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Eines Tages sagst du Ja

hier erhältlich:

Für Tessa ist es Liebe auf den ersten Blick, als sie ihrem neuen Chef begegnet! Doch Curtis Diaz ist ein Playboy und Tess will nicht nur eine von vielen Eroberungen sein. Mit allen Mitteln versucht sie, ihre Gefühle zu verbergen, während Curtis alles daransetzt, sie zu verführen…


  • Erscheinungstag: 30.08.2023
  • Seitenanzahl: 119
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745753493
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Tessa Wilsons erster Arbeitstag in dem neuen Unternehmen sollte nicht wie geplant verlaufen. Sie stand am Empfangstresen im Foyer des hochmodernen Glasgebäudes. Es war der Sitz des Softwarekonzerns Diaz Hiscock, für den sie von nun an für ein unglaubliches Gehalt arbeiten würde. Stirnrunzelnd betrachtete sie den freundlich lächelnden Mann ihr gegenüber. Auf einem Schild an seinem Revers stand der Name „George Grafton“, und wie ein George sah er auch aus: gemütlich, untersetzt, mit beginnender Glatze. Bei ihrer ersten Stelle hatte Tessa auch mit einem George zusammengearbeitet. Die beiden Männer hätten Brüder sein können.

„Was meinen Sie damit, dass heute Morgen alle Mitarbeiter das Gebäude verlassen haben?“ Sie blickte auf die Uhr. Es war ein einfaches Modell ohne jeden Schnickschnack: Weder Datum noch die Zeit in anderen Teilen der Welt wurden angezeigt. Auch enthielt sie keine integrierte Stoppuhr für den Fall, dass man spontan joggen wollte. Die Uhr war genau wie Tessa: praktisch, zuverlässig und pünktlich .

„Es ist doch erst halb neun!“

„Sie haben völlig recht.“ Der Rezeptionist nickte. „Die meisten Leute treffen gerade ein, um ihre Arbeitswoche zu beginnen, aber …“ Verständnislos zuckte er die Schultern.

Tessa blickte sich um. Unzählige Menschen strömten in das beeindruckende fünfstöckige Haus. Es war nach einem ausgeklügelten Plan konstruiert: Die einzelnen Gebäudeteile umsäumten einen Innenhof mit Bänken und Bereichen, in denen man essen konnte. Bei den Leuten handelte es sich um Angestellte anderer Unternehmen, die ihren Sitz ebenfalls in diesem Gebäude hatten. Dagegen hatten angeblich sämtliche Mitarbeiter von Diaz Hiscock aus einem unerfindlichen Grund beschlossen, sich einen Tag freizunehmen. Vielleicht ist es eine Art Test, ein Ritual, das neue Mitarbeiter überstehen müssen? überlegte Tessa nervös.

„Heute sollte aber mein erster Arbeitstag sein!“ Sie zeigte dem Mann das entsprechende Schreiben und wies auf das Datum.

„Ja, das ist tatsächlich heute.“ Der Mann wirkte teilnahmsvoll. „Ich verstehe es auch nicht. Sie können sich natürlich oben selbst umsehen, aber ich war um sechs Uhr hier, als sie alle das Gebäude verlassen haben.“

„Vielleicht sind sie frühstücken gegangen“, mutmaßte Tessa. Doch wie konnte ein Unternehmen so erfolgreich sein, wenn seine Mitarbeiter gleich zu Beginn des Arbeitstags in Scharen ihren Platz verließen, um sich mit Essen zu stärken?

„Dritter Stock.“ Der Rezeptionist wies mit dem Kinn auf die Fahrstühle, vor denen Angestellte Schlange standen.

Beim Aufstehen um sieben Uhr war Tessa noch bester Laune gewesen, wenn auch leicht nervös. Doch als erfahrene Assistentin war sie überzeugt, mit ihren künftigen Aufgaben bestens zurechtzukommen.

Jetzt geriet diese Überzeugung langsam ins Wanken. Tessa musste daran denken, dass auch ihre Einstellung ein wenig merkwürdig verlaufen war.

