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Das Nord

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Ein atemberaubender Thriller in der schillernden Welt der Haute Cuisine

Alex ist allein, arbeitslos und mit seinem Selbstwertgefühl am Boden. Als er ein Jobangebot erhält, das zu schön scheint, um wahr zu sein, zögert er keine Sekunde. Es handelt sich um die begehrte Stelle als Commis de Cuisine, im weltbekannten, mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Restaurant Nord im rauen Nord-Schweden.

Der Job ist mühsam und wird noch dadurch erschwert, dass Alex sich in die elektrisierende Besitzerin Alice Duwal verliebt, die wesentlich älter als er und verheiratet ist. Es dauert nicht lange, und er stellt fest, dass der schöne Schein des Restaurants trügt, denn Alice hat viele Geheimnisse. Kann er es schaffen, diese aufzudecken, ohne dabei selbst in Gefahr zu geraten?


Spannend, rau und einfach anders – dieses Autorenduo begeistert mit einem intelligenten Thriller rund um Macht, Geld und Begierde

»Ein sehr spannender Krimi in einer Restaurantumgebung, die so eiskalt ist wie die Natur, die sie umringt.« Spiegel-Bestsellerautorin Viveca Sten


  • Erscheinungstag: 01.12.2023
  • Aus der Serie: Kulinarikthriller
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 288
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749906161
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Druck ist gesund. Stressig wird es, wenn man damit nicht umgehen kann. Ich meine, wenn Sie sich in diesem Umfeld nicht unter Druck setzen lassen wollen, sollten Sie nicht Koch werden.

GORDON RAMSAY

PROLOG

Sie setzen sich auf den Steg, und Alex streicht mit den Fingerspitzen sanft über Hannahs Rücken. Der Stoff ist dünn, aber ihre Haut fühlt sich warm an. Vor ein paar Wochen hat er sich kaum getraut, sie anzusehen, aber jetzt sitzen sie hier, ganz nah beieinander, und nippen an dem Schnaps, den sie in einer alten Colaflasche mitgebracht hat. Er schmeckt sauer und bitter, wärmt aber angenehm. Hannah steckt sich eine Zigarette an. Der Abend ist heiß und stickig. Alex schält sich aus seiner Jeansjacke und atmet tief durch. Die letzte Nacht. Morgen kommt die Familie vom Land zurück, am Montag fängt die Schule wieder an. Hannah lächelt ihn vielsagend an, eine Haarsträhne hängt ihr in die Augen. Sie packt die ausgetrunkene Flasche und wirft sie in einem weiten Bogen ins Wasser. Sie landet klatschend in dem spiegelglatten See. Dann steht sie auf. Die kurzen Shorts enden knapp unter ihrem Po.

»Komm, wir hauen ab!«

Alex tut, was sie sagt, wie immer. Manchmal versteht er nicht ganz, was sie meint, aber das spielt keine Rolle, meistens macht er trotzdem mit. Hannah geht bald aufs Gymnasium, und es kommt ihm unwirklich vor, eine Freundin zu haben, die fast zwei Jahre älter ist als er. Er versucht, nicht daran zu denken, dass er erst vierzehn ist und sie schon sechzehn. Seit sie sich im Frühsommer auf Peders Party kennengelernt haben, sehen sie sich fast jeden Tag. Sie zieht ihn vom Steg hoch, er lässt seine Lippen die ihren berühren, ihre Zungen kitzeln sich, er atmet ihren Duft ein. Rauchig und ein bisschen süßlich. Er spürt die Erregung im Unterleib. Alex wäre am liebsten die ganze Nacht unten am See geblieben, aber Hannah will weiter, und sie laufen vom Steg weg zur Straße, wo ihr Moped steht. Sie kann nie stillsitzen, will immer, dass etwas passiert.

»Wir fahren eine Runde, spring auf«, sagt sie.

Das Moped glitzert im Abendlicht, sie startet den Motor, und schon geht es los, er spürt den Fahrtwind an seinen Wangen und schlingt die Arme fest um Hannahs Taille. Sie fährt wie eine Irre, aber langsam gewöhnt er sich daran.

»Warte!«

Alex versucht, das Motorengeräusch und das Rauschen des Windes zu übertönen.

»Ich habe meine Jacke unten am Steg vergessen, kannst du umdrehen?«

Hannah hört ihn nicht oder tut so, als würde sie ihn nicht hören, und gibt stattdessen noch mehr Gas. Sie schlängelt sich im Zickzack zwischen Blumentöpfen und Pfosten hindurch, fliegt über eine Bodenschwelle auf dem Bürgersteig.

»Langsamer!«

Seine Stimme verschwindet im Fahrtwind, der Alkohol brennt in seinem Magen, sein Kopf dreht sich. Die Jacke wird er morgen holen müssen, hoffentlich ist sie noch da. Dann drückt sich Hannah plötzlich fest in seinen Bauch, als würde sie vor etwas zurückschrecken.

Im nächsten Moment gibt es einen Knall.

Als er aufwacht, liegt er auf dem Boden, der Mund auf dem Asphalt, Schotter und Dreck im Gesicht. Etwas drückt gegen seinen Hals, es schmerzt, den Kopf zu heben. Viele Geräusche drängen gleichzeitig in sein Gehirn, aber er hört nichts. Es ist still, und etwas pocht. Sind sie gegen etwas gefahren? Seine Beine tun weh, er versucht sich aufzusetzen. Vor ihm auf dem Boden liegt eine Haarspange, die aussieht wie die, die seine kleine Schwester Julia immer im Haar trägt. Ein Panda, der einen Regenbogen hält, an einer Metallklammer befestigt. Übel riechende Gallenflüssigkeit schwappt in seiner Kehle empor und läuft aus seinem Mund auf den Boden.

Hannah kauert in einer seltsamen Haltung, sie zittert und weint, die Hände vorm Gesicht. Alex zieht sich der Magen zusammen. Er steht auf, obwohl ihm schwindelig ist und sein Bein schmerzt, er richtet das Moped auf, nimmt den Helm ab. Große Kratzer an einer Seite. Sein Gehirn tut alles, um das Bild der Haarspange, das Schreien, das Schluchzen zu verdrängen.

Dann sieht er Hedda.

Sie liegt reglos auf dem Boden. Sie ist es, wogegen sie gefahren sind. Hannah ist direkt in die beste Freundin seiner kleinen Schwester gerast, die Nachbarin von nebenan. Die jeden Tag bei ihnen spielt. Er stürzt zu ihr. Sie hat die Augen geschlossen, aber aus ihrem Mund kommen keuchende Atemzüge. Er bläst ihr Luft zwischen die Lippen, drückt mit den Händen auf ihre Brust. Sie trägt einen türkisfarbenen Pullover mit einem übergroßen Prinzessinnengesicht, das ihn mit einem breiten Lächeln ansieht.

»Sie atmet!«, ruft er, aber er weiß nicht, an wen er sich richtet.

Hannah kriecht auf dem Asphalt zu ihnen, er versteht nicht, warum sie nicht aufsteht. Warum kommt niemand, versteht niemand, dass sie Hilfe brauchen? Als er wieder losschreien will, blickt er in Hannahs große Augen.

»Du darfst nicht sagen, dass ich es war … Du darfst nichts sagen!«

Sie schluchzt, zischt fast.

