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Charles

hier erhältlich:

Seitdem Naturforscher Charles O’Halloran die blonde Journalistin Lanni begegnet ist, möchte er nicht mehr allein in den Weiten Alaskas leben ... Plötzlich ist Charles O’Halloran, eigentlich eher ein Einzelgänger, gar nicht mehr gern allein! Alles ist viel schöner, wenn die blonde Lanni ihn auf seinen Exkursionen durch die Weite Alaskas begleitet. Bis er erfährt, wer seine Traumfrau wirklich ist ...


  • Erscheinungstag: 10.12.2012
  • Aus der Serie: Midnight Sons
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 192
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955760939
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Debbie Macomber

Charles

Heiße Nächte in Alaska

Aus dem Amerikanischen von
Dorothea Ghasemi

Image

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Marriage Risk

Copyright © 1995 by Debbie Macomber

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: Corbis, Düsseldorf

Satz: D.I.E. Grafikpartner, Köln

ISBN 978-3-95576-093-9

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Das war also Hard Luck.

Lanni Caldwell schwang sich ihren Rucksack über die Schulter, hob ihren Koffer hoch und ging über die unbefestigte Straße auf den Wohnwagen zu, in dem sich das Büro von Midnight Sons befand. Während der letzten Woche war mehrmals in den Medien über die kleine Charterfluggesellschaft berichtet worden, die Flüge ins Landesinnere von Alaska anbot, und Lanni hatte die Berichte und Reportagen mit wachsender Neugier verfolgt. Das Ganze war wirklich sehr interessant. Offenbar hatten die Inhaber von Midnight Sons eine Aktion ins Leben gerufen, um Frauen nach Hard Luck zu locken, indem sie ihnen einen Job und eine Unterkunft anboten.

Solch einen verrückten Plan konnte sich nur ein Haufen einsamer Buschpiloten ausgedacht haben! Ein paar allein stehende Frauen waren bereits nach Hard Luck gekommen, und schon bald würden noch mehr eintreffen. Die Fernsehreporter in den anderen Staaten bezeichneten sie als „Versandhausbräute“ – was sie natürlich nicht waren – und sprachen von Hard Luck als dem „eisigen Norden“. Auch das traf nicht zu – zumindest nicht im Juni.

Der Himmel war strahlend blau, und es war angenehm warm. In der Tundra blühten die Blumen in allen erdenklichen Farben.

Lanni, die in Anchorage aufgewachsen war, war bereits als Kind einmal in Hard Luck gewesen. Dies war auch das einzige Mal gewesen, dass sie über den Polarkreis hinausgekommen war. Trotzdem erschien ihr die Umgebung vertraut, denn ihre Großmutter Catherine Fletcher hatte ihr oft von dem Ort und dem Leben dort erzählt. Lanni erinnerte sich noch genau daran, wie sie auf ihrem Schoß gesessen und ihren abenteuerlichen Schilderungen gelauscht hatte. Doch im Lauf der Jahre hatte sie ihre Großmutter immer seltener gesehen.

Da Catherines Gesundheitszustand sich zunehmend verschlechterte, war es vielleicht die letzte Gelegenheit für Lanni, etwas über das Leben ihrer Großmutter hier zu erfahren. Deshalb hatte sie sich wohl auch dazu bereit erklärt, den Sommer in Hard Luck zu verbringen. Ab September sollte sie als Redaktionsassistentin bei der Tageszeitung von Anchorage arbeiten. Nach vier Jahren College würde ihr Traum, als Journalistin zu arbeiten, endlich wahr werden, und Lanni war klar, wie viel Glück sie gehabt hatte, als sie die Stelle bekommen hatte.

Am Anfang des Monats hatte Sawyer O’Halloran ihre Mutter Kate angerufen. Kate war überrascht und auch ein wenig verärgert gewesen, von den O’Hallorans zu hören, was Lanni nicht genau verstand. Sie hatte nie die Gründe für die Fehde zwischen ihrer Großmutter und den O’Hallorans erfahren, weil man in ihrer Familie nie darüber gesprochen hatte.

Sawyer O’Halloran hatte ihrer Mutter erklärt, dass man in Hard Luck dringend Unterkünfte brauche, da so viele Frauen in die Stadt kommen würden. Dann hatte er sie gebeten, Catherine zu fragen, ob diese ihr Haus vermieten würde, das seit einiger Zeit leer stand.

