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Der Sommer der Wünsche

hier erhältlich:

Es ist Sommer in der Blossom Street, und in Lydias Wollladen »A Good Yarn« findet ein neuer Strickkurs statt. Abbie ist eine der Teilnehmerinnen und sie weiß, erst wenn sie die Liebe überwindet, die zerbrochen vor ihr liegt, kann sie nach vorn schauen und wieder glücklich werden. Wie beim Stricken muss sie erst mit dem Vergangenen abschließen, bevor sie neu beginnen kann. Doch die Nadel lässt sich mit jeder Masche leichter führen, bis schließlich der letzte Faden vernäht ist. Und Abbie spürt: Gemeinsam mit Freunden kann sie alles schaffen.

»Wenn es darum geht, einen ganz besonderen Ort und unvergessliche, integre Charaktere zu schaffen, kann niemand Debbie Macomber das Wasser reichen.« BookPage

»Debbie Macomber schafft es ohne Anstrengung, dass jedes Buch der Blossom-Street-Serie einzigartig und erfrischend ist.«
Library Journal


  • Erscheinungstag: 02.07.2018
  • Aus der Serie: Blossom Street Serie
  • Bandnummer: 6
  • Seitenanzahl: 432
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955768089
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Liebe Freunde,

willkommen zurück in der Blossom Street und in A Good Yarn, dem Wollgeschäft von Lydia Goetz. Lydias Familie und ihre Freunde möchten euch über das, was sich in dieser Straße in Seattle so tut, auf dem Laufenden halten.

Während eines Aufenthalts in Australien vor ein paar Jahren suchte ich ein Wollgeschäft auf, während die anderen sich den Sehenswürdigkeiten von Sydney widmeten. An der Kasse (ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass ich keine Wolle kaufe, oder?) fiel mir ein Anmeldeformular auf, das dort auslag. Es ging um einen Strickkurs, der Menschen dabei helfen sollte, mit dem Rauchen aufzuhören. Was für eine tolle Idee, dachte ich – natürlich für ein Buch. Also griff ich sie auf, erweiterte sie (Lydias Kurs wendet sich allgemein an Menschen, die irgendeine schlechte Gewohnheit ablegen wollen, ganz gleich, welche; er beschränkt sich nicht aufs Rauchen) und wartete darauf, dass mir die passende Geschichte dazu einfiel. Mit Freuden kann ich sagen, dass ihr sie jetzt in Händen haltet. Aus der Idee »Stricken, um loszulassen« hat sich dieses Buch entwickelt. Darin werdet ihr neue Bekanntschaften machen und alte wiedersehen. Ja, Anne Marie, Ellen und Baxter spielen auch wieder mit. Ellen arbeitet immer noch an ihrer Wunschliste. Macht euch auf eine Überraschung gefasst.

Als ich »Das Muster der Liebe«, mein erstes Buch über Lydia und ihr Wollgeschäft schrieb, hatte ich nicht vor, daraus eine ganze Reihe zu machen. Ich hatte nicht einmal damit gerechnet, dass es überhaupt dazu kommen könnte. Wer hätte das schon gedacht? Ich jedenfalls nicht. Im Nachhinein ergibt es allerdings einen Sinn, denn bisher ist noch jedes Buch, in dem meine eigenen Passionen eine Rolle spielen (in diesem Fall Wolle und Stricken), sehr gut bei meinen Lesern angekommen.

Ich hoffe, dass ihr genauso gespannt darauf seid, zu sehen, wie es mit Lydia und ihren Freunden und Freundinnen weitergeht und wie sie sich darauf freut, ihren Laden zu öffnen. Genießt euren Besuch! Ihr könnt sicher sein: Sie hat noch weitere Kurse zu bieten, mehr Lektionen zu lernen und weitere Freundschaften zu schließen.

Herzliche Grüße

Debbie Macomber

PS: Ich freue mich immer, von meinen Lesern und Leserinnen zu hören. Ihr könnt mich über meine Webseite (www.debbiemacomber.com) oder per Brief (P.O. Box 1458, Port Orchard, WA 98366, USA) erreichen.

Für Delilah,
die Freundin, die Gott mir geschickt hat

1. Kapitel

Lydia Goetz

Es war Mittwochmorgen an einem etwas weniger freundlichen Junitag. Ich drehte das Schild in der Tür meines Wollgeschäfts in der Blossom Street auf Geöffnet und blieb einen Moment auf der Türschwelle stehen, um den süßen Duft von Taglilien, Gladiolen, Rosen und Lavendel einzuatmen, der von Susannah’s Garden, dem Blumenladen nebenan, ausging.

Der Sommer hatte begonnen, und obwohl der Himmel bedeckt war und es ganz so aussah, als könnte es jeden Augenblick anfangen zu regnen, herrschte in meinem Herzen strahlender Sonnenschein. Mein Mann Brad lachte mich jedes Mal aus, wenn ich so etwas sagte, aber das war mir egal. Als eine Frau, die nicht nur ein-, sondern zweimal eine Krebserkrankung überlebt hatte, fand ich, dass ich gelegentlich sentimentale Bemerkungen machen durfte. Ganz besonders heute.

Ich atmete tief ein und langsam wieder aus, genoss den frühmorgendlichen Frieden. Konnte es einen schöneren Ort geben als Seattle im Sommer? Ich glaube nicht. Dazu trugen auch die vielen Blumen bei, die vor Susannah’s Garden ausgestellt waren. Die Farbenpracht und der berauschende Duft, der zu mir herübergeweht wurde, ließen mich mehr als nur froh sein, dass mein Laden ausgerechnet hier lag.

Whiskers, mein Ladenkater, wie Brad ihn nannte, schlenderte über den Hartholzboden und sprang ins Schaufenster, wo er sich zwischen den dort arrangierten Docken pastellfarbener Wolle einrollte. Fast jeden Tag lag er dort und war dadurch schon längst zu einem Liebling der Nachbarschaft geworden. Die Wohnung im Obergeschoss diente zurzeit als zusätzlicher Lagerraum für Garne; vielleicht würde ich sie eines Tages wieder vermieten, aber derzeit war noch nichts geplant.

Im French Café war wie jeden Morgen schon eine Menge los. In den Schaufenstern lagen Gebäckstücke, Brote und Croissants, noch warm vom Backofen, und ihr köstlicher Duft ergänzte die Gerüche, die ich mit dem Sommer in der Blossom Street verband. Alix Turner war normalerweise schon um fünf Uhr morgens da, um all diese verführerischen Köstlichkeiten zu backen. Sie gehörte zu meinen engsten Freundinnen – und zu meinen ersten Kundinnen. Ich war so stolz auf alles, was sie in den letzten Jahren erreicht hatte. Man konnte mit Fug und Recht behaupten, dass sie ihr Leben neu erfunden hatte – mit ein wenig Hilfe von ihren Freundinnen. Inzwischen hatte sie einen Schulabschluss, einen Beruf und war mit einem Mann verheiratet, der wie für sie geschaffen schien.

Blossom Street Books etwas weiter unten an der Straße wartete auch schon auf Kundschaft. Anne Marie Roche und ihre Angestellten ließen häufig die Eingangstür offen stehen, eine Willkommensgeste, die Passanten einlud, den Laden zu betreten und darin zu stöbern. Sie und ihre Tochter Ellen würden etwas später am Tag aus Paris zurückkommen.

Beinahe jeden Nachmittag führte Ellen ihren Yorkshire Terrier an meinem Schaufenster vorbei, damit Whiskers und Baxter einander anstarren konnten. Ellen war davon überzeugt, dass das alles nur Show war. Sie glaubte, der Kater und der Hund seien in Wirklichkeit gute Freunde, wollten aber nicht, dass wir das durchschauten.

Ich lächelte zu Whiskers hinüber, weil ich nicht anders konnte, als meine Freude und meine Aufregung mit jemandem zu teilen, und sei es auch nur mit dem Kater. Tatsächlich hätte ich die frohe Nachricht am liebsten in die ganze Welt hinausposaunt: Gestern hatten wir erfahren, dass einer Adoption unsererseits nichts mehr im Wege stand. Das Jugendamt hatte uns die Eignung als Adoptiveltern bescheinigt. Noch hatte ich niemandem, ja, nicht einmal meiner Schwester Margaret davon erzählt. Wir hatten die Befragungen hinter uns gebracht, unsere Wohnsituation unter die Lupe nehmen lassen, Fingerabdrücke geliefert. Und am Abend zuvor hatten wir das Ergebnis erfahren.

Wir würden ein Baby adoptieren.

Wegen meiner Krebserkrankung kam eine Schwangerschaft nicht infrage. Eine Empfängnis war bei mir nicht mehr möglich, aber der Wunsch nach einem Baby so stark wie eh und je. Er war wie ein Schmerz, der nie ganz verschwand. So gut es ging, habe ich versucht, dies vor Brad zu verbergen. Wann immer ich daran denken musste, was mir der Krebs genommen hatte, gab ich mir größte Mühe, diesem Gedanken entgegenzusetzen, was mir in meinem Leben alles an Gutem zuteilgeworden war. Ich wollte jeden Tag feiern, jede Minute genießen – ohne Groll und ohne Reue.

Es gab so vieles, wofür ich dankbar sein konnte. Ich lebte und war frei von Krebs. Außerdem war ich mit einem Mann verheiratet, den ich anhimmelte. Sein Sohn Cody, inzwischen neun Jahre alt, war auch mein Sohn geworden. Und mir gehörte ein erfolgreiches Geschäft, das mir große Freude bereitete und mir eine tiefe innere Befriedigung bescherte. Als ich seinerzeit A Good Yarn eröffnet hatte, war das meine Art, in die Welt hinauszurufen, dass ich mir vom Krebs nichts mehr nehmen lassen wollte. Ich hatte leben wollen, und zwar ohne die ständige Bedrohung durch Krankheit und Tod. Ich hatte mich in der Sonne aalen wollen. Und das will ich immer noch.

