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Der attraktive Nachbar

hier erhältlich:

Beim ersten Blick in Jakes dunkle Augen, weiß Hallie, dass dieser Mann genau der Richtige ist, um ihre Sehnsucht nach Zärtlichkeit zu stillen. Sie ziehen sich sexuell so stark an, dass jede Liebesstunde zu einem Feuerwerk der Lust wird. Zu gern würde Hallie ihn für immer gewinnen, doch Jake will keine feste Bindung …


  • Erscheinungstag: 30.11.2023
  • Seitenanzahl: 98
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745753714
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Hallie Stewart stieg auf die Trittleiter. In den Händen hielt sie eine klebrige Tapetenbahn. Sie fluchte leise vor sich hin, während sie sich vergeblich bemühte, das Blumenmuster genau an der richtigen Stelle zu platzieren. Wieso stellte sie sich heute bloß so ungeschickt an? Schließlich tapezierte sie nicht zum ersten Mal. Allerdings hatten bei ihren bisherigen Versuchen auch nicht drei quengelnde Kinder zwischen den Füßen herumgetobt. Im Moment schienen ihre drei Lieblinge nämlich alles daranzusetzen, sie in den Wahnsinn zu treiben.

Es war noch keine Stunde her, dass sie die Kinder vor die Wahl gestellt hatte, entweder draußen in der Sonne zu spielen oder sich – für den Fall einer weiteren Unterbrechung – auf ein blaues Wunder gefasst zu machen. Nun, eigentlich hatte sie ihnen eher ein Ultimatum gesetzt. Auch wenn die Kleinen keine Vorstellung davon hatten, wie das blaue Wunder aussehen mochte, wollten sie doch lieber kein Risiko eingehen. Stattdessen gingen sie schmollend hinaus in den Garten.

Jetzt war es schon einen Monat her, seit sie von Dallas weggezogen waren und sich in Jacincta niedergelassen hatten, und die Kinder hatten sich noch immer nicht eingelebt. Hallie begann sich allmählich Sorgen zu machen. Sicher, die Umstellung war für die Kinder von einschneidender Bedeutung gewesen. Es war ungefähr so, als hätte man sie auf einer einsamen Insel ohne Kabelfernsehen ausgesetzt. Der zehnjährige Mark fand es besonders öde, weil weder eine Videothek noch ein Schnellrestaurant in der Nähe waren. Unvorstellbar – dabei lebten sie im zwanzigsten Jahrhundert. Trotz der ständig wiederkehrenden Proteste der Kinder hatte Hallie gehofft, dass sich alles einspielen würde.

Sie sah die Dinge natürlich mit anderen Augen. Jacincta war genau der Ort, nach dem sie gesucht hatte. Nachdem sie fünfzehn Jahre in Dallas gelebt hatte, war dieses kleine verträumte Städtchen genau richtig. Hier würde sie hoffentlich Ruhe und Frieden finden, wonach sie sich so lange schon gesehnt hatte. Die steigende Kriminalität, die das Leben in der Großstadt immer gefährlicher machte, war noch nicht bis hierher vorgedrungen. Der letzte Mord, der in Jacincta begangen worden war, lag lange zurück. Im Jahre 1912 hatten einige Farmer einen Viehdieb gelyncht, der die Gegend unsicher gemacht hatte. Danach war nichts Nennenswertes mehr geschehen.

Jacincta war eine sichere Umgebung für Kinder. Und als Hallie das achtzig Jahre alte Bauernhaus kaufte, erfüllte sie sich damit einen Wunschtraum.

Jahrelang hatten Jim und sie gespart, um den Kindern eines Tages ein Leben fernab von der Großstadt zu ermöglichen. Sie hatten sich vorgenommen, ein altes Haus zu kaufen, ein so genanntes Haus mit Charakter, wie Jim zu sagen pflegte, das sie in eine Pension umbauen wollten. Hallie sah das Schild „Bed and Breakfast“ schon vor sich. Beide hatten den Tag, an dem ihr Traum in Erfüllung gehen sollte, kaum erwarten können. Und die Idee war wirklich gut. Hallie würde sich um die Pension kümmern, während Jim einen ruhigen Job als Dorfpolizist annehmen würde.

