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Blackberry Island – Wo Wünsche den Weg weisen

hier erhältlich:

Herzenswege: Liebe, Freundschaft und Wahrheit

Daphne lebt ihren Traum als erfolgreiche Anwältin in Seattle. Gleichzeitig trägt sie die Verantwortung für die Familie allein auf den Schultern. Dann glaubt ihr Mann, dass sie eine Affäre hat, und plötzlich steht ihre Ehe auf dem Spiel.

Eigentlich hat ihre Freundin Heather alles, doch sie fühlt sich wurzellos ... Jahrelang hat sie gewartet, bis sie jetzt ihren leiblichen Vater kennenlernt.

Tori scheint ein Magnet für die falschen Männer zu sein – zum Glück hat sie ihren besten Freund. Als ihr Haus überflutet wird, zieht sie zu ihm, und mit einem Mal hat Tori Gefühle, die alles andere als platonisch sind.

Die drei Freundinnen stützen einander in allen Lebenslagen und stellen fest, dass man nur dann sein Glück findet, wenn man sein Herz öffnet und ehrlich zu sich ist.


  • Erscheinungstag: 19.11.2024
  • Seitenanzahl: 432
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749907304
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

An die Susan Mallery All Access-Gruppe auf Facebook:
Ihr seid immer für mich da, egal, ob es darum geht, einen Namen für eine Marketingfirma (danke, Deb!), für eine Stadt oder nur für ein Tier zu finden.

Eure Zuneigung und Unterstützung sind für mich das Highlight jedes Tages.

Ich finde es wunderbar, wie uns das zusammenbringt.

Viele von euch haben nach Heathers Geschichte gefragt:

Hier ist sie. Viel Spaß!

1. Kapitel

»Ist es möglich, dass du dir privat so viel aufhalst, weil du dich nicht mit deinen Gefühlen auseinandersetzen willst?«, fragte Tori Rocha eher besorgt als belehrend. »Neue Katzenbabys? Echt jetzt? Weil du die so dringend brauchst?«

Heather Sitterly schaute auf das Trio schlafender, zwei Wochen alter Kätzchen, die sie gerade aufgenommen hatte. Sie dachte an den Kunden, der am Vormittag bei ihr unterschrieben hatte, und an die geplante Renovierung ihrer Küche.

»Möglich?«, fragte sie grinsend. »Nein, nicht nur möglich. Ich denke, wir können uns darauf einigen, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Eine große Wahrscheinlichkeit.«

Toris Lippen zuckten, als würde sie sich ein Lächeln verkneifen. »Das eigene Problem zu erkennen, ist schon die halbe Miete. Wie kann ich dir helfen?«

Heather verdrehte ihr Handgelenk so, dass ihre Freundin, die leitende Grafikdesignerin ihrer Firma 206 Marketing Group, ihre Smartwatch sehen konnte.

»In zweiundvierzig Minuten müssen diese Babys gefüttert werden.«

»Okay. In zweiundvierzig Minuten im Konferenzraum. Ich bin da.«

Wie alle leitenden Angestellten, dachte Heather, denn in zweiundvierzig Minuten begann das wöchentliche Meeting zur aktuellen Lage.

»Danke.« Heather ging in ihr großes Eckbüro, wo ihr großer Schreibtisch stand, dazu ein kleinerer Besprechungstisch und eine Sitzgruppe. Der rundum gepolsterte Laufstall hinten in der Ecke wollte nicht so recht zur gediegenen Einrichtung passen.

Heather stellte den Karton mit den Kätzchen auf den Couchtisch und holte mehrere weiche Decken aus dem Schrank, dazu eine große Heizmatte, die sie in den Laufstall legte. Darauf breitete sie die erste Decke, mit der zweiten baute sie ein kleines Nest. Vorsichtig bettete sie die schlafenden Kätzchen hinein. Sie miauten kurz, dann nickten sie wieder ein.

»Ich passe gut auf euch auf«, flüsterte sie. »In ein paar Wochen seid ihr alt genug, um in eure neuen Familien zu ziehen. Da werdet ihr es gut haben.«

Bis zum Tag der Abgabe würde sie die Ersatzmutter der Kleinen sein. Das war zeitraubend, aber nicht allzu anstrengend. Sie kümmerte sich regelmäßig um Katzenbabys. Sobald sie die Kätzchen nach Hause mitnehmen konnte, würde sie von ihrem griesgrämigen, misstrauischen Kater LC unterstützt werden. Zwar verachtete er sein Frauchen, doch er war ein unglaublich guter Stiefvater für alle Kleinen, die sie mit nach Hause brachte.

Heather ging zu ihrem Schreibtisch und rief die unterschriebenen Verträge mit Mountain Goat Northwest auf, ihrem neuesten Kunden. Anderthalb Jahre hatte sie sich um das Unternehmen bemüht. Dass sie jetzt endlich unterschrieben worden waren, war ein großer Triumph. MGNW war auf Oberbekleidung für verschiedene Sportarten spezialisiert und legte Wert auf nachhaltige Stoffe und bunte Farben, oft verziert mit Pelzimitat. Viele Jacken und Hosenmodelle konnten nach Kundenvorgabe mit individuellen Details bestellt werden, beispielsweise mit bestimmten Mustern oder Nähten.

Heather war es gelungen, MGNW mit einer erlebnisorientierten Marketingstrategie zu ködern, deren Ziel es war, beim Kunden eine lebenslange Markenbindung aufzubauen.

Nachdem sie die Verträge an die Buchhaltung geschickt hatte, beantwortete sie kurz ihre E-Mails. Ihre Finger huschten über die Tastatur. Fast war sie fertig, da bekam sie eine Mail mit einer bekannten Betreffzeile.

Detailliertere DNA-Ergebnisse. Sehen Sie, wer noch mit Ihnen verwandt sein könnte.

»Ich weiß, wer mit mir verwandt ist«, murmelte Heather und klickte auf den Link. Sie loggte sich in ihren Account auf der Plattform der Ahnenforschungsseite Ancestry ein und starrte mal wieder auf die Informationen, die sie schon kannte.

Zu den potenziell mit ihr blutsverwandten Menschen gehörten einige entfernte Cousins und Cousinen, eine alte Dame in Weißrussland und ein verheirateter Mann mit zwei Töchtern, der ungefähr fünfundvierzig Minuten nördlich von Seattle lebte. Heathers Blick verweilte auf dem untersten Eintrag.

Fletcher Causey, zweiundfünfzig. Nach dem, was sie bei einer oberflächlichen Onlinerecherche herausgefunden hatte, war er Lehrer für Geschichte an einer Highschool, hatte keine Vorstrafen und war, wenn man seiner Facebookseite glauben konnte, die aus irgendwelchen Gründen nicht privat gestellt war, ein hingebungsvoller Vater von zwei Mädchen. Er trieb gerne Sport, pflanzte sein eigenes Gemüse an und war seit fünfzehn Jahren mit seiner Frau verheiratet. Überzeugender als das alles war die von Ancestry angegebene Wahrscheinlichkeit von 97,5 Prozent, dass eben dieser Fletcher Causey ihr Vater war. Die Folge eines One-Night-Stands, als er und ihre Mutter achtzehn Jahre alt waren.

Bereits vor einem halben Jahr hatte Heather von diesem möglichen DNA-Treffer erfahren, jedoch bisher nicht darauf reagiert. Ihre Mutter war schon nervig genug, und sie hatte wenig Lust auf einen weiteren Verwandten, der an ihr herumzerrte. Allerdings schien Fletcher ein netter Kerl zu sein, und sie hatte sich schon oft gefragt, wie und wer ihr Vater eigentlich war …

»Hey, stimmt das? Hast du Katzenbabys da?«

Heather sah auf und lächelte Sam entgegen, ihrem Marktforschungsleiter. Sam war ein Genie, wenn es darum ging, Trends und demografische Entwicklungen zu verstehen. Oft entwickelte er seine eigenen Algorithmen, um tiefer in die Zahlen einsteigen zu können. Heather verstand nicht, wie er arbeitete, wusste seine Ergebnisse aber sehr zu schätzen.

»Ja, drei Stück, und du bist ihr erster Besucher.«

»Ich habe mir schon die Hände gewaschen«, sagte Sam und ging zum Laufstall.

Behutsam nahm er ein Kätzchen heraus und drehte es vorsichtig auf den Rücken, worauf es protestierend miaute. Sam legte es wieder zurück.

