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Eine Stimme für die Entrechteten. Meine über sieben Jahrzehnte währende Auseinandersetzung mit China | Für meine Heimat und mein Volk

Als Buch hier erhältlich:

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In seinen persönlichen, spirituellen und historischen – teils nie veröffentlichten – Betrachtungen erzählt Seine Heiligkeit der Dalai Lama die Geschichte seiner 75-jährigen Auseinandersetzung mit China zur Rettung Tibets und seines Volkes.

Fast sein ganzes Leben hat der Dalai Lama mit China gerungen. Er war 16, als China 1950 sein Land annektierte. Mit 19 saß er dem Vorsitzenden Mao gegenüber, ehe er mit 25 ins indische Exil fliehen musste. Seitdem hat er den Führern Chinas – Mao Zedong, Deng Xiaoping, Jiang Zemin, Hu Jintao und Xi Jinping – die Stirn geboten und sich gegen größte Hindernisse für Tibet, dessen einzigartige Sprache, Kultur und Geschichte eingesetzt.

Ein Dreivierteljahrhundert nach der ersten chinesischen Invasion Tibets, erinnert der Dalai Lama die Welt an den noch immer andauernden Freiheitskampf Tibets – und an die Not, der sein Volk weiterhin ausgesetzt ist. Er schildert seine Sicht auf die geopolitische Lage der Region und verrät, wie er seine Menschlichkeit allen Umständen zum Trotz bewahren konnte. Sein Buch ist das eines außergewöhnlichen Lebenswegs. Es zeigt, was es bedeutet, sein Zuhause an einen repressiven Besatzer zu verlieren, und was es heißt, mit der existenziellen Krise eines Landes umzugehen und den Glauben an eine zukünftige Lösung nicht zu verlieren.

Eine Stimme für die Entrechteten ist das eindringliche Zeugnis einer Weltikone, mit dem der Dalai Lama sowohl seinem Schmerz als auch seiner unerschütterlichen Hoffnung, die er in das Streben des tibetischen Volkes zur Wiedererlangung seiner Würde und Freiheit setzt, Ausdruck verleiht.


  • Erscheinungstag: 25.03.2025
  • Seitenanzahl: 288
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365012178

Leseprobe

Dalai Lama

Eine Stimme
für die
Entrechteten

Meine über sieben Jahrzehnte währende
Auseinandersetzung mit China

Für meine Heimat und mein Volk

Aus dem amerikanischen Englisch von
Helmut Dierlamm, Oliver Lingner und Sigrid Schmid

HarperCollins

Vorwort

Bekleidet mit einer Chuba, dem Alltagsgewand der Laien, schlüpfte ich in einer dunklen, eiskalten Nacht, am 17. März 1959, durch das Tor des Norbulingka-Palastes. Dies war der Anfang meines Lebens im Exil, und inzwischen sind mehr als sechzig Jahre vergangen, seit ich mein Heimatland Tibet zuletzt betreten habe. Alles begann im Jahr 1950 mit der Invasion meines Landes durch das kommunistische China. Den unmittelbaren Anstoß zu meiner Flucht gaben jedoch die Spannungen, die sich in der tibetischen Hauptstadt Lhasa aufgebaut hatten und die am 10. März 1959 in einen Volksaufstand mündeten. Nach der Invasion hatte ich zum Wohl meines Volkes neun Jahre lang versucht, mit China zu einer Übereinkunft zu gelangen, doch alle Bemühungen scheiterten. Einige Tage nach meiner Abreise bombardierte die chinesische Volksbefreiungsarmee die Stadt. Damit nahm die tragische Geschichte meines Heimatlandes und meines Volkes ihren Lauf, die sich durch die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bis ins 21. Jahrhundert zieht.

Seit dem ersten Tag meines Exils in Indien widme ich mein Leben Tibet und seinem Volk. Bald werde ich 90 Jahre alt, und der Konflikt ist noch immer nicht gelöst. Bis heute steht mein Heimatland unter dem repressiven kommunistischen Regime Chinas. Das tibetische Volk wird weiterhin seiner Würde beraubt, und den Tibeterinnen und Tibetern bleibt es verwehrt, so zu leben, wie es ihren Vorstellungen und ihrer Kultur entspricht und wie sie es vor 1950 ein Jahrtausend lang getan haben. Da heute jeder Ausdruck tibetischer Identität von Tibets neuen Machthabern als Bedrohung angesehen wird, droht unsere Kultur im Namen von »Stabilität« und »territorialer Integrität« ausgelöscht zu werden.

Dieses Buch ist in erster Linie ein Bericht über meine seit mehr als sieben Jahrzehnten andauernden Verhandlungen im Namen Tibets und seines Volkes mit verschiedenen kommunistischen Führern Chinas. Es ist aber auch ein Appell an das Gewissen der Chinesinnen und Chinesen (von denen viele wie wir im Mahayana-Buddhismus, den ich als Sanskrit-Tradition bezeichne, verwurzelt sind) sowie an die internationale Gemeinschaft, sich der Notlage des tibetischen Volkes anzunehmen. Wir befinden uns in einer existenziellen Krise: Das Überleben eines jahrhundertealten Volkes und seiner Kultur, Sprache und Religion steht auf dem Spiel. Durch die jahrelangen Verhandlungen und Begegnungen mit den Machthabern in Peking habe ich viel gelernt und möchte darauf aufbauend in diesem Buch Wege aufzeigen, die in die Zukunft führen können. Mein Volk existiert schon lange als eigenständige Zivilisation, und sein Kampf wird, wenn nötig, auch nach meinem Tod weitergehen. Das Recht des tibetischen Volkes, seine Heimat selbst zu verwalten, kann nicht auf ewig verweigert werden. Genauso wenig kann sein Freiheitsbedürfnis für immer unterdrückt werden. Eine wichtige Lektion aus der Geschichte lautet: Es kann keine stabile Gesellschaft geben, wenn die Menschen dauerhaft unzufrieden sind.

Einleitung

Im Gegensatz zu all meinen anderen Missionen, die ich selbst ausgewählt habe, wurde mir die Verantwortung für die Nation und das Volk von Tibet auferlegt, als ich im Alter von zwei Jahren als wiedergeborener Dalai Lama aufgefunden wurde. 1950, im Alter von 16 Jahren, wurde ich offiziell zum weltlichen Führer Tibets erklärt. 1 Seit diesem Zeitpunkt ist diese Verpflichtung – der Schutz Tibets, seiner Bevölkerung und Kultur – mein innerstes Anliegen, und das wird auch bis zu meinem Lebensende so bleiben.

Obgleich diese Aufgabe die wichtigste Mission meines Lebens darstellt, habe ich mich noch anderen Zielen verschrieben: Ich möchte dazu beitragen, grundlegende menschliche Werte auf der Basis eines universellen oder säkularen Ethikansatzes zu stärken, interreligiöse Verständigung und Harmonie zu fördern sowie der alten Weisheit und dem alten Wissen Indiens zu einer größeren Wertschätzung zu verhelfen. Ich bin froh, dass ich in diesen Bereichen durch vielfältige Dialoge, durch meine Bücher und durch ausgedehnte internationale Reisen einen spürbaren Beitrag leisten konnte.

