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Beautiful Player

hier erhältlich:

Band 3 der unwiderstehlichen New York Times-Bestsellerserie:
Eine sexy Streberin. Ein faszinierender Frauenheld. Eine heiße Herausforderung …

Hanna Bergstrom liebt ihr Studium - und hat deshalb jahrelang ihr Privatleben vernachlässigt. Schluss damit! Will, der beste Freund ihres Bruders - stinkreicher Geschäftsmann und unverbesserlicher Playboy - soll ihr helfen, sich in eine Femme Fatale zu verwandeln, die allen Männern den Kopf verdreht.

Will Sumner liebt Herausforderungen - und ist dennoch skeptisch. Kann aus der attraktiven, aber unschuldigen Hanna wirklich eine hemmungslose Verführerin werden? Er zweifelt - bis sie ihm in einer aufregenden Nacht ihre sinnliche Seite zeigt. Und plötzlich gewinnt das Spiel mit der Verführung eine ganz besondere Note …

Doch was sind sie bereit zu riskieren, wenn die Grenzen zwischen Leidenschaft und Vernunft verschwimmen?


  • Erscheinungstag: 01.09.2015
  • Aus der Serie: Beautiful Bastard
  • Bandnummer: 5
  • Seitenanzahl: 300
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956492129
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Christina Lauren

Beautiful Player

Roman

Aus dem Amerikanischen von Mette Friedrichs

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright eBook © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Beautiful Player

Copyright © 2013 by Lauren Billings und Christina Hobbs

erschienen bei: Gallery Books, New York

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by arrangement with the original publisher, Gallery Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Maya Gause

Titelabbildung: Simon & Schuster, New York; Getty Images, München

ISBN eBook 978-3-95649-212-9

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

 

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

 

Bei MIRA Taschenbuch sind bisher folgende Titel von

Christina Lauren erschienen:

Beautiful Bastard (Beautiful Bastard # 1)

Beautiful Stranger (Beautiful Bastard # 2)

Beautiful Bitch (Beautiful Bastard # 2.1, Novelle)

Beautiful Bombshell (Beautiful Bastard # 2.2, Novelle)

Beautiful Player (Beautiful Bastard # 3)

PROLOG

Wir befanden uns im hässlichsten Apartment von ganz Manhattan, und es lag nicht nur daran, dass mein Hirn außergewöhnlich unempfänglich für Kunst jeglicher Art war – auch objektiv gesehen sahen alle hier ausgestellten Gemälde einfach nur abscheulich aus. Ein behaartes Bein, das aus einem Blumenstiel wuchs. Ein Mund, aus dem Spaghetti quollen. Neben mir brummten mein ältester Bruder und mein Vater nachdenklich vor sich hin, nickten, als ob sie irgendwas von dem, was sie da sahen, auch verstünden. Ich war diejenige, die uns vorwärts drängte; es schien eine unausgesprochene Regel zu geben, dass die Partygäste erst eine Runde drehen und die Kunst bewundern mussten, um erst dann die Häppchen zu genießen, die auf Tabletts durch den Raum getragen wurden.

Aber am Ende des Rundgangs hing zwischen zwei protzigen Kronleuchtern über dem massiven Kamin ein Gemälde mit einer Doppelhelix – die Struktur des DNA-Moleküls –, und über die gesamte Leinwand war ein Zitat von Tim Burton gedruckt: Wir wissen alle, dass artenübergreifende Liebe bizarr ist.

Begeistert lachte ich auf und drehte mich zu Jensen und Dad um. „Okay. Dieses hier ist super.“

Jensen seufzte. „Das ist ja mal wieder typisch.“

Ich sah zu dem Bild und dann wieder zu meinem Bruder. „Warum? Weil es das einzige in dieser ganzen Wohnung ist, das irgendeinen Sinn ergibt?“

Er warf Dad einen Blick zu, und etwas kam zurück, eine Art Erlaubnis, die der Vater dem Sohn gab. „Wir müssen mit dir über dein Verhältnis zu deinem Job reden.“

Es dauerte einen Moment, bis seine Worte, sein Tonfall und sein entschlossener Gesichtsausdruck in mein Bewusstsein vordrangen. „Jensen“, sagte ich, „müssen wir diese Unterhaltung wirklich hier führen?“

„Ja, hier.“ Seine grünen Augen wurden ganz schmal. „Es ist das erste Mal in den vergangenen zwei Tagen, dass ich dich außerhalb des Labors sehe und du nicht gerade schläfst oder was zu essen runterschlingst.“

Mir war schon öfter aufgefallen, wie sich die hervorstechendsten Charaktermerkmale meiner Eltern – Besonnenheit, Charme, Sorgfalt, Spontaneität und Arbeitseifer – anscheinend ziemlich klar und gezielt auf ihre fünf Kinder aufgeteilt hatten.

Besonnenheit und Arbeitseifer waren kurz davor, mitten auf einer Soiree in Manhattan gegeneinander in den Ring zu steigen.

„Wir sind auf einer Party, Jens. Wir sollten uns darüber unterhalten, wie wunderbar diese Kunst ist“, entgegnete ich und zeigte vage auf die Wände des opulent möblierten Wohnzimmers. „Und wie skandalös das … irgendwas … ist.“ Ich hatte keine Ahnung vom jüngsten Klatsch und Tratsch, und diese Unwissenheit bekräftigte nur den Standpunkt meines Bruders.

Ich beobachtete, wie er sich zwang, nicht die Augen zu verdrehen.

Dad reichte mir ein Häppchen, das aussah wie eine Schnecke auf einem Cracker, und ich schob es unauffällig unter eine Serviette, als ein Caterer vorbeiging. Mein neues Kleid kratzte, und ich wünschte, ich hätte mir die Zeit genommen, die anderen im Labor wegen dieses Spanx-Mieders zu befragen, das ich gerade trug. Nach meiner ersten Erfahrung damit war ich jetzt überzeugt, dass es von Satan persönlich kreiert worden sein musste oder von einem Mann, der zu dünn war, um Skinny Jeans zu tragen.

„Du bist nicht nur klug“, sagte Jensen zu mir. „Du bist auch witzig. Nett. Und ein hübsches Mädchen.“

„Frau“, korrigierte ich nuschelnd.

Er beugte sich zu mir vor, damit vorbeigehende Partygäste nichts von unserem Gespräch mitbekamen. Nicht auszudenken, einer aus der New Yorker High Society könnte hören, wie er mir predigte, eine Sozialkontakt-Schlampe zu werden. „Deswegen verstehe ich nicht, wie es sein kann, dass wir dich hier seit drei Tagen besuchen, und die einzigen Leute, mit denen wir uns treffen, sind meine Freunde.“

Ich lächelte meinen ältesten Bruder an und ließ mich von der Dankbarkeit für sein übertrieben gluckenhaftes Verhalten überfluten, bevor die langsamere, heiße Röte der Verärgerung meine Haut überzog; es fühlte sich an, als hätte ich heißes Eisen berührt: der scharfe Schmerz, gefolgt von einem anhaltenden, pochenden Brennen. „Ich hab bald meinen Abschluss, Jens. Danach ist noch genügend Zeit zum Leben.“

Das ist das Leben“, sagte er und sah mich nachdrücklich mit großen Augen an. „Genau hier und jetzt. Als ich in deinem Alter war, hab ich gerade so den Notendurchschnitt geschafft und sonntags nur gebetet, am Montag keinen Kater mehr zu haben.“

Dad stand schweigend neben ihm und ignorierte zwar seine letzte Bemerkung, nickte aber ansonsten dem allgemeinen Tenor zustimmend, dass ich ein Loser ohne Freunde war. Ich warf ihm einen Blick zu, der ihm sagen sollte: Muss ich mir das von einem arbeitssüchtigen Wissenschaftler anhören, der mehr Zeit im Labor verbracht hat als daheim? Aber er blieb ungerührt, machte das gleiche Gesicht, wie wenn eine Verbindung, die er für löslich gehalten hatte, als schmierige Suspension im Reagenzglas kleben blieb: verwirrt, vielleicht auch aus Prinzip ein bisschen beleidigt.

Dad hatte mir seinen Arbeitseifer vererbt, aber er hatte immer angenommen, dass Mom mir auch etwas von ihrem Charme mitgegeben hatte. Vielleicht dachte er das, weil ich ein weibliches Wesen war, oder vielleicht, weil er dachte, dass jede Generation sich auf Basis der Handlungen der vorherigen ein bisschen verbessern sollte. Jedenfalls sollte ich eine bessere Work-Life-Balance hinbekommen, als er es getan hatte. An seinem fünfzigsten Geburtstag hatte er mich in sein Arbeitszimmer gebeten und mir schlicht gesagt: „Die Menschen sind genauso wichtig wie die Wissenschaft. Lerne aus meinen Fehlern.“ Und dann hatte er ein paar Papiere auf seinem Schreibtisch zurechtgerückt und auf seine Hände gestarrt, bis ich mich genügend langweilte, um aufzustehen und zurück ins Labor zu gehen.

Es war eindeutig: Ich war nicht sonderlich erfolgreich gewesen.

„Ich weiß, dass ich herrisch klinge“, flüsterte Jensen.

„Ein bisschen“, stimmte ich ihm zu.

