst dein Getränk und gehst zurück in die Küche, wo du den Engel antriffst. Sie fragt dich, ob du noch einen Drink möchtest, und du sagst Ja. Sie entschuldigt sich dafür, so direkt gewesen zu sein – Ich dachte, ich hätte dich bei den LGBT+-Abenden gesehen –, und fragt dich, ob ihr noch einmal von vorn anfangen könnt. Dich beeindruckt, wie mühelos sie von Flirten zu Freundschaft wechselt, und du bist neugierig, ob sie etwas in dir gesehen hat, das du selbst erst noch entdecken musst. Sie stellt sich vor, und du bist dir nicht sicher, ob sie Katie oder Kasey sagt, und ihr unterhaltet euch über eure Kurse, wie ihr das zweite Jahr findet, woher ihr kommt. Sie freut sich darauf, über Weihnachten nach Hause zu fahren, du nicht, das Gespräch ist belanglos, aber du hängst an ihren Lippen. Nach deinem dritten Wodka Cola fragst du sie, ob sie zum Rauchen rausgehen möchte. Sie führt dich an der Hand durch den Flur, der nun voller Körper ist und mit dem Bass vibriert, ihr öffnet die Tür auf die ruhige Wohnstraße und lauft die Treppe hinunter. Sie lässt deine Hand nicht los, bis ihr das Gebäude verlassen habt. Ihr setzt euch auf die Stufen, die zur Wohnung hinaufführen, sie hat zwei Zigaretten zwischen ihren Lippen und zündet sie an und reicht dir eine davon. Du ziehst daran, atmest aus, wartest einen Augenblick.

Ich denke, das bin ich, sagst du dann, bevor du es dir anders überlegen kannst.

Du denkst, du bist was?

Lesbisch, oder eher bi, würde ich sagen. Ich mag Jungs.

Sie lacht und sagt, sie möge Jungs auch. Sie möge alle Menschen. Nachdem du es ausgesprochen hast, fühlst du dich selbstbewusster. Sie fragt dich, ob du schon einmal eine Frau geküsst hast, und du schüttelst den Kopf. Sie fragt dich, ob du es gern tun würdest, und du nickst. Als sie sich vorbeugt und ihre Lippen auf deine legt, ist sie ganz sanft. Du bist betrunken und glücklich, und du möchtest für immer weiterknutschen. Als sie sich von dir löst, trägt sie deinen Lippenstift. Du möchtest, dass sie ihn den ganzen Abend so lässt, um ihren Mund verschmiert, und alle sollen wissen, dass du ihn dort platziert hast. Du lächelst, ein bisschen dümmlich, und sie lacht über dich und sagt:

Nicht mehr nur hypothetisch bisexuell.

Nein.

In diesem Augenblick platzen ein paar Frauen aus der Tür, angeführt von Ella, die beinahe über dich stolpert. Sie ist verschwitzt, als hätte sie getanzt, und hat eine Schachtel Zigaretten in der Hand. Sie hält sie triumphierend vor dir hoch und ruft: Die habe ich geklaut! Sie setzt sich zwischen dich und den Engel, und die anderen Frauen verteilen sich um euch auf den unteren Stufen. Ihr bleibt noch ungefähr eine Stunde da draußen, unterhaltet euch, genießt die kühle Luft und die Abwesenheit von Technomusik. Eine von ihnen hat deine Lambrini-Flasche gefunden, und ihr lasst sie herumgehen und nehmt Schlucke von der warmen, zuckrigen Flüssigkeit. Eine der Frauen kennt den Engel, stupst ihn mit dem Ellbogen an und sagt:

Hätte ich mir doch denken können, dass du hier draußen bist und jemanden verführst. Du hast Lippenstift im ganzen Gesicht.

Der Engel zuckt mit den Achseln und erwidert: Was soll ich sagen, ich finde immer das bestaussehende Mädchen auf der Party, und Ella blickt zuerst sie an und dann dich. Sie zeigt auf dein Gesicht, das vermutlich ebenfalls voll von Lippenstift ist, und formt mit dem Mund ein übertriebenes »Oh«. Sie beugt sich vor und flüstert dir zu:

Interessante Entwicklung.

