Kapitel 2
Bentje
Morsches Gebälk
Der frühe Abend am Meer war traumhaft schön. Der Wind, der über ihre Locken und die Haut strich, war für norddeutsche Verhältnisse noch angenehm warm. Für alle Fälle hatte sie auch einen Pullover dabei, sie konnte also entspannt noch eine Weile den Strand genießen.
Bentje löste ihren Blick vom Wasser. Sie nahm das Strickzeug wieder hoch und unterzog die Socke, an deren Fuß sie gerade arbeitete, einem prüfenden Blick. Das sah sehr gut aus. Die Muster passten, wie sie gehofft hatte, perfekt zusammen.
Sie hatte die Woolly Hugs Merino Silk Socks in der Farbe Bordeaux auf der Nadel. Eine edle Wolle, die sie sehr gern verstrickte. Auch wenn es eine Sockenwolle war, hatte sie damit auch schon Tücher, Oberteile und Accessoires gestrickt. Abgesehen davon, dass sie die Wolle mochte, fand sie den Gedanken auch schön, dass eine starke Frau diese Marke ins Leben gerufen und großgemacht hatte. Veronika Hug hatte es geschafft, ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Vielleicht würde sie sogar eines Tages als Gast zu einer von Bentjes Strickwochen kommen und einen Workshop anbieten. Die Idee fuhr wie ein Blitz durch Bentje und machte sie atemlos.
Im ersten Moment wollte sie es als zu hoch gegriffen abtun, aber dann bremste sie sich. Wieso eigentlich nicht? Wenn das wirklich so erfolgreich wurde, wie es gerade den Anschein hatte, war vielleicht auch so etwas irgendwann möglich.
»Eine Masche nach der anderen«, murmelte Bentje und atmete ein paarmal tief ein und aus, um wieder ruhig zu werden. Dann kontrollierte sie die Länge der Socke und nickte zufrieden. Nur noch ein paar Zentimeter, dann konnte sie zur Farbe Curry wechseln und die Abnahmen für die Bändchenspitze beginnen.
Normalerweise wäre das ruckzuck gestrickt, doch bei dem Design, das sie sich ausgedacht hatte, dauerte es deutlich länger als bei anderen Socken. Genau genommen doppelt so lange, denn sie strickte eine Kombination aus Vollpatent und Webmuster, musste also jede Reihe zweimal arbeiten, weil sie immer nur jede zweite Masche strickte. Die Idee dazu hatte sie bei einem Spaziergang gehabt.
Es brauchte zwar etwas Geduld, aber sie freute sich sehr, dass der Plan mit der Musterkombination aufging. So hatte sie für ihr erstes Strickevent ein besonderes Angebot für ein Knit along, einen Kal. Das war unter Strickenden eine weitverbreitete Bezeichnung für gemeinsame Strickzeit, bei der alle zusammen das Gleiche strickten. Manchmal taten sich Strickende online in Foren, Gruppen oder Chats zusammen. Oft gab es solche Kals aber auch an einem realen Ort, wo man zusammenkam und gemeinsam das Stricken und das Leben feierte. Bei Strickwochenenden, Strickwochen oder auch Strickreisen waren die Plätze begehrt und oft sehr schnell ausgebucht. Die Idee, selbst Strickevents anzubieten, hatte sie sofort gehabt, als es darum gegangen war, ob sie die Pension übernehmen wollte. Das war einer der Punkte gewesen, der sie überhaupt dazu gebracht hatte, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Stricken war seit ihrer Kindheit Teil ihres Lebens gewesen. Ihre Großmutter hatte es ihr beigebracht. Die Erinnerung an damals, an die gemeinsame Strickzeit mit ihrer Oma, war für Bentje besonders wertvoll. Wie erhofft, hatte sie bei ihrer ersten Küstenzauber-Strickzeit nun gerade selbst erlebt, wie gefragt solche Angebote waren.
Ganz abgesehen von ihren eigenen Plänen für das Lüttje Glück wollte Bentje selbst unbedingt auch an einer speziellen Strickreise teilnehmen. Na ja, oder lieber gleich an zwei oder drei. Es gab seit einiger Zeit ein Angebot, das nannte sich Stricken und Meer. Da versammelten sich Strickende im Herbst und Frühjahr auf den regulären Fähren nach Helsinki, Island und Schottland. Es gab gemeinsame Strickzeit, Workshops, Vorträge, Lesungen aus Romanen rund um das Stricken und auch Landausflüge. Wenn nichts dazwischenkam, wollte Bentje zusammen mit Imke im nächsten Frühjahr an der Fahrt nach Island teilnehmen, und das Jahr darauf würde das mit Helsinki oder Schottland vielleicht klappen.