So war A Good Yarn der Beginn meines neuen Lebens geworden. Innerhalb eines Jahres nach Geschäftseröffnung hatte ich Brad Goetz kennengelernt und ihn im folgenden Frühjahr geheiratet. Wegen all der Dinge, die ich während meiner Teenagerzeit und dann noch einmal mit Mitte zwanzig durchgemacht hatte, fehlte es mir an Erfahrung mit Männern und Beziehungen. Zuerst jagte mir Brads Liebe große Angst ein. Dann lernte ich, etwas Gutes nicht zurückzuweisen, nur weil ich Angst davor hatte, es wieder zu verlieren. Ich begriff, dass ich diesem Mann vertrauen konnte – und mir selbst auch.

Ja, ich konnte mich unendlich glücklich schätzen, von ihm und Cody geliebt zu werden. An jedem einzelnen Tag dankte ich Gott für die beiden Männer in meinem Leben.

Und doch – trotz allem, was ich hatte – wünschte ich mir sehnlichst etwas, das ich nicht hatte: ein Baby in den Armen zu halten. Unser Baby. Brad, der mich so gut kannte, verstand mein Bedürfnis. Nachdem wir endlose Wochen über das Thema diskutiert hatten, unentschlossen und schwankend, das Für und Wider abwägend, hatten wir unsere Entscheidung getroffen: Wir wollten ein Kind adoptieren.

Den entscheidenden Ausschlag dafür gab ein Ereignis im Freundeskreis: Anne Marie Roche adoptierte die achtjährige Ellen.

Mir war klar, dass die Wartezeit auf ein Neugeborenes sehr lang werden konnte, aber darauf waren wir beide vorbereitet. Obwohl wir uns über ein Kind gleich welchen Geschlechts gefreut hätten, sehnte ich mich doch heimlich nach einem kleinen Mädchen.

Ich hörte, wie die Hintertür ging, und drehte mich um. Meine Schwester Margaret hatte den Laden betreten. Sie arbeitete schon beinahe vom ersten Tag an in meinem Geschäft mit. Wir waren zwar so verschieden, wie zwei Schwestern nur sein konnten, standen uns aber sehr nahe. Margaret war der ausgleichende Gegenpol zu mir, immer praktisch, immer pragmatisch, und ich glaube, dass es umgekehrt genauso aussah, weil ich viel optimistischer war als sie, viel mehr geneigt, Launen nachzugeben.

»Guten Morgen!«, begrüßte ich sie fröhlich. Ich hätte mein Glück nicht verbergen können, selbst wenn ich es gewollt hätte.

»Es wird schütten wie aus Eimern«, grummelte sie, zog ihren Regenmantel aus und hängte ihn im hinteren Lagerraum auf.

Meine Schwester neigte dazu, immer das Negative in allem zu sehen. Für Margaret würde das Glas immer halb leer sein. Oder ganz leer – wenn nicht sogar in Scherben auf dem Boden liegend. Im Laufe der Jahre hatte ich mich an ihre Einstellung gewöhnt und ignorierte sie einfach.

Nachdem sie ihren Mantel weggehängt hatte, starrte Margaret mich an und runzelte die Stirn. »Warum bist du so fröhlich?«, fragte sie. »Jeder sieht doch, dass es einen Wolkenbruch geben wird.«

»Ich? Fröhlich?« Es hatte wenig Sinn, zu versuchen, mit meiner Neuigkeit hinterm Berg zu halten, obwohl ich wusste, dass Margaret meine Freude am wenigsten verstehen würde. Sie würde jede Menge Einwände haben und keine Hemmungen, ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen. Das lag an ihrer pessimistischen Grundeinstellung, nehme ich an, und daran, dass sie sich Sorgen um mich machte, obwohl sie das nie zugeben würde.

Noch immer sah Margaret mich an. »Du grinst von einem Ohr bis zum anderen.«

Ich beschäftigte mich mit der Kasse, nur um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen. Am besten sagte ich es ihr einfach, obwohl mir vor ihrer Reaktion graute. »Brad und ich haben uns als Adoptiveltern beworben«, platzte ich heraus, weil ich nicht anders konnte. »Und unser Antrag ist angenommen worden.«

Verblüfftes Schweigen war die Antwort.

»Ich weiß, dass du glaubst, wir machen einen Fehler«, fügte ich hastig hinzu.

»Das habe ich nicht gesagt.« Langsam kam Margaret auf mich zu.

»Das brauchtest du nicht zu sagen«, erwiderte ich. Einmal, nur ein einziges Mal, hätte ich mir gewünscht, dass Margaret sich für mich und mit mir freute, ohne Zweifel, Einwände und Bedenken zu äußern. »Dein Schweigen sagte alles.«

Margaret trat neben mich an den Tresen neben der Kasse. Offenbar schien sie zu spüren, dass ihre Reaktion mich verletzt hatte. »Ich frage mich nur, ob eine Adoption wirklich so eine weise Entscheidung ist.«

»Margaret …«, setzte ich seufzend an. »Brad und ich, wir wissen, was wir tun.« Obwohl meine Schwester es nicht offen ausgesprochen hatte, konnte ich mir denken, was ihr die größten Sorgen bereitete. Sie hatte Angst, dass der Krebs wieder zurückkehren könnte. Das war eine ernst zu nehmende Möglichkeit und eine Überlegung wert. Weder Brad noch ich nahmen dieses Problem auf die leichte Schulter.

»Brad ist einverstanden?« Meine Schwester klang skeptisch.

»Natürlich ist er einverstanden! Ich würde nie etwas gegen seinen Willen tun.«

Margaret wirkte immer noch nicht überzeugt. »Du bist sicher, dass ihr genau das wollt?«

»Ja«, erwiderte ich nachdrücklich. Manchmal dringt man nur so zu ihr durch. »Brad weiß genauso gut wie ich, welche Risiken wir eingehen. Du musst es nicht aussprechen, Margaret. Ich verstehe, warum du dir meinetwegen Sorgen machst, aber ich bin es leid, in ständiger Furcht zu leben.«

In Margarets Augen stand deutliche Besorgnis, während sie mich eingehend musterte. »Was, wenn die Adoptionsagentur kein Kind für euch findet?«

Auch darüber hatten Brad und ich uns unterhalten. Ja, das konnte durchaus passieren. Ich zuckte die Achseln. »Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wir versuchen es einfach.«

»Ihr wollt ein Kleinkind?«

»Ja.« Ich stellte mir ein Neugeborenes vor, gewickelt in eine weiche rosa Decke, das mir sanft in die Arme gelegt wurde. An diesem Bild hielt ich mich fest, ließ mich davon trösten und mit Hoffnung erfüllen.

Zu meiner Überraschung kam Margaret nicht sofort mit einem weiteren Einwand. Nachdem sie eine oder zwei Minuten nachdenklich geschwiegen hatte, sagte sie leise: »Du wärst eine gute Mutter … das bist du jetzt schon.«

Ich bin mir sicher, dass ich sie mit offenem Mund anstarrte, denn der Schock, den mir Margarets Bestätigung versetzte, war beinahe mehr, als ich bewältigen konnte. Meine Schwester zollte mir Anerkennung – ein absolutes Novum. Halt, nein, das war nicht fair. Schließlich hatte sie ihren Teil dazu beigetragen, dass Brad und ich wieder zueinanderfanden, nachdem ich ihn von mir gestoßen hatte. Ihr Eingreifen hatte letztlich dazu geführt, dass wir heirateten.

»Danke«, flüsterte ich und berührte ihren Arm.

Margaret gab eine schroffe, unverständliche Antwort und ging hinüber zu dem Tisch hinten im Laden, wo sie sich einen Stuhl nahm, sich hinsetzte und ihre Häkelarbeit auspackte.

»Ich habe das Poster aufgehängt, das du für den neuen Kurs angefertigt hast«, sagte ich, bemüht, die Rührung in meiner Stimme zu verbergen. Dass Margaret mir ihren Segen zu irgendetwas gab, war das Letzte, was ich von ihr erwartet hatte, und ihre Worte berührten mich zutiefst.

Auf meine Bemerkung reagierte sie mit einem Nicken.

Die Idee für den neuen Strickkurs stammte von Margaret. »Stricken, um loszulassen«, so nannte sie den Kurs, und ihr Vorschlag gefiel mir ausgezeichnet. Seit der Eröffnung des Wollgeschäfts vor fünf Jahren war mir aufgefallen, wie viele unterschiedliche Motive meine Kunden – vor allem Frauen, aber auch ein paar Männer – veranlassten, stricken lernen zu wollen. Manche suchten nach Ablenkung oder einem Fluchtweg, einer Sache, auf die sie sich konzentrieren konnten, um sich von irgendeiner Gewohnheit oder einem beherrschenden Gedanken zu befreien. Andere kamen, weil sie sich fürs Stricken begeisterten, und wieder andere hofften, ihrer Liebe zu jemandem oder ihrer Kreativität – oder auch beidem – mit etwas Handgearbeitetem Ausdruck verleihen zu können.

Vor vier Jahren hatte sich Courtney Pulanski, eine Highschool-Schülerin, für meinen Sockenstrickkurs eingeschrieben. Dieser Kurs hatte dazu beigetragen, dass ihr Versuch abzunehmen von Erfolg gekrönt war. Kaum zu glauben, dass Courtney inzwischen auf die Oberstufe des Colleges ging und immer noch gern strickte. Und wichtiger noch: Sie hatte das Gewicht halten können, das sie in jenem Sommer erreicht hatte.

»Ich hoffe, Alix versteht den Wink«, sagte Margaret in meine Gedanken hinein.