Und du antwortest:

Ja, oder?

*

Ihr gebt eine Party, um das Ende des Sommersemesters zu feiern. Es ist das erste Mal, dass ihr so richtig andere Leute in eure Wohnung einladet, obwohl ihr schon seit fast einem Jahr dort wohnt, und ihr möchtet, dass der Abend etwas kultivierter wird als die üblichen Zusammenkünfte. Ihr nehmt den Bus zu IKEA und kauft acht Teller, zusätzliches Besteck, ein paar echte Cocktailgläser. Ihr entscheidet euch für einen italienischen Abend und führt ein Wochenende vorher einen Testlauf durch, aber die Pasta wird jedes Mal zu dick, weil ihr keine echte Nudelmaschine habt. Ihr schwenkt um auf Fajitas. Ihr erstellt ein Facebook-Event mit dem neuen Motto und schreibt: Stellt euch eher eine schicke mexikanische Dinnerparty vor als eine verwahrloste Studi-Session. Ihr gebt den letzten Rest eures Geldes für Tequila der mittleren Preisklasse und alle Limetten im örtlichen Supermarkt aus. Die Kassiererin fragt euch sarkastisch, ob ihr genügend habt, und Ella antwortet trocken: Nein.

Der Abend ist von Anfang an ein Reinfall. Alle, die ihr eingeladen habt, bringen jeweils noch drei zusätzliche Personen mit, und die meisten von ihnen sind betrunken. Die Zubereitung der Frozen Margaritas dauert zu lange, also fangen die Leute an, den Tequila stattdessen pur hinunterzukippen. Ihr fragt immer wieder, ob irgendjemand etwas essen möchte, aber niemand will sich hinsetzen, und ohnehin stopfen alle sich bereits mit Snacks voll, treten Chips in eurem Teppich fest und lassen Guacamolehäufchen auf die Möbel fallen. Ella zischt dir ins Ohr: Ich kann nicht glauben, dass ich hierfür einen gottverdammten Mörser gekauft habe. Du musst beinahe hysterisch lachen und beobachtest, wie Menschen, die du nur vage aus Vorlesungen und Seminaren kennst, einander anschreien und Kurze trinken und lange im Badezimmer verschwinden, um mit geweiteten Pupillen und nervösem Zucken wieder herauszukommen. Um halb zwölf fahren alle mit Taxis in die Stadt, um auszugehen, und ihr begutachtet das Gemetzel. Gemeinsam beginnt ihr halbherzig aufzuräumen, du im Wohnzimmer und Ella in der Küche. Nach ein paar Minuten hörst du das Surren des Mixers, und dann kommt Ella mit einem Krug Frozen Margarita, Gläsern und Strohhalmen herein. Ihr spielt die Playlist ab, die ihr für den Abend zusammengestellt habt, tanzt im Zimmer herum und trinkt um die Wette. Ein paar Stunden später habt ihr die Fajitas gegessen, eine beeindruckende Menge an Limetten verbraucht, liegt auf dem noch immer klebrigen Teppich in eurem Wohnzimmer und lacht über eure katastrophale erste Dinnerparty. Ella sagt: Irgendwann machen wir das mal richtig, wenn die anderen Leute in unserem Alter so reif und kultiviert sind wie wir. Du lachst, denn je betrunkener du wirst, desto lustiger ist Ella, und sagst: Okay, abgemacht.

