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Beautiful Idols - Die Nacht gehört dir

hier erhältlich:

Mach diesen Sommer einen der Unrivaled-Clubs zum Hotspot der Stars und sichere dir die Chance auf einen unglaublichen Geldgewinn!

Drei sehr unterschiedliche Jugendliche folgen der Aufforderung und hoffen auf die Erfüllung ihres größten Traums - aber sie ahnen nicht, wie hart das schimmernde Parkett wirklich ist, auf dem sie sich bewegen müssen. Wie weit werden sie gehen, um zu gewinnen?

"Unrivaled enthüllt die dunkle, knallharte Seite des Ruhms und nimmt den Leser in einem Netz aus Spannnung und Lügen gefangen.”

Jennifer L. Armentrout, 1# New-York Times-Bestsellerautorin

"Macht süchtig! Bei einem Wahnsinns-Cliffhanger und überall überraschenden Wendungen konnte ich nicht aufhören zu lesen."

Anna Todd, New York Times-Bestsellerautorin


  • Erscheinungstag: 10.07.2017
  • Aus der Serie: Beautiful Idols
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 416
  • Altersempfehlung: 14
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959676830

Leseprobe

Für Jackie und Michelle –
seit vielen Jahrzehnten meine besten Freundinnen

Es ist nicht alles Gold, was glänzt.
William Shakespeare

PROLOG

Lost Stars

Unzählige Touristen schieben sich Jahr für Jahr den Hollywood Boulevard entlang, doch sollte man diese Straße lieber durch eine dunkle Sonnenbrille und mit gedämpften Erwartungen betrachten.

Beim Anblick der vielen renovierungsbedürftigen Häuser in unterschiedlichen Stadien des Verfalls, der billigen Souvenirshops voller Plastikstatuen von Marilyn in ihrem hochgewehten weißen Kleid und der endlos scheinenden Parade von Süchtigen, Ausreißern und nach Glamour gierenden Neuankömmlingen begreifen die sonnenverbrannten Massen in ihren weißen Sneakers ziemlich schnell, dass das L. A., das sie suchen, dort nicht zu finden ist.

Für eine Stadt, die von Jugend und Schönheit lebt, erinnert der Hollywood Boulevard eher an eine abgetakelte Leinwandgöttin, die schon bessere Tage gesehen hat. Der endlose Sonnenschein ist ein grausamer und brutaler Begleiter, der jedes Fältchen und jeden Altersfleck gnadenlos hervorstechen lässt.

Doch für diejenigen, die wissen, wo sie suchen müssen – und die das Glück haben, auf der Gästeliste zu stehen –, ist der Boulevard auch ein Eldorado der angesagtesten Nachtclubs der ganzen Stadt, eine Oase der Genüsse für die Jungen, Schönen und Reichen.

In Madison Brooks’ Augen bot der Hollywood Boulevard alles, was sie sich von ihm erträumt hatte. Vielleicht sah er nicht so aus wie in der Schneekugel, die sie als Kind besessen hatte, in der kleine Vierecke aus Goldglitter über eine Miniaturversion des Hollywood-Schilds stoben, doch damit hatte sie auch nicht gerechnet. Im Gegensatz zu all den naiven Touristen, die erwarteten, dass ihre Lieblingspromis direkt neben ihrem Stern auf dem Walk of Fame standen, sämtlichen Passanten Autogramme gaben und sie herzlich umarmten, hatte Madison genau gewusst, was sie vorfinden würde.

Sie hatte ihre Hausaufgaben gemacht.

Hatte nichts dem Zufall überlassen.

Wenn man einen Angriff plant, ist es ratsam, sich mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut zu machen.

Und jetzt, nur wenige Jahre, nachdem sie aus dem schmuddeligen Busbahnhof in Downtown L. A. gekommen war, prangte ihr Konterfei auf jeder Zeitschrift und jeder Plakatwand. Die Stadt gehörte ihr.

Auch wenn der Weg wesentlich anstrengender gewesen war, als sie je zugegeben hätte, hatte Madison es geschafft, die Erwartungen aller zu übertreffen – außer ihren eigenen. Die meisten hatten lediglich gehofft, dass sie es überlebte. Kein Mensch aus ihrem früheren Leben hatte damit gerechnet, dass sie kometengleich bis ganz nach oben steigen würde. Dass sie eines Tages so berühmt, so gefragt, so einflussreich wäre, dass sie über uneingeschränkten Zugang zu einem der heißesten Clubs von L. A. verfügte, lange nachdem er für diese Nacht seine Pforten geschlossen hatte.

In einem ihrer seltenen unbeobachteten Momente schlenderte Madison mit einem angedeuteten Lächeln auf den Lippen und blitzenden Augen auf den Rand der leeren Terrasse des Night for Night zu. Während die Absätze ihrer Gucci-Stilettos leise klickend über den glatten Steinboden glitten, presste sie sich eine Hand aufs Herz und beugte sich der Skyline entgegen. Stellte sich die flackernden Lichter als ein Millionenpublikum vor, das ihr zu Ehren Handys und Feuerzeuge erhoben hatte.

Der Moment erinnerte sie an ein Spiel, das sie als Kind gespielt hatte. Damals hatte sie aufwendige Vorstellungen vor einem Publikum aus abgegriffenen Plüschtieren mit zottigem Pelz und fehlenden Gliedmaßen gegeben, deren stumpfe, blicklose Knopfaugen auf die vor ihnen tanzende und singende Madison fixiert waren. Jene unermüdlichen Proben hatten sie auf den Tag vorbereitet, an dem die alten Spielsachen von echten jubelnden Fans abgelöst wurden. Sie hatte keine Sekunde lang daran gezweifelt, dass ihr Traum eines Tages wahr werden würde.

Madison war nicht Hollywoods heißester junger Star geworden, indem sie gehofft oder gebangt oder sich auf andere verlassen hatte. Disziplin, Selbstkontrolle und eiserner Willen hatten ihren Aufstieg beflügelt. Obwohl die Medien sie liebend gern als leichtsinniges Partygirl – wenn auch eins mit echten schauspielerischen Talenten – darstellten, verbarg sich hinter den schlüpfrigen Schlagzeilen eine starke junge Frau, die ihr Schicksal selbst in die Hand genommen und es ihrem Willen unterworfen hatte.

Nicht dass sie so etwas jemals zugegeben hätte. Sollten die anderen ruhig glauben, sie wäre eine Prinzessin, deren Leben mühelos dahinglitt. Die Lüge diente als Schild, das ihnen die Wahrheit vorenthielt. Wer es wagte, an der Fassade zu kratzen, kam nicht besonders weit. Der Weg in Madisons Vergangenheit war mit so vielen Straßensperren verstellt, dass irgendwann selbst der entschlossenste Journalist aufgab und stattdessen lieber über ihre unvergleichliche Schönheit schrieb – ihr Haar, das an den warmen Farbton frischer Kastanien an einem kühlen Herbsttag erinnerte, jedenfalls laut dem Reporter, der sie kürzlich für die Vanity Fair interviewt hatte. Über ihre Augen schwärmte er, sie seien von einer dunklen Wolke aus Wimpern umgeben, die abwechselnd enthüllte und verdeckte. Und war nicht die Rede davon gewesen, dass ihr Teint durchscheinend oder perlmuttartig oder irgendetwas anderes sei, das man mit „schimmernd“ übersetzen könnte?

Witzig, dass er das Interview als einer von vielen abgebrühten Journalisten begonnen hatte, im Glauben, sie knacken zu können. Überzeugt, dass er sie allein aufgrund des enormen Altersunterschieds – sie achtzehn, er schon weit über vierzig (also vergleichsweise uralt) –, gepaart mit seinem überlegenen IQ (seine Annahme, nicht ihre), zu einer Äußerung verleiten könnte, die sie bereuen und die ihr einen Karriereknick bescheren würde, beendete er das Interview stattdessen frustriert und fast ein bisschen verliebt. Genau wie all die anderen, die es vor ihm versucht hatten und die allesamt grollend hatten zugeben müssen, dass an Madison Brooks irgendetwas anders war. Sie war kein durchschnittliches Starlet.

Sie lehnte sich tiefer in den nächtlichen Himmel, strich sich mit den Fingern über die Lippen und beugte den Arm, während sie ihren imaginären Fans, die vor ihr glitzerten und blinkten, eine Reihe von Kusshänden zuwarf. Benommen vom Gefühl zügelloser Leichtigkeit angesichts all dessen, was sie erreicht hatte, reckte sie triumphierend das Kinn und stieß einen derart gellenden Schrei aus, dass er die endlose Geräuschkulisse des Verkehrs und der Sirenen unter ihr übertönte.

Es fühlte sich gut an, mal lockerzulassen.

