×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Der Beste küsst zum Schluss«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Der Beste küsst zum Schluss« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Der Beste küsst zum Schluss

hier erhältlich:

Das fulminante Finale der Fool's Gold-Serie (alle Teil sind auch separat zu lesen):

Unternehmer Aidan bietet Abenteuer jeglicher Art an. Schon mehr als eine Touristin hat sich in sein Bett verirrt - nun gilt der Outdoor-Experte als der Aufreißer in Fool’s Gold. Um seinen Ruf loszuwerden, braucht er eine Frau! Und zwar eine, die ihm erklärt, wie Frauen wirklich ticken. Da kommt ihm Shelby mit ihrer verrückten Idee einer »Frauen-Männer-Freundschaft« gerade recht. Bereits die gemeinsame Pediküre führt Aidan an seine Grenzen. Und bald entpuppt sich Shelby als das größte Abenteuer seines Lebens …

"Susan Mallery zählt zu meinen Lieblingsautorinnen"
Debbie Macomber. Nr. 1-New York Times-Bestsellerautorin

"Herzerwärmend und unvergesslich!"
Library Journal


  • Erscheinungstag: 05.02.2018
  • Aus der Serie: Fool's Gold
  • Bandnummer: 29
  • Seitenanzahl: 336
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955767426
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Dieses Buch ist Sarah S. gewidmet. Du bist bezaubernd und charmant, und ich hoffe, du liebst Aidans und Shelbys Geschichte so sehr wie ich. Sie ist für dich …

Als »Mom« eines hinreißenden, verwöhnten kleinen Hundes weiß ich, welche Freude Tiere in unser Leben bringen können. Schon lange unterstütze ich daher die Seattle Humane, eine Tierschutz-Organisation. Letztes Jahr konnte bei einer Wohltätigkeitsauktion die Möglichkeit ersteigert werden, den eigenen Vierbeiner in einem meiner Romane zu verewigen.

In diesem Buch wird daher ein Bichon Frisé namens Charlie auftauchen. Er hat eine bezaubernde Persönlichkeit und weiß ganz genau, was er will. Jedes Mal, wenn er in der Geschichte auftauchte, musste ich lächeln. Ich liebe alles an ihm – von seinem Versuch, Auto zu fahren, bis zu dem Beharren darauf, seine Mahlzeiten pünktlich zu erhalten.

Eines der Dinge, die das Schreiben für mich so besonders machen, ist die Möglichkeit, auf verschiedene Weise mit Menschen in Kontakt zu kommen. Mit einigen spreche ich aus Recherchegründen. Andere sind Leserinnen, die über die Helden und die Geschichten reden möchten. Und einige sind fabelhafte Tiereltern. Charlies echte Familie betet ihn an, und er bringt ihnen unendliche Freude.

Mein Dank geht daher an Charlies Familie, an Charlie selbst und an die wunderbaren Menschen von Seattle Humane (Seattle-Humane.org). Denn jedes Haustier verdient eine liebende Familie.

1. Kapitel

»Wegen gestern Abend …«

Die Worte wurden ganz leise ausgesprochen. Fast wie eine Frage. Dennoch verspürte Aidan Mitchell sofort das dringende Bedürfnis, mit dem Kopf gegen die Tischplatte zu schlagen. Oder gegen die Wand – je nachdem, was näher war. Der Tisch, vermutete Aidan. Ganz sicher war er sich allerdings nicht. Vielleicht war es auch keine gute Idee, mit dem Kopf gegen irgendetwas zu schlagen. Denn ehrlich gesagt war das Letzte, was er gebrauchen konnte, noch mehr Kopfschmerz. Sein verkaterter Zustand war schon schlimm genug.

»Ich habe nichts«, gab er zu und blinzelte in das viel zu helle Licht des Cafés. Wenn ein Mann sich so schlecht fühlte wie er jetzt, war Kaffee die einzige Lösung. »Keine Entschuldigung, keine Erklärung.«

Er wollte noch mehr sagen. Dass es nicht sein Fehler gewesen war. Nur stimmte das leider nicht.

Verdammt, dachte er. Eigentlich war er doch kein schlechter Kerl. Er liebte seine Mutter, bezahlte seine Steuern und leitete eine ziemlich erfolgreiche Firma. Aber irgendwo auf seinem Weg durchs Leben war er trotzdem ein totaler Idiot geworden. Nur, warum sollte er das Offensichtliche aussprechen?

Die Frau, die neben seinem Tisch stand, deutete auf den freien Stuhl ihm gegenüber. »Darf ich?«

Aidan nickte und wünschte sofort, es nicht getan zu haben, als der Schmerz hinter seinen Augen explodierte. Er ermahnte sich, dass es ein kleiner Preis war für das, was er sich geleistet hatte.

Er ignorierte das stete Pochen in seinen Schläfen und versuchte, sich auf seine neue Tischnachbarin zu konzentrieren. Shelby Gilmore war klein und hatte blaue Augen. Zierlich, dachte er. Hübsch genug, um die Aufmerksamkeit eines jeden Mannes zu erwecken, der noch eigenständig atmete. Aber nicht für ihn, denn er hatte klare Regeln. Keine einheimischen Frauen. Touristinnen waren einfacher. Allerdings sah man ja jetzt, wo das hinführte.

Ihr Blick war fest auf ihn gerichtet, als sie ihren Kaffee trank. Sie schien zu versuchen, etwas herauszufinden. Da es vermutlich um ihn ging, konnte er ihr die Mühe ersparen.

»Ja«, sagte er und hörte selber, wie rau seine Stimme klang. Ohne Zweifel eine weitere Auswirkung des Alkohols, der vermutlich immer noch von seinem Körper verarbeitet wurde. »Ich bin ein Arsch. Ich bin sicher, irgendwo in der Zeitung steht ein Artikel darüber.«

Sie lächelte. »Die Zeitung ist bereits erschienen, und ich habe nichts dergleichen gelesen. Andererseits überblättere ich die ›Arsch‹-Seiten immer, weil sie so deprimierend sind.«

»Sehr witzig. Amüsiere dich ruhig auf meine Kosten. Das habe ich verdient.«

Ihre Haare fielen ihr über die Schultern. Sie waren glatt und von einem Blond, das fast schon golden wirkte. Der lange Pony verdeckte ihre Augenbrauen. Aidan wusste, dass sie Ende zwanzig sein musste, aber sie sah jünger aus.

»Mir gefällt, dass du Verantwortung für das übernimmst, was passiert ist«, sagte sie. »Das würden nicht viele Männer tun.«

»Die meisten Männer hätten sich gar nicht erst in solche Schwierigkeiten gebracht.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und unterdrückte ein Stöhnen. »Ich hatte alles genau geplant. Das war der Fehler. Ich hatte einen Plan.«

»Und der führte direkt in die Hölle?«

Obwohl Aidan sich mies fühlte, brachte er ein Grinsen zustande. »Ja. Das war ich. Der Kerl mit den guten Absichten.« Er konnte sich gerade noch davon abhalten, den Kopf erneut zu schütteln. »Keine Verpflichtungen eingehen. Das hat bislang gut funktioniert.«

Sie hielt ihren Kaffeebecher in beiden Händen. »Also ist es wahr. Du gehst nur mit Touristinnen aus.« Um ihren Mundwinkel zuckte es auf verräterische Weise. »Ich benutze das Wort ausgehen übrigens nur aus Höflichkeit. Schließlich ist heute Neujahr, also eine Art Feiertag.«

»Du hast Respekt. Das gefällt mir.« Er seufzte schwer. »Ja, ich war der Kerl, der die Touristinnen abgeschleppt hat. Sie waren nett und willig. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich nur kurz in der Stadt aufhielten.«

»Ich erkenne die generellen Umrisse eines Plans hier. Du hast angenommen, wenn du es oberflächlich und kurz hältst, müsstest du dich nicht mit Problemen herumschlagen. Wie zum Beispiel einer Beziehung. Wie kommt das?«

Aidan blinzelte erneut in dem grellen Licht. »Nimm es nicht persönlich, aber kennen wir uns?«

»Du meinst, außer, dass wir uns ab und zu Hallo sagen?« Lachend zuckte sie mit ihren schmalen Schultern. »Nicht wirklich. Ich gebe zu, es ist eine sehr zufällige Unterhaltung, aber ich fände es trotzdem gut, wenn du meine Frage beantworten würdest.«

Sein Gehirn lief an diesem Morgen mit maximal siebzig Prozent der üblichen Geschwindigkeit. Sowohl körperlich als auch emotional fühlte er sich, als hätte ihn jemand durch einen Fleischwolf gedreht. Er war der größte Mistkerl weit und breit – so viel stand fest. Alles, was er jetzt noch wollte, war irgendein Loch zu finden, um sich zu verkriechen, bis er einen Weg gefunden hatte, das Problem zu lösen. Was ihm allerdings erst gelingen würde, wenn er herausgefunden hatte, was überhaupt schiefgelaufen war.