„Und ich weiß, dass ich dir in dein Leben reinrede.“

Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu und flüsterte: „Du bist meine persönliche Athena Poliás.“

„Abgesehen davon, dass ich nicht aus Griechenland komme und einen Penis habe.“

„Daran möchte ich lieber nicht denken.“

Jensen seufzte, und endlich schien Dad zu begreifen, dass dies eigentlich eine Aufgabe für zwei war. Sie waren beide hergekommen, um mich zu besuchen, und auch wenn es mir wie eine merkwürdige Kombination für einen willkürlichen Besuch im Februar erschienen war, hatte ich mir deswegen bisher keine weiteren Gedanken gemacht. Jetzt legte Dad seinen Arm um mich, drückte mich. Seine Arme waren lang und dünn, aber er hatte schon immer den eisernen Griff eines Mannes, der sehr viel stärker war, als er aussah. „Ziggy, du bist ein gutes Kind.“

Ich lächelte über Dads wohldurchdachten Versuch, mich verbal aufzumuntern. „Danke.“

Jensen fügte hinzu: „Du weißt, dass wir dich lieben.“

„Ich liebe euch auch. Meistens zumindest.“

„Aber … sieh es als eine Art Intervention. Du bist süchtig nach Arbeit. Dir kann es gar nicht schnell genug gehen, auf der Karriereleiter nach oben zu klettern. Vielleicht übernehme ich immer zu sehr das Ruder und versuche über dein Leben zu bestimmen …“

„Vielleicht?“, unterbrach ich ihn. „Du hast mir doch schon immer alles vorgeschrieben, angefangen bei dem richtigen Zeitpunkt, wann Mom und Dad die Stützräder von meinem Rad nehmen sollten, bis hin zu der Frage, ob ich auch nach Sonnenuntergang noch unterwegs sein durfte. Und da hast du nicht einmal mehr zu Hause gewohnt, Jens. Ich war sechzehn.“

Er brachte mich mit einem Blick zum Schweigen. „Ich werde dir nicht sagen, was du tun sollst, das schwöre ich, nur …“ Er brach ab, sah sich um, als würde jemand für ihn ganz in der Nähe ein Schild mit dem Ende des Satzes hochhalten. Jensen zu bitten, sich nicht mehr so sehr in mein Leben einzumischen, war so, als würde man jemanden bitten, zehn Minuten lang nicht zu atmen. „Nur ruf jemanden an.“

„Jemanden? Jensen, du hast doch gerade gesagt, dass ich keine Freunde habe. Das stimmt zwar nicht so ganz, aber wen glaubst du, sollte ich anrufen, um diese ganze Geh-raus-und-fang-anzu-leben-Sache anzustoßen? Einen der anderen Studenten, der gerade genauso mit Recherchen beschäftigt ist wie ich? Es geht hier um Biomedizin, Jensen. Da tummeln sich nicht gerade Massen von Promis.“

Er schloss die Augen und wandte den Kopf zur Decke, bis ihm etwas einzufallen schien. Als er mich wieder ansah, hatte er die Augenbrauen hochgezogen. Hoffnung und unwiderstehliche brüderliche Zärtlichkeit lagen in seinem Blick. „Wie wär’s mit Will?“

Ich riss Dad die noch volle Champagnerflöte aus der Hand und trank sie in einem Zug aus.

Mein Bruder musste nicht groß wiederholen, was er gesagt hatte. Will Sumner war Jensens bester Freund vom College, Dads ehemaliger Praktikant und das Objekt jeder einzelnen meiner Teenager-Fantasien. Während ich immer die freundliche, etwas nerdige kleine Schwester gewesen war, war Will der Prototyp eines Bad Boys, mit dem herausfordernden Lächeln, den gepiercten Ohren und den blauen Augen, die jedes Mädchen, das er traf, zu hypnotisieren schienen.

Als ich zwölf war, war Will neunzehn, und über Weihnachten kam er für ein paar Tage mit Jensen zu uns nach Hause. Er hatte etwas Dreckiges an sich und war – selbst damals schon – verdammt attraktiv; er jammte gemeinsam mit Jensen in der Garage auf seinem Bass und flirtete die ganzen Feiertage über mit meiner älteren Schwester Liv. Als ich sechzehn war, hatte er gerade das College abgeschlossen und lebte einen Sommer lang bei uns, während er für meinen Vater arbeitete. Er hatte eine so unglaublich rohe, sexuelle Ausstrahlung, dass ich meine Jungfräulichkeit an einen fummelnden, vergessenswürdigen Jungen aus meiner Klasse verlor, um mich endlich von dem schmerzlichen Sehnen zu befreien, dass mich jedes Mal befiel, wenn ich mich auch nur in Wills Nähe befand.

Meine Schwester hatte sich zumindest von ihm küssen lassen, dessen war ich mir sicher – und Will war eh zu alt für mich –, dennoch: Zumindest hinter verschlossenen Türen und in einem geheimen Winkel meines Herzens konnte ich zugeben, dass Will Sumner der erste Junge war, den ich jemals küssen wollte … und auch der erste Junge, der mich irgendwann dazu brachte, dass ich meine Hand unter die Bettdecke schob, während ich in der Dunkelheit meines Zimmers an ihn dachte.

An sein teuflisches, spielerisches Lächeln und an die Haare, die ihm immer wieder vor das rechte Auge fielen.

An seine weichen, muskulösen Oberarme und die gebräunte Haut.

An seine langen Finger und selbst an die kleine Narbe auf seinem Kinn.

Während sich die Jungs in meinem Alter alle gleich anhörten, war Wills Stimme tief und ruhig. Sein Blick war geduldig und wissend. Seine Hände waren nie hektisch und nervös; für gewöhnlich steckten sie tief in seinen Hosentaschen. Er leckte sich die Lippen, wenn er Mädchen betrachtete, und er machte leise, selbstsichere Bemerkungen über Brüste und Beine und Zungen.

Blinzelnd sah ich zu Jensen auf. Ich war keine sechzehn mehr. Ich war vierundzwanzig, und Will war einunddreißig. Vor vier Jahren hatte ich ihn das letzte Mal gesehen, auf Jensens verhängnisvoller Hochzeit, und sein stilles, charismatisches Lächeln war nur noch intensiver, noch nervenaufreibender geworden. Fasziniert hatte ich beobachtet, wie Will mit den zwei Brautjungfern meiner Schwägerin in die Garderobe entschwunden war.

„Ruf ihn an“, drängte mich Jensen jetzt und holte mich damit aus meinen Erinnerungen. „Er hat eine gute Work-Life-Balance. Und er kommt hier aus der Gegend. Außerdem ist er ein netter Typ, einer von der guten Sorte. Geh halt … einfach nur ein bisschen aus, okay? Er wird sich um dich kümmern.“

Ich versuchte das Pulsieren zu unterdrücken, das sich überall auf meiner Haut ausbreitete, als mein ältester Bruder das sagte. Die Frage war, wie sich Will um mich kümmern sollte – meiner Meinung nach. Wollte ich, dass er als Freund meines Bruders mir einfach nur dabei half, eine bessere „Work-Life-Balance“ zu finden? Oder wollte ich einen erwachsenen Blick auf das Objekt meiner schmutzigsten Fantasien werfen?

„Hanna“, drängte Dad mich. „Hast du gehört, was dein Bruder gesagt hat?“

Ein Kellner kam mit einem Tablett Champagner vorbei, und ich tauschte das leere Glas gegen ein volles aus.

„Ich hab’s gehört. Und ja, ich werde Will anrufen.“

EINS

Es tutete einmal. Dann ein zweites Mal.

Ich unterbrach mein Hin- und Hergerenne gerade lang genug, um den Vorhang zurückzuziehen, einen Blick aus dem Fenster zu werfen und stirnrunzelnd in den Himmel hinaufzusehen. Es war noch immer dunkel draußen, aber ich redete mir ein, dass der Himmel dunkelblau, nicht schwarz war und bereits begann, am Horizont leicht ins Pink- und Lilafarbene überzugehen. Streng genommen war es also morgens.

Seit Jensens Standpauke waren drei Tage vergangen, und dies war, irgendwie passend, mein dritter Versuch, Will anzurufen. Aber auch wenn ich keinen blassen Schimmer hatte, was ich sagen würde – was mein Bruder erwartete, dass ich sagte –, begriff ich, je mehr ich darüber nachdachte, dass Jensen recht gehabt hatte: Ich verbrachte fast meine gesamte Zeit im Labor, und wenn ich gerade nicht dort war, dann, weil ich schlafen oder essen musste. Mein Entschluss, allein in dem Apartment meiner Eltern in Manhattan zu wohnen, anstatt irgendwo dichter bei meinen Kommilitonen in Brooklyn oder Queens, vergrößerte nicht gerade meine Möglichkeiten, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Der Inhalt meines Kühlschranks bestand aus seltsamem Gemüse, fragwürdigen Take-away-Resten und Tiefkühlgerichten. Mein ganzes Leben hatte sich bis zu diesem Augenblick darum gedreht, meinen Abschluss zu machen und anschließend den perfekten Job in der Forschung zu bekommen. Es war ernüchternd, festzustellen, dass ich mich tatsächlich sonst um nichts gekümmert hatte.

Anscheinend war meiner Familie das aufgefallen, und aus irgendeinem Grund schien Jensen zu glauben, dass die Chance, mich vor dem drohenden Jungfernschicksal zu retten, in Gestalt von Will daherkam.

Ich war mir dessen weniger sicher. Deutlich weniger.

Zugegebenermaßen hatten wir kaum eine gemeinsame Vergangenheit, und es war durchaus möglich, dass er sich nicht mehr groß an mich erinnerte. Ich war die kleine Schwester, eine Statistin, die Kulisse für seine vielen Abenteuer mit Jensen und seine kurze Affäre mit meiner Schwester. Und jetzt würde ich ihn anrufen, um – ihn um was zu bitten? Dass er mit mir ausging? Mich zu einem Spieleabend einlud? Mir beibrachte, wie man …

Ich konnte diesen Gedanken nicht mal zu Ende denken.