Leider hatte Jim das alles nicht mehr erleben dürfen. Auf seiner letzten Streife in Dallas hatte er einen Lieferwagen angehalten, der mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren war. Der Fahrer des Wagens hatte sofort losgeschossen. Jim war auf der Stelle tot gewesen. Hallie hatte drei Jahre gebraucht, um über diese sinnlose Gewalttat hinwegzukommen. Doch dann raffte sie sich endlich auf. Trotz ihrer Verzweiflung gelang es ihr irgendwie, den Rest Geld zusammenzubekommen und mit ihren Kindern aus der Großstadt zu flüchten. Ihre Erleichterung darüber war unbeschreiblich.

Genauso unbeschreiblich waren allerdings die Proteste der Kinder. Sie waren typische Stadtkinder, die keine Ahnung hatten, was sie auf dem Land mit sich anfangen sollten. Hallie lächelte. Sie würden es schon schaffen, sich einzugewöhnen. Daran zweifelte sie nicht.

Sie hatte den Streifen Tapete gerade zurechtgeschnitten, als die kleine Rasselbande lärmend und staubig in das Gästezimmer stürzte, wo Hallie immer noch arbeitete. Sie schrien alle aufgeregt durcheinander, und die sechsjährige Katie, ihre Jüngste, weinte.

„Was ist denn los?“, fragte Hallie besorgt.

Erneut redeten alle drei gleichzeitig durcheinander.

„Ich verstehe kein Wort.“ Hallie hielt sich verzweifelt die Ohren zu. „Könntet ihr bitte nacheinander reden? Mark, was ist passiert?“

„Wir haben ein Monster in Jake Donahues Wohnzimmer gesehen“, erklärte Mark gelassen. „Aber diese Babys mussten ja gleich heulen, als die Fensterscheibe kaputtging. Sie sind sofort nach Hause gerannt.“

„Sind wir gar nicht“, widersprachen der achtjährige Andy und seine kleine Schwester Katie wie aus einem Mund. Sie waren allerdings vom schnellen Rennen so außer Atem, dass es fast unmöglich war, ihnen zu glauben.

„Seid ihr doch.“ Wie immer behielt Mark das letzte Wort.

Hallie bürstete ein letztes Mal über die Tapete. „Es ist wirklich nicht zu fassen“, wandte sie sich dann wieder den Kindern zu. „Wie oft habe ich euch eigentlich gesagt, dass ihr den armen Mann in Ruhe lassen sollt?“

„Er ist kein Mann“, erwiderte Mark feierlich. „Er ist ein Untoter.“

„Und er hat einen großen hässlichen Hund“, schniefte Katie immer noch außer sich.

Mark verdrehte die Augen. „Das ist kein Hund. Das ist sein ergebener Diener. Er bewacht den Sarg und passt auf, dass sein Herr tagsüber keinem Vampirjäger in die Hände fällt. Das weiß doch jedes Kind.“ Als begeisterter Leser von Vampirbüchern war Mark natürlich auf diesem Gebiet Experte.

Hallie warf ihrem Ältesten einen unmissverständlichen Blick zu. „Ich möchte wissen, wer von euch die Fensterscheibe zerbrochen hat.“

„Der Hund … ich meine, der Diener“, verbesserte Andy sich.