Diaz Hiscock war ein kleines Familienunternehmen. Aber erklärte das, warum sie das Vorstellungsgespräch mit der Mutter ihres zukünftigen Chefs geführt hatte, noch dazu im eleganten Wohnzimmer eines Privathauses, bei Tee und Scones? Sechs Wochen zuvor hatte Tessa das ganz reizend gefunden und geradezu wohltuend im Vergleich zu der Hektik in ihrer alten Firma. Jetzt fragte sie sich allerdings, ob sie es bei der neuen Stelle mit Verrückten zu tun hatte. War es ein Fehler gewesen, den sicheren Job bei der Wirtschaftsprüfungsfirma aufzugeben?

„Dann sollte ich wohl lieber mal …“ Tessa faltete das Schreiben zusammen und schob es zurück in ihre Handtasche. „Vielen Dank für Ihre Hilfe!“ Höflich lächelnd reichte sie dem Mann die Hand.

Während sie vor dem Fahrstuhl wartete, hatte sie das Gefühl, ihr Gesicht würde brennen. Absichtlich vermied sie jeglichen Augenkontakt und stellte sich bei der Fahrt nach oben schon vor, wie alle im Fahrstuhl gleich in Gelächter ausbrechen würden, weil der dritte Stock natürlich leer war.

Die zweite Befürchtung erfüllte sich, die erste jedoch nicht. Die eher kleinen Räume waren menschenleer, wie George gesagt hatte. Hinter dem Empfangstresen waren moderne Schreibtische gruppiert, teilweise durch Raumteiler voneinander getrennt. Niemand war zu sehen. Als Tessa mit klopfendem Herzen durch den Flur ging, dämpfte der dicke kaffeefarbene Teppich ihre Schritte. Rechts und links lagen geräumige Büros, einige mit Computerterminals mit Plasma-Bildschirmen. Sämtliche Räume erweckten den Eindruck wirtschaftlichen und finanziellen Erfolgs, doch sie alle waren verlassen. Kein Licht war eingeschaltet, nur die schwachen Strahlen der Wintersonne fielen durchs Fenster.

Tessa kam sich vor wie ein Eindringling, als sie das Licht anknipste und es plötzlich hell wurde. Warum um alles in der Welt war die Tür zu den Geschäftsräumen nicht abgeschlossen gewesen? Jeder, der an George vorbeikam, konnte die Büros betreten!

Sie räusperte sich betont laut und sagte „Hallo?“, doch nach wie vor herrschte Schweigen in den leeren Räumen.

„Für einen Mann wie meinen Sohn zu arbeiten ist äußerst interessant“, war Isobel Diaz überzeugt gewesen. Sie hatte sich an die hohe Lehne ihres Sessels gelehnt und die Hände im Schoß gefaltet.

Unter „interessant“ hatte Tessa sich damals vorgestellt, man würde ihr viel Verantwortung übertragen. Genau das war die Schwachstelle ihres letzten Arbeitsplatzes gewesen. Sie hatte zwar viele unterschiedliche Aufgaben gehabt und war dafür auch geschätzt worden, hatte ihren Horizont jedoch nicht erweitern können.

Der erste Tag hier ist schon mal ziemlich interessant, stellte Tessa fest, während sie durch das leere Büro streifte.

„Seit Nancy mit ihrem Mann nach Australien gezogen ist, hat der arme Curtis wirklich kein Glück mit seinen Sekretärinnen“, hatte Mrs. Diaz kopfschüttelnd erzählt. „Es waren ausnahmslos aufgetakelte, nicht sonderlich tüchtige junge Mädchen, die ständig mit den Augenlidern klimperten. Ganz und gar nicht das Richtige für meinen Sohn.“

Aber wer würde sich für einen Chef eignen, der sein Büro am Montagmorgen um sechs Uhr schloss, obwohl die neue Sekretärin an diesem Tag kommen sollte?

Zögernd ging Tessa weiter den Flur entlang. Während sie in die einzelnen Zimmer sah, wuchs ihre Überzeugung, dass sie niemanden antreffen würde. Sie befand sich in einer unangenehmen Lage: Sollte sie das Büro verlassen und so das Risiko eingehen, nicht da zu sein, wenn alle wiederkommen würden? Oder sollte sie lieber im menschenleeren Büro Däumchen drehen, bis ihre Arbeitszeit um halb sechs offiziell zu Ende wäre?