Lanni wusste nicht, ob ihre Mutter mit ihrer Großmutter darüber gesprochen hatte. Doch seit Catherine Fletcher in das Pflegeheim in Anchorage gekommen war, hatte ihr Zustand sich noch mehr verschlechtert. Daher wäre es wohl das Beste gewesen, sie überhaupt nicht zu fragen.

„Hallo.“ Ein sommersprossiger Junge hielt mit seinem Fahrrad neben Lanni und lächelte sie an. Der große Husky, der ihn begleitete, nahm Platz und schaute sie freundlich an.

„Kommen Sie zur Hochzeit?“ fragte der Junge.

„Zur Hochzeit?“ wiederholte Lanni.

„Ja, meine Mom heiratet Sawyer O’Halloran, und eine Menge Leute kommen zu der Hochzeit nach Hard Luck. Ben macht dafür seine berühmten Hackbällchen, und er hat Susan und mir erlaubt, ihm dabei zu helfen.“

„Ben?“

„Ihm gehört das Hard Luck Café. Sie sind keine Reporterin, oder?“

„Nein.“

„Da haben Sie Glück. Sawyer hat nämlich gesagt, dass er den Reportern am liebsten in den Hintern treten würde.“

Lanni musste lachen. Dies war offenbar nicht der geeignete Moment, um dem Kleinen zu erzählen, dass sie bald ihr Publizistikstudium abschließen würde. „Ich bin Lanni Caldwell“, sagte sie daher.

„Scott Sutherland.“ Der Junge grinste. „Sie sind bestimmt die Frau, auf die Sawyer die ganze Zeit gewartet hat. In letzter Zeit war er ziemlich kaputt.“

Obwohl niemand ihr gesagt hatte, dass sie sich bei den O’Hallorans anmelden sollte, konnte es nicht schaden, sich vorzustellen. Schließlich hatte sie es ihnen zu verdanken, dass sie nach Hard Luck gekommen war. Dies war ihre einzige Chance, mehr über die Vergangenheit ihrer Familie zu erfahren, denn Lanni wusste sehr wenig über ihre Großmutter und fühlte sich daher in gewisser Weise um ihr familiäres Erbe betrogen.

„Wollen Sie mitkommen, damit ich Sie Sawyer vorstellen kann?“ erkundigte sich Scott.

„Gern.“ Sie folgte ihm zum Wohnwagen, auf dem in großen roten Lettern das Logo von Midnight Sons prangte.

„Sawyer.“ Dicht gefolgt von dem Husky, betrat der Junge das Büro. „Lanni Caldwell ist hier.“

Der Mann, der hinter dem Schreibtisch saß, blickte auf und seufzte erleichtert. „Gott sei Dank! Christian dachte, Sie würden erst nach der Hochzeit hier eintreffen. Sie hätten sich keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können.“

Lanni war klar, dass Sawyer sie mit jemandem verwechselte. Vielleicht hatte er ihren Nachnamen nicht verstanden.

„Ich muss zu einer Sitzung der Schulbehörde“, fuhr er fort. „Ich möchte Sie nicht überrumpeln, indem ich gleich an Sie übergebe, aber ich muss dringend weg.“

Lanni wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Anscheinend hielt Sawyer sie für seine neue Sekretärin.

„Falls Sie Fragen haben, schreiben Sie sie einfach auf“, meinte er. „Ich bin in ungefähr einer Stunde wieder zurück. Dann erkläre ich Ihnen alles.“

Sie wollte ihn über das Missverständnis aufklären, doch er war schon aufgesprungen und eilte zur Tür. „Vielen Dank“, rief er ihr noch über die Schultern zu.

„Sehen Sie jetzt, was ich meine?“ bemerkte Scott, während er sich auf den Schreibtischstuhl fallen ließ. „Er benimmt sich so, als ob er Vater werden würde. Mom sagt, dass sie so etwas noch nie erlebt habe.“

Lanni nahm den Rucksack ab und stellte ihn neben den Koffer auf die Erde. „Er hat mir gar nicht die Gelegenheit gegeben, ihm zu erklären, dass ich nicht die neue Sekretärin bin.“

„Das sind Sie gar nicht?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Und Sie sind wirklich keine von diesen Reporterinnen, die ihn die ganze Zeit genervt haben?“

„Nein, wirklich nicht.“

Der Junge entspannte sich merklich. „Warum sind Sie dann hier? Hat Christian Sie hergeschickt?“