Im Fall von Tibet jedoch war es deutlich schwieriger, Fortschritte zu erzielen. Ich bemühte mich unablässig, mit den chinesischen Kommunisten, die 1950 in mein Land einmarschiert sind, eine Einigung zu erzielen. Es gab drei Phasen, in denen ein intensiver Dialog stattfand: zum einen in den 1950er Jahren, als ich als junges Oberhaupt in Tibet residierte, dann in den 1980er Jahren, als der chinesische Staatsführer Deng Xiaoping Chinas Öffnung vorantrieb, und zuletzt im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts. In allen anderen Bereichen meines Lebens und Wirkens waren die Menschen, die ich antraf, einer gemeinsamen Vision verpflichtet. Sie waren bereit, anderen zu vertrauen, sie äußerten auch bei Meinungsverschiedenheiten ehrlich ihre Gedanken, und sie wollten sich ernsthaft einbringen und lernen. Leider kann ich dies von den kommunistischen Machthabern Chinas, vom Vorsitzenden Mao Zedong bis zum gegenwärtigen Präsidenten Xi Jinping, nicht behaupten. Ich habe schon oft beklagt, dass sie nur einen Mund zum Sprechen haben, aber kein Ohr zum Zuhören.

Ein Beispiel dafür ist das von der chinesischen Regierung im Mai 2021 veröffentlichte Whitepaper über Tibet. Das Dokument beginnt mit der Feststellung, das tibetische Volk habe sich nach der chinesischen Invasion im Jahr 1950 »endgültig von den Fesseln des eindringenden Imperialismus befreit und einen vielversprechenden Weg der Einheit eingeschlagen«. 2 Die Tibeter würden heute »ein stabiles soziales Umfeld sowie wirtschaftlichen und kulturellen Wohlstand« genießen. Diesem Narrativ zufolge erlebten die tibetische Nation und das tibetische Volks seit der »friedlichen Befreiung« Tibets durch das kommunistische China einen stetigen Aufschwung zu Freiheit, Wohlstand und Zufriedenheit innerhalb der Familie der Volksrepublik China (VRC). Wäre dies zu irgendeinem Zeitpunkt seit der Invasion der Fall gewesen, wie ließe sich dann der seit mehr als sieben Jahrzehnten anhaltende Widerstand und Unmut der Tibeter gegen die chinesische Präsenz erklären? China scheint darauf eine einfache Antwort zu haben: Sie seien auf die »spalterischen Aktivitäten der Dalai-Clique zurückzuführen«. Gemeint ist damit unsere lange, gewaltfreie Kampagne für die Freiheit unseres Volkes und unsere Bemühungen, unsere einzigartige Sprache, Kultur, Ökologie und Religion zu bewahren. Wir Tibeterinnen und Tibeter bewohnen das tibetische Hochland seit Jahrtausenden, und wir haben jedes Recht dazu, unsere Heimat weiterhin selbst zu verwalten. Bei der Tibet-Frage geht es nicht um wirtschaftliche Entwicklung. Wir erkennen an, dass diese seit der wirtschaftlichen Liberalisierung der Volksrepublik China deutlich an Fahrt aufgenommen hat. Im Zentrum des Konflikts stehen vielmehr das Bedürfnis und das Recht eines Volkes, mit seiner eigenen Sprache und Kultur zu existieren und sein religiöses Erbe zu bewahren. Da es den Menschen in Tibet verboten ist, ihre Stimme zu erheben, ist es, seit ich 1959 ins Exil ging, meine Aufgabe, die Stimme der Entrechteten zu sein.

Es ist nach wie vor unser Ziel, eine für beide Seiten tragfähige Verhandlungslösung zu finden, aber dazu müssten sich die Chinesen und Tibeter zusammensetzen und miteinander sprechen. Bis eine solche Verhandlungslösung gefunden ist, haben wir Tibeter im freien Teil der Welt die moralische Pflicht, im Namen unserer Brüder und Schwestern in Tibet zu sprechen. Das ist weder anti-chinesisch noch »spalterisch«. Im Gegenteil: Nur durch Ehrlichkeit und Offenheit kann eine gemeinsame Basis gefunden werden, auf der beide Seiten einander verstehen und auf die Bedürfnisse der jeweils anderen Seite eingehen können. Erst wenn wir eine Atmosphäre geschaffen haben, die beiden Seiten erlaubt, frei zu sprechen und zu verhandeln, wird eine dauerhafte Lösung möglich sein.

Glücklicherweise haben wir viele Freunde auf der ganzen Welt, die sich gegenüber uns und unserem Anliegen solidarisch zeigen. Nach wie vor unterstützen Regierungen (insbesondere auf parlamentarischer Ebene) und internationale Organisationen in der gesamten freien Welt nachdrücklich unser Streben nach echter Autonomie für Tibet – nach einem Mittelweg zwischen der von den Tibetern angestrebten Unabhängigkeit einerseits und der gegenwärtigen Realität vor Ort andererseits, in der dem tibetischen Volk jegliche Handlungsmacht oder Selbstverwaltung im eigenen Land verwehrt wird. Von den Vereinten Nationen, dem Europäischen Parlament und vielen Ländern wurden verschiedene Resolutionen verabschiedet. Die Vereinigten Staaten haben zusätzlich zu Resolutionen sogar wichtige Gesetze erlassen. 3

Seit ich als Flüchtling in Indien eintraf, hatten wir das große Glück, von diesem Land, seiner Bevölkerung und den verschiedenen Regierungen großzügig empfangen und unterstützt zu werden. Vom ersten indischen Premierminister Pandit Jawaharlal Nehru bis zum gegenwärtigen Premierminister Narendra Modi hat Indien stets an seiner Gastfreundschaft und Großzügigkeit festgehalten und hat mir und den tibetischen Flüchtlingen stets geholfen und unsere Bemühungen um die Bildung unserer Jugend und den Wiederaufbau unserer Kultur und unserer Institutionen im Exil unterstützt. Mich persönlich erfüllt das mit tiefer Dankbarkeit.

Seit im 7. Jahrhundert erstmals buddhistische Texte aus dem Sanskrit ins Tibetische übersetzt wurden, haben wir Tibeter zu Indien als einem »Land der edlen Menschen« (Aryavarta) aufgeschaut. Unsere buddhistische Tradition, die für uns von so großer Bedeutung ist, hat ihren Ursprung in Indien. Unser Alphabet wurde im 7. Jahrhundert nach dem Vorbild der indischen Devanagari entwickelt. Unsere Philosophie, Logik und Kosmologie sind Geschenke der indischen Nalanda-Schule. Unsere Astro-Wissenschaften und unser Kalender wurden durch das indische Kalachakra-Tantra fundamental bereichert. Unsere Medizin wurde in Wissenschaft und Praxis durch das indische Ayurveda beeinflusst. Es gibt mir also großen Halt, in Indien meine zweite Heimat gefunden zu haben.

Ich habe den Großteil meines Lebens in Indien verbracht, und manchmal beschreibe ich mich sogar als einen Sohn Indiens. Mein Geist wurde von Indiens reicher philosophischer Tradition genährt, und mein Körper von indischem Reis und Dal. Auf meinen Reisen durch die Welt erklärte ich oft, der Überbringer zweier großer Geschenke Indiens an die Menschheit zu sein: des religiösen Pluralismus und der Lehre von Ahimsa, dem Prinzip der Gewaltlosigkeit.