Aber das alles erklärte nicht, warum Shelby Gilmore hier saß und ihn einem hochnotpeinlichen Verhör unterzog. Vielleicht war einer ihrer guten Vorsätze für das neue Jahr, Dinge, die schiefgelaufen waren, wieder geradezurücken. Oder sie sah sich als eine Art Rächerin für diejenigen Frauen, deren Herzen er aus Versehen gebrochen hatte?

Er suchte in seiner Erinnerung nach dem, was er über sie wusste. Shelby lebte seit ein paar Jahren in der Stadt. Sie arbeitete in der Bäckerei – vielleicht gehörte die ihr auch, das wusste er nicht so genau. Er hatte Shelby schon einige Male aus der Ferne gesehen. Sie wirkte nett, ganz zu schweigen davon, dass sie Kipling Gilmores Schwester war. Kipling war der Leiter des Bergrettungsdienstes. Daher kannte Aidan ihn – und natürlich, weil das hier Fool’s Gold war, eine Stadt, in der jeder jeden kannte. Was erklärte, warum er diese Unterhaltung überhaupt führte. Oder nicht? Er sah sie an.

»Wie war noch mal die Frage?«, fragte er.

Das Lächeln kehrte zurück. »Warum immer Touristinnen? Du bist ein gut aussehender Mann mit einer erfolgreichen Firma. Wieso bist du nicht verheiratet?«

»Weil ich nicht feststecken will«, platzte er heraus, bevor er sich zurückhalten konnte. »Ist das hier ein Verhör?«

»Nein. Ich wollte nicht aufdringlich sein.«

»Aber du wirst weiter Fragen stellen?«

»So in der Art. Inwiefern willst du nicht feststecken?«

Er trank seinen Kaffee aus. Bevor er aufstehen konnte, um sich noch eine Tasse zu holen, watschelte Patience, die sehr schwangere Besitzerin des Brew-haha, mit einer Kaffeekanne auf sie zu. Inzwischen musste Patience ungefähr im siebenundvierzigsten Schwangerschaftsmonat sein – jedenfalls nach dem enormen Bauch zu schließen.

»Du siehst schrecklich aus, Aidan«, verkündete sie fröhlich. »Hast du immer noch einen Kater?«

»Hm.«

»Wie konnte das nur passieren? So kenne ich dich ja gar nicht. Ich kann mich nicht erinnern, wann du das letzte Mal betrunken warst.«

Aidan machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten. Er und Patience kannten sich schon ihr ganzes Leben lang. Das war einer der Vorteile – und der Nachteile – wenn man in Fool’s Gold lebte. Es gab nicht viele Geheimnisse. Was bedeutete, jeder von hier bis zur Nicholson Ranch würde bald genau wissen, was gestern Abend vorgefallen war.

Shelby sah ihre Freundin besorgt an. »Warum arbeitest du noch? Du bist doch jeden Moment fällig.«

»Ich weiß.« Patience legte die linke Hand auf ihren unglaublich prallen Bauch. »Glaub mir, ich kann es kaum erwarten, dass er endlich auf die Welt kommt. Meine Hoffnung war, dass ein paar Stunden lang zu stehen die Sache vielleicht etwas beschleunigen würde. Außerdem schlafe ich kaum noch. Warum also sollte ich jemand anderen am Neujahrsmorgen in aller Frühe aufstehen lassen, um das Café zu öffnen?«

Noch eine nette Frau, dachte Aidan grimmig. Die waren überall. Er sollte sie nicht einmal ansehen, geschweige denn, sich mit ihr unterhalten.

»Willst du ein Aspirin?«, fragte sie.

»Nein, danke, es geht schon.«

Patience grinste Shelby an. »Das glaube ich nicht. Und du?«

»Keine Sekunde, aber es ist lustig, ihm dabei zuzusehen, wie er so tut als ob.«

Sie machten sich über ihn lustig. Er wollte gerade protestieren, dass er hier vor ihnen saß und alles hören konnte, aber dann erinnerte er sich daran, dass er es verdient hatte. Und noch viel mehr.

Patience schenkte ihm nach und kehrte dann zum Tresen zurück. Bevor Aidan sich wieder konzentrieren konnte, beugte Shelby sich zu ihm.

»Inwiefern würdest du feststecken, wenn du heiratest?«, wiederholte sie ihre Frage.

Sie würde nicht gehen, das hatte er jetzt verstanden. Also gut. Er würde ihr die Wahrheit sagen: »Wenn man jemanden liebt, steckt man fest. Man muss Dinge tun, die man nicht tun will.«

»Du sprichst hier nicht davon, in Restaurants zu gehen, die du nicht magst, und den Müll rauszubringen, oder?«

»Nein.«

»Das dachte ich mir.« Sie musterte ihn. »Also sind diese Touristinnen eine Möglichkeit, auf Nummer sicher zu gehen.« Das Lächeln blitzte wieder auf. »Und flachgelegt zu werden. Zwei Fliegen mit einer Klappe.«

»Ich wünschte wirklich, du würdest das nicht so ausdrücken.«

»Weil du dich dann wie ein Scheißkerl fühlst?«

Er dachte an das, was am Vorabend passiert war. »Was hast du gehört? Über die Frau, meine ich?«

»Dies und das. Erzähl mir deine Version.«

Er war nicht sicher, ob das Schicksal ihm Shelby auf den Hals gehetzt hatte, um sicherzustellen, dass er seine Strafe bekam, oder ob das hier einfach nur einer dieser dummen Zufälle im Leben war. Wie auch immer, er würde die Karten auf den Tisch legen und abwarten, was sich daraus entwickelte.

»Ich war auf der Silvesterparty im The Man Cave. Mit Freunden.«

Er hatte Bier getrunken … zumindest anfangs. Am nächsten Morgen einen heftigen Kater zu haben, hatte nicht zu seinem Masterplan gehört.

»Dann hat mich diese Frau angesprochen.«

Shelby nickte. »Hast du sie erkannt?«

»Natürlich.« Na ja, er hatte sie fast erkannt. »Ich wusste, dass wir vermutlich im Sommer zusammen waren.«

»Zusammen sein ist hier ein anderer Ausdruck für wir hatten Sex

Er zuckte zusammen. »Du bist weit weniger zartbesaitet, als du aussiehst.«

»Danke. Also, die Frau hat Hallo gesagt und …?«

Aidan seufzte. »Sie hat nicht Hallo gesagt. Sie kam zu mir und hat gesagt, sie könne nicht aufhören, an mich zu denken. Dass unsere gemeinsame Woche sie verändert hätte, und dass es mir hoffentlich ebenso ergehen würde, denn sie wäre gerade dabei, ihren Job zu kündigen und nach Fool’s Gold zu ziehen, um mit mir zusammen zu sein.«

Shelby wartete. Er war ziemlich sicher, dass sie die Pointe des Witzes, der sein Leben war, schon kannte, aber – hey –, er konnte sie trotzdem aussprechen. Ehrlich gesagt wäre das sogar gut. Er hatte es verdient.