Glasgow Royal Infirmary

Du musst die Bibliothek verlassen, weil du Bauchkrämpfe bekommst, der Schmerz überrollt dich in Wellen, etwas in deinem Inneren spannt sich immer wieder an und lässt los. Du hast die Pille abgesetzt, und in den letzten Monaten hat sich deine Periode wie eine Bestrafung angefühlt. Du spürst etwas aus dir hinausgleiten und denkst: Blut. Du schiebst den Laptop in deine Tasche, knallst ihn dabei gegen den Tisch, und jemand dir gegenüber erschrickt und blickt verärgert auf. Auf der Treppe nach unten musst du kurz stehen bleiben, dich am Geländer festhalten und tief durchatmen. Der Pulli klebt an deinem nassen Rücken, und dein Schal hängt halb aus der Tasche und schleift über den Fußboden. Mit jedem Anschwellen des Schmerzes flirrt es dir vor Augen. Du schaffst es nach draußen und brichst auf einer Bank zusammen, deine Sinne erschüttert von der Dunkelheit und der Kälte. Du vergisst, wie spät es ist, wie lange du in der Bibliothek gewesen bist, wann du zum letzten Mal etwas gegessen hast, Gedanken, die von den Schmerzen aus deinem Kopf verdrängt werden. Du nimmst dein Telefon aus der Tasche und hältst inne, als du beim Kontakt deiner Mum angelangt bist. Du rufst sie an und hörst das Telefon einmal, zweimal, dreimal klingeln, ehe dir klar wird, dass du gar nicht weißt, was du sagen würdest, wenn sie dranginge. Du legst auf und rufst Ella an. Als du ihre Stimme hörst, wird dir bewusst, dass du deine Tränen nur mit Mühe unterdrückst. Du musst mich abholen, sagst du, und deine eigene Stimme scheint von weit weg zu kommen, als würdest du dir selbst von der anderen Straßenseite aus zurufen. Fünfzehn Minuten später stolpert sie aus einem Taxi und hilft dir direkt wieder hinein.

***

Ihr wartet stundenlang in der Notaufnahme, umgeben von betrunkenen Menschen und schreienden Babys, dein Kopf auf ihrer Schulter, deine Hand in ihrer, und als endlich jemand deinen Namen aufruft, erwachst du ruckartig aus einem Dämmerzustand. Ella fragt, ob sie dich ins Sprechzimmer begleiten soll, aber du schüttelst den Kopf und lässt sie auf dem Plastikstuhl zurück, wo sie ein Exemplar von Little Women aus der Tasche zieht, während du einen Gang hinuntergeführt wirst, der nach Alkohol und Pisse stinkt. Der Arzt ist ein junger Mann, und als du beginnst, ihm deine Krankengeschichte zu erzählen, zuckt er bei den Worten »Periode« und »Schmerzen beim Sex« kaum wahrnehmbar zusammen. Er fragt, ob du es schon einmal mit Ibuprofen und einer heißen Wärmflasche auf dem Bauch gegen die Krämpfe probiert hast. Er klingt gelangweilt. Du wünschst jetzt, Ella wäre hier bei dir, um sicherzugehen, dass du nichts vergisst, und um weiter deine Hand zu halten. Du wolltest schon länger einen Termin ausmachen, aber du hattest Angst, dass es so laufen würde wie jetzt, dass deine Worte dümmlich herauskämen, dass du das Mädchen wärst, das sich über etwas beschwert, wofür ihr Körper geschaffen wurde.

Dich überkommt eine weitere Welle, und du sagst: O mein Gott, ich muss mich übergeben, und der Arzt schnappt sich eine Bettpfanne und führt sie mit einer geschmeidigen Bewegung vor dein Gesicht. Du erbrichst lautstark und gewaltig, ein paar Spritzer landen dabei auf seinem Ärmel, und die Kotze schießt in einem heißen, brennenden Strahl aus deiner Nase. Du spürst, wie noch mehr Blut aus dir hinaussickert und einen Fleck auf der Papierunterlage der Krankenhausliege hinterlässt. Als du fertig bist mit Kotzen, legst du dich mit geschlossenen Augen zurück auf die Liege, zu erschöpft, um dich zu schämen, und der Arzt fragt dich, diesmal behutsam: Geht es Ihnen gut? Im Zimmer ist es still bis auf das Surren des Computers. Und dann antwortest du: Ich weiß es nicht. Er beschließt, dich über Nacht dazubehalten, und erklärt dir, am Morgen werde jemand kommen und dir Schmerzmittel und Eisentabletten geben. Außerdem gibt er dir einen Termin für eine gynäkologische Untersuchung und sagt, du hättest Glück, so schnell einen zu bekommen. Das Datum auf dem Zettel, den er dir reicht, ist in vier Monaten. Du kannst nicht aufhören, deine Kotze auf seinem Ärmelaufschlag anzustarren. Kurz darauf führt dich eine junge Krankenschwester zu einem Bett auf einer geschäftigen Station voller alter Leute mit geschwollenen Knöcheln und schütterem Haar. Du bekommst einen hauchdünnen Krankenhauspyjama und eine Tasse wässrigen Tee.