Vielleicht sollte ich besser wieder auflegen. Oder mich wieder ins Bett verkriechen und meinem Bruder sagen, dass er mich kreuzweise konnte und sich ein anderes Projekt suchen musste. Aber nach dem vierten Tuten – ich hielt das Telefon so fest umklammert, dass ich es vermutlich morgen noch spüren würde – nahm Will ab.

„Hallo?“ Seine Stimme war genau, wie ich sie in Erinnerung hatte, kräftig und klangvoll, allerdings noch ein bisschen tiefer. „Hallo?“, fragte er wieder.

„Will?“

Er atmete tief ein, und ich hörte, wie er lächelte, als er meinen Spitznamen sagte: „Ziggy?“

Ich lachte; natürlich erinnerte er sich auf diese Weise an mich. Nur meine Familie nannte mich noch Ziggy. Niemand wusste so recht, was der Name bedeutete – sie hatten dem zweijährigen Eric ganz schön viel Macht gegeben, als er einen Spitznamen für das neue Schwesterchen aussuchen durfte –, aber dennoch war er hängen geblieben. „Ja. Hier ist Ziggy. Wie hast du …?“

„Jensen hat gestern mit mir telefoniert“, erklärte er. „Er hat mir alles von seinem Besuch erzählt und dem verbalen Arschtritt, den er dir verpasst hat. Und dann hat er erwähnt, dass du anrufen könntest.“

„Tja, hier bin ich also“, sagte ich lahm.

Ein Gähnen war zu hören und das leise Rascheln von Laken. Ich versuchte mir auf keinen Fall vorzustellen, in welchem Stadium der Nacktheit sich der Mann am anderen Ende der Leitung befand. Aber die Schmetterlinge in meinem Bauch flatterten bis in meinen Hals, als mir klar wurde, dass er sich müde anhörte, weil er noch geschlafen hatte. Okay, vielleicht war es streng genommen doch noch nicht morgens …

Ich warf noch einmal einen Blick nach draußen. „Ich hab dich doch nicht geweckt, oder?“ Ich hatte noch nicht mal auf die Uhr gesehen, und jetzt fürchtete ich mich davor.

„Schon in Ordnung. Mein Wecker hätte eh in …“ – er gähnte – „… einer Stunde geklingelt.“

Ich unterdrückte ein schuldbewusstes Stöhnen. „Entschuldige. Ich war wohl ein bisschen … aufgeregt.“

„Nein, nein, schon in Ordnung. Wie konnte ich nur vergessen, dass du jetzt in der Stadt lebst. Hab gehört, dass du dich seit drei Jahren bei P und S versteckst und dort unter einer Schutzhaube pipettierst.“

Mein Magen drehte sich leicht, weil seine tiefe Stimme bei seiner scherzhaften Schelte so heiser geworden war. „Hört sich an, als wärst du auf Jensens Seite.“

Sein Ton wurde weicher. „Er sorgt sich nur um dich. Als dein großer Bruder macht er nichts lieber als das.“

„So was in der Art hab ich schon mal gehört.“ Ich begann wieder im Zimmer hin und her zu tigern, ich musste irgendwas tun, um meine Nervosität loszuwerden. „Ich hätte früher anrufen sollen …“

„Das hätte ich auch.“ Er bewegte sich, schien sich aufzusetzen. Ich hörte ihn wieder gähnen, als er sich streckte, und schloss bei dem Geräusch die Augen. Es hörte sich exakt, genau und verstörenderweise an wie Sex.

Atme durch die Nase, Hanna. Schön ruhig bleiben.

„Hast du Lust, heute etwas zu unternehmen?“, brach es aus mir hervor. So viel zum Thema „ruhig“.

Er zögerte, und ich hätte mir eine runterhauen können, weil ich nicht daran gedacht hatte, dass er vielleicht schon was anderes vorhatte. Wie arbeiten. Und nach der Arbeit vielleicht ein Date mit einer Freundin. Oder Ehefrau. Plötzlich spitzte ich die Ohren, um mir ja keinen Laut entgehen zu lassen, der durch die Stille zu mir dringen könnte.

Nach einer Ewigkeit fragte er: „Was schwebt dir vor?“

Fangfrage. „Abendessen?“

Will hielt für mehrere schmerzhafte Sekunden inne. „Ich hab da was. Ein spätes Meeting. Wie wär es mit morgen?“

„Labor. Ich hab bereits eingeplant, von diesen blöden Zellen, die extrem langsam wachsen, nach achtzehn Stunden eine Probe zu nehmen, und ich würde mir zu Recht einen scharfen Gegenstand in den Bauch rammen, wenn ich das hier versaue und wieder von vorne anfangen muss.“

„Achtzehn Stunden? Das ist ein langer Tag, Ziggy.“

„Ich weiß.“

Er brummte vor sich hin, bevor er fragte: „Um wie viel Uhr musst du heute Morgen ins Labor?“

„Später“, sagte ich und verzog das Gesicht, als ich auf die Uhr sah. Es war erst sechs. „Vielleicht so gegen neun oder zehn.“

„Hast du Lust, mit mir im Park joggen zu gehen?“

„Du läufst?“, fragte ich. „Freiwillig?“

„Ja“, sagte er und lachte jetzt herzhaft. „Und zwar nicht, weil ich verfolgt werde, sondern weil ich trainiere.“

Ich kniff die Augen zusammen, spürte das vertraute Jucken, wenn ich etwas durchziehen wollte, eine Herausforderung, eine verdammte Aufgabe. Blöder Jensen. „Wann?“

„In etwa dreißig Minuten?“

Ich sah wieder aus dem Fenster. Es war fast noch dunkel. Auf dem Boden lag Schnee. Veränderung, erinnerte ich mich. Und schloss erneut die Augen. „Schick mir eine Nachricht mit der Adresse. Ich treff dich dort.“

Es war kalt. Zum Arschabfrieren kalt, um genauer zu sein.

Ich las noch einmal Wills Nachricht, in der er mich bat, ihn in der Nähe der Engineers Gate an der 5th und 19th im Central Park zu treffen, und lief auf und ab, um möglichst warm zu bleiben. Die eisige Morgenluft stach wie kleine Nadelstiche auf meiner Haut und kroch durch den Stoff meiner Hose.

Ich wünschte, ich hätte eine Mütze aufgesetzt.

Ich wünschte, ich hätte daran gedacht, dass es Februar in New York war und nur verrückte Leute im Februar in New York in den Park gingen.

Schon jetzt konnte ich meine Finger nicht mehr spüren und machte mir ernsthaft Sorgen, dass mir bei der kalten Luft in Verbindung mit dem frostigen Wind die Ohren abfallen würden.

Es waren nur eine Handvoll Menschen in der Nähe: Überambitionierte Fitnesstypen und ein junges Pärchen, das sich auf einer Bank unter einem großen dürren Baum zusammenkuschelte; beide umklammerten sie einen Pappbecher mit etwas, das warm und köstlich aussah. Ein Schwarm grauer Vögel pickte auf dem Boden herum, und die Sonne begann gerade, sich in der Ferne über den Hochhäusern zu zeigen.

Die meiste Zeit meines Lebens hatte ich mich entweder als „gesellschaftlich einigermaßen akzeptierte Person“ oder als „brabbelnder Nerd“ gesehen und mich entsprechend schon öfter vollkommen fehl am Platz gefühlt: Als ich am MIT zum Beispiel vor Tausenden von Eltern und Studenten diesen Forschungspreis erhalten hatte, oder beinahe jedes Mal, wenn ich alleine einkaufen ging, oder, am denkwürdigsten, als Ethan Kingman in der elften Klasse wollte, dass ich ihm einen blies, und ich nicht die geringste Ahnung hatte, wie ich das tun sollte, ohne dabei das Atmen einzustellen. Und jetzt, während ich den mit jeder Minute heller werdenden Himmel betrachtete, hätte ich mich gerne in jede dieser Erinnerungen geflüchtet, nur um dies hier nicht tun zu müssen.

Nicht dass ich keine Lust hatte, laufen zu gehen … ehrlich gesagt, doch, daran lag es vor allem. Ich wollte nicht laufen gehen. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich wusste, wie man aus sportlichen Gründen lief. Und ich fürchtete mich auch nicht davor, Will zu sehen. Ich war nur nervös. Ich erinnerte mich daran, wie er früher gewesen war – irgendetwas an ihm hatte mich immer hypnotisiert. Irgendetwas an ihm hatte puren Sex verströmt. Ich war ihm bisher noch nie allein begegnet, und ich fürchtete, mir könnte schlicht die Gelassenheit fehlen, um damit klarzukommen.

Mein Bruder Jensen hatte mir eine Aufgabe gegeben: Lebe dein Leben intensiver! Denn er wusste genau: Wenn es irgendeinen Weg gab, sicherzustellen, dass ich etwas anpackte, dann war es, mich denken zu lassen, dass ich gerade versagte. Und während ich mir ziemlich sicher war, Jensen hatte nicht vorgehabt, dass ich mit Will Zeit verbrachte, damit er mir beibrachte, wie man sich mit Männern traf – und, lasst uns ehrlich sein, flachgelegt wurde –, musste ich dennoch in Wills Kopf hinein, musste vom Meister lernen und mich diesbezüglich mehr wie er verhalten. Ich brauchte nur so zu tun, als wäre ich ein Geheimagent auf einer Undercover-Mission: Rein! Raus! Und dann unauffällig verschwinden.