Es waren zwei schwarz-weiße und ein graues Baby. Das zweite rührte sich kaum, als Sam es in die Hand nahm. Nachdem er sich vom Geschlecht überzeugt hatte, setzte er sich aufs Sofa und band dem winzigen Wesen vorsichtig ein blaues Bändchen um den Hals.

»Lass mich raten«, sagte Heather trocken. »Soll es Russell Wilson heißen?«

»Ja, nach meinem großen Helden.«

»Du weißt aber schon, dass Wilson nicht mehr bei den Seattle Seahawks spielt, oder? Er hat die Footballmannschaft und unsere schöne Stadt verlassen.«

Sam schüttelte den Kopf. »Ist mir egal. Auch wenn der zehn Jahre in Rente ist, bin ich immer noch sein Fan.«

Heathers Uhr piepte, eine Ermahnung, denn die Besprechung sollte in fünf Minuten beginnen.

»Komm, wir müssen die Milch aufwärmen«, sagte sie.

»Ich nehme die drei mit.« Sam legte Russell Wilson in den Karton und nahm auch die anderen beiden Kätzchen hoch.

Heather ging hinüber in den Pausenraum, wo Tori schon Handtücher, Spritzen und Wattebäuschchen zusammensuchte. Eine Dose mit Milchersatz stand neben einem Glas Wasser auf der Arbeitsfläche.

»Ich habe das Wasser erwärmt«, erklärte Tori. »Aber guck noch mal, ob es nicht zu heiß ist.«

»Danke. Sam hat sich schon sein Baby ausgesucht. Wolltest du auch einen Namen vergeben?«

Ihre Freundin grinste. »Im Gegensatz zu Sam finde ich es nicht schön, den Kätzchen immer denselben Namen zu geben, und kreative Vorschläge sind mir leider ausgegangen. Ich lasse mal jemand anderen ran.«

In der Firma galt die Regel, dass der Erste, der seine Hilfe bei der Versorgung der Kätzchen anbot, das Recht hatte, einen Namen zu vergeben – den das Tierchen zumindest bis zur Abgabe behielt.

Heather mischte das Milchpulver an und prüfte die Temperatur, dann nahm sie die Katzennahrung mit in den Konferenzraum. Ihr Teamleiter für digitales Marketing hatte sich bereits das graue kleine Katzenmädchen geschnappt. Tori verteilte die Utensilien, während Heather die Spritzen mit Milch aufzog.

Elliot Young, ihr Mentor und Geschäftspartner, kam herein. »Ich habe gehört, es gibt was zu feiern«, sagte er. »Hier hat heute Morgen jemand den Vertrag mit Mountain Goat Northwest unterzeichnet.«

Hinter Heather kam eine Kollegin aus der Marketingabteilung, die ein Wägelchen mit Cupcakes, Mineralwasser und Kaffee hereinschob.

Elliot setzte sich neben Heather und nahm ihr das Kätzchen ab, das sie hielt. »Du hast hart dafür gearbeitet, den Kunden zu bekommen. Das muss gefeiert werden.«

Alle, die kein Katzenbaby auf dem Arm hatten, klatschten. Heather verspürte Stolz und Dankbarkeit.

»Das war eine Leistung des gesamten Teams«, sagte sie. »Es ist eine Win-win-Situation für beide Seiten.«

Elliot legte das Kätzchen auf das Handtuch und griff zu einer der Spritzen mit Milch. Wie alle anderen bei 206 Marketing Group war auch er geübt im Füttern und Pflegen von verwaisten Katzenbabys. Das gehörte in dieser Firma dazu. Schon beim Bewerbungsgespräch wurden potenzielle Angestellte darauf vorbereitet, dass fast immer Katzen im Gebäude waren, außerdem noch Toris Hund. Wer eine schwere Tierhaarallergie hatte, dem wurde nahegelegt, sich nach einer anderen Stelle umzusehen.

Als alle einen Cupcake und etwas zu trinken hatten, übernahm Heather die Leitung der Besprechung.

»Als Erstes geht es heute um erlebnisorientiertes Marketing«, sagte sie und wandte den Kopf nach links.

Während sie sich den Bericht der Abteilung anhörte, wurde ihr mal wieder bewusst, welches Glück sie mit ihrem Beruf hatte. Durch Elliots kluge Ratschläge hatte sie viele Fallstricke vermieden, die bei der Neugründung eines Unternehmens auftauchten. Sie war finanziell gut aufgestellt gewesen und hatte hervorragende Mitarbeiter und Kunden mitnehmen können. Vier Jahre nach der Gründung florierte die Firma, und Heather ging es ebenfalls gut. Zumindest beruflich. Der Rest ihres Lebens war eine Katastrophe.

Nun ja, nicht vollständig, sondern nur beziehungstechnisch, weil sie sich so schwer auf jemanden einlassen konnte. Weil sie den Satz mit L so schwer über die Lippen bekam. Okay, und weil sie Probleme hatte, jemandem zu vertrauen.

Außerdem wurde sie sich nicht klar darüber, ob sie ihren leiblichen Vater kennenlernen wollte oder nicht. Dann gab es noch ihre anstrengende Mutter. Aber ansonsten war sie ein Vorbild an psychischer Gesundheit.

Auch wenn die meisten dieser Probleme zu lösen waren – abgesehen von ihrer Mutter –, mochte Heather sich nicht damit auseinandersetzen. Weshalb sie einen neuen Wurf Katzenbabys angenommen hatte, um sich abzulenken.

Besser Kätzchen als emotionale Selbsterkundung, dachte sie. Vielleicht war Erfolg im Beruf ja ausreichend und eine Beziehung gar nicht so wichtig. Natürlich stimmte das nicht, doch sie konnte gut mit diesem Selbstbetrug leben. Zumindest fürs Erste.

»Schläft sie? Dad hat gesagt, wir sollen sie nicht stören, wenn sie schläft.«

»Sie schläft nicht. Sie kann uns hören.«

»Wir bekommen richtig Ärger, wenn wir sie aufwecken. Sie hat gestern ganz lange gearbeitet.«

Daphne Brown lag reglos im Bett und verkniff sich das Grinsen, während ihre Stiefkinder direkt vor dem Elternschlafzimmer deutlich vernehmbar miteinander flüsterten. Normalerweise blieben die drei am Wochenende länger liegen, aber heute waren sie ganz aufgeregt, weil sie mit ihrem Vater und den Onkeln wandern gehen wollten. Schon um sechs Uhr waren sie auf den Beinen gewesen. Daphne hatte das Getrapse ignoriert, als die drei nach unten liefen, doch bei dem Geflüster konnte sie nicht weiterschlafen.

»Ich will ihr Guten Morgen sagen«, verkündete Alexa, die Jüngste der drei, jetzt lauter.

Daphne drehte sich auf den Rücken und stieß gegen Albert und Vanessa, ihre beiden Katzen. Albert, der Siam-Mix, hob den Kopf und sah verächtlich zu den Kindern in der Tür hinüber. Er war ein Kater, der nur zu einem Menschen einen Bezug aufbaute, und Brodys drei Kinder waren nicht sein Ding. Vanessa hingegen, eine wunderschöne bunte Hauskatze, liebte die ganze Welt und erwartete, zurückgeliebt zu werden. Sie stand auf und wollte offenbar Streicheleinheiten.

Vanessa wurde nicht enttäuscht. Die Kinder sprangen aufs Bett und stritten sich darum, wer am nächsten bei den Tieren liegen durfte. Alexa zog Vanessa an sich heran.

»Du bist wach! Du bist wach!«, rief Elijah.

Mit zehn Jahren war er der Älteste der Geschwister, weshalb er meistens die Führungsrolle übernahm. Elijah war jetzt schon eine Persönlichkeit. Daphne fand, er habe das Zeug zum Präsidenten.

»Wir haben längst gefrühstückt. Dad hat Pfannkuchen gemacht. Aber keine Sorge, wir haben alles wieder weggeräumt.«

Daphne setzte sich auf und schob sich Kissen in den Rücken. Elijah rutschte von links an sie heran, während Cadin und Alexa sich von rechts an sie schmiegten. Vanessa kletterte auf Daphnes Schoß, und Albert verschwand, um aus sicherer Entfernung alles zu verfolgen und einzuschätzen.

»Ihr habt aufgeräumt?«, fragte Daphne grinsend. »War das Absicht?«

Alle lachten. Alexa erklärte stolz: »Ich habe angefangen. Ich habe meinen Teller weggebracht und ihn in die Küche gestellt. Dafür habe ich eine Münze extra bekommen.«

»Echt? Das ist ja toll!«

Im Hause Brown wurde gutes Verhalten mit kleinen Plastikmünzen belohnt. Elijahs waren grün, Cadins blau (die Farben des Footballteams der Seattle Seahawks), während Alexa welche in Lila bekam, die Trikotfarbe der University of Washington Huskies.