Ella kommt, um sich von dir zu verabschieden, und als sie sich zu einer Umarmung hinunterbeugt, sagst du: Bitte bleib. Nur ein paar Minuten. Bis sie dich rausschmeißen. Sie zieht den Vorhang um deinen Bereich zu und setzt sich auf den Stuhl neben deinem Bett. Du fragst: An welcher Stelle von Little Women bist du gerade? Und sie bietet an: Soll ich dir vorlesen? Dann beginnt sie, du schließt die Augen, um ihrer Stimme zuzuhören, und weißt, dass ihr euch jetzt normalerweise darüber streiten würdet, wer Jo und wer Amy sei, aber du kannst dich nicht genügend auf deine Gedanken konzentrieren, um die Worte herauszubekommen, also stellst du dir einfach vor, ihr würdet euch zu Hause streiten und bald eine Flasche Wein öffnen und so tun, als wolltet ihr sie nicht leer trinken. Und kurz darauf würdet ihr durch die Küche tanzen wie in Zauberhafte Schwestern, und dein Körper würde sich im Licht des Kühlschranks stark und unverändert anfühlen. Ein paar Stunden später wachst du auf, als eine Krankenschwester deinen Blutdruck misst, und spürst Ellas Abwesenheit in der Dunkelheit, als sich das Band des Geräts um deinen Oberarm zusammenzieht.

Glasgow, 7 University Gardens

Du lässt deinen Coffee to go in der Tür zum Seminarraum fallen, und das Wort »Fuck!« platzt aus deinem Mund, ehe du es verhindern kannst. Du blickst auf, und der Raum ist voll, weil du ein paar Minuten zu spät bist, und alle starren dich an. In einer Ecke stehen ein paar Stühle gestapelt, aber es gibt kaum noch einen Platz für dich. Am Kopfende des Tisches sitzt, wie du annimmst, euer Tutor. Er sieht gut aus, trägt jedoch eine schreckliche Brille, wie diese Scherzartikel, an denen Schnurrbart und Augenbrauen befestigt sind. Seine Kleidung und sein Gesicht verraten dir, dass er auf Privatschulen gegangen ist. Er trägt noch seinen Regenmantel, und die Gläser seiner Komikerbrille sind ein bisschen beschlagen, als wäre er ebenfalls zu spät gekommen. Er springt auf und eilt herüber, um dir zu helfen, zieht ein Päckchen Taschentücher aus seiner Hosentasche und sagt: Nicht so schlimm! Ich finde diesen Teppich sowieso scheußlich.

Alle lachen und hören auf, dich anzustarren, sind damit beschäftigt, Laptops und Notizbücher aus ihren Taschen zu holen. Er geht in die Hocke, und du folgst seinem Beispiel, und ihr beide tupft vergeblich an dem Fleck herum. Du sagst: O mein Gott, es tut mir so leid, und er erwidert: Im Ernst, kein Problem. Nach einer Minute gebt ihr auf, und er setzt sich wieder hin, während du einen der Stühle vom Stapel nimmst und dich in eine Ecke quetschst. Er spricht nun über das Seminar, hakt nach, ob alle die Primärtexte gekauft haben, und fragt, ob irgendjemand ein persönliches Interesse an romantischer Lyrik habe. Der einzige andere Typ im Raum hebt die Hand, und euer Tutor lächelt ihn an, ehe er lacht und sagt: Schwieriges Publikum, schon okay, ich weiß, dass ihr den Kurs belegen müsst. Er erzählt, er schreibe seit einem Jahr an seiner Doktorarbeit, dies sei erst sein zweites Bachelorseminar, und sein Lieblingsobst sei Mango. Danach müsst ihr euch alle vorstellen und euer Lieblingsobst nennen. Es ist qualvoll. Als du an der Reihe bist, sagst du, dass du Erdbeeren magst, und er lächelt und fragt: Wie in dem Gedicht von Edwin Morgan? Du weißt, dass er hier gelehrt hat? Und du lächelst zurück und sagst: Ja, ich weiß.

