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Aus heiterem Himmel

hier erhältlich:

Sich einen Mann zu suchen, dafür bleibt Nicole keine Zeit! Da müsste ihr schon aus heiterem Himmel einer vor die Füße fallen - so wie der charmante Architekt Ty O’Grady, der in Nicoles Haus einfach durch eine Decke bricht und direkt vor ihr auf dem Boden landet …


  • Erscheinungstag: 10.12.2012
  • Seitenanzahl: 192
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955761141
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jill Shalvis

Liebe kommt vor dem Fall

Aus heiterem Himmel

 

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Tangling With Ty

Copyright © 2003 by Jill Shalvis

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: Corbis GmbH, Düsseldorf; pecher und soiron, Köln

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN eBook 978-3-114-1

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Durch einen nackten Mann geweckt zu werden, das wäre natürlich etwas anderes. Aber weit und breit war kein nackter Mann in Sicht, und so wurde Nicole Mann wie üblich durch den Wecker geweckt. Und wie jeden Tag schaffte sie es auch heute, innerhalb von nicht einmal zehn Minuten zu duschen, sich anzuziehen und als Frühstück einen Burrito zu verschlingen.

Wie jeden Tag stürmte sie aus ihrem Apartment, um zum Krankenhaus zu kommen, wo ihr diesmal wegen der Grippewelle wahrscheinlich eine Doppelschicht bevorstand.

Ihr gesamtes Leben wurde nur von der Arbeit bestimmt, doch was war schon dabei? Ärztin war einfach ihr Traumberuf, auch wenn ihr deswegen kaum Zeit für irgendetwas anderes blieb. Nicht einmal Zeit für nackte Männer, aber auch damit konnte sie leben. Als Hochbegabte hatte sie schon mit zwölf Jahren die Highschool abgeschlossen, und seit diesem Tag, der fünfzehn Jahre zurücklag, hatte sie davon geträumt, einmal Ärztin sein.

“Pst.”

Nicole dachte immer, sie hätte Nerven wie Drahtseile, doch jetzt zuckte sie zusammen, als sie im dunklen Hausflur ein Flüstern hörte.

Das Flüstern stammte jedoch nicht vom Schwarzen Mann oder einem anderen Ungeheuer. Es war nur die Hausbesitzerin, ihre Freundin Taylor Wellington, die den Kopf aus der Tür ihres Apartments streckte. Taylor war schön und freundlich, was allein schon Grund genug wäre, um sie zu hassen. Außerdem konnte Taylor reden, bis man sich völlig erschlagen fühlte von ihrer Redeflut. Doch Nicole wusste aus Erfahrung, dass es keinen Zweck hatte, sich gegen sie zu wehren.

Nicole konnte es immer noch nicht recht begreifen, dass diese Frau ihre Freundin geworden war, obwohl sie so grundverschieden waren.

“Pst.”

“Ich sehe dich ja”, sagte Nicole. “Habe ich dich geweckt?” Taylor sah allerdings nicht so aus, als sei sie gerade aus dem Bett gefallen. Allerdings sah sie immer perfekt aus, auch wenn es noch früh am Morgen war.

“Nein, wenn ich schlafe, dann kann mich nichts und niemand wecken”, versicherte Taylor. “Aber ich habe mir den Wecker gestellt, um dich abzupassen.”

Sie musterte Nicole von Kopf bis Fuß, und Nicole sah, dass Taylor wie üblich perfekt geschminkt war.

“Liebes, ich dachte, wir wären uns einig, was deine Tarnanzüge angeht.”

Nicole blickte an sich hinunter. Sie trug ein ärmelloses olivgrünes T-Shirt und eine eng anliegende Armyhose mit tausend Taschen. Was gab es daran auszusetzen? So hatte sie sich schon während ihrer Studienzeit angezogen. Damals hatte sie sich solche Sachen in Secondhandläden gekauft, weil es günstig war, doch mittlerweile hatte sie sich an diesen bequemen Look so sehr gewöhnt, dass sie ihn nicht mehr aufgeben wollte. Aber es überraschte sie, dass es Taylor etwas ausmachte, wie ihre Mitbewohnerin auf andere wirkte.