Die Kinder sammelten die Münzen in einem Karton, und alle paar Wochen wurde eine gezogen. Das Kind, dessen Farbe gezogen wurde, war an dem Tag König beziehungsweise Königin und durfte bestimmen, was es zu essen gab und was am Abend gemacht wurde.

»Und, wie waren die Pfannkuchen?«, fragte Daphne und legte die Arme um die Kinder. »Ausgezeichnet?«

»Hervorragend«, sagte Cadin.

»Großartig«, verkündete Elijah.

Alexa schaute hoch und lächelte. »Sie waren sehr, sehr lecker.«

»Habt ihr mir welche übrig gelassen?«

Das Lächeln verschwand. Fragend sahen die Kinder Daphne an.

»Dad meinte, du willst keine«, erklärte Elijah.

Daphnes gute Laune war dahin, sie spürte die Erschöpfung nach nur fünf Stunden Schlaf. Ebenso belastend war der Hinweis, dass Brody immer noch sauer auf sie war und glaubte, es ihr auf passiv-aggressive Weise zeigen zu müssen.

Da die drei Kinder sie genau beobachteten, setzte Daphne ein falsches breites Lächeln auf und sagte: »Aber auf meinen Kaffee verzichte ich nicht.«

Alle kraxelten aus dem Bett.

»Ich gieß den Kaffee ein«, rief Elijah, der als Erster auf dem Treppenabsatz war.

»Ich hole die Milch.«

»Und ich den Becher.«

»Langsam auf der Treppe«, mahnte Daphne. Dann wandte sie sich mit sanfter Stimme ihren Katzen zu. »Ich wollte sowieso keine Pfannkuchen. Vielleicht geh ich irgendwo frühstücken. Männer sind einfach bescheuert.«

Zustimmend rieb Albert seinen Kopf an ihr.

Daphne zog ihren Morgenmantel über T-Shirt und Yogahose, in der sie immer schlief, wenn die Kinder bei ihnen waren. Sexy Nachthemdchen gab es nur in jeder zweiten Woche. Seit vor drei Monaten die Aufenthaltsvereinbarung geändert worden war – aus jedem zweiten Wochenende wurde gemeinsames Sorgerecht mit wechselndem Wochenrhythmus –, hatte sich Daphnes Leben stark verändert. Die Hälfte der Zeit konnten Brody und sie tun, was sie wollten, ohne sich um Fußballtraining oder Freizeitbeschäftigungen zu kümmern. In der anderen Hälfte waren sie gestresste berufstätige Eltern, die mit Mahlzeiten für fünf Personen und Arztterminen jonglierten, von Hausaufgaben, Verabredungen, Einkäufen und Hobbys ganz zu schweigen. Gleichzeitig wuppten sie ihre Siebzig- bis Achtzigstundenwochen.

Daphne hatte die Kinder gerne im Haus und freute sich jedes Mal auf sie, doch es war schon anstrengend. Nur einen Monat nach der Sorgerechtsänderung war sie zur Mitinhaberin ihrer Rechtsanwaltskanzlei aufgestiegen, ein großer Triumph, der ihr Stresslevel aber nicht unbedingt gesenkt hatte. Und jetzt gab es auch noch Streit mit Brody.

Sie ging nach unten in die Küche. Der Geruch von Pfannkuchen und Speck hing in der Luft, doch vom Essen war nichts mehr zu sehen. Brody hatte ihr nicht mal ein paar Streifen Frühstücksspeck aufgehoben. Die Kinder stellten ihr den Kaffee hin. Daphne bedankte sich mit einem Lächeln und trank einen Schluck.

»Himmlisch«, stöhnte sie.

Die drei lachten.

»Wann geht es los?«, fragte sie Elijah.

»Um neun«, antwortete er. »Grant und Campbell kommen zu uns, dann wollen wir Sandwiches im Deli holen. Dad sagt, die Fahrt dauert zwei Stunden, also sind wir nicht vor vier oder fünf Uhr wieder da.«

Daphne rechnete nach. Je zwei Stunden hin und zurück machte insgesamt vier. Dazu eine halbe Stunde Essenspause, blieben noch dreieinhalb Stunden fürs Wandern. Klang für sie nicht gerade nach großem Spaß, außerdem wusste sie nicht, ob Alexa das Programm bewältigen konnte.

»Und für dich ist das okay mit den ganzen Männern?« Daphne tat, als würde sie die Sechsjährige necken.

»Ich darf bestimmen.« Alexa klimperte mit den Wimpern.

Daphne grinste. »Richtig so, Mäuschen.« Dann wurde sie ernst. »Aber sag Dad Bescheid, wenn du müde wirst.«

»Das schafft sie schon.«

Brody war in die Küche gekommen. Meistens wurde Daphne beim Anblick seiner dunklen Haare und breiten Schultern immer noch leicht schummrig. Er war ein gut aussehender Mann mit lockerem Charme, der sie gleich für ihn eingenommen hatte. Die Sache mit ihnen war schnell und intensiv gestartet, mit allem, was Daphne sich je erträumt hatte. Auch seine Kinder hatten es ihr sofort angetan, sie mochte Brodys Brüder und verstand sich mit seiner Ex-Frau. Bis vor zwei Wochen hatte sie gedacht, sie führten eine grundsolide Ehe.

»Ist die Strecke sehr steil?«, fragte sie ihren Mann. »Alexa ist klein, sie kann bei eurem Tempo nicht mithalten. Vielleicht wäre es besser, wenn sie hierbleibt.«

Brody kniff die dunklen Augen zusammen. »Du hast gesagt, du müsstest arbeiten

Daphne bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. Da war er wieder, dieser Ton. Warum machte Brody immer alles so kompliziert?

»Muss ich auch, aber von zu Hause aus. Und nur zwei Stunden.« Sie sah zu Alexa hinüber. »Ich könnte mit ihr was essen und ins Kino gehen.«

Die Kleine schaute zwischen ihnen hin und her, unschlüssig, was sie von dem Gespräch halten sollte. Die angespannten Mienen und die starre Körpersprache der Erwachsenen hatten Brodys Kindern längst verraten, dass etwas nicht stimmte.

»Alexa, du kommst mit uns«, sagte Brody bestimmt und wies auf die Tür. »So, jetzt zieht euch an. Zwiebellook. Wenn wir losgehen, ist es noch kühl, aber später soll es warm werden.«

Die drei zockelten los und ließen die Erwachsenen allein zurück. Daphne nahm ihren Kaffee, stellte den Becher jedoch wieder ab.

»Für Alexa ist das doch nichts. Sie kann nicht so schnell gehen wie ihr und fängt dann an zu weinen. Du sagst ihr, sie soll sich zusammenreißen, was alles nur noch schlimmer macht. Sie ist erst sechs Jahre alt. Sie kann nicht drei Stunden wandern.«

Ihr Mann funkelte sie böse an. »Ich glaube, ich kenne meine Kinder ein bisschen besser als du.«

Daphnes Frust wuchs. Diese neue Art von ihm, zu betonen, dass nur er das echte Elternteil war, ging ihr gehörig auf den Geist.

»Wieso?«, gab sie zurück. »Ich bin genauso viel mit ihnen zusammen. Aber gut, wenn du unbedingt deinen Kopf durchsetzen willst, bitte sehr. Wirst immer besser darin.«

Brody verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich setze nicht meinen Kopf durch. Ich gehe mit meinen Kindern und deren Onkeln wandern.«

»Ach, Brody, was soll das? Für alle Frühstück machen, nur für mich nicht? Dich wegen Alexa querstellen? Du weißt genau, dass sie zu klein für die Tour ist, aber du lässt sie lieber leiden, als das zuzugeben.« Daphne stützte die Hände auf die Kücheninsel. »Irgendwann musst du deinen Starrsinn mal ein bisschen beiseiteschieben, damit wir uns vernünftig unterhalten können.«

Brody kniff die Augen zusammen. »Ich bin nicht starrsinnig, wie du dich ausdrückst, Daphne. Ich habe herausgefunden, dass meine Frau eine Affäre mit ihrem Arbeitskollegen hat. Starrsinnig beschreibt meine Gefühle nicht mal ansatzweise.«

Daphnes Erschöpfung kehrte zurück, dazu das Bedürfnis, sich zum tausendsten Mal zu erklären.