Imke zierte sich noch ein bisschen, weil sie nur rudimentäre Strickkenntnisse hatte und das eigentlich auch nicht ändern wollte. Aber Bentje war zuversichtlich, dass sie die Meinung ihrer Freundin bis dahin noch ändern konnte. Sie würde Imke das Glück der Maschen näherbringen, das hatte sie seit Jahren vorgehabt und war an ihrer beider Alltag immer wieder gescheitert. Aber jetzt, hier zusammen im Lüttje Glück, gab es keine Ausreden mehr.
Der Faden war bei Imke längst um die Nadel gelegt, da war Bentje ziemlich sicher. Immerhin war sie Feuer und Flamme für die Küstenzauber-Strickzeit. Und sie war von Natur aus neugierig und hatte Spaß daran, neue Dinge zu lernen. Vermutlich hatte sie Nadeln und Wolle in den Händen, bevor sie überhaupt merkte, wie ihr geschah.
Im Moment allerdings oblag alles rund um das Stricken noch Bentje. Sie hatte für ihre erste Veranstaltungswoche ein kleines Tuch entwerfen wollen und mehrere Versuche gestartet. Aber irgendwie war der Funke nicht übergesprungen. Stattdessen hatten sich diese mollig dicken Patentsocken vom ersten Aufblitzen der Idee in ihr Herz geschmuggelt und sich dort festgestrickt. Sie hatte gar nicht anders können, als sich dafür zu entscheiden. Diese erste Strickwoche hatte deshalb das Motto Patente Socken. Ein Tuch konnte sie bei einem der nächsten Events anbieten. Vorausgesetzt, dass alles klappte und es weitere Veranstaltungen dieser Art geben würde.
Ein Geräusch erregte Bentjes Aufmerksamkeit. Sie hob den Blick. Maila stürmte in großen Sprüngen über die Wiese auf sie zu und begrüßte sie gleich darauf überschwänglich.
Glücksfiepend tänzelte sie um Bentje herum. Dabei wedelte sie wild mit dem Schwanz. Es war ganz klar, sie hatte die Freundin ihres Herrchens als ihr Frauchen im Rudel akzeptiert. Nach der dritten Umrundung versuchte die vor Wiedersehensfreude bebende Hündin, Bentje auf den Schoß zu klettern. Die lachte und konnte gerade noch ihr Strickzeug in Sicherheit bringen, bevor der Hundepopo sich auf ihr niederließ. Als Maila Anstalten machte, ihr auch noch die Vorderpfoten auf die Schultern zu legen, schnappte Bentje sich die Hündin. Sie legte die Arme um sie und drückte sie besänftigend an sich.
»Hey, mein süßer Wirbelwind! Na, hattest du einen schönen Tag auf Nordstrand?«
Während sie mit ihr sprach, streichelte sie mit kräftigen Strichen über das weiche Fell. Dabei hielt sie Maila so gut es ging davon ab, ihr das Gesicht zu küssen, was gar nicht so einfach war. Bentje lachte, als die Hundezunge ihr trotz aller Gegenwehr über die Wange fuhr. Sie drehte ihr Gesicht zur Seite. »Schon gut, beruhige dich. Ich habe dich ja auch vermisst. Aber friss mich nicht. Pass auf, ich habe was Besseres für dich. Möchtest du ein Feini?«
Sofort stellte Maila ihre Kussattacken ein und spitzte die Ohren. Bentje kramte Hundesnacks aus der Tasche ihrer Jeans hervor.
Seit es Maila in ihrem Leben gab, hatte Bentje in sämtlichen Taschen Leckerchen versteckt. Sie schob die Küsserin ein Stück von sich weg, streckte den Zeigefinger aus und sagte mit fester Stimme: »Sitz!«
Zack. Die Labradoodlehündin saß wie eine Eins. Ihr wedelnder Schwanz fuhr von einer Seite zur anderen über das Gras. Bentje amüsierte sich.
