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Die blonde Geisha

hier erhältlich:

Kioto 1892: Streng behütet wächst die junge Amerikanerin Kathlene Mallory im sinnenfrohen Japan auf. Doch ihr Leben ändert sich mit einem Schlag, als ihr Vater überstürzt das Land verlassen muss. Kathlene findet Zuflucht im Teehaus der Geisha Simouyé und lernt dort die kunstvollen Verführungstechniken japanischer Kurtisanen kennen. Fasziniert erkundet sie ihre eigene Sinnlichkeit und lässt sich vom uralten Zauber erotischer Spiele verführen. Bis Kathlene eines Tages einen Mann kennen lernt, der sie plötzlich an ihrer Karriere als Kurtisane zweifeln lässt. Denn die wichtigste Regel für jede Geisha lautet: Verschenke nie dein Herz.


  • Erscheinungstag: 10.12.2012
  • Seitenanzahl: 192
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955761363
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

JINA BACARR

Die blonde Geisha

Roman

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Blonde Geisha

Copyright © 2006 by Jina Bacarr

Erschienen bei: SPICE Books

Übersetzt von Gina Marr

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B. V., Amsterdam

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Claudia Wuttke

Titelabbildung: Harlequin Enterprise S.A., Schweiz/

Mauritius GmbH, Mittenwald

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN eBook 978-3-95576-136-3

www.mira-taschenbuch.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

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Warum ich meine Geisha-Memoiren geschrieben habe

Der Frühsommer 1892 bescherte Japan eine heftige Regenzeit. Pflaumenregen nennen ihn die Japaner, weil er kommt, wenn die Früchte reif, prall, voller Verheißung sind. Wie ein junges Mädchen, das allmählich zur Frau wird.

Die Luft war warm und feucht, und wie alles in diesem Land, belebte dieser einzigartige Regen meine Sinne und Sehnsüchte. Ich kämpfte mit Trauer und Freude gleichermaßen, entdeckte, dass mein Körper sich veränderte, sich nach Erfüllung verzehrte. Ich wollte lieben und geliebt werden.

Und ich wollte eine Geisha sein.

Den Geist dieser Frauen, ihren Wagemut und ihre Schönheit bewunderte ich sehr. Sie erfüllten Träume und lebten in einer märchenhaften Welt voller Romantik. Jeden Tag, wenn ich mich auf den Weg zur Missionarsschule machte, starrte ich die jungen Geisha-Anwärterinnen an, die in ihren hohen Holzschuhen mit den kleinen Glocken an mir vorbeiliefen und mit ihren weiß geschminkten Gesichtern unter rosafarbenen Papierschirmen hervorschauten.

Abends, wenn ich mit meinem Vater unterwegs zum Kabuki-Theater war, beäugte ich die Geishas, die in Rikschas fuhren und den formellen schwarzen Kimono mit Blumen und Vögeln trugen. Nachmittags kicherte ich, wenn ich an der Mama-san vorbeilief, die auf ihrer blank polierten Veranda saß und an ihrer Pfeife aus Elfenbein zog.

Von Fantasievorstellungen überwältigt, fühlte ich mich zu ihnen hingezogen, getrieben – ich musste einfach dieser faszinierenden, erotischen Welt der Geishas angehören. Ich wollte wissen, wie diese Welt der Blumen und Weidenbäume in einem Land existieren konnte, in dem Mädchen in den ersten drei Tagen nach der Geburt auf den kalten Boden gelegt wurden, damit sie ihren Platz in der Gesellschaft kennen lernten.

Warum die Frauen in diesem Land der Shôguns und Samurais den Blick gesenkt hielten, ihre Herzen und Tränen verbargen oder höchstens auf die harten Kopfkissen aus Holz weinten, konnte ich nicht begreifen.

Ich sehnte mich so danach, meinen erotischen Fantasien nachzugeben, dass ich einen Weg finden musste, diesen aufgestauten Empfindungen freien Lauf zu lassen. Und so betete ich jeden Tag zu den Göttern, mir den Mut zu schenken, meine Seele von dieser unbarmherzigen Qual zu befreien.

Noch hatte ich nicht die süße Wonne einer männlichen Berührung erfahren und auch nicht die Leiden der unglücklichen Liebe. Meine jungen Brüste waren klein und hart wie rote Kirschen, meine Hüften schmal wie die eines Jungen. Ich konnte nur erahnen, was mich in einem Land erwartete, in dem Frauen kein Genuss vergönnt war, in dem es für sie nur Pflichten gab.

Allerdings nicht immer.

Wie man hörte, besaßen die Frauen in den Geisha-Vierteln ein Wissen, das seit zweihundert Jahren streng geheim gehalten und nur mit anderen Geishas geteilt wurde. Mittel, die die Haut ewig jung hielten. Zaubertränke, die Männer dazu brachten, sie bis zum Wahnsinn zu lieben. Fremdartige Spielzeuge, die ihnen und ihren Liebhabern unendlichen Genuss bereiteten.

Angeregt durch diese Geschichten schlich ich mich in die Geisha-Viertel von Shinbashi, wo Gelächter und rastloses Seufzen durch die hohen Mauern drangen. Konnte ich, eine Fremde, hinter die Maske des Anstandes dringen und lernen, wie man einem Mann Vergnügen bereitete?

Oder mir selbst?

War das möglich?

Die seltsamen Wege der Götter, die mir in jungen Jahren bereits viel Trauer und Leid bereitet hatten, erlaubten es mir, in diesem Sommer ein Geisha-Haus zu betreten. Obgleich ich langes, blondes Haar hatte, golden wie Sonnenstrahlen, die durch die Morgendämmerung brechen, und Augen so grün wie der Seidenbrokatmantel eines Händlers, wurde ich in Kioto zur Maiko, zur Geisha-Anwärterin. Und nach drei Jahren Ausbildung wurde ich eine Geisha.