»Ich habe keine Affäre«, sagte sie leise wegen der drei Ohrenpaare im Stockwerk über ihnen. »Und das weißt du ganz genau. Miguel und ich sind Kollegen, und wir sind befreundet. Wir gehen zusammen essen. Ich gehe mit allen möglichen Leuten essen, auch mit vielen Männern. Wenn ihr in eurer Abteilung Frauen einstellen würdet, würdest du auch mit denen essen gehen. Das ist rein geschäftlich. Völlig normal.«

Brody kam näher, seine Wut war körperlich spürbar. »Er hat dir Blumen geschickt.«

Daphne versuchte, die Fassung zu bewahren, denn die Sache mit den Blumen war blöd gelaufen. »Das stimmt, aber ich habe mich darüber genauso gewundert wie du.«

»Das bezweifele ich.«

Sie ignorierte ihn. »Ich habe Miguel gesagt, dass er so was lassen soll.«

Der Zettel, den sie Miguel ins Büro gelegt hatte, war absolut eindeutig gewesen. Sie hatte sich zwar für den Strauß bedankt, aber hinzugefügt, dass es nicht in Ordnung war und er das nie wieder tun sollte.

»Du hast sie behalten!«

Daphne warf die Hände in die Höhe. »Ja. Meine Assistentin dachte, sie wären von dir. Hätte ich die Blumen in den Müll geworfen, hätte das Signale ausgesendet, die unangenehm gewesen wären.«

»Du hast mir nichts von dem Strauß gesagt.«

Punkt für Brody, dachte sie düster. »Stimmt. Dafür habe ich mich bereits entschuldigt und tue es auch gern noch mal. Das war ein Fehler. Ich hätte es dir erzählen sollen. Ich war überrumpelt und wusste nicht, was ich sagen sollte. Deshalb habe ich den Mund gehalten.«

Und so hatte sie den Strauß ins Regal gestellt und ihn vergessen, bis Brody zwei Tage später im Büro aufgetaucht und sie zum Essen abgeholt hatte. Ihre Assistentin hatte ihm ein Kompliment wegen der Blumen gemacht, die gar nicht von ihm waren, seitdem hatte sie nichts als Ärger am Hals.

»Bitte, Brody. Miguel und ich sind nur Freunde. Zwischen uns ist nichts. Da war auch nie was. Ich habe kein Interesse an jemand anderem, und selbst wenn ich das aus irgendeinem verrückten Grund doch hätte, habe ich gar keine Zeit für eine Affäre. Wie du so gerne feststellst, hetze ich nur zwischen Arbeit und Zuhause hin und her. Ich liebe dich, ich liebe die Kinder und unser Leben. Wir sind glücklich zusammen. Waren wir zumindest.«

Sie wollte eigentlich hinzufügen, dass sie sich so gut wie nie gestritten hatten, doch das taten sie in letzter Zeit fast ständig. Zuerst wegen des Babys und jetzt das.

»Ich soll die Geschichte einfach so vergessen«, sagte Brody verbittert. »Aber du willst nicht mal zugeben, was gewesen ist. Du kannst dich noch so winden, du hattest was mit diesem Mann. Zwischen uns ist erst wieder alles gut, wenn du aufhörst, mich und wahrscheinlich auch dich selbst zu belügen.«

Er stolzierte aus der Küche. Daphne riss sich zusammen, um nicht frustriert zu schreien. Warum war Brody so uneinsichtig? Eine Affäre? Ernsthaft? Noch mehr Stress war das Letzte, was sie wollte. Warum musste ihr Mann so starrköpfig sein?

Sie atmete tief ein und stieß die Luft aus. Diese dämlichen Blumen, dachte sie genervt. Sie hätte sie in die Tonne werfen sollen. War doch egal, was ihre Assistentin Irena dachte. Dann wäre das alles nicht passiert. Das hatte sie allerdings unterlassen, und jetzt ließ Brody sie für etwas büßen, das sie nicht getan hatte.

Miguel war ihr Kollege, mehr nicht. Er ging öfter mal mit ihr zusammen mittagessen, trank manchmal was in ihrem Büro, wenn sie länger arbeiten mussten, aber das machte sie auch mit den anderen Teilhabern und Teilhaberinnen. Vielleicht nicht so häufig, doch es kam vor. Sie war mit vielen in der Kanzlei befreundet. Was den Blumenstrauß anging, hatte Miguel sich entschuldigt, und damit war die Sache erledigt. Wenigstens für sie.

Gott bewahre, dass Brody ihre völlig einleuchtende Erklärung glaubte. Nein, da beschuldigte er lieber seine Frau, eine Affäre zu haben, und verwandelte sich in einen störrischen Ziegenbock.

Daphne goss den kalten Kaffee aus. Nachdem sie Albert und Vanessa etwas zu fressen gegeben hatte, ging sie zum Duschen nach oben, wo Alexa im Elternschlafzimmer wartete.

Das kleine Mädchen kam auf sie zugelaufen und schlang die Arme um sie. »Bist du böse auf mich?«

Daphne ließ sich auf die Knie sinken. »Schätzchen, warum sollte ich denn böse auf dich sein?«

Tränen traten in Alexas große braune Augen. »Weil ich gesagt habe, dass ich mit Dad fahren will, nicht bei dir bleiben. Am liebsten will ich beides, wirklich.«

»Das weiß ich doch.« Daphne strich der Kleinen das Haar aus der Stirn. »Wenn du das gerne möchtest, dann freue ich mich, dass du mit Daddy fährst. Deshalb würde ich nie böse sein. Ich habe mir nur Sorgen gemacht, dass es zu anstrengend für dich sein könnte. Du musst wirklich Bescheid sagen, wenn du nicht mehr kannst.«

»Okay. Ich will mit. Immer muss ich zu Hause bleiben, weil ich die Jüngste bin und noch klein.«

»Aber innerlich ganz groß«, sagte Daphne.

Alexa grinste. »Ich bin total stark.« Dann wurde sie ernst. »Können wir denn was essen und ins Kino gehen, wenn ich das nächste Mal hier bin?«

»Ja, klar.« Daphne zog das Mädchen an sich. »Abgemacht.«

Da die Ordnung wiederhergestellt war, löste sich Alexa von ihr. »Muss mich anziehen.«

»Ja, schnell.«

Die Kleine lief in ihr Zimmer. Daphne ging ins Bad und verriegelte die Tür. Nachdem sie geduscht hatte, würde sie einen Blick auf ihre To-do-Liste werfen. Da Brody mit den Kindern erst am späten Nachmittag wiederkam, würde sie ein paar Stunden konzentriert arbeiten, dann alles andere erledigen und vielleicht noch etwas Zeit für ein kurzes Nickerchen haben. Alles besser als das, was sie eigentlich am liebsten getan hätte, nämlich sich im Bett zusammenzurollen und sich weinend den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie ihre Ehe wieder in die Spur bekommen sollte.

2. Kapitel

»Du siehst wunderschön aus«, sagte Kyle lächelnd. »Jedes Mal, wenn wir uns treffen, bist du wunderschön, aber heute Abend strahlst du ganz besonders.«

»Danke«, sagte Tori lachend. »Ich fühle mich auch super.«

Teilweise mochte es an den zusätzlichen zehn Minuten liegen, die sie in ihr Make-up investiert hatte, teilweise vielleicht auch daran, dass sie nach inzwischen drei Dates mit Kyle allmählich einen winzigen Hoffnungsschimmer verspürte. Eventuell bestand die geringfügige Chance, dass sie diesmal einen Mann gefunden hatte, mit dem es was werden könnte. Keinen abgehalfterten Loser, der sie auf ein Darlehen anhaute, keinen Mann, der fünf Kinder von fünf verschiedenen Frauen hatte und sich um keins davon kümmerte. Und keinen Typen, der von der großen Liebe sprach, um sich dann schnell vom Acker zu machen, weil ihn die Gefühle überforderten. Tori hatte schon den Verdacht gehabt, dass sie nicht so ganz perfekte Männer anzog – und von ihnen angezogen wurde.

Sie unterdrückte ein Seufzen. Okay, die bisherigen Kandidaten waren alles andere als perfekt gewesen, doch nach den inzwischen zweieinhalb Dates schien Kyle anders zu sein.

»Wie war dein Tag heute?« Er beugte sich zu ihr vor, als interessierte ihn ihre Antwort wirklich.