Während Tessa noch das Für und Wider gegeneinander abwog, hörte sie plötzlich ein Geräusch. Es schien aus einem Büro ganz am Ende des Flurs zu kommen. Schnell ging sie hin. Dem Türschild nach war es das Büro von Curtis Diaz. Tessa schob die einen Spaltbreit offen stehende Tür weiter auf und trat ein. Sie durchquerte einen kleinen Raum und kam dann in ein sehr großes Arbeitszimmer. Die cremefarbenen Vorhänge an der breiten Fensterfront waren zugezogen, sodass kein Sonnenlicht hereindrang.

Der Grund wurde Tessa klar, nachdem ihre Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten: Auf einem der Sofas, die an der Wand standen, hatte es sich ein Mann bequem gemacht. Er lag auf dem Rücken und ließ eine Hand herunterhängen, während die andere auf seinem flachen Bauch ruhte. Jetzt wusste sie auch, was für ein Geräusch das gewesen war: Der Mann schnarchte dann und wann leise. Als er sich plötzlich räusperte und auf die Seite drehte, erschrak sie.

Er trug Jeans und ein Oberteil im Rugby-Stil. Leise schlich Tessa näher und betrachtete seinen dunklen Teint, die schwarzen Bartstoppeln am Kinn und das leicht zerzauste schwarze Haar. Mit klopfendem Herzen sah sie ihn an und versuchte, sich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass sie zumindest nicht allein im Gebäude war. Dann eilte sie energisch zum Fenster und zog die Vorhänge auf.

„Also gut, junger Mann. Wer sind Sie, und was machen Sie hier?“

Er wachte auf, stöhnte leise und hielt sich ein Kissen vors Gesicht.

Tessa ging zu ihm, betrachtete missbilligend seine zerknitterte Kleidung und riss ihm das Kissen aus der Hand. Es funktionierte. Zufrieden beobachtete sie, wie der Mann sich aufsetzte und sie ansah.

Die Hände in die Hüften gestützt, sagte sie nachdrücklich: „Ich habe keine Ahnung, wie Sie hereingekommen sind, Freundchen, aber Sie können auf demselben Weg gleich wieder verschwinden. Das hier ist keine Notunterkunft für Herumtreiber!“

„Wie bitte …?“

„Sie haben mich ganz genau verstanden.“ Tessa fühlte sich vom Schicksal äußerst ungerecht behandelt. Erst kam sie pünktlich und in einem nagelneuen Kostüm zu ihrer neuen Arbeit – nur um festzustellen, dass niemand da war. Und dann musste sie auch noch auf einen friedlich schlummernden Schnarcher stoßen, der vermutlich einen Rausch ausschlief, nachdem er sich nachts vor dem Gebäude eine Flasche Hochprozentiges genehmigt hatte.

„Sehen Sie sich doch mal an!“ Sie rümpfte die Nase, während der Mann sich noch weiter aufrichtete und sie erstaunt anblickte. „Sie sollten sich wirklich schämen!“

„Tatsächlich?“

„Allerdings! Ein gesunder junger Mann wie Sie sollte sich nicht in fremde Büros schleichen und dort ein Nickerchen machen! Erzählen Sie mir nicht, Sie würden keine Arbeit finden!“

Der „gesunde junge Mann“ blickte Tessa so durchdringend an, dass sie sich langsam unwohl fühlte. Außerdem stellte sie fest, dass er trotz der zerknitterten Kleidung extrem attraktiv war. Als sie sein faszinierendes, äußerst markantes Gesicht näher betrachtete, stockte ihr der Atem. Dann riss sie sich zusammen.

„Ich werde Sie leider der Gebäudeaufsicht melden müssen“, erklärte sie.

Der Mann kniff die strahlend blauen Augen zusammen. Aus irgendeinem Grund wirkte er sehr amüsiert.

„Das Lächeln wird Ihnen schon noch vergehen, wenn die Polizei Sie festnimmt, in eine Zelle sperrt und …“

„In eine Zelle?“ Er konnte das Lächeln einfach nicht unterdrücken. „Wir sind hier in London, nicht in New York. Sie haben wohl zu viele amerikanische Krimiserien gesehen.“ Er strich sich durchs Haar und stand widerstrebend auf.

Verunsichert wich Tessa einige Schritte zurück. Der Mann massierte seinen Nacken und blickte sich dabei gelassen im Büro um. Er war sehr groß, muskulös, aber schlank – und ein bisschen Angst einflößend.