Sich, wenn auch nur einen Moment lang, zu erlauben, so wild und ungebändigt zu sein, wie sie es als Kind gewesen war.

„Ich hab’s geschafft!“, flüsterte sie sich selbst zu und den imaginären Fans, die vor ihr in der Ferne schimmerten, doch vor allem jenen, die an ihr gezweifelt, ja sogar versucht hatten, ihr Steine in den Weg zu legen.

Beim zweiten Mal ließ sie den unverkennbaren näselnden Akzent, den sie schon lange abgelegt hatte, an die Oberfläche dringen. Verblüfft darüber, wie einfach es war, diese Stimme heraufzubeschwören – ein weiteres Relikt einer Vergangenheit, der sie niemals ganz entkommen würde. Wenn man bedachte, wie leichtsinnig sie sich vorhin benommen hatte, fragte sie sich, ob sie das überhaupt wollte.

Die Erinnerung an den Jungen, den sie geküsst hatte, lag noch frisch auf ihren Lippen. Zum ersten Mal seit langer Zeit war sie relaxed genug gewesen, um ihre Wachsamkeit abzulegen, und hatte sich als das Mädchen gezeigt, das sie wirklich war.

Nun quälte sie allerdings die Frage, ob sie einen Fehler gemacht hatte.

Allein der Gedanke war schon ernüchternd, doch ein rascher Blick auf ihre brillantbesetzte Piaget versetzte sie erst richtig in Unruhe.

Die Person, mit der sie verabredet war, hätte längst hier sein müssen. Und dass dies nicht der Fall war, wirkte zusammen mit der Stille des geschlossenen und leeren Clubs eher beklemmend als befreiend auf sie. Obwohl es eine warme kalifornische Sommernacht war, zog sie ihren Kaschmirschal enger um sich. Wenn es eins gab, das Madison frösteln ließ, dann war es Ungewissheit. Die Kontrolle zu behalten war so lebenswichtig wie atmen. Und doch stand sie nun hier und grübelte über die Nachricht, die er ihr geschickt hatte.

Wenn die Neuigkeiten so gut waren, wie er behauptete, würde sie den Störfaktor abhaken und bräuchte nie mehr daran zurückdenken.

Wenn nicht … nun ja, auch dafür hatte sie einen Plan.

Sie hoffte nur, dass es nicht dazu kommen würde. Es war ihr zuwider, wenn es unappetitlich wurde.

Sie schlang die Finger um den Rand der dünnen gläsernen Schutzwand, das Einzige, was sie vor einem Sturz in zwölf Meter Tiefe schützte, hob den Blick zum Himmel und versuchte, irgendeinen Stern zu finden, der kein Flugzeug war, doch in L. A. gab es nur künstliche Sterne.

Obwohl sie normalerweise jede Erinnerung an die Vergangenheit verdrängte, schweifte Madison in dieser Nacht, in diesem kurzen Augenblick, gedanklich an einen Ort zurück, an dem es unzählige echte Sterne gab.

Einen Ort, der unbedingt verborgen bleiben musste.

Ein Windhauch streifte ihre Wange und brachte das Geräusch leichter Schritte ebenso mit sich wie einen seltsam vertrauten Duft, den sie nicht recht einordnen konnte. Dennoch wartete sie einen Moment, ehe sie sich umwandte, nahm sich die Zeit, um angesichts einer Sternschnuppe, die sie zuerst irrtümlich für einen Düsenjet gehalten hatte, sich still etwas zu wünschen, indem sie die Finger kreuzte und verfolgte, wie die Sternschnuppe einen weiten glitzernden Bogen über den samtschwarzen Himmel zeichnete.

Alles würde gut werden.

Es gab keinen Grund zur Sorge.

Schließlich drehte sie sich um, bereit, sich allem zu stellen, egal, was es war. Sie schärfte sich ein, dass sie mit allem fertigwürde – ehe sich eine kühle, feste Hand über ihren Mund legte und Madison Brooks verschwand.

EINEN MONAT FRÜHER

1. KAPITEL

Hypocritical Kiss

Layla Harrison konnte nicht still sitzen. Erst rutschte sie auf ihrem Liegestuhl ganz nach unten und grub die Füße tief in den Sand, dann schob sie sich wieder nach oben, bis ihr das Segeltuch in die Schultern schnitt. Schließlich gab sie auf und schaute blinzelnd in Richtung Meer, wo ihr Freund Mateo auf die nächste geeignete Welle wartete. Ein mühsames Unterfangen, das ihn mit endlosen Wogen von Glückshormonen überschwemmte, dessen Reiz ihr jedoch ein Rätsel blieb.

Sosehr sie ihn auch liebte, denn das tat sie (Mann, er war so süß und sexy und lieb, sie wäre verrückt, wenn sie es nicht täte!) – nachdem sie die letzten drei Stunden damit verbracht hatte, unter ihrem riesigen Schirm der Sonne zu trotzen und einen brauchbaren Artikel zu schreiben, der genau die richtige Dosis an Humor und Biss enthielt, wünschte sie, Mateo würde endlich für heute Schluss machen und ans Ufer paddeln.

Er hatte offensichtlich keine Ahnung, wie furchtbar unbequem es war, stundenlang auf dem wackeligen alten Liegestuhl zu sitzen, den er ihr geliehen hatte. Woher auch? Schließlich benutzte er ihn ja nie. Er war immer draußen mit seinem Brett und wirkte tiefenentspannt und hinreißend und völlig im Einklang mit sich selbst, während sie, Layla, mit aller Kraft darum rang, die Reize Malibus auszublenden. Der Riesensonnenschirm, unter dem sie sich versteckte, war nur der erste Schritt.

Unter dem weiten Kapuzenpulli und dem zusätzlichen Handtuch, das sie sich über die Knie gelegt hatte, trug sie eine dicke Schicht Sunblocker. Und natürlich würde sie nie ohne ihre übergroße Sonnenbrille und den zerdrückten Strohhut, den Mateo ihr kürzlich von einem Surftrip nach Costa Rica mitgebracht hatte, aus dem Haus gehen.

In Mateos Augen war ihr Ritual, sich mit Cremes und Kleidungsstücken gegen die Sonne zu schützen, mehr oder weniger sinnlos. „Du kannst die Umwelt nicht beherrschen“, erklärte er ständig. „Du musst sie respektieren, sie würdigen, ihre Regeln einhalten. Es ist verrückt, sich einzubilden, du hättest das Sagen – die Natur hat immer das letzte Wort.“

Leicht gesagt, wenn man mit einer Haut gesegnet war, die niemals einen Sonnenbrand bekam, und man praktisch auf einem Surfbrett aufgewachsen war.

Sie wandte sich wieder ihrem Laptop zu und runzelte die Stirn. Einen Blog mit banalem Promiklatsch zu schreiben war etwas ganz anderes als die anspruchsvollen Artikel mit ihrem Namen darunter in der New York Times, von denen sie träumte, aber irgendwo musste sie ja anfangen.

Arrested Development

Nein, ich meine nicht die fürs normale Fernsehen zu intelligente Kult-Comedyserie, die sich letztlich auch als zu intelligent für Netflix erwiesen hat (Einschub: Ich-bin-umgeben-von-Idioten; seufz), sondern ich meine „Arrested Development“ im wörtlichen Sinne: eine richtige Entwicklungsstörung, Leute. Die Art von Entwicklungsstörung, über die man in Psycho-Ratgebern lesen kann (jedenfalls diejenigen unter euch, die überhaupt etwas anderes lesen als Promiklatsch und Twitternachrichten). Die Art, die meine Wenigkeit letzte Nacht im Le Château mit ansehen musste, als drei aus der Riege der Jüngsten und Heißesten, aber garantiert nicht der Intelligentesten, beschlossen, dass Oliven noch für etwas anderes gut sein müssen, als nur planlos am Boden eines Martiniglases herumzukullern …

„Bist du immer noch am Schreiben?“ Mateo stand vor ihr, das Surfbrett unterm Arm, die Füße im Sand versunken.

„Nur ein paar letzte Korrekturen“, murmelte sie, während er das Brett aufs Handtuch warf, sich mit einer Hand durch sein von Sonne und Salzwasser gebleichtes Haar strich und den Reißverschluss an seinem Neoprenanzug öffnete. Er zog den Anzug so weit herunter, dass Layla regelrecht schlucken musste, wegen des absolut sprachlos machenden Wunders, ihren schönen Freund halb nackt und feucht glitzernd vor sich stehen zu sehen.

In einer Stadt, in der es von aufgeblasenen Egos und Eitelkeiten aller Art wimmelte und wo eine Sekte körperbesessener Grüne-Smoothie-Jünger herrschte, war Mateos selbstvergessener Umgang mit seinem angeborenen blendenden Aussehen eine solche Seltenheit, dass Layla meistens gar nicht nachvollziehen konnte, was er an einem so dünnen, blassen und zynischen Mädchen wie ihr fand.

