×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Das unglaubliche Leben der Jessie Jefferson«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Das unglaubliche Leben der Jessie Jefferson« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Das unglaubliche Leben der Jessie Jefferson

hier erhältlich:

Willkommen in der Welt der Stars und Sternchen! Inzwischen ist Hollywood ihr Zuhause. Jetzt tritt Jessie Jefferson selbst ins Rampenlicht und kann erste Erfolge als Sängerin mit ihrer Band feiern. Ihr Leben scheint perfekt - bis auf die Tatsache, dass sie ihre Beziehung mit dem heißen Gitarristen Jack geheim halten muss. Spielt Jack vielleicht nur mit ihr? Der Besuch ihres Exfreundes aus England lässt Zweifel in Jessie aufkommen: Ist dieses glamouröses Leben wirklich das, was sie will?

"Der bisher beste Jessie-Jefferson-Roman"

Heat

"Originell, witzig -- ein echter Page-Turner."

Closer

"Paige Toon ist superklasse!"

Daily Mirror


  • Erscheinungstag: 08.05.2017
  • Aus der Serie: Jessie Jefferson
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 304
  • Altersempfehlung: 12
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959676519

Leseprobe

Für Pernille Meldgaard Pedersen

Es ist Zeit, dass dein Name

in einem meiner Bücher auftaucht …

Hoffentlich bringt es dich zum Lächeln.

1. KAPITEL

Ich liege auf dem Sofa vor dem Fernseher, den Kopf auf ihrem Schoß. Ihre Finger sind kalt, als sie mir über die Schläfe streicht und über mein hellblondes Haar, das sich verheddert hat. Sie hört auf, mich zu streicheln, und konzentriert sich stattdessen darauf, die Knoten aus meinen Haaren zu entfernen.

„Aua, das tut weh!“, beschwere ich mich.

„Deine Haare kann ich nicht so lassen, Jessie Pickerill“, warnt sie mich, und mir ist klar, dass sie weitermachen wird, bis das letzte Knötchen entfernt ist.

Also ertrage ich das Ziepen, denn ich liebe sie, und ich weiß, dass sie mich auch liebt.

Das stimmt, ich erinnere mich. Ihre Hände waren immer kalt.

Ich schließe die Augen und schluchze leise vor mich hin, ersticke das Geräusch im Kissen.

Heute ist mein sechzehnter Geburtstag, und beim Aufwachen war mir total schlecht. Seit einer Stunde zermartere ich mir das Hirn und versuche, mich an die kleinsten Details zu erinnern, die scheinbar unwichtigsten, die, die man am ehesten vergisst.

Aber ich will nicht vergessen, wie sie unser Abendessen hatte anbrennen lassen, weil sie Luftgitarre zu einem Starship-Song spielte, der im Radio gelaufen war. Mir graut davor zu vergessen, wie sie auf meinem Bett hüpfend zu meiner Musik tanzte und ich mich resigniert für die Schule anzog. Und ich erinnere mich sogar gern daran, wie sie wieder mal frustriert ihre eigenen Klamotten auf den Boden schleuderte und in meinem Schrank nach einem passenden Outfit suchte.

Sie weckte mich jeden Morgen ganz sanft, indem sie meinen Namen sagte und über meinen Arm strich.

Nur an meinem Geburtstag platzte sie immer in mein Zimmer und rief lautstark: „Aufwachen!“

Sie klettert auf mein Bett und hockt sich auf mich, sodass ich fast keine Luft mehr bekomme und laut stöhne.

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“ Sie schüttelt mich. „Ich hab Geschenke für dich!“, schreit sie, und ich starre sie verschlafen an, während sie mich anstrahlt und ihre hellbraunen Augen aufgeregt funkeln. „Guck mal, was ich für dich hab!“ Sie platziert ein Päckchen auf meinem Brustkorb. „Und das.“ Noch eins. „Und das und das und das!“ Auf meinem Gesicht stapeln sich Geschenke. Ich muss lachen und versuche, mich aufzusetzen, doch sie sitzt immer noch auf mir.

„Geh runter!“, sage ich gut gelaunt und schiebe ihre Knie weg. Sie lacht, gehorcht und hält mir ein weiteres Päckchen vor die Nase.

„Ich glaube, du hast mehr Spaß an meinem Geburtstag als ich“, stelle ich ironisch fest und greife nach dem Geschenk.

„Aufmachen!“, befiehlt sie.

Das war vor einem Jahr. Auf den Tag genau vor einem Jahr. Und wenige Stunden später wurde mir meine Mutter genommen, für immer. Jetzt schluchze ich deutlich lauter.

Ich habe keine Ahnung, wie viel Zeit vergeht, aber plötzlich vermischt sich eine Art Verantwortungsgefühl mit meiner Trauer, als ich daran denke, dass meine kleinen Brüder sicher bald wach sein werden. Die Vorstellung, dass sie mich in diesem Zustand sehen könnten, reicht aus, um meinen Tränenfluss sofort zu stoppen. Ich schiebe das feuchte Kissen weg und schnappe mir mein Handy. Halb sieben. Falls sie noch nicht wach sind, wird es jedenfalls nicht mehr lange dauern. Ich muss mich zusammenreißen.

Mein Körper ist schwer wie Blei, sowie ich mich aus dem Bett quäle und ins Bad taumele. Ich schalte das Licht ein und muss blinzeln, weil es so grell ist. Mein Anblick im Spiegel lässt mich zusammenzucken. Ich drehe den Wasserhahn auf und greife mir einen Waschlappen, in der Hoffnung, damit mein fleckiges, aufgequollenes Gesicht wieder herzurichten.

Noch immer kann ich nicht fassen, wie sehr sich mein Leben in den letzten zwölf Monaten verändert hat. Zuerst hatte ich geglaubt, meine Mutter hätte das Geheimnis, wer mein leiblicher Vater ist, mit ins Grab genommen. Und nachdem die erste Schock- und Trauerphase vorbei war, fühlte ich auf einmal nur noch Wut in mir. Und dieser Zorn traf den einzigen Elternteil, den ich noch hatte: meinen Stiefdad Stu.

Letzten Sommer erklärte er mir alles. Er hat die ganze Zeit die Wahrheit gekannt: Mein leiblicher Vater ist Johnny Jefferson, der legendäre, berüchtigte Rockstar. Und plötzlich hatte ich einen neuen Dad, eine Stiefmutter, Meg, und zwei unglaublich niedliche kleine Halbbrüder, Barney und Phoenix. Sie sind alle Briten wie ich, leben aber hier, in Los Angeles. Vergangenen Sommer flog ich her, um sie kennenzulernen und sie das erste Mal zu besuchen. Danach pendelte ich quasi zwischen den USA und England, nun allerdings lebe ich endgültig hier.

Glaube ich zumindest. Dienstag habe ich meinen ersten Tag in der neuen Schule, und einen Moment ringt die Verzweiflung mit der Übelkeit in meinem Magen darum, wer der Stärkere ist.

Ich seufze, als ich mir den kalten Waschlappen aufs Gesicht drücke. Was für ein Glück, dass Jack und Agnes heute nicht da sind. Sie sind seit ein paar Tagen in Washington State und besuchen ihre Großeltern. Zuerst war ich enttäuscht, dass sie an meinem Geburtstag nicht da sein würden, doch im Moment ist mir sowieso nicht nach Feiern zumute.