Jetzt, so viele Jahre später, habe ich ein Alter erreicht, in dem ich das Schweigen brechen kann, ohne den Geisha-Kodex zu verletzen. Ich kann mit der Außenwelt die Schönheit und Anmut teilen, die erotischen Fantasien und die verborgenen Geheimnisse.

Während ich hier im Garten des Teehauses sitze, wo sich Schmetterlinge auf meinen Schultern niederlassen, und ich den Glocken im Wind lausche, werde ich all das auf feinstem Reispapier, das so durchscheinend ist wie die Flügel einer Motte, niederschreiben: Ich werde von den Männern erzählen, die ich liebte, von meiner Geisha-Schwester, die ihr Leben für mich riskierte, von der Mama-san, die mich wie eine eigene Tochter aufzog, von Berührungen, Gelächter und intimen Momenten.

Und nun ist der Augenblick gekommen: Ich tauche die Feder in die Tinte und erzähle die außergewöhnliche Geschichte der blonden Geisha.

Kathlene Mallory,

Kioto, Japan 1931

Erster Teil

Kathlene, 1892

Ich erinnere mich, als ich zum ersten Mal die Lichter des Geisha-Viertels in Gion sah, blass und gelb wie der Mond über uns.

Rote Laternen mit schwarzen japanischen Figuren schwangen im Abendwind und winkten mich in das Teehaus.

Aber es ist der Klang der Gion-Glocke in der Ferne, an den ich mich am lebhaftesten erinnere und der mir sagt, dass alles im Leben vergänglich ist.

Sogar die Liebe.

(Tagebuch eines amerikanischen Mädchens in Kioto, 1892)

1. KAPITEL

Kioto, Japan 1892

Ich konnte mit niemandem darüber sprechen, nicht einmal mit den Göttern, aber ich hatte Angst … schreckliche Angst. Bevor ich überhaupt das Nonnenkloster sah, beschloss ich, dass ich irgendwie entkommen musste. Zwar respektierte ich Nonnen wegen ihrer Frömmigkeit und Hingabe, aber ich wollte doch eine Geisha werden. Musste eine Geisha werden. Rasierten sich Nonnen nicht die Köpfte und Augenbrauen, sodass ihre Augen unnatürlich hervortraten? Ich schwor, mir mein langes Haar niemals abschneiden zu lassen. Und noch beunruhigender war: Die Nonnen trugen schlichte weiße Kimonos. Weiß war die Farbe des Todes. Warum brachte mich mein Vater in ein Nonnenkloster? Warum?

Sollte ich bestraft werden?

Aber ich hatte doch nichts Falsches getan. Mich zu streicheln war nicht falsch, auch wenn mich dabei eine immer größer werdende Lust überkam, eine Gier, die drohte, in mir zu explodieren. Ich wollte lieben und geliebt werden. Meine Sehnsucht musste irgendwie gestillt werden.

Aber nicht in einem Nonnenkloster.

Da kann ich nicht hingehen. Bitte.

Ich wollte meinem Vater sagen, dass die Welt der Blumen und Weidenbäume meine Bestimmung ist, nichts anderes. Vereinte die Geisha nicht in hohem Maße Herzensgüte und Klugheit in sich? Hatte Vater nicht gesagt, ich sei meiner Heimaterde entwurzelt worden wie eine wunderschöne Blume, die in unsicherer Erde neu gepflanzt wird? Verließ eine Geisha nicht auch ihr Heim, um ihrem Schicksal zu folgen?

“Trödel nicht herum, Kathlene!” zischte mein Vater mir ins Ohr, während er mich durch die Bahnstation zerrte. Mein kleiner Koffer schlug schwer gegen meinen Schenkel. Es tat weh, aber ich beklagte mich nicht. Am nächsten Tag würde ich bestimmt einen blauen Fleck haben, der aber unter den weißen Strümpfen unsichtbar bleiben würde.

Morgen. Wo würde ich dann sein? Warum waren wir jetzt hier? Was war aus meiner friedvollen Welt geworden? Der Mädchenschule in Tokio?

Was war geschehen?

Regen benetzte mein Gesicht. Kein Lärm, keine hastenden Menschen, als ob alles im Nebel verschwunden wäre. Das war seltsam. Regenwetter hielt die Japaner nie davon ab, wie neugierige Mäuse durch die Stadt zu huschen, alles anzuschauen, alles zu kosten. Regen betrachteten sie nicht als schlechtes Wetter, sondern vielmehr als einen Segen der Götter, weil er dafür sorgte, dass ihre Reiskörbe gefüllt blieben.

Während ich mit meinen viel zu engen Schuhen durch die leere Bahnstation trottete, pochte in meinem ganzen Körper der Rhythmus der zeremoniellen Trommeln. Oder nein, es war eher ein sinnlicher Blitz, der mich in den seltsamsten Momenten traf. Wenn ich in der großen Zypressenholzwanne badete und entzückt spürte, wie das warme, nach Zitrone und Mandarine duftende Wasser in und um meine Mondgrotte glitt und mir wohlige Schauer bereitete.

Oder nachts, wenn ich nackt auf meinem Futon lag und der glatte Seidenstoff an meinen geöffneten Schenkeln rieb und mich feucht werden ließ. Ich sehnte mich nach einem Mann, der mich so tief ausfüllte, dass meine Lust niemals enden würde und träumte von dem Tag, an dem ich seine starken Arme um mich spürte, seine harten Muskeln, seine Hände, die meine Brüste drückten und die Rosenknospen mit den Fingerspitzen streichelten. Ich lächelte und hatte das sichere Gefühl, dass die Nonnen solche Gedanken nicht gutheißen würden.

“Wo ist dieses Kloster, Vater?” fragte ich.

