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Blooming Love – Vielleicht für immer

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Drei Hochzeiten, eine Brautjungfer und der kleine Bruder ihrer besten Freundin

Elise Ngo hat sich ihren Traum vom eigenen Blumenladen schon erfüllt. Dies bringt jedoch mit sich, dass sie auf den Hochzeiten ihrer besten Freundinnen nicht nur Brautjungfer ist, sondern sich auch um die Blumenarrangements kümmert. Und diese müssen natürlich perfekt sein.

Als sie dann Ben, den kleinen Bruder ihrer Freundin Jesse kennenlernt, kann sie mit seiner etwas schroffen Art zuerst nichts anfangen, erkennt nach und nach aber, dass er eigentlich einen ganz weichen Kern hat und nur versucht, seine eigenen Träume und die Erwartungen seiner Eltern unter einen Hut zu bringen. So schlägt ihr Herz bald nicht mehr nur für ihre Freundinnen und Blumen, sondern beginnt auch, in Bens Nähe in schnellerem Rhythmus zu klopfen.


  • Erscheinungstag: 19.11.2024
  • Seitenanzahl: 368
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365007679

Leseprobe

Für Laura, Michelle, Vickie und Grace –
anfangs junge Mädchen, später Drama-Queens,
dann erstaunliche Frauen.
Danke für eure lebenslange Freundschaft.

1. Kapitel

Immer wenn ich von meiner eigenen Hochzeit träumte, stellte ich mir ein Brautkleid wie das vor, das ich gerade trug. Ein einfaches, elegantes Kleid mit einer Schleppe, wobei es natürlich aus echtem Stoff und nicht aus saugfähigem Toilettenpapier wäre, dazu einen langen Schleier.

»Hör auf, so rumzuzappeln.« Meine beste Freundin Beth Chan war gerade dabei, meine Arme mit Klopapier zu umwickeln und auf diese Weise meine Pfingstrosen-Tattoos zu verdecken. Ich sah wie eine Mumie aus.

Jesse legte mir eine »Diamantkette« um den Hals, die ganz Rebeccas luxuriösem Geschmack entsprach. »Noch zehn Sekunden«, verkündete sie – man hätte es auch als Schreien bezeichnen können, aber Jesse sprach immer so laut. Und damit übertönte sie mühelos das Geplapper von zwanzig Frauen, die gerade allesamt in einer kleinen, aber feinen Teestube in Pasadena ihre innere Vera Wang auslebten.

Unbeeindruckt davon formte ich weiterhin Rosen aus gesteppten Quadraten. Als Hochzeitsfloristin wäre es eine Schande gewesen, keinen eigenen Strauß zu haben, außerdem musste ich jeden kleinen Vorteil nutzen, denn Rebeccas Freundinnen aus der Studentinnenverbindung hatten ein wirklich überzeugendes Mieder für ihr Kleid im Meerjungfrauen-Stil hinbekommen. Damit hätten sie locker die Challenge für unkonventionelle Materialien bei Project Runway gewonnen.

»Sehr gut!« Rebecca klatschte freudig Beifall, als sie ihre Klopapierbräute betrachtete. Dass Jesse, Beth und ich ihre besten Freundinnen waren, tat nichts zur Sache, sie würde die Gewinnerin mit unbestechlichem Blick ermitteln.

»Das ist Betrug«, meinte sie dann auch, als sie meinen Strauß sah, und mir war klar, dass sie das aus purer Liebe sagte. Rebecca begutachtete die ganze Reihe und traf dann eine klare Entscheidung. Der Preis ging an ihre Verbindungsschwestern, deren Namen mir entfallen waren. Aber ich hatte sie ja auch erst vor einer Stunde kennengelernt.

»Ich dachte wirklich, wir würden gewinnen.« Beth tröstete sich mit einem winzigen Gurken-Sandwich. Sie lag nicht gern falsch, egal ob es um Prüfungen oder wie in diesem Fall um Toilettenpapier-Couture ging. Zum Glück fiel ihr Ersteres leichter, denn Mitte Juli standen für sie die Prüfungen für die United States Medical Licensing Examination an.

Jesse schnappte sich sämtliche gefüllten Eier. »Sorry, aber ihr wisst ja, dass ich keine Kohlenhydrate esse.« Sie wirkte zwar ruhig, starrte aber sehnsüchtig und irgendwie auch gestresst auf die Scones mit Clotted Cream. Ihre eigene Hochzeit stand ebenfalls vor der Tür – einen Monat nach Rebeccas – und dazwischen lag noch ein CrossFit-Wettbewerb. Alle waren diesen Sommer über schwer beschäftigt.

Rebecca vergaß ihre Gastgeberpflichten für einen Moment, um sich zu uns ans Ende des Tisches zu setzen. Sie strich ihr weißes Reformationskleid glatt. »Jess, mach langsam, sonst erstickst du noch an einem Eigelb.«

Jesse ahmte Rebeccas selbstgefälliges Lächeln nach. »Danke für deine Besorgnis, Dr. Seuss«, sagte sie mit vollem Mund.

»Zurück in eure Ecken«, scherzte ich.

Jetzt, da wir die Wochen bis zu Rebeccas extravaganter Hochzeit herunterzählten, kochten die Emotionen gern einmal hoch. Unsere Gruppenchats glichen einer Müllhalde für Hochzeitsprobleme. Rebecca beschwerte sich darüber, dass ihre Mutter, Assemblywoman Donna Yu, all ihre politischen Verbündeten auf die Gästeliste gesetzt hatte. Jesse beklagte sich darüber, dass sie ihren Eltern gestattet hatte, eine traditionelle Hochzeit zu planen, weil sie Geld sparen wollte, aber das brachte größere Schwierigkeiten mit sich als erwartet. Und deswegen sollten wir uns nicht auch noch gegenseitig das Leben schwer machen, jetzt, da wir einander am meisten brauchten. Mir wurde die Ehre zuteil, sowohl Brautjungfer als auch Floristin zu sein, und so war es für mich besonders wichtig, dass alle gut miteinander klarkamen, denn mein Leben war auch so schon kompliziert genug.

Oft fragten mich die Leute, wie unsere Clique die letzten zehn Jahre hatte überstehen können, weil darin doch so verschiedene Persönlichkeiten aufeinanderprallten. Rebecca sagte gern lautstark ihre Meinung – der Apfel fiel nicht weit vom politischen Stamm ihrer Familie –, und das mit der Ausstrahlung eines wohlmeinenden, sich in alles einmischenden Tantchens. Jesse, meist in Lycra gekleidet und mit französischen Zöpfen, schüchterte die Leute gern mit ihren Muskeln und ihrer Schönheit ein. Beth und ich waren die ausgleichenden Pole und hielten die Gruppe zusammen. Beth war klug und hatte eine ausgeprägte soziale Ader, weshalb es niemanden überrascht hatte, dass sie an der USC zum Medizinstudium angenommen worden war. Sie war nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, es sei denn, es standen Prüfungen an. Dann verschwand sie praktisch von der Bildfläche und war nur noch für ihren Freund Ethan, den Koch, auffindbar, mit dem sie schließlich auch zusammenwohnte. Und ich? Da ich gern jede Art von Konflikt vermied, hatte ich mich eigentlich für eine großartige Vermittlerin gehalten, bis meine Therapeutin mir eines Tages riet, an meinen Kommunikationsfähigkeiten zu arbeiten.

Aber das eigentliche Geheimnis unserer Freundschaft lag darin, dass wir uns gegenseitig akzeptierten. Wir erwarteten nicht, dass die anderen dasselbe dachten oder dass wir immer einer Meinung waren, auch wenn das unser Leben einfacher gemacht hätte. Das war der Grund, weshalb sich jede Einzelne von uns genauso weiterentwickeln konnte wie unsere Freundschaft, die bisher jede unserer romantischen Beziehungen überdauert hatte. Freundinnen vor Typen, wie Jesse es ausdrücken würde.