Ich begriff nicht gleich, worauf sie hinauswollte. »Wie bitte?«

»Alix raucht wieder.«

Nicht, dass mir das entgangen wäre. Sie roch jedes Mal, wenn sie den Laden betrat, nach Zigarettenrauch. Der Geruch hing in ihren Kleidern und ihren Haaren und ließ sich nicht verbergen. Dennoch schien Alix zu glauben, dass es niemandem auffiel. Tatsächlich hatten es alle längst bemerkt.

»Wenn du mich fragst: Sie würde gern aufhören.«

»Dann sollte sie sich für den Kurs anmelden«, erklärte Margaret mit Nachdruck. »Brauchen könnte sie es.«

Das war typisch für Margaret. Sie glaubte immer zu wissen, was das Beste für jemanden war. Aber im Moment amüsierte mich ihre bestimmende Art eher, als dass sie mich ärgerte.

Die erste Kundin des Tages – eine Frau, die ich noch nie gesehen hatte – betrat den Laden, und fünfzehn Minuten später hatte ich Garn für etwa hundert Dollar verkauft. Ein vielversprechender Start in den Tag.

Sowie sich die Ladentür hinter der Kundin geschlossen hatte, legte Margaret ihre Häkelarbeit beiseite, eine Decke für unsere Mutter, die in einem nahegelegenen Pflegeheim lebte. »Du weißt aber, was geschehen wird, nicht wahr?«

»Geschehen womit?«, fragte ich verwirrt.

»Mit dieser Adoptionsgeschichte.«

Ich erstarrte. Natürlich hätte ich wissen müssen, dass Margaret das Thema nicht ruhen lassen würde. Zumindest nicht, bevor sie ein paar düstere Prophezeiungen von sich gegeben hatte. Mir war klar, dass sie diesem Drang nicht widerstehen konnte, genauso wie mir klar war, dass ihr Beschützerinstinkt mir gegenüber der eigentliche Auslöser war. Aber gerade jetzt wollte ich nichts dergleichen hören.

»Und das wäre?«, fragte ich. Hoffentlich konnte ich meinen Ärger gut genug verbergen.

»Hast du schon mit einem Sozialarbeiter darüber gesprochen?«

»Ja, natürlich.« Ich hatte mit Anne Marie geredet, die mir Evelyn Boyle empfohlen hatte, die Sozialarbeiterin, die für Ellen zuständig gewesen war und ihre Adoption in die Wege geleitet hatte. Anne Marie und Ellen passten so perfekt zusammen, dass ihre Geschichte mich dazu inspiriert hatte, meine Ängste und Befürchtungen zu überwinden. Also waren Brad und ich an Evelyn herangetreten.

Margaret schüttelte den Kopf, was mich nur noch mehr verärgerte.

»Anne Marie hat mir die Telefonnummer der Frau gegeben, die ihr bei Ellens Adoption zur Seite gestanden hat.«

Bestürzt runzelte Margaret die Stirn und presste die Lippen aufeinander.

»Was ist jetzt schon wieder?«, fragte ich, bemüht, ruhig zu bleiben.

»Das würde ich nicht empfehlen.«

»Warum nicht? Im Übrigen ist es sowieso zu spät.«

»Diese Sozialarbeiterin kümmert sich um Pflegekinder, richtig?«

»Soweit ich weiß, ja …« Ich wusste es mit Sicherheit, konnte aber nicht erkennen, inwiefern das von Bedeutung sein sollte. »Was spielt das für eine Rolle?«

Meine Schwester verdrehte die Augen, als hielte sie das für völlig offensichtlich. »Weil sie Kinder in ihren Akten hat«, erklärte sie übertrieben geduldig. »Vermutlich hat sie viele Kinder, von denen sie nicht weiß, wo sie sie unterbringen soll. Lass es dir gesagt sein: Sie wird einen Anlass finden, euch ein bedürftiges Kind aufs Auge zu drücken. Und zwar ganz bestimmt keinen Säugling.«

»Margaret«, erklärte ich spitz, »Brad und ich werden einen Säugling adoptieren. Diese Sozialarbeiterin, Evelyn heißt sie, hilft uns nur bei dem ganzen Prozedere. Das ist alles.«

Ein paar Minuten sagte Margaret nichts. Aber gerade, als es so aussah, als sei sie bereit, das Thema fallen zu lassen, fügte sie hinzu: »Es könnte sich als nicht so leicht erweisen, einen Säugling zu finden.«

»Vielleicht nicht«, stimmte ich zu, weil ich nicht mit ihr streiten wollte. »Wir müssen abwarten und sehen, was die Adoptionsbehörde dazu zu sagen hat.«

»Es könnte teuer werden – die Kosten für die Anwälte und so weiter.«

»Kommt Zeit, kommt Rat.«

Margaret wandte den Blick ab, die Stirn leicht gerunzelt, als müsste sie jeden negativen Aspekt des Ganzen bedenken. »Es gibt auch private Agenturen, die Adoptionen vermitteln, weißt du.«

Ja, das wusste ich, aber was die Kosten anging, so war es besser, sich erst an die staatliche Institution zu wenden.

»Was haltet ihr von einer Adoption aus dem Ausland?«

Anscheinend versuchte Margaret zu helfen, aber ich war davon überzeugt, auf der Hut bleiben zu müssen.

»Das behalten wir im Hinterkopf.«

»Soweit ich gehört habe, ist das noch teurer als der staatliche Weg.«

»Na ja, es ist eine weitere Möglichkeit, die man in Betracht ziehen könnte …«

Margarets Schultern hoben sich, als sie einen tiefen Seufzer ausstieß. »Wirst du es Mom erzählen?«

Angesichts der zerbrechlichen Gesundheit und des raschen geistigen Verfalls unserer Mutter hatte ich nicht die Absicht. »Vermutlich nicht …«

Margaret nickte, die Lippen zusammengekniffen.

»Mom fällt es schon schwer genug, sich daran zu erinnern, dass Cody mein Stiefsohn ist«, erinnerte ich sie. Bei unserem letzten Besuch hatte sie eine Menge Fragen über den »jungen Mann« gestellt, den ich mitgebracht hatte.

Meine Schwester schluckte. »Mom hat Julia nicht erkannt, als wir sie vor ein paar Tagen besucht haben.«

Ein plötzlicher Schmerz durchzuckte mich. Ich litt mit Margaret, mit ihrer Tochter, mit Mom. Das war das erste Mal, dass Margaret so etwas erwähnte. Der geistige Verfall unserer Mutter war in den letzten zwei Jahren rasch vorangeschritten, und ich vermutete, dass sie schon bald auch mich nicht mehr erkennen würde. Margaret und ich teilten uns die Verantwortung, regelmäßig nach ihr zu sehen und dafür zu sorgen, dass es ihr gut ging und sie sich wohlfühlte. Inzwischen hatten meine Schwester und ich die Elternrolle übernommen und sorgten für unsere Mutter.

Ich konnte ganz genau sagen, wann dieser Rollentausch stattgefunden hatte, nämlich an dem Tag, an dem Moms Nachbarin sie bewusstlos in ihrem Garten entdeckt hatte. Sie war beim Gießen der Blumen zusammengebrochen, und von diesem Augenblick an hatte sich alles verändert.

Unsere Mutter war nicht mehr die Frau, die wir unser Leben lang gekannt hatten. Inzwischen lebte sie in einem Pflegeheim und wurde immer verwirrter und unsicherer. Es brach mir das Herz, mit ansehen zu müssen, wie sie sich nach Kräften bemühte, ihre Verwirrung darüber, was mit ihr geschah, zu verbergen.

»Mom wird sich für dich freuen«, murmelte Margaret. »Irgendwann wird sich der Nebel in ihrem Geist lichten, und sie wird erkennen, dass du ein Baby hast.«

Ich lächelte und hoffte, sie würde recht behalten, aber ich hegte doch so meine Zweifel … und wusste, dass es Margaret genauso ging.

Bevor wir unser Gespräch fortführen konnten, schellte die Glocke über der Ladentür, und ich blickte auf. Eine attraktive junge Frau, die ich nicht kannte, hatte den Laden betreten.

»Hallo«, begrüßte ich sie mit einem einladenden Lächeln. »Kann ich Ihnen helfen?«

Die Frau nickte und spielte nervös mit dem Handy in ihrer Hand. »Ja … ich habe das Plakat für den Strickkurs in Ihrem Schaufenster gesehen: Stricken, um loszulassen.«

»Können Sie bereits stricken?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein … das heißt, ja, ein bisschen. Ich habe es vor Jahren mal gelernt, aber alles wieder vergessen. Wäre der Kurs für jemanden wie mich zu fortgeschritten?«

»Ganz und gar nicht. Ich bin sicher, Sie lernen es schnell. Jedenfalls würde ich mich freuen, Ihnen dabei zu helfen, Ihre Kenntnisse aufzufrischen.« Ich erklärte ihr, dass der Kurs über sieben Unterrichtseinheiten gehen würde, und nannte ihr die Höhe der Kursgebühr.

Erneut nickte sie. »Man kann sich für den Kurs anmelden, egal, worum es geht? Wovon man loskommen möchte?« Während sie sprach, hielt sie den Blick zu Boden gesenkt.

»Natürlich«, versicherte ich ihr.

»Gut.« Sie legte ihre Tasche und das Handy auf den Tresen. »Ich würde gern sofort bezahlen.« Damit reichte sie mir eine Kreditkarte. Ich las den Namen: Phoebe Rylander.

»Sie sind die allererste Teilnehmerin«, informierte ich sie.

»Und der Kurs beginnt nächste Woche?«

»Ja.«

»Auf dem Plakat steht, dass er mittwochs von achtzehn bis zwanzig Uhr stattfindet.«

»Ja, der Laden hat so lange geöffnet. Das wird mein erster Abendkurs.«

Ich kümmerte mich um die Zahlung und trug sie in die Anmeldeliste ein. »Von was versuchen Sie loszukommen?«, fragte ich freundlich.

»Nicht von was, sondern von wem«, flüsterte sie.