»Gut. Ich habe mit der Kampagne für einen neuen Kunden begonnen.«

»Wie läuft so was? Denkst du dir das alles alleine aus?«

»Meistens brainstormen wir im Team, in welche Richtung es gehen soll. Ich bereite verschiedene Entwürfe vor, damit wir uns für einen Stil entscheiden können, ganz modern, nostalgisch, innovativ … Wer ist die Zielgruppe? Die Idee ist eigentlich, dass ich etwas entwerfe, das sich an mehrere Zielgruppen richtet, aber normalerweise habe ich anfangs immer eine bestimmte Gruppe im Sinn.«

Die Bedienung kam an den Tisch und nahm die Getränkebestellung auf.

»Und, was hast du heute so gemacht?«, fragte Tori, als der Kellner gegangen war.

»Drei Zahnreinigungen und zwei Hausbesuche zur Welpenkontrolle.«

Kyle war Tierarzt. Sie hatten sich vor ein paar Wochen im Hundeauslauf kennengelernt, den Tori mit Scout und Zeus besucht hatte. Kyle hatte einen hübschen schwarzen Labrador dabeigehabt. Während sich die Hunde anfreundeten, war sie mit Kyle ins Gespräch gekommen.

»Erzähl nichts von den Welpen!«, sagte sie und lachte. »Das führt mich jedes Mal in Versuchung. Meine Freundinnen haben eine Schwäche für Katzen, aber wenn es nach mir ginge, würde ich jeden Tag Welpen streicheln.«

Kyle schmunzelte. »Das macht ja auch wirklich Spaß. Heute war ich bei einem drei Monate alten Beagle. Ein ganz süßer Kerl, der …«

»Hallo, Kyle.«

Tori schaute zu der Frau hoch, die an ihren Tisch gekommen war. Sie war Mitte dreißig und für das schicke Restaurant eher lässig gekleidet. Am auffälligsten war ihr Gesichtsausdruck – teils ungläubig, teils resigniert, aber vor allem stinksauer.

»Olivia.« Kyle wurde blass. »Was machst du denn hier?«

»Ich bin dir gefolgt.«

Toris Katastrophenradar schlug Alarm. Oh Mist, das sah nicht gut aus. Hier lief etwas schief, aber ganz gewaltig.

Olivia sah sie an. »Woher kennen Sie ihn?«

Die Frage überraschte Tori. »Vom, ähm, Hundespielplatz.«

»Na klar.« Olivia bedachte sie mit einem mitleidigen Blick. »Das ist nicht sein Hund. Wir sitten ihn gerade für eine Freundin.«

Toris Kehle schnürte sich zu, ihr Magen zog sich zusammen. Aus der Anspannung wurde Entsetzen. »Wir?« Sie sah Kyle an, der auf den Tisch schaute. »Wir?«

»Er ist verheiratet und hat zwei Kinder«, erklärte Olivia. »Er ist Lkw-Fahrer bei einer lokalen Spedition. Und er geht fremd. Immer wieder.«

Nein. Das konnte nicht sein. Tori sah Kyle an. »Verheiratet?«

»Tut mir leid.«

Leid? Es tat ihm leid?

Es gab tausend Dinge, die Tori jetzt sagen konnte. Das Besteck war massiv, sie könnte ihm eine Gabel an den Kopf werfen. Aber zu welchem Zweck? Wieder einmal hatte die grausame Realität ihre Hoffnungen und Träume unter sich begraben. Dabei wünschte sie sich doch nur, einen netten Mann zu finden, sich zu verlieben und ein ganz normales, glückliches Leben zu führen. Ein, zwei Kinder, Hunde, Urlaub. Gemeinsam alt zu werden und irgendwann auf schöne, verlässliche Jahre zurückschauen zu können.

Was offenbar zu viel verlangt ist, dachte Tori und stand auf. Zumindest in ihrem kleinen Teil der Welt. Vor Demütigung brannte ihr Gesicht. Sie hatte sich zum Narren gemacht. Schon wieder.

»Das wusste ich nicht«, sagte sie zu Olivia.

»Habe ich mir gedacht.«

In der Stimme und dem Ausdruck der Frau lag Mitleid. Mit Sicherheit fand Olivia sie erbärmlich – und Tori konnte ihr nicht widersprechen.

Sie schlüpfte in ihren Mantel und marschierte schnurstracks nach draußen. In der Luft lag nebliger Nieselregen, doch Tori machte sich nicht die Mühe, den Regenschirm aufzuspannen. Sie eilte zum Parkplatz und gab ihren Schein ab, froh, mit dem eigenen Auto hergekommen zu sein. Besser, sofort abhauen zu können, als auf ein Uber warten zu müssen und Angst zu haben, Olivia noch mal gegenüberzustehen.

Verheiratet. Das war schlimm, selbst für ihre Verhältnisse. Sie rechnete ja fast damit, dass sie Verlierer oder zumindest Typen kennenlernte, die sich bald wieder verdrückten, denn das taten die meisten, wenn sie keine Idioten waren. Aber verheiratet? Warum?

Tori gab dem Mann vom Parkservice ein Trinkgeld und stieg in ihren kleinen SUV. Auf dem Weg zu ihrer Eigentumswohnung in Bellevue fragte sie sich, ob sie irgendein Warnzeichen übersehen hatte. Wie hatte sie nicht merken können, dass Kyle verheiratet war?

Tori parkte vor dem Gebäude und nahm den Aufzug in den zweiten Stock, wo sie eine ziemlich großzügige Dreizimmerwohnung mit Südbalkon und zahlreichen Fenstern hatte, die viel Licht hereinließen. Doch anstatt ihre Wohnungstür aufzuschließen, ging sie zu dem Apartment nebenan, klopfte erst und schloss dann mit ihrem eigenen Schlüssel auf.

»Ich bin’s«, rief sie in dem Versuch, fröhlich zu klingen, wusste jedoch, dass man ihr die Niedergeschlagenheit anhörte.

Ihr Mini-Labradoodle Scout und Zeus, der Golden Retriever von Grant, kamen ihr entgegengelaufen. Winselnd umkreisten die beiden Hunde sie und drängten sich gegenseitig zur Seite, um jeweils als Erstes gestreichelt zu werden. Die begeisterte Begrüßung ließ das gerade erlebte Desaster ein wenig in den Hintergrund treten.

»Hey, ihr zwei«, sagte sie und kraulte die Hunde, bevor sie ihren Mantel ablegte und aus ihren Pumps schlüpfte.

Grant kam aus der Küche, eine Schale Müsli in der Hand. Er runzelte die Stirn.

»Du bist aber früh zurück.«

»Stimmt.«

»Zu früh.« Er stellte die Schale auf die Frühstückstheke in der Küche. »Was ist passiert?«

»Will nicht darüber sprechen.«

Grant hob eine dunkle Augenbraue, sagte jedoch nichts. Tori war der Meinung, dass sie ihm nicht alles erzählen musste, dass sie zwar Freunde waren, sie deswegen aber nicht zwangsläufig ihr gesamtes Privatleben vor ihm ausbreiten musste. Fünf Sekunden später sagte sie: »Er ist verheiratet.«

Grants Gesichtsausdruck wurde verständnisvoll und besorgt. Er streckte die Arme aus.

Tori ging zu ihm und ließ sich tröstend drücken.

»So ein Arschloch«, knurrte Grant.

»Das ist noch freundlich ausgedrückt.« Tori trat einen Schritt zurück und riss sich zusammen, um die Geschichte hinter sich zu bringen. »Ich dachte, er wäre ein netter Mann. Ein möglicher Kandidat. Wir saßen am Tisch im Restaurant, hatten gerade was zu trinken bestellt und genossen den Abend, da tauchte seine Frau auf.«

Scout lehnte sich an sie. Tori kraulte der Hündin die Ohren. »Das war so peinlich. Er hat mich in jeder Hinsicht belogen. Er ist gar kein Tierarzt. Es war nicht mal sein Hund.«

Tori merkte, dass ihre Augen brannten, verbot sich aber, zu weinen. Kyle war keine einzige Träne wert. »Ich bin so bescheuert.«

»Bist du nicht.« Grant ging in die Küche. »Woher solltest du wissen, dass er ein verlogenes Schwein ist, der seine Frau betrügt?«

Er goss ihr eine Tasse Kaffee ein. Sie wollte einwenden, dass sie nicht schlafen könne, wenn sie so spät noch Koffein zu sich nahm, da kippte Grant einen großzügigen Schluck Jameson Irish Whiskey dazu. Tori holte die Schlagsahne aus dem Kühlschrank, spritzte einen ordentlichen Klecks darauf und nahm Grant den Becher ab.