Rebecca war unbeeindruckt. »Elise, kannst du wirklich nicht zu meinem Probeessen kommen? Lass mich nicht betteln.«

Zu gern hätte ich sie betteln sehen, denn normalerweise setzte sie ihren Willen lediglich mit einem Wimpernschlag und einem Bitte, bitte durch. »Du weißt, dass ich nicht kann. Ich bin an diesem Abend für eine Hochzeit gebucht.«

Es handelte sich um einen der wenigen Aufträge in dieser Hochzeitssaison, bei denen ich keinen Rabatt für Freunde oder Familienmitglieder gab, und den konnte ich mir nicht entgehen lassen. »Den Auftrag habe ich schon vor über einem Jahr angenommen.« Bevor Rebeccas Verlobter Mark ihr den Antrag gemacht hat, hätte ich anfügen sollen.

Rebecca stieß einen missbilligenden Laut aus. »Erst mein Bruder, jetzt du. Wer noch? Die Band?«

»Ich würde kommen, wenn ich könnte«, beteuerte ich und lächelte entschuldigend. Was ihren jüngeren Bruder Ben betraf, nun, für den konnte ich nicht sprechen. Der Kerl hatte ein riesiges Drama verursacht, als er nicht zur Verlobungsfeier erschienen war. Und ausgerechnet ihm war ich von Rebecca als Begleiterin für die Hochzeit zugewiesen worden – praktisch als menschliche Handschelle, damit er sich nicht noch einmal aus dem Staub machen konnte.

»Du hast bereits die Junggesellinnenparty verpasst.« Es hatte wenig Sinn, mir ein schlechtes Gewissen machen zu wollen. Sie wusste, dass es mehr als das brauchte, denn schließlich kannte sie meine Mutter und deren enttäuschten »Dafür habe ich Vietnam verlassen?«-Blick, als ich das College abgebrochen hatte, und einen weiteren, als ich meinen Job bei einer renommierten Firma für Eventmanagement gekündigt hatte, um mich selbstständig zu machen. Ich kämpfte bereits mit genug Schuldgefühlen für mehrere Leben.

»An diesem Wochenende war ich ebenfalls gebucht.« Es hatte sich um eine kleine Hochzeit in einem Gewächshaus gehandelt, die wenige Vorbereitungen erforderte, weshalb ich durchaus mit ihnen allen nach Miami hätte fliegen können – wenn ich das Geld dafür gehabt hätte. Das war die Ironie daran, in einer Multimilliarden-Dollar-Branche zu arbeiten: Ich verdiente einfach nicht genug, um an aufwendigen Junggesellinnenpartys teilzunehmen.

»Was ist mit Sarah?«

»Sie hat gekündigt.« Was nicht ganz stimmte, denn ich hatte meine Assistentin gehen lassen müssen. Genauso wie Fernando, meinen Lieferanten. Ich war selbst schuld. Die Gründung meines Blumenateliers war direkt mit einer Konjunkturflaute zusammengefallen, woraufhin auf einmal Minihochzeiten im Trend lagen. Veranstaltungen schrumpften genau wie meine Gewinnspanne auf ein Minimum zusammen. Abgesehen davon, dass ich vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen hatte, konnte ich es mir buchstäblich nicht leisten, eine Veranstaltung abzusagen. Nicht einmal für eine meiner besten Freundinnen. »Ist es nicht wichtiger, dass ich an deinem eigentlichen Hochzeitstag dabei bin?«

»Klar«, stimmte Rebecca mit dem Enthusiasmus eines ängstlichen Teenagers zu.

Beth, die mein Unbehagen bemerkte, wechselte das Thema und stellte eine Frage, mit der alle etwas anfangen konnten. Alle außer mir.

»Elise, wie kommt es, dass du nicht auf meine Nachricht wegen dem Blind Date mit Tom geantwortet hast?«

Um etwas Zeit zu gewinnen, füllte ich meine zierliche Tasse mit Himbeer-Rooibos-Tee auf. »Du weißt doch, dass ich die Liebe meines Lebens lieber auf die altmodische Art kennenlerne. Indem ich Briefe an meine Highschool-Schwärme schreibe und dann aus Versehen verschicke oder mit meiner besten Freundin einen Heiratspakt schließe, für den Fall, dass wir beide mit dreißig noch Single sind – was auch immer zuerst eintrifft. Also, was meinst du, Beth? Du und ich in zwei Jahren?«

Jesse umklammerte ihre Teetasse mit beiden Händen und trank sie mit einem lauten Schlürfen aus. »Ist schon okay, E. Ich weiß, du hättest mich gewählt, wenn Steven nicht schneller gewesen wäre.«

»Sich von Freunden und Verwandten verkuppeln zu lassen, ist die altmodische Art, Elise. So haben es schon unsere Vorfahren gemacht«, beharrte Beth. »Ich mag Tom. Er kann gut backen.«

Jesse kicherte. »Weiß Ethan, dass du Toms Kuchen gekostet hast?«

Ich verzog das Gesicht – sowohl wegen des Verkupplungsversuchs als auch wegen dieser Anspielung. »Ich habe momentan keine Zeit für eine Beziehung.« Das genügte als Argument allerdings nicht, denn Beth war fest entschlossen, das Ganze durchzuziehen.

»Er ist nett«, sagte sie.

Ich zuckte mit den Schultern. »Das ist mein Postbote auch, aber deswegen brenne ich noch lange nicht mit ihm durch.«

»Tom kann kochen.«

Ich nippte an meinem Tee. Ich konnte ebenfalls kochen, falls es zählte, Mahlzeiten meiner Mom in der Mikrowelle aufzuwärmen.

»Er arbeitet hart«, fügte Beth hinzu.

»Das will ich hoffen.«

»Er ist süß.«

Ich warf ihr einen wissenden Blick zu. Beth hatte das schon öfter erwähnt, ohne allerdings ein Foto von ihm vorweisen zu können, weil Tom in dieser Hinsicht angeblich schüchtern war. In Wahrheit also hässlich. Das war der Preis, den ich als einziger Single in unserer Clique zu zahlen hatte. Wahrscheinlich dachten meine Freundinnen, dass ich es hasste, das siebte Rad am Wagen zu sein, dabei hatte ich wirklich kein Problem damit, auf den Richtigen zu warten. Nachdem ich Zeugin davon geworden war, wie meine Eltern bis zum bitteren Ende krampfhaft an ihrer unglücklichen Ehe festgehalten hatten, hatte ich es nicht eilig, eine Beziehung zu führen.

Eigentlich hatte ich gedacht, dass nach ihrer Scheidung eine neue Art von Harmonie einkehren würde, doch inzwischen waren zwei Jahre vergangen und unsere neue Normalität fühlte sich noch immer nicht normal an. Mein Vater hatte beschlossen, die meiste Zeit wieder in Vietnam zu verbringen, er war also selten da. Und meine Mutter hätte niemals zugegeben, dass sie deprimiert war. Aber wie sonst sollte man es bezeichnen, dass sie sich jeden Abend nach der Arbeit in ihrem Zimmer verschanzte? Wir wohnten im selben Haus, aber ich sah sie nur selten.

Doch zumindest gab es erste Anzeichen dafür, dass sie sich langsam etwas erholte. Sie verbrachte inzwischen viel Zeit mit ihren Freunden von der Teochew Association. Ich hoffte, dass sich das Blatt bald wenden würde.

»Ein andermal«, sagte ich und wechselte erneut das Thema. Schließlich las ich genug AmITheAsshole-Posts auf Reddit, um zu wissen, dass jede Menge Freundschaften draufgingen, weil man Braut und Bräutigam nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt hatte. »Heute sind wir hier, um Rebeccas bevorstehende Hochzeit mit Mark zu feiern. Ist es nicht an der Zeit, die Geschenke zu öffnen?«

Rebecca schnappte nach Luft und sprang von ihrem Stuhl auf. Sie war die einzige Frau, die ich kannte, die sich darauf freute, in aller Öffentlichkeit Dessous herumzuzeigen.

»Ich weiß, was du da machst.« Mit spitzen Fingern griff Beth nach einem Earl-Grey-Macaron.

»Ich weiß es ebenfalls«, sagte ich. Vielleicht sprach da die Optimistin in mir, aber die wahre Liebe war es wert zu warten. Ich glaubte daran, dass mein Traummann irgendwo da draußen war, und das reichte mir fürs Erste.

2. Kapitel

Es wird um die Ehre Ihrer Anwesenheit

bei der Hochzeit von

Rebecca Yu und Mark Kim

gebeten.