»Oh …« Diese Antwort war eine Überraschung.

»Es gibt da einen Mann, über den ich hinwegkommen muss«, fuhr sie fort, und Tränen schossen ihr in die Augen. »Einen Mann, den ich … einmal geliebt habe.«

2. Kapitel

Phoebe Rylander

Clark machte ihre Trennung viel schwieriger, als nötig gewesen wäre. Phoebe hatte A Good Yarn gerade verlassen, als ihr Handy sich schon wieder meldete. Ohne auf die Anrufer-ID zu schauen, war ihr klar: Es war Clark Snowden, ihr Verlobter. Nein … ihr Exverlobter.

Der Mann, den sie trotz allem immer noch liebte.

Sie hatte keine andere Wahl gehabt, als die Verlobung zu lösen, egal, wie viel Kummer ihr das bereitete. Wenn sie daran dachte, was er getan hatte, wusste sie: Sie durfte sich nicht noch einmal von ihm herumkriegen lassen. Diesmal nicht. Es war endgültig vorbei. Sie sagte sich, dass nichts, was er sagen oder tun konnte, ihre Meinung ändern würde. Aber schon bald würde sie ihre leere Wohnung betreten und sich darin so einsam und isoliert fühlen, dass sie fürchtete, ihre Entschlossenheit würde ins Wanken geraten. An diesem Nachmittag fühlte sie sich stärker, hatte ihre Gefühle besser im Griff. Der Strickkurs würde ihr eine zusätzliche Hilfe sein.

Das Wissen darum, was sie tun musste, machte die Sache nicht leichter. Clarks Bemühungen, sie zurückzugewinnen, ließen die ohnehin schon schwere Prüfung zu einem noch schlimmeren Fiasko werden. Er war sogar so weit gegangen, ihre Familien in die Sache mit hineinzuziehen. Aber sie konnte sich nicht erlauben nachzugeben. Sie konnte es einfach nicht.

Ihr Handy dudelte weiter vor sich hin, um seinen eingehenden Anruf zu signalisieren.

Wenn sie sich nicht meldete, würde Clark einfach eine Nachricht hinterlassen und es dann noch einmal versuchen. Also nahm sie das Gespräch an. »Ruf mich nicht mehr an«, sagte sie nachdrücklich, selbst überrascht, wie bestimmt sie klang. »Wie oft muss ich dir das noch sagen?«

»Phoebe, bitte … tu das nicht. Lass mich …«

»Dieses Gespräch ist beendet.« Ihr Finger schwebte über dem roten Telefonhörersymbol.

»Phoebe, bitte, du solltest mich wenigstens anhören.«

»Das habe ich bereits getan.« Sie zögerte. »Es gibt nichts weiter zu sagen.«

»Ich flehe dich an.«

»Clark, ich habe dir den Verlobungsring zurückgegeben. Begreif doch: Es ist vorbei. Wir sind fertig miteinander.«

»Du bist wütend und hast jedes Recht dazu. Aber wenn du mir fünf Minuten gibst, nur fünf Minuten, dann könnte ich dir alles erklären.«

Oh, er war gut – wie schon so manche Geschworenengruppe erlebt hatte. »Nein, Clark, darauf bin ich einmal reingefallen. Das war’s. Ich bin fertig mit dir. Seit einer Woche sind wir offiziell nicht mehr verlobt.«

»Das meinst du doch nicht so! Das kannst du einfach nicht ernst meinen. Du liebst mich, und ich bin verrückt nach dir … Das weißt du, Phoebe. Das musst du wissen. Ich würde niemals etwas tun, womit ich dich verletze. Eher würde ich sterben.«

»Wenn das stimmte, würde ich jetzt einen Sarg für dich aussuchen, denn du hast mich verletzt, Clark.« Ihr versagte die Stimme, und sie hasste es, ihm diese kleine Schwäche gezeigt zu haben. Statt die Unterredung fortzusetzen, legte sie auf.

Rasch eilte sie die Blossom Street hinunter, halb blind von Tränen. Sie hatte ihre Mittagspause für einen Spaziergang genutzt und war weiter gegangen, als sie das normalerweise tat. In der Blossom Street war sie noch nie zuvor gewesen. Inzwischen war sie spät dran und musste sich beeilen, um zurück an ihren Arbeitsplatz zu kommen. Ihr Chef in der Madison Avenue Physical Therapy hatte zwar sehr viel Verständnis, wusste es aber ganz gewiss nicht zu schätzen, wenn sie einen Patienten warten ließ.

In der Klinik angekommen, war Phoebe ganz außer Atem. Sie hatte nichts zu Mittag gegessen, und ihr Magen beschwerte sich heftig. Egal, jetzt konnte sie daran nichts ändern.

Mrs. Dover saß bereits im Wartezimmer, als Phoebe zur Eingangstür hereineilte. Langsam ließ ihre Patientin die Zeitschrift, in der sie gestöbert hatte, sinken und lächelte Phoebe an. Sie gab ihr Bestes, das Lächeln zu erwidern. Caroline Dover hatte eine Vollprothese für ihr Knie bekommen und deshalb jeden Mittwoch um eins einen Termin bei ihr. Schon seit sechs Wochen kam sie zur Behandlung, und sie machten Fortschritte, wenn auch nur langsam.

»Kommen Sie mit nach hinten«, sagte Phoebe zu der älteren Dame. Sie eilte voran und holte tief Luft. Um diesen Nachmittag zu überstehen, würde sie eine Menge Willenskraft aufbringen müssen.

Indem sie sich einzig auf ihre Patienten konzentrierte, schaffte sie es, bis zum Feierabend durchzuhalten. Um zehn nach fünf zog sie sich ihre Jacke an und schnappte sich ihre Handtasche. Nichts wie weg hier. Da sie nicht widerstehen konnte, warf sie einen Blick auf ihr Handy. Clark hatte drei Nachrichten hinterlassen. Nein, auf keinen Fall wollte sie sich umstimmen lassen, also löschte sie alle drei, ohne sie sich anzuhören.

Seiner Stimme zu lauschen, wagte sie einfach nicht. Dafür war sie viel zu leicht beeinflussbar. Das Problem war nämlich, dass sie ihm glauben wollte … Nichts wünschte sie sich sehnlicher, als dass das Ganze sich einfach in Luft auflöste. Genau deshalb hatte sie sich so spontan für den Strickkurs angemeldet. Stricken, um loszulassen. Das Plakat im Schaufenster des Wollgeschäfts war ihr wie eine blinkende Neonreklame erschienen. Wenn sie Clark davon überzeugen wollte, dass sie es ernst meinte – und das tat sie –, dann brauchte sie etwas, das sie ablenkte und ihr half, die nächsten paar Wochen zu überstehen.

Sie schloss die Hand fester um ihr Smartphone. Obwohl sie die Buttons drückte, um Clarks Nachrichten zu löschen, sehnte sie sich danach, mit ihm zu reden. So gern hätte sie sich seiner Liebe versichert. So gern hätte sie einen plausiblen Grund von ihm gehört, der sein Bedürfnis, es mit anderen Frauen zu treiben, erklärte. Doch es gab keine Gründe. Keine Entschuldigungen. Nichts, was er sagen konnte, würde irgendetwas daran ändern, was er getan hatte.

»Hattest du wieder mal Krach mit Clark?«, erkundigte sich ihr Chef Bill Boyington, als sie gerade die Klinik verlassen wollte.

Die Frage traf sie völlig unvorbereitet.

»Wie kommst du darauf?« Phoebe hatte die ganze Woche hindurch alles getan, um ihre Arbeit nicht leiden zu lassen und ihre Gefühle nicht zu zeigen. Keinem der Kollegen hatte sie offenbart, dass sie ihre Verlobung gelöst hatte.

»Es sind Blumen für dich gekommen.« Er wies zum Empfangstresen hinüber.

Richtig, da stand ein gewaltiger Blumenstrauß. Sie fragte sich, wie sie den hatte übersehen können. Orchideen, Lilien und Rosen steckten zwischen weißen Hortensienblüten; offensichtlich hatte Clark keine Kosten gescheut. Allerdings schienen ihr die Blumen passender für eine Beerdigung als für eine Versöhnung. Nun ja, in vielerlei Hinsicht kam das Ganze ja auch einer Beerdigung gleich, und sofort war Phoebe wieder zum Weinen zumute.

Entschlossen, stark zu bleiben, straffte sie die Schultern. »Ich will sie nicht.«

Verdutzt musterte Bill sie.

»Nimm sie mit, schenk sie Louise«, schlug sie vor. Sie wusste, dass Bills Frau sich darüber freuen würde.

Ihr Chef war noch nicht überzeugt. »Ich würde wetten, dass er mindestens zweihundert Dollar dafür ausgegeben hat.«

Eine Sekunde lang war Phoebe versucht, ihm zu vergeben. Clark gab sich solche Mühe. Er war so entschlossen, ihren Widerstand zu brechen. Aber nein, sie konnte es sich nicht erlauben, auch nur ein klitzekleines bisschen nachzugeben. Also schüttelte sie den Kopf. »Ich … ich will sie nicht. Schenk sie Louise, oder wirf sie weg.«

»Allen Ernstes?«, fragte Bill, die Stirn gerunzelt, als glaube er an einen merkwürdigen Scherz.

»Zwischen mir und Clark ist es aus.«

»Diesmal keine Aussicht auf Versöhnung?«

Phoebe blinzelte ihre Tränen weg. »Nein … Ich habe wirklich keine andere Wahl.«

Sacht klopfte ihr Chef ihr auf die Schulter. »Möchtest du mit jemandem darüber reden? Mit mir oder …« Er nickte zum Empfangstresen hinüber. Claudia war etwa im selben Alter wie Phoebes Mutter.