»Ich bin strafmündig, verstehst du? Sie werden mich einsperren.«

Er versteht es nicht, aber Hannah bettelt und fleht ihn an, und nach ihrem gemeinsamen Sommer gibt es nichts, was er nicht für sie tun würde. Dann kommt Heddas Mutter und schreit sich die Seele aus dem Leib. Er übergibt sich wieder, die Kotze landet auf Heddas Pullover, er versucht sie wegzuwischen, und sein Blick bleibt an den riesigen Augen der Zeichentrickprinzessin haften.

Etwas tropft von seiner Stirn. Zuerst denkt er, es sei Blut, aber als er sich mit der Hand über das Gesicht fährt, um sich zu vergewissern, ist es nicht rot. Schwitzt er, oder sind es Tränen? Jede Pore seines Körpers scheint sich öffnen und etwas herauslassen zu wollen. Irgendwo in seinem Hinterkopf weiß er, dass er unter Schock steht, aber zugleich ist er so verdammt erleichtert, als er den Krankenwagen kommen hört. Hedda wird überleben. Sie kommt ja am Montag in die erste Klasse, zusammen mit Julia. Den ganzen Sommer haben sie zusammen geplant, im Zimmer ihrer Schwester gekichert und im Internet Rucksäcke bestellt, die zusammenpassen.

Jemand stellt ihm Fragen. Eine gelbe Decke wird ihm um die Schultern gelegt, jemand reicht ihm eine Tasse. Er setzt sich auf, kriegt keine Antworten hervor, aber er weiß genau, was passiert ist. Hannah ist viel zu schnell gefahren, wie immer. Sie hat Hedda überfahren. Er denkt an seine Eltern. Er denkt an Julia. Aber gleichzeitig scheint es, als würde er gar nicht denken. Vor ihm steht eine Frau in Polizeiuniform. Sie sieht nett aus. Er sieht, dass sich ihre Lippen bewegen.

»Wer ist gefahren?«

Hannah drückt seine Hand. Fest. Noch fester, als er nicht sofort antwortet. Ihr Duft ist überwältigend. Sie hat Tränen in den Augen und blutet an der Schläfe. Hat sie die ganze Zeit neben ihm gesessen? Ihre Stimme in seinem Kopf. Ich bin strafmündig! Dann seine eigene, als käme sie aus weiter Ferne.

»Ich war es.«

Ihr Griff lockert sich, aber er drückt ihre Finger fest und verschränkt sie mit seinen. Ihre Worte hallen in seinem Kopf wider. Er ist vierzehn, sie sechzehn. Egal, solange mit Hedda alles gut wird. Die Polizistin macht sich Notizen und bittet ihn mitzukommen. Langsam richtet er sich auf, pustet in ein Alkoholmessgerät, macht alles, was man ihm sagt. Beim Krankenwagen ist es still, mehrere Leute beugen sich über Hedda, die auf einer Trage liegt. Alex sieht das weiße Kleid ihrer Mutter zwischen den grünen Rücken der Sanitäter durchscheinen.

Es klopft an der Tür, und die Polizistin verschwindet aus dem Verhörraum. Er hat Fieber, zumindest glaubt er das. Das Bein schmerzt. Seine Gedanken sind wirr, sie überschlagen sich, kollidieren. Er fragt sich, was los ist, ob sie seine Eltern angerufen haben, wo Hannah ist. Er will sich wieder übergeben, aber sein Magen ist leer. Er atmet ein, tief. Hannahs Duft ist verschwunden, hier riecht nichts mehr. Die Tür geht auf, die Polizistin kommt wieder herein. Sie sieht müde aus, schaut ihn an.

»Alex, ich muss dir leider mitteilen, dass das Mädchen, das du überfahren hast, ihren Verletzungen erlegen ist. Sie ist tot.«

1

Alex fährt sich zwanghaft mit der Hand durch die Haare. Sie sind trocken und ungewaschen, und er wünscht sich, dass der graue Collegepullover, den er trägt, frischer wäre. Er riecht komisch und ist schmutzig. Seit Tagen hat er nicht geduscht. Er steht schon über zwei Stunden an der Vingårdsstraede im Zentrum Kopenhagens und wartet, weil er Angst hat, zu spät zu kommen oder noch schlimmer: zu früh zu kommen und zu bedürftig zu wirken.

Obwohl er Emils Nachricht schon öfter gelesen hat, als ihm guttut, holt er das Handy erneut hervor und schaut sie noch einmal an. Inzwischen kennt er sie auswendig.

Hab gehört, dass du in KPH bist, Lust auf ein Treffen? Ich habe vielleicht einen Job für dich. Komm morgen um 18 Uhr in den Kronprinsens Kælder, wenn dich das interessiert. /Emil Rantzberg

Alex hatte seit Jahren nicht mehr an Emil gedacht, aber am ungewöhnlichen Nachnamen erkannt, dass die SMS von Peders Bruder stammte. Als Peder und er noch Freunde waren, war sein älterer Bruder Emil manchmal beim Skaten mit dabei, und Alex erinnert sich, dass er ein cooler Typ war, aber er versteht nicht, warum er ihn jetzt kontaktiert. Emil hatte Växjö im Sommer vor dem Unfall verlassen, war ins Ausland gegangen und hatte in einem schicken Restaurant an der Côte d’Azur gearbeitet. Bis gestern hatte Alex vergessen, dass es ihn überhaupt gab.

Der Eingang des Restaurants, in dem er Emil treffen soll, besteht aus einer geschnitzten Holztür mit vergoldeten Griffen und Buntglas, die er von Bildern im Internet kennt. Natürlich weiß er bereits alles über Kronprinsens Kælder, ein Restaurant, von dem er schon während seiner Ausbildung auf Öland gehört hatte, aber in den ersten sechs Monaten nach seinem Abschluss in Kopenhagen hatte er es nicht geschafft hierherzukommen. Seine Arbeit ließ ihm weder Zeit noch Geld.

Am liebsten würde er kehrtmachen und gehen, aber er weiß nicht, wohin. Stattdessen schaut er ein letztes Mal auf die Uhr, beschließt, dass es in Ordnung ist, fünf Minuten zu früh zu kommen, atmet tief durch und stößt die schwere Tür auf. Die Kristalllüster im Foyer funkeln ihm von der hohen Gewölbedecke entgegen, und er geht ein paar Schritte in Richtung des Restaurants. Keiner der wohlhabenden Gäste würdigt ihn eines Blickes. Ihm ist nicht klar gewesen, dass es so exklusiv ist. Die Frage ist, ob er bei seinem Aussehen überhaupt reingelassen wird. Er vermeidet es, seinem eigenen Blick im glänzenden Spiegel hinter der Bar zu begegnen, aber als er sein Haar sieht, gerät er in Panik und versucht wieder verzweifelt, es mit den Händen zurückzukämmen.

Der Oberkellner, ein schlanker Mann mit dichtem Bart und schicker Brille, mustert ihn neutral, aber Alex ahnt, was er denkt. Dass er von der Straße gekommen ist, um etwas zu stehlen oder sich aufzuwärmen.

»Ja?«

»Ich bin hier mit jemandem verabredet, Emil Rantzberg.«

»Rantzberg?«

Während der Kellner auf einem Tablet scrollt, inhaliert Alex die Gerüche und die Wärme. Müdigkeit überkommt ihn. Zum Glück lächelt der Oberkellner.