Drei Wochen später küsst er dich zum ersten Mal, drückt dich in seinem Büro gegen die Wand, und du bist so angeturnt, dass deine Beine zittern. Er fragt immer wieder gegen deinen Mund: Ist das in Ordnung, geht es dir gut?, stammelnd wie ein Schuljunge. Du nickst und küsst ihn zurück. Ihr habt seit der ersten Stunde E-Mails ausgetauscht, wobei du Ella ignoriert hast, die dir bei jeder Gelegenheit mitteilt, es sei ein Klischee und die Sache werde dir über den Kopf wachsen. Du weißt, dass sie recht hat, aber die E-Mails unterbrechen die Banalität deiner täglichen Routine und liefern dir etwas, worüber du nachdenken kannst, abgesehen von deinem Gesundheitszustand. Du probierst gerade eine neue Antibabypille aus, die bewirkt, dass du schreist und weinst und dein Bauch sich wie ein Ballon aufbläht. Du hast eine Packung nach der anderen ohne Pause genommen, um deine Periode nicht zu bekommen, und bislang hat es funktioniert. Du hast keine körperlichen Schmerzen mehr, aber deine Launen sind unberechenbar und schwer erträglich geworden.

Er weiß nichts von deinem kaputten Körper oder deinen Stimmungsschwankungen. Ihr redet nicht über eure Leben, eure Freundschaften, den Alltag. Ihr unterhaltet euch über Sprache und tote Dichter*innen und seine Träume, Schriftsteller zu werden. Du weißt so gut wie nichts Konkretes über ihn, aber wenn er dich berührt, vergisst du deinen eigenen Namen. Er entzieht sich deinem Kuss und lächelt dich an, scheint nur aus weißen Zähnen und leuchtenden Augen zu bestehen, und für einen Moment wirst du kalt, aber du bist dir nicht sicher, weshalb. Dann küsst er dich erneut, und es ist um dich geschehen, du ziehst ihn an dich heran, bis eure Körper aneinandergepresst sind, du auf den Zehenspitzen, er ein wenig heruntergebeugt. Er küsst dein Ohr, dann deinen Hals, und dann stöhnt er und flüstert: Ihr Haar war lang, und er zieht an deinem Pferdeschwanz und flüstert erneut: Ihr Blick war wild, und er küsst die Seiten deiner Augenlider und murmelt: Ich flocht einen Kranz für deinen Kopf, und er streicht dir übers Gesicht, und du hörst Ellas Stimme in deinem Kopf sagen: O Mann, aber du schüttelst sie ab und reißt die Augen auf und blickst wieder zu ihm hinauf, als würdest du dein Gesicht gen Sonne richten.