Samstag, 3. Juni,

17 Uhr

Ellery-Anwesen

Pasadena, Kalifornien

Empfang im Anschluss

Immer wenn ich gestresst war, versuchte ich zu lächeln. Wie ich einmal gehört hatte, konnte man sich auf diese Weise selbst überlisten und fühlte sich glücklicher. Meistens funktionierte das auch, und ich machte es schon so lange, dass ich gar nicht mehr darüber nachdachte. Mein konstantes Lächeln hatte mir schon über alle möglichen Probleme hinweggeholfen. Natürlich war es kein Allheilmittel, nicht alles konnte durch ein Lächeln gelöst werden, doch half es mir, zumindest so lange durchzuhalten, bis die Situation überstanden war. Aus diesem Grund zauberte ich ein Lächeln auf mein Gesicht, obwohl ich ernsthaft darüber nachdachte, meine Cousine und meinen Cousin zu feuern.

Es steht euch frei zu gehen. Könnt ihr bitte das Gelände verlassen?

Ihr seid gefeuert. Verschwindet.

Lediglich rein professioneller Anstand hielt mich davon ab, meine Gedanken laut auszusprechen, als Tiffany und Kelvin sich zum Rauchen davonschlichen, während ich die millionste Rose an der Wand hinter dem Sweetheart-Table feststeckte.

Sie hatten auch keine Reue gezeigt, weil sie zu spät gekommen waren. Ich mochte sie sehr, keine Frage, aber sie waren einfach nicht in der Lage gewesen, meine gewissenhaft gefertigte Dekoration behutsam auf den Tischen zu verteilen. Stattdessen hatten sie die goldenen, mit zartrosa englischen Rosen und weißen Hortensien geschmückten Kerzenleuchter derart auf jeden Tisch geknallt, dass die polierten Gläser und das Tafelsilber verrutscht waren und überall Blütenblätter herumlagen.

Trotzdem konnte ich sie nicht feuern. Wie hätte ich das Tante Mabel erklären sollen, die mir die beiden Teenager als Helfer vorgeschlagen hatte, weil ich mich bei unserem letzten Familienessen dummerweise leicht betrunken über meine enormen Fixkosten beschwert hatte? Außerdem waren sie Studenten und bereit, schwarz zu arbeiten. Tante Mabel wollte genauso wie ich, dass ich mir meinen Traum verwirklichte. Sie war auch der Grund, warum ich mich überhaupt in Blumen verliebt hatte.

Dabei hatte Tante Mabel damals nicht einmal an ein Blumenmädchen gedacht. Es war reiner Zufall, dass mein siebenjähriges Ich das bauschigste, kratzigste weiße Tüllkleid trug, das meine Mutter hatte finden können. Da meine Großmutter und Großtanten mich als Tante Mabels Miniversion betrachteten, sollte ich zum innersten Kreis der Hochzeit gehören. Und Tante Mabel stimmte zu, denn mit sieben Tantchen konnte man nicht streiten. Zu viel Druck.

Ich für meinen Teil nahm die Rolle sehr ernst. Wie hätte es auch anders sein können? Meine Tante sah in ihrem weißen Kleid mit den Glockenärmeln und dem glitzernden Diadem im Haar wie eine Prinzessin aus, als sie mir die besondere Aufgabe übertrug, ihr voranzuschreiten. Ich sollte Rosenblüten auf den Weg streuen, damit dieser ihrer zart beschuhten Füße wert war. Und das tat ich. Ganz behutsam verstreute ich unter dem Oooh und Aaah der Gäste rote Rosenblätter, als wollte ich sie alle damit verzaubern.

In Wirklichkeit war ich es, die sich von dem ganzen Hochzeitsspektakel verzaubern ließ. Alle trugen ihre schönsten Kleider an diesem ganz in Rot gehaltenen Tag. Rote Umschläge, rote Kerzen, rote Teetassen, rote Qipaos, roter Festsaal. Es war ein so gewaltiges Freudenfest, dass sogar Verwandte mit langjährigen Fehden für einen Abend ihre Streitigkeiten vergaßen, um die Zusammenführung der Familien zu feiern und unendliche Gänge köstlichen Essens zu genießen.

Bis heute, einundzwanzig Jahre später, erinnere ich mich an diesen perfekten Tag. Ich kann sogar noch den billigen Moschusduft riechen, mit dem die chinesische Hochzeitseinladung meiner Tante parfümiert gewesen war.

Die Hochzeit von Tante Mabel und Onkel Leo war perfekt. Die beiden verband eine ewige Liebe, aus der meine bescheuerte Cousine und mein nicht weniger bescheuerter Cousin hervorgegangen waren.

Großer Gott. Hatten sie wirklich ihre Zigaretten an der Hauswand ausgedrückt? Besaßen sie denn gar kein Schamgefühl?

Das Ellery Estate war der Inbegriff von Art-déco-Eleganz, und der große Ballsaal mit seinen stoffverzierten Decken, den Kristallleuchtern und dem Blick in den weitläufigen Garten bildete da keine Ausnahme. Ich joggte zum Innenhof, bevor sie das Anwesen noch weiter verunstalten konnten.

»Hey, Leute. Gute Arbeit heute«, sagte ich lächelnd und mit einer so süßlichen Stimme, dass eigentlich ein paar Vögelchen auf meiner Schulter hätten landen müssen, um meine Lüge mit ihrem Gezwitscher zu untermalen. Ich hasste mich dafür, dass ich es mir so leicht machte. Rebecca würde sagen, ich solle bitte nicht nett, sondern direkt sein. Doch was ich in meinem Kopf tatsächlich hörte, war Jesses Stimme. Und sie beteuerte, dass diese Idioten verschwinden mussten. »Ich übernehme ab jetzt. Ihr könnt nach Hause gehen.«

»Ja!« Kelvin strahlte über das ganze Gesicht. »Du wirst das aber nicht unserer Mutter sagen, oder? Ich will mich mit meinen Freunden treffen.«

»Ich auch«, ergriff Tiffany das Wort und sah mich mit großen, flehenden Anime-Augen an.

Ich seufzte. Zwar war ich an diesem Tag eigentlich ihre Chefin, aber warum nicht? Gut, sie waren mir keine große Hilfe gewesen, aber sie waren auch keine Kids, die schnell in Schwierigkeiten gerieten. Wie viel Schaden konnte Kelvin schon anrichten, der Socken zu seinen Adiletten trug, oder Tiffany, die ständig damit beschäftigt war, TikToks anzuschauen? »Okay. Viel Spaß.«

Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, schickten die beiden bereits Nachrichten an ihre Freunde. Dann, nachdem sie ihre Pläne bestätigt bekommen hatten, sahen sie zu mir auf. Warum waren sie noch hier? Was wollten sie noch? Ach ja, richtig. »Ich habe im Moment kein Bargeld bei mir und werde euch euren Lohn später über Venmo schicken.«

»Hundert Dollar für jeden, richtig?«, fragte Tiffany, als ich sie zu ihrem Auto begleitete.

Die unnötigste Ausgabe, die ich je getätigt hatte! »Ja. Fahrt vorsichtig!« Ich winkte ihnen nach, als sie über die lange, von Bäumen gesäumte Auffahrt hinunterfuhren, dann kehrte ich zum Ballsaal zurück. Der größte Teil der Arbeit war getan, wobei ich mich jetzt um das Chaos kümmern musste, das die beiden hinterlassen hatten.

Mein Handy klingelte wie bereits vorher alle fünfzehn Minuten. Rebecca hatte einen detaillierten Zeitplan für diesen Tag aufgestellt. Wäre sie nicht eine meiner besten Freundinnen gewesen, hätte ich sie als Brautzilla bezeichnet, aber so war sie eben einfach nur Rebecca. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte ich in zehn Minuten in der Brautsuite für Haare und Make-up zu erscheinen. Ich verstaute mein Handy in der Werkzeugtasche, bereit, nach oben zu gehen, als mein Blick auf den leeren Geschenktisch in der dunklen Ecke neben dem Eingang fiel. Verdammt noch mal.

Die meisten Bräute bestellten für den Gabentisch nur eine kleine Vase mit Blumen, wenn überhaupt. Rebecca war jedoch nicht wie die meisten Bräute, sie hatte genaue Anweisungen gegeben. Sie und Mark hatten die Gäste gebeten, ihnen nichts zu schenken, sondern stattdessen für das California Conservation Center zu spenden, um dessen Öffentlichkeitsarbeit Rebecca sich kümmerte. Ein einfacher Tisch reichte dafür nicht, sie wollte eine Deko, die an »ein Korallenriff, aber besser« erinnerte. »Weniger Findet Nemo und mehr Bali-Resort.«

Was zur Hölle wusste ich Pleitegeier schon über einen Urlaub auf Bali? Nichts.