Anders als meine Schwester.

In den Wochen, nachdem die siebzehnjährige Liv über Weihnachten mit dem gepiercten, Bass spielenden Neunzehnjährigen namens Will rumgemacht hatte, lernte ich eine Unmenge darüber, wie es aussieht, wenn ein Mädchen von einem Bösewicht besessen ist. Will Sumner war der Inbegriff dieses Bösewichts.

Alle Jungs wollten meine Schwester, aber Liv hat nie so von jemandem geschwärmt wie von Will.

„Zig!“

Ich riss den Kopf hoch und sah in die Richtung, aus der ich gerufen worden war, und als ich den Mann erblickte, der da auf mich zukam, glaubte ich kaum meinen Augen zu trauen. Er war größer, als ich ihn in Erinnerung hatte, und besaß so einen langen, schlanken Körper – ein Oberkörper, der sich unendlich in die Luft zu strecken schien, und Beine, mit denen er eigentlich tollpatschig hätte aussehen müssen, es aber trotzdem nicht tat. Es war schon immer irgendwas Besonderes an ihm gewesen, etwas Magnetisches und Unwiderstehliches, das nichts zu tun hatte mit dem klassischen guten Aussehen oder mit symmetrischen Gesichtszügen. Aber meine Erinnerungen an den Will meiner Jugendzeit verblassten im Angesicht des Mannes, der jetzt vor mir stand.

Sein Lächeln war noch immer dasselbe: leicht schief und immer etwas verhalten, auf der Lauer, verlieh es seinem Gesicht einen fortwährend amüsierten Ausdruck. Als er näher kam, sah er kurz in die Richtung, aus der eine Sirene erklungen war, und ich konnte kurz einen Blick auf sein stoppeliges Kinn und seinen glatten, gebräunten Hals, der halb unter dem Kragen seines Sweatshirts verschwand, erhaschen.

Als Will bei mir ankam, wurde sein Lächeln breiter. „Guten Morgen“, sagte er. „Dachte mir doch, dass du es bist. Ich weiß noch, dass du früher immer so auf und ab getigert bist, wenn du nervös wegen der Schule oder irgendwas warst. Hat deine Mutter fast wahnsinnig gemacht.“

Ohne groß nachzudenken trat ich einen Schritt vor, legte meine Arme um seinen Hals und drückte mich fest an ihn. Ich konnte mich nicht erinnern, Will jemals so nah gewesen zu sein. Er war so warm und so stark … ich schloss die Augen, als ich spürte, wie er sein Gesicht oben auf meinen Kopf legte.

Seine tiefe Stimme schien durch mich hindurch zu vibrieren. „Schön, dich zu sehen.“

Agentin Hanna auf geheimer Mission.

Widerstrebend trat ich einen Schritt zurück, sog die Mischung aus klarer Luft und dem frischen Duft seiner Seife ein. „Ebenfalls schön, dich zu sehen.“

Leuchtend blaue Augen blickten auf mich herab, sein dunkles Haar war unordentlich unter eine schwarze Mütze gestopft. Er trat näher an mich heran und legte mir etwas auf den Kopf. „Hab schon vermutet, dass du das brauchst.“

Ich griff nach oben, fühlte die dicke Wollmütze. Wow, das war entwaffnend charmant. „Danke. Vielleicht behalte ich dann doch meine Ohren.“

Grinsend trat er wieder einen Schritt zurück, um mich von oben bis unten zu mustern. „Du siehst … anders aus, Ziggy.“

Ich lachte. „Mich hat seit Ewigkeiten niemand mehr so genannt, mal abgesehen von meiner Familie.“

Sein Lächeln verschwand, und er betrachtete einen Moment lang forschend mein Gesicht, als würde dort, falls er nur genügend Glück hatte, mein Name eintätowiert sein. Er hatte mich immer nur Ziggy genannt, genau wie meine Geschwister – Jensen natürlich, aber auch Liv und Niels und Eric. Bis ich von zu Hause fortging, war ich immer Ziggy gewesen. „Tja, wie nennen dich denn deine Freunde?“

„Hanna“, sagte ich leise.

Er starrte mich weiterhin an. Starrte auf meinen Hals, meine Lippen. Betrachtete dann ausgiebig meine Augen. Die Spannung zwischen uns war spürbar … aber, nein. Sicher interpretierte ich die Situation einfach nur gründlich falsch. Das genau war die Gefahr bei Will Sumner.

„Also“, setzte ich an und hob die Augenbrauen. „Laufen.“

Will blinzelte, als ob er plötzlich begreifen würde, wo er war. „Richtig.“

Er nickte, zog sich die Mütze tiefer über die Ohren. Er sah auf den ersten Blick so vollkommen anders aus, als ich ihn in Erinnerung hatte – gepflegt und erfolgreich – doch wenn ich nah genug hinschaute, konnte ich schwach die Löcher erkennen, wo er früher die Ohrringe getragen hatte.

„Zuallererst“, sagte er, und ich konzentrierte mich rasch wieder auf sein Gesicht, „möchte ich, dass du nach Eis Ausschau hältst. Sie sind dabei, die Wege freizuräumen, aber wenn du nicht aufpasst, kannst du dir trotzdem ganz schön wehtun.“

„Okay.“

Er zeigte auf den Weg, der sich um das gefrorene Wasser schlängelte. „Das ist die untere Schleife. Sie umrundet das Reservoir und sollte ideal sein, weil sie nur wenige Steigungen hat.“

„Und du läufst die Strecke jeden Tag?“

Wills Augen glitzerten, als er den Kopf schüttelte. „Nicht diese hier. Die ist nur zweieinhalb Kilometer lang. Weil du eine Anfängerin bist, gehen wir das erste und letzte Stück und laufen nur die anderthalb Kilometer in der Mitte.“

„Warum laufen wir nicht einfach deine normale Strecke?“, fragte ich, weil mir der Gedanke nicht gefiel, dass er für mich langsamer lief oder seine Routine veränderte.

„Weil sie zehn Kilometer lang ist.“

„Das schaffe ich problemlos“, sagte ich. Zehn Kilometer schienen mir nicht dermaßen viel zu sein. Wenn ich weit ausholte, wären das vermutlich sechzehntausend Schritte … Ich spürte, wie meine Mundwinkel sich nach unten verzogen, während ich mir das gründlicher überlegte.

Er tätschelte mit übertriebener Geduld meine Schulter. „Natürlich schaffst du das. Aber lass uns erst mal sehen, wie du dich heute anstellst, und dann können wir darüber reden.“

Und dann? Dann zwinkerte er mir tatsächlich zu.

Anscheinend war ich also keine besonders gute Läuferin.

„Das machst du jeden Tag?“, keuchte ich. Ich spürte, wie der Schweiß mir von der Stirn in den Nacken lief, und hatte nicht die Kraft, ihn wegzuwischen.

Er nickte, wobei er aussah, als würde er gerade nur einen strammen Morgenspaziergang genießen. Und ich fühlte mich, als würde ich gleich sterben.

„Wie weit noch?“

Er sah zu mir hinüber, im Gesicht ein süffisantes – und aufregendes – Grinsen. „Siebenhundert Meter.“

Oh Gott.

Ich richtete mich auf, hob das Kinn. Ich würde das schaffen. Ich war jung und in … einigermaßen gutem Zustand. Ich stand fast den ganzen Tag, rannte im Labor von einem Raum zum anderen, und nahm immer die Treppen, wenn ich nach Hause ging. Ich würde das definitiv schaffen.

„Gut …“, sagte ich. Meine Lungen schienen sich mit Zement gefüllt zu haben, und ich konnte nur kleine, japsende Atemzüge machen. „Fühlt sich großartig an.“

„Ist dir noch kalt?“

„Nein.“ Ich konnte geradezu hören, wie das Blut durch meine Adern pumpte, die Kraft meines Herzschlags in der Brust. Unsere Füße trommelten auf dem Weg, und nein, mir war definitiv nicht mehr kalt.

„Abgesehen davon, dass du die ganze Zeit beschäftigt bist“, sagte er, ohne dass sein Atem sich nur ein kleines bisschen angestrengt anhörte, „gefällt dir deine Arbeit auch?“

„Liebe sie“, keuchte ich. „Liebe es, mit Liemacki zu arbeiten.“

Wir sprachen eine Zeit lang über mein Projekt, die anderen Leute in meinem Labor. Er kannte meinen Doktorvater aufgrund seines hervorragenden Rufs auf dem Gebiet der Impfstoffforschung, und ich stellte beeindruckt fest, dass Will sich selbst in diesem Bereich auskannte, obwohl er nicht immer sonderlich gut in der Finanzwelt abschnitt. Aber er war nicht nur neugierig auf meinen Job; er wollte auch mehr über mein Privatleben erfahren und fragte mich direkt danach.