„Wir haben durchs Fenster ins Haus geguckt“, erklärte Katie, „und da ist er von innen gegen das Fenster gesprungen.“

„Das wäre alles nicht passiert, wenn ihr von vornherein auf mich gehört hättet.“

„Mark hat aber recht, Mom.“ Andy sah seine Mutter an. Hinter den rot umrandeten Gläsern seiner Kinderbrille wirkten seine Augen noch größer, als sie ohnehin schon waren. „Donahue ist ein Vampir, und in seinem Wohnzimmer saß ein fürchterliches Monster. In dem Zimmer sind lauter unheimliche Dinge. Und in einer Ecke steht eine große viereckige Kiste.“

„Das ist sein Sarg“, erklärte Mark überzeugt. „Tagsüber schläft er darin, und nachts kommt er hervor, um seinen unschuldigen Opfern das Blut auszusaugen.“ Er sprang auf seine kleine Schwester zu und tat so, als wollte er sie mit seinen imaginären Klauen packen.

„Mommy!“, schrie Katie voller Panik. „Ich will nicht, dass mir jemand mein Blut aussaugt.“

„Jetzt reicht es aber! Anscheinend seid ihr alle vollkommen verrückt geworden.“ Hallie war wütend, dass die Kinder ihren Befehl, nicht in die Nähe von Jake Donahues Haus zu gehen, missachtet hatten. Der Mann schien ein Einsiedler zu sein, und nach allem, was sie bisher über ihn gehört hatte, war er den Leuten aus der Umgebung ein Rätsel. Bisher hatte ihn tagsüber noch niemand sein Haus verlassen sehen. Wenn er überhaupt jemals ausging, dann tat er es nachts. Er hatte nie Besuch und kaufte nie ein – zumindest nicht in Jacincta.

Kein Wunder also, dass die Phantasie mit den Kindern durchgegangen war. Sie hatten nur zwei und zwei zusammengezählt. Das war nun die Folge davon, dass Mark ihnen jeden Abend Dracula als Gutenachtgeschichte vorlas. Auch Petrita Gomez, die neue Haushälterin, hatten sie schon angesteckt. Sie hatte unzählige Knoblauchzehen in ihrem Zimmer verteilt, und an jeder Wand hing ein riesiges Kruzifix. Petrita war so abergläubisch, dass sie die Geschichten der Kinder nicht nur glaubte, sondern noch nach Herzenslust ausschmückte. Trotzdem brachte Hallie es nicht übers Herz, die Frau zu entlassen. Pete, wie sie sie liebevoll nannte, half ihr aufopfernd bei der Kinderbetreuung, und außerdem war ihr Chili con carne eine wahre Delikatesse.

Es gab in der ganzen Stadt nur einen Menschen, der Jake Donahues Haus jemals von innen gesehen hatte, und das war der Klempner. Jake Donahue hatte ihn eines Tages nach Mitternacht zu sich kommen lassen, weil ein Abflussrohr verstopft war, und er hatte den Mann gut bezahlt. Obwohl der Klempner zugeben musste, dass das unheimliche Haus genau wie alle anderen Häuser an die Kanalisation angeschlossen war und über ganz normale Abflussrohre verfügte, hatte auch er sich ausgesprochen unbehaglich gefühlt. Er stimmte mit den übrigen Einwohnern von Jacincta überein. Es war geradezu gespenstisch dort.

Von Jake Donahue selbst hatte der Klempner nicht allzu viel zu sehen bekommen. Sein rätselhafter Auftraggeber hatte bei flackerndem Kerzenschein in der Küche gesessen. Auch hierfür gab es allerdings eine einleuchtende Erklärung – ein Sturm hatte kurz zuvor sämtliche elektrischen Leitungen in der Gegend lahm gelegt. So hatte auch der Klempner seine Arbeit im Taschenlampenschein verrichten müssen.

„Warum seid ihr überhaupt zu dem Haus gegangen, obwohl ich es euch ausdrücklich verboten habe?“ Hallie sah die drei Übeltäter ärgerlich an.

„Um Jake Donahue zu beobachten, natürlich“, erwiderte Mark ganz selbstverständlich. „Man hat schließlich nicht allzu oft Gelegenheit, den Sarg eines Vampirs zu sehen.“

Andy und Katie nickten zustimmend, obwohl ihre Begeisterung sich sichtlich in Grenzen hielt.

