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Dünenleuchten

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Ein nordfriesischer Sommer zum Verlieben

Bente liebt es, sich den Nordseewind um die Ohren wehen zu lassen, und kostet es aus, dass sie jetzt die Schutzstation am Westerhever Leuchtturm leitet und in St. Peter-Ording Zwergseeschwalben und Seeregenpfeifer beobachten kann. Nirgendwo sonst hat sie sich bisher so frei und gelassen gefühlt. Als sie in den Salzwiesen dann den attraktiven Kitesurfer Tilo kennenlernt, scheint das Glück ganz auf ihrer Seite zu sein. Aber da ahnt Bente noch nichts von Tilos wahrem Interesse am Naturschutzgebiet und den Hoffnungen, die er in eine Freundschaft mit ihr setzt ...


  • Erscheinungstag: 24.05.2022
  • Seitenanzahl: 320
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749903634

Leseprobe

Für Anke.

Weil du die Küste magst

und im Urlaub am liebsten

in St. Peter-Dorf wohnst.

Prolog
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Ein Jahr zuvor

Bente streckte die Arme zum Himmel und atmete tief ein. »Geschafft!«

»Deine Kondition möchte ich haben.« Johannes traf wenige Augenblicke nach ihr auf dem Eagle Rock im Topanga State Park ein. Er schob sich die Sonnenbrille ins Haar und stützte sich außer Atem mit seinen Händen auf den Oberschenkeln ab.

»Ich weiß gar nicht, was du hast … dein Durchhaltevermögen ist schon viel besser geworden«, sagte Bente lächelnd.

Johannes richtete sich wieder auf und zog eine Augenbraue hoch. »Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie oft du mich hier hochgescheucht hast, seit wir uns kennen.« Er nahm eine Wasserflasche aus seinem Rucksack und trank sie in einem Zug bis zur Hälfte leer.

Bente stemmte ihre Hände in die Hüften. »Ach, es ist einfach herrlich hier. Diese Aussicht werde ich vermissen.« Seufzend ließ sie den Blick über die bewachsenen Berge von Santa Monica schweifen. Es war Hochsommer in Kalifornien, und die Sonne schien von einem tiefblauen Himmel. Kaum ein Tag verging, an dem die Temperaturen nicht die 30-Grad-Marke knackten.

Aus ihrem Rucksack nahm sie ihr Handy und machte einige Aufnahmen. »Diese Natur ist einfach unbeschreiblich! Ein wahres Kunstwerk.«

»Sagt die Biologin.«

»Küstensalbei-Gestrüpp, Wildblumen, Lorbeer- und Walnusswälder und herrliche Graslandsavannen, so weit ich sehen kann.« Sie spürte, wie sich ihre Brust weitete vor Freude. »Das ist einfach nur wunderschön!«

»Du hast die wunderschönen Klapperschlangen vergessen, die hier regelmäßig unseren Weg kreuzen.« Verschmitzt lächelnd verstaute er seine Flasche im Rucksack, trat zu ihr und schlang von hinten die Arme um ihren Körper. »Berge wirst du jedenfalls in der nächsten Zeit nicht häufig zu Gesicht bekommen.«

Sie ließ das Handy sinken und drehte sich zu ihm um. »Dafür jede Menge Dünen und Deiche. Und Schafe. Vielleicht auch mal einen verirrten Wal oder eine Ringelnatter.«

»Scheint an der Nordsee eigentlich auch die Sonne?«, fragte er sie in scherzhaftem Ton.

»Gelegentlich schon.« Sie verdrehte die Augen. »Ich kann immer noch nicht fassen, dass mein Studium tatsächlich vorbei ist und ich heute Abend schon im Flieger nach Hamburg sitze.«

Johannes zuckte die Schultern. »Du hättest auch einfach durch die Prüfungen fallen und im nächsten Jahr mit Auszeichnung bestehen können.«

»Eine Ehrenrunde wäre nicht in meinem Stipendium drin gewesen«, widersprach sie.

»Na und? Ich hätte dir einen Nebenjob in meiner Bäckerei angeboten. Immerhin bist du vom Fach.«

Bente schüttelte den Kopf. »Dann hätte ich die Bäckerei meiner Eltern auch zusammen mit meiner Schwester übernehmen können. Nein, nein, dafür hätte ich doch nicht studieren müssen.«

»Ich weiß.« Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Hast du schon einen Plan für Deutschland?«

»Erst mal ankommen und dann Stellenanzeigen studieren. Wie gehabt.«

»Gut.« Er löste sich von ihr, hielt aber ihre rechte Hand fest. »Und du bist dir sicher, dass ich dich nachher nicht zum Flughafen bringen soll?«

Der Abschied stand ihr unweigerlich bevor, aber sie wollte es sich nicht schwerer machen als nötig. »Nein, bloß nicht! Sonst bleibe ich am Ende doch hier.«

»Was nicht das Schlechteste wäre …« Er lächelte sie schwermütig an und gab ihr einen kurzen Kuss.

»Wir skypen jeden Tag«, versprach sie. »Wenn andere Leute Fernbeziehungen schaffen, dann packen wir das auch.«

Er nickte. »Wir sehen uns bald.«

»Im Dezember, wenn du mit deinen Eltern auf Weihnachtsbesuch in München bist. Das sind ja nur noch vier Monate.« Sie bemühte sich, zuversichtlich zu klingen.

»Nur vier.« Er verdrehte die Augen und räusperte sich. »Wann musst du einchecken?«

»Halb acht. Das Taxi habe ich eine Stunde eher bestellt. Sicher ist sicher bei dem Verkehr.« Sie strich ihm zärtlich eine Strähne aus der Stirn. »Ich würde gerne ewig die Aussicht mit dir hier oben genießen, doch ich fürchte, wir müssen langsam den Rückweg antreten, damit ich pünktlich mit allem fertig werde.«

»Die Trennung von Johannes ist ja nur vorübergehend.« Bente warf einen letzten Blick in den Schrank und vergewisserte sich, dass sie nichts darin vergessen hatte. Dann wandte sie sich zu ihrer Mitbewohnerin Anni um. »Und du musst mich auch unbedingt besuchen kommen, wenn du das nächste Mal in Rostock bei deiner Familie bist.«

»Auf jeden Fall!« Anni zwirbelte eine dunkle Locke um ihren Finger und legte den Kopf schräg. »Willst du nicht doch einfach für einen Tag nach Mexiko fahren und so deinen Aufenthaltsstatus verlängern?«