„Nein. Ich bin hier, um das Haus meiner Großmutter auf Vordermann zu bringen, damit eine oder zwei Frauen darin wohnen können.“

„Christian hat Sie nicht eingestellt?“ Sichtlich überrascht, setzte Scott sich aufrecht hin. „Charles bestimmt auch nicht. Er findet Sawyers und Christians Idee nämlich ziemlich blöd. Uns hat er sogar angeboten, den Rückflug nach Seattle zu bezahlen. Wir wären beinah abgereist, aber Susan und ich wollten hier nicht weg.“ Nun strahlte er übers ganze Gesicht. „Und jetzt wollen Mom und Sawyer heiraten.“

„Darüber freust du dich wohl?“

„Darauf können Sie wetten. Sawyer ist wirklich Klasse. Er will Susan und mich adoptieren, und dann sind wir eine richtige Familie.“

„Das ist schön.“

Im nächsten Moment begann das Telefon zu klingeln, und Lanni betrachtete es unsicher.

„Melden Sie sich einfach mit ,Midnight Sons‘“, wies Scott sie an, „und machen Sie sich Notizen.“

Lanni befolgte seinen Rat.

„Sawyer kommt bald wieder“, erklärte er, sobald sie die Nachricht aufgeschrieben hatte, und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Er ist so nervös wegen der Hochzeit, dass er bestimmt in Ohnmacht fällt, bevor er Ja, ich will‘ sagen kann.“ Die Vorstellung schien ihn zu amüsieren.

Lanni nahm auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz. „Wie viele Frauen sind bisher nach Hard Luck gekommen?“

„Weiß nicht genau. Ein paar, glaub’ ich. Meine Mom war die Erste. Dann kam eine Frau, die sehr hübsch war, aber die hat es hier nicht lange ausgehalten. Christian war darüber ganz schön enttäuscht. Er hat sich dann noch mal die Bewerbungen angesehen und eine andere Sekretärin eingestellt. Wir dachten, dass Sie es seien.“

„Kein Wunder.“

„Letzte Woche ist Dotty gekommen. Sie wohnt erst mal bei Mrs. Inman, um von ihr zu lernen, wie das Gesundheitszentrum geleitet wird. Sie ist nicht so jung und hübsch wie meine Mom und Sie, aber alle sind froh, dass sie hier ist. Mrs. Inman will nämlich zu ihrer Tochter ziehen. Vorher ging das nicht, weil sie die Klinik geleitet hat.“

„Freut mich, dass es jetzt klappt“, meinte sie.

„Wenn Sie Lust haben, kann ich Ihnen nachher den Ort zeigen.“

„Ja, gern.“ Lanni freute sich über Scotts Angebot, denn sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie es in Hard Luck aussah. Ihre Großmutter war immer nach Anchorage geflogen, da es viel zu umständlich gewesen wäre, wenn die Familie die lange Reise nach Hard Luck auf sich genommen hätte. Außerdem hatte Kate Caldwell ihrer Mutter nie sehr nahe gestanden.

„Das ist übrigens Eagle Catcher.“ Scott kraulte dem Husky den Nacken. „Er hat Sawyer gehört, aber Sawyer hat ihn mir geschenkt.“

„Er ist ein sehr schöner Hund.“

„Sie mag er. Er mag nämlich längst nicht jeden.“

„Ich fühle mich geschmeichelt.“ Lanni kraulte Eagle Catcher ebenfalls. Dann klingelte wieder das Telefon, und es folgte noch eine Anzahl weiterer Anrufe.

Nach einer Stunde kam Sawyer zurück. „Tut mir Leid, dass ich Sie vorhin allein lassen musste“, erklärte er, während er ihre Notizen überflog.

„Oh, ich bin gut zurechtgekommen“, erwiderte sie forsch.

„Lanni ist gar nicht die neue Sekretärin“, verkündete Scott und stand auf.

Sawyer blickte sie verblüfft an. „Sie sind es nicht? Wer sind Sie dann?“

Lanni streckte ihm lächelnd die Hand entgegen. „Ich bin Lanni Caldwell. Catherine Fletcher ist meine Großmutter.“ Hatte sie es sich bloß eingebildet, oder hatten seine Augen sekundenlang einen harten Ausdruck angenommen?