„Kann ich helfen?“ Er griff nach ihrer Wasserflasche und sah drein, als täte er nichts lieber, als ihren Artikel über drei von mehreren Martinis befeuerte A-Promis zu lesen, die ihre Späße aus der Schulcafeteria wiederholten, indem sie sämtliche Umsitzenden mit Oliven bewarfen.

Typisch Mateo. So war er, seit sie ihn an einem Abend vor gut zwei Jahren kennengelernt hatte, an ihrem sechzehnten Geburtstag. Alle beide hatten sie erstaunt festgestellt, dass ihre Geburtstage nur ein Jahr und zehn Tage auseinanderlagen, sie aber trotzdem unterschiedliche – und weitgehend unvereinbare – Sternzeichen waren.

Mateo war Schütze, also ein Freigeist und Träumer.

Layla war Steinbock und daher ehrgeizig, mit einem Hang zum Kontrollfreak – falls man an Astrologie glaubte, was sie natürlich nicht tat. Es war nur ein seltsamer Zufall, dass es bei ihr und Mateo zutraf.

Sie reichte ihm ihren Laptop und ließ sich tiefer in den Liegestuhl sinken. Mateo dabei zuzuhören, wie er laut ihre Texte las, war ihre ganz persönliche Lieblingsdroge.

Und es kam ihren Texten zugute. Half ihr beim Überarbeiten und Feilen. Doch Layla kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass sie in Bezug auf ihr Schreiben wie eine Verhungernde nach Lob gierte. Mateo fiel eigentlich immer etwas Nettes ein, ganz egal, wie dröge der Inhalt auch war.

Die Wasserflasche lässig baumelnd in einer Hand und ihr MacBook Air auf dem anderen Arm, begann Mateo zu lesen. Am Ende angelangt, wandte er sich zu ihr um.

„Ist das wahr?“, fragte er.

„Ich habe eine Olive zur Erinnerung aufgehoben.“

Er kniff die Augen zusammen, als versuchte er, sich die Olivenschlacht der Promis auszumalen.

„Hast du Fotos gemacht?“, wollte er wissen und gab ihr das Notebook zurück.

Layla schüttelte den Kopf, gab rasch eine kleine Textänderung ein und drückte auf „Speichern“ anstelle des gewohnten „Senden“. „Im Château nehmen sie das Fotografierverbot richtig ernst.“

Mateo verzog kurz den Mund, dann leerte er in einem einzigen großen Zug die Wasserflasche, während Layla ihn betrachtete und sich reichlich pervers vorkam, weil sie ihren Freund zu einem Leckerbissen fürs Auge reduzierte.

„Willst du es abschicken?“, fragte er. „Klingt fertig.“

Sie schob den Laptop in die Tasche. „Du weißt ja, dass ich einen eigenen Blog starten möchte, unter dem Titel Beautiful Idols.“ Zögerlich nahm sie Blickkontakt zu ihm auf. „Ich glaube, das hier könnte der optimale Text für den Einstieg sein.“

Er verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein und spielte am Flaschenverschluss herum. „Layla, der Text ist gut“, sagte er in einem Tonfall, der vermuten ließ, dass er jedes Wort auf die Goldwaage legte. „Er ist witzig und bringt die Sache auf den Punkt, aber …“ Er zuckte die Achseln, als versuchte er durch Schweigen das auszudrücken, was er nicht sagen wollte. Der Text reicht nicht an die hochkarätigen Artikel heran, zu denen du imstande bist.

„Ich weiß, was du denkst“, beeilte sie sich zu ihrer Verteidigung zu sagen. „Doch nichts von dem Blödsinn, den ich schreibe, kann als welterschütternde Nachricht gelten, und ich habe es satt, für Peanuts zu arbeiten. Da ich mich selbstständig machen will, muss ich irgendwo anfangen. Und obwohl es eine Weile dauern könnte, bis der Blog einschlägt, werde ich, wenn es dann endlich so weit ist, allein mit den Werbeeinnahmen massenhaft Geld verdienen. Außerdem habe ich genug gespart, um mich bis dahin über Wasser zu halten.“

Der letzte Satz war eine hastige Ergänzung, die stimmen konnte oder auch nicht. Aber es klang gut und schien Mateo zu überzeugen, da seine erste Reaktion darin bestand, sie aus dem Liegestuhl und in seine Arme zu ziehen.

„Und was genau willst du mit diesen massenhaften Werbeeinnahmen anfangen?“

Sie strich ihm mit einem Finger über den Brustkorb, um Zeit zu schinden. Ihr Traum, in New York die Journalistenschule zu besuchen, war etwas, das sie ihm bisher verschwiegen hatte – und es jetzt nachzuholen würde die Atmosphäre trüben, was sie lieber vermeiden wollte.

„Na ja, ich dachte, den größten Teil davon legen wir in Burritos an.“

Grinsend umfasste er mit beiden Armen ihre Taille. „Das Rezept für ein glückliches Leben – du, vernünftige Wellen und genug Moos für Burritos.“ Er berührte ihre Nase mit den Lippen. „Apropos – wann darf ich dir denn endlich das Surfen beibringen?“

„Wahrscheinlich nie.“ Sie schmiegte sich an ihn, vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge und atmete seinen betörenden Duft nach Meer, Sonne und tief verwurzelter Zufriedenheit ein – ergänzt von einer Kopfnote aus Ehrlichkeit, Anstand und einem ausgeglichenen Naturell. Es war das, was Layla sich auch für sich selbst gewünscht hätte, was sie allerdings – wie sie wusste – garantiert nie erreichen würde.

Obwohl sie beide so unterschiedlich waren, akzeptierte Mateo sie, Layla, wie sie war. Nie versuchte er, sie zu ändern oder sie dazu zu bringen, die Dinge auf seine Art zu sehen.

Wenn sie doch nur das Gleiche von sich behaupten könnte!

Als er ihr einen Finger unters Kinn legte und seine Lippen auf ihre senkte, reagierte Layla wie ein Mädchen, das die letzten drei Stunden genau darauf gewartet hatte – und das hatte sie auch. Anfangs war der Kuss sanft und verspielt und Mateos Zunge glitt leicht über ihre. Bis Layla die Hüften gegen seine presste und seine Umarmung mit einer Leidenschaft erwiderte, die ihn erregt ihren Namen ausstoßen ließ.

„Layla … Mann …“ Die Worte kamen nur undeutlich über seine Lippen. „Was hältst du davon, wenn wir uns ein Plätzchen suchen, wo wir das fortsetzen können?“

Sie schlang ein Bein um seine Beine und drückte ihn enger an sich, so eng, wie es ihre Jeansshorts und sein Neoprenanzug erlaubten. Und dann nahm sie nur noch die Hitze wahr, die durch ihren Körper strömte, als er die Hände unter ihren Kapuzenpulli schob. So berauscht war sie von seiner Berührung, dass sie ihn am liebsten auf den warmen goldgelben Sand gezogen und sich dort auf ihn gelegt hätte. Zum Glück war Mateo vernünftig genug, um sich loszumachen, ehe sie alle beide verhaftet wurden.

„Wenn wir uns beeilen, haben wir noch sturmfreie Bude“, sagte er mit breitem Grinsen und Schlafzimmerblick.

„Nein danke.“ Layla schob ihn weg und verlor schlagartig jegliche Lust. „Als letztes Mal beinahe Valentina hereingeplatzt wäre, bin ich so in Panik ausgebrochen, dass es mein Leben um zehn Jahre verkürzt hat. Das kann ich nicht noch mal riskieren.“

„Dann wirst du eben nur hundertvierzig statt hundertfünfzig.“ Achselzuckend versuchte er sie wieder an sich zu ziehen, aber Layla blieb stocksteif stehen. „Das muss es dir doch wert sein.“

„Du hast leicht reden, Mr. Zen-Meister.“ Das war einer ihrer vielen Spitznamen für ihn. „Gehen wir lieber zu mir. Bei mir gibt es keine kleine Schwester, und selbst wenn mein Dad im Atelier ist, stört er uns nicht. Er ist total mit seiner neuen Bilderserie beschäftigt, die ich noch nicht mal gesehen habe. Ich freue mich aber, dass er wieder arbeitet. Es ist eine halbe Ewigkeit her, seit er zuletzt ein Bild verkauft hat.“

Mateo zögerte. Natürlich wollte er unbedingt mit ihr zusammen sein, doch sie brauchte ihren Vater nur zu erwähnen, schon schwand seine Begeisterung.