„Mein Leben ist das Labor“, sagte ich und sah kurz zu ihm hinüber, um seine Reaktion einschätzen zu können. Er zuckte kaum mit der Wimper. Es gab ein paar Promovierende und eine Armee von Postdoktoranden, die einen Aufsatz nach dem anderen produzierten. „Sie sind alle großartig“, erklärte ich und schluckte, bevor ich wieder einen großen Schwall Luft in mich aufnahm. „Aber am besten verstehe ich mich mit zweien, die beide verheiratet sind und Kinder haben. Wir umlagern nach der Arbeit also nicht gerade die Billardtische.“

„Ich schätze, die Kneipen mit Billardtischen haben eh nicht mehr auf, wenn ihr mit der Arbeit fertig seid“, neckte er mich. „Bist du nicht deshalb hier? So ein Überwachungs-und-dich-aus-deiner-Routine-rausholen-Ding?“

„Stimmt“, sagte ich lachend. „Und auch wenn ich ziemlich sauer war, als mir Jensen rundheraus gesagt hat, dass ich endlich ein Privatleben haben und mich amüsieren soll, liegt er damit ja nicht vollkommen falsch.“ Ich verstummte und lief ein paar Schritte weiter. „Ich bin nur schon so lange auf die Arbeit fokussiert und darauf, die nächste Hürde zu nehmen, und wieder die nächste, dass ich nie richtig innegehalten habe, um irgendetwas davon zu genießen.“

„Ja“, stimmte er leise zu. „Das ist nicht gut.“

Ich versuchte, das Drängen in seinen Augen zu ignorieren, und heftete den Blick weiter auf den Weg vor uns. „Kennst du das Gefühl, dass die Menschen, die dir am meistens etwas bedeuten, nicht die Menschen sind, die du am häufigsten siehst?“ Als er nicht antwortete, fügte ich hinzu. „In letzter Zeit kommt es mir einfach vor, als wäre ich dort, wo es wichtig wäre, nicht mit Leib und Seele dabei.“

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er nickend wegschaute. Er brauchte ewig, bis er antwortete, und als er es schließlich tat, sagte er nur: „Ja, das verstehe ich.“

Einen Moment später sah ich wieder zu ihm hinüber, weil er laut lachte. Es war ein tiefes Lachen, das meine Haut zu durchdringen schien.

„Was machst du da?“, fragte er.

Ich folgte seinem Blick zu meinen Armen, die ich vor dem Brustkorb überkreuzt hatte. Ich zuckte im Inneren zusammen, bevor ich zugab: „Meine Brüste tun weh. Wie macht ihr Kerle das?“

„Tja, zum einen, haben wir keine …“ Er machte eine vage Handbewegung in Richtung meines Busens.

„Ja, aber was ist mit dem anderen Kram? Läufst du zum Beispiel in Boxershorts?“ Heilige Scheiße, was war nur los mit mir? Problem Nummer eins: Kein Filter, ich sage, was ich denke.

Verwirrt sah er mich wieder an und wäre fast über einen hinuntergefallenen Ast gestolpert. „Was?“

„Boxershorts?“, wiederholte ich und zog dabei das Wort in die Länge. „Oder hast du irgendwas, das deine männlichen Teile daran hindert, zu …“

Er unterbrach mich mit einem lauten, schallenden Lachen, das in der kalten Luft von den Bäumen widerhallte. „Richtig. Keine Boxershorts“, sagte er. „Dann wäre da unten einfach zu viel Zeug.“ Er zwinkerte und sah wieder nach vorne auf den Weg, im Gesicht leicht verruchtes Grinsen.

„Hast du mehr Gliedmaßen als andere?“, neckte ich.

Will warf mir einen amüsierten Blick zu. „Wenn du es unbedingt wissen willst: Ich trage Laufshorts. Passgenau, mit Einsatz, um die Jungs abzusichern.“

„Schätze, wir Mädels haben diesbezüglich Glück. Kein Zeug da unten“ – ich wedelte wild mit den Armen –, „das überall rumfliegt. Wir sind, was das betrifft, ziemlich kompakt.“

Wir waren auf einem ebenen Abschnitt des Weges angekommen und drosselten unser Tempo in Schrittgeschwindigkeit. Will lachte leise neben mir. „Ist mir schon aufgefallen.“

„Du bist ja auch der Experte.“

Er warf mir einen skeptischen Blick zu. „Was?“

Für den Bruchteil einer Sekunde versuchte ich mich zurückzuhalten, weiterzusprechen, aber es war bereits zu spät. Ich war noch nie sonderlich gut darin gewesen, meine Gedanken für mich zu behalten – ein Umstand, den meine Familie nur allzu gerne und wann immer möglich betonte –, aber hier fühlte es sich an, als würde mein Gehirn diese seltene Gelegenheit wahrnehmen wollen, mit dem legendären Will reinen Tisch zu machen. Als ob ich sonst nie wieder eine Chance dazu haben würde. „Der … Muschi-Experte“, flüsterte ich und formte das Wort nur mit dem Mund.

Er machte große Augen und stolperte ein wenig.

Ich blieb stehen, beugte mich vor, um meine Atmung zu beruhigen. „Das hast du selbst gesagt.“

„Wann sollte ich jemals gesagt haben, dass ich der ‚Muschi-Experte‘ bin?“

„Erinnerst du dich nicht mehr? Du hast gesagt, Jensen wäre gut mit Worten. Du wärst gut mit Taten. Und dann hast du mit den Augenbrauen gewackelt.“

„Das ist ja furchterregend. Wie in Gottes Namen kannst du dich an all das noch erinnern?“

Ich richtete mich auf. „Ich war zwölf Jahre alt. Du warst der neunzehnjährige heiße Freund meines Bruders, der bei uns zu Hause Witze über Sex gemacht hat. Du warst praktisch ein Fabelwesen.“

„Und warum erinnere ich mich dann an nichts davon?“

Schulterzuckend sah ich an ihm vorbei auf den inzwischen gut bevölkerten Weg. „Vermutlich aus demselben Grund.“

„Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass du so witzig bist. Oder so“ – er musterte mich ausgiebig von oben bis unten – „erwachsen.“

Ich lächelte. „Weil ich es nicht war.“

Plötzlich hob er sein Sweatshirt an und zog es sich über den Kopf. Für einen kurzen Moment rutschte das Shirt darunter ebenfalls empor, und ein Großteil von Wills Oberkörper war zu sehen. Beim Anblick seines flachen Bauchs und dem dunklen Haar, das von seinem Nabel bis hinunter in seine Shorts verlief, durchfuhr mich ein Ganzkörperkrampf. Seine Laufshorts hingen niedrig genug, dass ich die geschwungene Linie seiner Hüften erkennen konnte, die verführerische Andeutung seiner männlichen Teile und männlichen Beine und …

Heilige Scheiße, Will Sumners Körper war nicht von dieser Welt!

Als er den Saum seines Shirts wieder nach unten zog, erwachte ich aus meiner Trance, und ich sah nach oben, um den Rest von ihm in mich aufzunehmen, die Arme jetzt nackt unterhalb der kurzen Ärmel seines Shirts. Er kratzte sich den Hals, ohne zu bemerken, wie mein Blick über seinen Oberarm wanderte. Ich hatte viele Erinnerungen an den Sommer, als Will bei uns wohnte, während er für Dad arbeitete: wie ich mit ihm und Jensen auf der Couch saß und einen Film ansah … wie ich ihm nachts im Flur begegnete und er nicht mehr am Körper trug als ein um die Hüften geschlungenes Handtuch … wie er nach einem Tag im Labor am Küchentisch das Essen hinunterschlang … Und allein unter dem Einfluss schwarzer Magie hätte ich seine Tattoos vergessen können. Als ich sie jetzt sah, erinnerte ich mich an den Hüttensänger nahe seiner Schulter, diesen blaugefiederten Vogel, an einen Berg und die von Weinreben umschlungenen Wurzeln eines Baumes auf seinem Bizeps.

Aber einige dieser Tattoos waren jüngeren Datums. Auf dem einen Unterarm formten Farbwirbel eine Doppelhelix, und unter dem Ärmel des anderen Arms lugte ein Grammophon hervor. Will stand regungslos da, und als ich zu ihm aufblickte, sah ich, dass er mich angrinste.

„Entschuldige“, murmelte ich und lächelte verlegen. „Du hast ein paar neue.“

Seine Zunge huschte hervor, befeuchtete seine Lippen, und wir drehten uns beide zum Weitergehen um. „Es muss dir nicht leidtun. Wenn ich nicht wollte, dass die Leute hingucken, dann hätte ich keine.“

„Und ist das nicht komisch? Mit dem Job und allem?“

Schulterzuckend murmelte er: „Lange Ärmel, Jacketts. Die meisten Leute wissen gar nicht, dass es sie gibt.“

Dummerweise ließ mich das, was er sagte, nicht an die meisten Leute denken, die keine Ahnung von seinen Tattoos hatten. Stattdessen fragte ich mich, wer wohl jede einzelne farbige Linie auf seiner Haut kannte.

Das ist die Gefahr bei Will Sumner, rief ich mir in Erinnerung. Alles, was er sagt, hört sich schmutzig an, und jetzt stellst du dir ihn gerade nackt vor. Schon wieder.

Ich versuchte den Gedanken zu verdrängen und suchte nach einem neuen Gesprächsthema. „Und wie läuft es so bei dir?“

Er sah mich misstrauisch an. „Was willst du denn wissen?“

„Magst du deinen Job?“

„Meistens.“

Ich quittierte das mit einem Lächeln. „Siehst du deine Familie oft? Deine Mutter und deine Schwestern leben doch in Washington, oder?“ Ich erinnerte mich, dass Will zwei ältere Schwestern hatte, die beide in der Nähe der Mutter wohnten.

„Oregon“, korrigierte er mich. „Und, ja, ein paarmal im Jahr.“

„Bist du mit jemandem zusammen?“, brach es aus mir hervor.

Er zog die Augenbrauen zusammen, als hätte er meine Frage nicht genau verstanden. Nach einer Weile antwortete er: „Nein.“

Seine so liebenswert verwirrte Reaktion half mir zu vergessen, wie unangebracht meine Frage gewesen war. „Musstest du darüber ernsthaft nachdenken?“

„Nein, du Klugscheißer. Und nein, da gibt es niemanden, den ich dir mit den Worten vorstellen würde: ‚Hey, Ziggy, das ist Soundso, meine Freundin.‘“

„Hmm.“ Ich musterte ihn. „Was für ein äußerst spezielles Ausweichmanöver.“

Er nahm seine Mütze vom Kopf, fuhr sich mit den Fingern durch sein verschwitztes, in alle Richtungen abstehendes Haar.