„Ach so.“

„Ich bin hier, um das Haus auf Vordermann zu bringen.“

„Soll das heißen, dass Catherine tatsächlich bereit ist, es uns zu vermieten?“

„Ich glaube, meine Mutter hat gar nicht mit ihr darüber gesprochen. Meiner Großmutter geht es gesundheitlich sehr schlecht.“

„Das … tut mir Leid.“

Unwillkürlich fragte sie sich, ob das stimmte. „Ich kann gern einspringen, bis Ihre neue Sekretärin hier eintrifft“, bot sie spontan an, was sie selbst überraschte. Andererseits konnte es nicht schaden, den Grundstein für eine Freundschaft zu legen.

„Das würden Sie wirklich tun?“ Sawyer betrachtete sie misstrauisch.

„Ja, ich würde gern aushelfen“, erklärte sie bestimmt. Wenn sie für die Brüder O’Halloran arbeitete, würde sie sicher mehr über ihre Großmutter erfahren, als wenn sie sich nur in deren Haus beschäftigte.

„Es wäre nur vorübergehend, bis unsere neue Sekretärin ankommt“, sagte er zögernd.

„Mom und Sawyer heiraten in zehn Tagen“, ließ Scott sich vernehmen.

„Abgemacht.“ Man sagte Lanni nach, dass sie mit ihrem Lächeln alles erreichen könne. Sie selbst fand, dass ihr Mund das Schönste an ihr war, denn ihre Lippen waren voll und sanft geschwungen.

„Macht es Ihnen wirklich nichts aus?“ Sawyer fuhr sich durchs Haar. „Solange Christian weg ist, bin ich hoffnungslos überfordert. Dann steht meine Hochzeit bevor, und zu allem Überfluss müssen wir auch noch eine neue Lehrerin einstellen.“

„Ich helfe Ihnen gern“, versicherte sie.

„Christian kommt bald zurück. Noch ist er in Seattle, aber er fliegt bald nach Kanada weiter, um dort unsere Mutter zu besuchen.“

„Sawyer hat gesagt, dass er ihm den Hals umdreht, wenn er nicht bald zurückkommt“, erzählte Scott.

Wieder musste Lanni lachen.

„Soll ich Ihren Koffer tragen?“ fragte er.

„Der ist ziemlich schwer“, warnte sie ihn.

„Ich bin ganz schön stark.“

„Würde es Ihnen etwas ausmachen, morgen zu kommen?“ erkundigte sich Sawyer.

„Wann soll ich hier sein?“ fragte sie, während sie ihren Rucksack hochhob und ihn aufsetzte.

„Ist acht Uhr zu früh?“

„Nein. Bis dann.“

„Danke.“ Noch immer schien er es kaum zu glauben, dass sie ihm ihre Hilfe angeboten hatte.

Als Charles O’Halloran das Büro von Midnight Sons betrat, funkelte er seinen Bruder wütend an. Doch das nützte auch nichts. Seit Abbey Sutherland seinen Heiratsantrag angenommen hatte, lebte Sawyer in seiner eigenen Welt.

Sawyer würde heiraten. Noch immer fiel es Charles schwer zu akzeptieren, dass sein ansonsten vernünftiger Bruder den Sprung in den Abgrund wagte.

Charles hatte sich längst damit abgefunden, dass Christian vermutlich eines Tages heiraten würde, doch bei Sawyer hatte er nicht damit gerechnet. Sie beide hatten mit angesehen, was mit Menschen passierte, wenn ihre Ehe zerbrach. Charles wollte so etwas auf keinen Fall selbst erleben, und er hatte angenommen, dass es Sawyer genauso gehe.

Sobald er alt genug gewesen war, von zu Hause auszuziehen, war Charles eigene Wege gegangen. Nach dem High School-Abschluss war er zur Marine gegangen und hatte anschließend das College besucht, wo er Geologie studiert hatte. Nun arbeitete er für Alaska Oil. Es war der ideale Job für ihn, denn Charles war oft wochenlang im Landesinneren unterwegs, wo er nach Erdgasvorkommen suchte.

„Ich habe heute Nachmittag mit zwei Reportern gesprochen“, erklärte er ärgerlich, ohne zu erwarten, dass Sawyer ihm überhaupt Beachtung schenkte. Sein Bruder schwebte im siebten Himmel und litt vermutlich schon an Sauerstoffmangel, was sein Denkvermögen nachhaltig beeinträchtigte.