„Vielleicht haben Sie recht“, erwiderte sie beschwichtigend und beobachtete misstrauisch, wie er zum Fenster schlenderte und hinausblickte.

„Wie spät ist es eigentlich?“

„Kurz nach halb neun.“

Der Mann schnaufte. „Kein Wunder, dass ich mich so lausig fühle.“ Er wandte sich zu ihr um.

„Ich werde George rufen …“, begann Tessa. Sie kam sich ziemlich albern vor, weil sie die Polizei erwähnt hatte. George würde sich um das Problem kümmern müssen. Schließlich war sie Sekretärin und keine Mitarbeiterin des Sicherheitsdienstes.

„Wer sind Sie überhaupt?“

„Wer ich bin?“, wiederholte Tessa erstaunt. „Diejenige, die Sie gefunden hat – einen Mann, der im Tiefschlaf auf dem Sofa in einem Büro lag, in das er offenbar unerlaubterweise eingedrungen ist.“

„Schon klar, aber haben Sie auch einen Namen?“ Er setzte sich auf den gefederten Lederstuhl hinter dem Schreibtisch.

Fassungslos blickte sie ihn an. Der Typ hatte vielleicht Nerven!

„Oh nein … vergessen Sie die Frage. Jetzt fällt mir alles wieder ein. Ich weiß, wer Sie sind.“ Er schob den Stuhl zurück, damit er die Beine ausstrecken konnte. Dann verschränkte er die Hände hinter dem Kopf und blickte sie an, aufmerksam und amüsiert zugleich. „Sie sind Miss Wilson.“ Er lächelte jungenhaft.

Da sich der Boden unter ihren Füßen plötzlich zu bewegen schien, konnte Tessa das Lächeln leider nicht erwidern.

„Bitte nehmen Sie doch Platz. Sie sehen so aus, als würden Sie jeden Moment umfallen.“

„Ich werde George rufen …“, sagte sie verunsichert, setzte sich dann aber doch.

„Nicht nötig. Sie können es natürlich tun, wenn Sie unbedingt wollen. Allerdings würde das vermutlich nur peinlich werden. Ich werde Sie jetzt erlösen und mich Ihnen vorstellen.“ Er stand auf. Sein plötzlich so förmliches Verhalten stand in starkem Kontrast zu seiner legeren Kleidung. „Mein Name ist Curtis Diaz.“ Lächelnd reichte er ihr die Hand.

„Sie … Sie können doch nicht …“ Statt seine Hand zu nehmen, umklammerte Tessa ihre Handtasche.

„Und warum nicht?“

„Weil …“

„Verstehe.“ Er blickte an sich hinunter und schüttelte den Kopf. „Ich halte mich nicht an die Kleiderordnung, stimmt’s? Mächtige Männer in erfolgreichen Unternehmen tragen Nadelstreifenanzüge und perfekt gebundene Krawatten.“

Sprachlos blickte Tessa ihn an und errötete vor lauter Verlegenheit heftig. Mit derartigen Situationen konnte sie nicht umgehen. Für sie war es immer überaus wichtig, alles unter Kontrolle zu haben. Manchmal fragte sie sich, was wohl mit ihr und Lucy passiert wäre, wenn sie nicht mit unvorhersehbaren Dingen umgehen könnte. Denn die hatte es in ihrem Leben schon mehr als genug gegeben.

Doch jetzt schien sie keinerlei Einfluss auf die Ereignisse zu haben. Außerdem gefiel es ihr nicht, dass Curtis Diaz über sie zu lachen schien.

„Ich verstehe das alles nicht.“ Sie saß kerzengerade auf ihrem Stuhl.

„Nun, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.“ Er lehnte sich zurück. „Lassen Sie es mich erklären. Meine Mitarbeiter und ich haben gerade das ganze Wochenende über gearbeitet, einen Vertrag mit einem unserer Zulieferer aufgesetzt und den rechtlichen Kleinkram mit unseren Anwälten geklärt. Wir sind erst in den frühen Morgenstunden fertig geworden. Deswegen habe ich alle nach Hause geschickt, damit sie ein bisschen Schlaf nachholen können. Das haben sie sich verdient.“

Das meinte seine Mutter also mit „interessant“, dachte Tessa wie benommen. Eigentlich hatte ich es auf die Arbeit bezogen, nicht auf meinen künftigen Chef selbst. Curtis Diaz entsprach überhaupt nicht dem Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte. Sie war auf jemanden vorbereitet gewesen, der Mrs. Diaz ähnelte: einen kultivierten, hellhaarigen typischen Engländer.