„Daran kann ich mich nicht gewöhnen.“ Er begann, ihre Sachen zusammenzupacken, indem er den Sonnenschirm zerlegte und ihn in die Tasche stopfte. „Es ist einfach zu abgefahren.“

„Nur für dich. Du weißt doch, dass Dad sich selbst als lässigen Künstler sieht, der an das Recht auf freie Entfaltung glaubt. Und, was noch wichtiger ist, er vertraut mir. Und er mag dich. Hält dich für einen beruhigenden Einfluss.“

Sie rang sich ein Lächeln ab. Das stimmte tatsächlich. Schließlich warf sie sich ihre Tasche über die Schulter und ging zu Mateos schwarzem Jeep, wo sie einen Flyer unter einem der Scheibenwischer hervorzog. Darauf stand: Mach diesen Sommer Werbung für Ira Redmans Unrivaled Nightlife Company. Du hast die Chance auf einen gigantischen Geldpreis.

Augenblicklich war ihr Interesse geweckt.

Seit der Highschool fieberte sie danach, die Journalistenschule in New York zu besuchen, und auch wenn sie total happy darüber war, dass man sie zugelassen hatte, konnte sie keinesfalls dort anfangen, solange ihr die enormen Studiengebühren und noch dazu die hohen Lebenshaltungskosten in der Metropole wie eine Betonmauer im Weg standen. Und da die finanzielle Durststrecke bei ihrem Vater diesmal länger anhielt als sonst, kam es nicht infrage, ihn um Unterstützung zu bitten.

Allerdings hätte ihre Mutter ihr locker jede Summe, die Layla brauchte, zur Verfügung stellen können – oder vielmehr der reiche Ehemann ihrer Mutter, denn ihre Mom war einer der zahlreichen Santa-Monica-Zombies, die zwischen Fitnessclub und Hairstyling-Studio hin- und herpendelten. Doch hatte Layla schon seit Jahren nicht mehr mit ihr gesprochen, und sie hatte nicht die Absicht, daran etwas zu ändern.

Was Mateo betraf – sein Job als Surfwart in einem der teureren Strandhotels warf nicht viel ab – nicht dass Layla seine Unterstützung akzeptiert hätte, wenn es anders gewesen wäre. Ganz zu schweigen davon, dass sie ihm bisher nichts über dieses spezielle Vorhaben erzählt hatte – vor allem, weil er darauf bestehen würde, mitzukommen, und so schön es auch wäre, ihn um sich zu haben, würde er sie letztlich doch bloß ablenken. Mateo teilte ihren Ehrgeiz nicht, und selbst wenn er noch so nett war, würde sie niemals zu einem dieser Weibchen mutieren, die sich von einem süßen Jungen davon abhalten ließen, ihre Träume zu verwirklichen.

Erneut überflog sie den Flyer – ein Job wie dieser könnte für die entscheidende Wende sorgen. Der Zugang zur Clubszene von Hollywood würde ihr zu wesentlich besserem Material verhelfen; daraus konnte man doch etwas machen, oder?

Mateo beugte sich über sie und nahm ihr den Flyer aus den Händen. „Sag bitte, dass du nicht daran interessiert bist.“

Er wandte sich ihr zu und musterte sie aus leicht zusammengekniffenen braunen Augen, während Layla sich wie ertappt auf die Unterlippe biss. Keinesfalls wollte sie zugeben, dass der Flyer das Aufregendste war, was sie an diesem Tag erlebt hatte – abgesehen von dem Kuss am Strand.

„Babe, glaub mir, darauf willst du dich nicht einlassen.“ Sein Tonfall war so streng wie selten. „Die Clubszene ist ganz schön schäbig. Du weißt ja, was mit Carlos passiert ist.“

Sie senkte den Blick auf ihre sandbedeckten Füße und wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken, weil sie nicht an die Sache mit Mateos älterem Bruder Carlos gedacht hatte, der direkt vor einem Club am Sunset Boulevard an einer Überdosis gestorben war, ganz ähnlich wie River Phoenix, der vor dem Viper Room zusammengebrochen war – nur dass für Carlos niemand einen Schrein errichtet hatte. Außer seinen engsten Verwandten hatte niemand auch nur kurz innegehalten, um zu trauern. Als Carlos starb, war er bereits so weit abgedriftet, dass seine einzigen noch verbliebenen Freunde die Drogendealer waren – und von denen hatte sich keiner auf seiner Beerdigung blicken lassen. Es war die größte Tragödie in Mateos Leben gewesen. Als Kind hatte er Carlos hemmungslos vergöttert.

Womöglich war das ja der optimale Weg, um Carlos zu ehren – ihn eventuell sogar zu rächen?

Sie streckte eine Hand nach Mateo aus und streifte mit den Fingerspitzen seine Brust, ehe sie den Arm wieder sinken ließ. „Was mit Carlos passiert ist, war die schlimmste Art von Tragödie, weil es vermeidbar gewesen wäre“, sagte sie. „Aber vielleicht lässt sich die Aufmerksamkeit am einfachsten auf Carlos und andere junge Leute wie ihn lenken, wenn man enthüllt, was sich in dieser Welt wirklich abspielt. Ein Job wie der hier würde mir genau das ermöglichen.“

Mateo runzelte die Stirn. Da musste sie sich schon ein bisschen mehr ins Zeug legen.

Layla starrte auf den Flyer, den er nach wie vor fest umklammert hielt, und wusste rein gefühlsmäßig, dass sie recht hatte. Mateos Widerstand machte sie nur noch entschlossener. „Mir ist unsere Kultur der Promianbetung genauso zuwider wie dir. Und ich bin absolut deiner Meinung, dass die ganze Clubszene ein einziger stinkender Sumpf ist. Aber wäre es dir nicht lieber, ich würde all das mal ans Licht der Öffentlichkeit zerren? Wäre das nicht besser, als nur rumzusitzen und zu schimpfen?“

Obwohl er nicht unbedingt mit ihr übereinstimmte, protestierte er nicht. Ein kleiner Sieg, den sie zufrieden für sich verbuchte.

„Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass ich den Wettbewerb gewinne. Mann, das ist mir sowieso komplett egal. Doch wenn ich mit ins Rennen gehe, habe ich bald die nötige Munition, um die Clubszene dafür anzuprangern, was für ein Schwindel das alles ist. Wenn ich nur einen Jugendlichen dazu bringe, nicht mehr diese oberflächlichen, selbstverliebten, nichtswürdigen Arschlöcher anzuhimmeln – sogar, falls ich nur einen Teenager davon überzeugen kann, dass die Clubszene zwielichtig und gefährlich ist und man sich lieber davon fernhalten sollte –, habe ich meine Aufgabe erfüllt.“

Mateo schaute aufs Meer und musterte eine ganze Weile den Horizont. Etwas an seinem Profil, im Schatten der Abendsonne betrachtet, ließ ihr Herz weich werden. Er liebte sie. Er wollte nur das Beste für sie, unter anderem, indem er sie von der Welt fernhielt, die seinen Bruder zerstört hatte. Doch sosehr sie ihn auch liebte, sie würde ihn nicht die Oberhand gewinnen lassen.

Er betrachtete weiter das perfekte Postkartenmotiv der über dem Meer untergehenden Sonne, ehe er sich wieder ihr zuwandte.

„Ich finde die Vorstellung unerträglich, dass du dich in dieses Umfeld begeben willst.“ Er ballte eine Hand zur Faust, wobei der Flyer in seinen Fingern raschelte. „Die ganze Szene ist ein einziger Schwindel, und Ira hat sich den Ruf als das allerschlimmste Schwein darin verdient, weil ihm die Kids, die ihn reich gemacht haben, scheißegal sind. Er liebt nur sich selbst. Sie haben Carlos aus dem Club geschleppt und ihn auf der Straße sterben lassen, damit sie keinen Krankenwagen rufen und den Laden nicht für den Abend schließen mussten. Aber sie hatten nicht die geringsten Hemmungen, hinterher aus dem Skandal Profit zu schlagen.“

„Das war keiner von Iras Clubs.“

„Das bleibt sich gleich. Carlos war ein intelligenter Junge, und schau dir bloß an, was mit ihm passiert ist. Ich kann nicht zulassen, dass dir das Gleiche zustößt.“

„Ich bin nicht Carlos.“ Sowie sie es gesagt hatte, bereute sie es. Sie hätte alles getan, um die Worte zurückzunehmen und sie unausgesprochen herunterzuschlucken.

„Soll heißen?“

Sie hielt inne, unsicher, wie sie es ihm erklären sollte, ohne ihn noch mehr zu kränken. „Ich gehe mit einer Absicht dorthin, einem Ziel …“

„Dafür gibt es andere, bessere Methoden.“

„Nenn mir eine.“ Sie reckte das Kinn und hoffte, ihm mit einem Blick ihre Liebe zu ihm zu signalisieren, aber sie waren in einer Sackgasse angelangt.