Mit dem richtigen Anreiz klappten Gehorsamsübungen mit Maila immer prompt. Natürlich bekam die brave Hündin ihre Belohnung. Das Ablenkungsmanöver funktionierte gerade mal ein paar Sekunden. Schon machte sie wieder Anstalten, Bentje zu bestürmen. Die war allerdings darauf gefasst und reagierte schnell. Schließlich kannte sie Maila inzwischen ganz gut. Bevor sie wieder aufdrehen konnte, gab Bentje ihr den nächsten Befehl. »Platz, Maila.«
Auch das klappte. Die Hündin lag und ließ Bentje nicht aus den Augen. Die streckte ihr die Belohnung hin, und Maila schmatzte.
Wenn es nach dem aufgeregten Fellbündel ging, konnten sie das Spiel noch eine ganze Weile treiben. Aber Bentje hatte andere Pläne. Sie streichelte Maila liebevoll unter dem Kinn und sagte: »Bleib.«
Dabei achtete sie auf eine feste Stimme. Maila hatte ein besonderes Gespür für Unentschlossenheit. Wenn bei einem Kommando auch nur ein Hauch Unsicherheit mitschwang, nutzte die Hündin das sofort aus und nahm den Befehl nicht ernst. Solche Kommandos waren für sie eher Diskussionsvorlagen. Sie konnte gehorchen oder auch nicht – je nach Lust und Laune.
Nachdem Bentje das flauschig weiche Hundemonster bezwungen und etwas zur Ruhe gebracht hatte, drehte sie sich so, dass sie Jasper entgegensehen konnte. Er kam über die Wiese auf sie zu und war schon fast bei ihr.
»Als ich aus dem Auto ausstieg, hörte ich ein dumpfes Grollen. Ich dachte, es zieht ein Gewitter auf. Dann wurde mir klar, dass das dein Magen sein muss«, sagte er zur Begrüßung und grinste sie lausbübisch an.
Sein warmer Blick löste ein wohliges Kribbeln in Bentje aus. Wie sehr sie diesen Mann doch liebte! »Ich glaube, da hat noch jemand mächtig Hunger«, konterte sie. »Maila hat gerade versucht, mich mit Haut und Haaren zu verschlingen.«
»Sie hat eben einen guten Geschmack«, gab Jasper zurück. »Ich kann sie verstehen, der Gedanke ist mir auch bereits das ein oder andere Mal in den Sinn gekommen. Du bist eben zum Anbeißen süß.« Sein Lächeln vertiefte sich. Dann hob er den Korb hoch, den er in der Hand hatte. »Apropos Anbeißen. Deine Rettung ist da.«
»Gerade noch rechtzeitig!«
Jasper stellte seine Fracht ab. Bentje warf einen Blick hinein, es sah vielversprechend aus. Sie entdeckte eine Flasche und ein großes Kuchenpaket.
Doch viel Zeit blieb ihr nicht, die Köstlichkeiten zu inspizieren. Schon beugte Jasper sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss auf ihre gespitzten Lippen, bevor er sich neben ihr auf die Decke fallen ließ.
Maila winselte. Sie hatte am Ufer ein paar Möwen entdeckt, die im angespülten Seegras nach Futter suchten. Mit einem fragenden Blick wandte Bentje sich Jasper zu. Der zuckte mit den Schultern und nickte. »Von mir aus«, bekräftigte er seine Körpersprache auch noch verbal.
»Na los«, gab Bentje Maila daraufhin wieder von dem vorherigen »Bleib« frei. »Lauf und amüsiere dich.«
Schon sauste die Hündin los. Sie jagte bellend auf das Wasser zu und machte sich einen Spaß daraus, die Möwen ein bisschen zu scheuchen. In übermütigen Sätzen sauste sie am Ufer entlang. Doch statt wie sonst sofort ins Wasser zu springen, sah Maila zwischendurch immer wieder zu ihren Menschen hinüber.
Bentje stutzte. »Was ist denn …?« Aber schon während sie noch die Frage formulierte, wurde ihr die Antwort klar. »So eine Schlawinerin.« Dann lachte sie und schüttelte den Kopf. Natürlich hatte die Hündin mitbekommen, dass in dem Korb etwas zu essen war. »Von meinem Kuchen gebe ich aber nichts ab, das kannst du vergessen«, rief sie.