Eine Meereslandschaft mit Rebecca zu entwerfen, hatte mich gelehrt, was ihr alles nicht gefiel. Die Liste umfasste Muscheln und Seesterne (weil zu offensichtlich), tropische Blumen (weil die nicht zu den elfenbeinfarbenen und blassrosa Hochzeitsblumen passten) oder jede andere Dekoration, bei der einem spontan Matrosenlieder eingefallen wären. Das hatte mir nicht viel Spielraum gelassen, doch bei jeder kreativen Blockade war ich zurück ans Zeichenbrett gegangen.

Was war der wahre Zweck dieses Tisches?

Dann hatte es irgendwann klick gemacht.

Es ging nicht darum, die Gäste zu beeindrucken, indem ich Chrysanthemen als Seeanemonen verwendete, nein, ich wollte durch meine Blumenarrangements sauberes Wasser darstellen, sodass es die Gäste zu großzügigen, steuerlich absetzbaren Spenden inspirierte. Und natürlich die Umwelt rettete.

Und so war mir die perfekte Lösung eingefallen – hoch aufragende zylindrische Glasvasen mit weißen Sandsteinen am Boden und mit grünen, ins Wasser getauchten Farnen. Die blauen Scheinwerfer sollten ein Gefühl von Ehrfurcht verbreiten, das mich auch jedes Mal beim Besuch des örtlichen Aquariums überkam. Wie klein ich mich fühlte, wenn ich den Kopf zurücklegte, um einen Fischschwarm zu beobachten, wie er hinter einem riesigen Seetangwald verschwand. Rebecca war von der Idee begeistert gewesen, und die Ausführung schien mir einfach genug. Vase. Steine. Wasser. Farne. Was ich jedoch nicht bedacht hatte, war, woher ich genug Wasser bekommen sollte, um die verdammten Dinger zu füllen.

Ich lud die Vasen auf meinen Rollwagen und platzierte in jeder eine Handvoll weiße Steine und Farne. Dann zog ich den Wagen rückwärts über die Tanzfläche und vorbei an den Schwingtüren zur Küche. Vielleicht würde der Manager mir erlauben, die Vasen am Spülbecken zu füllen.

»Entschuldigung.« Ich versuchte, die Aufmerksamkeit von jemandem – von wem auch immer – auf mich zu lenken, dabei hielt ich die Hand in die Höhe, um größer zu wirken. Doch nicht eine einzige Person hob den Blick. Wegen des geschäftigen Küchenlärms hörte mich niemand. Pfannen mit Gemüse wurden in den heißen Ofen geschoben. Hilfsköche schnippelten fleißig Minzblätter, mischten Soßen und filetierten Steaks für vierhundert Gäste. Keiner bemerkte, dass ich überhaupt da war. Manchmal betrachtete ich meine Fähigkeit, im Hintergrund zu verschwinden, als Superkraft, doch in diesem Moment war sie eher hinderlich.

Kurz entschlossen zog ich den Wagen zu dem leeren Spülbecken aus rostfreiem Stahl. Normalerweise hielt ich mich immer an die Regeln des Veranstaltungsortes, aber heute durfte ich weder als Floristin noch als Brautjungfer versagen, um die Braut nicht zu verärgern. Die Braut bekam, was sie wollte. Davon einmal abgesehen hatte ich das Ellery Estate bereits unzählige Male wie Gatsbys feuchten Traum dekoriert. Ich war hier praktisch eine Angestellte. Mit dem Sprühkopf füllte ich die Vasen und sah zu, wie das Grünzeug zu tanzen begann, als das Wasser nach oben stieg.

»Darfst du überhaupt hier sein?«

Die schroffe Stimme kam aus dem Nichts und ließ mich zusammenfahren. Als ich aufsah, entdeckte ich einen Mann, der eine kurzärmelige schwarze Kochjacke, schwarze Hosen und die hässlichsten käseorangefarbenen Crocs aller Zeiten trug. Das Ganze sah nicht nach der Uniform des Küchenpersonals vom Ellery Estate aus, somit musste es sich bei ihm um den Caterer handeln, den Rebecca angeheuert hatte, um chinesische Appetithäppchen für die Cocktailstunde bereitzustellen.

»Ich bin hier bald fertig, Boss«, sagte ich höflich, obwohl dieser Typ wahrscheinlich gar keine Autoritätsperson in dieser Küche war. Er hatte etwas Vertrautes an sich, das ich nicht ganz zuordnen konnte, aber damit hielt ich mich nicht lange auf. Der Kreis der Leute, die in der Hochzeitsbranche arbeiteten, war übersichtlich, sodass die Chancen, dass wir bereits auf einer oder zwei Hochzeiten zusammengearbeitet hatten, gut standen.

Sein Gesicht war allerdings sehr attraktiv. Es hatte diese Der-Junge-von-nebenan-Qualität mit zarten Bartstoppeln, die seinen markanten Kiefer betonten. Ein Gesicht, an das ich mich sicher erinnert hätte.

»Kann ich deinen Ausweis sehen?«, verlangte er.

Nun, das war nicht sehr kollegial von ihm. Ich füllte die letzte Vase und wollte wieder verschwinden, ohne eine Szene zu machen. »Ich habe meinen Ausweis nicht dabei«, antwortete ich entschuldigend.

Den hatte ich oben in der Hochzeitssuite gelassen, weil ich nicht damit gerechnet hatte, mich tatsächlich ausweisen zu müssen, nachdem ich schon im Morgengrauen auf dem Parkplatz Blumensträuße und Ansteckblumen zusammengebunden hatte. Was ja wohl noch nie eine Bedrohung für jemanden dargestellt hatte. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest …« Ich zerrte meinen Rollwagen Richtung Ausgang. »Ich muss noch Blumen aufstellen.«

»Du siehst mir nicht wie eine Floristin aus.« Er betrachtete meinen Undercut und meinen tätowierten Arm, gut sichtbar in dem ärmellosen weißen Oberteil. Dann warf er einen flüchtigen Blick auf meine grauen Jeans und Doc Martens. Das hätte schmeichelhaft sein können, wenn ich mich nicht wie bei einer polizeilichen Gegenüberstellung gefühlt hätte.

»Nun, bin ich aber.« Was glaubte er, wie Floristinnen aussahen? Dass sie wie Feen in Ballkleidern herumhüpften und mit ihren Zauberstäben herumwedelten, damit inmitten eines sterilen Konferenzraumes ein Garten erschien? Es spielte keine Rolle, was ich anhatte oder wie ich aussah, denn Teil der Magie war es, gar nicht erst gesehen zu werden.

Er folgte mir nach draußen, um Antworten zu bekommen, was meine Geduld ziemlich auf die Probe stellte. Was gab es noch zu sagen? Ich hatte weder Zeit noch Lust, mich ihm gegenüber zu rechtfertigen, zumal er mir wahrscheinlich sowieso nicht geglaubt hätte, dass ich schon aufwendigere Blumeninstallationen für protzigere Orte als das Ellery Estate kreiert hatte.

»Du willst mir also erzählen, dass du das alles gemacht hast.«

»Ich hatte Hilfe«, antwortete ich, während ich an den Geschenktisch heranfuhr. Ich reagierte nicht auf seine Ungläubigkeit, weil ich in diesem beruflichen Umfeld Höflichkeit bewahren musste, und bückte mich, um die erste Vase hochzuheben.

»Sieht ganz danach aus, als könntest du auch jetzt Hilfe brauchen«, sagte er, machte jedoch keine Anstalten, mir zur Hand zu gehen.

Ich widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen, als ich mühelos die erste Vase auf den Gabentisch stellte. Angesichts meiner zierlichen Statur nahmen die Leute immer an, dass ich so zart war wie die Blumen, mit denen ich arbeitete. Dabei war ich viel stärker, als ich aussah. Ich brauchte nicht einmal ins Fitnessstudio zu gehen, da ich jeden Tag in meinem Atelier Eimer voller Blumen herumtrug und auf Leitern kletterte, um prächtige Blumenarrangements an Pavillons, Mandapas und Rundbögen anzubringen – oder wo auch immer die Leute heutzutage ihre lebenslange Treue kundtun wollten. Dagegen war so eine Vase gar nichts.