»Danke, aber … ich denke nicht. Es ist alles noch ziemlich frisch.«

Wieder tätschelte Bill ihr die Schulter. »Es tut mir leid. Ich weiß, wie sehr du ihn geliebt hast.«

Mit zitternden Fingern kramte Phoebe in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch und putzte sich die Nase. Zorn und Empörung würden ihr nur vorübergehend helfen, und dann würde die Reue sie überfallen. Ihre Erfahrung hatte sie gelehrt, dass sie darauf vorbereitet sein musste. Sie brauchte einen Plan, um mit der Depression fertigzuwerden, die unweigerlich einsetzen würde.

»Bill, würdest du mir einen Gefallen tun?«

»Natürlich.« Seine bedingungslose Loyalität und Hilfsbereitschaft erschwerten es ihr, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten.

»Ich würde mich freuen, wenn du Claudia aufträgst, alles abzuweisen, was Clark Snowden für mich anliefern lässt.« Ihre Stimme zitterte nur ein wenig, als sie das sagte. Wenn sie Clark diesmal vergab, würde sie alle Selbstachtung verlieren. Ihm aus dem Weg zu gehen würde mühsam werden. Sie musste daran arbeiten, genau wie Caroline Dover daran arbeitete, ihr Knie wieder funktionstüchtig zu bekommen. Aber schließlich würde Phoebe lernen, Clark nicht länger zu lieben. Und irgendwann würde der Schmerz in ihrem Herzen nachlassen.

Bill nahm sie in die Arme, bevor sie ging, und das ließ sie aufs Neue in Tränen ausbrechen. Auf dem Weg zu ihrem Parkplatz meldete sich schon wieder ihr Handy. Sie machte sich nicht die Mühe, nachzuschauen, wer anrief. Ein fröhliches Geklimper kündigte an, dass sie eine neue Nachricht erhalten hatte.

Sie wurde langsamer. Clark würde nicht leicht aufgeben, würde ihr nachjagen, ihr Geschenke schicken, ihr in den Ohren liegen, bis sie schwach wurde. Und die Gefahr bestand durchaus. Schließlich war sie schon einmal schwach geworden.

Es war schwer, sich von dem Mann abzuwenden, den man liebte. Schwer, gegen das Verlangen anzukämpfen, seinen Ausflüchten Glauben zu schenken. Das war vertrautes Gelände – und sie hatte sich geschworen, diesem Pfad nie wieder zu folgen. Und doch … hier stand sie nun.

Nein, sie konnte nicht nachgeben, durfte es nicht.

Sie kam an dem Telefonladen vorbei, an dem sie fünf Mal die Woche vorbeiging, nahm ihn heute aber zum ersten Mal wirklich wahr. Nach kurzem Zögern kehrte Phoebe um und starrte ins Schaufenster, wo das neueste Zubehör für Smartphones auslag.

Selbstverständlich würde Clark sie so lange weiter anrufen, bis er ihre Entschlossenheit ins Wanken brachte. Sie kannte seinen Plan und war schon einmal darauf hereingefallen. Wenn sie es wirklich ernst meinte, Clark aus dem Weg zu gehen, dann musste sie ihm die richtigen Signale senden.

Entschlossen betrat sie den Laden und schaute sich um.

»Sie müssen eine Nummer ziehen«, wies eine abgekämpfte Verkäuferin sie an.

»Ich habe nur eine Frage.«

»Sie müssen trotzdem eine Nummer ziehen.«

»In Ordnung.« Ihre Nummer lautete 57, und sie lehnte sich lässig gegen die Wand. Es gab sowieso keinen Grund, eilig nach Hause zu kommen, denn dort erwartete sie nur eine leere Wohnung. Na ja, leer bis auf ihre Katze Princess.

Die Katze besaß mehr gesunden Menschenverstand als Phoebe. Princess hatte Clark noch nie gemocht, und die Antipathie beruhte auf Gegenseitigkeit. Er hatte gesagt, wenn sie verheiratet wären, wolle er, dass sie Princess zu ihrer verwitweten Mutter gab. Dafür, dass sie sich widerwillig einverstanden erklärt hatte, verabscheute sie sich selbst.

Eine Weile später rief die Verkäuferin die Nummer 57 zweimal aus, bevor Phoebe bewusst wurde, dass sie an der Reihe war. Eine neue Rufnummer zu bekommen erwies sich als relativ einfach. Allerdings würde es lästig werden, ihre Familie und Freunde über die neue Nummer zu informieren.

Familie.

Da war jemand, den sie bisher noch nicht über die jüngsten Ereignisse in Kenntnis gesetzt hatte: ihre Mutter. Sie liebte Clark und hatte nach seinem ersten … Fehltritt Partei für ihn ergriffen. Phoebe konnte nur hoffen und beten, dass ihre Mutter diesmal auf ihrer Seite stehen würde.

Als sie nach Hause kam, fühlte sie sich etwas weniger verletzlich. Princess begrüßte sie schon an der Wohnungstür und rieb sich schnurrend an Phoebes Knöcheln.

Lächelnd beugte sie sich zu ihrer Katze hinunter, nahm sie auf die Arme und barg ihr Gesicht in dem weichen grauen Fell. »Du hattest die ganze Zeit recht«, flüsterte sie. »Ich hätte deiner Einschätzung über ihn vertrauen sollen. Das hätte mir eine Menge Kummer erspart.«

Das Licht an ihrem Anrufbeantworter blinkte heftig. Phoebe konnte sich denken, von wem die meisten Anrufe gekommen waren. Entsprechend überrascht stellte sie fest, dass die erste Nachricht von ihrer Mutter war.

»Ruf mich an, sobald du nach Hause kommst«, flehte Leanne Rylander. »Es ist wichtig, Phoebe. Ich muss dringend mit dir reden.«

Frustriert lehnte Phoebe die Stirn gegen die Schranktür. Früher oder später musste sie es ihrer Mutter sagen, obwohl sie den Verdacht hegte, dass diese bereits Bescheid wusste. Das ließ sich aus ihrem Tonfall schließen.

Sie ließ sich einen Moment Zeit, um ihre Entschlossenheit zu stärken. Dann griff sie nach dem Telefonhörer.

»Bist du das, Phoebe?«, meldete Leanne sich.

»Ich gehe davon aus, dass Clark mit dir gesprochen hat?«, fragte Phoebe resigniert.

»Ja, das hat er. Oh, Phoebe, er ist ganz außer sich.«

»Das sollte er auch«, gab sie knapp zurück. »Mutter, sag bitte nicht, dass du auf seiner Seite stehst.« Es war auch so schon schwer genug, Clarks Flehen zu widerstehen. Nahezu unmöglich wurde es, es zu ignorieren, wenn ihre Mutter Partei für ihn ergriff.

»Na ja, nein … Was er getan hat, lässt sich nicht entschuldigen.«

»Danke«, flüsterte Phoebe erleichtert.

»Du hast allen Grund, dich aufzuregen«, fuhr ihre Mutter besänftigend fort.

»Ja, allen Grund!« Plötzlich fiel Phoebe ein, dass Clark genau dieselben Worte benutzt hatte, und sie fragte sich, ob Leanne die ganze Geschichte kannte. »Mom, ist dir klar, dass Clark verhaftet wurde, als er mit einer Prostituierten verhandelt hat?«

»Ja, das hat er mir erzählt. Es entschuldigt zwar nichts, aber er meinte, er habe einfach geglaubt, mit einer Prostituierten zu schlafen, falle nicht unter Fremdgehen.«

Die Tatsache, dass Clark ihrer Mutter die Wahrheit oder zumindest teilweise die Wahrheit gesagt hatte, war ein Schock für Phoebe. »Aber … er hat versucht, sich Sex zu erkaufen!«

Sie hörte das Mitgefühl in der Stimme ihrer Mutter. »Ja, ich weiß.«

»Und das ist nicht das erste Mal.«

Ihre Mutter seufzte. »Ich kann mir in etwa ausmalen, wie zornig du bist.«

»Nein, das kannst du nicht!«, rief Phoebe. »Du kannst dir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie wütend ich bin und wie demütigend das für mich ist.«

»Aber Phoebe, Schätzchen, du verstehst nicht. Es gibt mildernde Umstände, weil Clark in eine Falle gelockt worden ist. Er hat mir versichert, dass er deswegen niemals vor Gericht gestellt wird. Ja, er denkt sogar darüber nach, Anzeige gegen die Polizei von Seattle zu erstatten, weil sie ihn so in Verlegenheit gebracht hat.«

Phoebe schloss die Augen. »Mutter, du müsstest dich selbst mal hören. Es spielt keine Rolle, ob er in eine Falle getappt ist, genauso wenig wie die Tatsache, dass das Mädchen, von dem er Sex kaufen wollte, eine Undercover-Polizistin war. Es ist egal, ob er vor Gericht gestellt wird oder nicht. Was allerdings eine Rolle spielt, ist, dass der Mann, den ich heiraten wollte, diese … diese Schwäche hat. Dieses Bedürfnis, mit anderen Frauen zu schlafen. Er ist süchtig nach Sex. Wie demütigend ist das? Ich weiß nicht, ob ihn die Gefahr antörnt, wenn er eine Frau auf der Straße aufgabelt, oder woran es liegt. Ich weiß nur, dass ich einen Mann, der mich so hintergeht, nicht heiraten kann und werde.«

Erneut seufzte ihre Mutter. »Phoebe, hör mir zu. Du bist meine Tochter, und ich will, dass du glücklich wirst – aber du musst doch die Umstände berücksichtigen.«

Das Gespräch wurde immer schmerzhafter und demütigender. »Im Endeffekt läuft es darauf hinaus: Clark war bereit, eine Frau für Sex zu bezahlen. Kann ich es noch deutlicher ausdrücken?«

»Oh, Phoebe, das reicht jetzt aber. Du musst wirklich nicht vulgär werden.«

»Ach, und wie soll ich es aufhübschen?«, rief sie. »Clark wollte mit einer anderen Frau schlafen? Einer Frau, die er dafür bezahlt hat! Klingt es so weniger anstößig für dich?«

»Ach herrje, du bist wirklich sauer, nicht wahr?«

»Sauer? Sauer!?« Ja, sie war sauer, und im Moment war es eine gute Therapie, ihre Wut herauszulassen. »Ich bin stocksauer, Mom. Außerdem bin ich verletzt, enttäuscht, gedemütigt, am Boden zerstört, und mein Herz ist gebrochen. Und das beschreibt es noch nicht einmal annähernd.«

Ihre Mutter reagierte nicht sofort. »Du solltest eine Nacht darüber schlafen, bevor du eine drastische Entscheidung fällst«, meinte sie schließlich.