Mateo warf den Flyer in den nächsten Mülleimer und zog die Beifahrertür auf, als wäre die Debatte damit beendet.

Doch das war sie nicht.

Nicht einmal ansatzweise.

Layla hatte sich die Adresse der Website und die Telefonnummer längst eingeprägt.

Sie rückte näher. Es war ihr zuwider, mit ihm zu streiten, außerdem hatte es ohnehin keinen Sinn. Sie hatte ihre Entscheidung bereits getroffen. Je weniger er über ihre weiteren Schritte erfuhr, desto besser.

Sie wusste genau, wie sie ihn ablenken konnte, und so strich sie an der Innenseite seines Oberschenkels auf und ab und hörte nicht auf, bis sich seine Lider senkten, sein Atem schneller ging und er vergaß, dass sie je Interesse daran bekundet hatte, Werbung für Ira Redmans Clubs zu machen.

2. KAPITEL

While My Guitar Gently Weeps

„Komm schon, Bro – du musst was dazu sagen. Wir gehen erst, wenn du dich geäußert hast.“

Tommy sah vom Rolling-Stone – Heft auf, in dem er gerade gelesen hatte, und warf den beiden Möchtegern-Garagenrockern einen genervten Blick zu. Von seiner Achtstundenschicht waren erst viereinhalb Stunden um, und er hatte noch nicht mal ein einziges Plektron verkauft. Leider würden die zwei daran nichts ändern.

„Elektrisch oder akustisch?“, fragten sie beide fast gleichzeitig.

Tommy vertiefte sich erneut in ein Foto von Taylor Swifts endlos langen Beinen, ehe er umblätterte und sich mit ebensolcher Ausdauer einem Bild von Beyoncé widmete. „Es geht nicht um Richtig oder Falsch“, antwortete er schließlich.

„Das sagst du jedes Mal.“ Der mit der Beanie beäugte ihn argwöhnisch.

„Und trotzdem erkundigt ihr euch immer wieder.“ Tommy runzelte die Stirn und fragte sich, wie lange sie ihn piesacken würden, ehe sie endlich weiterzogen.

„Typ – du bist echt der mieseste Verkäufer aller Zeiten.“

Diesmal hatte der mit dem Green-Day-Dookie-T-Shirt gesprochen, der vielleicht Ethan hieß, aber da war er sich nicht sicher. Tommy schob die Zeitschrift beiseite. „Woher willst du das wissen? Du hast bisher nicht ein einziges Mal versucht, etwas zu kaufen.“

Die beiden Freunde standen nebeneinander und verdrehten die Augen.

„Ist deine Provision das Einzige, woran du denkst?“

„Bist du wirklich ein solcher Kapitalist?“

Tommy zuckte die Achseln. „Wenn die Miete fällig ist, wird jeder zum Kapitalisten.“

„Du musst doch eins von beiden lieber mögen“, hakte Beanie-Boy nach, nicht willens, die Sache auf sich beruhen zu lassen.

Tommy schaute zwischen ihnen hin und her und fragte sich, wie lange er sie noch hinhalten konnte. Sie kamen mindestens einmal pro Woche in den Laden, und obwohl er immer so tat, als würden ihn ihre unablässigen Fragen und ihre nach Aufmerksamkeit gierenden Marotten ärgern, bescherten ihm die beiden an den meisten Tagen die einzige Abwechslung in einem ansonsten sterbenslangweiligen Job.

Doch das mit der Miete war sein Ernst. Was hieß, dass er keine Geduld mit zwei kleinen Nichtsnutzen hatte, die nur seine Zeit verschwendeten und jedes Mal wieder gingen, ohne auch nur ein Notenblatt gekauft zu haben.

Der Job lief über Provisionen, und wenn er nicht gerade aktiv etwas verkaufte, nutzte Tommy seine Zeit lieber dafür, liegen gebliebene Exemplare des Rolling Stone durchzublättern und von dem Tag zu träumen, an dem er selbst das Cover zieren würde, oder im Internet nach Auftrittsmöglichkeiten zu suchen. Minimaler Einsatz gegen minimalen Lohn, das schien ihm nur gerecht zu sein.

„Elektrisch“, sagte er schließlich, erstaunt vom folgenden Schweigen.

„Ja!“

Dookie-Boy stieß die Faust in den Himmel, als spielte Tommys Meinung eine Rolle. Es war ätzend, wie sie zu ihm aufsahen. Vor allem, da er alles andere als ein bewundernswertes Leben führte.

„Warum?“, wollte Beanie-Boy unverkennbar gekränkt wissen.

Tommy nahm die akustische Gitarre, die der andere in den Armen hielt, und spielte die ersten Akkorde von Deep Purples Smoke on the Water.

„Hörst du das?“

Verhalten nickte der Junge.

Tommy reichte ihm das Instrument wieder und griff stattdessen nach der zwölfsaitigen E-Gitarre, die er von dem Moment an ins Auge gefasst hatte, seit er bei Farrington’s angefangen hatte. Der Gitarre, deren Besitz er schon erheblich näher gekommen wäre, wenn einer dieser Penner endlich mal auf die Idee käme, sich nützlich zu machen und tatsächlich etwas zu kaufen.

Er spielte noch einmal die gleiche Akkordfolge, während sich die Kids zu ihm beugten. „Es klingt lauter, voller, heller. Aber das ist bloß meine Meinung. Es ist nicht in Stein gemeißelt oder so.“

„Das war gut, Bro. Willst du nicht in unserer Band mitspielen?“

Tommy lachte und strich mit einer Hand liebevoll über den Gitarrenhals, ehe er das Instrument wieder aufhängte. „Also, welche wollt ihr kaufen?“ Er blickte zwischen den beiden hin und her.

„Alle!“ Dookie-Boy grinste.

Er erinnerte Tommy an sich selbst, wie er in dem Alter gewesen war – eine tödliche Mischung aus Unsicherheit und Frechheit.

„Ja, sobald er seine Sammlung mit Hausfrauenpornos auf eBay losgeschlagen hat!“

Beanie-Boy lachte und lief zur Tür, verfolgt von seinem Freund, der ihn mit Beschimpfungen traktierte, die nicht halb so originell waren wie die, die er selbst gerade an den Kopf geworfen bekommen hatte.

Tommy sah ihnen nach, als sie hinausliefen und das mit dem Türgriff verbundene silberne Glöckchen hinter ihnen bimmelte. Er war erleichtert, weil er den Laden wieder für sich allein hatte.

Nicht dass er etwas gegen seine Kunden gehabt hätte – Farrington’s Vintage Guitars war bekannt dafür, eine ziemlich ausgesuchte, musikbesessene Klientel anzuziehen, doch es war nicht gerade der Job, den er sich bei seiner Ankunft in L. A. erhofft hatte. Er verfügte über einige respektable Fertigkeiten, die alle langsam vor die Hunde gingen. Wenn sich nicht bald was tat, bliebe ihm nichts anderes übrig, als diese Kids aufzuspüren und sich für ihre Band zu bewerben.

Er konnte nicht nur Gitarre spielen, sondern auch singen. Nicht dass das irgendjemanden gekümmert hätte. Sein letzter Versuch, ein paar regelmäßige Solo-Gigs zu kriegen, war fehlgeschlagen. Auf die etwa hundert Flyer, die er überall in der Stadt aufgehängt hatte (mit einem großen Foto von ihm in einer tief auf den Hüften sitzenden Jeans und der über den nackten Oberkörper gehängten Gitarre), hatte es nur zwei Rückmeldungen gegeben. Eine von einem Perversen, der ihn zum „Vorspiel“ bat (das kranke Kichern, das folgte, ließ Tommy ernsthaft erwägen, seine Telefonnummer zu ändern), und ein tatsächliches Engagement in einem Coffeeshop in der Nähe, das vielversprechend begann, ehe seine Eigenkompositionen vom Geschäftsführer abgewürgt wurden und dieser darauf bestand, dass er volle drei Stunden lang ausschließlich akustische Coverversionen von John Mayers größten Hits spielte. Immerhin hatte er es geschafft, eine Blondine von Anfang vierzig für sich zu begeistern, die ihm eine zerknitterte Serviette mit dem Namen ihres Hotels und der Zimmernummer in Rot zusteckte, ehe sie mit gekonntem Hüftschwung hinausging, überzeugt davon, dass er ihr folgen werde.

Er tat es nicht.