Seit über sieben Jahrzehnten führe ich Gespräche mit der Volksrepublik China. Während dieser langen Zeit durchlief die Führungsriege des Landes mindestens fünf verschiedene Epochen. Die erste unter dem Vorsitzenden Mao war stark von der Ideologie geprägt und von gewaltigen gesellschaftlichen Umwälzungen gekennzeichnet, die in der schrecklichen Kulturrevolution gipfelten. Sie kostete Millionen von Menschen das Leben und bedeutete für viele weitere unbeschreibliches Leid. In der darauffolgenden Ära unter Deng Xiaoping verlor die Ideologie an Stellenwert, und die Schaffung von Wohlstand rückte ins Zentrum der Bemühungen. »Reich werden ist glorreich« lautete der Ausspruch, für den Deng berühmt wurde. Danach kam das Zeitalter von Jiang Zemin, in dem die Kommunistische Partei den Kreis ihrer Mitglieder erweiterte, um größere Teile der chinesischen Gesellschaft einzubinden. Hier lautete der Slogan: »Dreifaches Vertreten« 4 . Es folgte die Epoche von Hu Jintao mit seinem Slogan der »Sozialistischen harmonischen Gesellschaft«, deren Fokus zumindest oberflächlich darauf lag, dem steigenden Wohlstandsgefälle entgegenzuwirken, das unter Deng entstanden war. Heute wird China von Xi Jinping beherrscht, der einen »Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter« ausgerufen hat. Was die individuelle Freiheit und das alltägliche Leben angeht, brachten die letzten zehn Jahre der Amtszeit von Xi eine Rückkehr zur repressiven Politik der Mao-Zeit. Diese wird nun mit modernsten digitalen Technologien zur Überwachung und Kontrolle durchgesetzt. Im Grunde haben wir im heutigen China einen Marktkapitalismus, der mit einer leninistischen Besessenheit für staatliche Kontrolle verbunden ist. Dieses fundamentale Paradoxon ist hochgradig instabil, da die Öffnung der Wirtschaft, die für den Kapitalismus unerlässlich ist, letztlich auch eine Öffnung der Gesellschaft voraussetzt. Die allumfassende Kontrollsucht der Partei erfordert jedoch eine Abriegelung der Gesellschaft. Diese beiden polaren Kräfte wirken in entgegengesetzte Richtungen. Die Frage lautet daher, wie lange dieser Zustand andauern kann.

In dieser Zeitspanne von etwa 75 Jahren hat sich unter dem Deckmantel der scheinbaren Kontinuität einer einzigen regierenden kommunistischen Partei ein enormer Wandel vollzogen. Insbesondere in den Regierungszeiten von Mao und Deng waren die Veränderungen grundlegend und verwirklichten sich in einem außergewöhnlichen Tempo. Die älteren Leserinnen und Leser können sich vermutlich noch daran erinnern, wie stabil und beständig die Sowjetunion während des Kalten Krieges erschien. Dann aber setzte ein rasanter Wandel ein, den nur wenige Kremlologen so vorhergesagt hatten. Eines ist sicher: Kein totalitäres Regime – egal, ob es von einem einzelnen Menschen oder von einer Partei geführt wird – kann für immer bestehen, da es gerade jenen Menschen Leid zufügt, in deren Namen es angeblich spricht. Daneben ist das Freiheitsbedürfnis ein mächtiger Antrieb, der der Natur des Menschen innewohnt. Weiterhin sind totalitäre Systeme von Natur aus paranoid, misstrauisch und zeugen von einer Angst vor gewöhnlichen Bürgern. Das macht sie grundsätzlich instabil, selbst wenn Waffen kurzfristig die Oberhand behalten. In China haben die Studentenproteste 1989 auf dem Tiananmen-Platz (Platz des Himmlischen Friedens) das eindringliche Streben des Volkes nach individueller Freiheit und echter Öffnung gezeigt. Unabhängig davon, wie China heute von außen wirken mag, ist es eine unumstößliche Tatsache, dass das Verlangen nach Freiheit nicht verschwunden ist.

Dank Dengs Hinwendung zum Kapitalismus und der Öffnung Chinas für die restliche Welt zählt das Land heute zweifellos zu den wichtigen Wirtschaftsmächten. Und natürlich geht mit wirtschaftlicher auch eine militärische Macht und ein internationaler politischer Einfluss einher. Die Art und Weise, wie das Land diese neu errungene Machtposition in den nächsten Jahrzehnten einsetzt, wird bestimmen, welchen Kurs es einschlagen wird. Wird es einem Pfad der Aggression und Dominanz folgen, nach innen wie nach außen? Oder wird es den Pfad der Verantwortung wählen und eine konstruktive Führungsrolle auf der Weltbühne einnehmen, um die kollektiven Herausforderungen der Menschheit wie Frieden, Klimawandel und Armutsbekämpfung anzugehen? China steht am Scheideweg. Es liegt im Interesse der ganzen Welt und auch der Chinesinnen und Chinesen selbst, dass das Land sich für Letzteres entscheidet. Hier geht es um die Grundwerte Chinas und des chinesischen Volks. Den langjährigen Tibet-Konflikt über den Weg des Dialogs zu lösen, so China den zweiten dieser beiden Wege wählt, wäre meines Erachtens ein starkes Signal sowohl an die eigene Bevölkerung als auch an die ganze Welt. Die chinesische Führung benötigt dafür eine langfristige Vision, Mut und Großherzigkeit.

1

Die Invasion und unser neuer Herrscher

Am 7. Oktober 1950 überquerten etwa 40 000 Soldaten der Volksbefreiungsarmee den Drichu (Jangtse) im osttibetischen Kham. Bis zum 19. dieses Monats nahmen sie Qamdo ein und setzten den osttibetischen Gouverneur Ngabö Ngawang Jigme fest, der diesen Posten gerade erst angetreten hatte. So begann die Invasion meines Landes durch das kommunistische China. Indien hatte gerade seine Unabhängigkeit erlangt und protestierte gegen das chinesische Vorgehen mit der Begründung, die Invasion sei dem Frieden in der Region abträglich. Nach tibetischer Zählweise war ich damals erst 16 Jahre alt. Ich ahnte schon, dass etwas Schreckliches bevorstand. Beim Herumspionieren hatte ich das ungläubige Gesicht des Regenten Tadrak Rinpoche gesehen, als er einen Brief las, der ihm überreicht worden war. 1 Später erfuhr ich, dass der Brief in Wahrheit ein Telegramm des osttibetischen Gouverneurs Ngabö war, der von einem Angriff chinesischer Soldaten auf einen tibetischen Posten berichtete.

Einige Minuten später verließ der Regent sein Zimmer und ordnete an, den Kashag (das Kabinett) einzuberufen. Am 7. November wandte sich die tibetische Regierung an die Vereinten Nationen:

An den Generalsekretär der Vereinten Nationen.

Die Aufmerksamkeit der Welt ist auf Korea gerichtet, wo sich eine internationale Koalition der Aggression entgegenstellt. Ähnliche Geschehnisse im fernen Tibet bleiben unbemerkt. In der Überzeugung, dass in keinem Teil der Welt Aggression geduldet wird und Freiheit überall geschützt wird, haben wir es auf uns genommen, Sie über die jüngsten Ereignisse im tibetischen Grenzgebiet zu informieren …

… Die Eroberung Tibets durch China wird das Konfliktgebiet ausweiten und zusätzlich die Unabhängigkeit und Stabilität anderer asiatischer Länder bedrohen. 2

Nur El Salvador versuchte, Tibet auf die Agenda der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu setzen. Leider blieb die Unterstützung der Großmächte aus. Wir hatten gehofft, dass zumindest Großbritannien angesichts seines historischen Engagements in Tibet (das auch die Unterzeichnung bilateraler Abkommen wie der Lhasa- und der Simla-Konvention 1904 und 1914 beinhaltete) mehr Sympathie zeigen und uns beistehen würde – insbesondere in diesem entscheidenden Moment unserer Geschichte. Die Welt schien uns den Rücken gekehrt zu haben.