Im Wohnzimmer griff Grant zu seinem nicht verfeinerten Kaffee und setzte sich in einen der großen Clubsessel. Tori nahm auf der Couch Platz und schlug die Beine unter. Beide Hunde sprangen zu ihr hoch und machten es sich bequem.

»Jetzt erzähl mal richtig«, sagte Grant. »Was genau ist passiert?«

Tori schilderte die kurze, schmerzhafte Begegnung. Dann sagte sie: »Was stimmt nur nicht mit mir? Entweder suche ich mir Männer, die mich wieder verlassen, oder ich finde Arschlöcher wie Kyle. Ich möchte mich einfach mal in einen netten, normalen Mann verlieben.«

»Das behauptest du, aber in Wirklichkeit hältst du Ausschau nach Männern, die dich früher oder später verlassen, weil du insgeheim überzeugt bist, dass die Menschen, die du liebst, nicht bei dir bleiben.«

»Autsch«, sagte Tori resigniert. Grants Theorien über ihre Unfähigkeit, den »Richtigen« zu finden, hörte sie sich nun seit über einem Jahr an. Ihr Freund spielte gerne den Psychoanalytiker. Eigentlich sollte man meinen, dass Grant als Notfallmediziner bei seinem Fachgebiet blieb, aber nein. Ständig stellte er Spekulationen über ihr Liebesleben an.

»Selbst wenn du recht hättest«, sagte sie, »und ich behaupte nicht, dass es so ist …«

Grant grinste. »Natürlich nicht.«

»Dann erklär mir das mit Kyle. Er hat keinerlei Signale ausgesendet, dass er mich bald verlassen würde.«

»Das war nur Pech. Es hört sich so an, als wäre er ein Zocker. Du bist ihm einfach ins Netz gegangen.« Grant sah sie mit seinen dunklen Augen eindringlich an. »Du hast nichts falsch gemacht.«

»Ich weiß.«

»Das sagst du zwar, aber ich glaube nicht, dass das deine tiefste innere Überzeugung ist.«

»Ich komme mir dumm vor.«

Und gedemütigt und klein, doch warum sollte sie das alles erklären? Tori nippte an ihrem Irish Coffee. Er schmeckte viel zu lecker. Das einzig Gute war, dass sie sich heute Abend nur noch abschminken und ihren Pyjama anziehen musste. Wen störte es schon, wenn sie ein bisschen beduselt war? Netflix jedenfalls nicht. Mit Scout brauchte sie auch nicht mehr raus. Grant würde ihre Hündin zum Gassigehen mitnehmen, kurz bevor er seine Schicht im Krankenhaus antrat.

»Verschwende nicht zu viel mentale Energie auf Kyle«, sagte er. »Du musst aus der Ecke raus.«

Tori verdrehte die Augen. »Ernsthaft? Willst du mir damit sagen, dass ich weiter zu Dates gehen soll? Ausgerechnet du, der seit seiner Scheidung vor vierzehn Monaten kein Date und keinen Sex mehr hatte? Von dir werde ich bestimmt keinen Ratschlag zu dem Thema annehmen.«

»Andere tun das gern«, gab Grant ruhig zurück. »Wer eine schlimme Scheidung zu verdauen hat, kann durchaus Ratschläge geben. Du suchst doch jemanden, Tori. Du wünschst dir einen Partner und eine Familie. Lass dich von diesem Kyle nicht entmutigen. So viel Macht darfst du ihm nicht zugestehen.«

Sie ließ sich in die Kissen sinken. »Ich weiß ja, dass du recht hast.« Tori sah ihren Freund an. »Willst du wissen, was am schlimmsten ist? Es hat nicht mal gekribbelt. Ich habe mir eingeredet, es würde reichen, einen anständigen Mann zu finden, statt mir Gedanken über die nicht vorhandene Anziehung zu machen. Ich war bereit, mich mit ihm zufriedenzugeben.«

»Tu so was nicht! Du hast was Besseres verdient.«

»Ich habe auch verdient, im Lotto zu gewinnen, aber habe ich da vielleicht Glück?«

»Du spielst ja gar nicht.«

»Tja, deswegen wohl.«

»Halb neun«, sagte Grant. »Wird Zeit, mit den Hunden zu gehen.«

Tori nickte und stand auf. Als sie an Grant vorbei in die Küche wollte, versuchte er, ihr die Haare zu zerzausen. Sie wich ihm aus und sah ihn böse an.

»Hör auf damit. Das nervt.«

»Du siehst süß aus mit verwuschelten Haaren.«

»Ich bin immer süß. Wenn du das noch mal machst, trete ich dir in die Eier.«

Sie kannte das schiefe Grinsen, das er aufsetzte.

»Das ist nur leeres Geschwätz.«

»Allerdings. Denn du willst sie irgendwann bestimmt wieder benutzen, und dann möchte ich nicht der Grund dafür sein, dass sie nicht mehr funktionieren.«

Grant lachte noch, als Tori ihren Mantel überzog und in ihre Schuhe schlüpfte. Scout sah zwischen ihrem Frauchen und Grant hin und her, als sei sie unsicher, ob sie mitgehen oder bleiben sollte.

»Er nimmt dich mit, Schätzchen.« Tori strich ihrer Hündin über den Kopf, und Scout trottete zu Grant.

Tori winkte und ging in ihre eigene Wohnung hinüber. Beim Eintreten knipste sie das Licht an. Grants knapp zweihundert Quadratmeter große Eckwohnung hatte zwei Schlafzimmer, zwei Badezimmer und eine Gästetoilette. Ihre Wohnung kam auf knapp hundertfünfzig Quadratmeter, was für sie und Scout absolut ausreichend war.

Sie wechselte in einen Pyjama mit Gänseblümchenmuster, dann wusch sie sich das Gesicht. Nachdem sie ihre langen Locken geflochten hatte, klopfte es an der Wohnungstür. Kurz darauf kam Grant mit den beiden Hunden herein.

Scout und Zeus stürmten auf sie zu. Grant blieb an der Tür stehen. Er hatte bereits einen Kittel und Turnschuhe an und eine Lunchbox dabei.

»Wie immer?«, fragte sie.

»Zehn bis sieben.«

Oft bedeutete es, dass Grant erst um acht Uhr morgens aus dem Krankenhaus kam.

»Ich bringe dir Zeus, bevor ich zur Arbeit fahre.«

Grant nickte. »Alles in Ordnung?«

Sie seufzte. »Nein, aber wird schon wieder. Bis dahin gucke ich noch mal Das Damengambit und esse Unmengen von Eis.«

Grant kam zu ihr, zog sie an sich und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. »Nicht unterkriegen lassen, Kleine. Wir finden schon jemanden für dich.«

»Hoffentlich. Aber du musst los. Anderen Menschen das Leben retten.«

Er grinste. »Ich bin ganz schön wichtig.«

»Dafür bin ich schön.«

Er lachte noch, als er die Tür hinter sich zuzog.

Tori holte eine halb volle Packung Eiscreme aus dem Gefrierschrank und nahm sie zusammen mit einem Löffel mit in ihr Schlafzimmer. Scout und Zeus folgten und warteten geduldig, bis Frauchen es sich gemütlich gemacht hatte, bevor sie zu ihr aufs Bett sprangen. Tori rief Netflix auf. Während die Filme geladen wurden, rückte sie die Kopfkissen zurecht, bis sie bequem saß.

Doch anstatt auf die Fernbedienung zu drücken, starrte sie auf den Bildschirm und fragte sich, wie lange es dauern würde, bis sie an den heutigen Abend denken konnte, ohne dass ihr übel wurde.

Es ging nicht nur um sie selbst. Am kommenden Tag würde sie Heather im Büro sehen, und ihre Chefin beziehungsweise Freundin würde sich nach dem Date erkundigen. Dann würde Daphne eingeweiht werden, die es brühwarm an Brody weitergeben würde. Entweder Brody oder Grant würden Campbell, den dritten Bruder, ins Vertrauen ziehen, sodass in Kürze der gesamte Freundeskreis von ihrer Demütigung wüsste.

Natürlich war ihr klar, dass alle Verständnis haben würden, nur wäre sie ausnahmsweise mal gern die zufriedene, im Leben angekommene Freundin, die den anderen eine starke Schulter bieten konnte, anstatt selbst immer moralische Unterstützung zu brauchen. Auch wenn die Freunde das nicht so sahen. Sie liebten Tori, das spürte sie, genau wie sie die fünf liebte. Was Freunde anging, hatte sie wirklich Glück. Was Männer anging, nicht so sehr.