Doch der Mann ihr gegenüber war das absolute Gegenteil. Er wirkte dynamisch und sprühte geradezu vor Energie. Nur die Augen erinnerten an seine Mutter: Sie waren tiefblau. Durch den Kontrast mit dem olivfarbenen Teint und dem dunklen Haar wirkten sie noch faszinierender.

„Aha. Es wäre gut gewesen, wenn Sie mir mitgeteilt hätten, dass ich hier heute nicht benötigt werde …“

„Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen“, gestand Curtis. Gelassen schaltete er einen der beiden Rechner auf seinem Schreibtisch ein.

Die Arme, dachte er und warf der sehr angespannt wirkenden Frau mit dem leicht geröteten Gesicht einen kurzen Blick zu. Ich hätte mich wirklich selbst um eine neue Sekretärin kümmern sollen. Doch er liebte seine Mutter und hatte schließlich ihrem Drängen nachgegeben, denn sonst hätte es eine endlose und heftige Auseinandersetzung gegeben. Mütter wussten nun einmal alles besser. Und seine war in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Sie sah ihn durchdringend an und machte ihm unverblümt klar, dass es reine Geldverschwendung wäre, „Flittchen“ anzustellen, wie sie sich ausdrückte.

„Aber sie sind doch so hübsch“, entgegnete er und dachte an die letzte Sekretärin, eine dralle Rothaarige. Ihre entzückenden Miniröcke hatten eher das Format von Taschentüchern gehabt.

„Das ist wohl kaum eine ausreichende Qualifikation, um als Sekretärin zu arbeiten.“

Schließlich hatte Curtis den Widerstand aufgegeben und die Angelegenheit seiner Mutter überlassen. Die Nachteile ihres rationalen Vorgehens wurden ihm schlagartig klar, als er jetzt Miss Wilson ansah. Das arme Mädchen wirkte völlig orientierungslos. Seufzend strich er sich durchs Haar.

„Also, Miss Wilson … da Sie nun einmal hier sind, wie wäre es, wenn wir frühstücken gehen und ein bisschen plaudern?“

„Frühstücken?“

„Ja.“ Curtis versuchte, seine Ungeduld zu unterdrücken. „Ich habe seit gestern nichts mehr gegessen, seit …“ Er stand auf und streckte sich. Als er Miss Wilson aus dem Augenwinkel betrachtete, bestätigte sich seine Vermutung, dass sie für die Stelle nicht geeignet war.

„Ich habe Hunger“, sagte er unverblümt und zog sich den Mantel an. „Ich muss jetzt unbedingt etwas essen und werde mich nicht mit den Resten der Pizza von gestern zufrieden geben. Außerdem sollten wir uns unterhalten.“

Tessa stand auf und eilte Curtis nach, der bereits das Büro verließ. Sie musste sich anstrengen, um mit ihm Schritt zu halten. Hochhackige Schuhe waren zwar schick, aber völlig ungeeignet, wenn man jemanden einzuholen versuchte, der so schnell ging, wie andere Menschen rannten. Als er vor dem Fahrstuhl plötzlich stehen blieb, wäre sie fast gegen ihn geprallt.

Curtis bemerkte, dass sie im Fahrstuhl vor ihm zurückwich und sich mit dem Rücken an die Wand presste.

„Sicher war es ein ziemlicher Schock für Sie, als Sie heute Morgen hergekommen sind und die Büros leer waren …?“

„Ich war ein bisschen überrascht.“

„Das ist sehr diplomatisch ausgedrückt.“

„George vom Empfang hatte mir schon erzählt, dass Ihre Mitarbeiter heute Morgen in Scharen das Gebäude verlassen haben. Aber ich dachte, er würde übertreiben. Deshalb war ich nicht darauf vorbereitet …“

„Ein Szenario wie aus einem Horrorfilm vorzufinden?“

Sie waren im Erdgeschoss angekommen und stiegen aus. George zwinkerte Tessa zu und lächelte Curtis schalkhaft an.