Großbritannien und die anderen Mächte behaupteten, der genaue Status Tibets sei unklar. Ihnen war jedoch bestens bewusst, dass Tibet vor 1950 eine unabhängige Nation gewesen war. Nach meiner Flucht ins Exil im Jahr 1959 bestätigte eine internationale Juristenkommission, dass Tibet nach internationalem Recht ein unabhängiger Staat gewesen war. Die tragische Ironie besteht darin, dass die beiden Imperien Großbritannien und Russland, die miteinander beim sogenannten ›Großen Spiel‹ um Einfluss in Zentralasien rangen, mitverantwortlich dafür waren, die Klarheit über die internationale Stellung Tibets zu trüben. Insbesondere Großbritannien hatte direkte Verhandlungen mit Tibet als einer unabhängigen Nation geführt, die eigenständig Entscheidungen traf, und sogar Waffen zur Verteidigung der östlichen Grenze gegen die Chinesen geliefert. Gleichzeitig hatte Großbritannien jedoch auch in Verhandlungen mit dem nationalistischen China dessen Anspruch auf Tibet anerkannt. Dabei berief man sich auf das obskure Konzept der Oberhoheit und unterschied es von der Souveränität. 3 Um dies in einen historischen Kontext zu rücken: Großbritannien entschloss sich damit, den entscheidenden Unterschied zwischen der Qing-Dynastie und dem modernen Nationalstaat China zu ignorieren. Erstere war ein Mandschu-Reich, dem zu verschiedenen Zeiten verschiedene Nationen als Protektorate unterstellt waren. Das moderne China behauptete hingegen, ein anti-imperialistischer Vielvölkerstaat zu sein und kein Kaiserreich. Die Logik hinter Chinas Anspruch auf Tibet war also fehlerhaft – auch wenn das Konzept der Oberhoheit anstelle von Souveränität zugrunde gelegt wurde. Die Kombination aus dem Unvermögen (oder dem nicht vorhandenen politischen Willen), diese fehlerhafte Logik zu durchschauen, aus der Weigerung, die tibetische Unabhängigkeit als Tatsache anzuerkennen, sowie den verschiedenen bereits erfolgten Zügen im Großen Spiel hatte den »rechtlichen Status« Tibets aus internationaler Sicht vernebelt.

Die Invasion durch das kommunistische China hatte tiefgreifende Auswirkungen auf mich. Ich erinnere mich noch daran, wie ich von den Reinigungskräften im Potala-Palast erfuhr, dass überall in der tibetischen Hauptstadt Lhasa Plakate mit der Forderung hingen, mir die volle weltliche Macht zu übertragen. Zudem würden auf den Straßen Lieder gesungen werden, die verlangten, den Dalai Lama vorzeitig für mündig zu erklären. Die Meinungen waren jedoch gespalten, was getan werden sollte. Für die einen war der Dalai Lama zu jung, die anderen hielten die Zeit für gekommen, mir die Macht zu übertragen. Schließlich entschied sich die tibetische Regierung unter Führung des Regenten, die Staatsorakel zu befragen. 4

Während der Zeremonie, bei der so viel auf dem Spiel stand, herrschte eine angespannte Atmosphäre. Irgendwann legte mir eines der Orakel in Trance eine Khata (einen zeremoniellen weißen Schal) auf den Schoß und rief »Dü la bab« (»Die Zeit ist gekommen«). Also wurde ich am 17. November 1950 als das weltliche Oberhaupt Tibets inthronisiert, zwei Jahre früher als unter normalen Umständen. Anlässlich dieses Ereignisses erließ ich in Tibet eine Generalamnestie und forderte die Freilassung aller Gefangenen.

Die gewaltsame Invasion durch das kommunistische China beförderte mich plötzlich in diese Führungsrolle. Auf einen Schlag wurde einem sorglosen Jungen die große Verantwortung aufgebürdet, eine Nation unter Beschuss anzuführen. Ich sage deswegen oft, dass ich im Alter von 16 Jahren meine Freiheit verlor. Mein Land erlitt dasselbe Schicksal: Ende November, etwa sieben Wochen nach Beginn der Invasion, war Kham (Osttibet) praktisch gefallen.

Als neues Oberhaupt eines Volkes, dem ein umfassender Krieg drohte, beschloss ich gegen Ende des Jahres in Absprache mit meinem Kabinett, Delegationen nach Indien, in die Vereinigten Staaten, nach Großbritannien und nach Nepal zu entsenden, um diese Länder um Hilfe zu bitten. Außerdem entsandte ich eine Delegation ins osttibetische Qamdo, in der Hoffnung, die chinesische Armee zum Abzug aus unserem Land bewegen zu können. Da sich die Streitkräfte der kommunistischen Chinesen in Osttibet sammelten, wurde entschieden, ich solle mit dem Kabinett von Lhasa nach Yadong (Yatung) in der Nähe der indischen Grenze umsiedeln, falls wir aus dem Land fliehen müssten. Seltsamerweise war es also eine meiner ersten wichtigen Amtshandlungen als neues Oberhaupt von Tibet, in die Nähe der indischen Grenze zu fliehen. Meine Mutter nutzte diese Gelegenheit, um in Begleitung meines jüngsten Bruders Tenzin Choegyal eine Pilgerreise in Indien anzutreten.

In der Zwischenzeit verharrte die Volksbefreiungsarmee in Gyamda, nahe der westlichen Grenze von Kham. Die Straße nach Lhasa war offen, aber China wollte den Rest des Landes ohne Gewalt einnehmen. Uns blieb keine andere Möglichkeit, als eine Delegation zu Verhandlungen nach Peking zu entsenden. Sie wurden uns aufgezwungen. Der bereits erwähnte osttibetische Gouverneur Ngabö sollte diese Delegation leiten. Wir teilten ihm mit, er könne in meinem Namen die Verhandlungen eröffnen, aber nur unter der Bedingung, dass die Chinesen nicht weiter vorrückten. Im April 1951 traf meine Delegation in Peking ein, und die formellen Gespräche begannen.

Anfangs tauschten wir uns noch sporadisch per Telegramm mit der Gruppe aus, doch bald herrschte Funkstille, die ich wartend im Kloster in Yadong verbrachte. Am 23. Mai 1951 hörte ich mit meinem alten Bush-Radio in der tibetischen Sendung von Radio Peking, dass an diesem Tag ein 17-Punkte-Abkommen zur friedlichen Befreiung Tibets von der Volksrepublik China und einer »lokalen Regierung Tibets« unterzeichnet worden war. Wie Sie sich vorstellen können, war ich schockiert. In der Sendung hieß es weiter, Tibet sei während der letzten 100 Jahre von aggressiven imperialistischen Mächten besetzt gewesen, die verschiedenste Täuschungen und Provokationen begangen und das Volk unterjocht hätten. Mir wurde richtiggehend übel von dieser Mixtur aus Lügen und Beleidigungen.