Bedauernd schloss Bente die Schranktür. »Meine Familie wartet sehnsüchtig auf mich. Sie wären wohl ziemlich enttäuscht, wenn ich nicht zurück nach Deutschland fliegen würde. Nach der langen Zeit. Wir haben uns das letzte Mal vor zwei Jahren gesehen.«

»Ja, das verstehe ich ja.« Anni verzog den Mund. »Ich finde es immer noch ganz schön verrückt, dass wir uns ausgerechnet hier über den Weg gelaufen sind.« Sie machte eine ausschweifende Handbewegung. »Ich meine, ein Nordsee- und ein Ostseekind treffen sich ausgerechnet in einer WG in West Hollywood. Das ist so unrealistisch, dass es einem keiner glaubt.«

»Und das ist alles nur Susan zu verdanken!« Lächelnd dachte Bente an ihre ehemalige Gastmutter. Es war pures Glück gewesen, dass sie als Maklerin zufällig auf Annis Suchanzeige gestoßen war. Hätte Bente nicht zwei Jahre als Au-pair für die Familie gejobbt, wäre sie Anni womöglich nie begegnet. Sie drückte den Koffer zu und verschloss ihn. »Ich wäre dann so weit.«

»Soll ich dich nicht doch zum Flughafen fahren?«, fragte Anni zum wiederholten Male.

Entschlossen schulterte Bente ihre Reisetasche und griff nach dem Koffer. »Immer noch nein. Das hat Johannes vorhin auch gefragt. Wie sollte ich es denn dann noch übers Herz bringen, in den Flieger zu steigen? Und dazu noch die ganzen Tränen beim Abschied …«

»Aber bis zum Tor begleite ich dich«, bestand Anni und legte einen Arm um Bentes Schulter.

Als Bente auf die Straße trat, wartete das Taxi bereits auf sie. Der Fahrer nahm ihr das Gepäck ab und verstaute es im Kofferraum. Seufzend drehte Bente sich um und warf einen letzten Blick auf den Appartementkomplex, in dem sie vier Jahre mit Anni in einer Zweier-WG gelebt hatte. Ein großes Zimmer mit Gemeinschaftsküche und Swimming-Pool-Nutzung im Innenhof waren inklusive gewesen, sie hatten hier so viel erlebt. Außerdem war die Miete mit 500 US-Dollar ein wahres Schnäppchen für West Hollywood. Bente wusste, dass sie noch oft an die Zeit hier zurückdenken würde.

In den Jahren war Anni zu ihrer besten Freundin geworden, obwohl sie nicht immer die gleiche Sicht auf die Dinge gehabt hatten. Anni war Lebenskünstlerin, jobbte mal hier und mal da. Während Bente fleißig Mitschriften in Vorlesungen an der Uni angefertigt hatte, war Anni dann meistens mit ihrem Surfbrett auf dem Weg zum Strand gewesen. Insgeheim hatte Bente sie für ihren lockeren Lebensstil beneidet. Doch für sie selbst kam so ein Leben nicht infrage. Sie war immerhin schon dreißig und hatte vor ihrem Studium genügend Zeit mit Ausprobieren und Engagements in verschiedenen Umweltprojekten verbracht, bevor sie ihren Beruf gewählt hatte. Davon bereute sie nichts. Trotzdem spürte sie, dass nun der Moment gekommen war, um den nächsten Schritt zu tun, um nach Deutschland zurückzukehren und eine passende Stelle als Biologin zu finden.

Anni lief zum Eingang der Wohnanlage und blieb dort stehen. Sie winkte. »Melde dich, wenn du in good old Germany angekommen bist!«

»Mache ich!« Bente lächelte ihr ein letztes Mal zu und meinte, ein verdächtiges Glitzern in Annis Augen bemerkt zu haben. »Bis bald!«

Dann stieg sie ins Taxi, und kurz darauf fuhr der Wagen an. Bente hielt den Blick stur nach vorne gerichtet, um den aufkeimenden Abschiedsschmerz im Zaum zu halten. Bis zum Flughafen konnte es eine Weile dauern. Mit dem Taxifahrer hatte sie vorab eine Pauschale ausgemacht. Jetzt stellte er sich ihr als Joe vor und erzählte während der Fahrt von Prominenten, die er bereits befördert hatte, und abstruse Geschichten, die ihm mit Hollywood-Stars passiert waren.

Bente hörte bloß mit halbem Ohr zu, lächelte jedoch höflich und gab hin und wieder einen Kommentar zu den Erzählungen ab. Je näher sie dem Flughafen kamen, umso mehr wurde ihr bewusst, dass dies tatsächlich ein Abschied von ihrem aufregenden Leben in Los Angeles war, von ihrer Studienzeit, von ihren amerikanischen Freunden, von Anni und von Johannes. In ihren Gedanken ging sie die letzten Jahre durch. Ihre erste Zeit als Au-pair, der Beginn ihres Biologiestudiums an der California State University, der Bezug ihres WG-Zimmers bei Anni. Bis hin zu dem Tag vor einem Jahr, an dem sie eigentlich nur hatte frühstücken wollen und zufällig die deutsche Bäckerei mit Café entdeckt hatte, die Johannes zusammen mit seinen Eltern betrieb. Nie würde sie den Augenblick vergessen, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte.

Da alle Tische besetzt waren, hatte sie sich an die Bar gesetzt. Zwei Servicemitarbeiterinnen waren durch den Laden gewuselt und hatten alle Hände voll mit Abräumen und Servieren zu tun. Er hatte mit dem Rücken zu ihr gestanden und war mit einem defekten Kaffeeautomaten beschäftigt gewesen. Dabei hatte er laut auf Deutsch geflucht und der Maschine die Pest an den Hals gewünscht. Bente hatte sich das Lachen verkneifen müssen.

Jedem seiner Worte hatte sie seine unüberhörbare bayerische Herkunft entnommen. Sie hatte überlegt, ob er aus München, Augsburg oder vielleicht aus dem Allgäu kam, und hatte es genossen, ihm einfach nur zuzuhören. Schließlich war ein Zischen erklungen, und die Kaffeemaschine hatte wieder ihren Dienst getan. Er hatte sich die Hände abgeputzt, sich das Tuch über die Schulter geworfen und schwungvoll zu ihr herumgedreht. Natürlich hatte er auf Englisch gefragt, was sie wünsche.

Für einen Moment war sie im Anblick seiner meergrünen Augen versunken und vergaß, ihm zu antworten. Er hatte sie angelächelt und kurz darauf die Frage nach ihrer Bestellung auf Englisch wiederholt.