Sawyer blickte ihn verblüfft an.

„Sie wollten Informationen über die Frauen.“

„Es sind nur ein paar Frauen hier“, erwiderte Sawyer ausdruckslos. „Eine von ihnen ist über fünfzig.“

„Und die, die als Erste gekommen ist, ist im Begriff zu heiraten, obwohl sie bisher kaum genug Zeit hatte, ihre Koffer auszupacken.“ Natürlich gönnte Charles ihm sein Glück, aber er hatte nun einmal etwas gegen die Ehe. Außerdem passte es ihm nicht, dass die Einwohner von Hard Luck sich in den Medien zum allgemeinen Gespött machten.

„Und? Hast du ihnen gesagt, dass sie sich zum Teufel scheren sollen?“

„Nein, ich habe ihnen die Telefonnummer von Christians Hotel gegeben.“

Sawyer nickte beifällig.

„Versteh mich bitte nicht falsch.“ Charles setzte sich auf einen Stuhl. „Aber ehrlich gesagt, halte ich es für keine besonders gute Idee, Frauen nach Hard Luck zu holen. Für die Regenbogenpresse ist es ein gefundenes Fressen. Heute Morgen habe ich eine Schlagzeile gelesen, die eine richtige Beleidigung war.“

„Das ist mir egal. Mir tut das Ganze nicht im Mindesten Leid.“ Eine andere Antwort hatte Charles gar nicht erwartet. „Irgendwann wirst du dich auch verlieben“, meinte Sawyer, „und dann wirst du mich besser verstehen.“

„Bewahre.“ Er, Charles, hatte es bis zu seinem fünfunddreißigsten Lebensjahr geschafft, solo zu bleiben, und daran sollte sich auch nichts ändern.

„Eines Tages wirst du eine Frau kennen lernen, in die du dich Hals über Kopf verliebst“, fuhr Sawyer nachdenklich fort.

Charles lachte auf. „Ganz bestimmt nicht.“

„Du willst wohl das Schicksal herausfordern?“

„Hör mal, Sawyer. Ich freue mich mit dir, denn du liebst Abbey und die Kinder.“

„Aber?“

„Aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass es ein Fehler war, Frauen nach Hard Luck zu holen.“

„Wirklich?“

„Allerdings. Denk doch nur daran, was für eine Aufregung die, die hier sind, schon verursacht haben. Wenn du heiratest, werden garantiert sechs oder sieben Reporter hier herumlaufen.“

„Sollen sie doch“, entgegnete Sawyer gleichgültig.

„Du machst wohl Witze.“

„Ich habe wichtigere Dinge im Kopf.“ Sawyer blätterte in den Papieren auf seinem Schreibtisch und zog zwei Flugtickets hervor. „Zwei Wochen auf Hawaii – mit meiner Frau.“ Er schloss verklärt die Augen. „Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.“

„Und was ist mit den Kindern?“

„Abbeys Eltern fahren mit ihnen nach Disneyland. Abbey und ich treffen uns später dort mit ihnen, und dann fliegen wir vier zusammen zurück.“

Charles konnte die Begeisterung seines Bruders nicht ganz nachvollziehen. Er hatte genug von der Welt gesehen, und kein Land faszinierte ihn so sehr wie Alaska.

Das Reisen überließ er lieber den anderen. Ihr Vater und ihr Großvater waren genauso gewesen. David O’Halloran war nicht einmal bereit gewesen, Hard Luck zu verlassen, als er damit seine Ehe hätte retten können. Charles war der Ansicht, dass sein Vater die einzig richtige Entscheidung getroffen hatte.

Es war nicht so, dass Charles seine Mutter nicht liebte. Sie bedeutete ihm genauso viel, wie sein Vater ihm damals bedeutet hatte. Über Davids Tod war er nie hinweggekommen, und er hatte ihn immer besser verstanden als seine Mutter, die gebürtige Engländerin war.

„Du machst so einen nachdenklichen Eindruck“, meinte Sawyer.

„Eigentlich nicht.“ Charles stand abrupt auf. „Ich bin nur vorbeigekommen, um dir zu sagen, dass ich den Tag damit verbracht habe, die Pressefritzen abzuwimmeln.“

„Das weiß ich zu schätzen.“

„Du solltest dir darüber im Klaren sein, dass sie auch auf deiner Hochzeit herumlungern werden.“

Sawyer zuckte die Schultern. „Von mir aus sollen sie kommen.“

Charles würde nie verstehen, dass sein Bruder sich innerhalb weniger Wochen so verändert hatte. Er verließ das Büro und ging über die Straße zum Hard Luck Café, wo Ben Hamilton, ein Vietnamveteran, den besten Kaffee der Stadt servierte.