Erst nach der Rückkehr meiner Delegation aus Lhasa erfuhr ich, was wirklich während der Verhandlungen geschehen war. Meine Vertreter waren unter Druck gesetzt, beschimpft und ausgenutzt worden, und man hatte ihnen mit körperlicher Gewalt sowie Militäreinsätzen gegen die tibetische Bevölkerung gedroht. Als die Delegation Platz nahm, um mit den Verhandlungen zu beginnen, wurde ihr ein bereits verfasstes 10-Punkte-Abkommen vorgelegt. Meine Delegation betonte, Tibet sei ein unabhängiges Land, was sie mit Dokumenten belegte. Die Chinesen wollten jedoch nichts davon hören. Sie überarbeiteten das 10-Punkte-Abkommen zu einem 17-Punkte-Abkommen, welches sie meiner Delegation als endgültiges Ultimatum vorlegten. Diese wurde genötigt und hatte keine andere Wahl, als nachzugeben. Da aber keinerlei Kommunikation mit mir oder meiner Regierung stattfand, waren Ngabö und seine Kollegen nicht autorisiert, im Namen Tibets ein Abkommen zu unterzeichnen. Die Chinesen fragten dennoch, ob Ngabö das offizielle Siegel der tibetischen Regierung mit sich führe, und obwohl er im Besitz des osttibetischen Gouverneurssiegels war, verneinte er. Davon ließen sich die Chinesen nicht abbringen und fälschten für jeden Abgesandten ein Siegel. Am 23. Mai 1951 ließen sie das Dokument unterzeichnen, aber im Grunde nur im Namen der fünf tibetischen Delegierten.

Am 14. Juli empfing ich eine chinesische Delegation, die mir einen Brief des Vorsitzenden Mao überbrachte. Ich wollte jedoch erst eine Antwort an Mao bezüglich des 17-Punkte-Abkommens formulieren, nachdem ich von Yadong nach Lhasa zurückgekehrt war und mich mit anderen tibetischen Amtsträgern beraten konnte. Dies teilte ich dem chinesischen General Chang Ching-wu mit. Verständlicherweise gab es innerhalb der tibetischen Nationalversammlung in Lhasa eine hitzige Debatte darüber, ob ich in die Hauptstadt zurückkehren solle. Ich entschied mich gegen eine Flucht von Yadong nach Indien und lehnte ein US-amerikanisches Angebot ab, mir einen Zufluchtsort zu stellen. Eine Rückkehr nach Lhasa schien mir letztendlich am sinnvollsten, und im September 1951 hielt die tibetische Nationalversammlung eine Sondersitzung ab, in der Ngabö das fragwürdige Abkommen vorstellte. Nach einer langen Debatte kam man zu dem Schluss, dass wir angesichts der großen Zahl chinesischer Truppen an unserer Grenze keine Wahl hatten. Damals zählte die gesamte tibetische Armee etwa 8500 Soldaten, und über 80 000 kampferprobte Soldaten der Volksbefreiungsarmee standen zum Einmarsch nach Tibet bereit. Die kleine tibetische Armee war zum Großteil lediglich mit alten britischen Enfield-Gewehren, Maschinengewehren und Mörsern ausgerüstet.

Das 17-Punkte-Abkommen beginnt mit einer Präambel, in der die Geschichte des tibetisch-chinesischen Verhältnisses fantasievoll umgeschrieben wird: »Die tibetische Nationalität ist eine der Nationalitäten mit einer langen Geschichte innerhalb der Grenzen Chinas … unseres großartigen Mutterlandes.« Lassen Sie mich nun die zentralen Punkte zitieren:

  • »Das tibetische Volk wird in den Schoß der großen Familie der Volksrepublik China zurückkehren.«

  • »Die örtliche Regierung Tibets wird aktiv die Volksbefreiungsarmee unterstützen, Tibet zu erreichen und die nationale Verteidigung zu festigen.«

  • »Das tibetische Volk hat das Recht auf Ausübung einer nationalen territorialen Autonomie unter der einheitlichen Führung der chinesischen Volksregierung.«

  • »Die Zentralbehörden werden das bestehende politische System in Tibet nicht verändern. Die zentralen Behörden werden auch nicht den bestehenden Status, die Funktionen und Machtbefugnisse des Dalai Lama ändern.«

  • »Die religiösen Überzeugungen, Gebräuche und Gewohnheiten des tibetischen Volkes werden gewahrt, und Lama-Klöster werden geschützt sein.«

  • »Die gesprochene und geschriebene Sprache und das Bildungswesen der tibetischen Nationalität werden Schritt für Schritt in Übereinstimmung mit den bestehenden Bedingungen in Tibet entwickelt werden.« 5

Auch wenn uns das Abkommen aufgezwungen wurde, verpflichtet es die Volksrepublik China unmissverständlich dazu, Tibet regionale Autonomie und Selbstverwaltung zu garantieren. Das beinhaltet auch die Religionsfreiheit, den Schutz der Sprache, die Bewahrung unseres Landes und seiner Natur sowie unser Recht, als eigenständiges Volk mit unseren einzigartigen Traditionen und unserem kulturellen Erbe zu existieren. Bis zu meiner Flucht 1959 wurden die Verhandlungen zwischen meiner Regierung und China auf Grundlage dieses Abkommens geführt. Auch Teile der internationalen Gemeinschaft schienen es zur Basis ihrer offiziellen Position zum Status Tibets zu machen. Darin zeigt sich ein seltsamer Widerspruch. Wer – unabhängig von der damaligen tatsächlichen geopolitischen Lage – Tibet nach 1950 als einen Teil der Volksrepublik China betrachtet, sieht es als rechtmäßig an, fremde Länder zu erobern, und legitimiert ein unter Zwang unterzeichnetes Abkommen. Die tibetische Delegation wurde nicht nur persönlich unter Druck gesetzt, das 17-Punkte-Abkommen zu unterzeichnen, sondern auch mit einem massiven Militäraufgebot vor den Toren des Landes bedroht.

Peking rechtfertigte später zwar die gewaltsame Invasion mit einem historischen Anspruch auf Tibet, doch zumindest zu jener Zeit war Mao bewusst, dass er einer unabhängigen Nation unverhohlen und gewaltsam Land raubte. Wie mir zugetragen wurde, gab er dem US-amerikanischen Journalisten und Autor Edgar Snow gegenüber zu, Tibet als unabhängig anzusehen: Mao bezeichnete die Plünderung von Nahrungsmitteln, die seine Rote Armee in den tibetischen Gebieten während des Langen Marsches verübte, als die einzige Auslandsschuld der chinesischen Kommunisten, die eines Tages zurückgezahlt werden müsse. 6 Heute wissen wir aus historischen Aufzeichnungen auch, dass Mao im Januar 1950 Josef Stalin bat, China militärische Transportflugzeuge der Sowjetunion zu leihen, um chinesische Truppen für die Invasion Tibets zu transportieren.

Meines Wissens sehen Geopolitologen und Historiker zwei Hauptmotive für Maos Einmarsch in Tibet, den er unmittelbar nach der Errichtung einer kommunistischen Regierung in Peking in Gang setzte. Zum einen erachteten es Mao und seine Genossen als notwendig, Chinas »nationale Ehre« infolge der »hundertjährigen nationalen Demütigung«, wie sie es nannten, wiederherzustellen. Aus ihrer Sicht war die Rückeroberung von Gebieten, die einst zum Mandschu-Qing-Reich gehörten, ein wesentlicher Teil davon. In diesem Zusammenhang könnte Mao die Unabhängigkeit Tibets als einen sichtbaren »Verlust« oder Widerspruch empfunden haben, da das kommunistische China Anspruch auf alle angeblichen ehemaligen Gebiete des Qing-Reichs erhob.