Es gelang mir, den Tisch zu dekorieren, ohne auch nur einen Tropfen Wasser auf dem weißen Leinentischtuch zu verschütten. Bevor ich dem Typen siegessicher ins Gesicht grinsen konnte, entdeckte ich, als ich mich nach der letzten Vase bückte, einen Eindringling: eine kleine weiße Muschel, die ganz unten am Boden lag.

Vielleicht bemerkt Rebecca sie nicht. Aber wem wollte ich da eigentlich etwas vormachen? Die Frau hatte einmal ein brandneues Paar Louboutins wegen eines winzigen Kratzers auf der Sohle zurückgegeben – eine vollkommen normale Stelle für Kratzer.

»Fuck me«, zischte ich und warf mich auf den Boden, um einen besseren Blick auf die Muschel zu erhaschen.

»Wie bitte?« Der Typ sah regelrecht entsetzt aus und blickte sich um, als erwartete er, dass ihm jemand einen Streich spielte.

Ich lachte leise. Hatte ich sein zartes Gemüt verletzt? Die Köche, die ich kannte, verteilten ihre Fucks überall wie Petersilie. Der Typ wirkte ein wenig zu weich für eine Küche, eher wie einer, der vor Hitze ohnmächtig werden könnte. Doch ich hatte keine Zeit, mich näher mit ihm zu beschäftigen, und steckte stattdessen so weit wie möglich den Arm in das kalte Wasser. »Ich muss diese Muschel da rausholen.«

»Was stimmt nicht mit ihr?« Der Typ schniefte etwas und trat von einem Fuß auf den anderen, als er sich wieder umdrehte, um einen Blick in den Raum zu werfen. »Sieht doch okay aus. Ich bezweifle, dass irgendjemandem ein so unbedeutendes Detail auffallen würde.«

»Erzähl das mal der Braut«, murmelte ich. Das Husten des Typs klang wie ein Lachen. »Willst du nur rumstehen, oder was? Ich habe es eilig, und du siehst aus, als hättest du längere Arme als ich«, rief ich verzweifelt. »Meinst du, du kommst da ran?«

Der Typ kniete sich neben mir auf den Boden. Sein Haar fiel nach vorn, als er den Kopf senkte, um einen genaueren Blick auf das Objekt meines möglichen Niedergangs zu werfen. Dann, während er über seine Antwort nachdachte, sah er mir in die Augen. Ich konnte nicht umhin, den Kontrast zwischen seiner glatten Haut und dem Gestrüpp, das seinen Mund umrahmte, zu bemerken. Was für eine Verschwendung eines attraktiven Gesichts!

»Ähm …« Seine Augen weiteten sich etwas. »Ich …« Er räusperte sich und schluckte, als er den Blick abwandte. »Ich kann’s versuchen, wenn du deinen Arm rausnimmst.«

Mein Arm … steckte noch in der Vase. Ich zog ihn heraus und wischte ihn ohne nachzudenken an meinem weißen Tanktop ab. Was ein Fehler war. Ich hatte ganz bewusst keinen BH angezogen, wohl wissend, dass ich mich später wie eine Wurst in einen Spanx-Bodysuit quetschen musste. Nur so passte ich in das enge Satin-Brautjungfernkleid, das ich eine Nummer zu klein bestellt hatte, weil ich dachte, es würde mich motivieren, Sport zu treiben. Doch jetzt sah ich aus, als wollte ich einen Wet-T-Shirt-Wettbewerb gewinnen, und dieser Typ, den ich gerade erst kennengelernt hatte, war direkt auf Augenhöhe mit meinen Brustwarzen.

Was viel, viel schlimmer war, als durch Rebeccas Zorn das Zeitliche zu segnen. Ich vermied es, ihm ins Gesicht zu sehen, während ich die Sweatshirtjacke von meiner Taille löste, hineinschlüpfte und den Reißverschluss ganz nach oben zog. Ich hielt die Vase fest, während der Typ seinen muskulösen Arm mit einer Gelassenheit hineintauchte, als ob er das schon öfter gemacht hätte. Die Art und Weise, wie er den Arm anmutig um das Grün herummanövrierte, glich einer perfekten Choreografie.

»Argh, ich hatte sie fast.« Der Typ kratzte sich das Stoppelkinn. Ich fand es begrüßenswert, dass er sich in den Anblick der Vase vertiefte, und nur zu gern hätte ich ihm weiter bewundernd dabei zugesehen, wie er die lästige Muschel anstarrte, aber mein Handy in der Werkzeugtasche klingelte erneut. Ich hinkte jetzt ganz offiziell dem Zeitplan hinterher.

»Ist schon gut.« Ich musste mich für das Hochzeits-Fotoshooting fertig machen. Wenn ich Glück hatte, konnte ich noch schnell duschen. »Ich muss los.«

»Warte.« Der Typ griff in die Tasche an seinem Ärmel, die ich vorher nicht bemerkt hatte. »Aha«, sagte er leise und zeigte auf das metallene Utensil in seiner Hand.

»Essstäbchen?«

»Servierzange«, klärte er mich auf. »Und die Antwort auf dein Problem.« Wieder tauchte er den Arm ins Wasser, und es gelang ihm beim ersten Versuch, die Muschel aufzuheben. Dann hielt er sie mir hin, als würde er mir einen Bissen Essen anbieten.

»Danke«, sagte ich, steckte die Muschel ein und hob die Vase vom Boden auf. Der Typ schob Gästebuch und Verlobungsporträt von Rebecca und Mark zur Seite, damit ich sie auf den Tisch stellen konnte. »Danke«, sagte ich noch einmal. Am Ende war er doch hilfreich gewesen.

»Kein Problem«, antwortete der Typ, während er die anderen Sachen wieder an ihren ursprünglichen Platz stellte. »Unvorstellbar, was für eine Krise diese Muschel ausgelöst hätte.« Und gerade als ich dachte, ich wäre nur eine Witzfigur für ihn, überraschte er mich mit der Frage: »Kann ich deine Visitenkarte haben?«

Ich zögerte. Es war zwar durchaus üblich, dass man in der Branche Visitenkarten austauschte und sich gegenseitig weiterempfahl, doch war ich mir nicht sicher, was es mit diesem Kerl auf sich hatte. Niemand sonst fragte mich nach meinem Ausweis oder starrte mich mit Augen in so einem attraktiven Gesicht an, bis ich mich wie in einem verträumten Wong-Kar-Wai-Film fühlte. Diese verdammte blaue Beleuchtung spielte mir einen Streich. Ich durfte mich nicht von diesem unhöflichen Mann verzaubern lassen, auch wenn er wie ein himmlisches gegrilltes Käse-Sandwich roch, hergestellt aus guter Butter und selbst gebackenem Brot.

»Ich habe keine Visitenkarten dabei«, gab ich zurück. Ein Anfängerfehler meinerseits. »Ich kann dich auf Social Media hinzufügen. Meine Accounts sind mit meiner Website verlinkt.« Es konnte nie schaden, neue Verbindungen zu knüpfen, und wenn ich erst einmal seinen Namen wusste, konnte ich herausfinden, was genau er eigentlich trieb.

»Ich bin auf keiner Social-Media-Plattform«, antwortete er knapp, als wäre allein die Idee unter seiner Würde. Herrje. Na gut.

»Okay, dann vielleicht deine Firma?«

Der Typ runzelte verwirrt die Stirn. Sprachen wir zwei verschiedene Sprachen oder so was?

»Vergiss es. Ich kann dir meine Nummer geben, falls du mal eine Empfehlung hast.« Ich bedeutete ihm, mir sein Handy zu reichen. »Das ist meine Handynummer.«

»Gibst du deine Nummer immer so schnell raus?«

Wow, und schon bereute ich es. »Ja. Muss ich. Ich bin viel unterwegs.«

Der Typ schaute auf sein Handy, nachdem ich es ihm zurückgegeben hatte. »Elise?«

»Das bin ich.« Ich hob die Augenbrauen, als ich die Überraschung in seiner Stimme registrierte. »Elise Ngo von Elise Ngo Floral Design. Das kann man sich leicht merken.« Hatte ich zumindest gedacht, als ich mein Atelier nach mir benannte. Nie hätte ich mir vorstellen können, wie oft Kunden innehalten würden, sobald sie meinen Nachnamen lasen. Ich verstand nicht, was daran so schwierig sein sollte. Er wurde genauso ausgesprochen, wie man ihn schrieb. Das ng klang exakt so wie jedes Wort, das auf ng endete, wie Ding, nur mit einem o am Ende. Drei Buchstaben, eine Silbe. Und nicht der Zungenbrecher, den die Leute daraus machten.

