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Das Leben ist kein Esohof!

hier erhältlich:

Ihr neuer Job führt Lisa (29, leider Single) aus ihrer keimfreien Großstadtwohnung aufs Land. Bewaffnet mit Desinfektionsspray gegen alle Gefahren der Natur (Kuhmist, Gräserpollen, freilaufende Viecher…), landet die Sicherheitsfanatikerin auf dem Bauernhof einer schrillen Esoteriker-WG. Ist deren Lebenskonzept eine Alternative für die Stadtneurotikerin? Zwischen Spiritisten, Schamanen und stimmungsvollen Schwingungen erwartet Lisa eine wahrhaft bewusstseinserweiternde Erfahrung (und das ganz ohne halluzinogene Pflanzen!). Besonderer Lichtblick im Eso-Chaos: Klangschalenmeister Sam, dessen Anblick bei Lisa sämtliche Chakren in Aufruhr versetzt … Oder sendet das Universum ihr eine Botschaft, indem es sie immer wieder mit dem attraktiven Jungbauern Karl zusammenstoßen lässt?


  • Erscheinungstag: 01.10.2015
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956494871
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Anna Gold

Das Leben ist kein Esohof

Roman

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Originalausgabe

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln; www.christinahucke.de

Redaktion: Bettina Lahrs und Christiane Branscheid

Titelabbildung: Dollar Photo Club

Autorenfoto: © Andreas Bradler

ISBN eBook 978-3-95649-487-1

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

IM HIER UND JETZT

Süßer die Klangschalen nie klingen …

Klirrrrrr …

Warum ausgerechnet dieses Geräusch?

Klirrrrrr …

Dieses mir so bekannte Klimpern. Warum ausgerechnet jetzt? Meine Gedanken stellen sofort einen Bezug zum Klirren meiner Mutter her. Nicht etwa, weil Mutter so tollpatschig ist und ständig Dinge fallen lässt – im Gegenteil. Sie ist der Inbegriff von Vorsicht und Fürsorge. Seit meinem dritten Lebensjahr trägt sie den pompösen Familienschmuck mit einer Behutsamkeit wie ein Archäologe seine antike Ausbeute. Auch heute, sechsundzwanzig Jahre später, ziert er ihr Dekolleté und lässt es erstrahlen wie das von Mr T. Deshalb ist jede ihrer Bewegungen, wie vorsichtig sie auch sein mag, begleitet von einem leisen Klirren.

Klirrrr … klong …

In diesem Moment jedoch befinden sich Mutter und der Schmuck mehr als fünfhundert Kilometer von mir entfernt. Das klangvolle glockenähnliche Geräusch, das aus dem Nebenraum kommt, hat einen ganz anderen Ursprung.

Rrrrrriiiiiing …

Und jetzt klingelt auch noch mein Handy. Auf dem Display erscheint das strahlende Antlitz meiner Mutter. Gedankenübertragung? Oder das Schicksal, an das ich neuerdings glaube? Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, ist, dass ich mich viel zu lange nicht bei ihr gemeldet habe und den Anruf jetzt nicht einfach ignorieren kann. Aber trotzdem: Warum ausgerechnet jetzt? Zähneknirschend drücke ich auf die grüne Taste und rufe ohne eine Begrüßung: „Mama, gerade ist es ganz schlecht!“

Ganz schlecht? Noch während ich es ausspreche, fällt mir auf, wie unpassend dieser Gesprächseinstieg ist. Seit jeher will meine Mutter nur mein Bestes.

„Ach, Sissi, mein liebes Kind. Ist alles in Ordnung bei dir?“

Jetzt muss ich gut überlegen, was ich ihr sage. Ordnung existiert in meinem Leben nicht mehr.

„Ja, Mama, alles bestens. Ich kann nur gerade nicht gut telefonieren“, versuche ich sie zu beruhigen.

Vermutlich, weil ich diese Ausrede seit zwei Monaten überstrapaziere, geht meine Mutter einfach darüber hinweg.

„Sissi, kann es sein, dass bei dir irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht?“

Absolut.

„Gerade ist es ganz schlecht“, wiederhole ich dennoch. Dieser Moment ist tatsächlich extrem unpassend.

Erneut ertönt ein Klong von nebenan.

Meine Mutter ignoriert meine wiederholten Einwürfe vollkommen und spricht einfach weiter.

„Dann sag mir doch wenigstens, wo du gerade bist.“

Fieberhaft suche ich nach der richtigen Formulierung, mit der ich es schaffen kann, die wesentlichsten Punkte zu verschweigen. Es ist zu Mutters eigenem Schutz. Sie ist ein ängstlicher Mensch und sie weiß, dass auch ich große Probleme damit habe, Risiken einzugehen. Eigentlich bin ich sehr rational gestrickt und habe es gern, wenn alles in geregelten Bahnen verläuft. Doch zurzeit wohne ich auf einem abgeschiedenen sogenannten „Achtsamkeitshof“, teile mir das Haus mit Esoterikern und den Hof mit einer Pferdeherde und einem Huhn, das angeblich die Fähigkeit besitzt, das Wetter vorherzusagen, ich habe aber eher das Gefühl, dass es die Vogelgrippe noch nicht ganz überstanden hat.

Es würde Mutter einen Herzkasper bescheren, wenn sie wüsste, wie und wo ich neuerdings lebe. Sie hat Angst vor allem, ganz egal, ob es sich dabei um mikroskopisch kleine Viren, mittelgroßes Federvieh oder riesige Pferde handelt. Letztere laufen hier übrigens frei herum. Anfangs hat es mich eine Wahnsinnsüberwindung gekostet, sie jeden Morgen aufs Neue dazu zu bringen, den Weg zu meinem Auto freizugeben, damit ich irgendwie zur Arbeit gelangen konnte.

Meine Arbeit. Der Grund, warum ich überhaupt hier bin.

„Sissi?“

Mutters Ängste übersteigen meine bei Weitem. Nicht einmal für die paar Meter zum Bäcker verlässt sie ihre sicheren vier Wände und bezahlt stattdessen lieber einen weit entfernten Lebensmittel-Lieferdienst.

„Sissi, dein Verhalten macht mir Angst.“

Wie gut, dass sie mich nur hört. Bis auf das Telefon trage ich nämlich … nichts.

„Mama, es ist alles in Ordnung, ich rufe dich nachher …“

„Du bist nicht allein, oder?“

Ich hätte es wissen müssen, ihr kann ich nichts vormachen, sie durchschaut mich immer. Und ja, natürlich bin ich nicht allein. Um mich herum wimmelt es von spirituellen Wesen und einer nackten … ach, lassen wir das. Ich seufze ins Telefon. Mir ist kalt. Klirrend kalt. Da mich gerade weder Worte noch Wolle wärmen, überzieht mich eine Gänsehaut. Prompt erklingt wieder der Glockenton aus dem Nachbarzimmer, gefolgt von einer tiefen Stimme, die zu mir herüberruft: „Alles ist bereit für dich. Leg dich hin und genieße deine Therapie.“

„Therapie??? Mein Gott, Sissi!“, schreit Mutter.

„Ich erkläre dir alles nachher“, sage ich und lege schnell auf.

Ich habe keine Ahnung, wie ich meiner Mutter meine Situation erklären soll. Seit meinem dritten Lebensjahr ist das Wichtigste in ihrem Leben unsere Sicherheit.

Seit ich hier bin, ist nichts mehr sicher.

In meinen verrücktesten Fantasien hätte ich mir nicht vorstellen können, einmal auf einem Hof wie diesem zu landen. Viel zu weit entfernt ist dieser Ort von meinem abgesicherten Frankfurter Leben – materiell wie spirituell.

Apropos spirituell: In diesem Moment tritt Klangschalenmeister Sam durch die Wohnzimmertür und kommt auf mich zu. Er sieht aus wie ein griechischer Gott. Ein weißes Gewand verdeckt nur die nötigsten Stellen seiner goldbraunen Haut. Um seinen Hals hängt eine Lederkette mit klimpernden Glöckchen, die mich unentwegt an meine Mutter erinnert. Sams Augen sind so durchdringend wie die eines Falken, bestärkend und beängstigend zugleich. In der einen Hand hält er eine Klangschale, in der anderen einen Klöppel, mit dem er den sanften Gong-Ton erzeugt. Und ich stehe wenige Meter von ihm entfernt – vollkommen nackt. Sam kommt näher und näher, bis er direkt vor mir steht und mir mit seiner rauchigen Stimme sanft ins Ohr raunt: „Vergiss nun die materielle Welt, wir reisen in eine andere Dimension.“

Ich lege das Telefon zur Seite. Okay, ich bin bereit … von mir aus auch für eine andere Dimension. Seit ich hier bin, habe ich es ohnehin aufgegeben, mich auf irgendetwas vorzubereiten.

Das begann schon, als ich zum ersten Mal in das oberbayrische Tuckenthal kam und kurz darauf auf dem Achtsamkeitshof landete. Ich war völlig überrumpelt von diesem Ort, an dem Haustürschlösser und Alarmanlagen genauso irrelevant sind wie ein geregeltes monatliches Einkommen oder eine gesetzliche Krankenversicherung. Dinge, die für mich lebensnotwendig waren, naja, eigentlich noch sind.