Nicole lebte erst ein paar Wochen hier in South Village, einem trendigen Stadtviertel am Rand von Los Angeles. Ihre vorherige Wohnung war größer gewesen, und in dem weitläufigen Apartmenthaus hatte sich niemand darum gekümmert, wer sein Nachbar war. Ihr hatte diese Anonymität eigentlich gut gefallen. Sie war lediglich deshalb umgezogen, weil das Haus verkauft wurde und die neuen Besitzer alles umgestalten wollten. Ihr neues Apartment lag nahe beim Krankenhaus, und es war klein, was den Vorteil hatte, dass sie weniger putzen musste. Dass dieses Haus baufällig war, sah sie zwar als Nachteil, doch solange sie ein Bett zum Schlafen hatte, war sie zufrieden.

“Weshalb wolltest du mich abfangen?”, fragte sie Taylor.

“Ich dachte mir schon, dass du es vergessen hast. Heute Abend wollen wir doch Suzannes Verlobungsparty planen.”

Suzanne Carter lebte im dritten Apartment des Hauses. Die drei Frauen waren die einzigen Bewohner und hatten schon oft miteinander gelacht und Eis gegessen. Doch es widerstrebte Nicole, eine Party vorzubereiten, auf der sie geschminkt herumlaufen, lächeln und Konversation betreiben müsste. Sie hasste das alles.

“Du hast es vergessen”, stellte Taylor nüchtern fest.

“Nein, ich …” Also schön, dachte Nicole, ich hab’s vergessen.

Nicole konnte es nicht ändern, dass sie, was Feiern und dergleichen Termine betraf, sehr vergesslich war. Ihre Familie, die sie nur selten zu Gesicht bekam, konnte ein Lied davon singen. In diesem Jahr hatte sie schon die Familienfeier zur Rückkehr ihrer Schwester vom College vergessen, genauso wie die alljährliche Feier am ersten April und sogar ihren eigenen Geburtstag. Allerdings wusste ihre Familie etwas, das Taylor noch nicht begriffen hatte: Nicole war gern allein. Partys fand sie schrecklich, und das Vorbereiten von Verlobungspartys gehörte dazu.

“Tut mir leid, ich komme erst sehr spät zurück”, sagte sie.

Taylor warf ihr einen eindringlichen Blick zu. “Sag bloß. Willst du dir ein neues Piercing machen lassen?”

Nicole verdrehte die Augen. Ständig zog Taylor sie wegen ihrer vielen Ohrringe im rechten Ohr auf. Doch es war ein sehr freundschaftlicher Spott. Außerdem wusste Taylor ja nicht, dass diese Ohrringe etwas mit ihrer Ehre zu tun hatten. “Nein, kein neues Piercing.”

Geduldig auf eine Antwort wartend, hob Taylor eine Augenbraue.

Hastig versuchte Nicole, eine höfliche Ausrede zu finden. Wir sind im Krankenhaus unterbesetzt, und …”

“Lass gut sein, Supergirl.” Taylor hob abwehrend eine Hand, um sich weitere Entschuldigungen zu ersparen. “Kommen wir doch gleich zum Punkt. Von Hochzeiten und dem ganzen Drum und Dran bekommen wir beide Pickel, stimmt’s?” Sie blickte Nicole wie eine strenge Mutter fest in die Augen. “Aber hier geht es um Suzanne.”

Suzanne war neben Taylor der einzige Mensch, der Nicole vom ersten Treffen an so akzeptiert hatte, wie sie war. Dabei wusste Nicole genau, dass sie oft schroff, verschlossen und abweisend wirkte.