»Zwei Brötchen, dazu Marmelade, Käse, Butter und einen großen Milchkaffee«, hatte sie auf Deutsch geantwortet.

»Wow! Schau mal einer an! Eine Landsfrau.« Er hatte sie angestrahlt und dabei die Baseballkappe auf seinem Kopf gerichtet. »Ich bin Johannes.« Er hatte ihr seine Hand entgegengestreckt.

»Bente.« Als sie seine Hand schüttelte, hatte sie instinktiv gespürt, dass diese Begegnung nicht ihre letzte bleiben würde. Nach dem Frühstück hatte sie gut gelaunt und mit Johannes’ Handynummer das Café verlassen.

Wider Erwarten kamen sie mit dem Taxi zügig durch den Verkehr und trafen wesentlich früher am Flughafen im Südwesten von Los Angeles ein, als Bente insgeheim lieb war. Sie seufzte schwer, als Joe vor dem Tom Bradley International Terminal hielt. Nachdem sie den vereinbarten Preis bezahlt hatte, stieg sie aus. Der Fahrer stellte ihr Gepäck auf dem Bürgersteig ab und wünschte ihr eine gute Reise. Dabei vergaß er nicht, Bente noch schnell seine Visitenkarte in die Hand zu drücken. Für den Fall, dass sie mal wieder nach Los Angeles kommen und ein Taxi brauchen würde, fügte er breit lächelnd hinzu.

Bente schluckte. Am liebsten hätte sie zu ihm gesagt, dass er ihre Gepäckstücke wieder einladen und sie nach West Hollywood zurückbringen sollte. Zu ihrem alten Leben, von dem sie spürte, dass sie doch noch nicht bereit war, es schon aufzugeben. Doch sie ließ es.

Ratlos blickte sie dem davonbrausenden Taxi wenig später nach. Je weiter es sich entfernte, umso schwerer wurde ihr Herz. Doch sie drehte sich zum Flughafengebäude, nahm ihr Gepäck und ging zögerlich zum Eingang.

Kühle klimatisierte Luft umfing sie, als sie die Halle betrat, in der ein lautes Stimmenwirrwarr herrschte. Unschlüssig blieb sie stehen und warf einen Blick auf eine digitale Uhranzeige. Sie war viel zu früh dran. Langsam ging sie auf den Check-in-Bereich zu. Ihre Beine fühlten sich so schwer an, als hätte jemand Gewichtsmanschetten um ihre Fußgelenke geschnallt. Tat sie wirklich das Richtige? Hätte sie nicht doch einfach für einen Tag über die mexikanische Grenze fahren können, um so ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, wie Anni es vorgeschlagen hatte? Sicherlich hätte sie eine befristete Biologenstelle in Los Angeles gefunden und wenn nicht, wäre sie solange in Johannes’ Bäckerei eingesprungen. Genügend Arbeit gab es dort allemal. Die Amerikaner liebten deutsches Brot und frische Brötchen. Und sie liebte Johannes.

Bente blieb stehen. Die Erkenntnis schoss wie ein Stromschlag durch ihren Körper. Zwar war es keine neue Erleuchtung, doch fühlte es sich in dem Augenblick so klar und wahrhaftig an, dass sich ihre bevorstehende Abreise noch falscher anfühlte. Was machte sie hier eigentlich? Sie hätte sich noch etwas länger Zeit geben müssen, um herauszufinden, ob sie nicht doch an Johannes’ Seite in Los Angeles richtig aufgehoben war. Statt für Monate zu gehen, hätte sie auch nur ein paar Wochen Urlaub bei ihrer Familie planen können. Danach wäre sie wieder zurückgekehrt. Schließlich war Johannes durch seine Bäckerei an Los Angeles gebunden und konnte nicht einfach mit ihr nach Deutschland gehen. Sie hingegen war frei und konnte theoretisch leben und arbeiten, wo sie wollte.

War es wirklich der richtige Weg, ihre beruflichen Pläne in Deutschland zu verwirklichen und eine Beziehung auf Distanz zu führen? Womöglich würde ihre Liebe genau daran scheitern.

Johannes hatte sie zu keinem Moment unter Druck gesetzt. Im Gegenteil. Er hatte ihre Entscheidung, nach Deutschland zurückzukehren, akzeptiert. Natürlich hatte er mehr als einmal sein Bedauern darüber ausgedrückt, jedoch nie versucht, es ihr auszureden. Bente kam sich mit einem Mal ziemlich egoistisch vor und fast ein bisschen undankbar. So ein Mann wie Johannes war ein Geschenk. Und was tat sie? Sie trat ihr Glück mit Füßen.

Rasch zog sie den Reißverschluss ihrer Umhängetasche auf und beförderte ihr Handy heraus. Sie musste dringend Anni anrufen und sie bitten, das Zimmer unter keinen Umständen wieder zu vermieten.

Mit klopfendem Herzen lauschte sie auf das Klingeln. Doch es ging bloß die Mailbox dran. Enttäuscht drückte Bente auf den roten Hörer. Anni war vermutlich zum Surfen an den Strand gefahren.

Was sollte sie jetzt machen? Konfus strich sie durch ihr Haar und schloss für einen Moment die Augen. Also gut. Sie würde wie geplant nach Deutschland fliegen. Aber sie wollte auf keinen Fall bis Dezember warten, um Johannes wiederzusehen.

Mit dem frisch gefassten Entschluss reihte sie sich in die Menschenschlange vor dem Check-in ein und schrieb ihrer Freundin eine Nachricht.

Hi Anni,

ich behalte das Zimmer. Du hattest recht. Ich komme nach meiner Reise wieder zurück. Melde mich später bei dir!

LG Bente

Erleichtert atmete sie durch und steckte das Telefon zurück in die Tasche, bevor sie einen Platz aufrückte. Mit der Änderung ihrer Pläne fühlte sie sich schlagartig besser. Sie würde Johannes anrufen, sobald sie eingecheckt hatte, um ihm die gute Nachricht mitzuteilen. Der Abstand zum Check-in-Schalter verringerte sich. Hin und wieder hörte sie von den anderen Wartenden Wortfetzen auf Deutsch. Sie freute sich auf ihre Familie, konnte aber schon im Geiste die enttäuschten Gesichter ihrer Eltern sehen, wenn sie ihnen eröffnete, dass sie nicht bleiben, sondern wieder zurück in die USA fliegen würde. Da spürte sie ein Tippen auf ihrer Schulter. Sie schreckte aus ihren Gedanken hoch und fuhr herum.