Ich habe versucht, nicht von der falschen Aussprache genervt zu sein. Mein Geschäft nach mir zu benennen, sollte die Welt wissen lassen, dass das Studio mir ganz allein gehörte. Nachdem ich meine Stelle als Blumendesignerin bei Filigree Events gekündigt hatte, wo ich Blumen für Produkteinführungen und Filmpremieren arrangiert hatte, gründete ich meine eigene Firma, um mich auf Hochzeiten zu konzentrieren, meine wahre Berufung. Alle Entwürfe und handwerklichen Arbeiten waren meine – die Kredite und Rechnungen leider Gottes auch.

Plötzlich entspannte sich der Typ, ja, wirkte fast ein wenig zerknirscht. »Du bist …«

»Ich habe dich schon überall gesucht!«

Der Typ und ich drehten uns um und sahen, wie Ethan Scott, einer der Trauzeugen, außer Atem in den Raum joggte. Ethan hatte diese Rockabilly-Frisur, was uns alle glauben ließ, dass er immer einen Kamm in seiner Gesäßtasche mit sich führte. Sie passte gut zu seinem schwarzen Smoking. »Rebecca hat uns auf eine fast aussichtlose Suche nach dir geschickt. Warum gehst du nicht ans Telefon?«

»Ich bin hier gerade fertig geworden. Ich komme schon«, antwortete ich.

Nur dass Ethan nicht mich, sondern den Typen ansah und der Typ seinen Blick erwiderte und dabei mit dem Kiefer mahlte. Zuerst dachte ich, der Typ würde Ethan abschätzig mustern, doch er verdrehte die Augen, klatschte Ethan ab und zog ihn in eine Art Umarmung. »Glaubt Becks vielleicht, dass es den ganzen Tag dauert, einen Anzug anzuziehen?«

Becks?

Nur ihre Familie nannte Rebecca »Becks«. Erst da bemerkte ich, dass die Augen des Typen auf dieselbe Weise funkelten wie die von Rebecca, wenn sie lächelte. Wie hatte ich das übersehen können?

»Ben?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte.

Der Typ war Ben Yu, Rebeccas jüngerer Bruder, und – verdammt – er hatte meine Nippel gesehen.

»Wie schön, dich endlich kennenzulernen«, sagte ich und vergrößerte den Abstand zwischen uns. Eigentlich wollte ich mit dieser Begrüßung kein Urteil fällen, andererseits hatte Ben sowohl die Verlobungsparty als auch die Wedding Shower verpasst und es Rebecca und ihren Eltern überlassen, Ausreden für ihn zu erfinden. Das wiederum hatte ungerechtfertigten Stress für Rebecca bedeutet, und wenn es etwas gab, das sie an ihrem Hochzeitstag nicht gebrauchen konnte, dann war es Stress.

»Ich bin direkt nach dem Frühstücksservice im Bistro Ynez hergekommen«, erklärte Ben, als ob das eine Rolle gespielt hätte.

»Ich dachte, du hättest dein Praktikum beendet«, entgegnete Ethan.

Sie taten sich keinen Gefallen damit, herumzustehen und gemütlich zu quatschen.

»Ich muss jetzt wirklich gehen«, entschuldigte ich mich. Auf dem Weg nach draußen schnappte ich mir meine Werkzeugtasche.

»Bis gleich«, rief Ben noch, bevor ich auf den Flur hinaustrat.

O Mist. Er hatte auf die Fotos angespielt, die in fünfundvierzig Minuten gemacht werden sollten. Und dann wurde mir noch etwas klar: Ich würde den Rest des Tages mit ihm verbringen müssen.

3. Kapitel

Ground Zero für die Hochzeitsgesellschaft befand sich in einem privaten Cottage auf der anderen Seite des Gartens, wo die Zeremonie stattfinden sollte. Es war über hundert Jahre alt, ausgestattet mit schweren Mahagonimöbeln und Porzellanvasen, die den alten gemauerten Kamin schmückten. In der Suite schien alles in Bewegung zu sein, und die Atmosphäre war geschwängert von unbändiger Hochzeitsvorfreude. Marks Mutter drängte sich in ihrem blauen Hanbok an mir vorbei, um sich in dem Ganzkörperspiegel zu betrachten. Das Haar- und Make-up-Team, ganz in Schwarz gekleidet, arbeitete gerade an Rebecca. Jesse und Beth kämpften um die Ablageflächen im Badezimmer, beide trugen ihre maßgeschneiderten Satinbademäntel mit der Aufschrift »Yu Crew« auf dem Rücken. Zwar tröstete es mich etwas, dass noch keine der Brautjungfern angezogen war, nichtsdestotrotz war ich nicht in Sicherheit, da Rebecca ein Gehör wie eine Fledermaus hatte.

»Elise! Du bist zu spät«, meinte sie und schloss die Augen, während eine Visagistin ihr falsche Wimpern anklebte. Sie klang beherrscht, denn es waren andere Leute anwesend.

»Es gab eine Panne mit dem Geschenktisch, aber ich habe mich darum gekümmert.« Da ich mich nirgends ausziehen konnte, warf ich mir meinen Yu-Crew-Bademantel über und entledigte mich meiner Kleidung, ohne den Blicken der anderen ausgesetzt zu sein. Da Rebeccas Augen noch geschlossen waren und alle offenbar zu spät dran waren, schlich ich auf Zehenspitzen in Richtung Badezimmer, damit die Braut mir keine Aufgabe zuweisen konnte. Ich huschte an Jesse und Beth vorbei, warf den Bademantel ab, sprang in die Badewanne und zog die Vorhänge zu.

»Ich habe deinen Hintern gesehen!«, rief Jesse, als ich das Wasser aufdrehte, was Beth zum Kichern brachte. So war Jesse Lo. Niemals ließ sie sich von einer kultivierten Umgebung oder vornehmen Leuten davon abhalten, sich so unreif wie nur möglich aufzuführen.

»Gern geschehen«, erwiderte ich und klatschte mir das Duschgel des Hotels auf die bloßen Hände. »Wie kommt es, dass noch niemand fertig ist?«

»Hey, bitte etwas Nachtsicht. Hab den Wecker nicht gehört«, grummelte Beth, und ihre schläfrige Stimme wurde leiser, als sie das Bad verließ. Sie musste bis spät in die Nacht gelernt haben, denn sie versprach sich gern, wenn sie im Lernmodus war. Einmal war sie ganz außer Atem in unsere Lerngruppe gestürmt, weil der Aufzug kaputt war und sie drei »Fachwerke« hatte hochsteigen müssen. Fairerweise muss man sagen, dass drei Stockwerke hinaufzusteigen für mich tatsächlich nach einer Notlage klang.

»Und ich stehe erst auf, wenn Beth aufsteht«, sagte Jess, als ob das eine einleuchtende Aussage wäre. Schließlich hielt sie jeden Morgen um sechs Uhr eine Trainingsstunde in ihrem Fitnessstudio Lo’s Health and Fitness ab. Sie hatte nur verschlafen, weil sie ihre Zeit mit dieser versnobten Angelegenheit hier vertrödeln musste – ihre Worte, nicht meine. Beth hingegen hatte eine legitime Entschuldigung.

Ich massierte einen Klecks Hotelshampoo ins Haar ein. Es hatte einen moschusartigen Duft, der laut Etikett auf der Flasche von Orangenblüten stammen sollte. »Hat Rebecca niemanden beauftragt, euch zu wecken?«

»Du weißt, warum«, flüsterte Jesse, damit ihre Stimme nicht von den Wänden des Badezimmers widerhallte. Rebecca hatte bei Beth Fluchtgefahr befürchtet, als sie herausgefunden hatte, dass diese für ihre Prüfung lernen musste. Seit dem ersten Semester im College war Beth dafür berüchtigt, einfach zu verschwinden, wenn Klausuren anstanden.