„Deinen ‚Sicherheitszahn‘ ziehe ich dir ganz einfach heraus. Lass dich durch die sanften Klänge von mir führen, und lass endlich los …“, hatte Sam mir vor Kurzem erklärt. Mit Loslassen hatte er tatsächlich alles gemeint, auch meine Kleidung, die nun fein säuberlich gefaltet über einem Stuhl hängt. Natürlich ist mir das alles furchtbar unangenehm, und natürlich wird mir jeder Außenstehende den absoluten Sockenschuss unterstellen. Die Tatsache, dass ich mich in Sam verliebt habe, macht es auch nicht besser. Aber wenn ich bisher etwas auf diesem Hof gelernt habe, dann, dass man dem Leben eine Chance geben muss, ganz egal, welche Absurditäten es für einen auch parat halten mag. Seit ich so denke, fühle ich mich lebendiger denn je.

Hier ist alles anders. Der Achtsamkeitshof ist mein neues Zuhause. Ich bin Teil einer spirituellen Wohn- und Lebensgemeinschaft, und Sam, der keinen festen Wohnsitz hat, zu meinem Bedauern auch nicht hier, zieht mich an wie ein Magnet. Und das, obwohl dieser Mensch von den Spenden seiner spirituellen Mitmenschen lebt, bis auf seine Klangschalen keinerlei Besitztümer hat und auf seine Zukunft pfeift (er benutzte ein anderes Wort als „pfeift“, aber das möchte ich an dieser Stelle lieber nicht wiederholen).

Wie bitte soll ich das meiner Mutter erklären?

Was meiner Mutter allerdings den Rest geben wird, ist, dass Sam mich nun auch noch von meiner anerzogenen Sicherheits-Sucht befreien will. Und dass ich zur Krönung der Klangschalentherapie mit ihm vom Hausdach des Achtsamkeitshofs springen werde, macht die Sache auch nicht besser.

VERLIEBT, VERLOBT … VERLOREN

Aller Anfang ist schwer verdaulich …

Die Idee, meiner Heimat Frankfurt den Rücken zu kehren, ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Im Gegenteil. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich niemals etwas an meinem Leben geändert.

Ich wohnte im Stadtteil Hausen in einem Plattenbau im Niddatal, mit Blick auf – nein, nicht den Fluss – den Plattenbau gegenüber. Und zwar den, in dem meine Mutter lebte. Wir konnten uns jeden Abend und jeden Morgen zuwinken, und das taten wir auch. Einerseits, weil Mutter sich von mir ähnlich schwer lösen konnte wie von ihrem Schmuck. Andererseits, weil ich mich in ihrer Nähe stets geborgen und eben sicher fühlte.

Dann, vor vier Jahren, trat Olaf in mein Leben. Ganz plötzlich und unerwartet an einem regnerischen Nachmittag. Ich hörte ein Geräusch im Hausflur, sah durch meinen Tür-Spion, und da stand er vor der Wohnungstür gegenüber und klingelte ins Leere. Sehr korrekt sah er aus, im Anzug, mit Aktenkoffer in der Hand, und trotzdem öffnete ihm niemand die Tür. Er tat mir leid, wie er dort so verloren stand, und so ergab es sich, dass ich meine Tür öffnete und er wenig später strahlend und vielversprechend auf meinem Sofa saß. Olaf erzählte so überzeugend von den Vorzügen seiner Versicherung und der Notwendigkeit einer finanziellen Absicherung, als wäre er bei meiner Mutter in die Lehre gegangen. Ich hatte plötzlich das Gefühl, diesen Versicherungs-Vertrauensmann, so stand es auf seiner Visitenkarte, schon ewig zu kennen.

Aus diesem Gefühl von Verbundenheit und Vertrauen wurde schließlich Liebe – meine große Liebe.

Bereits drei Jahre später waren wir verlobt. Alles schien perfekt. Ich war neunundzwanzig Jahre alt und hatte in Olaf die ideale Besetzung des Mannes gefunden, von dem mich nur noch der Tod scheiden würde.

Zumindest dachte ich das. Wenn wir über unser Kennenlernen sprachen, versicherte mir Olaf immer, dass er das Gleiche gefühlt hätte. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Nun ja, was ist schon sicher? Nicht einmal Alcatraz, soweit ich weiß. So sah es dann auch mit unserem Versprechen auf baldige Vermählung aus.

Ich erinnere mich noch genau an den Morgen, als mein neues Leben begann und meine Beziehung scheiterte. Ich erwachte „atemlos“ aus einer Art Albtraum. Als ich langsam zu mir kam, musste ich feststellen, dass ich einen fiesen Schnupfen hatte. Kaum hatte ich mich aufgesetzt, gesellten sich Hals- und Kopfschmerzen, Schwindel und Fieber hinzu. Klarer Fall von Influenza.

Bei meinen Absicherungen allerdings fast ein Ding der Unmöglichkeit. Seit jeher putschte ich meine Abwehrkräfte mit allem, was die Apotheke hergab. Dazu hielt ich stets Abstand zu jedem potenziellen Erreger. Gut, ich arbeitete zwar in einem Krankenhaus, was natürlich ein gewisses Risiko barg, allerdings war ich im abgegrenzten Verwaltungstrakt untergebracht und konnte mir problemlos die Hände desinfizieren, wenn es notwendig war.

Sorgfältig überdachte ich die vergangenen drei Tage. Mutter war kerngesund, meinen Verlobten hatte ich seit geraumer Zeit nicht gesehen, und bei der Arbeit war auch niemand krank gewesen. Sehr merkwürdig.

Aber mit solchen Überlegungen konnte ich jetzt keine Zeit verlieren. Ich musste mich sputen, um nicht zu spät ins Büro zu kommen. Fehlzeiten, selbst durch Krankheit, konnte und wollte ich mir nicht erlauben. Ich hielt zu meinem Beruf, in guten wie in schlechten Tagen. Keine Grippe konnte daran etwas ändern.

Diese Rechnung hatte ich allerdings ohne Sven gemacht, der wie jeden Morgen mit seiner Frühstückszigarette vor der Eingangstür hin und her patrouillierte, als ich das Krankenhaus erreichte. Sven war ein Sachbearbeiter unserer Krankenhausverwaltung. Ich hatte keine Ahnung, welche Sachen er genau bearbeitete, aber sein ehrenamtliches Engagement war mir durchaus bekannt. Sven war Geldeintreiber für Geburtstagsgeschenke, Organisator der Weihnachtsfeier und seit heute wohl auch Seuchenbeauftragter.

„Himmel, Lisa, was machst du denn hier?“, fragte er mich, als ich mich am Eingang noch einmal heftig schnäuzte.

„Was wohl?“, raunte ich verschnupft zurück. „Wenn ich mich auf meinen Job verlassen kann, dann gilt das umgekehrt genauso.“

Anstatt sich über mein Engagement zu freuen, wich ihm die Farbe aus dem Gesicht. „Tut mir leid, aber … äh … nun ja …“, er musste sich wohl erst einmal einen Grund überlegen und zog noch einmal an seiner Zigarette. Ich nutzte die Pause zum abermaligen Schnäuzen. „… aber so krank hast du hier nichts verloren!“

Er verschränkte seine Arme und erweckte den Eindruck, als müsse er heute unbedingt den Bösen spielen. Auf meinen fragenden Blick hin sah er bloß auf mich herab wie auf ein lebloses Nagetier, das die Katze von draußen angeschleppt hatte. Vielleicht sah ich dem Tod heute tatsächlich ähnlicher, als mir lieb war, trotzdem konnte ich doch im Moment nicht fehlen.

„Ich kann doch im Moment nicht fehlen“, wiederholte ich meine Gedanken, während in meinem Kopf das Bild einer langjährigen Kollegin aufpoppte, der man kürzlich aus finanzieller Veranlassung gekündigt hatte. Hinter vorgehaltener Hand hieß der Grund jedoch „zu viele Fehltage“. Dabei war die arme Frau wirklich krank gewesen. Drei kurze Tage. Ein Schauder lief mir über den Rücken.

„Wenn du krank bist, dann … ja, dann bist du krank. Ich … ähm … kläre das mit Herrn Brock. Geh … äh … mal lieber heim und schlafe dich gesund“, sagte Sven und scheuchte mich, mit einem Arm fuchtelnd, davon.

So schnell sollte aus meiner Beschäftigungsbereitschaft eine Beschäftigungssperre werden? Prompt bekam ich Panik. Was, wenn ich nun wegen eines Atemwegsinfekts auf der Abschussliste landete, man mir wegen Krankheit kündigte? So schnell durfte ich nicht aufgeben. Also drehte ich mich noch einmal schwungvoll herum.

„Tut mir leid, Sven“, sagte ich so energisch, wie mir das trotz Erkältung möglich war. „Aber ich muss doch an die Arbeit.“

„Nein, nein, das … äh … musst du nicht“, sagte Sven. „In deinem Zustand schadest du anderen nur. Bitte geh jetzt!“

„Nein!“

„Doch, Lisa, geh lieber! Bitte, o… oder muss ich erst den Sicherheitsdienst rufen?“

Den Sicherheitsdienst? War das ein Scherz? Außerdem: Ich war der Sicherheitsdienst, wenn auch auf andere Art und Weise.

Svens Blick, so beschämt er auch sein mochte, zeigte mir dennoch, dass er darüber nicht weiter diskutieren und seine Drohung wahr machen würde. Außerdem war ich ja wirklich krank und von daher tatsächlich eine Gefahr für meine Kollegen. Ich seufzte laut auf, kapitulierte und machte kehrt.