“Im Jakkôin Tempel, nicht weit von hier.”

“Warum verlassen wir Tokio so eilig?”

“Frag nicht so viel, Kathlene”, sagte Vater und spannte seinen großen schwarzen Schirm auf. “Noch sind wir nicht außer Gefahr.”

“Gefahr?” flüsterte ich sehr leise, wusste aber, dass mein Vater mich verstand.

“Ja, meine Tochter. Ich konnte es dir vorher nicht sagen, aber ich habe einen mächtigen Feind in Japan, der mir großen Schaden zufügen will.”

“Warum sollte dir irgendjemand Schaden zufügen wollen?”

Ich spielte mit dem löchrigen Finger meines Handschuhs und zerriss ihn vollends, konnte nicht anders. Ich machte mir Sorgen um meinen Vater, furchtbare Sorgen. Der nagende Schmerz machte mir deutlich, dass es Schlimmeres gab, als ins Kloster geschickt zu werden.

“Wenn du es unbedingt wissen willst, Kathlene, eine schreckliche Tragödie hat sich ereignet”, sagte mein Vater, seine Stimme war vom Regen gedämpft. Die Worte trafen direkt in mein Herz, ich konnte die Pein aus seiner Stimme heraushören.

“Was meinst du damit?” wagte ich zu fragen.

“Ein Mann hat das verloren, was ihm am liebsten ist und glaubt, ich hätte daran Schuld.” Mein Vater sah sich im Bahnhof um, sein Blick erfasste jeden Winkel. “Das ist alles, was ich dir sagen kann.”

“Was könntest du denn getan haben …”

“Sprich nicht über Dinge, die dich nichts angehen, Kathlene. Für die du zu jung bist.” Mein Vater blickte mich nicht an, sondern suchte nach dem verborgenen Feind. Er hielt meine Hand so fest, dass ich fürchtete, meine Knochen würden brechen.

“Du tust mir weh, Vater. Bitte …” Meine Augen füllten sich mit Tränen. Nicht aus Schmerz, sondern aus Angst um die Sicherheit meines Vaters.

“Tut mir leid, Kathlene.” Er lockerte seinen Griff. “Das war nicht meine Absicht.”

“Ich weiß”, sagte ich verzagt, doch der Schmerz in meinem Herzen ließ nicht nach.

Vater fuhr fort, sich umzublicken, und als er sicher war, dass außer dem alten Stationsvorsteher niemand auf dem Bahnsteig war, ging er schnell weiter.

Ich machte einen großen Satz, um mit den Schritten meines Vaters mithalten zu können. Er glich einem trauernden Samurai. Während er hastig über den Bahnsteig lief, hielt er den Kopf gesenkt, damit niemand sein Gesicht erblicken konnte.

Das sah meinem Vater gar nicht ähnlich. Edward Mallory war ein Riese, der alle anderen überragte. Er hatte eine dröhnende, tragende Stimme – und dies in einem Land, in dem die Stimmen so sanft wie in Seidenstrümpfe gehüllte Füße waren.

Außerdem war mein Vater starrsinnig und streng, und er verstand mich nicht. Wie sollte er auch? Ich sah ihn nicht so oft, wie ich es mir gewünscht hätte. Er arbeitete für eine amerikanische Bank, was er stolz jedem erzählte, der danach fragte. Die Engländer hatten die erste Eisenbahnstrecke gebaut, und mein Vater musste hart schuften, um mit der Konkurrenz Schritt zu halten. Jeden Tag eröffneten ausländische Banken neue Filialen, um in die Eisenbahnstrecken zu investieren, die sich über die Insel ausbreiteten. Tagelang war er unterwegs, um Beamte der japanischen Regierung zu treffen und eine Tasse Tee nach der anderen mit ihnen zu trinken. Manchmal trank er mit mir diesen schäumenden grünen Tee, der in meinem Mund kitzelte und mich kichern ließ. Doch mein Vater blieb ernst. Ich bezweifelte, dass er jemals lachte.

“Bleib dicht hinter mir, Kathlene”, befahl Vater mit strenger Stimme. “Der Prinz hat seine teuflischen Helfer überall.”

“Der Prinz?” Meine Neugier war nun geweckt. Ich wusste zwar, dass mein Vater viele Gespräche mit ausländischen Ministern und anderen Würdenträgern führte, aber mit einem Prinzen? Mein Herz schlug schneller, meine Augen glühten auf, trübten sich aber wieder, als ich spürte, wie der Köper meines Vaters sich versteifte, seine Hand den Regenschirm fester packte.

“Vergiss, was ich über den Prinz gesagt habe, Kathlene. Je weniger du weißt, desto besser.”

Ich hatte keine Zeit, mich zu fragen, wovon er sprach. Mein Magen hüpfte, als ich sah, wie ein junger Mann, der eine Rikscha zog, aus der schimmernden Dunkelheit einer engen Straße gerannt kam.

Mein Vater schien erfreut, sehr erfreut, ihn zu sehen.

Ich war es auch.

Im Gegensatz zu den anderen Rikschafahrern, die bei Regen einen Umhang aus geöltem Papier trugen, war dieser hier fast nackt. Er entblößte sein muskulöses Fleisch auf erfreuliche Weise, als ob es ihm gefiele, seinen kräftigen Körper den Regengöttinnen zu zeigen. Ich stellte mir vor, ein Regentropfen zu sein, der auf seinen Lippen landete und die Süße seines Kusses spürte. Ich kicherte. Küssen war für Japaner sehr ungezogen, eine Vertraulichkeit, die selten ausgetauscht wurde und deren Freuden ich nicht nur deshalb unbedingt kennen lernen wollte.

Interessiert betrachtete ich die angespannten Muskeln seiner Arme, nackt und angenehm für meine Augen, genauso wie seine kräftig aussehenden Beine. Was mich am meisten faszinierte, war aber das dunkelblaue Leinentuch, das er um seinen Köper geschlungen hatte.