Mit Agnes habe ich mich letzten Sommer angefreundet, und ihr älterer Bruder Jack ist … Tja, ich habe keinen Schimmer, was er für mich ist. Mein Freund? Sind wir offiziell ein Paar? Agnes ist die Einzige hier, die von ihm und mir weiß, und die Gründe dafür sind kompliziert.

Beim Gedanken an Jacks blaugraue Augen flattern auf einmal Schmetterlinge in meinem Bauch. Ich denke daran, wie er mich angeschaut hat, als wir uns das letzte Mal geküsst haben. Es war in den frühen Morgenstunden des ersten Januars, vor ein paar Tagen also, und das Gefühl von seinen Lippen auf meinen ist noch da – aufregend frisch.

Gleich bei unserem Kennenlernen verliebte ich mich ziemlich heftig in ihn, allerdings war es nicht gut gelaufen. Zurück in England, hatte ich versucht, ihn zu vergessen.

Leider gelang mir das nicht. Nicht einmal, nachdem ich mit Tom zusammengekommen war, dem erwiesenermaßen heißesten Typ der Schule. Es war zwecklos.

Innerhalb von zwei Monaten überschlugen sich dann die Ereignisse, und ich habe meinen wunderbaren neuen Freund verlassen, um endgültig nach Los Angeles umzuziehen.

Jack ist der Lead-Gitarrist der Indie-Rockband All Hype, deren Lead-Sängerin Eve die Band verlassen hat. Als Jack mich zufällig im Duett mit meinem Dad singen hörte, lud er mich zu einem Vorsingen als Ersatz für Eve ein – und ich schaffte es. Vor drei Wochen hatte ich meinen ersten Auftritt mit der Band in San Francisco. Es war unfassbar nervenaufreibend, aber eine ultimativ sensationelle Erfahrung. Seitdem habe ich irgendwie den Kopf verloren. Zwischen Jack und mir stimmte die Chemie schon immer. Auch wenn ich mich zuerst dagegen gewehrt hatte, konnte ich schließlich nur noch nachgeben. Alles endete damit, dass ich ihn wieder küsste – und damit Tom betrog, meinen wunderbaren, liebevollen Freund. Während ich über Weihnachten in England war, gestand ich ihm, was ich getan hatte, und das war das Ende unserer Beziehung.

Ich habe ihn sehr verletzt, und mir wird immer noch ganz schlecht, sobald ich mich daran erinnere. Vorgestern habe ich ihm eine Mail geschickt und ihn um Verzeihung gebeten, bisher hat er allerdings noch nicht geantwortet. Ich hatte ihm geschrieben, dass wir vielleicht Freunde sein könnten, aber im Grunde glaube ich selbst nicht daran. Man tut nicht jemandem weh und kommt damit einfach so davon.

Ich seufze, trockne mir das Gesicht ab und lege mich in mein gemütliches, warmes Bett. Doch kaum dass mein Kopf das tränenfeuchte Kissen berührt, fällt es mir wieder ein: Heute ist der erste Todestag meiner Mutter. Und an jedem meiner zukünftigen Geburtstage wird ab jetzt ihr Todestag sein.

Erneut schnürt sich mir die Kehle zu, und mir steigen die Tränen in die Augen, aber bevor ich erneut in Trauer versinke, nehme ich Bewegung vor meiner Zimmertür wahr.

„Pst!“, höre ich jemanden flüstern. Meg? Johnny?

„Ich will reingehen!“ Barney. Kein Zweifel.

„Nein!“, weist Meg ihn laut flüsternd zurecht. „Lassen wir sie wenigstens bis sieben Uhr schlafen.“

„Aber ich will ihr ihre Geschenke geben!“, brüllt er in voller Lautstärke. Keine Spur von Flüstern.

„Oh Mann, Kumpel“, meint Johnny, und ich muss lächeln.

„Ich bin wach!“, rufe ich und setze mich auf.

Im selben Moment wird die Tür aufgestoßen, und sie platzen herein, die vier Personen, die jetzt meine Familie sind, alle noch im Schlafanzug.

Barney, viereinhalb, stürzt als Erster auf mich und klettert auf mein Bett. In den Armen trägt er viele bunte Päckchen und lacht so breit, dass sein kleines Gesichtchen zu zerreißen droht.

Hinter ihm taucht Meg auf, den brabbelnden eineinhalbjährigen Phoenix auf dem Arm. „Dezzie!“, ruft er. Er kann meinen Namen noch nicht richtig aussprechen, grinst mich aber mit einem fast zahnlosen Lächeln an.

Als Letzter betritt Johnny, der ein weißes T-Shirt und eine verknitterte Pyjamahose trägt und selbst noch ziemlich verschlafen aussieht, den Raum.

Meg hat mir erzählt, dass Johnny früher immer erst mittags aufstand, aber seit sie Kinder haben, hat sich das geändert. Sie war seine persönliche Assistentin, dann verliebten sie sich ineinander – und der Rest ist Geschichte.

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“, sagt Barney und legt die Geschenke auf meine Brust. Danach klettert er wieder von der Matratze, um noch mehr Päckchen von seinen Eltern einzusammeln. Amüsiert reichen sie sie ihm, und er stapelt sie ebenfalls auf mir. Mein Herz schmerzt ein bisschen, da ich daran denken muss, dass Mum letztes Jahr genau dasselbe getan hat. Allerdings bemühe ich mich, mir den Schmerz nicht anmerken zu lassen.

„Hey“, meint Johnny, dessen Stimme vom Schlafen noch ganz tief ist, und lässt sich neben mir auf das Bett sinken. Er streckt den sonnengebräunten, mit Tattoos verzierten Arm aus und zerwuschelt mir die Haare. Meine Haare sind deutlich heller als seine und auch deutlich länger – seine sind kinnlang und haben immer diesen „Out-of-bed“-Look. Aber wir haben die gleichen grünen Augen. Besorgt schaut Johnny mich an. Er drückt mir tröstend die Schulter, sagt jedoch nichts. Ein Glück. Denn Mitleid macht alles nur schlimmer.

„Na, du“, sagt Meg und sieht mich liebevoll an. Sie und Phee ähneln sich unglaublich, wohingegen Barney seinem Dad wie aus dem Gesicht geschnitten ist – und mir.

Meg gratuliert mir nicht, denn sie weiß, dass es kein glücklicher Tag für mich ist. Und auch sie erwähnt mit keinem Wort mein Äußeres.

Barney kennt solche Bedenken natürlich nicht. „Warum sieht dein Gesicht so komisch aus?“, will er wissen.

Noch bevor Meg oder Johnny etwas erwidern können, meldet sich Phoenix mit einem Quaken zu Wort und zappelt so lange herum, bis seine Mutter ihn runterlässt. Meg setzt ihn aufs Bett, und er krabbelt zu mir und drückt sein Gesicht an meinen Hals, wobei er die Geschenke aus dem Weg schaufelt. Ich schlinge die Arme um seinen kleinen, festen Körper, der in einem Strampler steckt, und muss aufpassen, dass ich nicht wieder losheule.

„Phoenix, weg da!“, schreit Barney. „Jessie will ihre Geschenke aufmachen!“

Ich muss über die plumpe Unterbrechung lachen. Phee hockt sich frech neben mich und greift nach einem rechteckigen Päckchen in zitronengelbem Geschenkpapier mit gelbem Band.

„Ja, du darfst es öffnen“, erlaube ich ihm und reiche Barney ein knallrosafarbenes Geschenk, das mit einem lilafarbenen Band umwickelt ist. „Ihr beide könnt mir helfen.“ Und los geht’s.