Hallie schloss die Augen und zählte langsam bis zehn. „Okay, Leute, hört mir gut zu“, sagte sie dann betont ruhig. „Hiermit verkünde ich euch feierlich, dass es weder Vampire noch sonst irgendwelche Gespenster oder Geister gibt. Schreibt euch das hinter die Ohren. Ich möchte nie wieder solchen Unsinn hören.“

„Da sind Bram Stoker und Jonathan Dark aber ganz anderer Ansicht“, protestierte Mark hartnäckig. Nachdem er die klassischen Vampirgeschichten von Dracula gelesen hatte, stürzte er sich in letzter Zeit voller Leidenschaft auf die zeitgenössischen Horrorautoren. Hallie ermutigte ihre Kinder stets zum Lesen. Doch während sie ihnen bislang in der Wahl ihrer Lektüre freie Hand gelassen hatte, kam sie nun zu dem Ergebnis, dass es vielleicht doch empfehlenswert war, ihnen gelegentlich Einhalt zu gebieten.

„Kennst du den Unterschied zwischen fiktiven und realen Erzählungen?“, fragte Hallie ihren Ältesten.

„Ja, warum?“

„Wenn du dir in der Bücherei ein Buch von Jonathan Dark ausleihst, in welcher Abteilung findest du seine Bücher dann?“

„Bei den fiktiven Romanen“, brummte Mark.

„Genau, und das bedeutet, dass die Handlung dieser Bücher nicht das Geringste mit der Wirklichkeit zu tun hat. Ich hoffe, wir haben uns verstanden. Und nun möchte ich nichts mehr davon hören. Wascht euch die Hände und kommt zum Essen.“ Hallies Miene ließ eindeutig darauf schließen, dass jede Art von Widerrede zwecklos sein würde. Und obwohl es ihr schwer fiel, Mark zurechtzuweisen, da er von allen Kindern am meisten unter der Trennung von seinen Freunden litt, wusste sie genau, dass sie sich in diesem Fall auf keine Diskussion einlassen durfte. „Pete, mach den Kindern bitte etwas zu essen, bevor ich sie alle drei in den Kerker werfe!“, rief sie in Richtung Küche.

„Wir haben keinen Kerker“, gab Mark zu bedenken.

„Das erschwert die Sache nur unwesentlich. Dann werde ich mir eben eine andere Strafe einfallen lassen. Und jetzt beeilt euch.“

Als sich alle wenig später mit gesundem Appetit über Petes köstliche Enchilladas hermachten, war es Hallie, die das Gespräch erneut auf ihren seltsamen Nachbarn brachte. „Ich habe beschlossen, dass ihr drei euch bei Mr. Donahue entschuldigt. Außerdem müssen wir seine kaputte Fensterscheibe bezahlen.“

„Niemals!“, rief Mark aufgebracht. „Da kriegen mich keine zehn Pferde hin. Glaubst du vielleicht, dass ich mich in einen Untoten verwandeln lassen will?“

„Ich auch nicht“, stimmte Andy zu.

„Können kleine Mädchen auch Untote werden?“ Katies Unterlippe zitterte verdächtig.

„Nein“, entgegnete Mark herzlos. „So kleine Mädchen wie dich verschlingt ein Vampir mit einem Bissen.“

„Jetzt reicht es aber, Mark! Dass dieser Mann tagsüber schläft und nachts wach ist, bedeutet nicht, dass er ein Vampir sein muss. Dafür gibt es mit Sicherheit eine ganz normale Erklärung. Vielleicht hat er ja eine Sonnenlichtallergie.“

Pete bekreuzigte sich. „Vielleicht verwandelt er sich ja nachts in eine Fledermaus und isst Käfer.“

„Vielleicht heißt er in Wirklichkeit ja auch gar nicht Jake Donahue, sondern Graf Gargoyle.“ Mark strahlte übers ganze Gesicht.