Charles setzte sich auf einen Barhocker am Tresen und drehte einen Becher um.

Ben, der ein alter Freund von ihm war, griff sofort zur Kaffeekanne. „Scheint so, als könntest du einen Schluck gebrauchen.“ „Stimmt. Sag mal, sind eigentlich alle hier verrückt geworden oder nur ich?“

„Wovon redest du überhaupt?“

„Von den Frauen natürlich. Ich war gerade in Valdez, und es ging mir gut. Eines Morgens habe ich die Zeitung aufgeschlagen, und was habe ich gesehen? Ein Foto von Sawyer und eins von Christian. Dann war da dieser Artikel über ihre Schnapsidee, Frauen nach Hard Luck zu holen.“

„Soweit ich weiß, gibt es in Anchorage ein paar Frauen, die wütend waren, weil Christian dort keine Bewerbungsgespräche geführt hat.“

„Das ist nicht dein Ernst!“

„So habe ich es jedenfalls gehört.“ Ben lehnte sich an den Tresen. „Möchtest du etwas essen?“

Charles schüttelte den Kopf. Es verwirrte ihn, dass der einzige Mensch, von dem er eine ehrliche Antwort erwartet hatte, offenbar genauso verrückt war wie alle anderen auch.

„Mach doch nicht so ein Gesicht“, sagte Ben. „So schlimm ist es nun auch wieder nicht.“ Dann ging er in die Küche.

„Übrigens, hast du sie schon gesehen?“ rief er nach einer Weile. „Wen?“

„Die Frau, die gerade nach Hard Luck gekommen ist. Hübsches Ding. Sie hat langes blondes Haar und eine süße Nase. Aber sie ist jung – höchstens dreiundzwanzig. Duke hat sie vorhin hergeflogen, und Scott hat sie mit ins Büro genommen. Wahrscheinlich ist sie die neue Sekretärin, die Christian eingestellt hat. Wenn ich von ihrer Ankunft gewusst hätte, hätte ich einen Kuchen gebacken. In letzter Zeit haben alle nur noch Sawyers und Abbeys Hochzeit im Kopf.“ Ben machte eine Pause und fuhr sich übers Kinn. „Ich kann mich gar nicht erinnern, wann wir hier das letzte Mal eine Hochzeit hatten. Du?“

„Nein“, entgegnete Charles unwirsch und stand auf. Sogar Ben hatte jeden Bezug zur Realität verloren. Anscheinend hatten alle Männer im Umkreis von zweihundert Meilen nur noch die Liebe im Kopf. Merkten sie denn gar nicht, wie lächerlich sie sich machten?

„Du hast sie also noch nicht kennen gelernt“, stellte Ben fest.

„Nein.“

„Weißt du dann, wo sie wohnt?“

„Keine Ahnung.“

Ben runzelte die Stirn. „Hoffentlich hat jemand daran gedacht, sie herumzuführen. Schließlich soll sie uns nicht für ungastlich halten.“

In dem Fall legte Charles umso mehr Wert darauf, sich von dieser Frau fern zu halten.

Leise vor sich hin schimpfend, verließ er das Café, um nach Hause zu gehen. Plötzlich hörte er, wie jemand nach ihm rief.

„Charles, sieh mal!“

Als er sich umdrehte, sah er den neunjährigen Scott Sutherland auf einem alten Fahrrad, das einmal Sawyer gehört hatte. Hinter ihm stand eine blonde Frau, neben sich einen Koffer. Zweifellos war es die, von der Ben gesprochen hatte.

Der Wind wehte ihr das Haar ins Gesicht. Sie trug ein ärmelloses blassblaues Sommerkleid und einen Strohhut. Es gab nicht viele Frauen, die Hüte trugen, aber er stand ihr sehr gut.

Eagle Catcher lief bellend neben Scott her.

Charles winkte dem Jungen zu, wobei er sich ein Lächeln verkneifen musste, und wandte sich dann ab.

„Warte doch!“ rief Scott. „Du musst Lanni kennen lernen.“

Da Charles nicht die geringste Lust dazu hatte, steckte er die Hände in die Hosentaschen und ging weiter.