Kaum um die nächste Ecke, griff ich nach meinem Handy und rief meine Kollegin Karin an. Mobil, denn vor neun war sie nie an ihrem Arbeitsplatz. Vielleicht könnte sie ein gutes Wort bezüglich meines unverschuldeten Fehlens für mich einlegen. Es klingelte eine gefühlte Ewigkeit, dann erklang endlich … Kaufhausmusik?

„Karin, wo bist du denn?“, fragte ich verwirrt.

„Ich bin krank und soll mich schonen“, entgegnete Karin, auch wenn ihre gut gelaunte Stimme nebst Kaufhausgedudel Derartiges nicht vermuten ließ.

„Ich auch“, murmelte ich. „Die Grippe.“

„Ich habe Herpes“, konterte Karin, als wäre das ein Krankheits-Contest. „Ist bei mir voll ins Auge gegangen. Jetzt soll ich mich mal zwei Tage lang ausruhen.“

„Im Kaufhaus?“, dachte ich laut.

„Ja, und? Ich bin doch nicht an den Füßen krank!“, stellte Karin klar.

Da kam ich mir auf einmal selbst vor wie der Klassenstreber, der sich immer brav an alle Regeln hält. Aber so war ich nun einmal. Gleichzeitig krankfeiern und konsumieren war für mich ein zu großes berufliches Risiko. Andererseits war ich zu Letzterem momentan auch nicht in der Lage. Obwohl auch meine Füße völlig unbeschadet waren, wussten Kopfschmerzen und Schwindel jegliche Lust auf Shopping-Aktionen zu verhindern.

Aber was nun? Arbeiten durfte ich nicht und zurück nach Hause … wollte ich nicht. An diesem nebligen Frühlingstag würde Licht in meiner Wohnung meine Mutter magisch anziehen. Innerhalb weniger Minuten würde sie vor der Tür stehen, um mich zu bemuttern, so wie sie es schon mein Leben lang getan hatte. Allerdings war sie beim Thema Krankheit noch extremer.

Bewaffnet mit Biobomben und Mundschutz würde sie der Krankheit den Krieg erklären und parallel Gott und die Welt verfluchen, die es wagten, mir einige Tage meines kostbaren Lebens zu nehmen. Statt Aspirin würde eine kalte Dusche als Kopfschmerzmittel herhalten müssen. Und danach würde mir Mutter Eukalyptusöl einflößen und Quark, Zwiebeln und Meerrettich auf meinen Nacken schmieren, oder umgekehrt. Hauptsache, keine Nebenwirkungen von chemischen Arzneimitteln. Vor denen graute es ihr nämlich noch mehr als vor der Grippe an sich.

Am anderen Ende der Leitung hörte ich jetzt nur noch das Kaufhausgedudel, also legte ich kommentarlos auf.

Was ich in diesem Moment wirklich brauchte, waren echte Schmerzmittel. Und Ruhe. Der einzige Mensch, der mir beides bieten konnte, war mein Verlobter.

Ich rief auf seinem Handy an, schließlich arbeitete Olaf im Außendienst und war meist schon frühmorgens unterwegs. Er ging nicht ran. Sicherlich hatte er bereits einen Termin im Dienste der Versicherungen. Ich beschloss, dennoch zu ihm nach Hause zu gehen, mir ein Aspirin samt Nebenwirkungen zu genehmigen und die Stille zu genießen.

Es mag komisch klingen, dass wir nach vier Jahren Beziehung – und trotz Verlobung – noch nicht zusammengezogen waren. Aber Olaf hatte am Tage unserer Verlobung verkündet: „Bis zur Hochzeit genießen wir den Luxus zweier Wohnungen.“

Diesen Luxus würde ich nun endlich mal in Anspruch nehmen.

Ich stieg in die S-Bahn und fuhr nach Sachsenhausen. Die Haltestelle war nur ein paar Meter von Olafs Wohnung entfernt. Schon von Weitem konnte ich sehen, dass Licht brannte. Allerdings kein elektrisches, sondern … Kerzenlicht? In der Adventszeit hätte ich das vielleicht noch verstanden, aber es war mittlerweile April. Da ich davon ausging, dass ernsthafte Einbrecher keine Kerzen entzündeten, musste Olaf wohl daheim sein. Doch warum ging er dann nicht an sein Telefon? Ein ungutes Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus und ließ mir Tränen in die Augen steigen, während ich mich dem flackernden Lichtschein näherte.

Dank des Tränenschleiers vor meinen Augen und Olafs blickdichten Vorhängen konnte ich nichts erkennen, zumindest nichts Genaues. Ein paar langsame Bewegungen zeichneten sich schemenhaft ab und sie passten durchaus ganz gut zu meinen Befürchtungen.

Ich versuchte mir einzureden, dass ich mir keine Sorgen machen musste. Aber sosehr ich auch versuchte, die Gedanken in meinem Kopf zu boykottieren, ich konnte an nichts anderes denken, als dass mein Verlobter mich vermutlich gerade betrog.

Beherzt drückte ich auf den Klingelknopf. Durch das Oberlicht in der Tür konnte ich sehen, dass die Bewegungen stoppten, doch Olaf öffnete nicht. Also kramte ich den Haustürschlüssel aus meiner Handtasche und schloss zitternd auf.

Noch während ich die Klinke herunterdrückte, rief ich ein lautes „Olaaaaaf?“ in den Flur. Nur zur Absicherung. Es rumpelte im Wohnzimmer. Wie angewurzelt blieb ich stehen und gab noch ein ohrenbetäubendes „Olaaaaf“ von mir. Ich klang wohl wie ein schlecht informierter Tourist auf dem Kölner Karneval.

Nur wenige Augenblicke später verstärkte sich dieser Eindruck noch. Einen kurzen Moment hätte ich beinahe laut losgelacht, doch dann siegte das Entsetzen.

Vor mir stand mein Verlobter. Anders, als für Olaf um diese Uhrzeit üblich, steckte er aber nicht in seinem anthrazitfarbenen Anzug. Obwohl. Bei genauerer Betrachtung konnte man das, was er jetzt trug, vielleicht auch als anthrazitfarbenen Anzug bezeichnen. Allerdings war es ein äußerst kurz geschnittenes und körperbetontes Modell.

Wie eine zweite Haut klebte der Einteiler an Olafs Körper. Neben den dünnen Spaghettiträgern blitzten seine Brustwarzen hervor, und im Schritt war das Teil so eng geschnitten, dass es mehr hervorhob, als es versteckte. Mein Zukünftiger sah aus, als stecke er in einer Mischung aus Tour-de-France-Trikot und Dessous.

„Ich mache Morgenübungen“, meinte Olaf, während ich noch überlegte, ob er neuerdings als Gogo-Tänzer für den Christopher-Street-Day probte.

„Du machst was?“, fragte ich verwirrt. Normalerweise verkaufte mein Verlobter um diese Zeit Versicherungen.

„Ich praktiziere seit einer Woche Yoga“, antwortete er so, als hätte er bloß die Butter durch Margarine ersetzt.

Während ich ihn daraufhin noch irritierter anstarrte, blieb er ganz gelassen. Und freundlich.

Äußerst befremdlich, denn ich kannte Olaf als gestressten und hektisch umherhuschenden Morgenmuffel. Jetzt war er die Entspannung in Person. Lange Zeit zum Wundern blieb mir nicht, denn zu meinem weiteren Verblüffen gesellte sich just in diesem Moment eine Frau in unsere illustre Runde, die absolut nicht dem Ideal einer gängigen Geliebten entsprach.

Sie war klitzeklein, ungefähr siebzig Jahre alt und steckte in einem … Kuh-Kostüm?

Also doch Karneval?

Nein, denn auf den zweiten Blick entpuppte sich das Kuh-Kostüm als schwarz-weiß gebatikter Pyjama, der weder eng noch erotisch geschnitten war. Es handelte sich wohl um ein orientalisches Modell. Sicher urgemütlich. Ganz wie seine betagte Trägerin. Ich blickte auf ihre langen grauen Haare, die ihr in leichten Wellen bis über den kaum vorhandenen Hintern fielen.

Zweifelsohne ein entspanntes Bild. Aber es passte in keinster Weise zu meinen Gedanken und Befürchtungen, die jetzt Karussell fuhren und die Kopfschmerzen dadurch noch verstärkten.

Was hatte Olaf gesagt? Yoga? War er neuerdings als Meditationslehrer, Masseur oder gar Nebenverdienst-Callboy beschäftigt, um irgendeinen Engpass zu überbrücken? War sie seine steinreiche Kundin? Hatte er sich deshalb schon seit einer Woche bei mir rargemacht? Und wenn ja, warum hatte er mir seine Geldsorgen nicht einfach anvertraut? Gemeinsam hätten wir sicherlich eine … nun ja … sachlichere Lösung gefunden.

Während ich überlegte, was ich zu dieser Situation sagen sollte, schaute die alte Frau fragend zu Olaf und spielte mit ihren Henna-bemalten Händen an ihren endlos langen Strähnen. Mich ignorierte sie völlig. Unfassbar!

Ich dachte: „Olaf, wenn du finanzielle Probleme hast, dann sag mir das doch“, gefolgt von: „Verehrte Dame, dass Sie in Ihrem Alter die Dienste eines jungen Mannes in Notlage in Anspruch nehmen, gehört sich nun wirklich nicht.“

Kaum wollte ich das aussprechen, ergriff die Alte das Wort – selbstverständlich an Olaf gewandt: „Ist es okay, wenn ich dir jetzt nur den ‚Morgengruß aus der Mitte‘ in Rechnung stelle?“

Grundgütiger! Er bekam also kein Geld, nein, er zahlte auch noch dafür. Was auch immer ‚dafür‘ sein sollte.