Die drei Frauen hatten sich kennengelernt, kurz nachdem Taylor dieses Haus geerbt hatte. Leider besaß Taylor abgesehen davon keinen Cent, und so hatte sie erst Suzanne und kurze Zeit später Nicole als Mieterinnen aufgenommen. Im Grunde hatten sie alle wenig gemeinsam. Suzanne betrieb einen Party-Service und bewirtete sie ständig mit himmlischen Gerichten. Außerdem schien ihr Vorrat an Eiscreme niemals zu Ende zu gehen. Taylor hielt sich selbst und die anderen mit ihrem trockenen Humor bei guter Laune und bemutterte sie, was Nicole ihr aber nie verraten würde. Und Nicole … Sie hätte selbst nicht sagen können, was sie zu der Gemeinschaft beitrug. Es war ihr ein Rätsel, warum Taylor und Suzanne so viel an ihr lag.

Eines jedoch hatte sie von Anfang an verbunden: Sie hatten sich geschworen, Singles zu bleiben. Oft hatten sie darüber gesprochen, sich gegenseitig zugeprostet und dabei ihren Schwur erneuert. Allerdings hatte Suzanne den Schwur mittlerweile gebrochen und sich unsterblich verliebt und wollte nun heiraten.

Nicole seufzte. “Ich werde es irgendwie einrichten, hier zu sein.”

“Keine Bange, Heiraten ist ja nicht ansteckend.”

“Da mache ich mir auch keine Sorgen. Meine Arbeit ist mein Leben, und ich bin viel zu selbstsüchtig, um mich an einen Mann zu binden.”

“Genau. Wir sind glücklich mit unserem Leben als Single, und so soll es bleiben.”

“Auf jeden Fall.”

Aber ein bisschen nervös machte es sie schon, dass Suzanne, die ein ebenso überzeugter Single wie sie gewesen war, den Schwur gebrochen hatte und heiratete. So etwas durfte ihnen nicht passieren. Sie würden aufpassen und ihre Gefühlswelt unter Kontrolle halten müssen.

Genau, dachte Nicole. Bloß keine ernsthaften Gefühle entwickeln, dann sind wir beide vor Ärger sicher.

Vierundzwanzig Stunden lang hatte Nicole schwer gearbeitet, als sie sich nun im Morgengrauen die drei Treppen zu ihrer kleinen Dachwohnung hinaufschleppte.

Es war noch dunkel oder immer noch. Nicole war zu erschöpft, um sich darüber Gedanken zu machen. Die Arbeit war fast unmenschlich gewesen. Starker Nebel hatte einen Massenunfall auf dem Highway 5 in Richtung Süden verursacht. Zweiundvierzig Autos waren darin verwickelt gewesen, und sie hatte den ganzen Tag im OP verbracht. Ihr war kaum Zeit geblieben, um sich die Nase zu putzen. Auf Schnittverletzungen, gebrochene Beine und Rippenbrüche war dann noch eine Entbindung von Zwillingen per Kaiserschnitt gefolgt.

Man hatte sie gebeten, noch eine Schicht dranzuhängen, und nach einem kurzen Schlaf im Ärztezimmer, um wieder zu Kräften zu kommen, hatte Nicole noch die zweite Schicht gearbeitet. Während der knappen Ruhepause hatte sie geträumt, sie würde von Hochzeitskleidern und Torten verfolgt. Wie war sie bloß darauf gekommen?

Jetzt sehnte sie sich nur noch nach etwas zu essen, einer heißen Dusche und ihrem Bett. Die Reihenfolge war ihr ziemlich egal. Sie hatte sich Tacos gekauft, und bei dem Gedanken an die warmen Tacos in der Tüte, die sie sich gerade an die Brust drückte, lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Das war zwar kein gesundes Frühstück, aber Hauptsache, es machte satt. Schon seit der zweiten Operation gestern sehnte sie sich nach etwas scharf Gewürztem.

Nach dem Essen hatte sie vor, in Tiefschlaf zu fallen. Jedenfalls bis zu ihrer nächsten Schicht. Heute Nachmittag war ein Belegschaftstreffen angesetzt, und anschließend würde sie für einen ausgefallenen Kollegen die Nachtschicht übernehmen. Schon jetzt standen vier Operationen fest auf dem Plan.

Hoffentlich habe ich auch scharfe Soße bestellt, dachte sie, denn an Fertigsoßen gab es in ihrer winzigen Küche nichts außer etwas Undefinierbarem, das sich schon vor Wochen grün verfärbt hatte.