Heathers Wecker klingelte um halb drei Uhr nachts. Müde setzte sie sich auf und stellte das nervige Geräusch ab. Als sie die Nachttischlampe anknipste, hörte sie ein schrilles Miau – LC wartete schon darauf, dass sein Frauchen aufstand. Sie war wirklich nicht sonderlich kooperativ.

»Ich höre dich gar nicht«, sagte Heather zum Kater und ging ins Badezimmer, um sich Wasser ins Gesicht zu spritzen. Dann begab sie sich in die Küche. Als die Milch für die Kätzchen zubereitet war, nahm sie alles mit, was sie brauchte, und ging ins zweite Schlafzimmer, das als Katzenzimmer diente.

Dort standen LCs Katzenklo und ein großer Kratzbaum, außerdem lag jede Menge Spielzeug herum, dazu Körbe und ein Laufstall, in dem sich die aktuellen Katzenwelpen bereits regten.

»Essenszeit«, sagte Heather leise. »Wie geht es euch?«

LC schaute streng zu, während sie jedes Kätzchen wog und das Gewicht in ihr Handy eintrug. Eine App verriet ihr, wie viel Milch jedes Baby bekam und ob alle wuchsen wie vorgesehen.

»Komm mal her, Russell Wilson«, murmelte Heather und hob das Baby mit dem blauen Halsband hoch. »Jetzt gibt’s was Leckeres.«

LC beobachtete sie kritisch aus gewissem Abstand, als wäre er jederzeit bereit, dazwischenzugehen, falls sie etwas falsch machte.

»Wenn du mir das bloß abnehmen könntest, Großer«, sagte sie.

Russell Wilson fing sofort an, gierig zu saugen. Als er satt war, wartete Heather auf das Bäuerchen, dann setzte sie ihn ins Katzenklo, damit er sich erleichterte.

»Und fertig sind wir«, sagte sie zu dem Kätzchen und legte es zurück auf die beheizte Decke im Laufstall. Sofort kam LC hereingesprungen und begann, den Kleinen zu lecken. Zwischendurch hielt er inne und sah grimmig zu Heather herüber.

»Du bist ein furchtbares Tier«, schimpfte sie mit ihm, als sie das zweite Kätzchen herausnahm. »Nach fünf Jahren solltest du allmählich mit mir warm geworden sein.«

Sie wusste jedoch, dass es nie so sein würde. LC hatte sie von Anfang an nicht gemocht. Er war nur mit seiner Schwester Willow gemeinsam zu adoptieren gewesen, in die Heather sich Hals über Kopf verliebt hatte. Weil LC dazugehörte, nahm sie ihn eben mit. Er war das absolute Gegenteil seiner Schwester. Willow liebte die ganze Welt, vor allem ihr Frauchen. Sie war ein Kuscheltier, hatte immer gute Laune, war der Lichtblick im Haus. LC dagegen ertrug die Zeit mit Heather, weil er keine andere Wahl hatte. Es gab nur wenige Menschen, die er mochte, und einen, den er liebte, doch sie fiel nicht in diese beiden Kategorien.

Leider war Willow vor zwei Jahren an einem großzelligen Lymphom gestorben. In weniger als zwei Wochen war aus der fröhlichen, gesunden Katze ein sterbenskrankes Tier geworden. Heather und LC waren erschüttert. Sie hatte gedacht, der Verlust würde sie zusammenschweißen, doch LC blieb ein unversöhnlicher Heather-Hasser.

Sie machte das zweite Kätzchen fertig und nahm das dritte heraus. Es war ruhig, kein Mucks war in der Wohnung zu hören. Beim Versorgen der Babys ignorierte Heather die Stimme in ihrem Kopf, die flüsterte, dass sie einsam war und vielleicht etwas dagegen tun sollte. Dass keine halbe Stunde entfernt ein sehr gut aussehender Mann wohnte, der ihr gesagt hatte, dass er sie liebte und den Rest des Lebens mit ihr verbringen wollte.

Beim Gedanken an Campbell zog sich ihre Brust zusammen. Tagsüber fiel es ihr nicht schwer, taff zu sein, aber um drei Uhr morgens war das etwas anderes. Wenn sie zu dieser Uhrzeit die Kätzchen fütterte, fragte sie sich oft, wie es wohl weitergegangen wäre, wenn sie es über sich gebracht hätte zu sagen: Schön, dann lass uns zusammenziehen. Oder irgendeine Version von: Ja, ich liebe dich auch. Doch das hatte sie nicht gekonnt. Sie brachte es nicht über die Lippen. Es war unvorstellbar für sie, das Risiko einzugehen, jemandem ihr Herz zu schenken. Das war viel zu gefährlich und lohnte sich nicht. Aber das bedeutete nicht, dass Campbell ihr nicht fehlte.

»Du hast ihn geliebt«, sagte sie zu LC.

Ihr griesgrämiger Kater hatte Campbell erblickt und war hin und weg gewesen. Bei Campbell war LC ein schnurrender, verschmuster Stubentiger. Oft hatten Campbell und sie sich darüber lustig gemacht. Als zwischen ihnen Schluss war, hatte sie Campbell den Kater angeboten, weil die beiden ganz offensichtlich füreinander bestimmt waren. Doch Campbell hatte das Angebot völlig falsch verstanden. Er hatte sie angeguckt, als sei sie der grausamste Mensch der Welt, und gezischt, sie solle nicht noch mehr Herzen von Wesen brechen, die sie liebten.

Selbst jetzt zog sich alles in ihr zusammen, wenn sie an seine Worte dachte. Natürlich hatte sie das nicht so gemeint. Sie hatte LC nicht verstoßen wollen, sie hatte nur die Möglichkeit gesehen, die beiden glücklich zu machen.

Das hatte sie auch zu erklären versucht, Campbell hatte jedoch nichts davon wissen wollen, und irgendwann war sie in die Defensive geraten. So kam es immer. Dann hatten sie sich Beleidigungen an den Kopf geworfen, sie war gegangen, und das war es gewesen. Doch selbst nach so langer Zeit fehlte Campbell ihr, und manchmal fragte sie sich um drei Uhr morgens, ob es falsch gewesen war, ihn gehen zu lassen.

Heather war mit dem letzten Kätzchen fertig und legte es neben LC. Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass die Heizdecke die richtige Temperatur hatte und die andere Decke darüberlag, kraulte sie den Kater vorsichtig.

»Du kannst auch drüben bei mir schlafen.«

Er drehte sich leicht ab und wandte ihr den Rücken zu. Die Botschaft war eindeutig. LCs Abfuhr war nichts Neues, doch aus irgendeinem Grund schmerzte sie mehr als sonst. Heather sammelte die Utensilien zur Versorgung der Kätzchen ein und machte die Tür hinter sich zu.

Nachdem sie aufgeräumt hatte, legte sie sich wieder ins Bett und bemühte sich, einzuschlafen. Doch anstatt die Augen zu schließen, starrte sie an die Decke und bereute, bei Campbell nicht am Ball geblieben zu sein. Der Mann hatte sie geliebt und sich gewünscht, dass sie bei ihm einzog. War das so furchtbar? Warum hatte sie nicht ein bisschen kooperativer sein können?

Doch die Vorstellung, sich zu verpflichten, ihm zu sagen, dass sie ihn liebte, hatte ihr Angst gemacht. Tatsächlich hatte sie noch niemals jemandem ihre Liebe gestanden, abgesehen von ihren beiden Cousinen, bei denen sie groß geworden war. Keiner Freundin, und schon gar keinem Mann. Das war einfach zu riskant. Zu erschreckend, sich das vorzustellen. Was sie in die unerträgliche Lage brachte, sich nach etwas zu sehnen, das ihr Angst machte, und dabei Campbell völlig zu verlieren.

3. Kapitel

Schnell wechselte Tori ihren Pyjama mit dem Gänseblümchenmuster gegen Yogahose und Sweatshirt und schlüpfte in Clogs. Zeus und Scout beobachteten sie von ihrem bequemen Liegeplatz auf dem Bett aus. Ihre Gesichter drückten aus: Uns geht’s gut. Wir wollen schlafen.

»Ich sehe euch gar nicht«, sagte Tori und ging durch den Flur zur Wohnungstür.

Es war erst kurz nach sechs am Morgen, doch das hieß Ende Juli an der nordwestlichen Pazifikküste, dass die Sonne bereits vor zwei Stunden aufgegangen war. Besser noch, der klare Himmel versprach einen wunderschönen Tag.