„Hat dir noch nie eine Frau besonders gefallen?“

„Doch, die eine oder andere schon.“ Er sah mich wieder an, ohne sich auch nur im Geringsten von meinem Verhör einschüchtern zu lassen. Diesen Charakterzug kannte ich noch von ihm; er hatte nie das Bedürfnis gehabt, sich selbst zu erklären, nahm aber auch nicht vor Fragen Reißaus.

Offensichtlich war er noch immer derselbe Will wie früher: meistens mit mehreren Frauen zusammen und nie mit nur einer. Ich senkte den Blick, sah auf seine Brust, die sich mit seinen langsamen, gleichmäßigen Atemzügen weitete und verengte, auf seine muskulösen Schultern, die in einen glatten, gebräunten Hals übergingen. Sein Mund öffnete sich leicht, und seine Zunge lugte hervor, um die Lippen wieder zu befeuchten. Wills Kiefer war wie gemeißelt und mit dunklen Bartstoppeln bedeckt. Plötzlich hatte ich das überwältigende Bedürfnis, sie an meinen Schenkeln zu spüren.

Mein Blick fiel auf seine durchtrainierten Arme, die großen, entspannt hinunterhängenden Hände – heilige Scheiße, was er mit diesen Fingern vermutlich alles anstellen konnte! –, auf seinen flachen Bauch und vorne auf seine Trainingshose, wo sich andeutete, dass unter Will Sumners Gürtellinie so einiges los war. Verdammt noch mal! Diesem Mann würde ich gerne das Grinsen aus dem Gesicht vögeln.

Die Stille zwischen uns tickte vor sich hin, und langsam sickerte das in mein Bewusstsein. Ich lebte nicht hinter einem verdammten Venezianischen Spiegel, und über die göttliche Gabe eines Pokerface hatte ich noch nie verfügt. Will hatte vermutlich jeden Gedanken lesen können, der mir gerade durch den Kopf gegangen war.

Seine Augen verdunkelten sich wissend, und er trat einen Schritt näher, musterte mich von oben bis unten, als ob er ein Tier betrachten würde, das in einer Falle steckte. Ein umwerfendes, gefährliches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Wie lautet das Urteil?“

Ich schluckte heftig, ballte meine verschwitzten Hände zu Fäusten und sagte nur: „Will?“

Er blinzelte, einmal, zweimal, trat dann einen Schritt zurück, schien sich zu besinnen. Ich konnte geradezu sehen, wie ihm alles Mögliche durch den Kopf ging: Das ist Jensens kleine Schwester … Sie ist sieben Jahre jünger als ich … Ich habe mit Liv rumgemacht … Dieses Kind ist ein Dummkopf … Hör auf, mit deinem Schwanz zu denken.

Er verzog leicht das Gesicht und flüsterte: „Richtig, entschuldige.“

Amüsiert von seiner Reaktion, entspannte ich mich. Anders als ich besaß Will ein berühmt-berüchtigtes Pokerface … aber nicht hier und anscheinend nicht mit mir. Als mir das klar wurde, durchströmte eine Woge des Selbstvertrauens meine Brust: Auch wenn er nahezu unwiderstehlich war und der sinnlichste Mann auf diesem Planeten – Hanna Bergstrom wusste, wie man mit Will Sumner umzugehen hatte.

„Soso“, sagte ich, „du bist also noch nicht bereit, dein Nest zu bauen, ja?“

„Ganz sicher nicht.“ Sein Lächeln hob einen Mundwinkel, und jetzt sah er absolut gefährlich aus. Mein Herz und meine Geschlechtsorgane würden eine Nacht mit diesem Mann nicht überleben.

Wie gut, dass das gar nicht zur Diskussion steht, liebe Vagina. Halt dich schön zurück.

Wir kehrten an den Ausgangspunkt unserer Laufstrecke zurück, und Will lehnte sich gegen einen Baum. „Warum willst du eigentlich gerade jetzt in die Welt der Lebenden eintauchen?“, brachte er das Gespräch auf mich zurück und legte den Kopf in den Nacken. „Ich weiß, Jensen und dein Dad wollen, dass du ein bisschen aktiver am gesellschaftlichen Leben teilnimmst, aber komm schon. Du bist ein hübsches Mädchen, Ziggy. Es kann nicht sein, dass du bisher keine Angebote bekommen hast.“

Ich biss mir kurz auf die Lippe, amüsiert darüber, dass Will wie selbstverständlich annahm, dass es mir darum ging, flachgelegt zu werden. Ehrlich gesagt … hatte er damit gar nicht so unrecht. Doch in seinem Gesichtsausdruck war keine Wertung zu erkennen, keine merkwürdige Distanz bezüglich eines so persönlichen Themas.

„Es ist ja nicht grade so, als ob ich keine Dates mit Männern hatte. Sondern dass es keine besonders guten Dates waren“, sagte ich und dachte an meine letzte, vollkommen nichtssagende Verabredung. „Ich weiß, bei meinem lässigen Charme kann man sich das kaum vorstellen, aber ich bin nicht sonderlich gut in solchen Situationen. Jensen hat mir Geschichten von dir erzählt. Es klang so, als hast du es geschafft, deinen Doktor mit Auszeichnung zu machen und gleichzeitig eine Menge Spaß zu haben. Ich dagegen arbeite in einem Labor mit Leuten, die soziale Unbeholfenheit als eine Art Forschungsfeld zu betrachten scheinen. Da stehen die Männer nicht gerade Schlange, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Du bist jung, Ziggy. Warum machst du dir deswegen jetzt Sorgen?“

„Ich mache mir keine Sorgen, aber ich bin vierundzwanzig. Ich habe funktionierende Körperteile, und meine Fantasie wandert gerne an interessante Orte. Ich will einfach nur … was ausprobieren. Hast du über solche Sachen nicht nachgedacht, als du in meinem Alter warst?“

Er zuckte die Schultern. „Ich hab mir deswegen keinen großen Kopf gemacht.“

„Natürlich nicht. Du musstest ja auch nur mit der Wimper zucken, und die Höschen fielen reihenweise auf den Boden.“

Will leckte sich über die Lippen und kratzte sich den Nacken.

„Du bist echt ’ne lustige Nummer.“

„Ich bin Wissenschaftlerin, Will. Wenn ich das wirklich tun will, dann muss ich vorher begreifen, wie Männer denken, muss in ihren Kopf gelangen.“ Ich atmete tief durch und musterte ihn scharf, bevor ich fortfuhr: „Bring es mir bei. Du hast meinem Bruder gesagt, du würdest mir helfen, also tu es.“

„Mit Sicherheit meinte er nicht, Hey, zeig meiner kleinen Schwester die Stadt, achte darauf, dass sie nicht zu viel Geld für Miete ausgibt, und, ach, übrigens, hilf ihr, flachgelegt zu werden.“ Seine dunklen Augenbrauen zogen sich zusammen, als ihm etwas einfiel. „Bittest du mich gerade etwa, dich mit einem meiner Freunde zu verkuppeln?“

„Nein. Um Gottes willen.“ Ich war mir nicht sicher, was ich lieber wollte: lauthals lachen oder mich in eine Höhle verkriechen und mich dort für immer und ewig verstecken. Obwohl er so heiß war, dass ich mich in höchster Alarmbereitschaft befand, sollte er mir helfen, das Grinsen aus dem Gesicht anderer Männer zu vögeln. Vielleicht wäre ich dann anständig sozialisiert und weniger nerdig. „Du sollst mir dabei helfen, zu lernen …“ Ich zuckte die Schultern, kratzte mein Haar unter der Mütze. „Wie ich mich am besten mit Männern treffe. Bring mir die Regeln bei.“

Er sah kurz zur Seite, schien einen inneren Kampf mit sich auszufechten. „Die Regeln? Ich …“ Er schauderte, ließ den Satz ins Leere laufen, während er sich das Kinn rieb. „Ich bin mir nicht sicher, dass ich die Qualifikation dafür besitze, dir beizubringen, wie man sich mit Männern verabredet.“

„Du bist in Yale gewesen.“

„Ja und? Das ist Jahre her, Ziggy. Ich glaube nicht, dass sie dazu ein Seminar angeboten haben.“

„Und du warst in einer Band“, fuhr ich fort, ohne auf seine letzte Bemerkung einzugehen.

Schließlich leuchteten seine Augen amüsiert auf. „Was willst du damit sagen?“

„Ich will damit sagen, dass ich ans MIT gegangen bin und D&D gespielt habe und Magic …“

„Hallo? Ich war ein verdammter D&D-Experte, Ziggy.“

„Was ich sagen will“, fuhr ich fort, „ist, dass dieser in Yale ausgebildete, Lacrosse spielende frühere Bassist hier möglicherweise ein paar Ideen hat, wie man meine Datingmöglichkeiten mit bebrillten, freakigen Fachtrotteln verbessern kann.“

„Verarschst du mich gerade?“

Anstatt ihm zu antworten, verschränkte ich die Arme vor der Brust und wartete geduldig. Die gleiche Haltung hatte ich angenommen, als ich zu Beginn meiner Promotion verschiedene Labore im Rotationsverfahren durchlaufen sollte, um herauszufinden, welche Art der Forschung tatsächlich die richtige für mich war. Aber ich wollte nicht mein gesamtes erstes Jahr verschiedene Labore durchlaufen; ich wollte endlich meine Forschungsarbeiten mit Liemacki beginnen, und zwar pronto. Also stellte ich mich vor sein Büro, nachdem ich ihm erklärt hatte, warum seine Arbeit so perfekt dafür geeignet war, sich weg von der Erforschung von Impfmitteln gegen Viren und hin zur Parasitologie zu wenden, und worüber ich in meiner Promotion zu arbeiten gedachte. Ich hatte mich darauf gefasst gemacht, stundenlang so dazustehen, aber nach nur fünf Minuten gab er nach und machte, als Leiter des Instituts, für mich eine Ausnahme.