Meistens sei der Bahnhof voller Rikschafahrer, die auf die Reisenden warteten, erklärte Vater, als er mein Interesse an dem jungen Mann bemerkte. Sie wären gut informiert und wüssten genau, wann welche Reisende ankämen, welche Häuser auf dem Weg lägen, welche Theaterstücke gespielt würden und sogar, wann die Kirschblüten aufbrechen würden.

Abgesehen von diesem Jungen, war der Bahnhof heute allerdings verwaist, nur er war mutig genug, durch diesen Regen zu laufen.

Er hielt vor uns und verbeugte sich tief.

Ich hatte oft gehört, wie englische Damen die Rikschafahrer als schmutzige, barfüßige Kulis bezeichnet hatten. Wie konnte das sein? Doch nicht dieser Junge! Ich schloss die Augen und ließ meine Gedanken durch die flüsternde Dunkelheit streifen. Ein unwiderstehliches Verlangen wuchs in mir, ich sehnte mich nach etwas, irgendetwas, wusste aber nicht genau, was. Als ob ein unsichtbarer Geist mit kühlen Fingern eisige Tautropfen auf meinen nackten Bauch fallen und mich vor Wonne zusammenzucken ließe.

Meine Neugier ließ mich die Augen rasch wieder öffnen. Gespannt reckte ich den Hals, um diesen Jungen, der den großen zweirädrigen Wagen zog, besser sehen zu können. Aber sein Gesicht war unter einem Strohhut mit breiter Krempe verborgen.

Doch der Junge sollte nicht die einzige Überraschung des heutigen Tages sein. Ohne ein Wort schob mich mein Vater plötzlich in den schwarz überdachten Wagen. Ich hielt ehrfürchtig die Luft an. Erregung ergriff mich. Nur Geishas war es erlaubt, in einer Rikscha zu fahren. Ich hätte schwören können, dass ich den Duft ihres Kamelienöls noch riechen konnte.

Ich stellte mir vor, eine schöne Geisha zu sein, schloss die Augen und lehnte den Kopf nach hinten. Was würde ich tun, wenn ich einen gut aussehenden jungen Mann träfe, mein Gesicht gerötet, meine Brüste prall, die Spitzen aufgerichtet, mein Hals trocken?

Würde ich mich hinlegen und meine Beine spreizen, während mein Liebhaber sich zwischen meine Schenkel kniete, die Hände auf die Strohmatte gestützt?

Oder würde er sich auf den Rücken legen und mich auf sich ziehen?

In tiefen Zügen atmete ich den frischen Duft des Regens ein. Ich fand diese Vorstellung romantisch und höchst erfreulich, doch mein Lächeln verblasste, als ich sah, wie mein Vater mich anstarrte.

“Ich bin beunruhigt, Kathlene. Irgendetwas stimmt nicht. Niemand vom Tempel ist gekommen, um uns zu begrüßen.” Er rieb sich das Kinn. “Ich habe keine andere Wahl, als mich darauf zu verlassen, dass dieser Junge uns zu unserem Ziel bringt.”

“Ich vertraue ihm, Vater.” Ich grinste, als der Rikschafahrer sich umdrehte, seinen Kopf ein wenig hob und mir zulächelte. Dann lehnte ich mich erleichtert im Sitz zurück. Er war nicht viel älter als ich. Und tatsächlich hübsch.

Mein Vater konnte mich doch ganz sicher nicht für immer in einem Nonnenkloster verstecken? Ich war beunruhigt, Angst kroch meine Haut hinauf und hinab wie winzige goldgrüne Käfer.

Wie sollte ich jemals eine Geisha werden, wenn ich in einem Kloster eingesperrt war? Nonnen wurden von den Besuchern ferngehalten und verbrachten ihre Zeit mit Meditieren und den Arrangements von Blumen, nicht damit, die Muskeln eines Rikscha-Jungen zu begaffen. Als ob die Götter mich daran erinnern wollten, dass ich keine Wahl hatte, grollte Donner über uns.

Ich hörte, wie mein Vater dem Fahrer Anweisungen gab, wohin er uns bringen sollte. Der Junge nickte, verneigte sich dann tief, bevor er das Verdeck aus Wachstuch zuzog, um uns vor dem Regen zu schützen.

“Schnell, schnell!” rief Vater drängend und sprang in den Wagen.

Der Junge hob die Achse, das Vehikel kippte nach hinten, dann trabte er los.

Die gefährlich schnelle Fahrt durch die schmalen Gassen, lenkte mich von den Grübeleien über mein Schicksal ab. Ich fand es ungewöhnlich, dass der Junge die wenigen Passanten nicht anschrie, aus dem Weg zu gehen, wie die meisten Fahrer es taten. Stattdessen rannte er schweigend, und sein schwerer Atem entzückte meine Ohren. Ich versuchte weiterhin, sein Gesicht zu sehen, aber immer wenn ich den kleinen Vorhang nur ein winziges Stück zur Seite zog, drückte mich mein Vater zurück in den Sitz.

“Konzentriere dich auf deine Aufgabe, Kathlene.”

“Ich versuche mein Bestes, Vater, aber du sagst mir ja nichts”, platzte ich heraus.

“Das kann ich nicht. Alles was du wissen musst ist, dass du meine Tochter bist und dich entsprechend zu benehmen hast.”

Verärgert überkreuzte ich die Beine, meine schwarzen Stiefel versanken in der weichen Bodenmatte. Um es mir in den nassen Kleidern einigermaßen bequem zu machen, zappelte ich in dem mit rotem Samt bezogenen Sitz hin und her. Ich wollte meinem Vater gegenüber nicht respektlos sein, aber ich fürchtete mich.