„Dann haben Sie also doch noch jemanden gesund und munter vorgefunden.“

„Ärgern Sie Miss Wilson nicht, George. Sie ist sowieso schon ziemlich gestresst.“

Tessa kam sich albern vor und hatte das Gefühl, die beiden Männer würden sich über sie lustig machen.

„Ich würde nicht von ‚gestresst‘ sprechen, sondern eher von ‚desorientiert‘.“

Sie spürte Curtis’ warme Hand auf ihrem Ellenbogen, als er sie durch die große Drehtür nach draußen führte.

„Von mir aus auch das. Ist Ihnen in dem Kostüm nicht kalt? Das Café ist nicht sehr weit von hier, aber wir müssen schon eine Weile laufen.“

„Danke, mir ist warm genug.“ Wenn mir klar gewesen wäre, dass ich an diesem Tag einen Spaziergang machen muss, hätte ich meinen Mantel mitgebracht, dachte Tessa. Doch an ihrem ersten Arbeitstag hatte sie sich ein Taxi gegönnt, somit war etwas Wärmeres als ihr Kostüm aus cremefarben und schwarz getupftem Wollstoff nicht notwendig gewesen.

„Ich nehme an, in Ihrem letzten Job waren Sie nicht sehr häufig ‚desorientiert‘?“

„Nein. Das ist wohl bei den meisten Stellen so.“

Inzwischen war ihr Ziel in Sichtweite. Das altmodische, schlichte Café war gut gefüllt mit einer bunten Mischung aus Geschäftsmännern in Anzügen, robust wirkenden Arbeitern, Taxifahrern und Frauen, die offenbar nach einer durchfeierten Nacht auf dem Heimweg waren. Die meisten ließen sich das Frühstück zum Mitnehmen einpacken.

Tessa war froh, im Warmen zu sein. „Kommen Sie oft hierher?“, fragte sie und fand ihre Frage sofort furchtbar floskelhaft.

„Ja. Das Frühstück ist ziemlich gut hier. Was möchten Sie haben?“ Er führte sie zu einem Tisch und las mit zusammengekniffenen Augen die Tagesangebote, die auf einer Tafel hinter ihr an der Wand standen.

„Kaffee.“

„Okay. Warten Sie.“ Schon zehn Minuten später kam er mit einem Tablett wieder. Darauf befanden sich zwei Becher mit dampfend heißem Kaffee und ein Teller, beladen mit Speck, Eiern, Blutwurst und gebratenem Brot.

Na, über diese Riesenportion Cholesterin werden sich Ihre Arterien aber freuen, hätte Tessa am liebsten gesagt.

„Ich will auf keinen Fall wissen, was Sie gerade denken“, warnte Curtis sie.

„Ich … ich habe überhaupt nichts gedacht!“ Wie hat er nur meine Gedanken lesen können? fragte sie sich beklommen.

„Erzählen Sie mir von Ihrer letzten Stelle.“

„Ich habe Ihrer Mutter doch schon alles erzählt … es steht alles in meinem Lebenslauf.“ Plötzlich wurde ihr etwas klar. „Aber vermutlich haben Sie ihn gar nicht gelesen.“

„Ich habe die Einzelheiten Ihrer Einstellung ganz meiner Mutter überlassen. Also, Ihre alte Stelle …“

Tessa trank einen Schluck Kaffee, der zu ihrer Überraschung sehr aromatisch war. „Ich habe für eine Wirtschaftsprüfungsfirma gearbeitet, die zwar nicht zu den drei wichtigsten gehört, aber doch relativ groß ist. Dort hatte ich die unterschiedlichsten Aufgaben. Ich kenne mich mit der gängigen EDV aus, von Tabellenkalkulation bis zu Buchhaltungsprogrammen.“ Als er nichts erwiderte, sondern schweigend weiteraß, fügte sie hinzu: „Außerdem habe ich Weiterbildungskurse organisiert und Besprechungen geleitet – mit anderen Worten, ich beherrsche alles, was man von einer qualifizierten Sekretärin und Assistentin erwarten kann.“

Nachdem Curtis den letzten Rest aufgegessen hatte, trank er einen großen Schluck Kaffee. Dann lehnte er sich zurück und sah Tessa prüfend an.

„Hat Ihnen die Arbeit Spaß gemacht?“

„Ja, natürlich. Ich war einige Jahre dort und …“

„Warum haben Sie sich dann eine neue Stelle gesucht?“

Plötzlich war der fröhliche, unkonventionelle Mann verschwunden. Jetzt wirkte Curtis scharfsinnig, klug, sehr direkt – und absolut konzentriert.