Zehn Minuten später bestaune ich fassungslos meine Geschenke.

Ich habe einen Laptop bekommen („für die Schule“), ein iPad („für den Spaß“), einen Verwöhngutschein für zwei in einem schicken Spa, eine schwarze Burberry-Bikerjacke aus Lammfell – so eine, wie sie Cara Delevingne meines Wissens auf dem Laufsteg vorgeführt hat – und noch mehr Sachen wie Fotorahmen und eine Lichterkette für mein Zimmer.

Ein Geschenk wartet noch.

Barney hat es ausgepackt. Es ist ein kleines Kästchen aus Samt. Schnell nimmt Johnny es seinem Sohn weg und gibt es mir.

Ich mache den Deckel auf und entdecke ein sehr fein gearbeitetes Silberarmband mit Anhängern.

„Wow.“ Vorsichtig nehme ich es heraus. „Das ist ja schön!“

Es hängen schon ein paar Charms dran. Mir stockt der Atem, da ich eine winzige, vermutlich mit Strass-Steinchen verzierte Gitarre erblicke.

„Das sind echte Diamanten“, flüstert mir Meg in diesem Moment lächelnd zu.

Ich keuche. „Ich werde es ganz bestimmt nicht verlieren“, verspreche ich.

„Wir dachten, du willst vielleicht noch mehr Anhänger sammeln, die dir etwas bedeuten“, fügt Johnny hinzu, während ich das Armband betrachte und noch eine kleine Sechzehn sehe. Plötzlich habe ich einen Kloß im Hals.

„Das ist noch nicht alles“, meint er, nimmt mir das Schmuckstück aus der Hand und legt es zurück ins Kästchen.

„Disneyland!“, brüllt Barney begeistert.

„Barney!“ Meg und Johnny schreien ihn gleichzeitig an.

Er erstarrt und schaut sie zerknirscht an.

„Das sollte eine Überraschung sein“, schimpft Meg.

„Disneyland?“, presse ich hervor, während Johnny sich Barney schnappt und ihn kitzelt, bis er laut kreischt vor Lachen.

„Wo fahren wir hin?“, fragt Johnny seinen kleinen Sohn, der sich wieder auf mein Bett fallen lässt und dabei meinen Kopf nur knapp verfehlt.

„Disneyland!“ Barney ist ganz außer sich vor Freude. Phoenix watschelt zu seinem Dad, und Johnny kitzelt auch ihn.

„Mit VIP-Zugang“, erklärt Meg über das Chaos hinweg.

„Was, heute?“, frage ich matt.

„Ja! Heute!“, ruft Barney, stellt sich hin und fängt an, auf meinem Bett zu hüpfen.

Oh.

Darauf habe ich nur leider überhaupt keine Lust.

Ich würde sogar sehr gern irgendwann nach Disneyland, und natürlich will ich auch nicht undankbar sein, doch heute wollte ich eigentlich hierbleiben und mir einen ruhigen Tag machen. Ich habe keine Lust auf Spaß.

Johnny kriegt von meinem inneren Dilemma nichts mit. „Wen treffen wir heute?“, will Johnny von Barney wissen.

„Mickey Mouse!“, antwortet der Kleine brav in voller Lautstärke.

Ich betrachte das strahlende Gesichtchen meines kleinen Bruders und erkenne in diesem Moment, dass ich mit muss. Wie könnte ich ihn enttäuschen?

„Wann fahren wir los?“, frage ich.

„Jetzt!“, schreit Barney.

„Nein, nicht jetzt“, sagt Meg brüsk und schnappt ihn sich. „Erst gibt es Frühstück, und dann müssen wir uns anziehen.“

„Und Jessy bekommt noch ihr letztes Geschenk“, unterbricht Johnny sie.

„Was? Disneyland war nicht das letzte Geschenk?“ Ich bin verwirrt.

„Nein“, antwortet er und wirft mir einen Schlüssel zu.

Einen Autoschlüssel.

Für einen Fiat.

Sofort taucht vor meinem geistigen Auge Stus klappriger alter Fiat auf, aber das ist mir egal. Ein Wagen! Ein eigener Wagen! Ich bin sechzehn, und das bedeutet, dass ich in Amerika jetzt meinen Führschein machen darf!

Ich springe aus dem Bett, und wir alle rennen im Schlafanzug die Treppe runter zur Haustür. Nachdem ich sie aufgerissen habe, bekomme ich den Mund nicht mehr zu.

„Ein Fiat 500 Abarth“, verkündet Johnny stolz.

Die Modellbezeichnung sagt mir nichts. Ich weiß nur, dass das Teil vor mir eins der coolsten kleinen Autos ist, das ich je gesehen habe: mattschwarz mit roten Seitenspiegeln und einem roten Rennstreifen auf der Seite. Dieses scharfe Teil hat nichts, aber auch gar nichts mit Stus alter Klapperkiste gemein!

Ich schreie vor Freude laut auf, stürme aus dem Haus und entriegele per Knopfdruck die Türen des Autos. Meg und Johnny lachen. Er folgt mir, und wir hüpfen barfuß über die spitzen Schottersteinchen in der Einfahrt. Fast wäre ich auf der falschen Seite eingestiegen – dann fällt mir gerade noch rechtzeitig ein, dass der Fahrer in Amerika ja links sitzt. Ich setze mich hinters Lenkrad. Johnny nimmt auf dem Beifahrersitz Platz.

„Gefällt er dir?“, fragt er und grinst mich an.

„Ist das dein Ernst?“ Ich starre ihn ungläubig an. „Wann darf ich eine Spritztour machen?“

„Na ja … Leider sind da noch ein paar Hürden. Bis zur eigentlichen Führerscheinprüfung brauchst du einen Lernführerschein, sonst darfst du nicht auf der Straße fahren. Natürlich immer nur in Begleitung einer erwachsenen Person mit Führerschein. Um diese Fahrerlaubnis zu erhalten, musst du einen Kurs absolvieren – sechs Fahrstunden mit einem Fahrlehrer und einen schriftlichen Test. Annie hat mir genau erklärt, wie das hier abläuft.“ Annie ist seine persönliche Assistentin.

„Kein Problem“, antworte ich, ebenfalls grinsend, und sehe, wie Meg die Jungs wieder ins Haus scheucht. Auch Johnny hat es bemerkt.

„Frühstück“, meint er. „Eddie hat dir einen riesigen Berg Pancakes gebacken.“

„Wow.“ Ich verehre diesen Koch. Da er an den Wochenenden nicht arbeitet, muss er sie gestern vorbereitet haben.

„Geht es dir gut?“, erkundigt sich Johnny vorsichtig. Plötzlich ist er ganz besorgt.

Rasch nicke ich, habe aber erneut Tränen in den Augen. „Es ist wohl am besten, wenn ich nicht über das Thema spreche“, antworte ich leise. Ich will nicht schon wieder einen Heulkrampf kriegen.

„Okay.“ Er schaut rüber zum Haus und legt die Hand auf den Türgriff. „Jetzt frühstücken wir erst mal, und dann statten wir Mickey Mouse einen Besuch ab, bevor Barney komplett durchdreht.“

2. KAPITEL

Zu meiner Überraschung stelle ich fest, dass ich Hunger habe, kaum dass ich am Tisch sitze. Kurz darauf sind wir in Johnnys schwarzer Mercedes-Limousine auf dem Weg nach Disneyland. Der langjährige Fahrer der Jeffersons, Davey, sitzt am Steuer. Beim Einsteigen lag ein Geschenk von ihm zwischen den beiden Kindersitzen: ein Körbchen mit tollen Badeartikeln. Ich war echt gerührt, dass er an mich gedacht hat.