„Oder er schläft in einem Sarg, der echte Erde aus seiner Heimat Transsilvanien enthält.“ Die Unterhaltung begann auch Andy Spaß zu machen.

Katie sagte kein Wort. Sie trug seit ein paar Tagen eine Kette aus Knoblauch, die sie mit Petes Hilfe angefertigt hatte, und weigerte sich trotz der Junihitze standhaft, nachts in ihrem Zimmer das Fenster zu öffnen.

Hallie warf entrüstet ihre Gabel auf den Tisch und stand auf. „Schluss jetzt!“, rief sie. „Wenn ihr zu feige seid, um euch zu entschuldigen, dann werde ich es eben für euch tun.“

„Um Himmels willen, Señora Hallie!“ Pete fasste nach dem goldenen Kruzifix, das sie um den Hals trug. „Sie dürfen nicht an diesen bösen Ort gehen.“

„Bitte, Mom, geh nicht“, bettelte auch Andy. „Wir versprechen dir auch, dass wir nie wieder auch nur in die Richtung gucken werden, und wir machen von jetzt an auch jeden Tag unsere Betten und waschen das Geschirr ab. Das tun wir doch, nicht wahr, Mark?“

„Ich kann für mich selbst reden“, fuhr Mark den Bruder an und wandte sich anschließend Hallie zu. „Bleib von dem Haus weg, Mom. Mir reicht es schon, dass ich in einer fremden Stadt ohne Freunde leben muss. Wenn ich dann auch noch eine Mutter hätte, die eine Untote ist, wäre es überhaupt nicht mehr auszuhalten.“

„Lass ihn nicht dein Blut aussaugen, Mom“, schluchzte Katie.

Hallie kannte ihre Kinder viel zu gut, als dass sie ihren feierlichen Versprechungen, sich von allem fern zu halten, was auch nur im Entferntesten mit dem Vampir zu tun hatte, auch nur den geringsten Glauben schenkte. Sie wusste, dass eine ungeheure Faszination von allem ausging, was verboten war. Jetzt, nachdem ihre Phantasie so richtig angeregt war, würden sie es nie und nimmer schaffen, Jake Donahues Haus zu meiden. Die Spekulationen um den angeblichen Vampir würden derart ausarten, dass sie, Hallie, keine Ruhe mehr bekommen würde, geschweige denn Zeit hätte, mit ihren Arbeiten am Haus voranzukommen.

Sie hinkte sowieso mit der Arbeit hinterher. Der Elektriker und der Installateur waren teurer geworden als geplant, und sie hatte bereits ihre Ersparnisse angreifen müssen. Deshalb hatte sie sich auch entschlossen, die Malerarbeiten und kleinere Reparaturen selbst zu erledigen. Wenn das so weiterging, konnte sie unmöglich bereits im Herbst die ersten Gäste aufnehmen. Doch das hatte sie bitter nötig.

Als Hallie sah, wie sehr die Kinder sich aufregten, wechselte sie das Thema. Sie würde mit Jake Donahue reden, wenn sie im Bett waren. Vielleicht konnte sie ihn dazu überreden, einmal zum Mittagessen zu ihnen zu kommen. Auf diese Weise würden dann hoffentlich alle Bedenken hinsichtlich des Grafen Donahue zerstreut. In zwei Wochen würden die Kinder sowieso in ein Ferienlager fahren, während Pete zur Hochzeit ihrer Schwester nach Mexiko fliegen wollte. Hallie konnte es kaum erwarten, einmal ein paar Wochen ungestört zu arbeiten.

Todmüde von den Ereignissen des Tages gingen Mark, Andy und Katie sofort nach dem Essen freiwillig ins Bett, und Hallie entschloss sich, die klare Mondnacht für einen Spaziergang zum Haus ihres Nachbarn, das etwa eine Meile von ihrem entfernt lag, zu nutzen. Sie hatte in letzter Zeit so wenig Bewegung gehabt, dass ihr der kleine Ausflug mit Sicherheit gut tun würde.