Das zweite Motiv betrifft den Experten zufolge die geostrategische Lage Tibets. Unser Land grenzt an Ostturkestan (Xinjiang), Indien, Nepal, Bhutan und natürlich im Osten an China. 1954 begleitete mich der Panchen Lama, der drei Jahre jünger ist als ich, auf eine Reise nach Peking. Seine Institution zählt nicht nur zu den bedeutendsten des tibetischen Buddhismus, sondern ist auch eng mit den Dalai Lamas verbunden. »Nun, da die Tibeter mit den Han kooperieren«, sagte Mao zu ihm, »ist nicht länger der obere Jangtsekiang unsere nationale Verteidigungslinie, sondern das Himalaja-Gebirge«. 7 Ganz gleich, was ihre Beweggründe waren – das kommunistische China hat uns unterjocht.

2

Ein Treffen mit dem Vorsitzenden Mao

Meine Aufgabe als Dalai Lama war es, die Katastrophe für mein Volk in Grenzen zu halten. Am 26. Oktober 1951 marschierten etwa 3000 chinesische Soldaten der 18. Armee in Lhasa ein, kurz darauf folgte eine weitere große Militäreinheit mit einer großen Anzahl von Pferden. Sie musste ebenso wie ihre vielen Tiere versorgt werden, was zu einer großen Lebensmittelknappheit führte. 1951 hatte Lhasa nur knapp über 30 000 Einwohner – man kann sich also vorstellen, was der Zustrom dieser vielen Soldaten für die Stadt bedeutete. Die Ankunft Tausender Flüchtlinge aus Osttibet verschlimmerte die Situation weiter.

1951 bis 1959 waren die Jahre, die mich vor die größten Herausforderungen meines Lebens stellten. Zum einen lernte ich immer noch intensiv für meinen »Geshe Lharam«-Abschluss, den höchsten akademischen Grad des formellen Bildungswesens an den großen Klosteruniversitäten der Gelug-Schule. Er entspricht dem Doktor der Theologie, und ich sollte ihn im Februar 1959 erwerben. Zum anderen hatte ich noch keinerlei politische Bildung erhalten und musste mich nun als junger Mann eilends mit dieser komplexen Materie vertraut machen. Natürlich hat mir die gründliche Ausbildung in buddhistischer Philosophie und Psychologie sehr dabei geholfen, einen klaren Kopf zu bewahren, und ich hatte als Führer des tibetischen Volkes keine andere Wahl, als mich den großen politischen Herausforderungen umgehend zu stellen. So vermittelte ich schon während meiner Einarbeitungszeit bei den großen Meinungsverschiedenheiten zwischen meiner Regierung und den in Lhasa stationierten chinesischen Generälen. Letztere verfügten über die Waffengewalt. Oft war ich gefangen zwischen dem extremen Widerwillen und der bisweilen zutage tretenden Streitlust der tibetischen Amtsträger einerseits und dem zunehmend autoritären Gehabe und der Überheblichkeit der chinesischen Generäle. Schließlich wurden 1952 meine zwei Premierminister (ein weltlicher und ein Mönch) von den Chinesen zum Rücktritt gezwungen. Ich beschloss, keine Nachfolger zu ernennen, die ohnehin nur als Sündenböcke herhalten mussten. Es war besser, die Verantwortung auf meine eigenen Schultern zu nehmen. Die Lage in Lhasa wurde von Tag zu Tag angespannter.

Neben all dem musste ich auch regieren, und eine meiner Prioritäten war es, unser Gesellschaftssystem zu modernisieren. Dafür gründete ich ein Reformkomitee. Als Kind hatte ich viel von den Reinigungskräften in meiner Residenz gelernt. Sie waren oft meine Spielkameraden gewesen und hatten mir von den Ungerechtigkeiten und Misshandlungen erzählt, die sie durch die Mächtigen erlitten. Jetzt wollte ich ein gerechteres System schaffen, das auch den Bedürfnissen der einfachen Menschen und der Armen entsprach. Dabei legten mir die Chinesen allerdings viele Steine in den Weg. Sie wollten Reformen nach dem Vorbild ihres eigenen Systems, das sie im Kernland von China eingeführt hatten. Wahrscheinlich befürchteten sie, es würde ihre Pläne behindern, wenn die Veränderungen von den Tibetern selbst angestoßen wurden.

Als mich dann die chinesische Regierung 1954 nach Peking einlud, erschien mir das wie ein rettender Strohhalm – vielleicht war das meine letzte Chance, die immer schwierigere Lage meines Volkes doch noch zu verbessern. Im Juni erhielt ich ein Telegramm von Deng Xiaoping, der damals innerhalb der chinesischen Führung für tibetische Angelegenheiten zuständig war und mich nun einlud, im September 1954 die erste Sitzung des Nationalen Volkskongresses in Peking zu besuchen. Die gleiche Einladung erging auch an den Panchen Lama. Obwohl die Tibeter in Lhasa äußerst besorgt über meine Reise nach Peking waren, beschloss ich, sie zum Wohle meines Volkes anzutreten. Um die Ängste der Tibeterinnen und Tibeter zu beschwichtigen, versicherte ich während einer religiösen Zeremonie im Norbulingka-Palast (meiner Sommerresidenz) den zahlreich Anwesenden, innerhalb eines Jahres zurückzukehren.

Bis heute erinnere ich mich an die vielen weinenden Menschen bei meiner Abreise von Lhasa nach Peking. Ich hörte einige der älteren Frauen rufen: »Bitte gehen Sie nicht! Das verheißt nichts Gutes!« Damals gab es noch keine Brücke über den Lhasa He, deshalb mussten wir ihn in kleinen Booten aus über einen Weidenrahmen gespanntem Yak-Leder, den traditionellen tibetischen Korakeln, überqueren. An den Ufern standen Menschen und weinten. Einige schienen kurz davor, in den Fluss zu springen. Später hörte ich, manche wären in Ohnmacht gefallen und sogar gestorben.

Am 4. September 1954 trafen der Panchen Lama und ich samt unseren Delegationen endlich mit dem Zug aus Xi’an in Peking ein. Am Bahnhof empfing uns der Ministerpräsident Zhou Enlai. In seiner Begleitung waren weitere Amtsträger wie der stellvertretende Vorsitzende Zhu De, der gleichzeitig Oberkommandierender der Volksbefreiungsarmee und Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros war. Einige Tage später lernte ich den Vorsitzenden Mao Zedong erstmals persönlich kennen. Er war 61 Jahre alt, ich dagegen 19, und er begrüßte mich herzlich und wirkte aufgeschlossen.