Olaf nickte nervös und ich beschloss, nun das Wort zu ergreifen.

„Ich möchte jetzt auf der Stelle wissen …“, sagte ich, als mich die Frau unterbrach.

„Dein Lingam mach ich dir dann morgen, ja?“

„Sie machen ihm dann morgen was?“, fragte ich schockiert.

„Lingam“, sagte sie und lächelte mich herzallerliebst an. „Seine Penismassage.“

Bevor ich schreien konnte, rief mein Verlobter: „Aaaaaaach, Uschi, das ist doch selbstverständlich!“

Er schubste mich ins Wohnzimmer, schnappte sich einhundert Euro und schoss zurück in den Flur. Dort hörte ich ihn sagen: „Hier, mach dir mit deinem Mann einen besinnlichen Morgen. Und grüß ihn von mir, ich freue mich schon auf seinen Kurs am nächsten Dienstag.“

Jetzt verstand ich nur noch Bahnhof, während die alte Lustgreisin Olafs Wohnung mit einem freundlichen „Alles Liebe!“ verließ.

Alles Liebe?

Kaum stand Olaf wieder vor mir, schrie ich ihn an: „Warum massiert dir eine hundertjährige Uschi frühmorgens den … den …“

Meine Güte, ich war viel zu verklemmt, um das Wort in den Mund zu nehmen, zeigte dafür umso vorwurfsvoller mit dem Finger auf Olafs gut sichtbares Gemächt.

„Lingam“, sagte Olaf, „ist nicht das, was du denkst.“

Mich hätte ja zu gern interessiert, was man bei einer männlichen Geschlechtsteilmassage schon falsch verstehen konnte.

War das jetzt der Moment zum Wegrennen? Oder zum erneuten Schreien? Das war mir schon zuvor wegen meiner Heiserkeit nicht wirklich gelungen.

„Ach, Lisa“, seufzte Olaf und sah mir mitleidig in die Augen. „Eigentlich ganz gut, dass du da bist. Wir müssen sowieso reden. Setz dich bitte.“

Irgendwie war mir schon klar gewesen, dass sein bedauernder Blick nicht meinen Beschwerden galt.

„Ich stehe lieber“, konterte ich angespannt. Zwar war ich völlig schlapp, gleichzeitig aber auch voll auf hundertachtzig. Ich atmete heftig ein und aus, durch den Mund wohlgemerkt, denn meine Nase hatte bereits so dichtgemacht, wie ich es mir innerlich für meine Ohren wünschte (was würde wohl auf eine Penismassage folgen?).

Da fiel mir auf, dass Olaf all seine Kakteen entsorgt hatte. Komisch, er war doch immer so stolz auf seine stacheligen Gewächse gewesen. Nun ja, er war auch immer stolz auf unsere Schäferstündchen gewesen, die – O-Ton – alles waren, was ein Mann wie er brauchte. Die Kakteen waren nicht nur weg, nein, die Plätze waren bereits neu besetzt. Mit unzähligen brennenden Kerzen, deren Licht ich schon von draußen gesehen hatte. Es schnürte mir die Kehle zu, dass er seine Lieblinge einfach so ausgewechselt hatte. Während ich mich innerlich bereits auf die unvermeidlichen schlechten Neuigkeiten vorbereitete, zündete mein Verlobter in aller Seelenruhe ein Räucherstäbchen an. Auf der Verpackung stand in Großbuchstaben: „INNERE HARMONIE“ – es roch wie verbrannter Reis.

Kaum, dass alles entzündet war, machte es sich Olaf in der Mitte des Wohnzimmers gemütlich. Im Schneidersitz, und nicht etwa auf dem Sofa, sondern auf dem Boden. Dem mit Handtüchern bedeckten Boden. Andächtig betrachtete er die Wand. Dort hatte das Porträt eines schlafenden Buddhas seinen Ski fahrenden Papa abgelöst.

„Also“, begann mein Verlobter seinen Monolog, „ich habe in den letzten Tagen einiges erkannt.“

Das hatte ich in den letzten Minuten auch – und ich hoffte sehr, dass es nicht noch mehr werden würde. Obwohl es mich an der Stelle auch nicht weiter gewundert hätte, wenn noch ein kostümiertes Kamel aus der Küche gekommen wäre.

„Lisa“, er versuchte mir in die Augen zu sehen, auch wenn es ihm offensichtlich nicht leichtfiel, „so, wie es war, konnte es nicht weitergehen. Deshalb habe ich etwas Neues ausprobiert. Ich habe Tantra für mich entdeckt und endlich …“

TANTRA? War das nicht so etwas wie Kamasutra? Sexuelle Praktiken, die ich weder denken noch aussprechen, geschweige denn anwenden würde? Und das mit einer urzeitlichen Uschi? Mein Blick sprach wohl Bände, weshalb Olaf einwarf: „Tantra hat mit gängigem Sex nur wenig zu tun.“

Das hatte ich mir bereits gedacht.

„Es geht dabei mehr um die Liebe zu sich selbst. Sich selbst zu spüren.“

Sich selbst zu spüren?

Entweder sprach Olaf gerade von Selbstbefriedigung oder ich stand auf dem Schlauch. Schnell kramte ich ein Taschentuch hervor und schnäuzte mich. Olaf sprach derweil ungehemmt weiter: „Durch Tantra bin ich in mein eigentliches Sein gelangt. Und da habe ich erkannt, dass …“, jetzt richtete er sich auf und kam langsam auf mich zu.

Ich trat demonstrativ einen Schritt zurück. Warum konnte sich mein Verlobter nicht in meine Lage versetzen? Er hatte mich immerhin betrogen. Irgendwie. Ging er nun allen Ernstes davon aus, ein harmonisches Räucherstäbchen könne es wieder richten?

„Also ich habe erkannt, dass wir beide absolut nicht miteinander harmonieren. Das hätte ich schon früher merken müssen, aber erst jetzt sehe ich es klar – dank der entflammten Liebe zu mir selbst. Lisa, es tut mir so leid, aber das mit uns macht keinen Sinn. Verzeih mir. Ich musste erst nach innen gehen, um das zu erkennen.“

Wenn schon vorher nicht, konnte ich ihm jetzt überhaupt nicht mehr folgen. Lediglich eines blieb hängen, ach was, brannte sich in meinen schmerzenden Kopf: Mein Verlobter wollte sich von mir trennen.

Es zerriss mich innerlich. Unser einjähriges Versprechen auf baldige Vermählung war dahin. Unsere Vier-Jahres-Beziehung vorbei.

„Du hast eine Andere, nicht wahr?“, fragte ich vorwurfsvoll. Und verzweifelt. Eine Andere war schließlich immer der Trennungsgrund. Dazu hatte ich das Vergnügen, seine Massage-Mutti persönlich kennenzulernen.

„Im Gegenteil! Ich habe mich selbst kennengelernt … mich selbst gefunden“, entgegnete Olaf strahlend und streichelte sich dabei so liebevoll über seine Arme, als hätte er sich fürwahr frisch verliebt.

„Keine Andere?“, fragte ich, noch einmal mit Blick in den Flur, aus dem gerade erst eine Greisin marschiert war, die frühmorgens von Olaf freudestrahlend für einen sogenannten Morgengruß bezahlt wurde. Geschmäcker sind nun mal verschieden, was mir schon Olafs zweite Haut zeigte. Und vielleicht war „Morgengruß“ ein Deckname für „Orgasmus“.

„Nein, nur mich“, antwortete Olaf und warf einen schmachtenden Blick in den länglichen Spiegel neben dem liegenden Buddha.

Wie bitte?

Er strich sich seine Haare hinters Ohr und lächelte sein Spiegelbild hingebungsvoll an.

„Im Moment gibt es für mich nur einen Menschen, und das bin ich selbst. Selbstliebe nennt man das.“

Um das zu unterstreichen, umarmte er sich selbst, was in seinem Auf… äh Anzug zusätzlich lächerlich aussah.

Soso, Olaf hatte sich in sich selbst verliebt, betrog mich quasi mit sich selbst. Das klang zu bekloppt, um wahr zu sein. Und als er sich zur Krönung auch noch einen zärtlichen Kuss auf den Oberarm hauchte und mir zuflüsterte: „Freu dich, nun frei für Neues zu sein“, beschloss ich, mich in meiner neuen Freiheit erst einmal auf den Boden plumpsen zu lassen, allein schon, um das zu verdauen.

Prompt landete ich mit dem Po auf einer Tube Massageöl, deren öliger, warmer Inhalt sich sofort seinen Weg durch meine Stoffhose und meinen Slip auf meine Haut bahnte und …

Arrrgggghhhh! Das war zu viel. Ich rannte aus Olafs Wohnung, direkt in die nächste S-Bahn. Zum Glück ging mir mein Mantel bis über die Knie und verbarg das feuchte Dilemma zwischen meinen Schenkeln, das einen penetranten Duft nach Zitronengras verströmte.

Mit einer Hand umklammerte ich zitternd die Haltestange, mit der anderen ein Taschentuch, mit dem ich versuchte, unauffällig meine Tränen zu trocknen, bevor noch jemand mein Geheule bemerkte.

„Na na, mein hübsches Mädchen“, sprach ein älterer Herr auf dem Sitz gegenüber, klopfte mit seinem Gehstock auf den Boden und lächelte mich auffordernd an.