“Du kleines widerliches Ding. So ein Mist.” Ein metallisches Kratzen begleitete den Fluch, der in irischem Akzent erklang. “Ich werde dich … Verdammt, beim letzten Mal hast du doch auch noch funktioniert, wieso denn jetzt nicht mehr?”

Der Mann klang so ungezwungen, als würde er sich hier wie zu Hause fühlen, dass Nicole einen Moment brauchte, um sich bewusst zu machen, dass er keineswegs hierhergehörte.

Na, wunderbar, dachte sie. Sie war ohnehin in der richtigen Stimmung, sich mit jemandem anzulegen. Vorausgesetzt, ihre Tacos erlitten dabei keinen Schaden. Manchmal war es als körperliches Leichtgewicht durchaus von Vorteil, mit einem hohen IQ gesegnet zu sein. Während ihres Medizinstudiums hatte sie zum Ausgleich Karate gelernt, und sie war sehr gut darin. Wenn sie sich etwas in den Kopf setzte, dann hatte sie auch Erfolg.

Auf geht’s, sagte sie sich und stellte ihre Tacotüte auf der obersten Treppenstufe ab, bevor sie ihre Kampfhaltung einnahm. Ihr Frühstück durfte nicht in Gefahr geraten. Sie ging die letzten Stufen hinauf. Hier oben war außer ihrem Apartment nur noch der Dachboden. Ein Mann lag flach in dem schmalen Flur. Die Arme hatte er seitlich ausgestreckt. Er maß gerade die alten Holzbohlen des Fußbodens aus, während er die fantasievollsten irischen Flüche ausstieß.

Nicole musste lachen und konnte den Blick nicht lösen von dem schlanken Mann, der dort bäuchlings ausgestreckt vor ihr auf dem Boden lag. Die langen Beine steckten in Jeans, und die enge Hose betonte die Waden und Schenkel. Und den festen runden Po.

Das T-Shirt war dem Mann nach oben gerutscht, und Nicole sah eine Menge gebräunten muskulösen Rücken. “Beiß mich”, stand auf dem hellblauen T-Shirt.

Nicole vergaß ihre Kampfeslust und lächelte. Beiß mich. Dazu hätte sie wirklich Lust. Der Mann sah einfach zum Anbeißen aus. “Entschuldigen Sie”, machte sie sich bemerkbar.

Er hielt die Arme weiterhin lang ausgestreckt, und das kleine Gerät, das er in Händen hielt, piepste und leuchtete rot auf. “Seien Sie ein Engel”, sagte er mit einer tiefen Stimme, die Nicoles Herzschlag beschleunigte. Sein irischer Akzent war allerdings schlagartig verschwunden. “Reichen Sie mir den Notizblock.”

Nicole stand immer noch in Verteidigungshaltung da und musste den Hals recken, bis sie das kleine Notizbuch entdeckte, das aus seiner Gesäßtasche ragte. Es sah aus, als würde es dort ständig herausgezogen und wieder hineingesteckt werden.

Offenbar zögerte sie etwas zu lange, denn der Mann stützte sich auf die Ellbogen und drehte den Kopf. Das tiefschwarze Haar war zerzaust, und Nicole sah nun, dass er kristallklare blaue Augen hatte.

Der Mann musterte sie von oben bis unten, wie sie, die Knie leicht gebeugt und die Fäuste geballt, dastand. Er ließ das Messgerät los und rieb sich das Kinn. “Wollen Sie mit mir um mein Notizbuch kämpfen?”

Nicole ließ die Fäuste sinken und betrachtete diesen unglaublich gut aussehenden Fremden noch einmal ausführlich. Dann bückte sie sich nach ihrer Tüte mit den Tacos. “Wer sind Sie, und warum liegen Sie fluchend in meinem Flur?”

“Haben Sie’s gehört?” Er lächelte. “Sagen Sie’s bitte nicht der Hausbesitzerin weiter. Sie hat extra angeordnet, dass ich im Flur nicht fluchen darf.”