Allerdings war er durchaus versucht gewesen. Er war nun schon triste sechs Monate in L. A., und sie sah verdammt gut aus. Mit einem durchtrainierten Body, wie er durch das eng anliegende Kleid sehen konnte, das sich an jede ihrer Kurven schmiegte. Und obwohl er ihre Direktheit schätzte und ihr Körper wahrscheinlich wirklich ein Wunderland war, kam er nicht mit der Vorstellung klar, bloß eine interessante Abwechslung für eine Frau zu sein, die sich von gleichaltrigen Männern gelangweilt fühlte.

Denn mehr als alles andere wollte Tommy ernst genommen werden.

Genau deshalb war er auf die andere Seite des Landes gezogen, nachdem er all seine irdischen Besitztümer (ein gutes Dutzend T-Shirts, ein paar nicht mehr ganz neue Jeans, einen Plattenspieler, der einmal seiner Mutter gehört hatte, seine geliebte Vinylplattensammlung, einen Stapel Taschenbücher und eine gebrauchte sechssaitige Gitarre) in den Kofferraum seines Autos gestopft hatte.

Natürlich hatte er damit gerechnet, dass es eine Weile dauern würde, sich zu etablieren, doch dass es kaum Gigs für ihn gab, war nicht eingeplant gewesen.

Genauso wenig wie der Job als Gitarrenverkäufer, aber dadurch konnte er seiner Mom wenigstens erzählen, dass er in der Musikbranche arbeitete.

Er blätterte seine Zeitschrift um und stieß auf einen Artikel voller Lob über die Strypes (bescheuerte Sechzehnjährige, die sich schon vor einer Weltkarriere sahen und ihn mit der Frage konfrontierten, ob er seinen Zenit womöglich bereits vor ein paar Jahren erreicht und es bloß nicht gemerkt hatte).

Als die Tür bimmelnd aufging, war Tommy froh über die Ablenkung, doch dann erblickte er einen vermögend aussehenden Typen, der zwischen all den Postern von Jimi Hendrix, Eric Clapton und B. B. King an den Wänden komplett fehl am Platz zu sein schien. Allein seine Designer-Jeans und sein T-Shirt hatten wahrscheinlich mehr gekostet, als Tommy in einer Woche verdiente. Ganz abgesehen vom Wildlederblazer, der auffälligen goldenen Uhr und den sündhaft teuer wirkenden Slippern – vermutlich von italienischen Meistern handgefertigt –, für die er garantiert mehr bezahlt hatte, als Tommys sämtliche Besitztümer zusammen wert waren, sein Auto eingeschlossen.

Ein Lifestyle-Tourist.

Los Feliz war voll davon. Reiche Möchtegern-Hipster, die sich regelmäßig in den zahlreichen Cafés, Galerien und exzentrischen Boutiquen des Viertels herumtrieben, in der Hoffnung, dass ein klein wenig Coolness auf sie abfärbte, die sie dann nach Beverly Hills mitnehmen konnten, um dort alle ihre Freunde mit Geschichten über ihren Ausflug ins wilde Leben zu beeindrucken.

Tommy runzelte die Stirn und blätterte weiter. Der Artikel über die Strypes deprimierte ihn.

Das Warten darauf, bis der Kunde seinen obligatorischen Rundgang beendet hatte und vielleicht sogar um eine Visitenkarte bat (die Karten gaben tolle Souvenirs ab, denn sie bewiesen, dass man wirklich dort gewesen war!), deprimierte ihn auch.

Im Gegensatz zu den Strypes würde dieser Typ jedoch wieder aus dem Leben verschwinden, während ihn jede Band in der Zeitschrift zu verhöhnen und ihm zu demonstrieren schien, was für ein grandioser Reinfall sein Umzug nach L. A. doch gewesen war.

Gerade als er sich sagte, dass es vielleicht sinnvoller wäre, sich ein bisschen zu bemühen und sich dem protzigen Arsch zuzuwenden, der sich in sein Umfeld gedrängt hatte, und er zu sprechen anheben wollte, blieben ihm die Worte im Hals stecken, und er starrte den anderen an wie ein bescheuertes Groupie.

Es war Ira.

Ira Redman.

Der extrem einflussreiche, superreiche Besitzer von Unrivaled Nightlife, der außerdem zufällig sein Vater war.

Wobei das mit dem „Vater“ eigentlich reine Theorie war. Ira war eher eine Art Samenspender gewesen als ein richtiger Vater.

Und er hatte keine Ahnung von Tommys Existenz.

Andererseits hatte aber auch Tommy bis zu seinem achtzehnten Geburtstag nichts von Ira gewusst. Er hatte die Story geglaubt, die ihm seine Mutter über seinen Dad, den Kriegshelden, erzählt hatte, der allzu früh verstorben war. Erst durch einen Zufall erfuhr er die Wahrheit. Doch dann war sein Schicksal besiegelt. Zum Missfallen seiner Mutter (und seiner Großeltern, seiner Exfreundin und seines Tutors) nahm er das Geld, das er fürs College gespart hatte, brachte seinen Schulabschluss rasch über die Bühne und machte sich auf den Weg nach L. A.

Er hatte alles genau geplant. Zuerst würde er sich eine tolle Wohnung suchen (ein Rattenloch in Hollywood), dann würde er einen sagenhaften Job finden (Farrington’s war alles andere als sagenhaft), und schließlich würde er, bewaffnet mit sämtlichen Details, die er mithilfe von Google, Wikipedia und einer abgespeicherten Ausgabe von Maxim gesammelt hatte, Ira Redman aufspüren und ihn zur Rede stellen, ganz der unabhängige, aufstrebende junge Mann, der er war.

Was er allerdings nicht einkalkuliert hatte, war, wie komplett eingeschüchtert er sich in Iras Gegenwart fühlen würde.

Kurz nach seiner Ankunft in L. A. hatte er Ira ausfindig gemacht und war ihm gefolgt, indem er durch die zerkratzte Windschutzscheibe seiner Schrottkarre spähte, dem Auto, das in Tulsa so cool und in L. A. so peinlich wirkte, dass sogar die Jungs vom Parkdienst bei seinem Anblick spöttisch die Miene verzogen. Tommy sah die geringschätzige und doch anmaßende Art, wenn Ira seinen von einem Chauffeur gesteuerten Cadillac Escalade am Straßenrand stehen ließ und wie ein Mann, der eher von Macht lebte als von Lebensmitteln, in ein Restaurant schlenderte. Sein grimmiger, alles wahrnehmender Blick war in kalkulierte Rücksichtslosigkeit verpackt, die Tommy auf der Stelle klarmachte, dass Ira in einer völlig anderen Liga spielte.

Die Vater-und-Sohn-Vereinigungsfantasien, die ihn auf der Strecke von Oklahoma nach Kalifornien angetrieben hatten, lösten sich im Smog von Los Angeles schlagartig auf, woraufhin Tommy davonfuhr und sich schwor, sich erst mal einen Namen zu machen, ehe er das noch einmal versuchte.

Und hier war er nun, Ira Redman, und saugte Sauerstoff auf, als besäße er auch daran eine beherrschende Aktienmehrheit.

„Hey“, murmelte Tommy und verbarg die Hände unter dem Tresen, damit Ira nicht sah, wie sie in seiner Gegenwart zitterten, obwohl ihn das Beben in seiner Stimme garantiert ohnehin verriet. „Was gibt’s?“

Die Frage war denkbar einfach, doch Ira machte einen speziellen Moment daraus. Einen peinlichen Moment. Zumindest war er peinlich für Tommy. Ira schien zufrieden damit zu sein, nur dazustehen und ihn anzustarren, als stellte er seine Daseinsberechtigung infrage.

Zuck nicht zusammen, schau nicht als Erster weg, zeig keine Schwäche. Tommy konzentrierte sich dermaßen darauf, wie er nicht reagieren sollte, dass er es beinahe nicht mitgekriegt hätte, als Ira anmaßend mit dem Finger auf die Gitarre direkt hinter ihm zeigte.

Offenbar hatte Ira beschlossen, eine kleine Auszeit von der Welt zu nehmen und sich Träumen von einer Karriere als Rockstar hinzugeben. Tommy konnte das nur recht sein, er brauchte jeden Verkauf. Aber er würde verdammt noch mal nicht zulassen, dass Ira mit der herrlichen Zwölfsaitigen aus dem Laden marschierte, die er im Geiste als sein Eigentum abgespeichert hatte, sowie er sich zum ersten Mal den Gurt umgelegt und ein paar Akkorde auf ihr angeschlagen hatte.

Absichtlich griff er nach der Gitarre darüber und nahm sie von den Wandhaken, doch Ira korrigierte ihn.

„Nein, die direkt hinter dir. Die metallicblaue.“ Er sprach, als wäre es ein Befehl. Als hätte Tommy keine Wahl, als Iras Wunsch zu erfüllen und seinen Launen nachzukommen. Es war ätzend. Erniedrigend. Und es machte ihm Ira noch unsympathischer, als er es ohnehin schon war.