»Emil ist schon im Roten Zimmer. Darf ich fragen, ob der Herr sich ein Jackett leihen möchte?«

Alex nickt dankbar, natürlich gibt es an einem Ort wie diesem eine verbindliche Kleiderordnung.

»Wir kümmern uns gern auch um Ihre Tasche und verstauen sie im Schrank?«

Trotz des höflichen Tons versteht er, dass es keine Frage, sondern eine Aufforderung ist. Er stellt seine Tasche ab und lässt sich in das Jackett helfen, das ihm der Oberkellner reicht. Das übergroße Sakko über dem grauen Kapuzenpullover sieht nicht besonders elegant aus, aber es gibt keine Alternative. Bevor er sich entscheiden kann, ob er den Pulli ausziehen oder anbehalten soll, wird er durch den Raum geführt. In einem großen Kamin in der Mitte brennt ein offenes Feuer, an den Tischen, die über den ganzen Raum verstreut sind, unterhalten sich einige Leute. Der weiche Teppich unter seinen Füßen dämpft das Geräusch seiner Schritte, die im Gelächter und Knistern des Feuers untergehen, als er dem Oberkellner in eine Ecke des Raumes folgt. Am besten Tisch unter einem der hohen Glasfenster sieht er Emil in eine Speisekarte vertieft sitzen.

Er sieht älter aus, als Alex ihn in Erinnerung hat, und sein erster Gedanke ist, dass er Peder wahnsinnig ähnelt. Normalerweise verdrängt Alex diese Gedanken, wie er es immer tut, wenn jemand auftaucht, der mit seinem alten Leben verbunden ist. Emil hat ihn immer noch nicht gesehen, und Alex nutzt die Gelegenheit, ihn heimlich zu betrachten. Er sieht immer noch gut aus, vielleicht ein bisschen gealtert, aber er hat seinen Stil völlig verändert. Früher trug er übergroße Hemden, eine Schirmmütze und zerrissene Jeans, jetzt hat er das Haar kurz geschnitten und trägt ein frisches weißes Hemd. An seinem Handgelenk funkelt eine große Armbanduhr, die aussieht wie eine Omega. Alex möchte am liebsten mitsamt seinem geliehenen Jackett im Boden versinken, doch Emil entdeckt ihn, steht auf und begrüßt ihn mit einem breiten Grinsen.

»Mensch, wie schön, dich zu sehen! Ist lange her.«

»Oh ja«, antwortet er und hört selbst, wie unsicher er klingt.

»Setz dich. Willst du was trinken?«

Emil schiebt ihm eines der beiden Sektgläser vor sich zu und reicht ihm die Speisekarte. Er wirkt gut gelaunt, und Alex sinkt erleichtert auf den Stuhl. Kein Wort über das geliehene Jackett, seine offensichtlich ungewaschenen Haare und vor allem kein Wort über den Unfall. Noch nicht. Wenn er eines in den letzten Jahren gelernt hat, dann, dass niemand es vergisst, egal wohin er geht, egal wie viel Zeit vergeht. Aber Emil sieht wirklich glücklich aus, fast aufgeregt, und sobald sein Gaumen den Champagner schmeckt, geht es auch ihm besser. Alex wirft einen Blick auf das Etikett der Flasche, die aus dem Kühlgefäß lugt. Krug 90. Meine Güte, was feiern sie? Er dachte, Emil würde ihn auf ein Bier einladen, und die Sache mit dem Job klang natürlich interessant, aber jetzt fragt er sich, ob es um etwas anderes geht. Vielleicht will Emil mit seinem neuen Lebensstil angeben, ihm ist es offenkundig gut ergangen. Er hebt sein Glas und prostet Alex zu.

»Ich hatte gehofft, dass du kommst.«

»Na ja, ich bin tatsächlich auf der Suche nach einem neuen Job, also ja, klar.«

Verdammt, er klingt so eifrig und ungeduldig. Er muss sich zusammenreißen, das hier ist das Einzige, was er noch in petto hat, er will nicht, dass Emil es bereut, ihn hierher eingeladen zu haben. Alex nimmt noch einen Schluck vom Champagner und versucht, entspannt auszusehen, aber er spürt, wie ihm der Schweiß aus allen Poren dringt.

»Gut, aber lass uns erst bestellen, bevor wir über die Arbeit reden, ja? Ich hätte Lust auf Smörrebröd mit Zwiebelroulade als Vorspeise, und ich glaube, danach nehme ich Tournedos Rossini mit Trüffeln. Was nimmst du?«

Alex versucht Zeit zu gewinnen, indem er so tut, als würde er sich in die Speisekarte vertiefen, während er in Wirklichkeit die Preise studiert. Das muss das teuerste Restaurant in Kopenhagen sein, denn allein die Vorspeisen kosten mehrere Hundert dänische Kronen. Als könnte Emil seine Gedanken lesen, fährt er unbeirrt fort:

»Du bist natürlich eingeladen, bestell, was du willst. Das ist das Mindeste, was ich tun kann, wenn du meinen Posten im Nord übernimmst.«

Dann lächelt er und lehnt sich zurück, um auf Alex’ Reaktion zu warten.

»Was? Hast du Nord gesagt?«

Alex hört sich selbst lachen. Am besten kippt er noch den Champagner weg, bevor er hier wieder einpacken kann. Er hat nicht im Mindesten genug Erfahrung, die für das Nord erforderlich wäre, aber er will Emil nicht enttäuschen, bevor sie überhaupt bestellt haben.

»Du hast im Nord in Åre gearbeitet, und jetzt soll ich deinen Job übernehmen? Als was?«

»Als Commis de Cuisine, als Assistent des Küchenchefs natürlich. Wenn du willst, kannst du morgen anfangen. Ich habe die Stelle bekommen, nachdem ich die Besitzer kennengelernt hatte, die Familie Duwal, weißt du, drunten in Cagnes-sur-Mer.«

Er sieht, wie Emil ihn mustert, während er ihm vom Nord erzählt, und Alex beugt sich vor, um kein Detail zu verpassen. »Ich dachte, das passt zu mir, ich hatte damals genug von der Hektik da unten. Aber vielleicht hast du diesen Winter Besseres zu tun?«

Alex weiß nicht, was er sagen soll, die ganze Sache ist absurd. Er leert sein Glas.

»Nein, eigentlich nicht.«

Das Nord. Eines der erfolgreichsten Restaurants Schwedens, mitten auf dem Land, in den Wäldern außerhalb von Åre. Der Traumarbeitsplatz der meisten seiner alten Schulfreunde, vor allem, weil der Küchenchef Thomas Turner in der Branche für seinen Einsatz für junge Köche bekannt ist. Die Küchen, in denen Thomas Turner arbeitet, sind immer auch Keimzellen für neue Talente, und es heißt, dass er im Gegensatz zu vielen anderen Meistern jungen Köchen wirklich die Chance gibt, ihr Können schon früh unter Beweis zu stellen. Egal, wie viel Erfahrung sie mitbringen, wenn sie in seine Küche kommen. Aber auch für viele weitaus erfahrenere Köche und junge Absolventen der besten Restaurantschulen ist es ein Ziel, im Nord zu arbeiten, mit einer Ausbildung, die um Lichtjahre besser ist als jene an seiner alten, nicht mehr existierenden Schule. Die Starköchin Vanessa Lotts arbeitete dort, und heute ist das Nord eines der wenigen schwedischen Restaurants in Skandinavien, die vom Guide Michelin mit zwei Sternen ausgezeichnet wurden. Mehrere Jahre hintereinander war es unter den ersten drei Plätzen auf der Liste der 50 besten Restaurants. Menschen aus der ganzen Welt bewerben sich dort, aber nur wenige bekommen einen Job.