»Du?«, fragte sie und blickte ungläubig in Johannes’ Gesicht, bevor sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln ausbreitete.

»Ich.« Er zuckte mit den Schultern. »Dachte schon, ich finde dich nicht mehr.«

Sie griff nach seiner Hand. »Habe ich etwa was vergessen?«

»Nö. Aber ich hätte beinahe was vergessen.« Er blickte sich um. »Können wir woandershin gehen, um ungestört zu reden?«

Bente nickte stirnrunzelnd und schulterte ihre Reisetasche. »Sicher.«

Johannes nahm ihren Koffer und stöhnte. »Hast du da Steine drin?«

Sie zwinkerte ihm zu. »Nur meine sieben Sachen.«

»Deine sieben Sachen sind ziemlich schwer.« Er stellte den Koffer vor einer Glasfront ab.

Sie lächelte ihn an. »Es ist so schön, dass du da bist! Obwohl ich das ja eigentlich nicht wollte.«

»Du scheinst deine Meinung geändert zu haben.« Er grinste sie schief an.

»Allerdings. Ich muss dir unbedingt was sagen …«

»Psst!« Er legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Zuerst bin ich dran.«

»Okay. Gentleman first.«

»Ich habe mich nämlich geärgert«, begann er.

»Etwa über mich?« Sie legte ihre flache Hand auf ihren Brustkorb.

»Eher über mich.« Er senkte den Blick, suchte offenbar nach den passenden Worten. »Dass ich dich einfach so abreisen lasse und einer Fernbeziehung zugestimmt habe. Das würde doch niemals gut gehen. Ich weiß gar nicht, was ich mir dabei gedacht habe.«

»Oh!« Bente schluckte. Sie ahnte Böses.

»Ich war so ein Idiot.« Johannes griff in die Innentasche seiner olivgrünen Sommerjacke, dann ging er vor Bente auf die Knie. Die Zeit schien stillzustehen. In der Hand hielt er plötzlich ein kleines Schmuckkästchen, mit der anderen griff er nach ihrer. »Mir ist klar geworden, dass ich dich nicht einfach gehen lassen kann. Eine so tolle Frau wie dich habe ich in meinem ganzen Leben nicht getroffen und werde es vermutlich auch nie wieder tun. So etwas passiert nur einmal. Deswegen möchte ich dich bitten, bei mir zu bleiben.« Er öffnete das kleine Kästchen, und ein Ring mit einem türkisblauen Stein kam zum Vorschein. »Bente, möchtest du meine Frau werden?«

Einen Moment lang konnte sie ihn nur verdutzt ansehen. »Ich dachte schon, du wolltest mit mir Schluss machen«, gab sie dann mit zittriger Stimme zu.

Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Grinsen. »Manchmal solltest du nicht denken.«

»Ja.«

»Ja?« Er kniete noch immer vor ihr und sah sie erwartungsvoll an. »War das jetzt die Antwort auf meine Frage oder Zustimmung zu meinem letzten Satz?«

Bente wusste gar nicht, wie ihr geschah. Aber mit einem Mal fühlte sie sich wie auf Wolken und so glücklich wie nie. »Beides! Ja, ich möchte deine Frau werden. Nichts lieber als das!«, rief sie emotional und nickte heftig.

»Da habe ich ja Glück gehabt.« Sichtlich erleichtert steckte er ihr umständlich den Ring an den Finger.

»Er ist wie für mich gemacht.« Bente bewunderte das Schmuckstück an ihrem Finger.

»Ich habe ihn ja auch für dich machen lassen«, gab Johannes mit einem verschmitzten Lächeln zu.

Überrascht sah sie ihn an. »Du hast das schon länger geplant?«

»Geplant ja, aber ich habe mich nie getraut, dich zu fragen.«

»Warum das?«

»Du hättest Nein sagen können. Und vorhin ist mir klar geworden, dass ich nun alles auf eine Karte setzen und dir unbedingt einen Antrag machen muss, bevor du zurück nach Deutschland fliegst.«

Dicht trat sie an ihn heran und küsste ihn. »Wie könnte ich jetzt noch nach Hause fliegen?«

»Aber deine Eltern warten doch auf dich«, widersprach er leise.

»Ich bin mir sicher, dass sie dafür Verständnis haben werden. Immerhin müssen wir unsere Verlobung feiern.« Als sie in seine meergrünen Augen schaute, hätte sie am liebsten vor Glück laut geschrien.

1. Kapitel
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Es war mitten im Juli, und der Himmel strahlte so blau, als hätte Barthel Gilles ihn gemalt. Bente ging an den prachtvollen roten und orangebraunen Blüten einer Sonnenbrautstaude vorbei, in der es vor Bienen nur so wimmelte. Bei den Dahlien blieb sie stehen und stellte ihr Gepäck ab. Sie beugte sich zu einer der tellergroßen, milchkaffeefarbenen Blüten mit einem Hauch von Pink hinunter und atmete ihren intensiven Duft ein. Wie sehr sie dieses Aroma liebte. Viel zu lange hatte sie diesen Blumenduft nicht mehr gerochen.

Anschließend nahm Bente wieder ihren Koffer und ging zu dem kleinen Schwedenhäuschen, das sich am Ende des Gartens befand. Es hatte große Fenster und sogar eine kleine Terrasse. Dort war es im Sommer ein Traum, im Winter jedoch zu kalt, da es keine Heizung gab. Außerdem fehlten auch Bad und Küchenzeile. Aber als Schlafgelegenheit war es ideal.

Fröhlich stieß sie die Tür auf und stellte den Koffer neben einem Korbsessel ab. In dem Wohnraum sah alles so aus, wie sie es in Erinnerung hatte. Weiße Möbel, die große Patchworkdecke auf dem Bett, ein Bücherregal mit allerhand Schmökern, daneben hing eine Wandkarte mit Gartenvögeln. Ein Minitraum von Bullerbü.

Als sie jemanden ihren Namen rufen hörte, trat sie auf die Terrasse des Gartenhauses. »Ich bin hier!«

Ihr Vater kam in Malerkleidung und mit Zeitungshütchen auf dem Kopf zu ihr. »Bente! Endlich!« Er drückte sie fest an sich.