Johnny mag zwar ein A-Promi sein, aber er hat trotzdem nicht viel Personal. Meg hat mir mal erklärt, dass er es lieber mag, wenn sich alles anfühlt wie Familie. Darum nenne ich auch alle beim Vornamen: die Hausmädchen Sharon und Carly, den Gärtner und Poolreiniger Santiago und Johnnys Leibwächter Lewis, Samuel, Wyatt und Austin. Samuel und Lewis folgen uns gerade in einem anderen Wagen. Die beiden kenne ich gut, vor allem Sam. Er hat auf mich aufgepasst, als ich in England war, nachdem die Presse herausgefunden hatte, wer ich bin.

Wir hatten lange versucht, meine Identität geheim zu halten, damit die Paparazzi mich in Ruhe lassen. Aber natürlich kam es dann doch irgendwann raus. Jetzt wissen alle, dass ich Johnnys Tochter bin. Darüber bin ich eigentlich ganz froh – auch wenn das bedeutet, dass sich mein Leben ziemlich verändert hat. Ich bin nicht sicher, ob ich mich jemals daran gewöhnen werde, dass mir auf Schritt und Tritt ein Bodyguard folgt.

Mit jedem Kilometer, dem wir uns Disneyland nähern, wird Barney aufgeregter. Ich dagegen hänge immer noch meinen Erinnerungen an Mum nach und befürchte, jederzeit in Tränen auszubrechen, aber ein Blick auf Barney und Phoenix genügt, um das Lächeln zurückkehren zu lassen.

Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass ich heute einen schönen Tag haben werde. Nicht richtig, jedenfalls. Vielleicht wird er zumindest nicht ganz so schrecklich wie erwartet, das wäre gut. Mum würde es sicher nicht gefallen, wenn ich den ganzen Tag traurig wäre.

Und dann sehe ich sie vor mir, wie sie ihr langes dunkles welliges Haar zu einem unordentlichen Knoten hochsteckt, den sie mit meinem Kuli feststeckt, den ich gerade für meine Englischhausaufgaben brauche.

„Hey! Gib mir den Stift zurück!“, rufe ich, aber sie läuft einfach lachend aus dem Zimmer.

Schnell sehe ich meine kleinen Brüder an.

Es schmerzt mich, dass Stu sich noch nicht gemeldet hat, aber wahrscheinlich ist es auch für ihn kein leichter Tag. Vielleicht dauert es einfach eine Weile, bis er sich so weit im Griff hat, dass er am Telefon nicht anfängt zu weinen. Ganz bestimmt sprechen wir später noch.

Kaum haben wir die Eingangstore von Disneyland passiert, werden wir von süßlichem Popcorn- und Zuckerwatteduft eingehüllt. Barneys Begeisterung ist anscheinend ansteckend, denn auch ich bin auf einmal ganz aufgeregt. Der Kleine kann sich kaum zusammenreißen, als ein quirliger VIP-Guide, ein Mädel in einer blauroten Karokluft, uns über die Main Street an pastellfarbenen Shops und Fressbuden vorbeiführt. Sam und Lewis flankieren uns, und die Leute bleiben stehen und starren uns nach, wenn sie Johnny erkennen. Es ist immer dasselbe: Frauen beginnen zu kreischen, und alle wollen Autogramme. Ich hoffe nur, dass er heute nicht den ganzen Tag angesprochen wird.

Kurz darauf haben wir die Bronzestatue von Walt Disney und Mickey Mouse erreicht. Hinter ihnen steht das Dornröschen-Schloss, das rosa, blau und golden in der Sonne funkelt.

„Wohin zuerst?“, frage ich Johnny und muss grinsen, als drei kleine Mädchen in Prinzessinnenkostüm mit ihren Eltern vorbeigehen.

„Wie du willst“, erwidert er schulterzuckend.

„Peter Pan!“, schreit Barney und hüpft vor Aufregung auf der Stelle.

„Glaubst du?“, frage ich meinen Dad. Denn wir alle wissen, wer hier der Boss ist. „Können wir zu Peter Pan gehen, bitte?“, frage ich augenzwinkernd unseren Guide.

„Klar.“ Doch das Mädel rührt sich nicht. Ihr Lächeln ist wie eingefroren, als sie von Mickey und Walt zu Johnny und Meg guckt.

Ich frage mich, worauf sie noch wartet. Sollen wir der Statue die Ehre erweisen oder so was?

Und dann hellen sich Johnnys und Megs Mienen auf, als sie etwas hinter mir entdecken. Ich drehe mich um und sehe eine Kutsche mit einem echten Pferd – und dahinter Libby, Natalie, Lou und Em! Ich sterbe beinahe, als meine Freundinnen aus England lachend auf mich zu stürzen. Und die Jungs auch! Dougie, Aaron, Chris und – das gibt’s doch nicht – auch Tom! Ich starre ihn schockiert an, entdecke dann Stu mit zwei Frauen, die ich für die Mütter von Libby und Tom halte. Aber mit Tränen in den Augen lässt sich das nur schwer erkennen.

Meine Freunde scharen sich um mich und schreien so laut, dass mir beinahe das Trommelfell platzt. Ich schaffe es schließlich, mich zu Stu durchzuschlagen, und als wir uns in die Arme fallen, habe ich das Gefühl, dass er weint. Unfassbar! Fast alle meine liebsten Menschen sind hier. Und habe ich das eben geträumt? Oder ist Tom tatsächlich auch dabei?

Ich lasse meinen Stiefvater los und sehe mich um. Tatsächlich – mein Ex steht neben seinem Freund Chris. Er wirkt allerdings nicht besonders glücklich.

Unsere Blicke treffen sich, und er lächelt mich zaghaft an. Natalie kommt zu mir.

Sie ist relativ neu in meinem Freundeskreis, genau wie Em, Dougie und Aaron. Ich fing Anfang letzten Jahres an, mit ihnen abzuhängen, als ich eine echt harte Phase durchmachte. Sie sind alle älter als ich und gehen inzwischen schon aufs College. Stu meinte, sie hätten einen schlechten Einfluss auf mich, weil sie Alkohol trinken, rauchen und bis spät in die Nacht Party machen. Ich glaube, inzwischen versteht er aber, dass sie mir auf ihre Weise in dieser schwierigen Phase geholfen haben, selbst wenn er ihre Methoden nicht mochte.

„Sieh dir mal Em an!“, flüstert mir Natalie ins Ohr.

Em starrt ungläubig meinen Dad an. Johnny tut so, als würde er es nicht bemerken. Wahrscheinlich ist Em sein größter Fan überhaupt. Stattdessen begrüßt er meinen unbeholfenen Stiefvater mit einer Mischung aus Mini-Umarmung und kumpelhaftem Schlag auf den Rücken, aber Stu kann die Geste nicht so recht erwidern. Der Ärmste.

„Wie seid ihr denn alle hergekommen?“, frage ich.

„Dein Dad hat uns einfliegen lassen“, erklärt Libby. Meine älteste Freundin grinst so breit, dass ihr Gesicht in zwei Hälften geteilt wird.

„In der Business Class!“, ruft Dougie dazwischen und boxt mit einer Faust in die Luft.

„Er zahlt die gesamte Reise“, fügt Libby hinzu. „Und meine und Toms Mum sind als Anstandswauwaus dabei.“

Ich sehe zu Tom rüber. Er hält meinem Blick stand. Ich würde zu gern mit ihm allein reden, aber das ist momentan unmöglich.