Der Kellner kommt, und Emil wartet nicht auf Alex, sondern bestellt für beide, was ein Glück ist, denn Alex bekommt kaum ein Wort heraus. Dass er verzweifelt auf Jobsuche ist, merkt man ihm ohne Frage an. Vor lauter Nervosität klebt ihm das T-Shirt am Rücken, und er wünscht sich, das Jackett ausziehen zu können. Er versucht, sich so unauffällig wie möglich Luft zuzufächeln, aber als er nach dem Glas greift, stellt er fest, dass es leer ist. Emil lächelt und füllt es schnell wieder auf. Alex dachte, dass Emil hier in Kopenhagen arbeitet und er ihm hier einen Job anbieten würde. Obwohl er auf keinen Fall riskieren will, dass Emil sein Angebot zurückzieht, muss er doch die Frage stellen:

»Warum ich?«

Emil sieht ihn unergründlich an und scheint zu überlegen, wie er es formulieren soll.

»Um ehrlich zu sein, sie mögen … grüne Jungs. Mit Ausbildung, natürlich. Sie wollen ihr eigenes Team formen, den Leuten ihren eigenen Stempel aufdrücken.«

»Okay?«

»Ich habe im Internet gesehen, dass du dich in der Branche beworben hast, eine Restaurantfachschule besucht und im Amiralen gearbeitet hast.«

Emil lehnt sich auf seinem Stuhl zurück.

»Ganz ehrlich, ich finde, du hast eine zweite Chance verdient.«

Alex wird rot. Jetzt ist es so weit, er hat es geahnt. Er blickt auf den Tisch, um dem Mitleid in Emils Augen zu entgehen, das er kennt, und er hasst es, an den Unfall erinnert zu werden.

»Ich weiß, was passiert ist. Es fühlt sich gut an, wenn ich irgendwie helfen kann.«

Alex überlegt. Dieser Sommer war eine Katastrophe. Eigentlich müsste er zugeben, dass ihm die Erfahrung fehlt, aber er weiß, er muss das Risiko eingehen. Wie groß sind die Chancen, dass ausgerechnet Emil seinen verzweifelten Social-Media-Eintrag von vor einer Woche gesehen hat und ihn wegen eines Jobs im Nord kontaktiert? Er nutzt Facebook nur selten und hatte schon fast vergessen, dass er dort in einem schwachen Moment um einen Job gebettelt hat. Er zwingt seine Hände, still im Schoß zu liegen und nicht an der Serviette herumzufummeln. Das Feuer wärmt, und im Fenster neben ihm brennen Kerzen in großen Leuchtern. Er kann nicht aufhören zu schwitzen, der schnell getrunkene Champagner wärmt ihn von innen und beginnt sich in seinem Kopf bemerkbar zu machen. Jetzt muss er eine Antwort finden. Emil davon überzeugen, dass er der Richtige für den Job ist.

»Zur Vorspeise nehmen wir den Krug, und zum Hauptgang hätten wir gerne eine Flasche Barolo«, sagt Emil, als der Oberkellner noch einmal vorbeikommt, um nach dem Rechten zu sehen.

Alex beschließt, die Details seiner spärlichen Berufserfahrung wegzulassen. Aber Emil scheint sich mehr für die Zukunft zu interessieren. Er mampft seine Zwiebelroulade, während er weiterredet.

»Sofern du den Druck aushältst, meine ich. Du hast vielleicht weniger Erfahrung als ich, auch wenn es ein Assistentenjob ist, aber sie mögen Leute, die Einsatz zeigen. Und da du für Claus gearbeitet hast, dachte ich, du passt perfekt.«

Natürlich wollte er in Schwedens angesagtestem Restaurant arbeiten, aber sein Aufenthalt in Claus’ Spitzenrestaurant Amiralen hatte gerade mal zwei Wochen gedauert. Das erzählt er Emil allerdings nicht. Er nimmt einen großen Bissen von der Vorspeise, um nicht gleich antworten zu müssen.

Am Tag nach dem Abitur war Alex weggegangen. Seit Jahren hatte es ihn nach Kopenhagen gezogen, nicht allzu fern und doch weit weg von allem, was gewesen war. Er hatte als vielversprechendster Schüler seiner Klasse ein Stipendium erhalten, was vielleicht nicht verwunderlich war, denn er war ein Jahr älter als die anderen und der Einzige, der sein Studium wirklich ernst zu nehmen schien. Seine Kommilitonen träumten vielleicht davon, in der Gastronomie zu arbeiten, aber Alex wusste, dass nur wenige das Talent und die Disziplin dazu hatten.

Im Jahr nach dem Unfall war er ausgegrenzt worden, und gleich nach der neunten Klasse zog er nach Västerås, wo er als Aushilfe im Restaurant Haket landete. Dort entdeckte er sein Interesse am Kochen. Seine Freunde hatte er verloren, und es tat gut, sich in die Arbeit zu stürzen. Wenn er frei hatte, genoss er es, durch die Straßen zu ziehen, wo ihn niemand erkannte, und träumte von einer Zukunft als Koch. Durch einen Kollegen erfuhr er von einem Gymnasialprogramm mit Restaurantprofil an einer Schule auf Öland und bewarb sich sofort. Zum Glück waren seine schlechten Noten in der neunten Klasse kein Problem, und er wurde aufgenommen. Nachdem er drei Jahre erneut die Schulbank gedrückt hatte, war er mit großen Erwartungen in die dänische Hauptstadt gekommen, die jedoch weitgehend enttäuscht wurden.

Claus Riis, Sternekoch und seit zwanzig Jahren Dänemarks kulinarischer Liebling, entpuppte sich hinter den Kulissen als wahrer Dreckskerl. Er rekrutierte systematisch Absolventen von Kochschulen für seine Restaurants, hielt aber selten seine Zusagen in Bezug auf Job und Bezahlung ein. Schon nach zwei Wochen hatte das Nobelrestaurant Amiralen in Österbro, in dem Alex dank der Kontakte seiner Lehrerin Cina eine Stelle versprochen worden war, keinen Platz mehr für ihn. Der Besitzer und Fernsehstar Claus hatte gelogen, Alex war in eine klassische Restaurantfalle getappt. Statt Wachteln zu rotieren und Trüffeln zu hobeln, hatte er den Sommer damit verbracht, Erbsen zu pflücken und in Claus’ runtergekommenem Zweitrestaurant in Vesterbro für das Personal zu kochen. Er weiß, dass er es mit den wenigen Erfahrungen, die er im Amiralen gesammelt hat, im Nord kaum schaffen wird, aber vielleicht findet er sich schnell in die Abläufe hinein, wenn er sein Bestes gibt.