Auf dem Nachhauseweg gehst du immer wieder über die Straße, ohne nach rechts und links zu schauen, da du in Gedanken bei der glatten Haut in seinem Nacken bist. Du betrachtest dein Spiegelbild in Schaufenstern, und dein Gesicht ist rot vor Kälte und der Erinnerung an das Knutschen. Deine Mum schickt dir eine Nachricht mit dem Text: schon eine weile nichts von dir gehört, und du willst ihr antworten, aber da kommt eine E-Mail von ihm. In der Betreffzeile steht: ich kann nicht aufhören, und in der E-Mail steht: an dich zu denken. Du verliebst dich in das Gefühl, das diese E-Mail in dir auslöst. Als wärst du attraktiv und begehrenswert. Aus einem Impuls heraus sagst du deinen Termin bei der Gynäkologin ab, da du glaubst, du könntest ewig so weitermachen, eine Pillenpackung nach der anderen nehmen, ohne jemals zu erfahren, was mit dir nicht stimmt. Als du nach Hause kommst, gießt Ella gerade eure toten Pflanzen, aber als sie dich sieht, lässt sie es bleiben und setzt Wasser auf. Sie gibt Mandelmilch und Honig zum Tee, ohne vorher zu fragen, und ihr nehmt die dampfenden Tassen mit in euren schäbigen Garten, um zu rauchen. Eine Weile sitzt ihr schweigend da, und sie streckt die Arme über den Kopf und gähnt, wobei ihr Pulli nach oben rutscht, sodass du ihren weichen Bauch sehen kannst. Dann sieht sie dich unschuldig an und fragt:

Also, wie war dein Sextreffen?,

und du verdrehst die Augen und antwortest: Wir hatten keinen Sex.

Sie starrt dich an.

Aber wir haben uns geküsst.

Sie starrt weiter.

Und er hat ein Gedicht rezitiert.

Sie spitzt die Lippen:

Was für ein Gedicht? Nein, warte, lass mich raten: Bukowski?

Du schüttelst den Kopf.

E. E. Cummings?

Du schüttelst erneut den Kopf. Sie überlegt kurz und fragt dann:

Keats?

Du musst lachen, und Ella lässt den Kopf in die Hände sinken und stöhnt. Du lachst weiter, und das Geräusch erschreckt eine Krähe, die an den Mülltonnen herumpickt. Ella zeigt auf die davonfliegende dunkle Gestalt und sagt: Schlechtes Omen, und dann muss auch sie lachen, und der Bann ist gebrochen.

Wenn du ihn im Seminar siehst, kommuniziert ihr verschlüsselt miteinander. Gibt jemand eine besonders dumme Antwort, zieht er eine Augenbraue hoch, nur für dich. Du meldest dich nie und sagst höchstens ein-, zweimal pro Stunde etwas, aber wenn, dann bemühst du dich, eine scharfsinnige Bemerkung zum Text oder einen Witz über eine*n der Dichter*innen zu machen. Sein Lachen trägst du wie ein Ehrenabzeichen, seine Zustimmung stützt dich in den Wochen, in denen ihr euch nicht privat treffen könnt. Jede Woche liest du, was er von euch verlangt, manchmal zweimal, und gibst vor, du würdest über einen angeborenen Intellekt verfügen, versuchst dieselben Dinge zu lieben, die er liebt. Du liest mehr als die vorgeschriebenen theoretischen Texte, suchst nach Zeitschriftenartikeln und Essays, die das Werk analysieren. Sie scheinen in einer fremden Sprache verfasst zu sein, aber du hast Angst, irgendjemanden zu fragen, was gemeint ist, hast Angst, ausgelacht zu werden. Du trittst der Lyrikgesellschaft bei und sitzt bei den Gesprächen am Rand, gibst vor, mit dem Vokabular vertraut zu sein, und verwendest Wörter wie Syntax und Enjambement. Du hörst aufmerksam zu und schreibst dir die Ansichten der schlausten Personen in der Gruppe auf, um ihre Äußerungen Wort für Wort in deinen E-Mails an ihn wiederzugeben. Wenn er zügig antwortet und deine Bemerkungen lobt, leuchtest du auf. Wenn er tagelang gar nicht oder nur ein paar zerstreute Zeilen zurückschreibt, werden die Ringe unter deinen Augen immer dunkler.

Einmal in jenem Semester besucht er eine deiner Vorlesungen, und du verbringst zwei Stunden damit, ihn im vorderen Teil des Raums zu beobachten. Gefangen hinter deinem Tisch, musst du deine Hände zu Fäusten ballen, um nicht nach ihm zu greifen, ihm die Brille abzunehmen und mit der Fingerspitze seine Kieferpartie entlangzufahren.

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