Will sah in die Ferne. Ich war mir nicht sicher, ob er über das nachdachte, was ich gesagt hatte, oder ob er überlegte, einfach loszurennen und mich keuchend in einer Schneewolke hinter sich zurückzulassen.

Schließlich seufzte er. „Okay, also, die erste Regel, um das eigene Leben etwas geselliger zu gestalten, lautet: Rufe niemals vor Sonnenaufgang irgendwo an, außer bei einem Taxiunternehmen.“

„Ja. Tut mir leid.“

Er sah mich forschend an, dann zeigte er auf mein Outfit. „Wir werden laufen. Wir werden ausgehen und irgendwelche Sachen zusammen unternehmen.“ Er verzog das Gesicht, machte eine vage Handbewegung in Richtung meines Körpers. „Ich glaube eigentlich nicht, dass du irgendwas machen musst, aber … Scheiße, ich weiß nicht. Du trägst das schlabbrige Sweatshirt deines Bruders. Korrigier mich, wenn ich falschliege, aber ich hab so die Ahnung, dass dies deine übliche Kluft ist, auch, wenn du nicht joggen gehst.“ Er zuckte die Schultern. „Obwohl es auch irgendwie süß ist.“

„Auf keinen Fall zieh ich mich wie eine Schlampe an.“

„Du musst dich nicht wie eine Schlampe anziehen.“ Er richtete sich auf, fuhr sich durchs Haar, bevor er es wieder unter sein Beanie stopfte. „Mein Gott. Du kannst einen echt fertig machen. Kennst du Chloe und Sara?“

Ich schüttelte den Kopf. „Gehören die zu den Mädels, mit denen du … nicht zusammen bist?“

„Oh, Teufel, nein“, sagte er lachend. „Das sind die zwei Frauen, die meine besten Freunde bei den Eiern haben. Schätze, es würde dir guttun, sie kennenzulernen. Ich bin mir sicher, am Ende des Abends seid ihr die besten Freundinnen.“

ZWEI

„Warte mal“, sagte Max und zog seinen Stuhl hervor, um sich zu setzen. „Ist das die Schwester von Jensen, die du mal geknallt hast?“

„Nein, das ist die andere Schwester, Liv.“ Ich saß dem Briten gegenüber und ignorierte sowohl sein amüsiertes Grinsen als auch das unangenehme Ziehen in meinem Bauch. „Und ich habe sie nicht geknallt. Wir haben nur ein bisschen rumgemacht. Ziggy ist die jüngste Schwester. Sie war noch ein Kind, als ich das erste Mal mit Jensen über Weihnachten nach Hause fuhr.“

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass er dich über Weihnachten mitgenommen hat, und du dann hinterm Haus mit seiner Schwester rumgemacht hast. Ich hätte dir einen Tritt in den Arsch verpasst.“ Nachdenklich kratzte er sich am Kinn. „Ach, vergiss es. Vermutlich hätte ich einen Scheiß drauf gegeben.“

Ich sah Max an, spürte, wie sich mein Mund zu einem kleinen Grinsen verzog. „Als ich ein paar Jahre später für einen Sommer wiederkam, war Liv gar nicht da. Beim zweiten Mal hab ich mich also benommen.“

Um uns herum klirrten Gläser und wurden leise Gespräche geführt. Der Dienstag-Lunch im Le Bernardin gehörte seit einem halben Jahr für unsere kleine Gang zur Tradition. Max und ich stießen für gewöhnlich als Letzte dazu, aber anscheinend waren die anderen noch von einem Meeting aufgehalten worden.

„Ich vermute, du willst eine Auszeichnung dafür“, sagte Max und studierte die Karte, bevor er sie zuknallte. Ehrlich gesagt wusste ich nicht, warum er sie überhaupt geöffnet hatte. Er bestellte immer Kaviar als Vorspeise und Seeteufel als Hauptgang. Erst letztens hatte ich die Vermutung angestellt, dass Max seine gesamte Spontanität für sein Leben mit Sara aufsparte; was jedoch Essen und die Arbeit anging, war er ein ziemliches Gewohnheitstier.

„Du hast einfach nur vergessen, wie du drauf warst, bevor du Sara kennengelernt hast“, erwiderte ich. „Hör auf so zu tun, als hättest du wie ein Mönch gelebt.“

Er quittierte das mit einer Handbewegung und dem breiten, entspannten Lächeln, das so typisch für ihn war. „Dann erzähl mir mal von dieser kleinen Schwester.“

„Sie ist die Jüngste der fünf Bergstrom-Kinder und promoviert derzeit an der Columbia. Ziggy war schon immer so unverschämt intelligent. Hat das Studium in nur drei Jahren abgeschlossen und arbeitet jetzt im Liemacki-Labor? Wo die Impfstoffe entwickelt werden?“

Max schüttelte den Kopf und zuckte die Schultern, als wollte er sagen: Wovon zum Teufel redest du?

„Ein ziemlich renommiertes Projekt drüben an der medizinischen Fakultät“, fuhr ich fort. „Egal, jedenfalls hat mich Jensen letztes Wochenende in Vegas angesimst – während du deinem Weib zu den Blackjack-Tischen nachgerannt bist –, um mir zu sagen, dass er sie besuchen käme. Ich schätze, er hat ihr eine Jesus-liebt-dich- Predigt gehalten, von wegen, dass sie nicht den Rest ihres Lebens zwischen Reagenz- und Bechergläsern verbringen sollte.“

Der Kellner kam, um uns Wasser nachzuschenken, und wir informierten ihn, dass wir noch auf ein paar Leute warteten.

Max sah mich wieder an. „Du willst sie also wiedersehen, ja?“

„Ja. Wir werden sicher dieses Wochenende zusammen ausgehen und irgendwas unternehmen. Schätze, wir werden auch wieder zusammen joggen.“

Ich bemerkte sehr wohl, wie er große Augen machte. „Du lässt jemanden in deine private kleine Läufer-Blase? Das kommt mir so vor, als wäre es für dich intimer als Sex, William.“

Ich winkte ab. „Wie du meinst.“

„Es hat also Spaß gemacht? Die kleine Schwester wieder zu treffen und so?“

Es hatte tatsächlich Spaß gemacht. Und es war nicht wild gewesen oder auch nur auf irgendeine Weise außergewöhnlich – wir waren zusammen laufen gegangen, das war alles. Dennoch war ich ein wenig erschüttert, wie anders als erwartet sie gewesen war. Ich hatte angenommen, dass es einen Grund geben würde für ihre Isolation – mal abgesehen von ihren langen Arbeitstagen. Ich hatte erwartet, dass sie peinlich sein würde oder hässlich, irgendwie abstoßend, oder das Paradebeispiel für unangebrachtes Verhalten im Umgang mit anderen Menschen.

Aber sie war nichts dergleichen, und sie wirkte ganz und gar nicht wie die „kleine Schwester“ von irgendwem. Sie war naiv und manchmal vielleicht etwas direkt, aber in erster Linie arbeitete sie wirklich nur wahnsinnig hart und hatte sich dabei ein paar schlechte Verhaltensmuster angewöhnt, die ihr jetzt nicht mehr gefielen. Das konnte ich nachempfinden.

Das erste Mal war ich über Weihnachten bei den Bergstroms in Boston gewesen, während meines zweiten Studienjahres. Ich hatte es mir in jenem Jahr nicht leisten können, nach Hause zu fliegen, und Jensens Mutter fand die Vorstellung, dass ich allein in den Schlafsälen zurückblieb, so unerträglich, dass sie zwei Tage vor Heiligabend angefahren kam, um mich einzusammeln und über die Feiertage mit zu sich nach Hause zu nehmen. Die Familie war so liebevoll und laut, wie man es bei fünf Kindern nur erwarten kann, die alle im Abstand von ungefähr zwei Jahren auf die Welt gekommen waren.

Entsprechend wie ich in dieser Phase meines Lebens drauf war, bedankte ich mich herzlich bei den Eltern, um es aber heimlich hinten im Schuppen mit ihrer ältesten Tochter zu treiben.

Ein paar Jahre später machte ich bei Johan ein Praktikum und lebte im Haus der Bergstroms. Die meisten Kinder waren inzwischen ausgezogen oder blieben den Sommer über in der Nähe des Colleges, sodass nur Jensen, ich und die jüngste Tochter da waren, Ziggy. Es kam mir vor wie mein zweites Zuhause. Trotzdem, obwohl ich drei Monate in Ziggys Nähe gelebt hatte und ich sie erst vor ein paar Jahren auf Jensens Hochzeit gesehen hatte, hatte ich mich gestern, als sie anrief, kaum noch an ihr Gesicht erinnern können.