Er holte tief Luft. »Es war keine Woche«, sagte er dann. »Wenn es eine Woche gewesen wäre, hätte ich mich erinnert.«

»An sie?«

Er räusperte sich. »An ihren Namen. Ich konnte mich nicht an ihren Namen erinnern. Oder daran, wann sie hier gewesen war. Das hat sie sofort gemerkt. Sie ist sauer geworden und hat angefangen, mich anzuschreien.«

In der Bar war es ganz still geworden, als die verschmähte Frau ihm alle möglichen Schimpfwörter von ›Mistkerl‹ bis ›männliche Hure‹ an den Kopf geworfen hatte. Er hatte es über sich ergehen lassen, denn, bei Gott, er konnte sich wirklich nicht an ihren Namen erinnern. Er hatte offenbar ein paar Tage mit ihr verbracht, hatte mit ihr gesprochen, mit ihr gelacht, Sex mit ihr gehabt – um sie wenig später komplett aus seinem Gedächtnis zu streichen.

Was ihn zu all dem machte, was sie ihm vorwarf. Er schämte sich nicht dafür, dass er viele Frauen in seinem Leben gehabt hatte, aber sich nicht an ihre Namen zu erinnern … das war schlimm. Das war das Äquivalent zu dem Betrunkenen, der in der Gosse aufwachte und sich nicht erinnern konnte, wie er da hingekommen war. Diese Frau war sein persönlicher Tiefpunkt. Was sie nicht zu schätzen wusste, aber das konnte er ihr kaum vorwerfen.

»Was hast du nun vor?«, fragte Shelby.

»Verdammt, wenn ich das wüsste. Das, was ich in ihrem Gesicht gesehen habe, hat mir gar nicht gefallen. Es tut mir leid, dass ich sie verletzt habe. Es tut mir leid, dass ich zu so einem Kerl geworden bin. Ich wollte niemals jemandem wehtun. Das war ja der ganze Sinn der Sache. Niemand sollte verletzt werden.« Er schüttelte den Kopf, unterdrückte ein Stöhnen und trank noch einen Schluck Kaffee. »Aber es hat nicht funktioniert. Ich bin dieser Kerl.« Er stellte den Becher ab. »Oder ich war es.«

»Willst du dich ändern?«

»Ja. Das muss ich. Nicht feststecken zu wollen ist eine Sache, aber so ein Arsch zu sein … Das will ich nicht.«

Shelby sah ihn lange an, bevor sie nickte. »Okay. Danke, dass du mit mir geredet hast.«

»Wirst du mich jetzt ohrfeigen oder mir die Absolution erteilen?«

»Weder noch. Ich war einfach nur neugierig.«

Na toll. Er zuckte mit den Schultern. »Hauptsache, du hattest deinen Spaß.«

Sie lachte. »Trink viel Wasser, Aidan. Und wenn dir das nächste Mal jemand ein Aspirin anbietet, solltest du es vermutlich annehmen.«

»Danke für den Rat.«

»Jederzeit.«

Sie stand auf und trug ihren Becher zu dem Wagen für das benutzte Geschirr. Aidan sah zu, wie sie in ihren Mantel schlüpfte und dann wortlos hinaus in den kalten Morgen verschwand.

Hübsch, dachte er geistesabwesend. Nicht, dass ihr Äußeres irgendeine Rolle für ihn spielte. Diese Zeiten waren vorbei. Denn ihm war klar, was er als Allererstes in seinem Leben ändern musste.

Den Frauen komplett abzuschwören war ein drastischer Schritt, aber einer, der helfen würde, alles wieder zu richten. Ja, dachte er entschlossen. Genau das war es, was er tun musste. Er musste sich von allen Frauen fernhalten. Für immer. Und zwar ab sofort.

Die Bürgersteige in der Stadt waren freigeräumt, und der Schnee türmte sich am Straßenrand. In den Schaufenstern standen und hingen noch die Weihnachtsbäume und Stechpalmenkränze, dazu Banner, die das neue Jahr ausriefen. Fool’s Gold war eine Stadt, die sich über die Jahreszeiten und die dazugehörigen Festivals definierte. Shelby mochte die sich ständig ändernden Dekorationen, die von den Straßenlampen hingen. Am Montag würden alle Anzeichen von Weihnachten und Neujahr verschwunden und durch die bunte Deko der Hüttenkollertage ersetzt sein. In den Vorgärten würden Schneemänner auftauchen, und im Park war ein Eisskulpturen-Wettbewerb geplant.

Mehrere Künstler hatten ihr bereits Entwürfe zugeschickt. Von den Zeichnungen hatte sie eine schlichte Schablone angefertigt, aus der sie eine Ausstechform für Kekse machen würde. Während des sehr beliebten Festivals würde die Bäckerei diese selbst gemachten Kekse im Laden und an den beiden mobilen Ständen verkaufen.

Es würde das zweite Jahr sein, in dem sie für die mobilen Verkaufsstände verantwortlich war, und das erste Jahr, in dem es selbst gemachte Kekse gab. Beides war ihre Idee gewesen, und Shelby war schon ganz aufgeregt und nervös. Aufgeregt, weil sie sicher war, dass die Kekse ein Hit werden würden. Und nervös, weil das ihr zweiter großer Vorschlag als neue Geschäftsinhaberin war.

Im letzten Herbst hatte Shelby sich als Minderheitsgesellschafterin in die Ambrosia Bakery eingekauft. Es gab Tage, an denen konnte sie immer noch nicht so recht fassen, dass ihr tatsächlich ein Teil einer Firma gehörte. Ihr! Sie hatte ihre Kochausbildung geliebt, aber schnell erkannt, dass Patisserie ihr Lieblingsfach war, und so ihren Schwerpunkt auf Backen und Konditorkunst verlegt. Ihr Praktikum hatte zu ihrem Job geführt, und plötzlich war ihr Leben auf der richtigen Spur gewesen.

Na ja, ungefähr fünfzehn Minuten lang, dachte sie. Dann war ihre Mom krank geworden, und alles hatte sich verändert.

An der Ecke blieb Shelby stehen. Es war noch früh am Tag. Die Bäckerei hatte über den Feiertag geschlossen. Jetzt hatte sie also die Wahl: Sie konnte nach Hause gehen und das lange Wochenende genießen, was selten genug vorkam. Oder sie konnte zur Arbeit gehen und mit den Keksen spielen. Zum Beispiel, indem sie die Eisskulpturen-Dekoration perfektionierte.

Da ihr Zuhause eine kleine Zweizimmerwohnung war, in der niemand auf sie wartete – nicht einmal ein Goldfisch – bog sie rechts auf die Second Street ab und ging auf die vertraute weiße Ladenfassade mit der hübschen silbernen Markise zu. Bevor sie dort ankam, hielt neben ihr ein Wagen an, und eine blonde Frau stieg aus.

Shelby lächelte ihre Freundin Madeline an. »Solltest du nicht eine romantische Auszeit mit deinem Filmstar-Verlobten verbringen?«

Madeline zog ihren blauen Mantel enger um sich und grinste. »Das habe ich schon, aber wir machen gerade eine Pause. Ich bin nach Hause gekommen, um ein paar Dinge zu holen, und dachte, ich sage mal Hallo.« Sie krauste die Nase. »Ich wusste einfach, dass du heute arbeiten würdest.«

Shelby hob abwehrend beide Hände. »Ich bin nicht in der Bäckerei.«

»Aber nur drei Schritte davon entfernt.«

Unwillkürlich musste Shelby grinsen. »Okay, ja. Ich will mit den neuen Keksformen experimentieren. Und warum auch nicht? Es ist ruhig, und ich backe gerne.«

»Hast du noch irgendwelche Reste für hungrige Freunde?«

»Bestimmt.«

Shelby schloss die Eingangstür hinter ihnen ab und schaltete das Licht ein. Sie liebte es, der erste Mensch im Laden zu sein. Wo sie auch hinschaute, sah sie das Versprechen auf zukünftige Köstlichkeiten. Die großen Schüsseln, die Regale voller Lebensmittel, die riesigen Öfen … Alles stand bereit, um aus ein paar Zutaten etwas Magisches zu erschaffen.

Shelby hatte schon immer gerne gekocht, aber in der Ausbildung hatte sie die technische Expertise erlangt, die ihre Kreativität befreit hatte. Auch wenn sie die Perfektion einer weichen und würzigen Soße oder einer köstlichen Vorspeise durchaus zu schätzen wusste, feierten die Menschen in Wahrheit kleine Augenblicke eher mit einem Keks, einem Brownie oder einem Kuchen. Niemand sagte: »Toll, du bist befördert worden. Lass uns ein Sandwich essen.«

Sie mochte es, durch ihren Job am Leben anderer Menschen teilzuhaben. Zu wissen, dass Freitage dank ihrer Donuts oder Teilchen ein wenig heller wurden. Dass Hochzeiten und Babypartys mit ihren Torten hübscher wurden, und dass Geburtstage alle möglichen Formen und Farben annehmen konnten.