Fragend blickte ich zu ihm hinüber, ging im Geiste noch einmal die Ereignisse des vergangenen Tages durch und versuchte zu verstehen, warum er mich aufgefordert hatte, meine Sachen zu packen, um Tokio umgehend zu verlassen. Dann hatte er die Haushälterin angewiesen, Reis, eingelegten Rettich und winzige Streifen rohen Fischs in Proviantbüchsen zu verstauen, damit wir für unsere lange Reise etwas zu essen hatten.

Ich wünschte, er würde sich mir anvertrauen, wie er es sonst auch tat. Aber diesmal sagte er nichts, befahl mir nur, mit niemandem zu sprechen.

“Mein Leben hängt davon ab, Kathlene”, sagte er und steckte die rechte Hand unter seine Jacke, als ob dort eine Pistole verborgen wäre.

Mein Vater war ein gut aussehender Mann, doch jetzt, wie er nach vorne gebeugt in der Rikscha saß, sah er merkwürdig aus, fast fremd. Sein ordentlich rasiertes Gesicht war vom Regen nass, er trug keinen Hut, sein Haar war verfilzt. Auf seinem schwarzen Mantel glitzerten Tropfen. Selbst seine schwarzen Lederhandschuhe glänzten nass und spielten meiner Fantasie einen Streich, wie hypnotisiert stellte ich mir vor, dass diese ganze Flucht nur ein Spiel war. Dass alles in Ordnung war.

Was sollte denn auch nicht in Ordnung sein in diesem wunderschönen, lebhaft grünen Land der zarten Pflaumenblüten? Wo das bezaubernde Lied der Glocken bei jedem Windhauch erklang und hellrote Ahornblätter zu ihrer Melodie tanzten?

Für mich war dies ein sanftes Land mit sanften Bewohnern. Und die einzige Heimat, die ich kannte, seit mein Vater mich als kleines Mädchen mit meiner Mutter nach Japan gebracht hatte. Er hatte gewusst, dass meine Mutter kränklich war und die Überseereise von San Francisco nach Japan sie noch mehr schwächen würde. Aber Mutter hatte sich geweigert, ohne ihn zurückbleiben.

Also fuhr sie mit. Und ich auch.

Mein Herz schmerzte vor ungeweinten Tränen als ich versuchte, mich an meine Mutter zu erinnern. Das war nicht leicht. Sie starb bereits im ersten Jahr. Meine Trauer hatte ich nie mit jemandem geteilt. Schon gar nicht mit meinem Vater. Er schien mir gegenüber seine Gefühle zurückzuhalten, und doch wusste ich, dass er mich liebte. Deswegen begriff ich auch nicht, warum er sich so merkwürdig verhielt.

Was hast du getan, Papa? Ich wollte ihn so gerne fragen, traute mich aber nicht. Auch hätte ich ihn niemals Papa genannt, denn das war ein Begriff, den er nicht verstand. Er war mein Vater. Nicht mehr. Nicht weniger.

Ich krallte mich im Sitz fest, als die dünnen Räder über eine kleine Brücke ratterten. Wieder schielte ich hinter dem Vorhang hervor, und diesmal zog mein Vater mich nicht zurück. Ich seufzte entzückt. Bald würde die Sonne untergehen, und ich staunte über die Berge, die violette Schatten auf ihre eigenen Hänge warfen und über die ausgedehnten Weizenfelder, die der Regen in einen See aus purem Gold verwandelt hatte.

Ein Wasserspritzer traf meine Nase. Ich wischte ihn weg, schimpfte halb auf Japanisch, halb auf Englisch vor mich hin. Es fiel mir nicht schwer, zwischen den beiden Sprachen hin- und herwechseln, weil ich beide gleichzeitig gelernt hatte. Japan war die längste Zeit meines Lebens meine Heimat gewesen, auch wenn ich mich mit meinem blonden Haar oft fremd fühlte. Mein Vater hatte mir versichert, dass ich so hübsch wie meine Mutter werden würde. Allerdings ahnte er nicht, dass mich dieses Kompliment so sehr entzückte, weil ich eine Geisha werden wollte. Meine Mutter hätte meinene Plan bestimmt gebilligt. Geishas wurden von jedermann verehrt, für ihre Schönheit, ihre Anmut, ihren Stil, ihren Geist.

Unglücklich seufzte ich. Solange ich in dem Kloster blieb, würde ich niemals eine Geisha werden. Ich wäre zu einem Leben freudlosen Gehorsams verdammt, die Tage mit Gebeten und die Nächte mit Einsamkeit erfüllt. Die prachtvolle Schönheit der Welt der Blumen und Weidenbäume versprachen so viel mehr. Bis jetzt war mein Traum, eine Geisha zu sein, genau das. Ein Traum.

Wir fuhren etwa eine Stunde, die Schatten wurden länger. Ich konnte das Krächzen der Raben in den alten Kiefern hören. Nein, halt, das waren keine Vögel sondern ein lauter, lang gezogener Gongschlag. Während der Junge die Rikscha weiter über die schmalen von Bäumen gesäumten Wege zog, hielt ich die Luft an. Und dann, wie von Götterhand bestimmt, hörte es auf zu regnen. Ich lauschte dem Plätschern des Wassers, das durch kleine, von Farnen verborgene Rohre lief, während wir weiter hinein in die Berge fuhren.

Etwas später endete die Straße. Ich spürte, wie die Rikscha auf den Boden gesetzt wurde.

“Wir sind da, Kathlene”, sagte Vater.

“Beim Kloster?”

“Ja.”

Am liebsten wäre ich weglaufen. Weit weg.