Nicole wunderte sich, dass Taylor diesen Mann nicht gleich in ihr Schlafzimmer verfrachtet hatte. Taylor hatte nichts gegen Sex, und dieser Mann strahlte Erotik pur aus.

In einer fließenden Bewegung stand er auf, und sie bemerkte jetzt, wie groß er war. Zugegeben, sie selbst gehörte eher zu den kleinen Menschen dieser Welt, aber dieser Mann maß sicher ein Meter neunzig.

Wenn ich meine Nase ganz nach oben recke, komme ich damit vielleicht gerade bis an seine Schulter, dachte Nicole. Seine Körpergröße und die seltsame Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, verunsicherten sie. Und Unsicherheit war ein Gefühl, das sie nicht ausstehen konnte. Sie trat einen Schritt zurück und brachte sich wieder in Angriffsposition, um auf alles vorbereitet zu sein.

“Wenn ich gewusst hätte, dass Sie sie hören, hätte ich mir die Flüche verkniffen.” Er wirkte jetzt leicht verlegen, als er über sein Kinn strich. Dem dunklen Bartschatten nach zu urteilen, war es schon ein paar Tage her, seit er sich rasiert hatte. “Wie ich sehe, habe ich Sie erschreckt.”

Nicole runzelte die Stirn. Der irische Akzent war jetzt tatsächlich vollkommen verschwunden, dafür klang es nun ein bisschen gekünstelt.

Wahrscheinlich unterdrückte er seinen Akzent. Wollte er seine Abstammung verheimlichen? Sie selbst lief zwar auch nicht wie ein offenes Buch herum, aber bei anderen mochte sie Geheimniskrämerei überhaupt nicht.

“Beantworten Sie bitte meine Fragen.”

Der Mann hob friedfertig die Hände, als habe sie ihm mit dem Finger gegen die Brust gestoßen. “Kein Grund, mich gleich so anzufahren. Ich bin nur der Architekt. Ty Patrick O’Grady. Stets zu Ihren Diensten.”

“Sie sind der Architekt?”, fragte Nicole verwirrt nach.

“Das Haus hier soll renoviert werden.” Als wollte er ihr zeigen, wie harmlos er war, lehnte er sich mit der Schulter an die Wand und lächelte so umwerfend, dass Nicole ein Schauer über den Rücken lief. “Hier muss erst mal ein Architekt ans Werk, bevor man mit den Bauarbeiten beginnen kann. Dieses Haus fällt nämlich fast schon unter Denkmalschutz. Es muss dringend renoviert werden, aber bestimmte Teile der Bausubstanz dürfen nicht verändert werden.”

Das Haus lag mitten im eleganten South Village, und Nicole konnte sich gut vorstellen, dass es einiges wert war, obwohl es heruntergekommen und verwahrlost aussah. Schon seit Wochen schleuste Taylor Bauexperten durchs Haus, weil eine grundlegende Renovierung unumgänglich war.

“Dann erstellen Sie also ein Angebot für die Eigentümerin? Für Suzanne?” Aufmerksam beobachtete Nicole ihn.

Er lächelte. “Nein, nicht für Suzanne, sondern für Taylor. Aber das war ein guter Versuch, das gebe ich zu. Allerdings gehört etwas mehr dazu, um mich reinzulegen, Süße.”

Er nannte sie Süße? Der kann was erleben, dachte Nicole.

Er hob die pechschwarzen Augenbrauen und meinte lässig: “Soll ich Ihnen meinen Ausweis zeigen, oder erschlagen Sie mich jetzt mit Ihren Tacos, die so lecker duften?”

“Was ist denn mit Ihrem Akzent passiert?”

Jetzt wirkte er ratlos. “Was für ein Akzent?”

“Vorhin hatten Sie noch einen irischen Akzent. Sind Sie Einwanderer?”

“Ja, direkt vom Schiff aus Australien, Kleine.” Er grinste. “Oder war das …” Er wechselte den Akzent von einem Satz zum nächsten. “Europa? Ich bringe die Kontinente immer durcheinander.”