„Die ist nicht zu verkaufen.“ Tommy versuchte, Ira zu einem anderen Instrument zu dirigieren, doch der ließ es nicht zu.

Iras marineblaue Augen vom selben Farbton wie seine wurden schmal und richteten ihren scharfen Blick auf ihn. Zugleich verkantete sich sein Unterkiefer genau wie bei ihm, wenn er mit einem schwierigen Musikstück kämpfte.

„Alles ist verkäuflich.“

Ira musterte ihn derart intensiv, dass Tommy sich am liebsten gewunden hätte.

„Es ist nur eine Frage des Preises.“

„Das mag wohl sein, Bro.“ Bro? Er redete Ira Redman mit Bro an? Ehe er allzu lange darüber nachdenken konnte, fügte Tommy schnell hinzu: „Aber die da ist meine und bleibt meine.“

Iras stählerner Blick bohrte sich in seine Augen. „Jammerschade. Darf ich trotzdem mal einen Blick darauf werfen?“

Tommy zögerte, was irgendwie doof war, denn schließlich würde Ira die Gitarre wohl kaum stehlen. Dennoch erforderte es jedes Gramm Willenskraft, das er besaß, ihm das Instrument zu reichen und zuzusehen, wie Ira es in der Hand hielt, als erwartete er, dass ihm dessen Gewicht irgendwelche wichtigen Daten vermittelte. Als Ira sich den Gurt um den Oberkörper schlang, eine lächerliche Pseudo-Gitarrengott-Haltung einnahm und auf seine laute, einnehmende Art loslachte, als teilten sie sich beide einen privaten Witz, musste Tommy gegen den Drang ankämpfen, ihn anzufallen.

Beim Anblick, wie Ira seinen Traum in Händen hielt, schwitzte er sein Jimmy-Page-T-Shirt durch. Die Art, wie Ira das Ganze geradezu zelebrierte und so tat, als nähme er eine gründliche Inspektion vor, machte klar, dass er eine Show abzog.

Doch weshalb?

Amüsierten sich gelangweilte reiche Leute auf diese Art und Weise?

„Ein schönes Stück.“

Ira gab die Gitarre zurück, und Tommy, erleichtert darüber, sie dessen Griff sicher entwunden zu haben, hängte sie wieder an die Wand.

„Jetzt verstehe ich, wieso du sie besitzen willst. Auch wenn ich nicht davon überzeugt bin, dass du es bereits tust.“

Tommys Rückgrat versteifte sich.

„So, wie du damit umgehst …“

Ira stemmte beide Hände auf den Tresen und spreizte die manikürten Finger. Seine goldene Uhr glänzte in grausamem Spott, als wollte sie sagen: „Dies ist das Leben, das du hättest haben können – ein Leben voller Privilegien und Reichtum, in dem du einfach zum Spaß Möchtegern-Rockgötter piesacken und auf ihre Träume pissen darfst.“

„Du behandelst sie mit zu viel Ehrfurcht, als dass sie dein Eigentum sein könnte. Du fühlst dich im Umgang mit ihr nicht sicher. Sie ist kein Teil von dir.“

Tommy presste die Lippen zusammen. Trat von einem Bein aufs andere. Er hatte keine Ahnung, was er entgegnen sollte. Allerdings hegte er keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem Ganzen um einen Test handelte, bei dem er soeben durchgefallen war.

„Du fasst diese Gitarre an, als wäre sie ein Mädchen, bei dem du es nicht fassen kannst, dass du sie poppen darfst, nicht wie die feste Freundin, mit der du schon lange ins Bett gehst.“ Ira lachte und ließ dabei überkronte Zähne aufblitzen – glänzend weiße Soldaten, die in perfekter Formation dastanden. „Wie wäre es, wenn ich doppelt so viel biete, wie du glaubst dafür bezahlen zu können?“ Sein Lachen erstarb so schnell, wie es ausgebrochen war.

Tommy schüttelte den Kopf und starrte auf seine abgewetzten Motorradstiefel, die in Iras Gegenwart überhaupt nicht mehr cool wirkten. Die Sohlen waren durchgelaufen. Im Schaft prangte ein Riss. Es war, als hätten sich seine Lieblingsstiefel plötzlich gegen ihn gewandt, um ihn daran zu erinnern, was für eine riesige Kluft zwischen ihm und seinem Traum klaffte. Das war allerdings immer noch besser, als Ira anzusehen, der ihn offensichtlich für einen Idioten hielt.

„Okay, dann das Dreifache.“

Tommy weigerte sich, das Angebot zur Kenntnis zu nehmen. Ira war verrückt. Der ganze Auftritt war verrückt. Ira galt als gnadenloser Verhandlungspartner, doch das alles wegen einer Gitarre? Nach allem, was er über ihn gelesen hatte, war die einzige Musik, die Ira gefiel, der Song, der gerade lief, wenn er das Geld aus seinen verschiedenen Clubs abholte.

„Du bist ein ganz schön harter Knochen“, sagte Ira lachend, aber es war kein echtes Lachen. Der Ton stimmte nicht.

Tommy brauchte ihn gar nicht anzuschauen, um zu wissen, dass seine Augen schmal und sein Mund breit geworden waren und er auf diese für ihn typische arrogante Art das Kinn reckte. Er hatte genug Fotos von Ira gesehen, um in ihm den unaufrichtigen, anmaßenden Mistkerl zu erkennen, der er war. Er hatte sie sich alle eingeprägt.

„Und wie wäre es, wenn ich den Preis vervierfache und dir meine Kreditkarte in die Hand drücke, und dafür drückst du mir die Gitarre in die Hand? Ich vermute, du arbeitest auf Provision? Schwer, so ein Angebot auszuschlagen.“

Ira hatte in ihm eindeutig den um Geld für die Miete verlegenen Möchtegern erkannt, der er war, und doch blieb Tommy unerschütterlich.

Die Gitarre gehörte ihm.

Oder zumindest würde sie ihm gehören, sobald er einige Lohnzahlungen erhalten hatte.

Und auch wenn es zweifellos riskant war, Ira Redman etwas zu versagen, so gab der schließlich auf und stolzierte so hochnäsig aus dem Laden hinaus, wie er hereingekommen war.

Tommy presste sich die Gitarre an die Brust und konnte kaum fassen, dass er sie fast verloren hätte. Wenn er bloß die nächsten paar Monate überstand, hätte er genug gespart, um sie offiziell zu seinem Eigentum zu machen. Sogar früher, falls er in einen Hungerstreik trat.

Genauso fand Ira ihn vor – wie er hinter dem verschmierten Glastresen stand und seine Traumgitarre umarmte wie eine Geliebte.

„Farrington will dich kurz sprechen.“

Ira drückte ihm sein Smartphone in die Hand, sodass Tommy keine andere Wahl blieb, als es zu nehmen.

Wer konnte ahnen, dass Ira und Farrington befreundet waren?

Oder besser noch, wer wusste nicht, dass Ira mit dem Ladenbesitzer ganz dicke war?

Dieser Scheiß-Ira kannte jeden.

Das Gespräch war kurz, aber umso demütigender, da Farrington ihn anwies, Ira die Gitarre zum ursprünglichen Preis zu verkaufen. Womöglich wurde auch angedeutet, dass er seinen Job verlieren könnte, doch da gab Tommy das Telefon bereits zurück und dämpfte damit Farringtons erboste Tirade zu einem dumpfen Quaken.

Während er gegen Tränen ankämpfte, die zu vergießen lächerlich wäre, gab er die Gitarre verloren. Mann, er hatte ja nicht mal an dem Abend geweint, als er sich von Amy verabschiedet hatte, dem Mädchen, mit dem er die letzten zwei Jahre zusammen gewesen war.

Er konnte und wollte nicht wegen einer Gitarre weinen.

Und er würde garantiert nicht deswegen weinen, weil sein Vater ihn wie einen Idioten dastehen ließ, indem er ihm demonstrierte, was für ein kleines Licht er doch war.

Irgendwann würde er es ihm zeigen, ihm seinen Wert beweisen und Ira den Tag bereuen lassen, an dem er Farringtons Laden betreten hatte.

Er wusste noch nicht, wie, aber er wusste, dass er es tun würde. Er war entschlossener denn je.

Sowie Ira die Gitarre in Besitz genommen hatte (bezahlt mit seiner Amex Black Card, deren Limit wahrscheinlich bei ein paar Fantastillionen Dollar lag), warf er ihm einen letzten abschätzigen Blick zu, zog einen zusammengefalteten Zettel aus der Innentasche seines Sakkos und schob ihn über den Tresen.