Erst als sie seine warmen Arme um sich spürte, wurde ihr richtig klar, wie sehr sie ihren Vater vermisst hatte. »Du hast mir so gefehlt, Papa!«

»Na, und du mir erst!« Er strahlte sie an, und um seine Augen bildeten sich unzählige Lachfältchen. »Die Mama hat mir gerade Bescheid gesagt, dass du da bist. Ich hätte dich auch vom Bahnhof abholen können. Oder aus Hamburg.«

»Ach, Papa.« Bente winkte ab. »Von Hamburg bis hierher ist es ja keine Weltreise.«

Ihr Vater nickte. »Hast du denn gleich ein Taxi bekommen?«

»Ich hatte sogar freie Auswahl zwischen zwei Taxen. Und vom Bahnhof bis hierher waren es keine fünf Minuten. Daran muss ich mich erst einmal wieder gewöhnen. In Los Angeles liegen die Orte viel weiter auseinander.«

»Da kann St. Peter-Ording nicht mithalten. Aber dafür haben wir den schöneren Strand und bestimmt auch leckerere Fischbrötchen.« Sie sah am Glanz seiner Augen, wie sehr er sich freute, sie zu sehen.

»Das amerikanische Essen werde ich jedenfalls nicht vermissen«, erwiderte Bente lachend.

Er machte eine Kopfbewegung zum Gartenhaus. »Meinst du, du hältst es ein paar Tage in der Laube aus, solange im Haus noch Renovierungsstau herrscht?«

»Aber sicher. Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich bin gerne in dem Häuschen.«

»Die kleine Wohnung müsste ich bald fertig haben. Ich streiche gerade dein Schlafzimmer. In Vanille, so wie früher.«

Bente blickte über seinen Kopf hinweg zu dem Schlafzimmerfenster des kleinen Appartements unter dem Dach. Hinter der Fensterscheibe glaubte sie die Umrisse einer Leiter zu erkennen. »Meine Rückkehr kam ja auch etwas spontan.«

»Etwas spontan trifft es ziemlich genau«, stimmte er ihr lachend zu. »Ich hätte dich vielleicht vorher nach der Wandfarbe fragen sollen.«

Lächelnd winkte sie ab. »Ich liebe Vanille. Das zarte Gelb erinnert mich immer an die Leuchtkraft der Frühlingssonne.«

»Dann bin ich beruhigt.« Ihr Vater drückte sie erneut an sich. »Schön, dass du wieder zu Hause bist, Kind!«

»Der Kuchen ist fertig!« Ihre Mutter winkte ihnen von der Terrasse mit einem Tortenheber in der Hand zu. Sie hatte bereits den Tisch gedeckt und auf die Gartenmöbel passende Polsterauflagen platziert. Ihr wadenlanges mintgrünes Sommerkleid mit der leichten Bolerojacke schmeichelte ihrer Figur. Die kinnlangen Haare hatte sie mit einer Warmluftbürste in Form gebracht.

Besser hätte es kein Friseur hinbekommen, das wusste Bente. Ihre Mutter hatte schon von jeher viel Wert auf ihr Äußeres und modische Kleidung gelegt, ohne dabei überkandidelt zu wirken. Dass sie früher den ganzen Tag in der Bäckerei gestanden hatte, hatte sie nie davon abgehalten, die Kunden perfekt gestylt zu bedienen. Bente bewunderte sie dafür.

»Wir kommen«, rief sie zurück und hakte sich bei ihrem Vater unter.

»Sechs Gedecke?«, wunderte sich Bente, als sie am Tisch angekommen waren. »Wer kommt denn noch?«

»Elly mit den Kindern«, antwortete ihre Mutter. »Sie hat sich extra Zeit freigeschaufelt, um deine Heimkehr gebührend zu feiern.«

»Oh, das ist prima. Elly habe ich so lange nicht mehr gesehen. Und die beiden Kleinen auch nicht. Nienke und Jelte würden wahrscheinlich gar nicht wissen, wer ich bin, wenn sie mich nicht öfters über Skype gesehen hätten.« Bente setzte sich an den Tisch und sah gleich darauf beschämt ihre Mutter an. »Oder soll ich dir noch bei etwas helfen?«

Lachend erwiderte diese: »Wenn du die Sahne schlagen könntest, könnte ich mich noch um den Feinschliff für den Kuchen kümmern.«

Schon folgte Bente ihrer Mutter in die Küche. »Was gibt es denn Leckeres?«

»Erdbeer-Quark-Kuchen.« Ihre Mutter zeigte auf eine Torte, die zum Auskühlen auf einem Rost stand. »Fehlen nur noch Puderzucker und eine Tortenplatte.«

»Muddi, du bist einfach die Beste!« Bente gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Das ist mein absoluter Lieblingskuchen.«

»Das weiß ich doch.« Routiniert verteilte sie den Puderzucker mit einem silbernen Streuer über den Kuchen. »Die Erdbeeren sind übrigens aus unserem Beet.«

»Das sind die besten!«

Ihre Mutter machte eine Kopfbewegung Richtung Fensterbank. »In der Schale sind noch welche.«

Ohne zu zögern, griff Bente zu und steckte sich eine Frucht in den Mund. »Hm, was für ein Geschmack! Wie habe ich unsere Erdbeeren vermisst.«

»Im Garten sind jede Menge reif. In diesem Jahr sind es besonders viele. Die kannst du gerne alle ernten«, sagte ihre Mutter augenzwinkernd.

»Das werde ich. Und essen!« Bente öffnete einen Küchenschrank. Aus dem unteren Fach nahm sie eine Schüssel und ein Handrührgerät, die sie auf dem Küchentisch abstellte.

Ihre Mutter platzierte den Kuchen auf eine Tortenplatte und deckte ihn mit einer gläsernen Glocke ab. »Was ich noch sagen wollte …«

»Ja?« Bente holte eine Flasche Schlagsahne aus dem Kühlschrank.

»Also nicht, dass du denkst, ich wäre neugierig oder so. Und eigentlich geht es mich ja auch gar nichts an …« Sie lehnte sich an einen Küchenschrank.

»Ach, Muddi, du bist doch nicht neugierig.« Bente gab die Sahne in die Schüssel. Sie ahnte, worauf ihre Mutter hinauswollte. »Sag einfach, was du sagen möchtest.«

»Ich gebe zu, ich habe mich schon etwas gewundert, dass du wegen der Arbeit aus Amerika zurückgekommen bist. Ich meine, immerhin bist du verlobt. Dass Johannes in eine Fernbeziehung eingewilligt hat … Das würde nicht jeder Mann mitmachen.«

»Tut er auch nicht.« Ohne mit der Wimper zu zucken, stellte sie das Rührgerät in die Schüssel.

»Ach, nein?« Ihre Mutter runzelte die Stirn.