Die Vorspeise ist aufgegessen, die Teller sind abgeräumt, der Champagner durch den exklusiven Rotwein ersetzt, den Emil bestellt hat. Alex fragt sich, wie er sich das leisten kann. Das Gehalt als Commis ist bescheiden, also muss das Geld irgendwo anders herkommen. Er beschließt, nicht zu fragen, aber als Emil ihn fragt, ob er den Job will, nickt er überzeugend, und Emil strahlt über das ganze Gesicht.

»Ich rufe gleich dort an und sage Bescheid, dass du kommst.«

Alex entschuldigt sich und geht zur Toilette. Der Raum dreht sich, als er sich aufrichtet, seine Wangen sind rot. Er trinkt selten, Alkohol ist für ihn immer noch mit dem Unfall verknüpft.

Als er zurückkommt, steht der Hauptgang auf dem Tisch, und Alex zwingt sich, ihn nicht zu gierig in sich hineinzuschlingen, obwohl er seit Tagen nichts Richtiges gegessen hat.

Der Nieselregen peitscht gegen seine immer noch geröteten Wangen, und der Wind pfeift, sodass er kaum reagiert, als das Auto vor ihnen bremst. Emil öffnet die Tür und Alex klettert auf den Rücksitz.

»Wir holen gleich deine Sachen.«

In wenigen Minuten sind sie bei der Jugendherberge CPH, wo Alex in den letzten Wochen gewohnt hat. Er bemerkt Emils Überraschung, als sie an der Adresse halten.

»Oh! Im Nord wirst du es viel schöner haben«, sagt er, als das Taxi vor dem Eingang hält.

Alex versteht, was er meint. Der Job, den Claus ihm versprochen hatte, war mies bezahlt. Das wusste er von Anfang an, aber einer der Gründe, warum er ihn dennoch annahm, war, dass er eine billige Dienstwohnung gestellt bekommen würde. Die Wohnung entpuppte sich allerdings als eine Baracke, die Claus im Hof eines leer stehenden Gebäudes aufgestellt hatte, das er gekauft hatte und in dem er angeblich ein Hotel mit mehreren Restaurants einrichten wollte.

In der Baracke gab es zwei wackelige Etagenbetten, eine nach Schimmel riechende Dusche und eine gelb verfärbte Toilette. In einer Ecke stand ein alter Kühlschrank, der die ganze Nacht brummte, und es gab nur zwei Kochplatten, die sich die vier Bewohner teilen mussten. Bald verschwanden Dinge, und Alex fand heraus, dass einer seiner Mitbewohner stahl. Er fühlte sich ständig unwohl.

Er hatte gehofft, neue Freunde zu finden, die nichts von seinem früheren Leben wussten, aber die anderen Mitarbeiter sprachen kein Wort Englisch, und Alex konnte kein Spanisch. Er musste zwölf Stunden am Tag arbeiten, sein Lohn war so niedrig, dass er sich nichts leisten konnte, und er hatte fast nie frei.

Als er dachte, es könne nicht noch schlimmer werden, wurde er ohne Vorwarnung entlassen und aus dem Haus geworfen. Das ist jetzt drei Wochen her, aber er hat niemandem davon erzählt. Von Cina und seinen alten Klassenkameraden hört er kaum noch etwas, seine Familie ist vorübergehend nach Frankfurt gezogen, wo sein Vater eine neue Arbeit gefunden hat. Nur seine Schwester Edith, die noch das Gymnasium besucht, ist in der Villa in Växjö geblieben, und dorthin will er unter keinen Umständen zurückkehren.

Er bewarb sich in den besseren Küchen Kopenhagens, fand dort jedoch keine neue Anstellung. Die Sommersaison ist längst vorbei, und die meisten Restaurants hielten ihn für zu unerfahren. Das Zweitrestaurant gab ihm keine Referenzen, und niemand konnte ihn empfehlen. Mit seinem letzten Geld hatte er in einer Jugendherberge eingecheckt, aber inzwischen ist das Geld fast aufgebraucht. Die letzten Nächte hat er auf Pump dort übernachtet im Ausgleich für ein paar Putzarbeiten. Er besitzt nicht einmal mehr Geld für die schäbige Dusche, die nur mit Münzen funktioniert.

Das Schild an der Fassade flackert, irgendetwas scheint daran kaputt zu sein. Er eilt die Treppe hinauf, steckt den Schlüssel ins Schloss. Innerhalb von drei, vier Minuten packt er sein ganzes Leben zusammen. Dann schließt er die Tür vorsichtig, schleicht die Treppe hinunter, an der Rezeption vorbei. Die letzte Übernachtung müssen sie ihm schenken, Geld hat er nicht. Jetzt will er nur noch weg, noch heute Abend in den Nachtzug nach Åre steigen, das ist laut Emil die beste Lösung, wenn er den Job will. Er setzt sich wieder auf den Rücksitz, und das Taxi fährt weiter in Richtung Bahnhof.

Es regnet nicht mehr ganz so stark, aber stetig, die Scheibenwischer arbeiten wie verrückt, und Emil scherzt mit dem Taxifahrer. Alex schaut erleichtert aus dem Fenster.

»Ich bin so froh, dass du zugesagt hast, Alex.«

Emil dreht sich um und sieht ihn an. Er wirkt zufrieden.

»Du wirst das Nord lieben! Natürlich wirst du dir den Arsch aufreißen müssen, aber was soll’s, wer tut das nicht für einen Traumjob?«

»Nein, genau, wer nicht«, sagt Alex und grinst breit zurück.

Sein Gesicht ist wie taub, benebelt vom Alkohol. Als sie an der Ampel halten, erzählt Emil weiter, von den Bergen, von der tollen Milliardärsfamilie Duwal, der das Nord gehört, von der Personalunterkunft und den Kollegen. Und von dem extrem hohen Tempo in der Küche. Aber das macht Alex nichts aus, nachdem er einen Sommer lang nur darauf gewartet hat, etwas Erfüllendes zu tun.

»Aber … warum? Warum willst du nicht selbst weitermachen?«

Emil fischt sein Handy hervor.

»Na ja, ich sehne mich nach einer Veränderung. Ich hätte gerne ein eigenes Ding, eine Strandbar oder so, in Tulum oder vielleicht irgendwo anders in Brasilien oder Mexiko. Ich dachte, ich gehe jetzt, bevor ich es mir anders überlege, ich habe es geschafft, durch Investitionen etwas Geld zu sparen.«

Er verstummt.

»Dann möchte ich, dass jemand anderes die Chance hat, das zu erleben, was ich erlebt habe.«

Alex wird nüchterner, als der Fahrer scharf an einem Zebrastreifen bremst und das Wasser gegen die Scheiben spritzt.

»Wow, das klingt toll, eine eigene Bar wäre nicht übel.«

»Ja, genau, ich mag die Wärme, und sobald ich mich einmal entschieden hatte, wollte ich einfach loslegen.«

»Und, geht das jetzt in Ordnung? Muss ich kein Bewerbungsgespräch machen oder so?«

Emil wirkt kurz verwirrt.

»Nein, nein, also … Alice … Duwal, sie haben mich gefragt, ob ich jemanden kenne. Es war okay, dass ich kurzfristig kündige, wenn ich einen gleichwertigen Ersatz stelle. Der Haken war, dass sie dich so schnell wie möglich wollten, sonst säße ich in der Scheiße. Total cool von dir, dass du einspringst!«

Sie kommen an, das Taxi hält, Alex steigt aus, während Emil bezahlt, und dann eilen sie in den Bahnhof. Nach der Wärme im Auto schlägt ihm die Kälte entgegen, er fröstelt in seiner dünnen Lederjacke.