„Netter Versuch, Kleiner.“ Dann ging er mit der über seiner Schulter hängenden Gitarre zur Tür. „Vielleicht hättest du sie dir früher leisten können, wenn du für mich arbeiten würdest.“

3. KAPITEL

Reasons to be Beautiful

Aster Amirpour schloss die Augen, holte tief Luft und tauchte unter, bis die Blasen über ihrem Kopf blubberten und die Außenwelt verschwand. Wenn sie einen Glücksort hätte wählen müssen – das wäre er gewesen. Eingehüllt in die warme Umarmung ihres Whirlpools, frei von der Last elterlicher Erwartungen und der Bürde ihrer missbilligenden Blicke.

Kein Wunder, dass sie als Kind Meerjungfrauen lieber gemocht hatte als Prinzessinnen.

Erst als ihre Lunge zu protestieren begann, schoss sie an die Oberfläche und holte tief Atem. Sie blinzelte sich das Wasser aus den Augen, wischte sich die dunklen Strähnen aus dem Gesicht, die sich wie Bänder bis zu ihrer Taille schlangen, und zog die Träger ihres Burberry-Bikinis zurecht. Einen Monat hatte es gedauert, bis sie ihre Mutter dazu überreden konnte, ihn zu kaufen, und einen weiteren Monat, bis sie ihn tragen durfte, dies allerdings auch nur innerhalb der ummauerten Grenzen ihres Gartens.

„Ich sehe nichts als vier winzige Dreiecke und ein paar sehr dünne Bändchen!“

Mit diesen Worten hatte ihre Mutter die anstößigen Teile von ihrem Zeigefinger baumeln lassen und dazu einen Blick aufgesetzt, als fühlte sie sich allein schon von deren Existenz gekränkt.

Aster verdrehte innerlich die Augen. Ging es nicht genau darum bei einem Bikini – so viel knackiges junges Fleisch wie möglich zu zeigen, solange man noch knackiges junges Fleisch hatte?

Gott behüte, dass sie irgendetwas trug, das innerhalb ihrer Tehrangeles-Nachbarschaft als unzüchtig hätte gelten können.

„Aber er ist von Burberry!“, hatte Aster gefleht und versucht, damit die Begeisterung ihrer Mutter für Luxusgüter anzusprechen. Als das nicht fruchtete, fügte sie hinzu: „Und wenn ich verspreche, ihn nur zu Hause zu tragen?“ Sie funkelte ihre Mutter an und bemühte sich, aus ihr schlau zu werden, doch deren Miene blieb so gebieterisch wie immer. „Was, wenn ich verspreche, ihn nur zu Hause zu tragen, wenn ich allein zu Hause bin?“

Ihre Mutter hatte schweigend vor ihr gestanden und den Wahrheitsgehalt eines Versprechens erwogen, das Aster nicht im Geringsten einzuhalten beabsichtigte. Die ganze Debatte war lächerlich. Aster war achtzehn! Eigentlich müsste sie ihre Kleidung mittlerweile selbst kaufen dürfen, doch ihre Eltern behielten ihre Ausgaben ebenso streng im Auge wie ihre Ausgehzeiten.

Was die Möglichkeit anging, sich einen Job zu suchen und ihre Bikinis damit zu finanzieren – Aster hütete sich, das Thema anzuschneiden. Abgesehen von den seltenen Ausnahmen – hier eine Anwältin, dort eine berühmte Kinderärztin – arbeiteten die weiblichen Mitglieder ihrer Familie nicht außer Haus. Sie machten, was von ihnen erwartet wurde; sie heirateten, bekamen Kinder, gingen shoppen und mit Freundinnen mittagessen und übernahmen gelegentlich den Vorsitz einer Wohltätigkeitsveranstaltung. Dabei taten sie die ganze Zeit so, als wären sie ausgefüllt, doch das kaufte sie ihnen nicht ab.

Was hatte es für einen Sinn, all diese Eliteschulen mit ihren wohlklingenden Namen zu besuchen, wenn die teure Ausbildung nie in der Praxis zum Einsatz kam?

Diese Frage hatte sie nur einmal gestellt. Der stählerne Blick, den sie dafür erntete, lehrte sie, niemals wieder davon anzufangen.

Auch wenn Aster ihre Familie von ganzem Herzen liebte, auch wenn sie alles für sie getan hätte – Mann, sie wäre für sie gestorben, wenn es hätte sein müssen! –, so würde sie jedenfalls garantiert nicht für sie leben.

Das war zu viel verlangt.

Sie holte tief Luft und wollte gerade wieder untertauchen, als ihr Handy klingelte und sie so schnell aus dem Whirlpool schoss, dass sie ihr Bikinihöschen zurechtrücken musste, das vom Wasser heruntergezogen zu werden drohte.

Sowie sie den Namen ihres Agenten auf dem Display sah, kreuzte sie die Finger und tippte auf den goldenen, brillantbesetzten Hamsa-Anhänger (ein Geschenk ihrer Großmutter), um das Glück zu beschwören, ehe sie sich meldete, wobei sie versuchte, in einem schlichten „Hallo“ die Fähigkeit zu großer emotionaler Tiefe zu vermitteln.

„Aster!“ Die Stimme ihres Agenten dröhnte aus dem Lautsprecher. „Ich habe ein interessantes Angebot für dich. Passt es dir gerade?“

Er rief wegen des Vorsprechens an. Sie hatte sich mit Leib und Seele ins Zeug gelegt, und offenbar hatte es funktioniert. „Es geht um den Werbespot, oder? Wann soll ich anfangen?“ Noch ehe er antworten konnte, malte sie sich aus, wie sie ihren Eltern die Neuigkeit beibringen würde.

Ihre Eltern waren den Sommer über in Dubai, aber sie würde es ihnen trotzdem sagen müssen, und dann würden sie ausrasten. Seit sie ein kleines Mädchen war, hatte sie davon geträumt, eine weltberühmte Schauspielerin zu werden, und ihre Mutter immer wieder angebettelt, sie zu einem Vorsprechen zu bringen, doch ihre Eltern hatten andere Vorstellungen. Von dem Moment an, als der Ultraschall enthüllt hatte, dass ihr Kind ein Mädchen war, wurde sie darauf getrimmt, eine ganze Reihe von Erwartungen zu erfüllen, die einfach klangen: Sei hübsch, sei lieb, schreib gute Noten, und schlag die Beine übereinander, bis du am Tag nach deinem Collegeabschluss den von deinen Eltern ausgewählten perfekten jungen Perser heiratest und nach schicklichen zehn Monaten das erste deiner perfekten persischen Babys zur Welt bringst.

Auch wenn Aster nichts gegen Heiraten und Kinderkriegen einzuwenden hatte, so wollte sie diese Traumbremsen so lange wie möglich aufschieben. Und jetzt, wo ihr großer Durchbruch gekommen war, war sie entschlossen, kopfüber hineinzuspringen.

„Es geht nicht um den Werbespot.“

Aster blinzelte und umfasste das Handy fester, sicher, dass sie sich verhört hatte.

„Sie haben sich für einen anderen Look entschieden.“

Asters Gedanken rasten zu jenem Tag zurück. Hatte sie den Regisseur nicht davon überzeugt, dass diese muffigen Frühstücksflocken das Köstlichste waren, was sie sich je in den Mund gesteckt hatte?

„Sie wollen etwas Exotisches.“

„Aber ich bin exotisch!“

„Etwas anders Exotisches. Aster, hör zu, es tut mir leid, doch so was passiert.“

„Wirklich? Oder passiert das nur mir? Ich bin entweder zu exotisch oder das falsche Exotisch oder – weißt du noch das eine Mal, als sie gesagt haben, ich sei zu hübsch? Als ob es das überhaupt gäbe!“

„Es kommen noch massenhaft Vorsprechtermine“, sagte er. „Erinnerst du dich, was ich dir von Sugar Mills erzählt habe?“

Aster verdrehte die Augen. Sugar Mills war die erfolgreichste Klientin ihres Agenten. Eine untalentierte Pseudo-Berühmtheit, die dank der wachsenden Anzahl von Leuten, die nichts Besseres zu tun hatten, als die täglichen Abenteuer von Sugars mithilfe von Photoshop optimierten Körperteilen zu verfolgen, auf Instagram entdeckt worden war. Dadurch hatte sie einen sehr verbreiteten Werbespot an Land gezogen, in dem sie in einem winzigen Bikini einen dicken, soßetriefenden Hamburger verdrückte, was wiederum zu einer Rolle in einem in Bälde anlaufenden Film geführt hatte, in dem sie die extrem unpassende, wesentlich jüngere Freundin eines älteren Mannes spielte. Allein beim Gedanken daran empfand Aster zugleich Übelkeit und rasenden Neid.

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