„Ich kam nicht voran.“ Tessa wich seinem durchdringenden Blick aus. „Ich wollte meinen Horizont erweitern.“

„Aber abgesehen von diesen Beschränkungen haben Sie gern dort gearbeitet, stimmt’s?“ Sie nickte und fragte sich ganz offensichtlich, worauf er hinauswollte. „Der festgelegte Ablauf der Arbeitsprozesse, das geordnete Umfeld, die Routine – all das gefiel Ihnen.“

„Es sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass ein Unternehmen erfolgreich arbeiten kann“, verteidigte Tessa sich.

Ordnung. Routine. Ja, sie mochte diese Dinge, denn sie hatten ihr im Leben Orientierung gegeben. Wie hätte sie sonst im Alter von nur knapp achtzehn Jahren die Erziehung ihrer zehnjährigen, widerspenstigen Schwester übernehmen können? Im Gegensatz zu Lucy war sie selbst äußerst vernünftig und realistisch. Ihre Eltern hatten sie früher oft wegen ihres Verantwortungsgefühls gelobt und sich auf sie verlassen können. Lucy dagegen war eine temperamentvolle Schönheit.

Dann waren ihre Eltern eines Nachts auf dem Nachhauseweg auf nasser Straße mit dem Auto gegen einen Baum geprallt und an den Folgen des Unglücks gestorben. Trotz ihrer Trauer hatte Tessa versucht, so gut es ging mit dem furchtbaren Verlust fertig zu werden – und dabei hatten ihr Routine und Ordnung geholfen.

Plötzlich merkte Tessa, dass Curtis sie mit zusammengekniffenen Augen ansah. Schnell verdrängte sie die Erinnerung.

„Finden Sie das nicht?“, fragte sie.

Obwohl sein Blick nicht kritisch war, fühlte sie sich unbehaglich. Vielleicht lag es daran, dass Curtis distanziert und gleichzeitig so selbstbewusst und extrovertiert war. Tessa schätzte ihn als einen Mann ein, der immer seinen Willen durchsetzte und trotzdem nichts über sein Inneres preisgab. Eine nervenaufreibende Kombination!

„Sie leiten doch selbst ein erfolgreiches Unternehmen. Bestimmt treffen Sie wichtige Entscheidungen nicht Tag für Tag ganz spontan und vertrauen darauf, dass alles gut wird, oder?“

Curtis warf den Kopf zurück und lachte. „Nein, eher nicht. Das würde zwar Spaß machen, aber wohl kaum funktionieren.“

Tessa schauderte. Nie zu wissen, was im nächsten Moment passieren konnte, sollte Spaß machen?

„Offenbar sind Sie anderer Meinung“, stellte er fest. „Wie dem auch sei – Sie hatten Ihre letzte Stelle also … wie viele Jahre?“

„Etwa neun Jahre“, erwiderte sie unbehaglich.

Er stieß einen leisen Pfiff aus. „Und wie alt sind Sie?“

„Achtundzwanzig.“

„Dann haben Sie in ein und demselben Unternehmen gearbeitet, seit Ihrem neunzehnten Lebensjahr …“

Langsam beschlich Tessa das Gefühl, sie würde gerade ein Vorstellungsgespräch führen. „Entschuldigung, ich war der Meinung, ich hätte die Stelle schon. War Ihre Mutter denn nicht befugt, mich einzustellen?“, fragte sie nervös.

Er dagegen schien sich äußerst wohl zu fühlen. „Doch, natürlich war sie das.“ Er zuckte die Schultern. „Es ist ein Familienunternehmen. Ich leite es und bin für alle Gewinne und Verluste verantwortlich. Aber natürlich interessieren sich auch mein Bruder und meine Mutter für die Geschäfte. Und manchmal bietet Mum mir ihre Unterstützung an. Sie bestand darauf, eine neue Sekretärin für mich zu finden. Sicher hat sie Ihnen auch erklärt, warum.“

„Sie erwähnte, einige Ihrer früheren Sekretärinnen seien … ein wenig ungeeignet gewesen.“

„Ich nehme an, meine Mutter hat sich längst nicht so dezent ausgedrückt.“

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