»Ich sollte wohl am besten Wintersachen kaufen, und wie viel kostet die Fahrkarte?«

Emil geht zu einem Fahrkartenautomaten in der großen Halle, die trotz der späten Stunde noch sehr belebt ist.

»Keine Sorge, ich bin sicher, dass sie dir einen Vorschuss geben können, ich erkundige mich und schreibe dir eine SMS. Wenn du jetzt knapp bei Kasse bist, kann ich dir auch was schicken, das kannst du mir später zurückzahlen. Und ich habe noch ein oder zwei alte Hemden im Schrank hängen. Meines Wissens kriegst du mein altes Zimmer.«

Er drückt Alex die Fahrkarte in die Hand, und sie gehen zum Bahnsteig. In zwanzig Minuten fährt der Zug. Emil umarmt ihn und hebt den Daumen, als der Zug einfährt. Alex findet das richtige Abteil. Erste Klasse, Schlafwagenabteil mit eigener Dusche. Noch bevor er das Abteil betritt, piept sein Handy. Emil hat ihm sechstausend Kronen überwiesen. Alex vergewissert sich noch einmal, dass er seine Tasche, das einzig Wertvolle, das er besitzt, auch wirklich dabeihat, dann wirft er sich aufs Bett und streckt sich. Der Zug rumpelt los, er fühlt sich sofort schläfrig, springt aber auf, als jemand an der Abteiltür klopft.

»Fahrkarten, bitte!«

Die Schaffnerin steht draußen und schiebt die Tür einen Spalt weit auf. Alex zeigt seine Fahrkarte, und sie geht weiter. Er muss eingenickt sein, aber er ist froh, geweckt worden zu sein, denn jetzt kann er eine lange, heiße Dusche nehmen. Dass die Duschkabine sehr klein und der Wasserstrahl schwach ist, stört ihn nicht. Er seift sich ein, massiert sein Glied, ejakuliert unter der Dusche, spült sich ab, legt sich ins Bett und schläft schnell wieder ein. Doch um fünf Uhr morgens wacht er auf, benommen und verkatert. Er unterdrückt alle Zweifel, ob er die richtige Entscheidung getroffen hat.

Es kommt nicht infrage, dass er einen Job als Commis im Nord sausen lässt.

2

Grauer Nebel umhüllt den Zug. Das Wasser im nahe gelegenen See hat sich noch nicht beruhigt, aber die Luft ist rau, und kleine Eiskristalle schweben aus den Wolken herab. Der November hat in den Bergen Einzug gehalten. Alex schaut sich verschlafen um, als er aussteigt. Die Sohlen seiner Turnschuhe sind zu glatt, und er rutscht auf dem Bahnsteig fast aus. Es ist früher Nachmittag, und er hat den größten Teil der Fahrt verschlafen. Am Bahnhof hält eine ältere Frau ein Schild mit seinem Namen in der Hand. Als er näher kommt, winkt sie ihm fröhlich zu.

»Du musst Alex sein«, sagt sie in breitem Jämtländisch.

Sie stellt sich als Gitt vor, und er folgt ihr zum Auto.

»Komm schnell ins Warme, es ist der silbergraue da drüben«, sagt sie und zeigt auf den Wagen, einen nagelneu aussehenden Land Rover.

Trotz ihres starken Dialekts versteht er, was sie meint, und er spürt, wie er sich entspannt. Alex bibbert, seine Zähne klappern fast, und er versucht, die dünne Jacke fester um seinen Körper zu ziehen. Sein Hals bleibt eiskalt, denn er hat keinen Schal. Auch eine Mütze hat er nicht, und seine Ohren färben sich schnell rot von der Kälte. Er muss sich schnellstens passendere Kleidung besorgen.

Nach ein paar Minuten im Auto kehrt die Wärme in seinen Körper zurück. Die Lederpolster knarren, als er sich im Sitz bewegt, und sie gleiten lautlos durch den Wald.

»Können wir irgendwo anhalten, damit ich mir eine Jacke kaufen kann?«

Gitt lächelt ihn im Rückspiegel an und schüttelt den Kopf.

»Nee, aber das ist auch nicht nötig. Emil hat alle seine Wintersachen dagelassen, und ihr habt wahrscheinlich die gleiche Größe. Probier doch erst mal seine Sachen an, dann kannst du später noch was einkaufen, wenn es nötig ist.«

Alex findet es seltsam, dass Emil all seine Sachen hiergelassen hat, er hat doch nur ein paar Hemden erwähnt, aber seine Erinnerung an die vergangene Nacht ist verschwommen, und er will Gitt nicht widersprechen. Vielleicht hatte er einfach keine Lust, seine ganzen Wintersachen mitzunehmen, wo er sowieso nach Mexiko geht. Oder hat er vor zurückzukommen, wenn es mit der Bar nicht klappt? Jetzt, wo er nüchtern ist, merkt Alex, dass es da ein paar Fragezeichen gibt, aber ihm ist ein bisschen übel, und er weiß nicht, ob es an der Nervosität, den kurvigen Straßen oder dem Alkohol der letzten Nacht liegt. Seit dem gestrigen Abendessen hat er nichts mehr gegessen, aber er ist auch nicht hungrig. Was ist, wenn Emil ihm nur einen Streich spielt? Es ging alles so schnell, aber als Gitt das Radio einschaltet und einen Popsong mitsummt, lehnt er sich in seinem Sitz zurück und versucht sich einzureden, dass alles gut wird.

Sie fahren weiter den Berg hinauf, und bald ist der Boden am Straßenrand mit Schnee bedeckt. Er sieht Berghütten neben einer Skipiste, aber Gitt hält nicht an, sondern fährt daran vorbei und biegt auf eine Nebenstraße, die in den Wald führt. Alex denkt an einen Sporturlaub mit seiner Familie. Es scheint eine Ewigkeit her zu sein. Das letzte Mal, dass sie zusammen Ski gefahren sind, war im Jahr vor dem Unfall. Sie fuhren immer nach Trysil oder Kläppen, in Åre war er noch nie. Er liebte das Snowboarden, und jetzt würde er wieder Gelegenheit haben, sich diesem Hobby zu widmen.

Dann lichtet sich der Wald, und ein großes Bauernhaus ragt zwischen den Fichten hervor. Gleich hinter dem Hauptgebäude zeichnen sich die Umrisse des Berges Åreskutan wie ein dunkler Schatten ab, und Alex reckt den Hals, um so viel wie möglich von der Umgebung zu sehen. Das Herrenhaus scheint aus der Jahrhundertwende zu stammen, ist aber offenbar frisch renoviert. Es wirkt imposant, aber verschlossen. Menschen sind nicht zu sehen. Der Kies in der Auffahrt vermischt sich mit dem Schnee und knirscht unter den Rädern des Land Rovers, als Gitt bremst.