„Wer wird denn an einem so schönen Morgen weinen?“

IM HIER UND JETZT

Warte nie, bis du Zeit hast! (Deutsches Sprichwort)

Meine Tränen verraten mich immer, ich war noch nie gut darin, sie zu verbergen. „Wein ruhig alles heraus“, vernehme ich Sams Stimme.

Wie peinlich! Nun versuche ich erst recht, mir das Weinen zu verkneifen. Irgendwie macht das aber alles nur noch schlimmer. Meine Nase fängt jetzt auch noch an zu laufen.

Am liebsten würde ich es ihr gleichtun und davonlaufen. Die Erinnerung an Olaf und die damit verbundenen Gefühle haben mich völlig überrumpelt. Dennoch versuche ich, regungslos liegen zu bleiben und normal zu wirken.

Normal ist in diesem Fall ein sehr weit gefasster Begriff, schließlich liege ich seit ungefähr fünf Minuten splitterfasernackt auf einem rustikalen Eichenholz-Esstisch, der dem esoterischen Egon gehört.

Egon ist einer der ersten Esoteriker Oberbayerns. Aber was noch viel wichtiger ist: Er war es, der mich zu diesem Hof geführt hat. Ohne Egon wäre ich nicht hier. Als ich ihn das erste Mal traf, stand ich völlig verloren … in der „Frohnatur“, dem hiesigen Bioladen. Hier und heute liege ich ein wenig verfroren auf seinem Esstisch.

Zum Glück hat Sam die Tischdecke durch ein einigermaßen weiches und wärmendes Fell ersetzt. Gut, es ist vermutlich ein altes Teddybärenfell vom Trödelmarkt, aber besser als nichts. Auf meinem Bauch liegen ein paar metallene kalte Pötte, auch bekannt als Klangschalen oder „Tore in eine andere Dimension“, wie Sam sie nennt. Was an dieser Situation ist also schon normal?

„Emotionen sind Teil der Therapie und ganz normal. Manche Menschen stöhnen auch.“

Stöhnen? Klar. Das werde ich hundertprozentig nicht tun.

„Denk nicht darüber nach und stöhne einfach, so oft und so laut du willst.“

Ich hatte gehofft, die Tatsache, seiner Aufforderung nicht nachzukommen, genüge, um mein Desinteresse an dieser Gefühlsäußerung zu bekunden.

„Selbstverständlich darfst du auch schreien, wenn dir danach ist.“

Danach ist mir ständig, ich tue es aber trotzdem nicht. Verdammt, ich habe mich im Griff! So gut, dass ich jetzt völlig reglos liegen bleibe und darauf spekuliere, dass Sam mich bereits in einer anderen Dimension wähnt. Einer, in der verbales Kommunizieren, ganz egal ob gesprochen oder gestöhnt, nicht mehr vonnöten ist.

Schlecht spekuliert, denn schon setzt Sam mit leiser, tiefer Stimme zum erneuten Sprechen an: „Natürlich kannst du mich auch küssen.“

Überrascht öffne ich die Augen. Der schöne Klangschalenmeister hat sich ganz nah über mich gebeugt und sieht mich mit seinem alles durchdringenden Blick an. Gerade noch waren meine Gedanken beim Öl von Olaf, jetzt spricht Sam vom Küssen.

Ganz ehrlich, am liebsten würde ich nichts anderes tun, als diesen sündhaft schönen Magnet-Mann zu küssen. Hemmungslos, wild, alles um mich herum vergessend.

Aber halt! Das geht doch nicht. Wir befinden uns schließlich mitten in meiner Therapie. DER Therapie wohlgemerkt. Meiner Erlösung aus der Sicherheitssklaverei.

Als würde ihm das jetzt auch einfallen, lässt Sam ein zartes Gonggeräusch ertönen.

„Na, dann schließe bitte wieder deine Augen. Ich werde jetzt intensivere Klänge erzeugen und damit all deine Zellen in Schwingung versetzen.“

„Alle?“, rutscht es mir heraus.

„Alle, die es brauchen“, sagt Sam und lächelt mich an. Er ist so unglaublich attraktiv, dass ich verzückt zurücklächeln muss. Da beugt er sich erneut über mich. Sein Gesicht kommt meinem ganz nah, und das Knistern zwischen uns gleicht einem Feuerwerk. Wenn Sam mich jetzt küsst, werde ich mich nicht mehr dagegen wehren. Im Gegenteil. Ich schließe meine Augen, öffne meinen Mund und erwarte Sams sinnliche …

Rummmmmms …

Im Wohnzimmer scheint gerade ein Elefant umgefallen zu sein.

„´tschuldigung!“, ruft Solaria durch die geschlossene Zimmertür. „Ich habe den Zimmerbrunnen umgestoßen. Sam, hilf mir mal bitte!“

Solaria. Sie ist die dritte im Bunde und wohnt mit dem esoterischen Egon und mir auf dem Achtsamkeitshof. „Wohnen“ wird ihr allerdings nicht gerecht. Solaria regiert diesen Hof. Das darf sie, denn er gehört ihr auch. Gleich zu Beginn meines Einzugs erklärte sie mir sehr ernst, dass sie hier die Besitzerin und damit auch die Bestimmerin sei. Ich musste bei dieser Formulierung sofort an das Verhalten von Kleinkindern im Kindergarten denken, doch wie sich herausstellte, ist diese Betitelung absolut zutreffend.

Solaria bestimmt über die Bewohner und Besucher ihres Achtsamkeitshofs, wann, wie und wo sie will. Dabei sind ihrer Fantasie keine Grenzen gesetzt. Ob aus einem wetternden Huhn eine Wetterhenne, aus meinem Parkplatz einen Pferdefriedhof oder aus mir eine spirituelle Schülerin: Solaria macht einfach, was ihr gefällt, und alle anderen müssen mitmachen. Um ehrlich zu sein, habe ich schon damit gerechnet, dass ihr früher oder später noch etwas einfällt, um Sam aus meiner Therapiestunde zu holen und für sich zu beanspruchen.

„Klar, bin schon unterwegs!“, antwortet dieser auch sofort in fügsamem Tonfall und verlässt flugs und unter leisem Glöckchenklang den Raum. Mich lässt er mit den noch immer leicht bimmelnden Pötten auf meinem nackten Bauch zurück.

So, und da liege ich nun wie eine aufgebahrte Pharaonentochter, fühle mich allerdings wesentlich lebendiger. Das kann an Sams Klangschalen liegen … oder an ihm selbst. Er sieht eben nicht nur unverschämt gut aus, sondern ist zudem auch noch charmant und klug. Ja, und hilfsbereit, wie ich gerade wieder erleben darf. Außerdem riecht er gut. Er ist höchstwahrscheinlich der wohlriechendste Wohnungslose dieser Welt. Was mich aber am meisten anzieht, ist das Gefühl von Vertrautheit, das Sam in mir weckt. Eine ähnliche Vertrautheit hatte ich damals auch bei Olaf gefühlt, als er mir von all seinen Versicherungen erzählte.

Doch damals war ich noch ein anderer Mensch. An einem anderen Ort. Jetzt, wo ich so viel Lebendigkeit in mir spüre, mache ich sicherlich nicht noch einmal den gleichen Fehler und verliebe mich in den Falschen.

Andererseits kann man das nie wissen. Wenn man Pech hat, verfolgen einen solche Fehlentscheidungen ein Leben lang, wie meine Kollegin Karin immer wieder betonte, als sie noch meine Kollegin war. Aber zum Glück kann ich genauso wenig in die Zukunft sehen wie Solarias Wetterhenne. Ich könnte ja doch nichts daran ändern.

Bei meiner Vergangenheit sehe ich das anders. Die ist nicht immer optimal verlaufen, und vielleicht wäre es mit Olaf und mir anders ausgegangen, hätte ich damals schon etwas über Krafttiere oder sich überlappende Energiefelder gewusst. Jetzt blicke ich auf diese Vergangenheit wie auf eine unter Alkoholeinfluss entstandene Tätowierung. Und mein Mitbewohner Egon geht sogar noch weiter (in die Vergangenheit).

„Lisa, Liebes, du musst dringend deine Kindheit aufarbeiten“, hat er mich erst neulich wieder ermahnt. „Besonders, bevor du dich von diesem Schmutzer behandeln lässt.“

Schmutzer ist Egons Schimpfwort für Sam. Was genau er damit sagen will, weiß ich auch nicht, aber eins ist klar: Die beiden mögen sich nicht. Laut Solaria sind sie Kontrahenten. Vielleicht hat sie damit sogar recht.

Während Sam nur seine Klangschalen im Angebot hat (mehr passt auch nicht in seinen Rucksack, der schließlich alles beinhaltet, was Sam besitzt), bietet Egon einen ganzen Fundus an metaphysischen Kommunikations- und Therapiemöglichkeiten an. Meditatives Töpfern von heiligen Figuren, heilsame Reisen zu kraftvollen Orten, Krafttierabende oder rituelle Redekreise – um nur ein paar davon zu nennen. Auch wenn Sam von seiner Klangschalentherapie absolut überzeugt ist und auch gute Erfolge verbucht, ist Egon ihm doch weitaus überlegen.

Und auf privater Ebene? Same, same, but different! Eigentlich das Gleiche, nur andersherum. Egon vermittelt ein wenig den Eindruck eines grauhaarigen Harry Potter, dem jeglicher Zauber aufgrund seiner Unsicherheit abhandengekommen ist. Hinter Sams Schönheit und Selbstbewusstsein verblasst er völlig.