Unterwegs überlegte Hallie, wie sie dem mysteriösen Nachbarn ihr Anliegen vortragen könnte. Zuerst musste sie sich für die zerbrochene Fensterscheibe entschuldigen. Selbstverständlich würde sie anbieten, den Schaden zu bezahlen. Dann würde sie ihm zu erklären versuchen, dass seine ungewöhnliche Lebensweise die Phantasie ihrer Kinder heftig angeregt hatte und sie ihn für einen Vampir hielten.

Hallie hatte in der Regel keine Schwierigkeiten, auf Menschen zuzugehen und sie für sich zu gewinnen. Also sollte es ihr auch in diesem Fall gelingen, Jake Donahue zu einem Besuch zu überreden, um den haarsträubenden Spekulationen ein Ende zu setzen.

Dämonen und Särge im Wohnzimmer, lächerlich. Jake Donahue war vielleicht ein seltsamer alter Mann, der ausgestopfte Tiere und exotische Raritäten sammelte.

Als Hallie dann vor dem Haus stand, war sie plötzlich nicht mehr so sicher, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, hierher zu kommen. Vorbeiziehende Wolken verdunkelten immer wieder den silbernen Mond und warfen unheimliche Schatten auf das kleine Haus. Die Büsche und Bäume wirkten auf einmal wie gespenstische Gestalten. Das einzige Licht kam aus einem Seitenfenster des Hauses. Es war ein flackerndes grünes Licht.

Hallie lief es eiskalt den Rücken hinunter. Die wilden Geschichten der Kinder waren von einer Sekunde auf die andere wieder gegenwärtig. Instinktiv griff sie nach dem Kruzifix, das Pete ihr für alle Fälle mitgegeben hatte und das sie jetzt um den Hals trug.

Selbst wenn Jake Donahue kein Vampir war – die Idee, einen Fremden abends in seinem einsamen Haus zu besuchen, war auch so schon verrückt und gefährlich genug. Was wäre, wenn er irgendein Perverser war, dem sie sich nun auslieferte? Es war ungewöhnlich, wenn jemand regelmäßig die Nacht zum Tag machte. Unschlüssig stand Hallie auf der Terrasse. Was sollte sie tun?

Von drinnen drang das Heulen eines Hundes zu ihr nach draußen. Hallie zuckte zusammen. Die Dunkelheit und die Stille um sie herum hatten offensichtlich an ihren Nerven gezehrt. Kurz entschlossen wandte sie sich zum Gehen. Wahrscheinlich war Jake Donahue nicht zu Hause. Soweit ihr bekannt war, pflegten Blutsauger doch um diese Uhrzeit auf der Jagd nach unschuldigen Opfern zu sein …

Hallie hatte die Stufen der Veranda schon erreicht, als eine schwere Holztür, die entsetzlich in den Angeln quietschte, direkt neben ihr geöffnet wurde.

„Was wollen Sie?“, fragte eine unfreundliche Stimme. Der Mann, dem diese Stimme gehörte, war nicht zu erkennen. Er stand im Schatten.

„Ich habe gehört, dass Sie einen Sarg im Wohnzimmer stehen haben.“ Hallie hatte sich so erschreckt, dass die Wort nur so aus ihr heraussprudelten. Sie hatte genau das ausgesprochen, was sie im Moment am meisten beschäftigte.

Jetzt war es an Jake Donahue, überrascht zu sein. Klutes Heulen hatte ihm einen nächtlichen Besucher angekündigt, doch er hatte nicht damit gerechnet, dass sich dieser Besucher als attraktive junge Frau erweisen würde. Die Wolken zogen weiter, und das Mondlicht schien auf eine schlanke Gestalt in ausgebeulten Shorts und einem weiten T-Shirt. Die schulterlangen Haare waren leicht zerzaust, und die ebenmäßigen Züge wirkten im Augenblick ein wenig besorgt.