Zu diesem Treffen kamen auch andere hohe Amtsträger wie Zhao Enlai und Liu Shaoqi. Das Empfangsgebäude, in dem es stattfand, befand sich neben der Verbotenen Stadt auf dem Gelände eines früheren kaiserlichen Gartens, auf dem jetzt Regierungsbüros sowie Residenzen hoher Amtsträger untergebracht waren. Der Schauplatz dieser Zusammenkunft war ausgesprochen majestätisch und stellte das prunkvolle kaiserliche Erbe unübersehbar zur Schau. Da saßen wir nun, ich mit 19 Jahren und der Panchen Lama mit 16, bei einem förmlichen Treffen mit dem Vorsitzenden Mao und den obersten Führern des kommunistischen Chinas. Es wäre eine Untertreibung, zu sagen, dass wir etwas eingeschüchtert und nervös waren. Bei dieser ersten Zusammenkunft sprachen nur der Vorsitzende Mao und ich. Mao erklärte, er und die Zentralregierung seien sehr glücklich über meinen ersten Besuch in Peking, und die Beziehungen zwischen den Chinesen und den Tibetern seien äußerst wichtig. Außerdem versicherte er mir, die Zentralregierung werde künftig große Anstrengungen unternehmen, um die Entwicklung Tibets zu unterstützen. Ich antwortete ihm, ich sei froh über die Gelegenheit, ihn und andere Führer der Kommunistischen Partei Chinas zu treffen.

Das Treffen dauerte ungefähr eine Stunde. Danach begleiteten uns Mao und andere hochrangige Parteimitglieder nach draußen, und Mao höchstpersönlich öffnete mir die Autotür. Beim Einsteigen schüttelte er meine Hand und sagte: »Betrachten Sie Peking als Ihr Zuhause. Wann immer Sie nach Peking kommen, können Sie sich jederzeit an mich wenden. … Keine falsche Scheu; wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie es mir einfach direkt.«

Mao hat mich bei diesem Treffen sehr beeindruckt, und ich war nun zuversichtlicher, dass sich die Lage in Tibet doch zum Besseren wenden könnte. Mit mir im Auto saß Phuntsok Wangyal, der seltene Fall eines tibetischen Kommunisten, der während meines Aufenthalts in Peking als mein offizieller Dolmetscher fungierte. Ich war so erleichtert, dass die erste Begegnung mit Mao und den anderen chinesischen Führungsfiguren so gut verlaufen war, dass ich ihn sogar umarmte und ihm sagte, ich hätte noch nie jemanden wie Mao kennengelernt. Das erfolgreiche Treffen beruhigte auch meine tibetischen Begleiter, besonders meinen Hauptlehrer Ling Rinpoche, der sehr um mich besorgt gewesen war. Phuntsok Wangyal glaubte fest an den Kommunismus im ursprünglichen marxistischen, internationalistischen Verständnis. Damals war er – zu seiner späteren Enttäuschung – noch überzeugt davon gewesen, die chinesischen Kommunisten würden diese internationalistische Vorstellung vom Marxismus teilen. (Jahrzehnte später, als Phuntsok Wangyal nach Europa reisen durfte, telefonierte ich mit ihm und fragte: »Was ist aus Ihrem Traum vom echten Sozialismus geworden?« Er lachte nur.)

Am 16. September sprach ich vor dem ersten Nationalen Volkskongress über den Verfassungsentwurf der Volksrepublik China. Darin war insbesondere festgelegt, dass alle Nationalitäten das Recht hatten, zur Ausübung ihrer Autonomie eigene Regeln aufzustellen. Zusätzlich durften Bestimmungen bezüglich der spezifischen Eigenheiten ihrer Entwicklung erlassen werden, damit die Völker ihre volle Autonomie verwirklichen konnten. In der Zwischenzeit war ich auch zu einem Vizepräsidenten des Lenkungsausschusses der Volksrepublik China ernannt worden.

Während meines Aufenthalts in Peking traf ich mich mehrmals mit Mao und anderen Führungsfiguren, darunter Zhou Enlai und Deng Xiaoping. Ich wurde auch einer Reihe von hochrangigen internationalen Würdenträgern vorgestellt. Zu ihnen zählten der indische Premierminister Jawaharlal Nehru, der Sowjetführer Nikita Chruschtschow und der burmesische Premierminister U Nu. Wann immer ich etwas freie Zeit hatte, studierte ich bei meinem Hauptlehrer Ling Rinpoche. Das Thema war der philosophisch dichte Abschnitt zur »Erkenntnis« in Tsongkhapas Großer Darlegung des Stufenweges auf dem Pfad zur Erleuchtung. Denn genau genommen war ich ja immer noch ein Student, der sich auf seine »Geshe Lharam«-Prüfung vorbereitete. Eines meiner denkwürdigen Erlebnisse während meines Aufenthalts in Peking war es, für eine Gruppe chinesischer Anhänger des tibetischen Buddhismus eine förmliche buddhistische Schulung durchzuführen, bei der ich eine wichtige Initiationszeremonie einer als Vajrabhairava bekannten Meditationspraxis abhielt. Mein Dolmetscher, der chinesische Mönch Fa-Tsun, erzählte mir, dass er gerade an einer tibetischen Übersetzung eines bedeutenden buddhistischen philosophischen Textes arbeitete, der Mahavibhasha (»Große Abhandlung über die Unterscheidung«) – einem Werk aus dem 2. Jahrhundert, das es bisher nur in chinesischer Übersetzung gab. Fa-Tsun war es auch, der das wichtige tibetische Werk Die große Darlegung des Stufenweges auf dem Pfad zur Erleuchtung von Meister Tsongkhapa aus dem 14. Jahrhundert übersetzt hatte.

Dann begab ich mich auf eine Rundreise durch chinesische Städte wie Tianjin, die für mich arrangiert worden war. Ich sollte mir ein Bild von der industriellen Entwicklung machen, die die kommunistische Regierung im Land vorantrieb. Phuntsok Wangyal war mir auf dieser Reise als mein Dolmetscher zugeteilt, und ein weiterer kommunistischer Kader namens Liu Geping begleitete mich. Er gehörte der muslimischen ethnischen Minderheit der Hui an. Ich traf viele Parteimitglieder verschiedener Rangstufen, manche Veteranen der Revolution und viele sehr aufrechte Kommunisten. Zufällig war einer von ihnen Xi Zhongxun, der Vater des gegenwärtigen chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping. Er war umgänglich und machte einen recht aufgeschlossenen Eindruck. Ich mochte ihn wirklich. (Ich schenkte ihm damals eine Armbanduhr, und man hat mir erzählt, dass er sie sein ganzes Leben lang in Ehren hielt.)

Die Zielstrebigkeit und der Einsatz vieler dieser Revolutionäre der ersten Generation beeindruckten mich ebenso wie ihr offensichtlicher Erfolg bei dem Versuch, eine gerechtere Gesellschaft zu errichten. Von ihnen lernte ich viel über den Marxismus-Leninismus. Vor allem gefiel mir, dass die marxistische Wirtschaftstheorie die gerechte Verteilung der vorhandenen Ressourcen über das Profitstreben stellte. Die Vorstellung, sich der unterprivilegierten Menschen, der Arbeiterklasse, anzunehmen, ist wundervoll. Sich jeder Ausbeutung zu widersetzen und eine Gesellschaft ohne nationale Grenzen anzustreben, sind großartige Ideale. Das sozialistische Gedankengut, dem ich in meiner Jugend ausgesetzt war, hinterließ bei mir einen so starken Eindruck, dass ich mich manchmal als halben Buddhisten und halben Marxisten beschrieb. Doch im Lauf der Jahre habe ich viel darüber nachgedacht. Was dem Marxismus fehlt, ist das Mitgefühl. Seine größte Schwachstelle ist die totale Missachtung grundlegender menschlicher Werte und die bewusste Propagierung von Hass im Klassenkampf. Zudem scheint im kommunistischen China der Leninismus im Laufe der Zeit die Oberhand über den Marxismus gewonnen zu haben, der in erster Linie auf die Kontrolle des Volkes durch die Partei abzielt.