Offensichtlich hatte Maila etwas anderes verstanden. Sie kam angetrabt und legte sich dicht an Bentje heran. Ihren Kopf bettete sie auf deren Oberschenkeln. Sie ließ ihr Frauchen nicht aus den Augen.
Bentjes Bauch gab wieder ein lautes Knurren von sich.
»Oha, jetzt wird es wirklich Zeit«, kommentierte Jasper. »Nur einen Moment!«
Er faltete das Papier auseinander und reichte Bentje gleich darauf ein Stück Kuchen auf einem Pappteller und eine Holzgabel dazu.
»Ui, das sieht aber gut aus. Danke schön!« Bentje ließ sich nicht viel Zeit, das Stück Käsesahnetorte mit Himbeeren zu bewundern. Gierig stach sie mit der Gabel in die weiche Masse hinein. Der erste Bissen wanderte in Bentjes Mund und entfaltete dort seinen Zauber. »Hmm!« Vor Wonne verdrehte sie die Augen. »Köstlich. Fruchtig, ein bisschen Säure und nicht zu süß. Perfekt.« Schon folgte der nächste Happen.
Maila leckte sich mit der Zunge über die Nase. Es fiel ihr schwer, aber Bentje ignorierte den bettelnden Hundeblick. Sie und Jasper versuchten, während sie selbst aßen, Maila nichts zuzustecken, damit ihr Betteln nicht überhandnahm. Sie bekam sowieso schon zu viel nebenbei. Frauke, die Tierärztin, hatte sie gewarnt, dass die Hündin zu dick werden würde, wenn sie sich nicht bremsten oder mit mehr Bewegung gegensteuerten.
Auch Jasper beobachtete Bentje. Allerdings ohne ihr die Torte zu neiden. »Dann scheint meine Wahl ja zu passen«, stellte er zufrieden fest. Bentje sah ihm die Freude darüber an, dass er ihren Geschmack getroffen hatte. »Für den Fall der Fälle – ich wusste ja nicht, wie hungrig du bist – habe ich noch Käsemohnkuchen, eine Schokotorte und ein Stück Hefegebäck mitgebracht. Du kannst dich also satt essen.«
»Mpf. Jetzt weiß ich wenigstens, wie du mich einschätzt«, protestierte sie. »Du hältst mich für einen Vielfraß.«
»Was du wieder denkst.« Jasper grinste. »Ich möchte, dass es dir gut geht, und verwöhne dich einfach gern, das ist alles.« Er beugte sich zu ihr hinüber und wischte mit dem Daumen etwas Sahne von ihrer Lippe. Er sah ihr fest in die Augen, während er ganz langsam die Sahne von seinem Finger schleckte. Nicht für eine Sekunde unterbrach er dabei den Augenkontakt.
Bentje bekam Gänsehaut. Sie sah ihm an, dass er genau wusste, was er mit ihr anstellte.
Dieser Moment verdichtete sich. Die Schafe, die um sie herum weit verstreut auf dem Deich standen und lagen, nahm Bentje nur noch wie durch einen Filter wahr. Genau wie das Blöken, das sich hin und wieder in das Rauschen von Wind und Wasser mischte. Jasper hatte sie hypnotisiert.
Bentje stellte den Pappteller mit dem Kuchen zurück in den Korb. Sie nahm Mailas Kopf von ihren Oberschenkeln und platzierte ihn auf der Decke. Dann beugte sie sich zu Jasper hinüber und legte ihre Arme um ihn.
»Hattest du nicht furchtbar viel Hunger?«, fragte er, und sie sah am vergnügten Funkeln in seinen Augen, dass er sie necken wollte.
»Und wie«, flüsterte Bentje. »Ich verhungere gleich.« Sie legte ihre Lippen auf seine. Jasper zog sie fest in seine Arme.
»Dann sollten wir dringend etwas dagegen tun«, murmelte er ganz dicht an ihrem Mund.
Seine Stimme klang rau. Das Spiel hatte sich gedreht, jetzt hatte Bentje die Macht, ihn zu necken. Sie knabberte an seiner Unterlippe und spürte den Schauer, der durch Jasper lief. Sie küsste ihn. Erst flüchtig, doch der Kuss wurde schnell tiefer. Bentje fuhr mit einer Hand in Jaspers Haare.