Sie zeigte auf die kleinen Bistrotische am Fenster. Die meisten Kunden kamen nur herein und gingen mit ihren Einkäufen wieder, aber ab und zu kamen Touristen und wollten hier etwas essen. Für diese Leute waren die Tische gedacht.

»Was hättest du gerne? Ich habe Cupcakes, aber die sind schon einen Tag alt.«

»Das macht nichts«, erwiderte Madeline grinsend. »Wenn sie von dir stammen, sind ein Tag alte Dinge besser als die frischesten Backwaren anderswo.«

Shelby lachte. »Es ist mir egal, ob du das nur sagst, weil du eine gute Freundin bist. Ich nehme das Kompliment an und bewahre es tief in meinem Herzen.«

»Genau das solltest du tun.«

Shelby ging nach hinten und holte mehrere Plastikwannen hervor, in denen die Backwaren, die nicht verkauft worden waren, gelagert wurden. Nachdem sie eine kleine Auswahl zusammengestellt hatte, gab sie sie auf einen Teller, bevor sie die Kaffeemaschine anstellte, die von den Angestellten benutzt wurde. Sie nahm zwei Becher und ein paar Servietten und brachte alles nach vorne in den Laden.

Durch das große Fenster fiel Licht. Trotz der Kühle in der Luft versprach der Tag, sonnig zu werden. Die Berge im Osten erinnerten sie an Colorado – wo sie und ihr Bruder aufgewachsen waren. Das waren fröhliche, glückliche Tage, dachte sie. Mehr gute als schlechte, zumindest, als sie noch jünger gewesen war. Irgendwann würde das Schlechte verblassen, und ihr würden nur die positiven Erinnerungen bleiben.

Sie setzte sich Madeline gegenüber und musterte ihre Freundin. Madelines Augen strahlten vor Liebe und Zufriedenheit, und ihre Haut glühte förmlich.

»Verliebt zu sein steht dir«, stellte Shelby fest.

»Ich fühle mich umwerfend. Als wenn ich mein ganzes Leben lang auf Jonny gewartet hätte. Wenn ich mit ihm zusammen bin, kann ich kaum atmen. Und wenn ich nicht bei ihm bin, kann ich es kaum erwarten, ihn wiederzusehen.«

»Junge Liebe«, sagte Shelby seufzend. »Ich erinnere mich nur zu gut daran.«

Madeline lachte. »Also bitte. Du bist achtundzwanzig, was bedeutet, dass du dich nicht über junge Liebe lustig machen darfst.«

»Ich habe mich nicht lustig gemacht. Ich habe nur sanften Neid ausgedrückt. Ich freue mich für dich und hätte so etwas gerne selber.« Sie hielt inne, beugte sich vor und senkte die Stimme. »Natürlich nicht mit Jonny.«

»Das weiß ich doch.«

Shelby stand auf. »Ich hole uns schnell einen Kaffee, und dann essen wir zuckrige Kohlenhydrate, bis wir uns nicht mehr rühren können.«

»Das klingt perfekt.« Madeline folgte ihr nach hinten. »Geht es dir gut?«

Die Frage klang ganz locker, aber Shelby spürte die Sorge dahinter. Ihre Freundin hatte sie am Sonntag nach Weihnachten weinend vorgefunden. Seitdem rief Madeline regelmäßig an und schickte ihr Nachrichten.

»Mir geht es gut. Oder zumindest besser. Ich habe nur meine Mom vermisst.«

Shelby schenkte ihnen beiden einen großen Becher Kaffee ein. Madeline gab Milch in ihren, dann kehrten sie zu dem kleinen Tisch am Fenster zurück.

»Die Feiertage sind hart«, gab Shelby zu. »Ich vermisse Mom immer, aber um diese Jahreszeit ist es schlimmer.«

»Das ist dein zweites Jahr ohne sie, oder?«

»Hmm.«

Letztes Jahr war es besonders schwer gewesen. Ganz allein, in einer neuen Stadt. Kipling hatte sich nach seinem Skiunfall noch in der Reha befunden. Sie war hingeflogen, um Weihnachten mit ihm zu verbringen, und danach war sie nach Fool’s Gold und zu ihrem Job zurückgekehrt. Aber während der gesamten Feiertage war sie sich der Tatsache schmerzhaft bewusst gewesen, dass sie außer ihrem Bruder niemand auf der Welt hatte. Das war etwas, das sie ändern wollte.

In Madelines blaue Augen stahl sich ein wissender Ausdruck. »Letztes Jahr hast du also mit einem frischen Verlust kämpfen müssen, während du dieses Jahr schon besser zurechtkommst. Aber Kipling ist jetzt verheiratet und erwartet sein erstes Kind, also ist alles immer noch ungewohnt.«

»Gut möglich.«

»Das nehme ich als ein Ja. Wie kann ich dir helfen?«

»Du hilfst mir bereits, indem du meine Freundin bist.«

Madeline grinste. »Aber das ist so leicht.«

»Freut mich, das zu hören.« Shelby nahm sich einen Erdnussbutterkeks. Obwohl er bereits ein paar Tage alt war, war der Keks immer noch saftig und süß mit dem perfekten Hauch Knusprigkeit. Der Bissen schmolz förmlich auf ihrer Zunge.

»Also«, sagte Madeline und beugte sich vor. »Hast du dich entschieden? Wirst du es machen?«

Shelby dachte über die Alternative nach. Sie hatte immer aus den besten Gründen die schlechtesten Entscheidungen getroffen. Aber sie wollte mehr. Natürlich, sich sicher zu fühlen war wichtig, aber sie hatte das, was sie vorhin gesagt hatte, auch so gemeint: Sie wollte, was ihre Freundin hatte. Einen wundervollen Mann, den sie lieben konnte, und der sie im Gegenzug liebte. Aber um den zu finden, oder sich überhaupt auf die Suche zu machen, musste sie erst ihre Ängste überwinden.

Kleine Schritte, ermahnte sie sich. Erst einen Mann als Freund, dann einen Mann als Partner.

Sie atmete tief ein. »Ich werde es tun«, sagte sie entschlossen.

Madeline hob die Augenbrauen. »Ehrlich? Das freut mich für dich. Hast du schon einen Mann ausgewählt?«

»Aidan Mitchell.«

Die Augenbrauen ihrer Freundin wanderten noch ein Stückchen höher, und ihr Mund blieb offen stehen. »Aidan?«

Shelby nickte. »Hast du gehört, was gestern Abend passiert ist?«

»Mit Aidan? Nein. Was?«

Shelby erzählte ihr von dem Vorfall im The Man Cave. Sie hatte verschiedene Versionen gehört, bevor sie Aidan selbst damit konfrontiert hatte. Sie sparte kein Detail aus und schilderte die Verzweiflung der armen Frau ebenso wie Aidans verkaterten Selbstekel.

»Aber warum ist es gut, dass das passiert ist?«, wollte Madeline wissen. Ihr Tonfall war ziemlich skeptisch.

»Weil Aidan sich wegen der ganzen Situation schrecklich fühlt. Er ist von sich enttäuscht und sagt, er will sich ändern.«

Damit ihr Plan funktionieren konnte, würde sie jemanden benötigen, der mit ihr kooperierte. »Wenn man darüber nachdenkt, ist er in einer ähnlichen Situation wie ich. Wir wollen beide bessere Menschen werden.«

»Nein«, unterbrach Madeline sie. »Du willst etwas Schreckliches verarbeiten, was in deiner Vergangenheit passiert ist. Er will aufhören, eklig zu sein, wenn es um Frauen geht. Das ist ein Unterschied.«

»Stimmt, aber wir gehen trotzdem in die gleiche Richtung. Was meinst du?«

Sie wollte aus mehreren Gründen Madelines ehrliche Meinung wissen. Nicht nur, weil sie ihrer Freundin vertraute, sondern auch weil Madeline in Fool’s Gold aufgewachsen war. Sie kannte Aidan schon ihr ganzes Leben. Wenn er eine dunkle oder gewalttätige Vergangenheit hätte, würde Madeline ihr alles darüber erzählen.