Aber als ich sie im Park sah, überfluteten mich mehr Erinnerungen als gedacht. Ziggy mit zwölf, ihre sommersprossige Nase hinter Büchern. Sie lächelte mich bei den Abendessen nur ab und zu schüchtern an, vermied ansonsten den Kontakt zu mir. Ich war damals neunzehn und bekam sowieso kaum etwas mit. Ziggy mit sechzehn, nur Beine und Ellbogen, das wirre Haar fiel in Wellen ihren Rücken hinunter. Sie verbrachte die meisten Nachmittage lesend im Garten, in abgeschnittenen Shorts und Tanktops, während ich mit ihrem Vater arbeitete. Ich musterte sie, wie ich damals jedes weibliche Wesen musterte, als ob ich Körperteile scannte und katalogisierte. Das Mädchen war gut gebaut, aber still, und offensichtlich so naiv bezüglich der Kunst des Flirtens, dass ich ihr nur spöttisches Desinteresse entgegenbrachte. Damals war mein Leben von sexueller Neugier und Entdeckungslust geprägt. Ich umgab mich mit jüngeren und älteren Frauen, die bereit waren, alles auszuprobieren.

Aber heute Nachmittag fühlte es sich an, als würde gleich eine Bombe in meinem Kopf explodieren. Ihr ins Gesicht zu blicken war, merkwürdigerweise, als würde ich nach Hause kommen, und gleichzeitig, als würde ich ein hübsches Mädchen zum ersten Mal sehen. Sie ähnelte Liv oder Jensen – beide flachsblond und schlaksig, wirkten sie geradezu wie eine Kopie voneinander – kein Stück. Vielmehr ähnelte sie ihrem Vater, im Guten wie im Schlechten. Bei ihr trafen auf paradoxe Weise die langen Gliedmaßen ihres Vaters und die Kurven ihrer Mutter zusammen. Sie hatte Johans graue Augen geerbt, sein hellbraunes Haar und die Sommersprossen, von ihrer Mutter aber das offene Lächeln.

Ich hatte gezögert, als sie auf mich zutrat, die Arme um mich legte und mich drückte. Es war eine angenehme Umarmung gewesen, an der Grenze zur Intimität. Abgesehen von Chloe und Sara gab es nicht viele weibliche Wesen in meinem Leben, die einfach nur Freunde waren. Wenn ich eine Frau auf diese Weise umarmte – eng und fest –, war in der Regel etwas Sexuelles im Spiel. Ziggy war immer die kleine Schwester gewesen, aber als sie in meinen Armen lag, hatte sich sehr deutlich offenbart, dass sie längst kein kleines Kind mehr war.

Sie war eine Frau in den Zwanzigern, die ihre warmen Hände um meinen Hals legte und ihren Körper gegen meinen drückte.

Sie roch nach Shampoo und Kaffee.

Sie roch nach Frau, und unter dem sackigen Sweatshirt und der erbärmlich dünnen Jacke konnte ich die Form ihrer an mich gepressten Brüste spüren.

Als sie sich wieder von mir löste und mich musterte, mochte ich sie auf Anhieb: Sie hatte sich nicht aufgetakelt, hatte kein Make-up aufgelegt oder sich teure Fitnessklamotten angezogen. Sie trug das Yale-Sweatshirt ihres Bruders, zu kurze schwarze Hosen und Schuhe, die definitiv aussahen, als hätten sie schon bessere Zeiten gesehen. Ziggy versuchte nicht, mich zu beeindrucken; sie wollte mich einfach nur treffen.

Sie lebt unter einer solchen Glasglocke, Mann, hatte Jensen gesagt, als er mich vor gut einer Woche angerufen hatte. Ich fühle mich, als hätte ich sie im Stich gelassen, weil ich nicht vorausgesehen habe, dass sie Dads Arbeitssucht-Gen besitzt. Wir kommen rüber, um sie zu besuchen. Ich hab nicht den blassesten Schimmer, was ich tun soll.

Als Sara und Bennett an den Tisch kamen, zwang ich mich, in die Gegenwart zurückzufinden. Max stand auf, um sie zu begrüßen, und ich sah weg, als er sich vorbeugte, Sara direkt unter dem Ohr küsste und flüsterte: „Du siehst wunderschön aus, Kleines.“

„Sollen wir auf Chloe warten?“, fragte ich, als alle Platz genommen hatten.

„Sie ist bis Freitag in Boston“, sagte Bennett, während er einen Blick auf die Karte warf.

„Was für ein Glück“, erwiderte Max. „Ich verhungere nämlich, und diese Frau braucht immer Ewigkeiten, um zu entscheiden, was sie will.“

Bennett lachte leise und legte die Speisekarte wieder auf den Tisch.

Ich war ebenfalls erleichtert – nicht, weil ich hungrig war, sondern weil es ganz guttat, sich mal nicht wie das fünfte Rad am Wagen zu fühlen. Meine vier Pärchen-Freunde waren kurz davor, reichlich selbstgefällig zu werden, und seit einer gefühlten Ewigkeit etwas zu interessiert an meinem Liebesleben. Sie waren überzeugt, dass mir schon bald das Herz von der Frau meiner Träume herausgerissen werden würde, und warteten sehnsüchtig auf die Show.

Und diese Besessenheit noch zu verstärken, hatte ich, nachdem ich letzte Woche aus Vegas zurückgekommen war, den Fehler gemacht, beiläufig zu erwähnen, wie wenig ich mich noch zu Kitty und Kristy hingezogen fühlte, meinen zwei „festen“ Affären. Beide Frauen trafen sich gerne regelmäßig für verpflichtungsfreien Sex mit mir und schienen sich nicht an der Existenz der anderen zu stören – oder an den Affären, die ich ab und zu nebenher hatte –, doch in letzter Zeit beschlich mich das Gefühl, dass ich die Abläufe nur noch mechanisch durchlief:

Ausziehen.

Streicheln.

Ficken.

Orgasmus.

(Vielleicht etwas Bettgeflüster.)

Ein Gutenachtkuss.

Und dann war ich weg, oder sie waren es.

War es alles zu einfach geworden? Oder hatte ich einfach keinen Bock mehr auf „nur“ Sex?!

Und wieso zum Teufel dachte ich ausgerechnet jetzt wieder daran? Ich setzte mich auf, rieb mir mit den Händen das Gesicht. Heute hatte sich rein gar nichts in meinem Leben geändert. Ich hatte einen netten Morgen mit Ziggy, das war’s. Das war’s. Der Umstand, dass sie entwaffnend unverfälscht und witzig und überraschend hübsch war, hätte mich eigentlich nicht dermaßen aus der Bahn werfen sollen.

„Also, worum geht’s?“, fragte Bennett und dankte dem Kellner, als dieser einen Gimlet vor ihn auf den Tisch stellte.

„Wir sprachen gerade über Wills Widersehen mit einer alten Bekanntschaft heute Morgen“, sagte Max und fügte in theatralischem Flüsterton hinzu: „Einer weiblichen Bekanntschaft.“

Sara lachte. „Will hat heute Morgen eine Frau getroffen? Was soll daran so neu sein?“

Bennett hob die Hand. „Warte, ist heute Abend nicht Kitty dran? Und du hattest heute Morgen schon ein anderes Date?“ Er nippte an seinem Gimlet, beäugte mich.

Tatsächlich war genau Kitty der Grund, warum ich Hanna gegenüber vorgeschlagen hatte, dass wir uns morgens statt abends trafen: Kitty war mein spätes Meeting. Aber je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger lockte mich die Vorstellung, meinen Dienstag wie üblich mit ihr zu verbringen.

Ich stöhnte, und sowohl Max als auch Sara brachen in Gelächter aus. „Ist es nicht irgendwie schräg, dass wir alle Wills Affären-Terminplan auswendig kennen?“, fragte Sara.

Max sah mich lächelnd an. „Du denkst darüber nach, dein Treffen mit Kitty zu canceln, nicht wahr? Glaubst du, deshalb gibt es Ärger?“

„Vermutlich“, gab ich zu. Kitty und ich waren vor ein paar Jahren mal zusammen gewesen und hatten es sehr gesittet beendet, als klar wurde, dass sie mehr wollte als ich. Aber dann hatten wir uns vor ein paar Monaten in einer Bar wieder getroffen, und sie hatte gesagt, dass sie diesmal nur Spaß haben wollte. Natürlich war ich dabei. Sie war einfach fantastisch im Bett und bereit, fast alles zu tun, was ich wollte. Und sie bestand darauf, dass unser Nur-Sex-Abkommen für sie total gut gut gut sei. Nur wussten wir, glaube ich, beide, dass sie log: Jedes Mal, wenn ich unser Treffen verschieben musste, wirkte sie bei unserem nächsten Beisammensein unsicher und irgendwie verzweifelt.

Kristy war fast das komplette Gegenteil. Sie war beherrschter, hatte den Fetisch, geknebelt zu werden, den ich zwar nicht teilte, mich aber auch nicht gegen ihn sträubte, und sie wollte nur selten nach unserem gemeinsamen Orgasmus länger bei mir bleiben.

„Wenn du dich für dieses neue Mädchen interessierst, dann solltest du das mit Kitty vermutlich beenden“, sagte Sara.

„Hey, Leute“, protestierte ich und stach mit der Gabel in meinem Salat. „Ich hab nichts mit Ziggy. Wir sind nur joggen gegangen.“

„Warum reden wir dann noch darüber?“, fragte Bennett lachend.

Ich nickte. „Genau.“

Aber ich wusste, dass wir darüber redeten, weil es mich in Anspannung versetzte – und wenn ich angespannt war, strahlte ich das aus wie eine Leuchtreklame. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen, meine Augen wurden dunkler, und meine Sätze kamen abgehackt heraus. Ich verwandelte mich in ein Arschloch.

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