Für mich scheint allein schon ihre Unterschiedlichkeit sehr ausgleichend zu sein. Dennoch hat Egon vor einer Stunde schon wieder versucht, mir wegen Sam ins Gewissen zu reden: „Bitte Lisa, werde erst eine Frau …“

Eine Frau werden? Bald kann ich drei Jahrzehnte in einem weiblichen Körper vorweisen. Die sollten eigentlich ausreichen, um mich als Frau zu bezeichnen.

Zum Glück wurde Egons verbale Entgleisung von Sam unterbrochen: „Ach Egi, entspann dich, dein Esstisch wird schon keinen Schaden nehmen.“

Außerdem stört es mich, dass Egon andauernd auf meiner Kindheit herumreitet. Schließlich bin ich sehr, sehr behütet aufgewachsen. Auch wenn meine Mutter diese Aufgabe allein bewältigen musste, nachdem mein Vater seiner Krankheit erlegen war. Er war damals Mitte dreißig. Ich war drei. Darauf aber nahm der Krebs keine Rücksicht. Kurz vor seinem Tod nahm mein Vater all seine Kräfte zusammen, griff ein letztes Mal nach der Hand meiner Mutter und flüsterte ihr folgende Worte ins Ohr: „Du trägst nun die alleinige Verantwortung für unsere Prinzessin. Trage Elisabeth auf Händen, hörst du? Und trage auch den Schmuck meiner Ahnen, so stolz wie eine Königin.“

Zugegeben, niemand kann belegen, ob das wirklich Vaters Worte waren oder ob meine Mutter nicht am Ende noch ein paar Märchenschlösser dazu gebaut hat. Trotzdem kann man ohne Übertreibung sagen, dass die zwei letzten Wünsche meines Vaters erfüllt wurden. Tagtäglich. Und bis heute.

Sonst würde Mutter sich nicht noch immer im siebten Stock mit all ihrem Schmuck verschanzen. Sonst wäre ich nicht erst mit vierundzwanzig und schweren Herzens von daheim ausgezogen.

Als meine Mutter sich unmittelbar nach der Beerdigung meines Vaters in eine klimpernde Kinder-Klette verwandelte, die mich keine zwei Sekunden aus den Augen ließ, dachten unsere Mitmenschen noch, es handle sich lediglich um eine Phase, um Mutters Art der Trauerbewältigung. Doch es war keine Phase. Mutter hatte sich verwandelt. Aus Angst um den wertvollen Familienschmuck und das wehrlose Töchterchen schlüpfte sie unverzüglich und unabänderlich in die Rolle einer alleinerziehenden Alarmanlage, die ihre Wohnung nur noch im absoluten Ausnahmefall verließ. Unser beider Leben drehte sich fortan ausschließlich um das eine: unsere Sicherheit.

Und damit lag es auf der Hand: Die Sucht nach Sicherheit wurde mir anerzogen. Wenn es in der Folge etwas aus meiner Kindheit aufzuarbeiten gilt, dann das. Und nichts anderes ist es, was Sam jetzt, in diesen Minuten, durch seine Therapieform versucht (wenn Solaria ihn nicht davon abhalten würde). Im Gegensatz zu Egon bin ich Sam also sehr dankbar.

„Tausend Dank, mein Schatz!“, vernehme ich Solarias Stimme aus dem Wohnzimmer, gefolgt von einem schmatzenden Geräusch. Sie hat Sam offensichtlich einen Kuss für den wieder aufgestellten Zimmerbrunnen gegeben.

Küsse gelten bei ihr – neben guten Energien – als Zahlungsmittel. Das ist Gewöhnungssache. Was mich viel mehr stört, ist, dass Solaria dabei keinerlei Kleidung trägt. Gut, das tue ich zwar in diesem Moment auch nicht, allerdings nur ausnahmsweise, während es für Solaria Alltag ist. Sie ist Nudistin.

Als der esoterische Egon mich zum ersten Mal auf diesen Hof führte, kam uns Solaria, wie von der Natur geschaffen, auf einem Pferd, ohne Sattel und Zaumzeug entgegen. Bei diesem Anblick beschloss ich, sofort wieder umzudrehen und diesen Achtsamkeitshof samt seiner gewöhnungsbedürftigen Bewohner augenblicklich aus meinem Leben und meinem Gedächtnis zu streichen. Beinahe hätte ich diesen Entschluss umgesetzt, doch dann kreuzte Sam meinen Weg und ließ meine guten Vorsätze in sich zusammenfallen.

Hach, Sam …

„Ich bräuchte nachher noch deine Hilfe. Könntest du heute hier übernachten?“, fragt Solaria und Sam antwortet ganz selbstverständlich: „Selbstverständlich“.

Er ist zu gut.

„Du bist zu gut“, flötet Solaria, während sie Sam mit einem weiteren schmatzenden Kuss be … nein entlohnt.

Dass ich hier mal genauso nackt herumliege wie die Hausherrin, hätte ich niemals für möglich gehalten. Trotzdem tue ich es, obwohl ich es immer noch unmöglich finde.

„Es geht leider nicht anders“, hatte Sam erklärt.

Apropos. Nackt und ohne Sam, dafür mit kalten Klangschalen auf dem Bauch, friere ich mir doch allmählich den Allerwertesten ab. Der tote Teddy unter meinem Rücken hilft da auch nicht mehr viel.

Sam macht allerdings nicht den Eindruck, als hätte er es eilig, Solaria abzuwimmeln. Sie unterhalten sich noch immer angeregt im Wohnzimmer. Verdammt! Wenn ich mir jetzt wieder eine Grippe einfange, dann wird das nichts mehr mit dem gezogenen Sicherheitszahn. Das zumindest weiß ich ganz sicher. Schließlich war es auch eine Grippe, die mich vor mehr als einem Vierteljahr aus meinem abgesicherten hessischen Leben riss.

DAS KARMA DER KRONJUWELEN

Lieber unauffällig und unbeschadet als überhangen und überfallen …

An dem Morgen, als die Grippe meinen Körper quälte, mein Kollege mich in Quarantäne schickte und mein Geliebter mit sich selbst fremdging, schleppte ich meine müden Glieder letztendlich doch zu dem Menschen, auf dessen Qualitäten ich seit jeher zählen konnte. Gleichzeitig war das auch der Mensch, den ich im Laufe meiner vierjährigen Beziehung zunehmend vernachlässigt hatte: meine Mutter.

Bis zu meinem Auszug vor fünf Jahren waren wir ein eingespieltes Team gewesen. Ich übernahm den passiven Teil, Mama managte den Rest. Und obwohl ich auf ebenso passive Weise an meine eigenen vier Wände und meinen festen Freund gekommen war, sorgten diese doch dafür, dass ich mich stark von Mutter entfernte. Jetzt, da mein Zukünftiger der Vergangenheit angehörte, jetzt, wo ich kraftlos und krank war, kam ich wieder zu ihr gekrochen. Ich fühlte mich deshalb zusätzlich schlecht, klingelte aber trotzdem.

Einen Moment später ertönte ein klirrendes Geräusch wie das eines umkippenden Goldtopfs, die Wohnungstür öffnete sich und Mutter stand vor mir. Strahlend, wie eh und je. Obwohl sie so gut wie nie vor die Tür ging, war sie überaus gepflegt und stets gut gekleidet. Ihr weizenblondes Haar trug sie seit jeher hochgesteckt wie eine Gräfin und ihre fünfundfünfzig Jahre sah man ihrem hübschen Gesicht auch nicht an. Sicherlich hätte sie längst einen neuen Märchenprinzen gefunden, wenn sie nicht an den Stellen mit Vorurteilen aufwarten würde, an denen andere Menschen mit Vertrauen glänzten.

Apropos Glanz: Der pompöse Familienschmuck trug sicher den Mammut-Anteil an Mutters Single-Dasein. Denn davon abgesehen, dass sie Männer in erster Linie für potenzielle Schmuckdiebe hielt, wirkten ihre Goldbehänge befremdlich und abschreckend auf jedes männliche Wesen, das älter als ein Jahr war und nicht aus der Juweliersparte kam.

Auch für mich ergab ihre Ausstattung erst einen Sinn, als ich zum ersten Mal „Das A-Team“ im Fernsehen sah. In meiner kindlichen Logik waren die Ähnlichkeiten zwischen Mutter und Mr T enorm.

Genau wie ihm, graute es ihr vor dem Reisen. Während Mr T sich jedoch nicht davor drücken konnte und deshalb jedes Mal sediert werden musste, trat Mutter erst gar keine Reisen an.

Auch waren sie beide sehr fürsorglich. Mr T bezeichnete sich selbst als „Held der Kinder“ im Allgemeinen, während Mutter mich im Besonderen nicht aus ihren Adleraugen ließ.

Ja, und was mir am wesentlichsten erschien: Beide hatten ein Faible für ausladenden Schmuck. Während Mr T sich dabei auf das gesamte Dekolleté ausfüllende Ketten beschränkte, ergänzte Mutter das Arrangement noch zusätzlich durch beeindruckende Ohr- und Fingerringe sowie zahlreiche Armbänder.

Damals war ich mir sicher, dass das schon alles so seine Richtigkeit habe. Mehr als zwanzig Jahre später war ich mir ziemlich sicher, dass es sich, zumindest von Mutters Seite aus, um eine satte Neurose handelte. Der Zwang zum Behängnis war ihr zum Verhängnis geworden. Ihr einstiges Versprechen am Sterbebett meines Vaters hatte sie auf ewig versklavt. Pathetisch – aber wahr.