Ihre Freundin griff nach einem Keks und biss ab, bevor sie antwortete.

»Wenn er es ernst meint, dass er sich verändern will, dann ist er eine gute Wahl. Er war immer nett. Also auf Jungs-Art.« Madeline grinste. »Was ist mit Sex?«

Shelby verdrehte die Augen. »Ich bin nicht an Sex interessiert. Dieser Teil von mir ist nicht kaputt.«

»Aber was, wenn er einen Anreiz braucht?«

»Das denke ich nicht. Nicht nach dem, was gestern Abend passiert ist. Es geht nicht um Romantik. Es geht um etwas Wichtigeres. Darum, dass wir beide unsere Wunden heilen. Bei mir ist es das Herz. Oder vielleicht das verlorene Vertrauen. Ich bin nicht sicher, wie ich das genau erklären soll. Ich weiß nur, dass ich einen Freund brauche. Keinen Liebhaber.«

»Viel Glück, wenn du Aidan davon überzeugen willst.«

»Er sagt, er will ein besserer Mensch werden.« Shelby war nicht sicher, ob sie versuchte, ihre Freundin oder sich selbst zu überzeugen. »Wenn das stimmt, ist dies hier eine Möglichkeit, mein Ziel zu erreichen.« Sie biss sich auf die Unterlippe. Das war ein großer Schritt für sie, aber es schien keinen anderen Weg zu geben. »Also denkst du, dass er dafür der Richtige ist?«

»Das tue ich.«

»Dann werde ich ihn fragen, ob er interessiert ist.«

»Oh, was würde ich nicht dafür geben, dabei Mäuschen spielen zu können. Du erzählst mir doch alles, was passiert, oder?«

»Natürlich. Ich denke, er hat kein Problem damit. Wir werden einander helfen und danach mit unserem jeweiligen Leben fortfahren.«

»Klingt perfekt. Aber der Weg zur Hölle ist bekanntlich mit guten Vorsätzen gepflastert«, murmelte Madeline.

Aidan hatte am Morgen etwas ganz Ähnliches gesagt, fiel Shelby ein. Aber jeder Mensch brauchte gute Vorsätze. Und sie hatte jetzt ihren Neujahrsvorsatz. Einen Plan, um endlich die Vergangenheit hinter sich zu lassen und mit ihrem Leben weiterzumachen. Nun fehlte ihr nur noch ein williger Partner, und dann würde in ein paar Monaten alles genauso, wie sie es sich immer erträumt hatte.

2. Kapitel

Aidan leerte seine Wasserflasche in einem Zug. Er triefte vor Schweiß und war auf gute Weise erschöpft. Es war der zweite Tag des neuen Jahres, und er fühlte sich besser. Sein Kater war weg. Er hatte in der letzten Nacht geschlafen, danach ein gesundes Frühstück gegessen und gerade eben ein zweistündiges Sportprogramm absolviert. Kurz gesagt: Er war dabei, ein völlig neuer Mensch zu werden.

Und dieses Mal würde die Sache mit den Neujahrsvorsätzen funktionieren – dafür würde er sorgen. Er würde mehr Wasser trinken und gesünder essen und viel Sport treiben. Er würde seine Mutter öfter besuchen, und wenn eine alte Dame Hilfe bräuchte, um die Straße zu überqueren, würde er da sein. Vielleicht würde er sich sogar einen Hund anschaffen, um etwas Verantwortungsgefühl zu zeigen. Dann würden seine Gedanken endlich mal um ein anderes Lebewesen kreisen, nicht nur um ihn selbst.

Er schnappte sich seine Sporttasche und zog seine Jacke über. Er würde zu Hause duschen und sich umziehen, dann ins Büro gehen und sich um ein paar Dinge kümmern, deren Erledigung er aufgeschoben hatte. Fleißig. Und tugendhaft. Genau, das würde ab sofort sein zweiter Vorname sein: Aidan Tugendhaft Mitchell.

Draußen saugte ihm die Kälte sofort alle Wärme aus dem Körper. Auf dem Weg zu seinem Truck atmete er ein paar Mal tief ein. Nachdem er den Papierkram erledigt hatte, würde er …

Neben seinem Truck stand jemand. Jemand Weibliches.

Der eisige Knoten, den er jetzt in seinem Magen spürte, hatte nichts mit der Kälte hier draußen zu tun. Seine Kehle zog sich zusammen, und er fragte sich, auf welchen Wegen seine Vergangenheit noch zurückkommen und ihm in den Hintern treten würde. Oder ging es gar nicht um einen Tritt in den Hintern? Wollte diese Frau Blut sehen? Er fragte sich, ob er sich einfach von ihr zusammenschlagen lassen sollte. Wenn er sich hinlegte, könnte sie ein paar gezielte Tritte landen. Immerhin hatte er die verdient.

Er ging weiter, und dann erkannte er die zierliche Blondine. Shelby Gilmore lehnte an der Fahrertür, richtete sich aber auf, als sie ihn sah, und straffte entschlossen die Schultern.

Ihre dicke Wolljacke ließ sie winzig aussehen. Sie hatte eine lächerliche rote Strickmütze mit einem dicken Bommel darauf an. Trotzdem gelang es ihr, jung und frisch und ein kleines bisschen sexy auszusehen.

Aidan verlangsamte seine Schritte und ermahnte sich, dass es keinen Sex mehr in seinem Leben gab. Nicht jetzt und nicht in absehbarer Zukunft. A – keine Frauen. B – keine einheimischen Frauen. C – siehe A.

»Hey, Aidan«, sagte Shelby fröhlich. »Lief das Training gut?«

»Hmhm.« Automatisch verstärkte er den Griff um seine Sporttasche. Er wollte Shelby fragen, warum sie auf ihn wartete, aber ihm fiel keine Möglichkeit ein, das höflich zu formulieren. Und dieser Tage waren gute Manieren für ihn alles.

»Ich habe dir ein paar Kekse mitgebracht.«

Sie streckte ihm eine kleine silber-weiß-gestreifte Papiertüte hin. Selbst aus mehreren Schritten Entfernung roch er Schokolade und vermutlich Erdnussbutter.

»Ich bin gerade sechs Meilen gelaufen und habe Gewichte gestemmt.« Ich habe gute Vorsätze, rief er sich in Erinnerung. Und er musste tugendhaft sein.

»Dann hast du bestimmt Hunger.«

Ihr Lächeln war weich und einladend. Freundlich. Was sehr nahe an sexy war.

Bei dem Gedanken trat Aidan sofort auf die Bremse. Kein Sex, erinnerte er sich. Denk an A und C. Und B.

»Die Zuckerkekse darfst du niemandem zeigen.«

Er atmete kalte Luft ein. »Wie bitte?«

Sie hielt ihm wieder die Tüte hin. »Einige von denen sind glasierte Zuckerkekse. Die darfst du niemandem zeigen.« Das Lächeln kehrte zurück. »Wegen der Hüttenkollertage. Ein paar der Künstler haben mir Zeichnungen ihrer Skulpturen geschickt, damit ich daraus Keksformen machen kann. Aber die Entwürfe sollen noch geheim bleiben, also darfst du die Kekse niemandem zeigen.«

»Weil ein anderer Kerl, der eine Eisskulptur macht, die Form klauen könnte?«

Sie nickte. »Korrekt. Allerdings solltest du nicht davon ausgehen, dass die Künstler nur Männer sind. Einige von ihnen sind nämlich Frauen.«

»Okay.« Er beäugte die Tüte. Der köstliche Duft war verlockend. »Ich versuche, mich richtig zu ernähren.« Der Kommentar war mehr an ihn selbst gerichtet.

»Was sollte denn an meinen Keksen falsch sein?« Ihre blauen Augen funkelten vor Humor. »Sie sind wirklich köstlich. Du solltest mir vertrauen.«

Er wollte sie fragen, warum. Dann erinnerte er sich daran, dass sie ihm ebenfalls vertraute. Mit ihren Keksen. Was beinahe schmutzig klang. Er seufzte. Diese ganze Tugendhaftigkeit war schwerer, als er gedacht hatte.