Ich war mir der Stille um mich herum bewusst, als ich hinter meinem Vater aus der Rikscha kletterte, die Beine steif und die Füße nass. Neugierig blickte ich mich um. Wo waren die Menschen? Normalerweise liefen doch Mönche und Nonnen mit ihren merkwürdigen wie Körbe geformten Strohhüten herum, die Hände nach Almosen ausgestreckt, mit leisen, flehenden Stimmen.

Doch ich sah nur ein Tor vor einer Treppe mit steilen Stufen, die zu einem kleinen Tempel mit zinnoberroten Säulen und einem schweren, grauen Eisendach führte. Hunderte Laternen tüpfelten den Boden neben den Statuen himmlischer Wachhunde auf Steinsockeln.

Beinahe rechnete ich schon damit, ihr Gebell zu hören, als mein Vater mit düsterem Gesicht die Stufen hinaufeilte. Ich folgte ihm und entdeckte wunderschöne scharlachrote Wildblumen, die in Büscheln um die Stufen wuchsen. Die Blumen zogen mich an, ihre langen, weichen Blütenblätter erinnerten mich an die feine Seide, die Geishas trugen. Von ihrer Schönheit geblendet bückte ich mich, um einige von ihnen zu pflücken als …

Wuuuuuusch! Etwas flog so nah an meinen Gesicht vorbei, dass ich den Luftzug spüren konnte. Ich berührte überrascht meine Haut und drehte den Kopf gerade rechzeitig, um zu sehen, wie der Kopf eines Steinhundes von seinem Körper kippte und auf dem Boden landete, wo er in große, hässliche Teile zersprang. Dann hörte ich eine Stimme rufen: “Rühr die Blumen nicht an!”

Zu Tode erschrocken machte ich einen Sprung nach hinten, sah mich um und entdeckte überrascht den Rikscha-Jungen. Er hatte mich angeschrien.

“Wieso?” fragte ich verständnislos. “Was ist denn los?”

“Diese Blumen sind giftig”, erklärte der Junge und verneigte sich.

“Giftig?” Ein Tumult in der Luft zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Als ich aufsah erblickte ich Hunderte von Tauben über meinem Kopf, das Schwirren ihrer Flügel vermischte sich mit dem Wiehern von Pferden. Pferde? Nonnen mieden jede Form von Luxus und machten alle Wege zu Fuß. Wo kamen diese Pferde her?

“Die Blumen verbrennen deine Hände”, sagte der Junge. “Sie würden ganz rot werden.” Dann beugte er sich tiefer und flüsterte heiser in mein Ohr: “ Deine Wangen würde ich allerdings gern von der Hitze der Leidenschaft erröten sehen.”

“Oh!” Ich wandte mich ab, mein Gesicht färbte sich dunkelrot. Ein silbriger Hauch von Erregung glitt über die zarte Öffnung zwischen meinen Beinen. Dann schoss ein kochender Strahl durch meinen Bauch. Die geschmacklose Bemerkung des Jungen verstörte mich, aber noch mehr verstörte mich meine eigene Reaktion. Etwas Fremdes erwachte in mir, ich hatte den überwältigenden Wunsch, mich der rohen, sexuellen Energie dieser neuen Entdeckung hinzugeben. Zugleich hatte ich Angst vor diesem dunklen Gefühl, das ich nicht so recht bestimmen konnte. Angst, dass ich die Kontrolle verlieren, verruchte Dinge tun könnte, Dinge, an die ich bisher noch nie gedacht hatte und von denen ich nur immer noch mehr wollen würde.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und blickte auf die große Ausbuchtung zwischen den Beinen des Jungen, mein Herz klopfte schneller, als …

“Steig in die Rikscha!” hörte ich meinen Vater auf Englisch rufen. Er klang verzweifelt. “Wir fahren wieder.”

Ich sah, wie er die Treppe hinunter rannte, zwei Stufen auf einmal nahm, irgendetwas musste schiefgelaufen sein.

“Was ist los?” fragte ich. Der Wind frischte auf und trug den Geruch von schwitzenden Pferden mit sich, der mir scharf in die Nase drang. Also hatte ich mir das Wiehern doch nicht eingebildet.

Mein Vater packte mich am Arm und schob mich in die Rikscha. “Sie haben auf uns gewartet, diese Teufel. Steig sofort ein!”

Rasch tat ich, was er sagte und mein Vater schrie dem Jungen zu, er solle losfahren. Neugierig wagte ich einen kurzen Blick hinter den Wachstuchvorhängen hervor, bis mein Vater mich wieder nach hinten drückte. Ich sah noch Staub aufwirbeln. Irgendjemand folgte uns.

Der Junge rannte und rannte. Ich konnte seinen schweren Atem hören, der schneller und schneller wurde.

“Wer hat auf uns im Tempel gewartet, Vater?”

Der Junge rannte noch schneller. Er musste über göttliche Kräfte verfügen.

“Ich bin sicher, dass es die Teufel des Prinzen waren. Ich will gar nicht daran denken, was geschehen wäre, wenn dieser Junge nicht geschrien und die Vögel aufgescheucht hätte.” Er legte den Arm um mich, zog mich fest an sich, ich spürte, wie er zitterte. “Woher wussten sie, dass wir kommen würden?”

Heftiges Atmen. Dröhnende nackte Füße. Der Junge hörte nicht auf, zu rennen.

“Ogi-san.” Die alte Frau musste gelauscht haben, als mein Vater mir den Namen des Klosters genannt hatte.

Er nickte. “Sie ist keine schlechte Frau, aber schwach. Die Leute des Prinzen würden alles tun, um uns zu finden. Sogar eine alte Frau mit einem großen Schwert bedrohen.”

“Was geschieht, wenn sie uns schnappen?”

Er wich zurück, als könnte er es nicht ertragen, auch nur darüber nachzudenken. “Ich werde dich beschützen, und wenn es mein Leben kostet, meine Tochter.”

“Sie werden uns nicht erwischen”, sagte ich. “Der Rikschafahrer wird ihnen davonlaufen.”