„Hi“, sage ich deshalb nur.

„Hey“, begrüßt er mich leise.

Das ist so seltsam …

Chris rettet mich, indem er den Arm um Toms Nacken legt. „Wo sollen wir zuerst hingehen?“

„Barney würde gern zu Peter Pan“, antworte ich.

„Aber es ist dein Tag, Jessie“, sagt Meg entschieden. „Du entscheidest.“

„Lasst uns zu Peter Pan gehen“, beschließe ich und schenke meinem kleinen Bruder ein liebevolles Lächeln.

„Wir können uns ja später mal trennen“, wirft Johnny ein. „Er darf sowieso nicht zum Space Mountain – aber ich kann es kaum erwarten.“

Jetzt sieht er noch mehr aus wie Barney.

Wie ich erfahre, hat sich mein Dad mit Stu in Verbindung gesetzt, um alles zu arrangieren. Sie hatten keine Ahnung, ob meine Freunde so kurzfristig überhaupt Zeit haben würden, aber offensichtlich wollte keiner von ihnen diese Gelegenheit ungenutzt lassen. Alle bis auf Tom, der, wie mir Lou anvertraut, etwas mehr Überredung brauchte.

„Wir wussten, dass du ihn gern dabeihaben würdest“, sagt sie, als Libby, Natalie und ich die Floßfahrt in Space Mountain machen. Em sitzt im Floß vor uns und starrt wie in Trance den Hinterkopf meines Vaters an. „Ich hoffe, damit lagen wir richtig?“, fragt sie besorgt.

„Absolut. Ich habe ihm vor ein paar Tagen eine Mail geschickt und ihn gefragt, ob wir nicht Freunde bleiben wollen. Darum bin ich sehr froh, dass er hier ist, auch wenn er nicht gerade glücklich wirkt.“

„Du solltest noch mal mit ihm reden“, empfiehlt Lou. Sie ist erst letztes Jahr neu an unsere Schule gekommen und inzwischen mit Toms bestem Freund Chris zusammen. Da kann sie das sicher ganz gut einschätzen.

„Das mache ich, sobald sich die Gelegenheit ergibt“, verspreche ich.

Und die tut sich schon kurz darauf auf, im gruseligen Spukhaus „Haunted Mansion“. Tom und ich stehen zufällig im Foyer nebeneinander, als sich der Fußboden auf einmal nach unten bewegt. Ich halte mich panisch an ihm fest.

„Du bist ja ganz nass“, stelle ich dabei fest.

„Die Floßfahrt“, antwortet er steif. Schnell lasse ich meine Hand sinken und gehe auf Distanz.

„Bei uns hat es Nat am schlimmsten erwischt“, sage ich.

„Ich Blödmann saß ganz vorn“, erzählt er leicht lächelnd.

Wir schweigen kurz, bis ich mich zwinge, etwas zu sagen.

„Ich freue mich, dass du hier bist.“

„Deine Mail hat mich überzeugt“, antwortet er leise und sieht mich an. Dabei funkeln seine Augen in der Dunkelheit.

Die Türen öffnen sich, und wir verlassen das Foyer und gehen zusammen über die gruseligen Korridore zum Fahrgeschäft.

Meine derzeit vorherrschende Erinnerung an Tom ist die von unserer letzten Begegnung, als er in meinem Zimmer vor mir kniete und mich ungläubig ansah, weil ich ihn betrogen hatte. Seine letzte Freundin Isla hatte das Gleiche getan, und damals hatte ich gedacht, dass diese Frau wirklich komplett daneben sein muss, um so etwas zu tun.

Tom hatte mir damals erzählt, dass er „nie zurückgehen“ würde, wenn erst einmal Schluss ist. Schluss ist Schluss. Deshalb versuchte ich auch gar nicht erst, ihn davon abzuhalten, mit mir Schluss zu machen. Im Herzen hatte ich mich ohnehin schon für Jack entschieden.

Und jetzt, wo Tom da ist, empfinde ich plötzlich einen großen Verlust.

„Wie geht es dir?“, fragt er mich, als wir in der Schlange für die Doom Buggies anstehen.

„Gut.“ Das ist zwar keine ehrliche Antwort, denn ich fühle mich am Todestag meiner Mutter natürlich nicht gut, aber was soll ich ihm schon sagen? Wenn wir tatsächlich Freunde bleiben wollen, so wie ich es vorgeschlagen habe, muss ich mich ein bisschen mehr anstrengen.

Jetzt sind wir an der Reihe einzusteigen. Man sitzt nur zu zweit in den Wagen, und ich drehe mich zu ihm und zwinge mich zu einem Lächeln.

„Nein, es geht mir nicht gut“, gebe ich zu und schlucke. „Ich wusste, dass der Tag heute schwer für mich wird. Aber es hilft, dass ihr alle da seid.“

„Ich dachte mir, dass es vielleicht ganz schön für dich wäre, deine Freunde um dich zu haben.“ Seine Stimme klingt so sanft.

„Da hast du recht.“ Instinktiv lehne ich mich an ihn und lege meine Wange an seine Schulter. Es fühlt sich schmerzvoll vertraut an, und ich will mich gar nicht mehr wegbewegen. Bis seine nächste Frage kommt.

„Wie läuft’s mit Jack?“ Er klingt angespannt.

„Okay“, antworte ich nervös.

„Ich wusste nicht, ob er heute auch hier sein würde.“

Oh mein Gott, was für eine Horrorvorstellung! Plötzlich bin ich sehr erleichtert, dass Agnes und Jack heute familiäre Verpflichtungen haben.

„Nein, er besucht seine Großeltern.“ Ich sehe ihn fragend an. „Aber du bist trotzdem mitgekommen.“

Er zuckt mit den Schultern. „Manche Dinge sind eben wichtiger.“

Wir rasen um die nächste Ecke, und ich klammere mich an seinem Arm fest, doch dann lasse ich ihn lieber wieder los und klammere mich stattdessen an den Bügel vor mir. Durchsichtige Gespenster tanzen vor uns Walzer, aber ich kann mich kaum auf die Fahrt konzentrieren.

„Wie geht’s deiner Mum?“, frage ich.

Sie war den ganzen Tag sehr freundlich zu mir, obwohl ich mich in ihrer Anwesenheit unwohl fühlte. Ich möchte nicht wissen, wofür sie mich hält. Immerhin habe ich ihrem Sohn das Herz gebrochen.

„Nicht so toll“, sagt er. „Ich treffe morgen meinen Vater, das ärgert sie.“

„Du triffst deinen Vater?“

„Ja. Ich dachte, wenn ich schon mal hier bin …“ Er klingt befangen.

Toms Vater hat die Familie vor eineinhalb Jahren verlassen und ist mit einer anderen Frau nach San Francisco gezogen. Damals war Tom am Boden zerstört. Seitdem hat er seinen Dad nicht mehr gesehen, aber vor Kurzem haben sie nach langer Zeit miteinander telefoniert.

Es ist schlimm, ein Elternteil zu verlieren, selbst wenn die Person noch lebt.

„Und wie lange bleibst du bei ihm?“

„Eine Woche. Ich habe mir ein paar Tage schulfrei genommen.“

„Hoffentlich läuft es gut.“

„Danke.“

Das gefällt mir nicht. Wir sitzen nebeneinander und sind doch so weit voneinander entfernt. Früher konnte ich ihn trösten, jetzt kann ich ihn nicht mal berühren, ohne mir Gedanken zu machen, ob das in Ordnung ist oder nicht. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie es gehen soll, dass wir Freunde bleiben.