Um den riesigen Hof herum stehen mehrere Gebäude. Das Nord befindet sich in einer der großen Scheunen. Auf der Fahrt hat er ein wenig nach dem Restaurant gegoogelt und Artikel gelesen, bevor er eingeschlafen ist. Auf den Fotos sah der bekannte Besitzer und Geschäftsmann Carl Duwal älter aus als seine schöne Frau Alice. Sohn Theodor ist Anfang dreißig. Alex hatte nur Lob für das Restaurant gefunden, was ihn noch nervöser macht. Der Gedanke, mit dem Megastar Thomas Turner als Chefkoch zusammenzuarbeiten, lähmt ihn fast. Ihm läuft ein Schauer über den Rücken, und er fühlt sich trotz der Wärme des Ledersitzes, die seinen Hintern und Rücken durchströmt, immer noch zittrig. Als Gitt vor einem großen niedrigen Blockhaus hält, öffnet er zögernd die Tür und steigt wieder in die Kälte hinaus.

»Du bist herzlich willkommen. Das ist das Haus, in dem du wohnen wirst. Ich habe gerade keine Zeit, aber die Tür ist offen. Auf dem Bett liegen weitere Infos, dein Zimmer heißt ›Canyon‹.«

»Danke«, stößt er hervor, bevor Gitt geht und er allein auf dem riesigen Hof steht.

Es ist totenstill, und er hört seine eigenen kurzen Atemzüge. Er vermutet, dass die meisten arbeiten, denn sonst ist niemand da. Die Luft ist so kalt, dass es wehtut zu atmen. Er schaut sich um und betrachtet seine Umgebung. Die Häuser sind alt, aber in gutem Zustand, die dunkle blassrote Farbe ist stumpf und hebt sich vom Schnee ab. Die vergitterten Fenster des Hauptgebäudes und die Glasscheiben der großen Veranda verleihen dem Herrenhaus an diesem nebligen, frostigen Nachmittag einen magischen Glanz. Unterhalb des Herrenhauses führt ein Hang hinunter zu einem zugefrorenen See. Der Wald ist nicht weit weg, aber die Wege und Straßen, die er sieht, sind von kleinen Lampen erhellt.

Mit einer Tasche über der Schulter und der anderen in der Hand betritt er das Haus, auf das Gitt gezeigt hat, und gelangt direkt in einen großen Raum mit Wänden aus grob behauenen Holzstämmen, einem Kamin und Decken, die bis zum Dachfirst reichen. Eine große Kücheninsel bildet das Herzstück des Raumes, voll mit frischen Kräutern in verschiedenen Töpfen, und etwas weiter entfernt sieht er ein Wohnzimmersofa und einen Fernseher. Alles wirkt gepflegt, und er sieht sofort die Tür zu seinem Zimmer, schräg rechts neben der Eingangstür.

Erwartungsvoll drückt er die Klinke nach unten. Das Zimmer hat einen Balkon und ein großes Doppelbett. Darauf liegen ordentlich gestapelte Kleidungsstücke. Er stellt die Taschen ab und schaut sich die Klamotten an. Arbeitskleidung für die Küche, aber auch normale Hosen, Hemden, Skikleidung und ein Paar feste Winterstiefel. Alles in seiner Größe, das meiste sieht nagelneu aus. Er nimmt ein weiches dunkelblaues Wollunterhemd. Alles Markenware. Ein schwarzer Stellar-Anzug, Gant-Hemden, Unterwäsche von Peak-Performance. Das können nicht Emils alte Sachen sein. Seine Gedanken wandern sofort zu seinen Finanzen, in der Hoffnung, dass es nicht von seinem Gehalt abgezogen wird. Wahrscheinlich wird es etwas kosten, aber er braucht Klamotten, und jetzt muss er nicht mehr einkaufen gehen. Er dreht einen hellbraunen Lederstiefel um. Größe 43, sogar die Schuhgröße stimmt. Wahrscheinlich ist es das Beste, Emil anzurufen, um sicherzugehen, dass es sich nicht um einen Fehler handelt. Er gibt Emils Nummer ein, aber es kommt kein Freizeichen, sondern nur die Mailbox. Also schickt er eine SMS mit ein paar Zeilen, in denen er Emil bittet, ihn zurückzurufen, wenn er Zeit hat. Vielleicht sitzt er schon im Flugzeug nach Mexiko.

Alex lässt sich aufs Bett fallen, um alles zu verarbeiten, und landet auf etwas Hartem. Er zieht ein Ringbuch hervor. »MITARBEITERHANDBUCH« steht auf dem Cover. Er schlägt es auf und blättert darin. Regeln zum Drogenkonsum, zur Restaurantphilosophie, zum Konzept, zu lokalen Lebensmitteln, weitere Richtlinien und schließlich verschiedene Zutaten zum Auswendiglernen. Neben dem Buch liegt ein Zettel.

Herzlich willkommen! Wir beginnen mit einem Test, bevor Sie im Nord anfangen können. Bitte lesen Sie die Regeln und finden Sie sich um sechzehn Uhr vor der Küche ein. Mit freundlichen Grüßen, Florence Garcia, Souschef

Emil hat keinen Test mit dem Souschef erwähnt. Er greift zum Handy und versucht noch einmal, ihn anzurufen, aber es geht nur die Mailbox ran. Es ist fast drei Uhr, und Alex hat keine Ahnung, wie er das Handbuch in nur einer Stunde auswendig lernen soll.

Er lehnt sich an das Kopfteil des Betts, zieht die Schuhe aus und kramt einen alten Energieriegel aus der Tasche. Draußen vor dem Fenster sieht er die Berge, die sich hinter den schönen Gebäuden erheben, die Schneekristalle in den Baumkronen und den von Laternen beleuchteten Weg, der in den Wald führt. Er kann es kaum erwarten, ihn zu erkunden. Den Test nicht zu bestehen, ist keine Option, also blättert er Seite für Seite durch das Handbuch. Er beschließt, sich auf die Richtlinien zu konzentrieren, denn er erinnert sich daran, dass Cina gesagt hat, das sei das Wichtigste, wenn man in einem neuen Restaurant anfängt. Hoffentlich werden sich die vielen Stunden, in denen sie ihn gedrillt hat, als nützlich erweisen. Aber obwohl er der Beste in seiner Klasse war und seine Schulmannschaft es bis ins Finale der Oberstufenmeisterschaft geschafft hat, ist ihm klar, dass es noch ganz anderer Anstrengungen bedarf, um im Nord erfolgreich zu sein.

Eine Stunde später hat er seine neue Arbeitskleidung angezogen, die Regeln so gut gelernt wie unter diesen Umständen möglich und ist bereit, Florence Garcia zu treffen. Stattdessen aber steht eine Frau in seinem Alter vor dem Nord. Sie ist fast so groß wie er und lächelt selbstbewusst, als er sich ihr nähert. Er wirft einen Blick auf ihren beeindruckenden Körper. Sie ist kurvig und muskulös, wirkt stark und hat eine aufrechte Haltung. Wahrscheinlich fährt sie in jeder freien Minute Ski. Sie trägt kleine unauffällige Silberohrringe und hat dickes kastanienbraunes Haar, das sie zu einem Dutt hochgesteckt hat, aber etwas an ihrem Make-up deutet immer noch auf einen alternativen Stil hin. Unter dem perfekt sitzenden schwarzen Hemd und der Jacke verbirgt sich eine Tätowierung, ein kleines Blatt, das am Handgelenk hervorblitzt, als sie ihre Hand zur Begrüßung ausstreckt.