»Los geht’s«, rief Tori und steckte Kotbeutel und Leinen ein. Die Hunde kamen angelaufen, dann fuhren sie zu dritt im Aufzug nach unten und machten sich auf ihre morgendliche Runde.

Tori hatte nichts gegen den frühen Spaziergang. Scout und Zeus leisteten ihr Gesellschaft, außerdem war die Gegend angenehm und ruhig. Besser wäre es nur noch, wenn jemand mit einem Kaffeewagen an der Ecke halten würde. Leider war das bisher nicht passiert.

Beim Überqueren der Straße lauschte sie in sich hinein und stellte fest, dass ihr Herz von dem Desaster mit Kyle am Vorabend nicht gebrochen war, ihr Stolz jedoch einen Dämpfer erlitten hatte. Sie wusste, dass sie hereingelegt worden und nicht für den ekelhaften Kyle verantwortlich war, dennoch konnte sie nicht leugnen, dass sie sich schämte. Es war ihr peinlich, nicht dahintergekommen zu sein, dass er verheiratet war.

Eine Stunde später waren beide Hunde gefüttert, und Tori hatte Grant eine Nachricht geschrieben, dass nicht mehr viel Futter für Zeus da war. Sie hatte geduscht und war fertig für die Arbeit. Um halb acht brachte sie Zeus in Grants Wohnung.

»Dein Herrchen kommt gleich«, sagte sie und streichelte den Rüden ein letztes Mal. Er wedelte zustimmend mit der Rute und legte sich zum Schlafen aufs Sofa. Sie ging mit Scout hinunter in die Garage. Der Labradoodle sprang auf die Rückbank ihres kleinen SUV.

Nachdem sie sich vierzig Minuten durch den Verkehr gekämpft hatte, bog Tori in einen schicken Bürokomplex ab und rollte in die für sie reservierte Parklücke. Zusammen mit Scout betrat sie das Gebäude und fuhr hoch in die Firma, wo die Hündin alle begrüßte, die schon da waren, um dann in Toris Büro zurückzukehren und sich in ihr flauschiges Bett in der Ecke zu legen.

Tori machte ihre drei Computerbildschirme an und öffnete die Dateien für die Werbekampagne von Mountain Goat Northwest, die sie schon angelegt hatte. Was sie sich bisher hatte einfallen lassen, war zwar nicht schlecht, aber auch nicht der Hit. Sie hoffte auf eine Eingebung.

Sie ging auf ihre bevorzugten Bilder-Seiten und suchte nach Fotos von Bergen und Skifahrern, fand aber alle angebotenen Motive langweilig. Sie wollte etwas Ausgefallenes, Frisches, nichts Abgegriffenes. Die Kampagne sollte erlebnisorientiert sein, doch dahinter stand erst mal nur eine Idee. Tori schaute Fotos von Extremwintersportarten durch und fand ein interessantes Bild von einsamen Skispuren in einem Schneesturm.

»Irgendeiner nimmt immer den längeren Weg«, murmelte sie und zeichnete etwas in ihren Block. »Vielleicht muss man manchmal auch den längeren Weg nehmen.«

Sie kaufte die Lizenz für das Bild und lud es auf einen ihrer Bildschirme, dann machte sie mit ihrer Zeichnung weiter. Mountain Goat Northwest wollte, dass sich die erste Werbekampagne um eine Art Party drehte. Kein besonders originelles Konzept, aber machbar, überlegte Tori, während ihre Hand übers Papier flog und sie ins Unreine ein Storyboard entwarf, in dem sportliche junge Leute mit verschiedenen Verkehrsmitteln zur Party von MGNW kamen. Unter anderem ein einsamer Skifahrer, denn manchmal war der längere Weg … Ja, was? Lohnend? Wichtig?

Scout stupste gegen ihre Hand. Sie riss sich von ihrem Skizzenbuch los und sah den Hund an. »Wirklich? Jetzt schon?«

Eigentlich musste Scout nur ein paarmal am Tag vor die Tür. Doch als Tori aufstand, stellte sie fest, dass sie völlig verspannt war, weil sie – sehr lange – in derselben Haltung verharrt hatte. Sie schaute auf die Uhr. Oh nein! Vier Stunden.

»Los, wir gehen raus«, sagte sie.

Auf dem Weg nach draußen gesellte sich Heather zu ihr.

»Hab dich den ganzen Vormittag nicht gesehen«, sagte ihre Chefin beziehungsweise Freundin.

»Habe am Storyboard gearbeitet. In ein paar Stunden zeig ich dir die Ergebnisse. Ist noch nicht fertig, hat aber Potenzial.«

»Bin gespannt.« Heather lächelte. »Und wie war’s gestern Abend?«

In Gedanken weiterhin im Arbeitsmodus, brauchte Tori einen Moment, bis sie die Frage verstand. Was war noch mal am Vorabend passiert?

»Was ist?«, fragte Heather besorgt. »War der Typ ein Spinner? Wollte er sofort mit dir in die Kiste?«

Tori ging zu dem Grasstreifen neben dem Gebäude. »Schlimmer. Er ist verheiratet. Seine Frau hat uns überrascht.« Sie schilderte den Albtraum. »Alles, was er gesagt hat, war erstunken und erlogen. Es war noch nicht mal sein eigener Hund. Ich komme mir so blöd vor.«

»Warum? Das konntest du doch nicht wissen.«

»Er schien zu gut, um wahr zu sein. Das hätte mich misstrauisch machen müssen. Ich habe immer so verdammtes Glück, wenn es um Männer geht.«

»Du suchst dir wirklich ständig solche Chaoten aus. Tut mir leid, was passiert ist, aber das ist nicht deine Schuld.«

»Ich höre, was du sagst, ich glaube dir auch, aber tief im Innern denke ich, dass es an mir liegt. Ich bin das, was all diese Beziehungen gemeinsam haben.« Tori ging ein paar Schritte weiter, damit Scout an den Büschen schnüffeln konnte. »Ich wünsche mir doch nur einen netten Mann, bei dem mein Herz hin und wieder einen Schlag aussetzt. Ist das vielleicht zu viel verlangt?«

»Nein, ist es nicht. So jemanden gibt es auch. Du findest ihn irgendwann.«

Tori lächelte. »Ich meine das wirklich nicht böse, aber du bist der emotional verkorksteste Mensch, den ich kenne. Ich weiß nicht, ob mir dein Rat besonders weiterhilft.«

Heather lachte. »Schon gut.«

Tori überlegte. Sie war unsicher, ob sie ihrer Freundin vom kommenden Wochenende erzählen sollte, entschied sich dann aber dafür. »Am Sonntag wollen wir zusammen brunchen.«

Heathers Gesichtszüge erstarrten. »Ich habe schon was anderes vor.«

»Du gehst uns aus dem Weg.« Tori strich ihrer Freundin über den Arm. »Du fehlst uns. Ohne dich ist es nicht dasselbe.«

Ein- oder zweimal im Monat traf sich die Clique zu einem ausgedehnten Frühstück. Tori und Grant waren einfach gute Freunde, Daphne und Brody kamen als Paar, dazu Campbell. Als er noch mit Heather zusammen war, hatte die ihn begleitet, aber seitdem …

»Ich finde es schade, dass du nicht mehr dabei bist«, gestand Tori.

»Das wäre für alle nur unangenehm. Hast du nicht gesagt, Campbell hätte eine Neue?«

»Schon, ich glaube allerdings, es ist nichts Ernstes. Selbst wenn – du hast gesagt, du bist durch mit ihm. Können wir nicht wieder eine große Familie sein?«

»Zu siebt?«, gab Heather trocken zurück. »Wäre bestimmt lustig.«

»Warum nicht? Oder du findest jemanden und bringst ihn ebenfalls mit. Denk mal drüber nach. Wir treffen uns um zehn im Life’s a Yolk.«

»Ich überleg’s mir.«

Tori hätte ihrer Freundin gern geglaubt, doch tief in ihrem Herzen bezweifelte sie, dass Heather kommen würde. Die früher so eng miteinander verbundene Gruppe veränderte sich, was ihr nicht gefiel, ohne dass sie gewusst hätte, wie sie es aufhalten sollte.

Auch am Sonntagmorgen konnte Heather die Unruhe nicht abschütteln, die sie inzwischen seit Tagen umtrieb. Schon früh hatte sie die Kätzchen gefüttert und eine To-do-Liste erstellt. Sie musst...

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