“Du hast großes Vertrauen in diesen Jungen.” Er warf einen Blick nach draußen. “Ich glaube nicht, dass seine Füße uns retten werden, aber sein Verstand.”

“Wie meinst du das?”

“Sieh selbst.”

Während ich hinter dem Stoff hervorspähte, entdeckte ich überrascht, dass wir unter einer bogenförmigen Brücke gehalten hatten. Die tiefen Schatten der Bäume und die grüne Abenddämmerung schützten uns.

“Wir sind unter einer Brü…”

“Warte!” befahl mein Vater. “Hör doch.”

Sekunden später hörten wir Hufgetrappel über uns, galoppierende Pferde, unsere Verfolger rasten über uns hinweg.

Ich zählte drei, vielleicht vier Pferde, die Reiter trieben sie brüllend an. Ganz ruhig blieb ich in der Umarmung meines Vaters sitzen, hier fühlte ich mich geborgen und war überzeugt, dass er uns in Sicherheit bringen würde.

Doch die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden wogen schwer auf meinen Schultern und ich wurde schläfrig. Die Gefahr war vorüber, wenn auch nur für kurze Zeit. Ich erlaubte meinem müden Körper, zu entspannen, aber fand keine Ruhe und fragte mich ständig, warum diese Männer uns verfolgten. Warum?

Was verheimlichte mein Vater mir?

2. KAPITEL

Sanftes Atmen, das in der Nachtluft nachklingt, der Duft verbotener Liebe, stickige Hitze, die Liebenden unter ihrem Moskitonetz Schweiß auf die Haut treibt. All das legte sich wie ein sinnlicher Zauber über mich, als wir nach Kioto zurückkamen.

Dicke Regentropfen landeten auf grauen Ziegeldächern. Raupen schlängelten sich über die Straßen. Eine Nacht voll Angst, aber auch voller Magie.

“Noch sind wir nicht außer Gefahr, Kathlene.”

“Ich weiß, Vater.”

“Du hast mir immer vertraut, meine Tochter.”

“Ja, Vater.”

“Und du weißt, dass ich alles nur aus Liebe zu dir tue?”

“Ja.”

“Auch wenn ich dich an einen Ort bringe, der unziemlich für ein junges Mädchen scheint?”

“Ja.” Ich drückte eine Hand an meine Brust, um mein wild klopfendes Herz zu besänftigen. Ich spürte, dass gleich etwas Wundervolles und Seltsames geschehen würde. Etwas Geheimnisvolles, aber was konnte das nur sein?

“Ich habe nachgedacht, meine Tochter, und mir Fragen gestellt. Ich würde niemals zulassen, dass dir weh getan wird, und doch muss ich die schwerste Entscheidung meines Lebens treffen.”

“Was für eine Entscheidung?”

“Wo wir uns verstecken können. Kein Ort ist vor den Teufeln des Prinzen sicher. Es sei denn …”

Ich nahm seine Hand. Sie war kalt. “Ja, Vater?”

“Es sei denn, wir verstecken uns an einem Ort, an dem niemand nach uns suchen würde, einem Ort voller geheimer, männlicher Sehnsüchte, einem Ort, der allein dem Vergnügen gewidmet ist, einem Ort, von dem ich mir niemals hätte vorstellen können, dass ich ihn meiner Tochter zeigen würde. Aber ich habe keine Wahl. Wenn die Teufel des Prinzen uns finden, werden sie uns unaussprechliches Leid …”

“Nein! Sie werden uns nicht finden. Das werden sie nicht!”

Er drückte mich fester an sich bis ich kaum noch Luft bekam. Ich begriff nicht, warum er so aufgewühlt war. Wovon sprach er? Wohin wollte er mich bringen?

“Verurteile mich nicht, Kathlene. Du musst wissen, dass ich sehr lange darüber nachgedacht habe, was ich tun soll, und auch wenn du dadurch ein Leben kennen lernst, das mir nicht gefällt, habe ich keine andere Wahl.”

“Wohin gehen wir?”

“Zum Teehaus von Mikaeri Yanagi.”

“ Mikaeri Yanagi”, wiederholte ich. “Was bedeutet das. Den Namen habe ich noch nie gehört.”

“Das Teehaus des Sehnsuchtsbaumes.”

Sehnsuchtsbaum? Sehnsucht wonach?

“Simouyé wird dich verstecken”, fuhr er fort. “Da bin ich mir sicher.”

“ Simouyé?” Ich bemerkte mit Interesse, dass mein Vater nicht das traditionelle ehrende san dem Namen hinzufügte. Ein Name, der mir nichts sagte, aber sehr angenehm in meinen Ohren klang, so wie Vater ihn aussprach.

Mein Vater drückte meine Hand. “Simouyé ist eine wunderbare Freundin, Kathlene, eine Frau, der ich mein teuerstes Gut anvertrauen kann.” Er sah mit Zärtlichkeit auf mich hinunter.

“Vater …?” begann ich. Wer war diese Simouyé? Eine Lehrerin? Eine Freundin? Oder sogar mehr als eine Freundin? Etwas Geheimnisvolles?

Eine Geisha? Oh …

“Ja, Kathlene?”

Ich holte tief Luft, dann fand ich den Mut, die Frage zu stellen: “Hast du schon jemals ein Geisha-Haus besucht?”

Verblüfft über meine Frage schluckte er schwer, zögerte, und antwortete dann mit einem nüchternen Satz: “Eine Geisha ist eine Frau von größter Vornehmheit und untadeliger Moral.”

“Ich möchte eine Geisha werden”, sagte ich mit der Zuversicht meiner Jugend.