»Hey«, kam ein Ruf über den Deich geschmettert und ergoss sich eiskalt über Bentje.
»Mist«, murmelte sie und legte ihre Stirn an Jaspers Schulter. Sie brauchte kurz, um ihre Fassung wiederzufinden.
»Tut nichts, was ich nicht auch tun würde!« Imke marschierte in flottem Schritt heran. »Tut mir leid. Ich habe ein Händchen für schlechtes Timing. Soll ich noch mal gehen?«, fragte sie.
Das vergnügte Funkeln in Imkes Augen sah Bentje sehr wohl. Ihre Freundin versuchte erst gar nicht, ihr amüsiertes Grinsen zu verbergen. Doch dann wurde ihre Miene ernst. »Es tut mir echt leid, aber um ehrlich zu sein, gibt es einen triftigen Grund für meine Störung.«
»Setz dich zu uns«, forderte Jasper sie auf. »Ich habe Kuchen im Korb.«
»Genial. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich schon eher gekommen.« Imke begrüßte kurz Maila. Dann inspizierte sie die Kuchenauswahl und griff zu. Sie entschied sich für die Schokoladentorte.
»Was ist das denn für ein Grund?«, wollte Bentje nun wissen. Sie hatte ein ungutes Gefühl in der Magengrube.
»Ach so. Ja. Also hör mal, ich weiß ja, dass du mit dem Renovieren des Dachgeschosses noch ein wenig warten wolltest«, sagte Imke. Dann stoppte sie und nahm einen Bissen von ihrer Torte. Sie konzentrierte sich auf das Essen.
»Und?«, drängte Bentje ungeduldig. Manchmal konnte Imke einem echt den Verstand rauben.
»Ich war gerade oben, um zu duschen. Als ich lüften wollte, ist mir das Fenster entgegengekommen.«
Bentje sog erschrocken die Luft ein.
Doch Imke beruhigte sie. »Keine Bange, meine Reaktionszeit ist astrein. Es ist nichts weiter passiert. Ich habe das Fenster aufgefangen und mithilfe von Karton und Klebeband provisorisch befestigt. Also für den Moment Entwarnung. Vielleicht lässt sich das auch irgendwie flicken. Aber willst du die Renovierung echt noch länger aufschieben? Denk nur mal an die horrenden Heizkosten, die durch die schlechte Isolierung entstehen. Das wäre Geld, das du stattdessen in die Renovierung stecken könntest.«
»Was genau ist denn mit dem Fenster?«, fragte Jasper.
»Ich als Nicht-Fachfrau würde sagen, das Holz ist einfach durch und durch morsch. Ich habe mir den Rahmen mal genauer angesehen. Auweia. Wenn man nur zu fest hinsieht, bröckelt es schon.«
»Das ist allerdings blöd, wenn auch nicht ganz überraschend. Wir wussten ja, dass es früher oder später gemacht werden muss. Ich muss mir das ansehen, um zu sagen, ob ich da noch etwas reparieren kann. Ich vermute eher, dass es auf einen Fensteraustausch hinausläuft. Aber ob das in der jetzigen Situation wirklich sinnvoll ist, wage ich zu bezweifeln. Wenn wir in zwei Jahren dann alles machen und auch neu dämmen, müssen wir das Fenster auch noch mal erneuern. Du wolltest an der Stelle ja vielleicht eine Gaube, um das Bad etwas zu vergrößern. Das wären dann unnötige zusätzliche Kosten. Wenn du mich fragst, wäre vielleicht doch jetzt der richtige Zeitpunkt, um alles gleich richtig in Angriff zu nehmen. Wenn es gut läuft, sind wir vor dem Winter fertig.«
»Zumal in meinem Zimmer der Boden an zwei Stellen ebenfalls schon morsch ist. So richtig Spaß macht das nicht«, sprang Imke Jasper bei. »Ich habe mir schon eine Socke ruiniert, weil ich hängen geblieben bin.«
Der Kuchen in Bentjes Bauch hatte sich in einen Betonklotz verwandelt, der jetzt drückte. Musste dieses Fenster ausgerechnet jetzt kaputtgehen?
»Verflixt. Das ist ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt. Übermorgen beginnt unsere Strickzeit. Ich kann den Gästen doch keinen Baulärm zumuten.«