Es war ja doch zwecklos, es länger für sich zu behalten. »Wir haben uns vor Kurzem getrennt«, rückte Bente mit der Sprache raus.

»Oh nein!« Ihre Mutter schlug erschrocken die Hände vor den Mund. »Das tut mir aber schrecklich leid!«

»Es hat eben nicht geklappt«, antwortete Bente vage und senkte den Blick. »Johannes ist durch die Bäckerei an L.A. gebunden, und ich habe im Laufe der Zeit gemerkt, dass ich nicht für ein dauerhaftes Leben in den USA geschaffen bin.«

»Hattest du etwa Heimweh?«

»Und wie!« Sie lächelte leicht.

Ihre Mutter nickte wissend. »Auf Dauer können wir Nordfriesen eben nicht ohne unsere Deiche, Leuchttürme, Schietwetter und Ebbe und Flut.«

Von draußen erklang das Geräusch eines Automotors. Bentes Mutter reckte den Hals und schaute aus dem Fenster. »Elly und die Kinder sind da!«

»Oh, prima!« Bente folgte ihrer Mutter aus der Küche, um ihre Schwester und die Kinder zu begrüßen. Insgeheim war sie froh, das Gespräch über Johannes jetzt nicht fortsetzen zu müssen. So kam sie um weitere Fragen zu ihrer gescheiterten Beziehung herum.

Nachdem sie einander ausgiebig begrüßt, den leckeren Kuchen gegessen und Wiedersehen gefeiert hatten, verließ Bente zusammen mit ihrer Schwester ihr Elternhaus im Ortsteil Ording, um einen Spaziergang zu machen. Ellys Kinder waren bei ihren Eltern geblieben, die sichtlich ganz in ihrer Rolle als Oma und Opa aufgingen.

Auf dem Weg Richtung Strand brachte Elly sie auf den neusten Stand der Dinge, was Jelte und Nienke betraf. Ihr Sohn hatte die erste Klasse im Handumdrehen geschafft, und die kleine Nienke blühte im Kindergarten richtig auf. »Nienke hat sogar zwei beste Freundinnen.«

»Gleich zwei?«, fragte Bente nach und genoss es, wie ihr weiter bunter Rock um ihre Beine schwang. »Geht das überhaupt?« Bente hatte den Erzählungen ihrer Schwester mit einer gewissen Wehmut gelauscht, die sie sich aber nicht hatte anmerken lassen. Sie liebte ihren Neffen und ihre Nichte sehr. Wie sehr sie Kinder liebte, war ihr gerade in der letzten Zeit schmerzlich bewusst geworden.

»Oh ja!« Elly lachte. »Bei Nienke geht das. Sie könnte vermutlich auch drei oder vier beste Freundinnen haben. In ihrem Herz ist genügend Platz für mehr als eine beste Freundin.«

Sie liefen den Drift westlich entlang, bis sie auf die Straße Am Deich gelangten. Dort erhob sich vor ihnen majestätisch der bewachsene Seedamm.

»Los, lass uns raufgehen«, sagte Bente und lief schon mit großen Schritten hoch auf den Deich.

Zwei Fahrradfahrer fuhren an ihnen vorbei, auf einer Bank saß ein älteres Ehepaar, das das herrliche Wetter genoss. Hinter den Dünen leuchtete der Strand, und dahinter glitzerte das Meer in der Sonne. Bei dem Anblick wusste Bente wieder, dass sie einfach an diesen wundervollen Ort gehörte.

»Hm.« Bente schloss für einen kurzen Augenblick die Augen und atmete tief durch. »Ich kann das Meer schon riechen.« Sie legte eine Hand an die Stirn und beobachtete einen bunten Drachen, der in der Ferne lustig durch die Luft tanzte.

»Komm, lass uns zum Meer gehen«, schlug Bente vor. »Ein bisschen die Füße in die Brandung halten.«

»Au ja!«

Die Schwestern gingen über den Deich und bogen rechts auf den Strandweg ab. Der alte Holzbohlenweg führte durch Dünen und über den weißen Strand. Am Ende des Weges erhob sich ihr liebster Pfahlbau, dessen Holzstelzen aus Lärchenholz von der brandenden Nordsee umspült wurden. Gleich wurden Erinnerungen an längst vergangene Tage vor ihrem inneren Auge lebendig. Sie konnte sich und ihre Schwester im Spülsaum spielen sehen, erinnerte sich daran, wie sie über die Stelzen geklettert waren, und auch daran, dass sie dort ihre ersten Schwimmzüge getan hatte.

Elly strich sich eine goldblonde Strähne aus dem Gesicht und blinzelte zu Bente hinüber. »Pfahlbauten gab es in Los Angeles bestimmt nicht, oder?«

»Nicht solche wie diese hier. Aber Ording ist schon ein bisschen wie Kalifornien.« Sie zwinkerte ihr zu.

»Ach, hör auf!«

»Nein, wirklich! Johannes und ich haben uns häufig abends mit ein paar Getränken auf den Pier von Prismo Beach gesetzt. Dabei haben wir gespürt, wie der Pazifik unter uns um die Holzstelzen gebraust ist. Ein wahres Surferparadies übrigens. Und auf den Klippen haben sich Pelikane getummelt. Etwas südlicher vom Ort liegt eins der wenigen Dünengebiete der Region. Wenn Johannes mich gefragt hat, wie denn St. Peter-Ording so sei, dann habe ich immer gesagt, ein bisschen wie Prismo Beach, nur ohne Pelikane.«

Elly lachte auf. »Wer weiß, ob die Pelikane nicht doch noch kommen, wenn es sich in der Vogelwelt herumspricht, wie schön es an der Nordseeküste ist.«

Bente schüttelte den Kopf. »Das hält die Biologin in mir für ausgeschlossen.«

»Ein wenig wundere ich mich ja schon, dass du wieder da bist …«

»Das hat Muddi vorhin auch gesagt«, gab Bente stirnrunzelnd zu. Natürlich hätte sie damit rechnen müssen, dass ihre Schwester das Thema anschneiden würde. Trotzdem fühlte es sich nicht leicht an.

Aufmerksam sah Elly sie an. »Freddie hätte mich vermutlich nicht einfach auf einen anderen Kontinent ziehen lassen.«

»Ich habe mich schon immer mehr für Tiere und Pflanzen interessiert als für Brote und Kuchen. Du weißt, dass ich nie den Traum hatte, mein Leben zwischen Mehl und Hefe zu verbringen. Durch Johannes bin ich nach dem Studium dann eben doch wieder in einer Bäckerei gelandet. Zwar nicht in St. Peter-Ording, aber in Los Angeles.«

»Das hätte dir eigentlich zu denken geben sollen«, wandte Elly amüsiert ein und hielt das Gesicht genussvoll in die Sonnenstrahlen.