»Darüber schlafen? Worüber? Darüber, dass der Mann, den ich liebe, notorisch fremdgeht? Mom, glaubst du wirklich, dass er damit aufhören wird, wenn wir erst verheiratet sind?«

»Männer …«

»Mom!«, fiel sie ihr ins Wort. »Komm mir nicht mit Entschuldigungen für Clark.«

»Aber Liebling, er hat es mir erklärt. Ich weiß, dass es falsch ist, aber er hat wirklich nicht das Gefühl fremdzugehen, wenn er mit einer … du weißt schon, einer Prostituierten schläft.«

»Und damit ist es völlig in Ordnung? Das kann nicht dein Ernst sein!«

Ihre Mutter schwieg einen Moment. »Es ist nur so, dass Clark wirklich gute Beziehungen hat und seine Mutter und ich …«

»Seine Mutter hat dich in den Countryclub eingeladen, wo du all die Leute kennengelernt hast, über die du sonst in der Zeitung liest.« Es fiel ihr schwer, das auch nur auszusprechen, aber es war die Wahrheit. Leanne genoss es, den Snowdens nahezustehen. Schließlich waren sie eine wohlhabende, angesehene Familie.

»Erinnerst du dich nicht mehr, wie aufgeregt ich war, als du deinen neuen Patienten erwähnt hast?«, fragte ihre Mutter. Sie klang jetzt so untröstlich, wie Phoebe sich fühlte.

Natürlich erinnerte sie sich. Die Gesellschaftsspalten waren schon immer der Teil der Zeitung gewesen, den ihre Mutter besonders begeistert verschlang. Als Clark sich bei einem Skiunfall das Knie verletzt hatte, war sie seine Physiotherapeutin gewesen. Nach der ersten Therapiestunde wollte er sich mit ihr verabreden. Phoebe hatte die Einladung ausgeschlagen. Sich mit einem Patienten zu verabreden verstieß gegen die Regeln der Klinik.

Clark machte ihr wochenlang den Hof, schickte ihr Blumen, brachte ihr Geschenke, umgarnte sie. Trotz seiner Bemühungen widerstand sie jedem seiner Versuche und weigerte sich, sich außerhalb der Klinik mit ihm zu treffen – bis seine Therapie abgeschlossen war. Zu dem Zeitpunkt hätte sie es bereits besser wissen sollen. Clark konnte mit Zurückweisung nicht umgehen. Sie hatte die Verlobung gelöst, und das verletzte seinen Stolz. Er hatte nicht die Absicht, sie damit durchkommen zu lassen. Nach seiner Weltsicht hielt er die Fäden in der Hand. Wenn hier jemand den anderen verließ, dann war er das.

Ihre Mutter war in Verzückung geraten, kaum dass sie Clarks Namen vernommen hatte. Schon früh deutete sie an, ihre Tochter dürfe ruhig die Regeln brechen, wenn es um jemanden seiner Stellung ging. Und als sie tatsächlich begannen, sich zu verabreden, erzählte Leanne all ihren Freundinnen, ihre Tochter gehe mit dem einzigen Sohn von Max und Marlene Snowden. Clark arbeitete in der renommierten Anwaltskanzlei seines Vaters und würde innerhalb der nächsten fünf Jahre zu einem der Partner aufsteigen. Soweit es Leanne Rylander betraf, war ihre Tochter auf eine Goldader gestoßen.

Und Clark eroberte sie im Sturm. Ganz wie der Held eines Liebesromans. Er führte sie auf Partys und Konzerte aus, überschüttete sie mit Geschenken, schmeichelte ihr – und bat sie schließlich, ihn zu heiraten.

Das erste Anzeichen für Probleme gab es, als eine Frau aus der Kanzlei in der Klinik auftauchte und Phoebe vertraulich sprechen wollte. Kellie Kramer warnte sie, dass Clark gewohnheitsmäßig mit Prostituierten verkehrte. Phoebe glaubte ihr nicht. Warum sollte sie auch? Offenbar hatte die Frau eine Rechnung mit Clark offen. Aber dann legte Kellie einen Beweis vor: Sie zeigte ihr eine Kopie des Haftbefehls, als Clark zum ersten Mal festgenommen worden war. Als sie ihn der Akte entnommen hatte, hatte sie ihren Job riskiert, weil sie der Meinung war, Phoebe habe das Recht, Bescheid zu wissen. Kellie behauptete außerdem, dass es noch eine Reihe weiterer Vorfälle dieser Art gegeben habe, Clark aber nicht erwischt worden sei.

Phoebe war fassungslos und konfrontierte Clark mit den Vorwürfen. Der schien ehrlich überrascht, dass sie sich darüber aufregte. Ihr Verlobter war der Ansicht, so etwas täten praktisch alle Männer. Sex mit einer Prostituierten bedeute gar nichts, behauptete er.

Es fiel ihr schwer, seinen unangemessenen Ausflüchten zuzuhören. Am liebsten hätte sie die Verlobung sofort gelöst, aber Clark bettelte um eine zweite Chance. Er rief sie an, immer wieder, bei Tag und bei Nacht. Er schickte Blumen und hinterließ flehende Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, bis sie schließlich einknickte und ihm verzieh. Wirklich dazu überredet, ihm eine zweite Chance zu geben, hatte sie jedoch ihre Mutter.

Leanne hatte das Gefühl, Phoebe müsse Clark eine Chance geben, sein Verhalten zu ändern. Jetzt, da er begriffen hätte, dass solch ein Verhalten inakzeptabel war, würde er damit aufhören, lautete ihr Argument.

Clark sagte genau das Richtige. Mit Tränen in den Augen schwor er ihr, nichts dergleichen würde jemals wieder vorkommen. Er liebte sie. Wenn Phoebe ihn verließ, wäre sein Leben ruiniert.

Außerdem erzählte er ihr, Kellie Kramer sei gefeuert worden. Sie habe ihre Grenzen überschritten, und ihre Insubordination werde auf keinen Fall geduldet. Sie habe damit nur Clark und seinen Vater verletzen wollen, und wenn Phoebe die Verlobung auflöste, hätte Kellie gewonnen. Er bettelte um eine zweite Chance, und mit der zuversichtlichen Ermunterung ihrer Mutter im Ohr ließ Phoebe sich von ihm überzeugen.

»Phoebe? Phoebe, bist du noch dran?«, fragte ihre Mutter kläglich.

»Ja, Mom.«

»Versprich mir, dass du noch mal darüber schlafen wirst. Deine ganze Zukunft steht auf dem Spiel.«

»Ich habe es dir bereits gesagt, Mutter. Es gibt nichts zu überschlafen. Clark wollte mit dieser Frau Sex. Er hat es zugegeben!«

»Ja, aber sie hat ihm eine Falle gestellt.«

»Das spielt keine Rolle. Er hat sein Wort gebrochen. Das ist das Entscheidende.«

»Ich habe solche Angst, dass du etwas tust, was du für den Rest deines Lebens bereuen wirst.«

Du meinst, was du bereuen wirst, schoss es Phoebe durch den Kopf, aber sie sprach es nicht aus. Stattdessen schloss sie die Augen. »Ich … ich kann nicht mehr darüber reden. Gute Nacht, Mom.«

Sie musste hart bleiben, nicht nur gegen Clark, sondern auch gegen ihre Mutter, die der Meinung war, Phoebe solle lieber ihr Glück und ihre Integrität opfern, als eine gesellschaftlich vorteilhafte, emotional aber kaputte Beziehung zu beenden.

Es wird höchste Zeit für den Strickkurs, schoss es ihr durch den Kopf. Sie musste Clark Snowden aus ihrem Leben verbannen, und dafür brauchte sie jede Unterstützung, die sie bekommen konnte.

3. Kapitel

Bryan »Hutch« Hutchinson

Hutch saß in Dr. Dave Wellingtons Sprechzimmer und wartete. Sein Arzt und ehemaliger Klassenkamerad wollte mit ihm reden, und das konnte nichts Gutes bedeuten. Er hatte seine jährliche Untersuchung vornehmen – wobei jährlich nicht ganz wörtlich zu nehmen war – und eine Reihe von Tests über sich ergehen lassen. Anschließend hatte ihn die Sprechstundenhilfe ins Arztzimmer geführt.

Hutch und Dave waren seit Jahren befreundet. Gemeinsam hatten sie die Highschool und das College besucht, waren beide zu Footballstars aufgestiegen. Bevor Hutch das Familienunternehmen übertragen worden war, hatten sie jeden Mittwochnachmittag miteinander Golf gespielt. Golf. Wie so vieles andere hatte Hutch auch das aufgegeben, nachdem sein Vater unerwartet gestorben war. Er übernahm die Position des Firmenchefs von Mount Rainier Chocolates, und seitdem hatte sich sein Leben grundlegend verändert.

Tagsüber hatte er einfach keine Zeit mehr für Golf. Und jetzt, da der Firma ein Gerichtsverfahren drohte …

Hutch wollte nicht darüber nachdenken, denn wann immer er das tat, packte ihn die Wut. Ihm war klar, dass das schlecht für seinen Blutdruck war, von dem ihm die Sprechstundenhilfe bereits gesagt hatte, er sei zu hoch. Kein Wunder. Also schön, er war vermutlich nicht mehr so fit wie zu Collegezeiten. Schließlich hatte er keine Zeit, Sport zu treiben. Seine Position in der Firma machte es ihm unmöglich.