Frustriert stelle ich fest, dass die Fahrt gleich vorbei ist. Das war eindeutig viel zu kurz.

„Tut mir leid“, platzt es aus mir heraus, weil uns keine Zeit mehr bleibt.

Er sieht mich verwundert an.

„Es tut mir leid. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen“, sage ich schnell.

„Nein.“ Seine Augen sehen dunkler aus als sonst. Mein Mut sinkt, aber Tom ist noch nicht fertig. „Noch nicht. Aber eines Tages wird es mir gelingen. Und dann können wir versuchen, Freunde zu sein.“

Ich bin so dankbar für seine Worte, dass ich heulen könnte.

„Nicht“, sagt er, als er die Tränen in meinen Augen sieht. In diesem Moment öffnet sich der Sicherheitsbügel. Tom berührt kurz meine Wange, bevor er aus dem Wagen steigt. Dann streckt er mir eine Hand hin, um mir beim Aussteigen zu helfen.

Seine Freundlichkeit macht den Kloß in meinem Hals noch größer, doch als wir wieder mit unseren Freunden vereint sind, kann ich meine Trauer für eine Weile vergessen.

In den nächsten Stunden passiert so viel, dass ich kaum an Mum denke. Manchmal fühle ich mich schuldig, weil ich heute ihr Andenken ehren sollte, statt Spaß mit meinen Freunden zu haben. Aber sie haben alle so viel Freude, dass ich sie nicht mit schlechter Laune und Traurigkeit belästigen will.

Irgendwann ruft mein Dad alle zusammen und sagt uns, dass es Zeit ist zu gehen.

„Aber was ist mit Captain Buzz Lightyear?“, jammert Barney.

„Wir kommen noch mal wieder“, verspricht Johnny ihm.

„Juhu!“, kreischt der Kleine laut.

Am späten Nachmittag verlassen wir den Park und verpassen so das Feuerwerk, aber ich weiß, dass meine Freunde völlig erschlagen sind. Sie sind erst gestern Abend angekommen, und Johnny hat sie in einem Hotel in der Innenstadt von Los Angeles untergebracht. In England ist es jetzt schon acht Stunden später, Schlafenszeit sozusagen, aber – keine Chance. Natürlich wollen alle mein neues Zuhause sehen.

Pizza, Popcorn und ein entspannter Abend in unserem Privatkino zu Hause wären jetzt echt perfekt.

„Ich gehe mal davon aus, dass du mit deinen Leuten fahren willst“, sagt Johnny zu mir, als die anderen auf einen schicken schwarzen Kleinbus zusteuern.

„Auf jeden Fall.“ Ich laufe hinter ihnen her, bleibe aber noch mal kurz stehen und drehe mich um. „Vielen Dank für den schönen Tag“, sage ich und meine es auch so.

„Gern geschehen“, antwortet er. „Wir sehen uns in etwa einer Stunde zu Hause. Euer Fahrer macht mit euch erst noch eine kleine Tour durch Hollywood.“

„Cool!“

Den Bus hat sich Johnny von seiner Plattenfirma geliehen. Im hinteren Teil ist eine große Rückbank, die sich um einen glänzenden schwarzen Tisch windet. Auf dem Tisch stehen Chips, Süßigkeiten und verschiedene Softdrinks.

Stu, Caroline – Toms Mutter – und Marilyn – Libbys Mutter – sitzen weiter vorn im Bus und überlassen uns uns selbst.

„Ist es irgendwie doof, dass ich gerade Lust auf Salat habe?“, fragt Libby und schiebt sich die rötlichbraunen Strähnen hinters Ohr. „Ich hatte heute so viel Zucker, dass ich gleich abhebe, glaube ich.“

Libby war die längste Zeit meines Lebens meine beste Freundin, aber nach dem Tod meiner Mutter haben wir uns entzweit. Zu dieser Zeit hatte ich mich dann mit Natalie und Co. angefreundet. Im letzten Schuljahr tauchte Libby auf einmal mit einer neuen besten Freundin auf, die sich in mehrfacher Hinsicht als echter Albtraum entpuppte. Zum Glück haben Libby und ich noch mal die Kurve gekriegt und sind jetzt wieder befreundet.

„Hattet ihr Spaß heute?“, frage ich in die Runde und sehe meine Freunde an.

„Machst du Witze? Das war der beste Tag meines Lebens!“, kreischt Em, und wir müssen alle lachen.

Natalie macht sich eine Dose Cola auf. „Und er ist noch nicht vorbei!“, sagt sie und sieht mich aus ihren blauen Augen verschwörerisch an.

Ungefähr eine Stunde später schlängeln wir uns die Hügel von Bel Air hoch, dem Zuhause der Reichen und Berühmten. Meine Freunde versuchen, Blicke auf die hinter hohen Toren und perfekt gestutzten Hecken verborgenen Villen zu erhaschen.

„Da wohnt Charlotte Tremway.“

„Oh wow!“, ruft Libby und dreht sich zu mir um. „Kennst du sie nicht sogar?“

Ich nicke. „Wir waren ein paarmal zusammen unterwegs.“

Charlotte Tremway – oder Lottie, wie ihre Freunde sie nennen – ist der Star einer unserer Lieblingsserien, Little Miss Mulholland. Lotties Dad ist der Executive Producer und superreich. An seinem vierzigsten Geburtstag habe ich Jack kennengelernt.

Als ich aus dem Fenster schaue, muss ich an den Jungen denken, der vielleicht mein Freund ist oder auch nicht. Er ist jetzt achtzehn, hat schwarze Haare und blaugrüne Augen. Er ist schlank und durchtrainiert und so verdammt sexy, dass ich wahnsinnig werden könnte. Ich kann es kaum erwarten, ihn wieder zu küssen.

Ich erinnere mich an seine Finger in meinem Haar und seinem Körper eng an meinem, und plötzlich wird mir ganz heiß. Doch dann zucke ich zusammen, denn genau dies war der Moment, in dem ich Tom betrogen habe. Ich werfe ihm einen schuldbewussten Blick zu und versuche, Jack aus meinen Gedanken zu verbannen.

Zum Glück ist er nicht da. Nicht auszudenken, wenn er und Tom sich begegnet wären.

Während wir durch die Toreinfahrt zur Villa der Jeffersons fahren, setzen sich alle auf und schauen wie gebannt aus dem Fenster. Es wird schon dunkel, sodass man gar nicht mehr viel erkennen kann bis auf die hellen Lichter, die durch die blattlosen Bäume vor meinem Zimmer aus dem Haus strahlen.

„Was ist das denn?“, höre ich Natalie fragen und blicke nach links, wo etwas großes Weißes im Garten zu sehen ist.

„Ich hab null Ahnung“, murmele ich verwirrt.

„Sieht aus wie ein riesiger Iglu“, meint Dougie.

Tut es echt. Was zum Teufel? Ein paar Leute stehen unter den Bäumen herum, und allmählich nehmen die Dinge Gestalt an: die Lichtergirlanden in den Zweigen, die Musik aus unsichtbaren Lautsprechern, Jack, Agnes und meine Bandmitglieder von All Hype Brandon und Miles. Ich reiße schockiert den Mund auf und schaue rüber zu Tom.

Oh shit.