Bente blieb kurz vor dem Ende des Bohlenwegs stehen und schaute ihre Schwester an. »Hat es auch.«

»Wie jetzt?« Elly war ebenfalls stehen geblieben.

»Na ja.« Bente zuckte die Schultern und zog sich die Sneaker aus. »Johannes und ich haben uns getrennt.«

»Nein!« Elly schlüpfte aus ihren Sandalen.

»Doch.« Mit diesem Wort machte sie einen Schritt durch den warmen Sand, in dem sie knöcheltief versank. »Ich hatte Sehnsucht nach St. Peter-Ording. Du weißt ja selbst, dass man eine Bäckerei nicht mal eben über den Atlantik verlegen kann. Außerdem wollte ich endlich als Biologin arbeiten und lieber meine Zeit mit Küstenseeschwalben und Heringsmöwen verbringen.«

Elly fiel es nicht schwer, mit ihr Schritt zu halten. »Das hast du früher schon gerne gemacht. Zusammen mit Papa. Ich kann mich noch erinnern, dass er oft am Wochenende aus der Backstube gekommen ist, eine Tasse Kaffee getrunken hat und dann mit dir zum Vogelbeobachten losgezogen ist.«

»Während du lieber bei Muddi in der Bäckerei geblieben bist«, erinnerte sich Bente. »Wahrscheinlich wurde damals bei uns schon der Grundstein dafür gelegt, was wir später mal beruflich machen wollen.«

Erfreut sah sie ihre Schwester an. In diesem Moment war es wie früher, sie verstanden einander einfach.

»Ganz bestimmt sogar. Solange ich denken kann, wollte ich mal die Bäckerei übernehmen.«

»Und dann heiratest du auch noch einen Bäcker … wenn das nicht Schicksal ist.«

»Du warst ja auch knapp davor«, gab Elly zu bedenken.

Kurz ließ sie die Kälte des Wassers auf sich wirken, als sie am Spülsaum ankam, dann raffte sie ihren Rock und watete ins Meer, bis das Wasser ihr fast bin zu den Knien reichte. »Ist das herrlich!«

Elly war neben ihr angekommen und blickte zum Horizont. »Schau mal! Ein Fischkutter.«

»Wie habe ich das vermisst!« Bente spürte, wie sich ihr Herz bei dem Anblick des Schiffs öffnete und eine Woge von Glücksgefühlen hindurchströmte. Sie schloss die Augen, genoss den Wind, die Sonnenstrahlen und die Wellen um sich herum. »Nirgendwo ist es so schön wie zu Hause«, flüsterte sie.

»Manch einer muss erst in die weite Welt hinausgehen, um das festzustellen.« Elly legte ihr eine Hand auf die Schulter.

»Das stimmt.« Bente blickte zu dem Pfahlbau. »Ich bin ziemlich durstig. Wollen wir?«

»Ach, sag mal, hast du eigentlich keinen Jetlag? Du müsstest doch reif für die Koje sein, wegen der Zeitumstellung.«

»Oh, ich bin viel zu aufgekratzt, um müde zu sein. Wahrscheinlich bekomme ich auch heute Nacht kein Auge zu. Ich kann es noch gar nicht fassen, wieder zu Hause zu sein. Aber es fühlt sich richtig an. Und bald geht ja mein neuer Job los.«

Lächelnd legte ihre Schwester ihr einen Arm um die Schulter. »Ich wusste schon immer, dass du mal Zirkus- oder Zoo-Direktorin wirst.«

Bente lächelte. »Das ist es ja nicht ganz geworden.«

»Aber fast!« Elly machte eine wegwerfende Handbewegung. »Meine kleine Schwester wird Leiterin der Schutzstation in Westerhever. Ziemlich cool, wenn du mich fragst. Darauf sollten wir anstoßen.« Sie schaute ebenfalls zum Pfahlbau hoch. »Auf der Terrasse finden wir bestimmt noch ein schönes Plätzchen. Komm, ich lade dich zur Feier des Tages ein.«

»Einverstanden!« Bente nickte und ließ sich von Elly durch das Wasser Richtung Pfahlbau-Restaurant führen.

Am Abend schloss Bente die Fenster nicht ganz, sondern beließ sie in Kipp-Position. In warmen Sommernächten wie dieser liebte sie es, den Wind zu hören. Und manchmal konnte sie sogar das Meeresrauschen wahrnehmen.

Neben dem Bett hing ein kleiner Spiegel. Sie bürstete sich das blonde Haar, das durch die kalifornische Sonneneinstrahlung noch heller geworden war als ohnehin schon. Auf ihrer Nase hatten sich unzählige Sommersprossen gebildet, die sie schon als Kind jeden Sommer gezählt hatte.

Sie legte die Bürste auf eine Kommode und zog ihr Handy aus einer Tasche. Seit sie in St. Peter-Ording angekommen war, hatte sie keinen Blick mehr darauf geworfen. Viel versäumt hatte sie auch nicht. Das Display zeigte genau eine neue Nachricht an. Sie kam von Franka, mit der sie in Kindertagen durch dick und dünn gegangen war und die als Einzige wusste, was zwischen Johannes und ihr vorgefallen war.

Hey Bente!

Bist du gut in SPO angekommen? Gib mir mal ein Rauchzeichen, wenn du da bist. Wir müssen uns unbedingt bald treffen!

LG Franka

Bente lächelte. Auf das Wiedersehen mit Franka freute sie sich besonders. Sie beschloss, ihrer Freundin am nächsten Tag zu antworten, weil es schon spät war und sie Franka nicht mehr stören wollte.

Das Handy legte sie auf dem kleinen Tisch neben ihrem Bett ab. Anschließend streifte sie ihre Badelatschen ab, löschte das Licht und schlüpfte in das frisch bezogene Bett, das nach dem Lieblingswaschmittel ihrer Mutter duftete.

Einen Moment lauschte sie in die Abendstille. Sie vernahm das leise Klingen von dem Windspiel, das über der Terrasse an einer Pergola vor dem Haus hing. Eine leichte Brise strich durch die Sträucher und wehte einen Hauch von Lavendel in das Gartenhäuschen hinein. Blätter raschelten, und irgendwo zirpten Grillen.