»Niemand hat je von einer entlaufenen Brautjungfer gehört«, hatte Beth damals beschwichtigend gesagt, als Rebecca uns bat, ihre Brautjungfern zu sein. Keine von uns hätte jemals abgelehnt. Unser Band war durch zehn Jahre existenzieller Krisen, Trennungen und nächtlicher Karaoke-Auftritte viel zu gefestigt. Wir konnten uns aufeinander verlassen, egal wie ungelegen etwas kommen mochte – in diesem Fall eine Hochzeit wenige Wochen vor der schwierigsten Prüfung in Beths bisherigem Leben. Aber bestimmt hatte Rebecca auch bemerkt, dass Beth nach zwei Jahren Nachtschichten ziemlich mitgenommen aussah.

Nachdem ich mir die Haare gewaschen hatte, trocknete ich mich ab, zog den Bademantel an und schnürte den Gürtel eng um meine Taille. Jesse lehnte sich zu mir herüber und flüsterte: »Verrat’s nicht Rebecca, aber Beth hat vergessen, ihre Rede zu schreiben. Ich musste ihr helfen.« Ich hob eine Augenbraue, eine stumme Warnung, die Jesse verstand. »Mach dir keine Sorgen. Sie ist unschuldig und langweilig. Keine schlüpfrigen Anekdoten, ich schwör’s.«

Ich beschloss, Jesse zu glauben. Die Gästeliste für diese Hochzeit ging weit über Freunde und Familie hinaus. Es waren auch Rebeccas und Marks Kollegen zu berücksichtigen, außerdem die politischen Freunde von Rebeccas Eltern. Und die waren definitiv kein Publikum, das von unseren Eskapaden in angetrunkenem Zustand erfahren sollte.

Ich nahm zwischen Beth und Rebecca Platz, als eine Visagistin und einige mit Föhnen und Lockenstäben bewaffnete Hairstylisten hereinkamen.

»Der Fotograf will ein Bild von euch dreien machen, wie ihr mir ins Kleid helft, aber niemand ist fertig«, meckerte Rebecca. Dabei handelte es sich ganz offensichtlich um diese völlig normale Vor-Hochzeits-Aufregung.

Ich legte ihr die Hand auf den Arm, in der Hoffnung, dass die Wärme ihren eisigen Tonfall dahinschmelzen lassen würde.

»Wo ist er jetzt?« Jesse schnitt eine Grimasse, als die Visagistin ihr Gesicht mit einem steifen Pinsel konturierte. Besser, sie gewöhnte sich daran, denn das war nur ein Vorgeschmack auf ihre eigene Hochzeit.

Vorsichtig schob Rebecca eine Haarnadel zurück in ihren tief sitzenden, gedrehten Haarknoten. »Meine Mom hat ihn gebeten, Mark und die anderen Trauzeugen zu fotografieren, damit er beschäftigt ist, während er wartet.«

Ich suchte den Raum ab, konnte aber keine Spur von Donna Yu entdecken. »Wo ist deine Mom?«

Bevor ich Rebecca kennenlernte, hatte ich null Ahnung von Lokalpolitik. Kein Wunder also, dass es sie schwer schockierte, als ich auf die Nachricht, dass die ehrwürdige Donna Yu und Robert »Bob« Yu ihre Eltern waren, keinerlei Reaktion zeigte. Woher hätte ich auch wissen sollen, dass Donna Yu Abgeordnete der kalifornischen State Assembly, also der kalifornischen Parlamentskammer, war? Es war ja nicht so, dass ich mir in meiner Freizeit die Anhörungen des Kapitol-Ausschusses anschaute.

»Sie erledigt ein paar Telefonate. Der Wahlkampf hört ja nicht auf, nur weil ich heirate.« Rebecca klang zwar, als wäre sie daran gewöhnt, dass Donna Yu alle zwei Jahre wiedergewählt werden musste, aber ihr Kiefer zuckte, als sie den Mund zu einem schmalen Lächeln verzog.

»Falls es hilft … Ethan hat eine Nachricht geschickt, dass die Jungs alle angezogen und bereit sind«, sagte Beth. »Einschließlich Ben.«

»Gut. Er hat’s geschafft«. Rebecca entspannte sich sichtlich in ihrem Ohrensessel.

»Gab es daran jemals einen Zweifel?« Ich versuchte, keine plötzlichen Bewegungen zu machen, während die Friseurin meine Locken zu einem Chignon verdrehte. »Er würde doch niemals die Hochzeit seiner eigenen Schwester verpassen.«

»Sollte man meinen, ja.« Rebecca seufzte. »Als er seinen Job gekündigt hat, um auf die Kochschule zu gehen, dachten alle, er würde nach einem Semester alles wieder hinschmeißen. Von wegen! Jetzt bereitet er Bratkartoffeln zu, statt zu meiner Verlobungsfeier zu kommen.«

»Das ist das Problem in der Gastronomie«, meinte Beth. »An den Wochenenden und Feiertagen ist immer am meisten los.«

Ich nickte zustimmend. Im Laufe der Jahre hatte ich mehrere Einladungen zu Familienfeiern und Feiertagen ablehnen müssen, um die Familienfeiern und Feiertage von anderen Leuten zu organisieren.

»Wenn mein Studium mich nicht so sehr in Anspruch nehmen würde«, fuhr Beth fort, »würde es mich wahrscheinlich nerven, dass Ethan so viel arbeitet. Er verbringt mehr Zeit mit Ben als mit mir.«

»Ben?« Unwillkürlich musste ich daran denken, wie unbeschwert Ethan und Ben miteinander ins Gespräch gekommen waren. Ich hatte angenommen, es läge daran, dass sie auf einer Hochzeitsparty waren, aber anscheinend standen sie sich doch näher. »Woher kennen sie sich?«

»Weißt du noch, dass Ethan in diesem Pseudo-Gourmetrestaurant auf dem Wilshire Boulevard gearbeitet hat?«, fragte Beth. »Ben war dort Tellerwäscher, und jetzt sind sie praktisch beste Freunde.«

»Wie kommt es, dass ich zum ersten Mal davon höre?«, fragte ich. Diese Art von Neuigkeiten wäre doch normalerweise in einer Gruppennachricht aufgetaucht.

Rebecca umfasste die Armlehnen. »Weil sie es bis gestern selbst nicht wussten! Ben hatte sich mit seinem zweiten Vornamen Tom vorgestellt.«

Tom? Ich warf einen Blick zu Beth hinüber, deren schiefes Grinsen meine furchtbare Erkenntnis bestätigte: Ben und Tom, mit dem sie mich verkuppeln wollte, waren ein und dieselbe Person. Hätte vorher möglicherweise noch eine 0,001-prozentige Chance bestanden, dass ich dem Blind Date zugestimmt hätte, wäre jetzt eine dicke fette Null daraus geworden.

Rebecca schimpfte weiter: »Kannst du dir das vorstellen? Es ist so, als würde er sich für uns schämen!«

»Ben scheint nicht der Typ zu sein, der Geschirr spült«, sagte ich, während die Visagistin quasi über mir schwebte, um mein Gesicht zu verschönern. Das alles ergab überhaupt keinen Sinn, aber was wusste ich schon? Der Typ war ein Rätsel. Ein Geist. Er hatte alle Hochzeitsvorbereitungen gemieden und war digital nicht existent.

»Das ist eine Untertreibung«, antwortete Rebecca. »Moment mal … Wann hast du ihn denn getroffen?«

»Gerade eben.« Ich erzählte, dass Ben mir mit der Vase geholfen hatte, wobei ich das kleine Detail mit meinen Brustwarzen ausließ. Wenn meine Freunde das gewusst hätten, hätten sie mich vermutlich ständig damit aufgezogen.

»Tut mir leid, Elise. Mich hätte eine ungerade Anzahl an Brautjungfern und Trauzeugen nicht gestört, aber meine Eltern fanden, es sähe nicht gut aus, wenn Ben nicht dabei wäre.« Rebecca versuchte, sich selbst zu beruhigen, indem sie auf ihren riesigen, funkelnden Ring starrte. »Diese Hochzeit hat ein Eigenleben entwickelt, als ich zugestimmt habe, dass meine Eltern auch Gäste einladen können. Und um die Wahl meiner Mutter nicht zu gefährden, musste plötzlich praktisch jeder eingeladen werden, um ›niemanden zu brüskieren‹.«

»Alles klar«, sagte Jesse, die sich ohne Scham vor uns allen ihr Brautjungfernkleid anzog. »Du brauchst uns nur ein Zeichen zu geben, dann erfinden wir einen ›Hochzeitsnotfall‹, um dich loszueisen. Vergiss nicht, wir haben hier einen Profi im Raum.« Damit meinte sie mich.