„Onkel Charles!“

In diesem Moment wurde ihm zum ersten Mal klar, dass er bald Onkel sein würde. Der Gedanke gefiel ihm, denn Charles mochte den Jungen. Daher drehte er sich wieder um.

„Hallo“, grüßte Lanni, während sie auf ihn zukam.

„Hallo.“ Ben hatte Recht gehabt. Sie war wirklich hübsch. Sie strahlte übers ganze Gesicht, und das Blau ihrer Augen wirkte durch die Farbe des Kleides noch intensiver. Ihr Mund war sehr ausdrucksvoll.

„Charles O’Halloran.“ Charles nahm die Hände aus den Taschen und streckte ihr die Hand entgegen. Auf keinen Fall wollte er dabei ertappt werden, wie er die Frau anstarrte.

Die Frau blinzelte einmal, bevor sie ihm die Hand gab. „Lanni Caldwell.“ Offenbar wartete sie darauf, dass er etwas sagte. Als er es nicht tat, schien sie jedoch erleichtert.

„Freut mich, Sie kennen zu lernen, Charles“, fügte sie schließlich hinzu.

„Ganz meinerseits.“ Ihr Lächeln verfehlte seine Wirkung nicht. Charles runzelte unwillkürlich die Stirn. Die Gefühle, die er verspürte, gefielen ihm ganz und gar nicht. Außerdem hatte er keine Lust, Smalltalk mit einer wildfremden Frau zu machen.

„Mom hat Lanni heute Abend zum Essen eingeladen“, erklärte Scott. „Willst du auch kommen?“

Charles konnte nicht fassen, dass er allen Ernstes erwog, die Einladung anzunehmen. „Tut mir Leid, ich habe schon etwas vor“, sagte er schnell, bevor er es sich anders überlegte.

„Mrs. Inman und Dotty kommen auch.“

„Tut mir Leid, es geht wirklich nicht.“ Charles versuchte, enttäuscht zu wirken, doch dann bemerkte er den Schalk in Lannis Augen. Sie hatte ihn durchschaut.

„Wenn du nicht kommst, lädt Mom bestimmt Duke ein“, sagte Scott. „Sie hat auf deinen Anrufbeantworter gesprochen, und du solltest zurückrufen. Wo warst du denn heute Nachmittag?“

„Ich hatte viel zu tun.“ Dass er den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen war, die Reporter abzuwimmeln, verschwieg Charles lieber. Abgesehen davon, dass er sich von Lanni Caldwell fern halten wollte, hatte er auch keine Lust auf ein geselliges Beisammensein. „Ein andermal“, meinte er. „Bis bald, Lanni.“

„Bis bald, Charles.“

Später bereute Charles, dass er die verlockendste Einladung, die er seit Wochen bekommen hatte, abgelehnt hatte. Irgendwas stimmte nicht mit ihm, aber er hatte keine Ahnung, was es war.

Wütend über sich selbst, entschied er schließlich, im Café zu Abend zu essen. Als er das Haus verließ, sah er, wie Duke auf Christians Haus zuschlenderte, in dem Abbey und die Kinder vorübergehend untergebracht waren. Der Pilot hatte sich gekämmt und trug ein sauberes Hemd, und selbst aus der Entfernung konnte Charles den Duft seines Aftershaves wahrnehmen. Anscheinend hatte Duke in dem Zeug gebadet.

Charles ertappte sich dabei, wie er Duke, der auf der anderen Straßenseite ging, anstarrte. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war er wütend auf ihn.

Obwohl Ben ein guter Koch war, hatte Charles den Eindruck, dass die Spaghetti wie Sägespäne schmeckten.

„Möchtest du noch mehr Knoblauchbrot?“ erkundigte sich Ben.

„Nein, danke.“

„Du hast wohl keinen großen Appetit.“

„Ich habe ziemlich viel zum Mittag gegessen“, schwindelte Charles.

„Hast du Lust, Cribbage zu spielen?“

Charles nickte. Die Zeit mit seinem alten Freund totzuschlagen, war wesentlich besser, als den restlichen Abend allein zu verbringen und darüber nachzudenken, was in dem Haus seines Bruders vor sich ging.

Kurz darauf saßen Ben und er gegenüber an einem der kleinen Tische und spielten Karten. Wie immer, wenn sie das taten, redeten sie nicht viel.

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