Insgeheim hoffte ich daher schon länger, dass mir dieser verfluchte Funkelkram niemals unter ebenso strikter Trage-Pflicht vererbt werden würde.

„Sissi! Ist dir auch niemand gefolgt?“, stellte Mutter mit einem nervösen Blick den Flur hinunter ihre Standardfrage, bevor sie mich in die Wohnung ließ.

Ich verneinte, trat ein und schloss die Tür hinter mir ab. Mutter zuliebe schob ich außerdem die beiden Ketten vor. Auch wenn man es hätte annehmen können, Letztere trugen keinen Anteil am Klirren.

„Sissi, Kind, wie siehst du denn aus? Bist du etwa krank?“

Ich krächzte ihr ein knappes „Ja-ha“ entgegen. Was mich dann allerdings nahezu umhaute, war, dass Mutter sich nicht so verhielt, wie ich es von ihr gewohnt war.

Anstatt auf Gott und alle Krankheitserreger dieser Welt zu schimpfen, blieb sie ganz ruhig, nahm mich liebevoll in den Arm und geleitete mich fürsorglich zur Couch – einfach so, vor allen Dingen aber ohne Mundschutz.

Im ersten Moment war ich einfach nur froh darüber. Ich wollte bemitleidet und bemuttert werden und mich vollkommen krank und verlassen fühlen. Aber andererseits … hatte Mutter gar keine Angst, sich anzustecken?

„Sissi, du bist mein Kind. Du kannst mir gar nicht schaden.“

Irritiert sah ich sie aus tränenden Augen an und erzählte ihr schließlich, was an diesem Morgen bereits geschehen war.

Letztendlich kam ich zu dem Schluss, dass sie es vermutlich einfach genoss, nach vier langen Jahren der Sissi-Abstinenz endlich wieder in ihrer Mutterrolle aufzugehen. Und so schlüpfte ich ganz brav in meine passive Tochterrolle und verbrachte zwei Tage in vollendeter Umsorgung auf Mamas Couch. Dann war ich so weit aufgepäppelt, dass es mich wieder zur Arbeit zog.

Zu meinem beruflichen Werdegang gibt es nicht viel zu sagen. Nach der mittleren Reife ergriff ich die für mich „sicherste“ Berufsausbildung – eine im öffentlichen Dienst. Ich ließ mich zur Verwaltungsfachangestellten ausbilden, denn das, so dachte ich, verhieß ein geregeltes Einkommen bis zu meinem Lebensende.

Zu meinen Aufgaben im abgetrennten Verwaltungstrakt eines öffentlichen Krankenhauses zählten das Schreiben von Arztbriefen, die Betreuung des Krankenblattarchivs und sonstige Schreib-Arbeiten, die absolut keine Eigeninitiative oder Kreativität verlangten.

Anscheinend tat ich das so vorbildlich temperamentlos, dass man mich nach meiner Ausbildung anstandslos übernahm und sechs Jahre später sogar freiwillig beförderte.

An dem Tag, als ich mich mit Olaf verlobte, blickte ich auf exakt dreizehn loyale Dienstjahre zurück, die trotz Aufstieg in der Vergütungsgruppe an Monotonie kaum zu übertreffen waren.

Ein halbes Jahr danach wurde unser Krankenhaus aus staatlichen Einsparungsgründen privatisiert, und während man das anfangs noch wohlwollend als „große Chance“ betitelte, sorgte der Wechsel von der staatlichen Einrichtung zur GmbH doch in allererster Linie für eines: Chaos.

So auch an diesem heutigen Freitagmorgen, zwei Tage nachdem mir der Eintritt ins Krankenhaus wegen Krankheit verwehrt worden war. Es war kurz nach neun, ich hatte mir gerade eine Tasse Kaffee gegönnt, als meine äußerst direkte Kollegin Karin die Idee bekam, unserem Vorgesetzten die Gretchenfrage zu stellen: „Äh, Chef, müssen Lisa und ich uns eigentlich noch Gedanken darüber machen, wie wir in Zukunft unsere Brötchen verdienen?“

Vor Schreck hätte ich fast meinen Kaffee gegen den Monitor gespuckt. Auch unserem Chef, Herrn Brock, entglitten sämtliche Gesichtszüge. Nach einer kurzen Pause antwortete er: „So, Frau Hof, wir beide fahren jetzt mal zur Bäckerei und versorgen unsere Belegschaft mit frischen Brötchen.“ Die Verwirrung war komplett, aber mich erwartete noch mehr.

In der Warteschlange beim Bäcker verblüffte mich mein Chef ein weiteres Mal: „Wenn Sie erst in drei Stunden wieder ins Büro kommen, reicht das vollkommen“, teilte er mir mit. „Überraschen Sie doch Ihre Mutter mit einem zweiten Frühstück.“

Zwar hatte ich mich inzwischen an die etwas chaotischen Zustände im Betrieb gewöhnt, aber dass mir Arbeitszeit geschenkt wurde, war mir in meinen gesamten vierzehn Jahren Berufsleben noch nie passiert.

Völlig überrumpelt murmelte ich ein schüchternes „Danke“. Herr Brock klopfte mir daraufhin ebenso unerwartet auf die Schulter, was mich schier zusammenzucken ließ.

An diesem Morgen, in der Schlange beim Bäcker, erkannte ich es: Überraschungen waren nichts für mich, ich bevorzugte Kontinuität – vorhersehbare, steife, langweilige Kontinuität.

Kurz darauf saß ich also nicht wie geplant an meinem Arbeitsplatz, sondern erneut in Mutters Wohnzimmer, während diese mehr erschrocken als erfreut auf den Aufdruck der Brötchentüte starrte und mir damit bestätigte, dass auch Sie kein Fan von Überraschungen war.

„Sissi, bist du etwa allen Ernstes heute Morgen in Griesheim gewesen?“, fragte sie in einem Tonfall, als hätte ich ihr ein Okapi aus dem Kongo mitgebracht.

Ich nickte, denn die Griesheimer Backstube war für ihre besonders leckeren Brötchen bekannt. Dafür hätte ich sogar eine extra S-Bahn-Fahrt auf mich genommen. Etwas, das Mutter niemals tat. Erst recht nicht nach Griesheim. Vor diesem Stadtteil gruselte sie sich wie vor einer spukenden Geisterstadt. Die Straßenbahn setzte sie hingegen keiner Geisterbahn gleich, sondern – noch schlimmer – einem mit Keimen und Kriminellen gefüllten Kessel.

Bis ich Olaf kennenlernte, hatte ich keine andere Wahl, als aus Mutters ängstlichen Werten meine Wahrheit zu machen. Dann begleitete ich meinen damaligen Verlobten das erste Mal nach Hause und lernte die Vorzüge des öffentlichen Viren- und Verbrecher-Verkehrs selbst kennen.

„Zum Glück hab ich immer genügend davon im Hause“, holte mich Mutter aus meinen Gedanken und hielt mir ihr Desinfektionsmittel unter die Nase. „Hier, desinfizier dir schnell die Hände.“

Prompt traf ein kalter Sprühstoß meine Finger. Während ich das Antiseptikum auf meiner Haut verteilte, schüttete Mutter die Brötchen mit spitzen Fingern in einen Brotkorb und entsorgte die Tüte im Mülleimer. Erst mit dem Entkeimen ihrer eigenen Hände entspannte sie sich wieder.

Mutters Bakterienpanik hatte ich zum Glück nicht geerbt. Bei mir weckte der Geruch von Desinfektionsmittel vielmehr heimelige Erinnerungen an meine Kindheitstage, ähnlich dem Duft frisch gebackener Plätzchen.

„Geht es dir gut?“, fragte sie mich.

„Du tickst nicht mehr richtig!“, wäre eher angebracht gewesen. Immerhin hatte ich sie vier lange Jahre durch einen Versicherungsvertreter ersetzt. Kaum, dass der mich verließ, stand ich krank und im Kleinkind-Jammer-Modus vor ihrer Tür. Und jetzt verbrachte ich auch noch meine eigentliche Arbeitszeit auf ihrer Couch. Ich war entwicklungsgestört, eindeutig.

Trotzdem nickte ich schief grinsend.

„Und warum hast du dir heute schon wieder freigenommen, Sissi?“

Um noch etwas klarzustellen: Sissi ist nicht mein wirklicher Name.

„Das habe ich nicht. Ich wurde freigestellt“, antwortete ich leise.

„Großer Gott!“, platzte es panisch aus Mutter heraus. „Ist denn alles in Ordnung bei der Arbeit?“

Ordnung war etwas, das mein Arbeitgeber gut hätte gebrauchen können. Nach der Übernahme hatte es eine Kündigungswelle gegeben. Ein Domino-Day ohne Ende, der willkürlich Alt und Jung, Groß und Klein traf.

„Spätestens nach der Kündigungswelle wird alles wieder in geregelten Bahnen laufen“, hatte es geheißen. In Wahrheit war „nach der Kündigungswelle“ bloß „vor der Kündigungswelle“. Kollegen, die sich auf schnellstem Wege gewaltsam in die Aufgabenbereiche ihrer entlassenen Vorgänger eingearbeitet hatten, waren plötzlich die nächsten Kündigungskandidaten. Ein wahres Wunder, dass mein Arbeitsplatz bisher verschont wurde.