Ein Witzbold also. “Es ist schon ziemlich spät, um ein Angebot auszuarbeiten.”

“Sehr früh, meinen Sie wohl.”

Schon möglich. Sie konnte nicht mehr genau sagen, welche Tageszeit es war. “Wie auch immer. Weshalb sind Sie hier?”

“Ich bin ein viel beschäftigter Mann, Darling. Aber Sie haben mich so durcheinandergebracht, dass ich glatt Ihren Namen vergessen habe.”

Nicole verschränkte die Arme vor der Brust. “Mit Darling liegen Sie jedenfalls daneben.”

Wieder lächelte er, und sie musste sich eingestehen, dass dieses Lächeln umwerfend war.

“Soll ich jetzt raten?”, sagte er.

“Dr. Mann”, stellte sie sich widerwillig vor. “Und wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gern meine Tacos essen.” Und dann ins Bett gehen. Allein.

Wieso kommt mir dieser Gedanke gerade jetzt?, fragte sich Nicole. Ich gehe immer allein ins Bett. Immer.

Der Mann lächelte immer noch. Es wirkte, als wüsste er etwas, das sie nicht wusste. Fast hätte sie mit den Zähnen geknirscht. “Was ist? Kommt jetzt, dass ich viel zu jung bin, um Ärztin zu sein, und wie ein kleines Mädchen aussehe? Dann mal los. Ich kenne diese geistreichen Bemerkungen allerdings alle schon. Sie werden sich also Mühe geben müssen.”

Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß, und sie ärgerte sich, wie warm ihr unter seinem Blick wurde.

“Für mich sehen Sie nicht wie ein kleines Mädchen aus.”

Oh nein, dachte Nicole. Für diese Schiene bin ich jetzt wirklich zu müde. Sie ging an dem Mann vorbei zur Tür von ihrem Apartment und fing an, ihre zahllosen Hosentaschen der Reihe nach abzuklopfen. Wo steckte nur der blöde Schlüssel?

“Probleme?”

Ohne ihn zu beachten, nahm sie die Tüte mit den Tacos in die andere Hand und überprüfte die hinteren Hosentaschen. Kein Glück. Das war wirklich ein Nachteil dieser Hosen. Sie waren zwar bequem und praktisch, aber man konnte endlos suchen, bis man in den vielen Taschen etwas fand.

“Dr. Mann?”

“Bitte.” Sie schloss die Augen, als seine tiefe sexy Stimme ganz dicht hinter ihr erklang. “Bitte gehen Sie einfach.” Wenn sie nicht sofort etwas aß und dann ins Bett kam, würde sie hier direkt vor seinen Füßen in Tiefschlaf fallen.

Es wäre nicht das erste Mal. Sie hatte bereits im Stehen geschlafen – während der langen Bereitschaftsdienste in der Ausbildung.

Sie hörte ein Klicken und riss die Augen auf. Die Tür stand offen. Ty Patrick O’Grady hielt eine Kreditkarte in die Höhe. Dieser Mann war also nicht nur Architekt mit sexy irischem Akzent und umwerfendem Lächeln. Anscheinend steckte noch eine Menge mehr in ihm.

“Die sind doch zu vielem zu gebrauchen”, meinte er mit Blick auf die Kreditkarte.

“Sie haben mein Türschloss geknackt?”

“Genau.”

“Sind Sie ein Einbrecher?”

Sein tiefes Lachen wirkte noch erotischer als seine Stimme. “Drücken wir es so aus, ich habe schon einiges gemacht. Sie brauchen ein besseres Türschloss.”

“Aber Sie können doch nicht einfach …”

“Haben Sie den Schlüssel gefunden?”

“Nein, aber …”

“Gehen Sie doch rein, Darling.” Sanft schob er sie in ihr Apartment und nahm ihr die Tüte mit den Tacos ab, die sie vor Müdigkeit fast fallen lassen hätte. “Bevor Sie hier im Flur Wurzeln schlagen.”