»Hallo, ich bin Sofi.«

Er stellt sich vor und zögert kurz, als sie durch eine schmale Tür ins Gebäude geht, er kann nicht glauben, dass er gleich die Küche des Nord betreten wird. Er versucht, sich auf das zu konzentrieren, was sie sagt, um nichts zu verpassen.

»Du kannst mich alles fragen, ich arbeite hier, seit ich siebzehn bin, und das ist sechs Jahre her, also habe ich meistens eine Antwort.«

Sie lacht und redet weiter.

»Ja, und ich bin aus Åre. Ansonsten kommt das Personal aus der ganzen Welt, deshalb sprechen wir in der Küche meistens Englisch, aber ich nehme an, das bist du gewohnt, wenn du aus den Restaurants in Kopenhagen kommst.«

Sofi führt ihn in den Raum, in dem er den Test schreiben soll. Es ist ein Abstellraum mit einem Tisch und ein paar zusammengeschobenen Stühlen, ohne Fenster.

»So, Alex, du hast ab jetzt fünfundvierzig Minuten Zeit.«

Sie drückt ihm einen Stift und ein Heft mit vorgedruckten Fragen in die Hand, bevor sie hinausgeht und die Tür hinter sich schließt. Sein Mund wird trocken, er zieht die Schultern zurück, hebt und senkt sie ein paarmal. Dann drückt er den Bleistift so fest gegen das Papier, dass die Mine abbricht, und klickt frustriert eine neue Spitze heraus. Er beginnt zu lesen. »Was ist das Spezialgericht des Restaurants?« (Jakobsmuschel, im eigenen Saft gekocht.) »Wie heißt der Champagner des Hauses?« (Jacques Selosse.) Auf einige der Fragen weiß er problemlos eine Antwort, aber bei mindestens der Hälfte ist er sich nicht sicher. Eine davon betrifft die Frage nach Künstlern, die im Speisesaal repräsentiert sind. Er weiß es nicht, weil er noch nie dort war. Er lässt die Frage beiseite und geht frustriert zur nächsten über. Als er auf die Uhr schaut, stellt er fest, dass bereits zwanzig Minuten vergangen sind.

Die Fragen zu den Kleidungsregeln in der Küche und den Richtlinien in Bezug auf Drogen, Alkohol und Tabak sind leichter zu beantworten, aber bevor er Zeit hat, seine Antworten noch einmal zu checken, erscheint Sofi in der Tür und streckt ihre Hand aus, um den Test entgegenzunehmen. Ihre Hand streift die seine, als sie die Blätter nimmt. Sie lächelt aufmunternd. Er fragt sich, ob man merkt, wie nervös er ist. Während er im Zimmer wartet, steht er auf und schiebt den Stuhl unter den Tisch, aber der Raum ist zu klein, um sich zu bewegen, und er bleibt unruhig in der Tür stehen. Nach einer Weile kommt Sofi, die möglicherweise seine neue Kollegin ist, zurück.

»Komm mit, ich stelle dir Florence vor. Keine Angst, sie ist voll in Ordnung.«

Alex hofft, dass das bedeutet, dass er den Test bestanden hat. Sie gehen ein paar Schritte den Flur hinunter, dann steht er in der Küche des Nord. Die Raumaufteilung ist weit und offen. Mindestens zwanzig Mitarbeiter sind an verschiedenen Stationen beschäftigt, alle wirken hochkonzentriert. In Töpfen und Pfannen brodelt und blubbert es, es wird geschlagen, gehackt, jemand legt Holz auf ein offenes Feuer. Alex fällt sofort auf, mit welcher Präzision und Disziplin alle zu Werke gehen. Die Mitarbeiter wirken strukturiert und machen keine unnötigen Bewegungen. Bis auf die üblichen Geräusche in einer Küche ist es still, niemand blickt auf oder mustert ihn.

Eine Frau Mitte dreißig mit dunklen glatten Haaren und scharfem Blick kommt auf ihn zu. Er sieht, wie alle diskret zur Seite treten, um sie vorbeizulassen, während sie selbstbewusst durch den Raum schreitet. Florence streckt ihm die Hand zur Begrüßung entgegen und ringt sich ein kurzes Lächeln ab.

»Der Test ist bestanden. Du kannst loslegen.«

Er entspannt seine Schultern, am liebsten würde er vor Erleichterung lachen, doch er nickt nur kurz. Er ist bereit, sich an die Arbeit zu machen, nimmt die Schürze, die sie ihm reicht, und folgt ihr zu einem freien Arbeitsplatz.

3

Alex’ erste Aufgabe besteht darin, kleine Wildhaselnüsse zu zerteilen und die schlechten auszusortieren. Er weiß nicht, für welches Gericht er sie verwenden soll oder warum, aber er wagt es nicht, jemanden zu fragen. Er versucht nur, sich und die Station, an der er arbeitet, so unsichtbar wie möglich zu machen, und hofft, dass er das Richtige tut und schnell genug arbeitet. Die Stunden, die er online vor inspirierenden Videos verbracht hat, werden im Nord nicht lange nützen. Die Jahre in der Restaurantschule sind wie weggeblasen, aber er hat das Gefühl, dass sie hier sowieso nicht viel bedeuten werden. Er weiß nicht, ob er wütend oder dankbar sein soll, wenn er an Cina denkt. Wahrscheinlich hat sie ihm alles beigebracht, was sie aus ihrer Zeit wusste. Er versucht, sich daran zu erinnern, was sie ihm drei Jahre lang darüber eingetrichtert hat, wie die Dinge in schicken Küchen funktionieren. Sei gründlich. Sprich nicht, wenn du nicht gefragt wirst. Hör nie auf, an dem zu arbeiten, was dir aufgetragen wurde, bis du dazu aufgefordert wirst. Sei unauffällig!

Um ihn herum stehen Menschen aus verschiedenen Ländern, die in seinem Alter sind und ebenfalls als Commis arbeiten. Ganz unten in der Hierarchie. Er zählt insgesamt sechs. Keiner scheint sich dafür zu interessieren, dass er gekommen ist, und Alex wird klar, dass er von niemandem Hilfe erwarten kann. Er schielt nach links, wo ein kräftiger Mann dabei ist, ungekochte Bohnen in verschiedene Schalen zu sortieren. Auf der anderen Seite rührt ein sommersprossiges Mädchen konzentriert in einem Topf mit Brühe, den sie keine Sekunde aus den Augen lässt. Nur Hacken, Kratzen und Blubbern sind zu hören, sonst nichts, doch jedes Mal, wenn Thomas eine Aufgabe verkündet, antworten alle unisono. »Oui, Chef!«

Endlich ist er mit den Nüssen fertig. Ein Souschef, dessen Namen er nicht kennt, kommt auf ihn zu, nimmt ihm wortlos das Brett ab und stellt ihm einen großen Teller mit Seeigeln hin. In Panik öffnet er langsam seine Messerscheide und überlegt, was er damit anfangen soll. Verzweifelt kramt er in seinem Gedächtnis nach Seeigeln und stellt fest, dass er keine Ahnung hat. Er hat sowohl mit Hummern als auch mit Krabben gearbeitet und glaubt, sich mit den meisten klassischen Krustentieren auszukennen, aber nicht mit Seeigeln.

»Schneide sie auf und nimm die Drüsen raus.«

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