3. KAPITEL

„Überraschung!“, ruft Agnes, als ich nervös aus dem Bus steige. Sie rennt auf mich zu, und als sie mich umarmt, sehe ich über ihre Schulter rüber zu Jack.

„Hey“, sagt er, als er mich seiner Schwester abnimmt. Es klingt amüsiert. Er umarmt mich, lässt mich aber schnell wieder los, damit ich unsere Bandkollegen begrüßen kann. Doch seine Lippen berühren kurz mein Ohr. Schon allein diese kleine Geste lässt mein Herz wie wild hüpfen. Dabei haben wir uns nicht mal geküsst! Das geht auch nicht. Nicht jetzt, nicht hier.

Brandon und Miles würden nämlich absolut austicken, wenn sie wüssten, dass Jack schon wieder etwas mit der Sängerin der Band hat. Denn meine Vorgängerin Eve ist gegangen, weil es zwischen ihr und Jack nicht mehr lief – was für jede Menge Frust in der Band sorgte. Als ich dann im Herbst nach L. A. zurückkam, haben sie absichtlich nur männliche Sänger gecastet, damit sich das nicht wiederholt. Doch alle Versuche scheiterten, und sie mussten ihren Radar doch wieder auf Frauen erweitern.

Jack ist ein ziemlicher Aufreißer. Aber er hat Brandon und Miles versprochen, dass er die Band nicht mehr in Gefahr bringt, indem er Arbeit und Vergnügen vermischt.

Ups.

Daher finden wir es angebracht, unsere Beziehung erst mal geheim zu halten.

„Was geht denn hier ab?“, frage ich atemlos, mache mich von Brandon los und wende mich dem riesigen weißen Etwas im Garten zu. „Und was ist das?“

„Ein aufblasbarer Iglu“, klärt Agnes mich auf. „Eine Iglu-Disco, um genau zu sein. Da steigt deine Party.“

„Aber ich kenne doch gar nicht genügend Leute, damit es voll wird!“, rufe ich.

„Agnes hat deine halbe Klasse eingeladen“, erklärt Miles.

„Ehrlich gesagt habe ich die ganze Klasse eingeladen und die ganze Klasse über uns auch“, korrigiert Agnes ihn. „Man will ja niemanden ausgrenzen, wenn man ganz neu auf der Schule ist. Dann würden sie dich hassen.“

Johnny gesellt sich zu uns. „Wusstest du davon?“, frage ich ihn. Vermutlich sehe ich immer noch aus wie ein Goldfisch mit meinem offenen Mund.

Er hebt eine Augenbraue. Dumme Frage. Als ob jemand so etwas an ihm vorbei organisieren könnte.

„Es war seine Idee“, verrät mir Agnes grinsend. „Und er hat mir auch erlaubt, dass ich alle einladen.“

„Sie hing die letzten zwei Tage nur am Telefon“, ergänzt Jack.

„Ich dachte, ihr seid in Washington?“

„Waren wir auch“, sagt Jack. „Agnes hat alles von dort aus organisiert.“

Und sie sind extra meinetwegen zurückgekommen? Wow. Jack schenkt mir sein typisches cooles, sexy Lächeln, sodass mein Herz kurz auszusetzen scheint. Ich darf ihn nicht küssen. Ich darf ihn nicht küssen.

„Meg hat Phoenix und Barney heute Nacht bei einer Freundin einquartiert“, informiert mich Johnny.

„Apropos Freunde!“, meint Agnes. „Stell uns doch mal deine Freunde vor!“

Ich lande wieder auf der Erde. Nervös drehe ich mich um. Inzwischen sind alle aus dem Bus gestiegen. Ich zeige auf jeden Einzelnen und nenne die Namen. Ich spüre, wie Jack sich verkrampft, als ich Tom vorstelle. Und da Tom Bilder von Jack gesehen hat, weiß er sicher auch schon, wer er ist. Schluck. Wenn Blicke töten könnten …

Was gäbe ich dafür, wenn ein Blitz den Boden vor mir auftun würde und ich verschwinden könnte! Nur leider gibt es in L. A. ja so gut wie nie Gewitter …

„Also dann, Ladys!“, ruft Agnes. „Alle mit mir!“

„Wo gehen wir denn hin?“, frage ich, während sie mich mit sich zerrt. Hoffentlich versucht Jack nicht, sich auf ein Gespräch mit Tom einzulassen.

„Du wirst doch nicht das zu deiner Geburtstagsparty tragen“, erwidert Agnes und begutachtet meine Jeans und T-Shirt. „Ich hab was mitgebracht. Für deine Freundinnen übrigens auch.“

Das wundert mich nicht. Agnes möchte Modedesignerin werden und hat mich auch für unseren All-Hype-Gig gestylt. Sie berät mich immer, was ich anziehen soll. Ich finde das super. Sie ist genial.

Mein Lieblings-Security-Mann Sam wartet schon im Haus. Ich begrüße ihn, als wir nach oben gehen. Ich schätze mal, er soll dafür sorgen, dass keine unangemeldeten Gäste ins Haus kommen.

„Ich habe in deinem Zimmer schon alles bereitgelegt“, verkündet Agnes mir.

Erst zu spät bemerke ich, dass meine Freundinnen nicht mehr hinter uns sind. Als ich auf dem Treppenabsatz stehen bleibe, sehe ich, wie sie staunend die breite Treppe nach oben starren und sich das Haus ansehen, das jetzt mein Zuhause ist. Es ist modern und offen, mit minimalistischer Designer-Einrichtung. Riesige bodentiefe Fenster eröffnen den Blick auf unseren Infinity-Pool und die Stadt der Engel unten im Tal. Ich muss lächeln, als ich ihre Gesichter sehe.

„Zu meinem Zimmer geht es hier lang“, sage ich und drehe mich um.

Agnes hat in meinem Zimmer zwei Kleiderständer aufgestellt, die von bunten, glänzenden Partykleidern zu bersten scheinen. „Sucht euch eins aus“, sagt sie zu meinen Freundinnen. „Du …“, sie wendet sich mir zu, „wirst das hier tragen.“

Sie reicht mir ein langes smaragdgrünes Kleid. Es hat einen Schulterträger, der schräg von einer Schulter abgeht und unter dem anderen Arm verschwindet. An der Seite ist es bis zum Oberschenkel geschlitzt.

„Ich liebe diese Farbe an dir“, sagt sie. Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich ein grünes Kleid von ihr trug. Da hatte sie mich zu Lottie Tremway mitgeschleppt. „Probier es mal an.“

Meine Freundinnen sind begeistert dabei, Kleider an- und auszuziehen. Ich schlüpfe in das grüne Kleid, und es sitzt wie angegossen.

„Oh wow!“, sagt Lou plötzlich. Sie starrt mich an.

„Du siehst super aus!“, ruft Libby.

Agnes, offensichtlich zufrieden mit sich, schiebt mich vor den großen Spiegel.

„Oh Agnes!“ Meine Stimme kiekst. „Ich liebe dieses Kleid!“

Meine amerikanische Freundin ist ein paar Zentimeter größer als ich, ungefähr eins fünfundsiebzig, und hat die Haare zu einem strengen Bob geschnitten. Ihr Markenzeichen, der Eyeliner, ist wie immer perfekt im Raubtierlook aufgetragen. Im Spiegel grinst sie mich kurz an, doch schon wechselt ihr Ton wieder ins Geschäftsmäßige. „Und Riemchenschuhe“, entscheidet sie spontan. Sie geht rüber zu meinem Schrank und holt welche raus.