Bei dieser Reise durch China hatte ich auch die seltene Gelegenheit, die Innere Mongolei zu besuchen. 1 Es war eine bewegende Erfahrung angesichts der alten und engen spirituellen Verbindungen zwischen den Tibetern und den Mongolen. Für mich war diese Reise durch die chinesischen Städte lehrreich und unterhaltsam, doch die meisten meiner tibetischen Begleiter, einschließlich meiner beiden Lehrer, waren völlig desinteressiert. Daher folgte auch ein kollektives Aufatmen der Erleichterung, als sich das Ende der Stadtbesichtigungen ankündigte. Vor allem meiner Mutter gefiel es in China überhaupt nicht. Der hektische Zeitplan war ihr zu viel. Einmal erkrankte sie sogar schwer an der Grippe. Kurz vor dem tibetischen Neujahrsfest (Losar) kehrte ich nach Peking zurück, und ich entschied, zur Feier des Tages ein Bankett zu veranstalten und dazu den Vorsitzenden Mao sowie die drei anderen ranghohen chinesischen Führungskräfte – Zhou Enlai, Zhu De und Liu Shaoqi – einzuladen. Sie alle kamen, und es war eine denkwürdige Feier.

Eines Tages besuchte mich der Vorsitzende Mao unangekündigt in meiner Unterkunft. Während des Treffens fragte er unerwartet, ob Tibet eine Nationalflagge habe. Leicht nervös bejahte ich das, und er sagte, wir dürften sie behalten. Maos überraschende Antwort ließ darauf schließen, dass er sich zumindest damals ein Staatsmodell mit verschiedenen Nationen innerhalb der Volksrepublik vorstellte, ähnlich den sowjetischen Republiken in der Sowjetunion. Tatsächlich weiß ich, dass Mao den zu der Zeit in Tibet stationierten chinesischen Führungspersonen – Zhan Jingwu, Zhang Guohua und Fan Ming – die Anweisung gab, die tibetische Flagge neben dem chinesischen roten Stern zu präsentieren und auch mein Foto neben seinem eigenen. Seit ich im Exil lebe und auf meinen Reisen von Tibetern und internationalen Unterstützern offiziell mit unserer Nationalflagge empfangen werde, habe ich daher immer wieder erzählt, dass uns Mao selbst die Erlaubnis gegeben hat, unsere Flagge zu behalten. Leider ist sie heutzutage in Tibet verboten, und Menschen, in deren Besitz sie gefunden wird, werden mit Gefängnis bestraft.

Bevor ich Peking verließ, hatte ich ein letztes Treffen mit Mao. Er schien sehr zufrieden und forderte mich auf, per Fernschreiber mit ihm direkt zu kommunizieren, wofür ich einige vertrauenswürdige Tibeter auswählen sollte, um sich mit der Technik vertraut zu machen. Dann rückte er nahe an mich heran und sagte: »Sie denken wissenschaftlich, das ist sehr gut. Ich habe Ihr Denken und Ihr Handeln in den ganzen Monaten beobachtet. Sie haben einen sehr revolutionären Geist.« Er gab mir ausgezeichnete praktische Ratschläge für die Regierungstätigkeit, und ich machte mir Notizen.

Gegen Ende des Treffens meinte Mao: »Wissen Sie, Ihre Einstellung ist gut. Aber Religion ist Gift. Sie lässt die Bevölkerung schrumpfen, weil die Mönche und Nonnen zölibatär leben müssen, und sie vernachlässigt den materiellen Fortschritt.« Ich war erschüttert und versuchte, meine Gefühle zu verbergen, indem ich mich nach vorn lehnte, als wolle ich etwas niederschreiben. Doch an diesem Punkt wurde mir klar, dass er – trotz aller Hinweise auf einen positiven Dialog – der Zerstörer des Buddha-Dharma war, des universellen Gesetzes in unserem Glauben.

Im März 1955 bereitete ich meine Rückreise nach Lhasa vor. Trotz Maos beunruhigender Bemerkung zur Religion hegte ich immer noch die Hoffnung, mein Volk vor den schlimmsten Folgen der chinesischen Besatzung bewahren zu können. Ich dachte, mein sechsmonatiger Besuch in China hätte einen Sinn gehabt. Einerseits hatte er mir vor Augen geführt, womit wir es zu tun hatten, und er schien die chinesische Führung davon überzeugt zu haben, ihren ursprünglichen Plan nicht weiterzuverfolgen, Tibet von Peking aus durch ein militärisches und politisches Komitee zu regieren: Wir hatten scheinbar ein festes Autonomieversprechen. Bei der Rückreise nach Tibet begegnete ich dem chinesischen General Zhang Guohua, der in Lhasa stationiert war, aber gerade nach Peking fuhr. Ich erzählte ihm, dass ich auf dem Weg nach China voller Befürchtungen gewesen sei, mich aber jetzt auf dem Rückweg hoffnungsvoller und zuversichtlicher fühle. Mein Vertrauen war gewachsen, dass wir mit den Chinesen zusammenarbeiten konnten. Tibet konnte modernisiert werden, und seine Bewohner würden innerhalb der Volksrepublik China auf Augenhöhe mit der chinesischen Mehrheit leben.

Ich arbeitete aufrichtig daran, eine dauerhafte Übereinkunft zu erzielen, die meine Nation und mein Volk trotz der Beschränkungen des 17-Punkte-Abkommens retten konnte. Dazu wollte ich einige Reformen einleiten, vor allem die Einführung unabhängiger Gerichte, die Förderung von Ideen zur Entwicklung eines modernen Bildungssystems und den Bau moderner Straßen. Es erwies sich jedoch als hoffnungsloses Unterfangen, das ständig durch das in Tibet stationierte chinesische Militär sowie die chinesischen Verwaltungsbeamten unterminiert wurde. Der Unmut über die Unterdrückung nahm immer mehr zu, und damit das Risiko für einen spontanen Aufstand des tibetischen Volkes. Meine Bemühungen wurden von den Chinesen auf ganzer Linie blockiert. Es wurde ein Vorbereitungskomitee für die Autonome Region Tibet (PCART) gegründet, dessen Vorsitz ich innehatte und das den Tibetern Autonomie über den Reformprozess gewähren sollte, doch es erwies sich als reines Theater – die gesamte Macht verblieb allein in den Händen der Chinesen.

Die Zusicherungen, die ich in Peking erhalten hatte, stellten sich als leere Versprechen heraus. Auf meine Nachrichten an Mao reagierte er nicht. Während der vielen Katastrophen und unaussprechlichen Gräueltaten gegen die Tibeter, die folgen sollten, schrieb ich drei Mal an ihn. Beim dritten Mal stellte ich sicher, dass mein Brief persönlich übergeben wurde. Es folgte nie eine Antwort. Auch der letzte Funke Hoffnung, den ich in Mao und die kommunistische Führung gesetzt hatte, wurde zunichtegemacht. Die Kommunistische Partei Chinas hatte uns zu einem Abkommen gezwungen, doch die Vereinbarungen, zu denen sie sich selbst darin verpflichtet hatte, entpuppten sich als bedeutungslos.

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