„Hallo? Alles in Ordnung?“, hakte Mutter abermals nach, und ich nickte noch einmal schief grinsend. Damit war ich schon zuvor ganz gut gefahren. Und auch jetzt erfüllte es seinen Zweck.

„Schön, dass alles in Ordnung ist“, lächelte Mutter, was ihr Gesicht fast ebenso strahlen ließ wie ihr Collier.

Ich konnte nicht zurückstrahlen. Mit meiner Arbeit hatte ich mich von Olaf ablenken wollen, doch jetzt saß ich wieder hier und musste feststellen: Ich vermisste ihn. Sehr. Und gleichzeitig hasste ich ihn, weil er mich mal eben aus seinem Leben radiert hatte wie ein schlecht gezeichnetes Strichmännchen.

Nachdem ich seine Wohnung so abrupt wie aufgelöst verlassen hatte, war statt seiner selbst nur eine SMS gefolgt, in der er mir „aus vollstem Herzen alles erdenklich Gute und Liebe für ein erfülltes und langes Leben“ gewünscht hatte. Dann sandte er mir noch eine weitere Nachricht mit der mehr sachlichen als herzlichen Information, er habe „all meine Sachen bereits in einen Karton verpackt und werde sie in den nächsten Tagen an mich senden“.

Bei dem Gedanken daran schluchzte ich auf.

„Ach Kind, meinst du nicht, dass es nur eine Phase ist?“, fragte Mutter, die mein Schluchzen sofort richtig interpretierte. „Vielleicht wird sich Olaf schneller selbst finden als gedacht und dich dann um eine zweite Chance bitten.“

Die Hoffnung hatte ich bis gestern auch noch gehabt. Doch dann musste ich ja unbedingt Olaf unter dem sachlichen Vorwand anrufen, meine Sachen persönlich bei ihm abholen zu wollen.

Ich hatte geplant, mich dafür so richtig in Schale zu schmeißen. Allein schon, um Olaf vor Augen zu führen, was ihm entgangen war … und entgehen würde, sofern wir nicht wieder zueinanderfänden. Bereits am Telefon hatte ich mir Mühe gegeben, besonders cool und sexy zu klingen. Olaf hingegen antwortete nur leicht lethargisch, aber freundlich auf meine Fragen, viel freundlicher, als er es in den vergangenen vier Jahren je gewesen war. Doch trotz aller Freundlichkeit machte er mir auch felsenfest klar, dass ein Wiedersehen in unserem Fall keine Freude wäre.

Im Gegenzug musste ich mich überhaupt nicht verstellen, als ich ihm deutlich machte, dass ich seine freundlichen, aber verwirrenden Aussagen nicht wirklich verstand. Er habe auch nichts anderes erwartet, frohlockte mein Verflossener, mit meinen niedrigen Schwingungen fehlte es mir an Verständnis für solche Dinge. Als ich darauf ziemlich empört reagierte, beruhigte er mich in blumigem Ton: „Für dein blockiertes Bewusstsein kannst du doch nichts, mein Liebes.“

Mein Liebes?

Bevor ich erneut falsche Hoffnung schöpfte, ergänzte er noch schnell, sich auch deshalb von mir trennen zu müssen. In seinem neuartigen Bewusstsein könne er mit jemandem, der so materiell, so unspirituell und so wenig geerdet sei, keine ernsthafte Beziehung führen. Erschwerend käme noch hinzu, dass ich zu andersartige Energien verströme.

Bevor ich überhaupt noch irgendetwas einwerfen konnte, musste er auch schon auflegen, um sich wieder seiner selbst anzunehmen, seit zehn Minuten wartete sein abnehmendes Mond-Müsli auf ihn.

Spätestens da musste ich es mir eingestehen: Dieser Mensch am anderen Ende der Leitung war nicht mehr mein Olaf, nein, dieser Mensch war … ach, keine Ahnung, in was für einen hochschwingenden, spirituellen Spezialisten ihn die hundertjährige Hexe verwandelt hatte. Auf jeden Fall schien es Olaf wirklich ernst damit, sich endgültig lösen zu wollen. Für immer und warum auch immer.

„Vielleicht kommt ihr schneller wieder zusammen, als du denkst“, versuchte Mutter mich aufzubauen. Sie wusste ja nicht, dass Olaf mich durch eine spirituelle Beziehung zu sich selbst ersetzt hatte.

Ich schüttelte traurig den Kopf. Falsche Hoffnung war das Letzte, was ich in diesem Moment brauchte, und Mutter schien das tatsächlich zu spüren, vielleicht schwang auch sie weit über mir.

„Komm an mein Herz!“, liebevoll drückte sie mich an ihre Brust, und ich fühlte mich so geborgen und geliebt wie ein Kind. Allerdings nur kurz, denn Mutter holte mich umgehend zurück in die Realität: „Eine so hübsche Frau wie du wird nicht lange allein bleiben.“

Den Satz hatte man auf der Beerdigung meines Vaters auch zu Mutter gesagt. Sechsundzwanzig lange Jahre lag das nun zurück. Ein Jammer, dass eine Frau, die so viel zu geben hatte, ein solch einsames Dasein fristete.

Offenbar gingen unsere Gedanken schon wieder in die gleiche Richtung, denn Mutter setzte plötzlich eine ganz bekümmerte Miene auf und meinte: „Weißt du, ich lebe dieses einsiedlerische Dasein ja nur, weil mein Schmuck zu wertvoll für die Welt da draußen ist.“

Während sie einen anklagenden Blick auf das Porträt meines Vaters warf, ließ ich meinen Blick durch das Wohnzimmer gleiten, das vor fünf Jahren noch mein Zuhause gewesen war. Sicherlich wäre es das noch länger geblieben, hätten wir nicht das Angebot bekommen, die Wohnung meiner allein lebenden Großtante im Nachbar-Hochhaus zu übernehmen. Nach dem dritten Wohnungsbrand war sie zu ihrer eigenen Sicherheit ins Altersheim verlegt worden.

Es schnürte mir den Hals zu, wenn ich daran dachte, was einmal aus Mutter werden würde. So leid es mir auch tat, aber ich war nicht der Mensch, der sie später einmal pflegen würde. Nicht, weil ich nicht wollte, sondern weil ich nicht konnte. Wo sollte ich die Zeit hernehmen? Wo das Geld? Das, was ich bei meinem Vollzeitjob verdiente, reichte gerade einmal für meinen eigenen Lebensunterhalt aus. Und dann kam auch noch hinzu, dass ich der unfähigste aller Pfleger war. Da Mutter mir zeit meines Lebens sämtliche Aufgaben abgenommen hatte, verfügte ich über wenig Eigeninitiative. Und über noch weniger Talent. Ich konnte nur ein Gericht kochen (Linsensuppe). Und das Wechseln einer Glühbirne zählte neben dem Aufstellen einer bereits aufgebauten Ikea-Kommode und dem Anschließen meines Fernsehers (dank Kabelempfang auch keine Glanzleistung) bereits zu meinen ganz großen Kunststücken.

Mein spiritueller Ex und Mutters spätere unsichere Existenz – konnte ich nicht einmal an etwas Positives denken? Ich versuchte es und lenkte meine Gedanken auf meinen festen Job (war er das denn noch?) und meine eigene Wohnung (stand mir dort auch ein vereinsamtes Dasein bevor?). Verflixt, ich wollte keine Trübsal blasen. Bevor Mutter erneut meine Gefühlslage erspürte, lenkte ich meinen bedrückten Blick schnell auf den gedeckten Frühstückstisch. Ergriffen ließ ich ihn über Marmelade, Käse, Honig, Brötchen und Butter, Teller, Tassen, Teekanne und die Tageszeitung schweifen, die bereits fein auseinandergefaltet war. Mama hatte mal wieder an alles gedacht.

„In der BILD stand heute Morgen, dass in Griesheim eine arme alleinstehende Frau überfallen wurde“, meinte Mutter, meinem Blick folgend, „dabei war sie doch schon arm.“

Seit ich mit Olaf zusammen war, führte Mutter eine Beziehung zur BILD-Tagespresse. Während andere Mütter regelmäßig über ihren unerfüllten Enkelwunsch klagten, bekam ich nur ab und zu Sensationsmeldungen aus der Zeitung zugespielt. Ich hatte wirklich Glück. Daran sollte ich denken.

„Wie kann man nur eine arme, alleinstehende Frau überfallen?!“, schluchzte Mutter und brach plötzlich in Tränen aus. Da konnte auch ich mich nicht mehr länger zurückhalten. Gemeinsam schluchzten wir vor uns hin, bis Mutter sich energisch die Tränen aus dem Gesicht wischte und mir tief in die Augen sah.

„Sissi, wir müssen positiv denken! Ich werde nicht überfallen. Und du wirst schon noch den Richtigen finden. Nur bitte geh niemals wieder solch ein Risiko ein!“

Vorwurfsvoll zeigte sie auf die Griesheimer Brötchen.

Ich seufzte. Um einen neuen Mann zu finden, müsste ich auf die Suche und damit tatsächlich neue Risiken eingehen. Aber Mutter konnte sich trösten, ich war für so etwas viel zu passiv. Vor Olaf hatte ich meine Wohnung nur für den kurzen, ereignislosen Fußweg zur Arbeit verlassen. Und ein vielversprechender Kandidat war mir dabei nie über den Weg gelaufen.

In den letzten vier Jahren war ich dann schon etwas mobiler geworden, doch das hatte ich bloß Olaf zu verdanken.

Olaf – Olaf – Olaf!

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