Natalie schenkt mir ein wissendes Lächeln. Ich habe ihr erzählt, dass Agnes eine Art Naturgewalt ist, mit der man rechnen muss.

„Wusstet ihr auch von heute Abend?“, frage ich Natalie und erinnere mich an ihren vielsagenden Blick vorhin und ihren Kommentar, dass der Tag noch nicht vorbei sei.

„Ich wusste, dass was geplant ist“, gesteht sie. „Denn ich habe mitbekommen, wie Johnny mit Stu geredet hat.“

„Ich hatte keine Ahnung“, wirft Libby ein.

„Ich wette, dein Dad hat uns nicht zugetraut, dass wir den Mund halten“, meint Lou grinsend.

„Apropos.“ Ich werde ernst. „Brandon und Miles haben keine Ahnung, dass Jack und ich zusammen sind, also passt bitte auf, was ihr sagt.“ Ich wende mich an Natalie. „Könntest du Aaron und Dougie Bescheid sagen?“

„Klar.“ Sie nickt entschieden.

„Und ich sage es Chris und Tom“, verspricht Lou.

„Danke.“ Ich lächele sie dankbar an.

Lou und ich hatten uns von Anfang an super verstanden, seit sie im letzten Schuljahr neu in unsere Klasse gekommen war. Nachdem ich England verlassen hatte, waren sie und Libby Freundinnen geworden. Zuerst hat mich das gestört, aber seit ich selbst neue Freundschaften geschlossen habe, komme ich besser damit zurecht.

Als ich daran denke, dass in ein paar Tagen die Schule losgeht, werde ich auf einmal ganz nervös.

Also konzentriere ich mich lieber wieder auf das Hier und Jetzt – und stelle fest, dass inzwischen alle meine Freundinnen aufgebrezelt sind.

Lou hat sich für ein Slip Dress in Silbermetallic-Look entschieden, Libby trägt ein langes schwarzes perlenbesetztes Kleid, und Natalie und Em haben sich für Fransenkleider in Mitternachtsblau und Koralle entschieden. Sie sehen alle umwerfend aus.

„Gefällt dir dein Kleid auch wirklich?“, erkundigt sich Agnes.

„Ich liebe es“, erwidere ich entzückt.

„Gut, denn das ist mein Geburtstagsgeschenk. Ich habe es für dich entworfen“, fügt sie verlegen lächelnd hinzu.

„Es ist von dir?“

„Ja.“

„Oh Mann, Agnes! Du bist echt so begabt, das kann gar nicht wahr sein!“

Sie errötet, als ich sie umarme.

„Du bist noch nicht fertig“, stellt sie grinsend fest und schiebt mich weg. „Ich muss dir noch die Haare und das Make-up machen.“

Damit ist sie zur Hälfte fertig, als die Tür auffliegt und Lottie hereinstürmt.

„Da bist du!“, schreit sie. „Dein Security-Mann unten hat mir gesagt, dass nur Leute mit englischem Akzent reindürfen. Was für ein Glück, dass ich Schauspielerin bin!“

„Hey du“, begrüße ich sie lachend. Natürlich weiß Sam ganz genau, wer sie ist, da bin ich mir sicher. Wahrscheinlich steht sie auf der Liste der Leute, die ins Haus dürfen. „Hört mal, Leute, das ist Lottie“, sage ich nach unserer Umarmung. Erst jetzt fällt mir auf, dass es im Zimmer ganz still geworden ist. Meine Freundinnen sind ehrfürchtig erstaunt angesichts des Promis in ihrer Mitte. Ich muss lachen, als ich ihr die Mädels vorstelle.

„Seid ihr fertig?“, fragt Lottie und wirft ihr langes dunkles Haar nach hinten. Sie trägt ein rotes Kleid und sieht unfassbar toll aus – wie immer. Mit passendem knallroten Lippenstift und perfekt gezupften Augenbrauen.

„So gut wie“, antwortet Agnes und bestäubt meine Wangen mit Rouge.

„Gut, denn ich brauche dringend einen Drink.“

Es tut mir leid, sie zu enttäuschen, aber Alkohol wird es vermutlich nicht geben. Johnny ist Abstinenzler. Obwohl er mir erlaubt, dass ich ab und zu was trinke. Vielleicht geht also doch was.

„Und wieso das?“, erkundige ich mich, als wir zusammen nach unten gehen.

„Ich brauche Ablenkung.“

„Wovon?“ Ich sehe sie fragend an.

„Brandon“, murmelt sie.

Sie erzählt mir, was das Problem ist. Brandons Freundin Maisie ist auch hier. Normalerweise bringt er sie nie mit, sodass ich zuerst gar nicht wusste, dass er überhaupt eine Freundin hat. Denn normalerweise flirtet er heftig mit Lottie, und man kann sich nur schwer vorstellen, wie ein anderes Mädchen es mit ihr aufnehmen kann. Aber dann habe ich Maisie bei dem All-Hype-Auftritt kennengelernt. Sie ist total liebenswert mit ihren großen dunklen Augen und ihrer süßen Schüchternheit. Sie und Brandon sind schon lange zusammen.

Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, dass Lottie das so viel ausmacht, und ich fühle mich geschmeichelt, dass sie mir ihre Gefühle anvertraut.

Kaum haben wir das Haus verlassen, überrollt mich wieder eine Welle von Nervosität. Vorhin sind sich Jack und Tom noch aus dem Weg gegangen. Aber jetzt? Wir gehen direkt rüber zum Iglu, wo gerade „Reptilia“ von The Strokes aus den Lautsprechern dröhnt.

„Ich vermute, dein Dad hat sich um die Playlist gekümmert“, stellt Jack, der plötzlich neben mir auftaucht, trocken fest. Mein Herz schlägt Purzelbäume. Um uns herum sind Dutzende von Leuten, aber meine Aufmerksamkeit gilt allein ihm. Er sieht so sexy aus in seiner grauen Jeans und dem eng anliegenden schwarzen Hemd. Die hochgekrempelten Ärmel enthüllen sein POW!-Tattoo im Comicstil auf dem rechten Unterarm.

„Was stimmt denn nicht mit der Playlist?“, frage ich und tue so, als wäre ich cool, obwohl ich mich am liebsten auf ihn stürzen würde. „Ich liebe diesen Song.“

„Ich auch, aber dieser Isaac hat mir gesagt, dass er Songs aus den 2000er-Jahren nur in den ersten Stunden spielen darf.“ Er guckt in Richtung des DJs. „Bis jetzt kamen The White Stripes, Arctic Monkeys, Gorillaz, The Libertines, The Streets und die Yeah Yeah Yeahs.“

„Was gibt’s denn da zu meckern?“ Ich grinse ihn an. „Du stehst doch auf diese Mucke!“

„Ja, aber müssen wir echt nur Zeug aus der Zeit deines Dads hören? Als Nächstes legt er noch Fence auf!“

Fence hieß Johnnys ehemalige Band – bevor er seine Solokarriere begann.

„Ich wurde im Jahr 2000 geboren. Wahrscheinlich geht es eher darum als um den Geschmack meines Vaters.“

„Wenn du das sagst.“

Ich grinse ihn an, denn ich weiß, dass er es nicht böse meint. „Ich wette, du darfst später das DJ-Pult übernehmen.“

Er sieht mich fragend an. „Glaubst du?“ Sarkastisch fügt er hinzu: „Isaac hat bestimmt nichts dagegen.“

„Wer ist dieser Isaac überhaupt?“, will ich wissen.

Autor