Sie ging hinein und wollte die Tür hinter sich zuschlagen. Leider stand der Mann bereits auf der falschen Seite der Tür. Ihr kleines Apartment wirkte plötzlich noch winziger. “Und ich bin nicht Ihr Darling.”

“Nein, Sie sind Dr. Mann.”

“Also schön, ich bin nicht der umgänglichste Mensch auf Erden, wenn ich müde bin. Wollen Sie mich jetzt verklagen?”

“Ich würde Sie lieber mit Vornamen ansprechen.”

“Nicole”, sagte sie knapp und schnappte sich die Tüte Tacos aus seiner Hand. Dann ging sie in die Küche. Das waren nur vier Schritte. “Von mir aus dürfen Sie jederzeit gehen. Die Tür finden Sie ja allein.”

Natürlich ging er nicht. Dieser Mann sah zwar fantastisch aus, aber offenbar war er auch unbeirrbar und stur.

“Was haben Sie vor?”, verlangte sie zu wissen.

“Ich will dafür sorgen, dass Sie nicht im Stehen einschlafen.”

“Waren wir uns nicht einig, dass ich eine erwachsene Frau bin?”

“Stimmt.”

Sie schob einen Stapel von medizinischen Fachzeitschriften beiseite und riss die Tüte Tacos auf.

“Wie wär’s denn mit einem richtigen Frühstück?”

“Das hier ist genau richtig. Leben Sie wohl, Mr. Architekt.”

“Es war mir ein Vergnügen.”

Nicole lehnte sich an die Anrichte und biss in den ersten Taco.

“Freut mich wirklich, dass ich Ihnen behilflich sein konnte.”

“Ja, vielen Dank – fürs Knacken vom Türschloss und fürs Eindringen in mein Apartment.” Sie stöhnte vor Gier fast auf, als sie den ersten Bissen kaute. Schnell trank sie von dem Mineralwasser, das sie sich zusammen mit den Tacos gekauft hatte. Der erste Taco verschwand in Sekundenschnelle.

Als sie den zweiten aus der Tüte holte, seufzte der Mann.

Sie blickte ihn an. “Haben Sie vergessen, wo die Tür ist? Einfach umdrehen und dann der Nase nach.”

“Sie sollten wirklich etwas auf Ihre Ernährung achten.”

“Hier habe ich Fleisch, Käse, Salat und Teigwaren. Alles, was der Mensch braucht.”

“Ja, aber …” Er beobachtete, wie sie sich etwas Soße vom Daumen leckte. “Ich schätze, Sie haben gerade eine anstrengende Schicht im Krankenhaus hinter sich.”

“Stimmt.” Sie trank noch mehr Mineralwasser. “Nehmen Sie’s nicht persönlich, ja? Verschwinden Sie. Ich habe eine Verabredung mit meinem Bett, und dieses Date betrifft ausschließlich mein Kopfkissen und mich.”

“Wie schade”, sagte er lächelnd.

Sein Lächeln ließ ihren Puls schneller schlagen.

“Bloß keine falschen Hoffnungen. Doktorspiele mit Fremden sind bei mir nicht drin.”

“Sie machen auch nicht den Eindruck, als wären Sie sehr verspielt.”

Sie bedachte ihn mit einem wütenden Blick.

“Auch das sollte kein Annäherungsversuch sein, Dr. Mann. Mir geht es nur um Ihre Ernährung. Die Papiertüte hat sicher einen ähnlichen Nährwert wie der Inhalt. Soll ich Ihnen vielleicht etwas kochen?”

Als sie zu lachen anfing, verstummte er. Nachdem Nicole etwas gegessen hatte, fühlte sie sich schon besser. Sie stellte die Tüte weg und ging zur Tür. Dieser Mann konnte bestimmt einiges zum Kochen bringen. Aber auch wenn sie sich ein so wunderbares Exemplar von Mann gern ansah, hatte sie nicht vor, mehr mit ihm anzufangen.

“Gute Nacht.” Sie öffnete die Tür.

“Lassen Sie mich raten. Sie haben etwas gegen richtiges Essen, stimmt’s?”

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