»Das stimmt.« Die Visagistin reichte mir einen Spiegel. Das natürliche Make-up ließ mein Gesicht irgendwie nackt erscheinen. Meine Augen schrien förmlich nach mehr Eyeliner, aber ich ließ es dabei bewenden. Was immer die Braut will, bekommt sie. »Es wird alles perfekt sein. Heute solltest du ausschließlich positive Gedanken haben und glücklich sein.«

»Ihr seid die Besten.« Gerührt schloss Rebecca die Augen. Dann griff sie nach meinen Händen. »Aber bitte zieht euch endlich an, damit wir heute noch eine Hochzeit feiern können.«

Beth und ich wechselten einen wissenden Blick, bevor wir aufstanden. Je gestresster Rebecca war, desto launischer wurde sie, weshalb Beth ihr ein Glas Champagner anbot, während ich mein Brautjungfernkleid vom Bügel nahm.

Zum letzten Mal für diesen Tag holte ich tief Luft und quetschte mich in meinen beigefarbenen Spanx-Bodysuit, der wie eine Fahrradhose mit einem elastischen Korsett aussah. Er versprach, meine Brüste anzuheben und meinen Körper in den einer Barbiepuppe zu verwandeln, denn Gott verhüte, dass jemand auch nur einen Hauch von Hüftgold oder meinen Bauchnabel unter dem engen goldenen Kleid zu sehen bekam. Das Kleid wäre auch als Nachthemd durchgegangen, hätte es keinen Schlitz an der Seite gehabt und meine Lungenkapazität nicht derart eingeschränkt. Beth, wie immer die Überfliegerin, ging noch einen Schritt weiter, indem sie einen trägerlosen BH unter ihre Spanx klebte, um den Wasserfallausschnitt auszufüllen.

Es klopfte an der Tür. Der Fotograf kam zurück.

»Sind alle angezogen?« Er hielt die Kamera hoch. »Kann ich die Brautjungfern fotografieren, während sie sich fertig machen?«

Zwar waren Jesse, Beth und ich bereits fertig, spielten aber mit. Wir taten so, als würden wir uns gegenseitig die Reißverschlüsse zuziehen und die Ohrringe anlegen, die Rebecca uns als Brautjungferngeschenk gegeben hatte. Wir mussten uns sehr unnatürlich verhalten haben, denn er schlug vor, etwas zu trinken und auf Rebecca anzustoßen. Jesse ließ sich das nicht zweimal sagen und schenkte jedem ein Gläschen ein.

»Auf die Yu-Crew!«, rief der Fotograf, in der Hoffnung, uns alle etwas aufzulockern. Wir fühlten uns verpflichtet, Wohoo zu jubeln, also taten wir genau das, klangen dabei allerdings eher wie ein Eulenschwarm.

»Auf Rebecca.« Ich hob mein Glas. Alle sahen mich erwartungsvoll an, als sollte ich mehr sagen, doch da ich nicht die Trauzeugin war, hatte ich keine Rede vorbereitet. »Auf … auf die Erste von uns, die heiratet«, stotterte ich.

»Ja, wer hätte gedacht, dass Mark der Richtige ist?«, meinte Jesse und stieß mit uns an, bevor sie einen Schluck nahm. »Was?«, fragte sie als Antwort auf Rebeccas laserscharfen Blick. »Mark ist ein Idiot. Ein liebenswerter zwar, aber trotzdem ein Idiot«, verkündete sie und blieb dabei.

Dabei hätte sie es besser wissen müssen. Denn genau an diesem mangelnden Taktgefühl lag es, dass sie nicht Rebeccas Trauzeugin geworden war. Beth und ich wandten den Blick ab, nicht mutig genug, Rebecca anzusehen. Es war allgemein bekannt, dass Mark ein ziemliches Arschloch war, aber noch nie hatte eine von uns es so deutlich ausgesprochen. Rebeccas messerscharfer Verstand war der perfekte Gegenpol zu seiner Arroganz und bewahrte ihn nur allzu häufig davor, andere Leute (zu sehr) zu verärgern. Auf diese Weise war es ihm gelungen, sich in unsere Gruppe zu integrieren.

Der Champagner schien zu wirken, denn Rebecca lachte lediglich.

»Er ist wirklich ein Arsch, oder?« Rebecca hob das Glas. »Aber er ist mein Arsch!«

»Auf dich und deinen Arsch!«, rief Jesse.

Angesichts dieses unerwarteten Trinkspruchs verschluckte sich Beth an ihrem Sekt, was wiederum Rebecca dazu veranlasste, einen höchst undamenhaften Laut auszustoßen. Darauf begannen alle, laut zu kichern.

»Die Bildunterschrift lautet«, rief Jesse dem Fotografen zu, der wild drauflosknipste, »heiliger, arschhafter Bund der Ehe!«

Glucksend betrachtete er die Fotos auf dem Kameradisplay. »Ich glaube nicht, dass das bei den Redakteuren der Wedding Style gut ankommen wird.«

Ich hörte auf zu lachen. »Sagten Sie Wedding Style

Die vierteljährlich erscheinende Wedding Style war für Hochzeitsmagazine das, was die Vogue für Modemagazine war. Als führende Hochzeitszeitschrift für die neuesten Trends in Sachen Hochzeitsmode, Dekoration und Flitterwochen-Reiseziele lief sie sogar Martha Stewart Weddings den Rang ab. In der Zeit, in der ich für Filigree Events gearbeitet hatte, hatte ich ab und zu meine Dekorationen auf den Seiten der Wedding Style entdeckt, aber noch nie, seit ich selbstständig war. Also noch nie unter meinem eigenen Namen. Vor lauter Aufregung begann mein Herz zu klopfen, und das Blut pulsierte durch meine Adern.

»Ach ja«, meinte Rebecca, die sich plötzlich zu erinnern schien, als handelte es sich um eine Kleinigkeit und nicht etwa den Wendepunkt, den diese Tatsache für mich bedeuten könnte. »Elise, kennst du Russ schon?«

Der Fotograf nickte mir zu, während ich den Kopf schüttelte.

»Seine Bilder wurden in mehreren Magazinen veröffentlicht, unter anderem in der Wedding Style. Das Kommunikationsteam meiner Mutter hält es für gute PR, wenn meine Hochzeitsfotos veröffentlicht werden.«

»Sie erscheinen erst auf der Website, bevor sie gedruckt werden«, stellte Russ klar. »Da fällt mir etwas ein … Kann ich Sie kontaktieren, um die Freigabe von allen Personen auf den Fotos einzuholen?«

»Sie können sich an meinen Bruder wenden.« Rebecca griff nach ihrem Kleid. »Er hilft beim Wahlkampf.«

Je mehr ich über Ben erfuhr, desto weniger verstand ich, aber ich fragte Rebecca nicht danach, denn sie war damit beschäftigt, die irrsinnige Anzahl der Knöpfe an ihrem Fit-and-Flare-Kleid zu öffnen. Ich hielt mich zurück, als Beth und Jesse ihr in das Kleid halfen, denn die zarten Spitzenapplikationen – die wie kriechender Efeu aussahen – wären an meinen rauen Händen hängen geblieben wie Kletten. Mit zärtlichem Blick sah ich ihnen zu, ging aber im Kopf gleichzeitig noch einmal alle meine Vorbereitungen durch. Ich war in die Hochzeitssuite geeilt, ohne hinter Tiffany und Kelvin, meiner Cousine und meinem Cousin, aufzuräumen, und musste einen Weg finden, alles noch ein letztes Mal zu kontrollieren, bevor Russ Fotos vom Ballsaal machte.

Bevor die anderen die Suite für das Vor-Hochzeitsfoto verließen, schüttete ich Haarnadeln und Blotting Paper aus meiner Clutch und füllte sie stattdessen mit Blumenwerkzeug und anderem Zubehör. Für die Wedding Style musste einfach alles perfekt sein.

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