Angesichts dieser Worte schien er schockiert. “Du? Meine Tochter eine Geisha? Das ist unmöglich. Du bist eine Gaijin, eine Ausländerin. Nach der Tradition kann eine Gaijin niemals Geisha werden”, sagte er und zog mich an meinem blonden Haar.

Eine Traurigkeit, die mein Vater nicht bemerkte, überkam mich, meine Schultern sanken nach unten, mein Lächeln verblasste. Meinen Vater hingegen schien mein Wunsch, Geisha zu werden, zu amüsieren, er sank zurück in den Sitz und atmete tief durch.

Seine Worte klangen in meinen Ohren nach.

Eine Gaijin kann niemals Geisha werden, hatte er gesagt.

Doch ich glaubte ihm nicht. Wenn wir all diese Schwierigkeiten hinter uns hatten, würde ich es ihm beweisen. Wenn ich endlich erwachsen war …

Moment mal!

Irgendetwas Außergewöhnliches geschah da draußen. Ich lugte wieder hinter dem Vorhang hervor, fasziniert von den elegant aussehenden, getäfelten Häusern entlang des Kanals. Die roten Papierlaternen auf den Veranden schwangen vor und zurück. Große, japanische Schriftzeichen tanzten auf den Laternen. Der Regen verwischte die Worte, man konnte sie aber noch immer entziffern. Es waren Namen. Mädchennamen. Ich erinnerte mich an ähnliche Laternen in dem Geisha-Viertel Shinbashi in Tokio.

Aus Büchern wusste ich, wo wir uns befanden und lächelte. Nahe Gion in Ponto-chô, dem Geisha-Viertel in der Nähe des Flusses Kamo. Ein Schauer durchfuhr mich, wir befanden uns also an einem magischen Ort.

Aufgeregt rutschte ich auf dem Sitz ganz nach vorne und streckte den Kopf aus dem Fenster. Dicke Regentropfen platschten auf meine Nase, meine Augenlider und meine Lippen, ich schmeckte die Fremdartigkeit dieses Ortes. Ich ließ meinen Blick von einem Haus zum nächsten schweifen. Alles an der Welt der Geishas faszinierte mich. Ich fragte mich, welches wohl das Teehaus des Sehnsuchtsbaumes war. Der Junge rannte noch immer, und mehr als einmal warf er mir einen Blick zu.

Sein Anblick vergrößerte meine Begeisterung darüber, mich in dem Teehaus zu verstecken, nur noch mehr. Wenn dieser Junge rennen und rennen und rennen konnte, welche Freuden konnte er einem dann erst auf einem seidigen Futon bereiten …

Was, wenn ich Geisha wäre und er mein Liebhaber?

Welche Wonnen verbargen sich unter diesem winzigen Stück Stoff, das seine Männlichkeit kaum verhüllte?

Ich lehnte mich zurück, Donner grollte über uns. Ich hatte keine Angst. Der Klang des Regens, der aus zerrissenen Wolken fiel, ließ mich an einen Samurai-Krieger denken, der sein männliches Schwert in eine seufzende Jungfrau stieß.

Mit geschlossenen Augen wünschte ich mir, mein Aussehen ändern zu können, stellte mir vor, der Regen könnte mir das Gesicht einer Geisha formen mit den geschwungenen Augenbrauen, den hohen Wangenknochen und den karminroten Lippen. Geishas waren wie Regen, glaubte ich, ihre Haut ebenso transparent und schön, farblos und doch durchwirkt von einem Hauch Blau, Rot und Gelb. Wie sehr ich mir wünschte, eine von ihnen zu sein. Wie eine Märchenprinzessin, rein und unberührt bis der gut aussehende Prinz sie zu seiner Braut erwählte. Dann brachte er sie zu seinem von einem Festungsgraben umgebenen Schloss, das so aussah wie der Palast zu der Zeit, als Tokio noch Yeddo hieß, einem Palast, der so viele Räume hatte, dass kein Mensch lange genug lebte, um sie alle sehen zu können. Ich würde goldgesponnene Kimonos besitzen und Haarschmuck aus reinsten weißen Diamanten und schwärzesten Perlen.

Der Mann, den ich liebte, legte sich neben mich, wir waren beide nackt und erkundeten unsere Körper. Ich erfuhr das grenzenlose Vergnügen, dass ein Mann in mich eintauchte, dieses unglaubliche Gefühl, nach dem ich mich aus tiefstem Herzen sehnte, ein Sehnen, das niemals aufhören würde.

Der Rikscha-Junge lief eine winzige Kanalstraße hinunter auf eine Allee, bog in eine Gasse, überquerte eine kleine Brücke und hielt vor einem hinter hohen Mauern verborgenen Teehaus. Eine große Weide schwang in der Abendluft. Rosa und gelbe Lichter leuchteten hinter den Papierfenstern.

Aus Angst, der Traum würde verblassen, hielt ich den Atem an. Ich fühlte mich, als wäre ich direkt in ein Märchen hineingestolpert.

“Das Kind kann nicht hier bleiben, Edward-san”, sagte die Frau kurz angebunden, ihre Hände flatterten um sie herum.

“Ich habe keine Wahl, Simouyé-san”, entgegnete mein Vater ruppig. Dann fügte er etwas freundlicher hinzu: “Ich muss dich bitten, mir diesen Gefallen zu tun.”

“Das kann ich nicht. Wenn die Männer des Prinzen überall in der Stadt suchen, dann werden sie sie hier finden.”

“Nicht wenn wir sie mit einer schwarzen Perücke und einem Kimono verkleiden.”

Eine schwarze Perücke? Ich versuchte, mich in einer dunklen Ecke des Zimmers zu verbergen, doch die Frau namens Simouyé hörte nicht auf, mich zu betrachten. Das überraschte mich, weil es überhaupt nicht typisch für Japaner war. Aber ich konnte in diesem Moment auch nicht anders, als mindestens ebenso intensiv zurückzustarren.

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