»Werde ich überleben?«, fragte Hutch scherzend, als sein Freund hereinkam. Dave trat hinter seinen Schreibtisch, zog den Stuhl hervor und setzte sich.

»Das kommt darauf an.«

Das Lächeln auf Hutchs Lippen erstarb. »Du machst Witze, oder?«

Dave beugte sich vor. »Dein Blutdruck ist viel zu hoch.«

»Ja, aber …« Er runzelte die Stirn. Zurzeit lag sein Stresslevel irgendwo jenseits von Gut und Böse, und zwar hauptsächlich wegen einer ungerechtfertigten Anklage, die kürzlich gegen seine Firma erhoben worden war. Irgendeine Frau behauptete, dass sie fett geworden sei, weil sie Mount Rainier Schokolade gegessen hatte. Klar, die Anklage war raffiniert formuliert. Da stand was von »psychischer Abhängigkeit« sowie Werbung, die eben diese Abhängigkeit förderte und ausnutzte. Jedenfalls hatte die Klägerin wegen ihrer Gewichtszunahme geklagt. Wenn das nicht dämlich war! Und doch war das exakt die Art von Fall, von der er schon oft gelesen hatte, die Art von Fall, bei der eine Jury dem Kläger enorme Schadenersatzsummen zugesprochen hatte. Eigentlich sollte die Klägerin nicht die geringste Aussicht haben, den Rechtsstreit zu gewinnen, aber sie hatte sich einen Spitzenanwalt genommen, der Mount Rainier Chocolates böswillige Absicht und bewusstes Fehlverhalten vorwarf und offensichtlich hoffte, mit diesem Verfahren einen Präzedenzfall zu schaffen, mit dem er sich einen Namen machen konnte. Jedes Mal wenn Hutch darüber nachdachte, regte er sich noch mehr auf. Spielten Dinge wie Eigenverantwortung, gesunder Menschenverstand und Zurechnungsfähigkeit denn gar keine Rolle mehr?

Hutch waren die Kosten egal; er würde nicht nachgeben, sich keiner Erpressung fügen, und genau das war diese Angelegenheit seiner Meinung nach. Also gut, sein Blutdruck war zu hoch; er würde etwas dagegen tun. »Schön, ich nehme Tabletten.«

Nachdenklich schüttelte Dave den Kopf. »Das reicht nicht. Du arbeitest zu hart, treibst nicht genug Sport, und ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass du dich miserabel ernährst. Alles in allem zeigst du jedes klassische Symptom eines Mannes, der direkt auf einen Herzinfarkt zusteuert.«

»Hey, ich bin erst fünfunddreißig.«

»Und unverheiratet. Du weißt doch, was die Statistiken über die Vorteile der Ehe sagen – vor allem für Männer.«

Dass Hutch keine Frau hatte, war auch ein Streitpunkt mit seiner Mutter. »Ich habe keine Zeit, Frauen kennenzulernen«, grummelte er.

Dave ging nicht darauf ein. »Außerdem gibt es in deiner Familiengeschichte bereits Herzerkrankungen.«

»Ja, aber …«

»Wie alt war dein Vater, als er starb?«

Hutch atmete aus. »Achtundfünfzig.« Den Tag, an dem er seinen Vater verloren hatte, würde er nie vergessen. Damals war er fünfundzwanzig, sorglos, selbstsüchtig und ein bisschen arrogant gewesen. Und er hatte Zeit gehabt, Golf zu spielen, sich mit Frauen zu verabreden sowie etwas mit Freunden zu unternehmen. All das hatte sich geändert, und zwar buchstäblich über Nacht.

Zwar war er immer darauf eingestellt gewesen, irgendwann seinem Vater als Leiter des Familienbetriebes zu folgen. Allerdings hatte er geglaubt, noch Jahre Zeit zu haben, bis Bryan senior sich zur Ruhe setzte, und sich deshalb nicht groß mit Detailfragen des Unternehmens beschäftigt. Obwohl er jeden Tag zur Arbeit erschien, hatte er der Firma keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Jedenfalls nicht genug, um so kurzfristig die Leitung zu übernehmen.

Zwei Jahre hatte er gebraucht, um alles zu lernen, was man über das Unternehmen und die Rolle des Firmenleiters wissen musste. Er hatte Fehler gemacht, und die Firma war in unruhiges Fahrwasser geraten. Dabei trug er nicht nur die Verantwortung für ihre Angestellten, sondern auch für seine Mutter, die auf das Einkommen aus dem Unternehmen angewiesen war. Mount Rainier Chocolates hatte Marktanteile verloren. Diese Lektionen waren hart gewesen, aber Hutch hatte sich langsam zurechtgefunden. In den nächsten paar Jahren ging es ganz langsam wieder aufwärts, und dann kam allmählich der Wendepunkt. Das gewonnene Selbstvertrauen hatte ihm Mut gemacht, neue Produkte zu entwickeln, die er testen wollte. Er hatte neue Vertriebspartner gefunden, und inzwischen war er an jedem Aspekt des Unternehmens beteiligt – von der Forschung und Produktentwicklung bis zur Werbung sowie allem, was dazwischenlag. Genau deshalb arbeitete er zwölf bis vierzehn Stunden am Tag. Mit anderen Worten: Der Zeitpunkt war denkbar ungünstig für eine Klage gegen die Firma, aber wann wäre er schon günstig gewesen?

»Ich stelle dir ein Rezept aus«, fuhr Dave ernst fort, »aber was du wirklich brauchst, ist, deinen Lebensstil komplett zu ändern.«

Hutch verkniff es sich, laut aufzustöhnen. Schließlich konnte er keine einzige Sache mehr in seinem übervollen Terminkalender unterbringen. »Zum Beispiel?«

»Eine vernünftige Diät.«

Das wurmte ihn. Zwar war er sich darüber im Klaren, dass er zu häufig Mahlzeiten ausfallen ließ und infolgedessen zu viel Ungesundes im Vorübergehen in sich hineinstopfte. »Ich habe kein Übergewicht«, protestierte er.

»Stimmt, aber du stehst am Rand einer Blutarmut, dein Kaliumspiegel ist zu niedrig, und dein Immunsystem ist geschwächt. Letzteres ist einer der Gründe, warum dein Daumen so lange braucht, um zu heilen.«

Vor über einem Monat hatte Hutch sich in das Fleisch zwischen Daumen und Zeigefinger geschnitten – beim Versuch, ein zwei Tage altes und schon recht gummiartiges Stück Pizza zu zerschneiden. Die Verletzung hatte mit mehreren Stichen genäht werden müssen und machte ihm bis heute zu schaffen. Es war sein schlecht verheilter Daumen, der ihn schließlich veranlasst hatte, sich einen Termin für seinen Gesundheitscheck geben zu lassen. Seit etwa anderthalb Jahren hatte er sich nicht mehr mit Dave getroffen – weder in dessen Eigenschaft als Arzt noch privat, außer für einen Drink zu Weihnachten.

»Kann ich nicht einfach Vitamine nehmen?«, fragte Hutch hoffnungsvoll.

»Ich empfehle dir ein Vitaminpräparat und verschreibe dir außerdem Eisentabletten sowie Blutdrucksenker, aber das reicht nicht aus. Du musst anfangen, besser auf deine Gesundheit zu achten.« Er schwieg, doch das Unausgesprochene hing zwischen ihnen in der Luft: Falls er das nicht tat, würde Hutch enden wie sein Vater und viel zu früh einem Herzinfarkt erliegen.

Und diesmal würde niemand da sein, der das Unternehmen weiterführen könnte.

»Okay, ich melde mich in einem Fitnessstudio an.«

Als wäre ihm das bei Weitem nicht genug, zuckte Dave die Achseln. »Du musst mehr tun, als dich bloß dort anzumelden. Du solltest mindestens dreimal die Woche Sport treiben.«

»Okay, in Ordnung, mache ich.«

»Außerdem könntest du einen oder zwei Kurse besuchen.«

Noch mehr? »Was für Kurse?«

Dave lehnte sich zurück und musterte Hutch grinsend. »Lach jetzt nicht«, sagte er.

»Warum sollte ich lachen?«

»Weil ich dir vorschlagen möchte, Stricken zu lernen.«

Hutch schüttelte den Kopf. »Du machst Witze, oder?«

»Nein, keineswegs. Ich habe einen männlichen Patienten, der mich mit abartig hohem Blutdruck aufgesucht hat. Irgendwann beschloss er, mit dem Stricken anzufangen. Ich glaube, seine Frau hat ihn dazu überredet. Und ich muss sagen: Die Veränderung, die das bei ihm ausgelöst hat, hat mich sprachlos gemacht. Kein Witz! Ich habe an seinen Werten gesehen, wie gut das wirkt.«

Was für eine lächerliche Idee. »Als ob ich Zeit hätte für … Handarbeiten.«

»Es ist nur ein Vorschlag, aber es wäre auch gut für deinen Daumen.«

Hutch bewegte seinen Daumen hin und her und spürte, wie steif er geworden war. Besonders schlimm war es morgens. Aber stricken? Er? Mit dem Fitnessstudio konnte er sich arrangieren, aber stricken? Wenn auch nur einer seiner Freunde oder Angestellten davon erfuhr, würden sie sich darüber totlachen.

»Wie steht’s mit dir?«, fragte er, plötzlich misstrauisch geworden. »Strickst du?«

»Ja.« Dave grinste erneut. »Meine Frau hat es mir beigebracht.«

»Das gibt’s doch nicht!«

»Es funktioniert, Hutch. Versuch es einfach.« Damit griff Dave zu seinem Rezeptblock, stellte ihm seine Verschreibungen aus und reichte ihm das Blatt.