Wenn sie darüber nachdachte, war es einfach ein unfassbares Glück, dass sie den Job an der Schutzstation Wattenmeer in Westerhever bekommen hatte. Sie freute sich schon darauf, die Jugendlichen der Leuchtturm-WG begleiten zu dürfen, die dort entweder ihren Bundesfreiwilligendienst oder ein freiwilliges ökologisches Jahr absolvierten. Endlich würde sie wieder Küstenvögel beobachten, um Forschungen über die Entwicklung der Populationen zu betreiben. Und in Führungen würde sie Urlaubern die Schönheit des Nationalparks zeigen. Schon als Kind hatte sie von dieser Arbeit geträumt und jedes Mal ehrfürchtig den Worten der Wattführer gelauscht, wenn sie über Wattwürmer, Schlickkrebse oder flinke Garnelen berichtet hatten.

Lächelnd zog Bente die Bettdecke etwas höher und seufzte wohlig. Dabei atmete sie den vertrauten Geruch des Gartenhäuschens ein. Sogleich legte sich dieses Gefühl von einer besonderen Geborgenheit, die man nur zu Hause empfinden kann, wie eine kuschelige Decke um ihr Herz. Genau das brauchte sie so sehr. Denn in diesem Augenblick fühlte es sich wieder ganz an, als hätte es die Ereignisse in der Vergangenheit nie gegeben.

Obwohl sie sicher gewesen war, in dieser ersten Nacht zu Hause kein Auge zuzutun, spürte sie bald eine angenehme Schwere in den Gliedern. Bevor sie einschlief, umfing eine wohlige Ruhe sie und die Gewissheit, dass nun alles gut werden würde.

2. Kapitel
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Bente fuhr aus dem Schaf hoch. Es war mitten in der Nacht. Die Dunkelheit wurde durch das künstliche Licht des Displays ihres Handys erhellt. Der Klingelton erschien ihr so laut, dass sie kurz befürchtete, er wäre bis zum Haus ihrer Eltern hörbar.

Hastig griff sie nach dem Telefon, auf dessen Bildschirm der Name ihrer Schwester angezeigt wurde, und nahm das Gespräch an. »Elly? Bist du das?«, fragte sie ein wenig atemlos.

»Ja, ich bin’s. Ein Glück, dass du ans Telefon gegangen bist.« Elly klang aufgeregt.

»Ist was passiert?« Bente setzte sich kerzengerade im Bett auf.

»Es tut mir so leid, dass ich dich geweckt habe. Aber wir haben einen Notfall«, sagte Elly zerknirscht.

»Schon gut. Was ist denn passiert?«

»Seppe, unser Geselle, ist krank geworden. Und nun stehen wir da. Mama und Papa wollte ich nicht aus dem Schlaf klingeln, weil die Kinder doch heute bei ihnen schlafen und sie am Morgen mit beiden eine Fahrt nach Helgoland machen wollen. Da wäre es ein bisschen viel verlangt, wenn wir sie noch vorher zu Hilfe in die Backstube rufen würden – mit Nienke und Jelte im Schlepptau. Aber Freddie und ich schaffen es allein nicht. Die vorbestellten Brote und Brötchen für die Hotels backen und nebenbei auch noch das tägliche Sortiment für die Bäckerei vorzubereiten, das ist zu dritt schon sportlich. Zu zweit aber ein Ding der Unmöglichkeit …«

»Mach dir keine Sorgen.« Da sie als kleines Kind bereits mit ihren Eltern in der Backstube gestanden und auch bei Johannes in Los Angeles öfter ausgeholfen hatte, war klar, dass sie für den kranken Bäcker einsprang. Bente war jetzt ohnehin hellwach. Während des Telefonats stand sie auf und zog eine Jeanshose aus ihrem noch gepackten Koffer. »Ich ziehe mir nur schnell was an und komme dann gleich mit dem Fahrrad zu euch, ja?«

»Ach, du bist ein Schatz!« Elly seufzte erleichtert auf. »Ich mache das auch wieder gut.«

»Quatsch! Dafür sind Schwestern schließlich da. Bis gleich, Elly!« Sie legte auf und griff nach dem erstbesten T-Shirt.

Wenig später rollte Bente ihr altes Fahrrad aus der Garage ihrer Eltern und fuhr die Dreilanden in südlicher Richtung entlang. Ihr Tag hatte früher als gedacht angefangen, doch das machte ihr nichts aus. Sie war munter und freute sich sogar darauf, die elterliche Backstube wiederzusehen, in der sie früher so viele Stunden zugebracht hatte.

Später hatten Elly und sie dort an den Wochenenden und in den Ferien mitgeholfen und ihr erstes Geld verdient. Bente musste bei der Erinnerung an die unbeschwerte Zeit lächeln. Vor einigen Jahren hatten Elly und ihr Mann die Bäckerei schließlich übernommen und führten sie seitdem in der althergebrachten Tradition der Familie Nahnsen fort.

Um die frühe Uhrzeit war kaum jemand unterwegs. Ein paar Hasen huschten über die Straßen, und vereinzelt erklangen Vogelstimmen. Über St. Peter-Ording lag eine samtige Dunkelheit, die nur von einem fahlen Mondlicht erhellt wurde.

Bente brauchte bloß eine knappe Viertelstunde bis zur Dorfstraße, auf der die Bäckerei Nahnsen lag. Das Rad stellte sie neben dem Eingang zur Backstube ab und öffnete die Tür.

Sogleich stieg ihr der vertraute Geruch von frisch gebackenem Brot in die Nase. Dieser Duft fühlte sich wie eine Reise in die Vergangenheit an. Bente spürte, wie ein heimeliges Gefühl in ihr aufkam. Sie nahm eine Latzschürze vom Haken und band sich das Haar zusammen. Obwohl nur ihre Schwester und ihr Mann in der Backstube waren, herrschte geschäftiges Treiben. Die beiden waren ein eingespieltes Team, bei dem jeder Handgriff saß, das erkannte Bente sofort. Sie ging zu ihnen und begrüßte zunächst Freddie, den sie seit ihrer Ankunft noch nicht gesehen hatte.

»Du bist unsere Rettung!«, sagte er, während er Brötchen formte.

»Ach, schon gut!«, winkte Bente ab. »Was soll ich tun?«

»Weißt du noch, wie das Dinkelbrot geht?«, fragte Elly.

»Natürlich! Dinkelbrot mit Ringelblumenmehl. Wie könnte ich das vergessen?«

»Prima! Davon brauchen wir 12 Stück. Wo du alles findest, weißt du ja.«

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