„Ich habe Ihnen eine Frage gestellt“, wiederholte der Mann immer noch abweisend.

„Stimmt, und das nicht gerade besonders freundlich“, gab Hallie ungerührt zurück. Jake Donahue hatte es nicht für nötig gehalten, das Terrassenlicht anzuschalten, deshalb konnte sie sein Gesicht nicht erkennen. Überhaupt weigerte er sich, sie in irgendeiner Form willkommen zu heißen.

„Wenn Sie von mir erwarten, dass ich mich mit Höflichkeitsfloskeln aufhalte, dann muss ich Sie enttäuschen.“ Jake war offensichtlich nicht der Typ, der allzu viel von Small Talk hielt, und das gab er ihr deutlich genug zu verstehen.

„Ich muss mit Ihnen reden, Mr. Donahue“, sagte Hallie, ohne seinen Worten weitere Beachtung zu schenken. „Sie sind doch Jake Donahue?“

„Ja. Und wer sind Sie?

„Ich bin Hallie Stewart, Ihre neue Nachbarin. Ich bin im vergangenen Monat mit meiner Familie in das ehemalige Haus der Cantwells eingezogen.“

„Angenehm“, sagte er, obwohl er deutlich zeigte, dass es ihm keineswegs angenehm war, ihre Bekanntschaft zu machen.

„Meine Kinder haben sich heute Nachmittag in der Nähe Ihres Hauses herumgetrieben und dabei eine Fensterscheibe zerbrochen. Ich möchte sie bezahlen.“

„Nicht nötig. Es waren nicht Ihre Kinder, sondern mein Hund. Gute Nacht, Mrs. Stewart.“

„Okay. Worauf warten Sie noch? Knallen Sie mir doch die Tür vor der Nase zu.“ Hallie wurde allmählich ärgerlich.

Donahue trat ins Mondlicht hinaus, und Hallie konnte ihren Nachbarn zum ersten Mal richtig sehen. Er war keineswegs alt und sah auch nicht aus wie jemand, der sich für verstaubte ausgestopfte Tiere interessierte. Der Mann war schätzungsweise über einen Meter achtzig groß und durchtrainiert. Das dunkle Haar hatte für Hallies Geschmack einen Haarschnitt nötig, und der Dreitagebart gab ihm etwas Verwegenes. Jake Donahues dunkles Hemd und die Jeans waren so zerknittert, als hätte er mehr als einmal in ihnen geschlafen.

Die dunklen Augen hinter der schmalen Metallbrille waren mit unverhohlenem Misstrauen auf Hallie gerichtet, doch zu ihrer großen Erleichterung konnte sie bei dem Anblick seiner gleichmäßigen weißen Zähne zumindest ausschließen, dass er ein Vampir war. Aber pervers konnte er schließlich immer noch sein …

„Was wollen Sie, Mrs. Stewart?“ Seine Stimme erschien ihr noch unfreundlicher als am Anfang.

„Ich möchte Sie für morgen zum Mittagessen einladen“, entgegnete Hallie prompt.

Jake sah sie überrascht an. Die Bewohner von Jacincta hatten es lange schon aufgegeben, ihn in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. „Nein, danke. Gute Nacht.“

„Sind Sie immer so unhöflich?“ Hallie hob die Stimme.

„Nur, wenn Fremde sich erdreisten, ungebeten auf meinem Grundstück herumzuschnüffeln.“

„Ich schnüffle nicht herum!“ Hallie war empört. „Ich versuche lediglich, meinen Nachbarn kennen zu lernen. Was ist daran verkehrt?“

„Geben Sie sich keine Mühe, Mrs. Stewart. Ich brauche Ihre Gastfreundschaft nicht.“

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