Hutch starrte auf das Stück Papier. Niemals hätte er gedacht, dass er schon mit Mitte dreißig Blutdrucksenker würde nehmen müssen. Dave hatte recht: Das war kein gutes Zeichen.

»Ich will dich in zwei Monaten wieder sehen.«

Hutch nickte, stand auf und zog einen Schokoriegel aus der Innentasche seines Jacketts. »Ich habe dir was mitgebracht.«

Dave nahm den Riegel entgegen und schaute Hutch erwartungsvoll an.

»Wir werden dies demnächst flächendeckend auf den Markt bringen. Nennt sich Mount-Saint-Helens-Riegel.«

Dave drehte ihn um und las die Beschreibung: »Kokosnuss, umhüllt von dunkler Schokolade, mit einem flüssigen Schokoladenkern. Eine Geschmacksexplosion.«

»Daran arbeite ich jetzt seit achtzehn Monaten, und wir haben endlich einen landesweit agierenden Vertrieb gefunden, der uns damit eine Chance geben will.« Sein Freund konnte sich nicht vorstellen, wie schwierig es war, ins Sortiment der größeren Märkte zu kommen, wenn man in Konkurrenz zu den mächtigen Schokoladenriesen stand. Hutch glaubte fest an dieses neue Produkt und war bereit, damit auf die Zukunft seines Unternehmens zu setzen. Bisher schien alles positiv zu verlaufen – sofern er nicht am Ende Millionen wegen eines lächerlichen Rechtsstreits zahlen musste.

Dave las inzwischen die Zutatenliste, und Hutch konnte sehen, dass er beeindruckt war. »Der Zuckergehalt ist nicht zu hoch«, murmelte er, »und siebzig Prozent Kakaoanteil ist gut.«

»Praktisch gesunde Kost«, erwiderte Hutch lächelnd und wandte sich ab.

Dave hielt ihn zurück. »Zwei Monate, Hutch. Enttäusch mich nicht.«

»Werde ich nicht.« Er verließ die Praxis und lief aus der vierten Etage die Treppen hinunter, statt den Fahrstuhl zu nehmen. Natürlich hatte Dave recht. Er musste dringend mehr Sport treiben. Aber der Tag hatte einfach nicht genügend Stunden. Zwar delegierte er schon, was immer er konnte, aber trotzdem musste er sich noch so vielen Dingen persönlich widmen.

Als er sein Büro erreichte, war er bereits fünfzehn Minuten in Verzug. Gail Wendell, seine persönliche Assistentin, entspannte sich sichtlich, als sie ihn zur Tür hereinkommen sah. Sofort stand sie auf, als erwartete sie, dass er etwas von ihr brauchte.

»Mr. Williams ist in deinem Büro«, sagte sie.

Hutch warf einen Blick auf die Uhr. Es war bereits nach eins, er hatte nicht gefrühstückt, und ihm war leicht schwindlig. Kaum überraschend, wenn man bedachte, wie viel Blut Dave ihm hatte abzapfen lassen. »Würdest du mir etwas zum Mittagessen bestellen?«

»Teriyaki-Hühnchen?«, fragte Gail.

Das war eine seiner Lieblingsspeisen, enthielt aber viel Natrium. »Könntest du einen Salat mit Hüttenkäse als Beilage für mich auftreiben?«

Fragend zog sie die Brauen hoch. »Ich dachte, du magst keinen Hüttenkäse.«

»Stimmt, soll aber gesund sein. Mein Doc meint, ich sollte mich gesünder ernähren.«

»In Ordnung, also Hüttenkäse. Sonst noch was?«

Hutch nickte. »Such mir ein Fitnessstudio in der Nähe meiner Wohnung, und melde mich dort an.«

Seine Assistentin notierte sich etwas auf ihrem Block.

»Und …« Er zögerte, ein wenig peinlich berührt. »Ich brauche einen Strickkurs.«

Er beobachtete Gail genau, als er das sagte, aber sie zuckte nicht einmal mit der Wimper.

»Schau, ob du einen Abendkurs irgendwo in der Innenstadt finden kannst.« Seine Wohnung lag zentral in Seattle, und er wollte für diesen Irrsinn nicht wer weiß wie weit fahren. Im Grunde würde er sich wundern, wenn Gail tatsächlich einen passenden Kurs finden würde, und es wäre ihm durchaus recht, wenn nicht. Dann konnte er Dave sagen, er habe es versucht, und dabei würde es bleiben.

»Ich kümmere mich sofort darum.«

Hutch zog das Rezept aus seiner Tasche. »Würdest du mir das bitte auch einlösen?«

»Natürlich.«

»Danke, Gail, du bist die Beste.«

»Das hat dein Vater auch immer gesagt«, gab sie grinsend zurück.

Sie war ein wertvoller Aktivposten der Firma, und Hutch war ihr dankbar, dass sie ihr trotz der langen Übergangszeit nicht untreu geworden war. Dennoch war ihm bewusst, dass sie schon bald in Rente gehen würde. Was er dann tun sollte, war ihm noch nicht klar, aber glücklicherweise war das keine der Fragen, die sofort beantwortet werden mussten.

Der Rest des Tages war Routine – eine Besprechung nach der anderen –, und es war schon fast sieben, als er das Büro verließ. Anstatt direkt nach Hause zu fahren, machte er einen Abstecher zu seiner Mutter in Bellevue. Sie hatte versucht, ihn am frühen Nachmittag telefonisch zu erreichen, aber da war er gerade in einer Besprechung mit der Werbeabteilung gewesen.

Gloria Hutchinson freute sich sichtlich über seinen Besuch. »Schön, dass du vorbeigekommen bist.«

Er gab sich Mühe, sie mindestens einmal wöchentlich zu besuchen und über die Vorgänge in der Firma auf dem Laufenden zu halten.

»Hast du schon zu Abend gegessen?«

»Nein, aber spät zu Mittag.«

»Spielt keine Rolle. Du solltest trotzdem was essen.« Hutch genoss es, wie sie ihn umsorgte, und er wusste, dass seine Mutter das Gefühl haben musste, gebraucht zu werden. Sie hatte sich nur schwer daran gewöhnen können, verwitwet zu sein. Zum Glück verbrachte seine Schwester Jessie sehr viel Zeit mit ihr, und Hutch war ihr dafür dankbar. Schon immer hatten sie drei sich sehr nahegestanden und taten es noch.

»Ich habe dich heute Nachmittag angerufen.«

»Das wurde mir ausgerichtet«, entgegnete er und folgte ihr in die Küche.

Sie öffnete den Kühlschrank, holte Eier und Käse heraus und stellte beides auf die Arbeitsplatte. »Ich wollte mich erkundigen, wie es beim Arzt war.«

»Alles in Ordnung.« Warum sollte er sie beunruhigen?

»Wie sieht dein Cholesterinspiegel aus?«

»Sehr gut.« Das entsprach sogar der Wahrheit.

»Oh, prima.« Ansonsten stand es um seine Gesundheit bei Weitem nicht so gut, aber er hatte nicht vor, das zu erwähnen.

»Du bist zu dünn.«

Hutch war anderer Meinung, aber er wollte sich nicht mit seiner Mutter streiten. »Ja, ich könnte ein paar Pfund zulegen«, meinte er verhalten.

Gloria gab geriebenen Käse zu den Eiern und schlug die Masse schaumig. Dann tat sie Butter in die Pfanne, ließ sie schmelzen, fügte die Eier-Käse-Mischung hinzu und rührte.

Ohne zu fragen, steckte Hutch zwei Scheiben Brot – immerhin Vollkorn, sagte er sich – in den Toaster.

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie oft ich deinem Vater abends Rührei gemacht habe«, erzählte seine Mutter. »Ihr beiden seid euch so ähnlich.« Als ob ihr plötzlich bewusst geworden war, was sie damit gesagt hatte, verstummte sie plötzlich. »Pass auf dich auf, Hutch. Das tust du doch, oder?« Sie drehte sich um und schaute ihn bittend an.

»Keine Sorge, Mom«, meinte er angestrengt fröhlich. »Ich bin so fit wie ein Turnschuh.«

Ihr Blick wurde traurig. »Das dachte ich von deinem Vater auch.«

»Ich habe mich heute in einem Fitnessstudio angemeldet.«

»Das ist großartig.« Sie gab das fertige Rührei auf einen Teller und stellte ihn auf die Frühstückstheke.

Hutch zog sich einen Stuhl heran. »Gleich morgen früh beginne ich mit meinem Trainingsprogramm.« Er ließ sich dafür eine Stunde früher wecken, entschlossen, drei Mal wöchentlich zu trainieren. Die Aussicht, dafür eine Stunde Schlaf opfern zu müssen, deprimierte ihn. Aber das war nichts gegen das, was er empfand, wenn er an den Strickkurs dachte …

Der Toast war fertig, seine Mutter strich Butter darauf und brachte ihm die Scheiben. Hutch stand auf, um das hausgemachte Himbeergelee aus dem Kühlschrank zu holen, das er am liebsten aß.

»Was du wirklich brauchst, ist eine Frau.«

Wann immer sie sich unterhielten, brachte seine Mutter früher oder später dieses Thema zur Sprache. Tatsache war, dass Hutch liebend gern eine Frau gehabt hätte, aber die Richtige zu finden war nicht einfach. Jedenfalls nicht bei seinem Arbeitspensum. Er hatte es übers Internet versucht, aber das hatte nicht funktioniert: zu kompliziert, zu zeitraubend. Das Gleiche galt für die Partnervermittlung, an die er sich gewandt hatte: Wann immer er sich mit einer Frau getroffen hatte, die nach Ansicht der professionellen Vermittler perfekt zu ihm passte, funkte es einfach nicht zwischen ihnen. Und das war so oft geschehen, dass er schließlich aufgegeben hatte.

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