»Wie machst du Kekse aus den Eisskulpturen?«, fragte er.

»Ich nutze die äußere Form. Zu der kann ich ein paar Einzelheiten hinzufügen, aber nicht zu viele. Wenn die Details zu klein sind, sieht man sie nach dem Backen nicht mehr. Außerdem ist es dann zu schwierig, die Kekse zu dekorieren. Da würde ich meinen gesamten Gewinn für die Dekoration ausgeben. Nicht wegen der Menge an Zuckerguss, sondern wegen der Zeit, die ich dafür aufwenden müsste.« Sie hielt ihm erneut die Tüte hin. »Manchmal bekomme ich einen Spezialauftrag, bei dem ich richtig in die Vollen gehen kann, aber die Eisskulptur-Kekse sind ein Experiment. Wir verkaufen sie auf dem Festival an unseren Ständen.«

Sie sprach zu schnell. Als wäre sie nervös. Die Tüte zitterte ein wenig, und instinktiv nahm er sie ihr ab. Dann fragte er sich, ob er das besser nicht hätte tun sollen.

»Shelby, warum bist du hier?«

»Ich wollte mit dir reden.«

»Über Kekse?«

»Nein. Die habe ich nur mitgebracht, weil ich nett bin.«

Das brachte ihn zum Lachen. »Gut zu wissen. Worüber wolltest du reden?« Er zögerte. »Für den Fall, dass es wichtig ist: Ich habe den Frauen abgeschworen.«

Um ihren Mund zuckte es. »Wirklich? Das ist bestimmt nicht sonderlich spaßig.«

»Heute ist der erste Tag, und bisher ist es nicht so schlimm.« Er log, aber was zum Teufel. Das konnte sie ja nicht wissen.

Ihr Lächeln kehrte zurück. »Nur, damit wir uns richtig verstehen: Ich bin nicht hier, weil ich daran interessiert bin, Sex mit dir zu haben. Und ich will auch keinen Partner. Nun ja, den will ich schon, aber nicht dich.«

Er hatte keine Ahnung, was er davon halten sollte oder wovon sie überhaupt redete. »Also sollte ich einfach dankbar sein für die Kekse?«

Sie lachte. »Nein. Obwohl ich hoffe, dass du sie magst.« Ihr Humor verebbte. »Was ich eigentlich sagen wollte …« Sie schluckte. »Wow, das ist schwerer, als ich gedacht habe. Ich will …«

Das eisige Gefühl in seinem Magen kehrte zurück. Was auch immer es war, es würde ihm nicht gefallen. Er sagte sich, dass seine Antwort auf jeden Fall Nein heißen würde. Er musste üben, Nein zu sagen, und das hier war der Anfang. N-E-I-N. Ganz leicht. Laut seiner Mutter war das eines seiner ersten Wörter gewesen.

»Ich möchte, dass wir Freunde sind.«

Shelby schloss die Wohnungstür auf. Ihr war kalt, und sie war nervös. Erstes würde durch die Heizung in ihrer kleinen Wohnung gelöst. Das Zweite hingegen war eher ein Problem.

Aidan hatte sie nicht ausgelacht. Das war ja schon mal was. Er hatte sie auch nicht einfach stehen lassen. Stattdessen hatte er kurz nachgedacht und dann gesagt: »Sprich weiter.« Weshalb sie vorgeschlagen hatte, das Gespräch bei ihr zu Hause fortzusetzen.

Jetzt wartete sie, während er ihr hineinfolgte. Ihr sowieso schon winziges Apartment schien noch mehr zu schrumpfen. Sie zog ihre Mütze ab und strich ihren Pony zurecht, dann hängte sie ihren und Aidans Mantel an den Haken neben der Wohnungstür.

Sie schaute sich um und fragte sich, was Aidan wohl sah. Oder dachte.

Die Wohnung war relativ neu, mit großen Fenstern. Von ihrem momentanen Standort aus konnte sie das Wohnzimmer, die Essecke und den Großteil der Küche sehen. Alles in allem war die Einrichtung ziemlich gewöhnlich, und sie hatte keinen großen Aufwand betrieben, um die Wohnung schön herzurichten.

Die Wände waren weiß. Sie hatte nur ein paar Poster von Wildblumen und Sonnenuntergängen aufgehängt. Über dem Sofa hing ein großes Foto von Kipling, wie er einen Berg hinunterraste. Er war scharf im Fokus, während der Hintergrund verschwommen war. Die beiden Ski schwebten mehrere Zentimeter über dem Schnee. Seine Miene war konzentriert, sein Mund eine gerade Linie.

Er hatte das Rennen gewonnen, und sie war dabei gewesen. Das Bild war eines ihrer Lieblingsfotos.

Der Rest des Zimmers war weniger aufregend. Sie hatte ein blau kariertes Sofa und einen einzelnen Sessel, der am Fenster stand. Den schlichten Esstisch aus Ahornholz und die Stühle hatte sie in einem Secondhandladen gefunden. Auf der anderen Seite gab es einen kleinen Flur, der zu ihrem Schlafzimmer führte. Außerdem verfügte die Wohnung über ein einigermaßen großes Badezimmer.

Nichts Besonderes, aber für sie reichte es. Die Miete war akzeptabel, die Nachbarn ruhig. Sie arbeitete viel und brauchte nicht mehr. Eines Tages, dachte sie sehnsüchtig. Eines Tages würde sie ein Haus und einen Ehemann und Kinder und vielleicht einen Hund haben. Bis dahin war das hier genug.

Sie zeigte auf den Esstisch. »Ich habe Cupcakes«, sagte sie. »Dazu kann ich uns einen Kaffee machen. Oder hättest du lieber ein Glas Milch?.«

»Du hast mir Kekse geschenkt. Die stehen in meinem Truck.«

»Die sind für später. Die Cupcakes sind für unsere Unterhaltung.«

Er schaute von der Kuchenplatte auf dem Esstisch zu ihr. »Wie kannst du diese Sachen essen und trotzdem noch so aussehen?«

Sie spürte, wie ihre Anspannung ein wenig nachließ. »Ich probiere eher, als dass ich esse. Außerdem arbeite ich in einer Bäckerei. Nach einer Weile sind all die Köstlichkeiten nicht mehr so verlockend.«

»Ich wünschte, das würde mir auch so gehen.«

Er nahm auf dem angebotenen Stuhl Platz. Shelby ging in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine ein. Sie hatte den Kaffee vorhin schon eingefüllt, in der Hoffnung, dass ihr Plan klappen würde. Irgendwie war sie überrascht, dass sie so weit gekommen war. Ihr Plan war gut. Aber alles hing davon ab, dass Aidan bereit war mitzumachen. Und dass er sie nicht für völlig verrückt hielt.

Jetzt, wo er hier war, wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Wie sie anfangen sollte. Seit Wochen übte sie schon ihre Eröffnungssätze. Genauer gesagt seit dem Tag, an dem ihr eingefallen war, was sie tun musste. Sie hatte gewusst, was, aber nicht mit wem. Das war ihr erst klar geworden, als sie von dem Vorfall an Silvester gehört und Aidan am nächsten Tag gesehen hatte.

Er hätte über das, was passiert war, lässig hinweggehen können, doch das hatte er nicht getan. Er war wütend auf sich und beschämt gewesen. Er wollte sich ändern. Das spielte ihr in die Karten.

»Sahne und Zucker?«, fragte sie.

»Einfach schwarz.«

Sie trank ihren Kaffee genauso. Jede Kalorie sparen, dachte sie immer. Jetzt trug sie die beiden Becher an den Tisch und setzte sich Aidan gegenüber.

Er war groß und hatte breite Schultern. Da sie ihn direkt nach dem Training abgefangen hatte, trug er immer noch seine Sportklamotten – ein T-Shirt und eine Jogginghose. Beides saß locker, aber dennoch erhaschte sie einen Blick auf die Muskeln unter dem Stoff. Angesichts dessen, womit er sich seinen Lebensunterhalt verdiente, ergab es Sinn, dass er gut in Form war.

Sein Gesicht ist nett, dachte sie. Er sah gut aus, ohne schön zu sein. Ihr gefielen seine dunkelbraunen Augen und die Art, wie er ihren Blick festhielt.

Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.

»Das hier ist dein Meeting«, sagte er und griff nach einem Cupcake aus Schokolade mit Kokosguss. Schlicht, aber köstlich. Das waren die besten Desserts meistens.

Sie atmete tief ein und sagte das Erste, was ihr in den Sinn kam. »Ich will ein Haus kaufen.«

Er zog die Augenbrauen zusammen. »Ich bin aber kein Makler.«

»Ich weiß.« Sie schluckte gegen das plötzliche Engegefühl in ihrer Kehle an. Das hier würde schwerer werden, als sie gedacht hatte.

»Gestern hast du gesagt, es täte dir leid, was mit der Frau passiert ist.« Sie nippte an ihrem Kaffee. »Siehst du das immer noch so?«

Er nickte und biss von dem Cupcake ab. »Die sind gut«, sagte er, nachdem er gekaut und geschluckt hatte.

»Danke. Mir gefällt es, dass du dich verändern willst. Das ist nicht leicht. Du weißt schon, alte Gewohnheiten und so.«

»Ja. Ich habe noch nicht ganz herausgefunden, was ich tun will. Aber ich gebe die Frauen auf, das steht fest.«

»Und wie lange soll deine Anti-Frauen-Phase halten?«

»Ich weiß es nicht. Ein paar Wochen. Ein paar Monate.«

»Das ist lang.«

Er verzog den Mund. »Wem sagst du das. Aber ich weiß nicht, was ich sonst tun soll. Ich will nicht mehr dieser Kerl sein.«

»Willst du dich verlieben?« Sie hob die Hände. »Nicht in mich. Darum geht es hier nicht. Aber irgendwann mal?«

»Ich weiß es nicht.«

Das war eine unerwartet ehrliche Antwort. »Weil du dann feststecken würdest?«

»Das hätte ich dir nicht erzählen sollen.«

»Du warst total verkatert. Du konntest nicht anders. Ich werde es niemandem weitersagen.«

Gefühle huschten über sein Gesicht. Sie versuchte, sie zu entziffern, doch es gelang ihr nicht.

»Ich will Frauen nicht schlecht behandeln«, sagte er schließlich. »Nein, das ist nicht richtig. Ich war ehrlich mit dem, was ich wollte, und wenn die Frau zugestimmt hat, hatten wir eine gute Zeit. Es sollte für uns beide in Ordnung sein. Ich weiß nicht, was schiefgelaufen ist.«

»Eine deiner Kurzzeitfrauen wollte mehr.«

»Und ich konnte mich nicht an ihren Namen erinnern.«

In seinen Worten schwang echtes Bedauern mit.

»Und nun willst du dich ändern.«

Er sah sie an. »Wenn du glaubst, du könntest mich verändern …«, fing er an.

»Das tue ich nicht.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nicht, dass man einen anderen Menschen ändern kann. Wir müssen die Entscheidung selbst treffen, dass wir uns ändern wollen, und sie dann umsetzen. Du willst dich Frauen gegenüber anders benehmen, weißt aber nicht, wie. Ist es dir je in den Sinn gekommen, dass das Problem vielleicht nicht war, dass du dich nicht an ihren Namen erinnern konntest, sondern, dass du sie von Anfang an nicht als Person wahrgenommen hast? Dass du keine von ihnen als Menschen siehst?«

Sein Blick glitt sehnsüchtig zur Tür. »Okay. Das hier war echt toll, aber ich muss jetzt gehen.«

»Fünf Minuten«, sagte sie leise. »Gib mir fünf Minuten. Ich habe wirklich etwas zu sagen, und ich denke, es wird dich interessieren. Außerdem ist es nichts Schlimmes, versprochen.«

Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Fünf Minuten.«

»Danke.« Sie hielt kurz inne und überlegte, wie sie ihren Vorschlag am besten und schnellsten formulieren konnte, damit er sah, dass ihr Plan für sie beide echte Vorteile hatte.

»Du tust alles, was du kannst, um nicht festzustecken. Was für dich das Gleiche ist, wie sich zu verlieben, richtig? Du willst keine ernsthafte Beziehung.«

Er nickte nur knapp.

»Logischerweise schlägst du deshalb die andere Richtung ein. Eine Reihe von kurzen, bedeutungslosen Flirts. Aber auch wenn die ein gewisses Vergnügen mit sich bringen, bist du dabei doch nicht ganz die Person, die du eigentlich sein möchtest.«

Ein weiteres Nicken, dieses Mal etwas weniger vorsichtig.

»Jetzt willst du dich ändern, weißt aber nicht, wie. Ich denke, ein Teil des Problems ist, dass du Frauen entweder als Ehefrauen oder als Spielzeug siehst. Du hast keine weiblichen Freunde in deinem Leben.« Bevor er etwas erwidern konnte, winkte sie mit einer Hand ab. »Die Familie zähle ich nicht dazu. Also deine Mutter, deine Cousinen und so. Ich meine ganz normale Frauen, mit denen du interagierst.«

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Mach weiter.«

Es ist super, dass er noch nicht geflohen ist, dachte sie. Jetzt aber kam der schwierige Teil. Ihm von ihr zu erzählen.

»Meine Mutter war die zweite Frau meines Vaters. Kipling und ich sind Halbgeschwister. Meine Mom war super. Süß und liebevoll. Sie hat meinen Vater angebetet.« Shelby atmete tief ein und ermahnte sich, sich an die Fakten zu halten. Wenn sie in ihrem Kopf blieben, würde alles gut werden. Nur wenn sie sich in den Erinnerungen verlor, würde sie wie immer in Schwierigkeiten geraten.

»Mein Dad war ein schwieriger Mann«, fing sie an und unterbrach sich dann sofort. Martina, ihre Therapeutin, hatte sie immer ermahnt, authentisch über ihre Vergangenheit zu sprechen und nicht beschönigend. »Nein. Das stimmt nicht. Er war nicht schwierig. Er war gewalttätig. Er hat meine Mutter geschlagen, und als ich älter wurde, hat er auch mich geschlagen.«

Die harten Worte hingen zwischen ihnen in der Luft. Aidans Miene wurde hart, aber er sagte nichts.

»Eine meiner frühesten Erinnerungen ist daran, dass meine Mutter schreit, weil mein Vater sie schlägt. Ich erinnere mich daran, schreckliche Angst gehabt zu haben. Aber als ich klein war, hat er mich nie geschlagen, also war ich auf verquere Weise sicher. Er hat auch Kipling nicht geschlagen – nicht so wie meine Mom. Vielleicht lag es daran, dass Kipling sein Sohn war. Ich weiß es nicht.«

Sie griff nach ihrem Kaffee, doch als sie merkte, wie sehr ihre Hände zitterten, stellte sie den Becher wieder ab. »Kip ist ausgezogen, als ich zehn war. Er war ein großartiger Skifahrer und ist auf ein Sportinternat gegangen. Er hat geschworen, immer für mich da zu sein, sollte es wirklich schlimm werden.« Sie spürte ein Zucken um ihre Lippen. »So haben wir das, was passierte, beschrieben. Es gab mehrere Stufen von schlimm.«

Es war eine Art Code gewesen: Hatte er ihre Mom dieses Mal krankenhausreif geprügelt? Gab es Knochenbrüche? Wie so viele Familien, die mit etwas Schlimmem umgehen mussten, hatten sie immer um die Wahrheit herumgesprochen.

»Ich erinnere mich, meine Mom gefragt zu haben, warum sie bleibt, und sie meinte, es wäre, weil sie ihn so sehr liebe. Das hat für mich überhaupt keinen Sinn ergeben, aber ich wusste tief im Herzen, dass sie niemals gehen würde. Und da er mich nicht geschlagen hat, haben wir so weitergelebt. Mit den unausgesprochenen Regeln: Mach Dad nicht wütend. Versuch nicht, Mom zu beschützen. Stell dich nicht in den Weg.«

Es hatte so viele schreckliche Momente gegeben. Nächte, in denen sie aufgeschürfte Haut gereinigt und Eis auf Prellungen gedrückt hatte. Zeiten, in denen sie versucht hatte, herauszufinden, ob ein Knochen gebrochen war und ob sie den Notruf wählen sollte oder nicht.

»Und dann bin ich dreizehn geworden.«

Shelby wusste immer noch nicht, was die Veränderung in ihrem Vater hervorgerufen hatte – ihr Geburtstag, der Einsatz der Pubertät oder etwas anderes. Aber an dem Tag, nachdem sie dreizehn geworden war, hatte er sie zum ersten Mal geschlagen.

»Es hat wehgetan«, sagte sie leise. »Ich habe Moms Schreie eine Million Mal gehört, aber erst als er mich mit der Faust geschlagen hat, wurde mir wirklich klar, wie schrecklich weh so etwas tut. Der Schock hat mich erschüttert. Das Gefühl von Verrat, von Hilflosigkeit. Meine Mom hat versucht, ihn aufzuhalten, aber er hat sie gegen die Wand geschubst und mir weiter nachgesetzt.«

Sie war bewusstlos geschlagen worden. Es hatte Dutzende Prellungen, aber keine Knochenbrüche gegeben. Bis heute wusste sie nicht, ob sie damals eine Gehirnerschütterung erlitten hatte, weil zum Arzt zu gehen außer Frage gestanden hatte.

»Am nächsten Morgen habe ich Kip angerufen. Zwölf Stunden später stand er vor der Tür und hat mich da rausgeholt. Kip war damals bereits mit dem Skizirkus unterwegs und verdiente sein eigenes Geld. Also konnte er es sich leisten, mich in einem Internat unterzubringen. Dort bin ich bis zum Ende der Highschool geblieben. Meine Mom hat mich dort besucht. Aber immer nur meine Mom. Ich habe meinen Dad erst Jahre später wiedergesehen.«

Seltsam, wie sie das alles ohne Tränen erzählen konnte. Vielleicht hatte sie sich vor Jahren schon ausgeweint, da war sie sich nicht sicher.

»Ich habe sie angefleht, ihn zu verlassen«, fuhr sie fort. »Kip wollte uns eine Wohnung besorgen. Aber meine Mutter hat sich geweigert. Sie hat immer weiter davon gesprochen, wie sehr sie ihn liebte und wie sehr er auch sie liebte.«

Shelby sah Aidan an und war dankbar für das Fehlen von Gefühlen in seiner Miene. Seine Augen verrieten nichts, und das war ihr nur recht.

»Sie hatte immer blaue Flecken. Sie bemühte sich, sie abzudecken, aber ich wusste, wonach ich Ausschau halten musste. Sie blieb immer ein paar Tage bei mir und ist dann zu ihm zurückgegangen.«

Sie verlagerte ihr Gewicht und legte ihre Hände in den Schoß. »So haben wir jahrelang gelebt. Dann hat meine Mutter Krebs bekommen. Es war schlimm. Als sie mir schließlich davon erzählt hat, hatte sie nur noch wenige Wochen zu leben. Ich bin zu ihr zurückgekehrt – und damit zu ihm.«

Sie straffte die Schultern. »Es hat alles wieder von vorne angefangen. Diesmal ahnte ich, was kommen würde. Also habe ich versucht, mich zu schützen, aber er ist auf mich losgegangen, während ich geschlafen habe. Ich bin davon aufgewacht, dass er mich geschlagen hat. Es war schrecklich. Schrecklicher, als du dir vorstellen kannst. Kip hatte gerade wieder sein Training aufgenommen, nachdem er bei den Olympischen Spielen gewonnen hatte. Ich wollte ihn damit nicht belasten, aber irgendwann hatte ich das Gefühl, es nicht länger ertragen zu können. Dann hat Kip sich verletzt und lag in Neuseeland im Krankenhaus. Die Ärzte waren nicht sicher, ob er jemals wieder würde laufen können. Ich wusste, ich musste die letzten Wochen mit meiner Mom alleine durchstehen. Ich musste mein Bestes geben, um mich von meinem Dad nicht überraschen zu lassen. Aber es ist schwer, nicht zu schlafen. Ein paar Mal habe ich mir über Nacht ein Hotelzimmer genommen, aber das war keine langfristige Lösung. Ich hatte wirklich Angst um mein Leben – da tauchten diese beiden Männer auf.«

Die Spannung löste sich, als sie sich an den Schock erinnerte, den sie erlitten hatte, als sie die Haustür öffnete und Angel und Ford auf der Treppe stehen sah. »Sie waren vom CDS. Bürgermeisterin Marsha hatte sie geschickt, um mich zu beschützen.«

Aidan zog die Augenbrauen hoch. »Woher wusste sie, was los war?«

Zum ersten Mal seit mehreren Minuten lächelte Shelby. »Da fragst du die Falsche. Ich wusste nur, dass es ein Wunder war. Mein Dad ist aufgrund mehrerer Anklagen verhaftet worden. Offensichtlich war er nicht nur zu Hause ein schlechter Mensch. Ich bin bis zu ihrem Tod bei meiner Mom geblieben und dann hierhergezogen.«

Aidan beugte sich zu ihr. »Das tut mir leid.«

»Danke. Ich wollte das nicht alles auf dir abladen, aber ich wusste nicht, wie ich sonst erklären sollte, was ich vorhabe.« Jetzt kam der schwere Teil. »Es hat Männer in meinem Leben gegeben. Freunde. Oder so in der Art. Ich will das, was die meisten Menschen haben. Liebe und eine Familie. Aber ich bin nicht gut darin, die richtigen Männer auszuwählen.« Sie legte ihre Hände auf den Tisch. »Wegen dem, was mit meinem Dad passiert ist, habe ich eine Therapie angefangen. Dort habe ich erkannt, dass ich mir immer Männer suche, die keine Verpflichtungen eingehen wollen. Den amüsanten Charmeur, der nicht bleiben oder treu sein kann. Oder den Kerl, der noch nicht über seine letzte Beziehung hinweg ist. Von außen betrachtet sehe ich so aus, als hätte ich alles im Griff, aber innerlich halte ich mich davor zurück, mich auf jemanden einzulassen, der mich lieben könnte, weil ich Angst habe. Abgesehen von Kip vertraue ich Männern nicht. Und deswegen suche ich mir die aus, die so fehlerbehaftet sind, dass eine Beziehung niemals funktionieren kann. Auf diese Weise vermeide ich es, mich einem Risiko auszusetzen.«

Interessante Fakten, dachte Aidan, aber das hatte nichts mit der Wut zu tun, die sich in seinem Inneren aufgebaut hatte. Er wusste nicht, wo Shelbys Vater sich im Moment befand, aber er wollte ihn finden und ihm eine Kostprobe dessen geben, was er seiner Familie angetan hatte. Er wollte den Mann in einen blutigen, zerbrochenen Klumpen aus Schmerz und Leid verwandeln. Dann wollte er ein paar Tage warten und es gleich noch einmal tun.

Er verstand, dass man genervt oder verärgert oder sogar wütend sein konnte. Aber es gab keine Entschuldigung dafür, das an jemand anderem auszulassen. Er war mit vier Brüdern aufgewachsen, also hatte er als Kind zahlreiche Prügeleien erlebt. Aber es gab Regeln, und eine davon war, dass man sich an seine eigene Größe und sein eigenes Geschlecht hielt. Und dass man ab dem fünfzehnten Geburtstag Probleme auf andere Weise löste.

Er fand zwar, dass sein eigener Vater ein Arschloch war, aber selbst der hatte nie eine Frau geschlagen.

»Aidan?«

Er sah Shelby an. »Was?«

»Du hörst mir nicht zu.«

»Sorry. Es ist wegen deines Dads. Wo ist er jetzt?«

»Im Gefängnis. Er sitzt mehrere Haftstrafen ab. Selbst bei vorbildlichem Verhalten wird er frühestens in fünfzig Jahren entlassen.«

»Ich würde am liebsten zu ihm gehen und ihn bestrafen.«

Sie streckte die Hand aus und berührte sanft seine. »Danke. Ich weiß den Gedanken zu schätzen, aber das ist nicht nötig.«

»Ich möchte ihm wehtun.«

»Das wird ihn nicht ändern.«

Vermutlich nicht, aber das war nicht der Grund dafür, dass er jetzt das Thema wechselte. Ihren Vater zu verprügeln würde Shelby nicht helfen, und das war das wirklich Wichtige.

Autor