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Anonym - Briefe der Lust

hier erhältlich:

Ein anonymer Brief weckt die Sehnsucht nach Unterwerfung in Paige DeMarco. Hemmungslos gehorcht sie den erotischen Aufforderungen auf edlem Papier: Sie kleidet sich aufreizend, befriedigt sich selbst, ohne zum Höhepunkt zu kommen … Immer neue Nachrichten findet Paige in ihrem Briefkasten, immer gewagter und erregender werden die Befehle. Bis sie eines Tages plötzlich ausbleiben - und Paige einen neuen, ungeahnt dominanten Zug an sich entdeckt. Sie beginnt ein gefährlich heißes Spiel …


  • Erscheinungstag: 10.11.2011
  • Seitenanzahl: 432
  • ISBN/Artikelnummer: 9783862781201
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Manchmal denke ich daran, wie es damals war.

Er kam heraus. Ich ging hinein. Wir bewegten uns aneinander vorbei wie Schiffe auf dem Meer, so wie sich jeden Tag die Wege Hunderter von Fremden kreuzen. Der Augenblick dauerte nicht länger, als es brauchte, um einen Schopf dunkler zerzauster Haare und das Funkeln dunkler Augen zu sehen. Als Erstes fielen mir seine Kleider auf, die kakifarbenen Cargohosen und das langärmlige schwarze T-Shirt. Dann bemerkte ich seine Größe und die Breite seiner Schultern. Innerhalb weniger Sekunden wurde ich mir seiner auf jene besondere Weise bewusst, auf die Männer und Frauen einander wahrnehmen, und ich drehte mich auf den Spitzen meiner Kitten Heels um und folgte ihm mit meinem Blick, bis sich die Türen des „Speckled Toad“ hinter ihm schlossen.

„Soll ich warten?“

„Hm?“ Ich sah Kira an, die vor mir gegangen war. „Worauf?“

„Auf dich. Damit du umkehren und hinter dem Kerl herlaufen kannst, wegen dem du jetzt sicher ein steifes Genick hast.“ Sie grinste und zeigte auf die Tür, aber ich konnte ihn durch das Glas nicht mehr sehen.

Ich kannte Kira seit der zehnten Klasse. Damals hatte uns unsere unerwiderte Liebe zu einem älteren Schüler namens Todd Browning verbunden – überhaupt hatten wir eine Menge gemeinsam gehabt. Schreckliche Frisuren, einen schlechten Geschmack, was Kleider betraf, und eine Schwäche für dicke Lidstriche. Wir waren Freundinnen gewesen, aber ich wusste nicht, als was ich sie jetzt bezeichnen sollte.

Ich ging weiter in den Laden hinein. „Halt den Mund. Ich habe ihn kaum bemerkt.“

„Wenn du es sagst.“ Kira neigte dazu, ziellos umherzustreifen. Jetzt ging sie zu einem Regal voller Krimskrams, von dem ich niemals auch nur ein einziges Stück gekauft hätte. Sie hob einen Plüschfrosch hoch, der ein Herz zwischen seinen Beinen hielt. Auf das Herz war mit funkelnden Buchstaben MOM gestickt. „Wie wäre es damit?“

„Schönes Glitzern. Aber aus vielen verschiedenen Gründen kommt es nicht infrage. Ich bin schon fast entschlossen, ihr einen von diesen hier zu kaufen.“ Ich wandte mich einem Regal mit Porzellanclowns zu.

„Himmel. Sie würde jeden einzelnen davon hassen. Ich bin sehr dafür, dass du einen nimmst.“ Kira prustete los, und ich stimmte in ihr Lachen ein.

Ich versuchte, ein Geburtstagsgeschenk für die Frau meines Vaters zu finden. Sie verriet niemals ihr wahres Alter und bestand an jedem ihrer Geburtstage darauf, dass ihr „Neunundzwanzigster“ gefeiert wurde. Das sagte sie stets mit einem neckischen Lächeln und versäumte nie, die Beute einzusammeln. Nichts, das ich kaufen konnte, würde sie beeindrucken, aber dennoch war ich wild entschlossen, das perfekte Geschenk für sie zu besorgen.

„Wenn die Dinger nicht so teuer wären, würde ich darüber nachdenken. Sie sammelt dieses Limoges-Zeug. Wer weiß, vielleicht fährt sie auf einen Keramikclown ab.“ Ich berührte den Schirm einer seiltanzenden Monstrosität.

Kira hatte Stella einige Male getroffen, und beide waren voneinander absolut nicht beeindruckt gewesen. „Ja, gut. Ich sehe mich mal bei den Zeitschriften um.“

Ich murmelte eine Antwort und suchte weiter. Miriam Levy, die Eigentümerin des „Speckled Toad“, führt eine große Auswahl an Dekorationsartikeln, aber deshalb war ich eigentlich nicht da. Ich hätte in jedes Geschäft gehen können, um nach einem Geschenk für Stella zu suchen. Ihr hätte ein Gutschein für ein Nobelkaufhaus wie „Neiman Marcus“ gefallen, obwohl sie natürlich über die Summe, die ich mir leisten konnte, die Nase gerümpft hätte. Ich war nicht wegen der Porzellanclowns in Miriams Laden gekommen, und auch nicht, weil es nur einen halben Block vom Riverview Manor entfernt lag, wo ich wohnte.

Nein, ich war wegen des Papiers in Miriams Laden gekommen.

Pergament, handgearbeitete Grußkarten, Notizbücher, Blöcke mit exquisitem, zartem Papier, so dünn wie Seide, Bögen, die für das Beschreiben mit Füllfederhaltern gedacht waren, und fester Karton, der so gut wie alles aushalten konnte. Papier in allen Farben und Größen, jedes auf seine ganz eigene Art perfekt, wie geschaffen für Liebesbriefe und Trennungsnachrichten, Kondolenzschreiben und Gedichte. Und nirgendwo war auch nur eine einzige Schachtel mit schlichtem weißem Druckerpapier zu finden. Etwas so Primitives bot Miriam in ihrem Geschäft nicht an.

Ich habe eine Art Schreibwaren-Fetisch. Ich sammle Papier, Stifte, Karten. Setzt man mich in einem Schreibwarengeschäft aus, kann ich dort mehr Zeit und Geld verschwenden als die meisten Frauen in Schuhläden. Ich liebe den Geruch von guter Tinte auf teurem Papier, das Gefühl einer schweren Leinenkarte zwischen meinen Fingern. Am allermeisten aber liebe ich den Anblick eines jungfräulichen Bogens, der darauf wartet, beschrieben zu werden. In jenen Momenten, bevor man den Stift auf das Papier setzt, scheint alles möglich.

Das Beste am „Speckled Toad“ ist, dass Miriam das Papier sowohl blattweise als auch paketweise verkauft. Meine Papiersammlung enthält Bögen aus cremefarbenem Leinen mit Wasserzeichen, einige handgeschöpfte Blätter aus Pflanzenfasern und Karten mit Scherenschnitt-Szenen. Ich besitze Stifte in jeder Farbe und Größe. Die meisten von ihnen waren eher preiswert, haben jedoch etwas – die Tinte oder die Farbe –, das mich reizte. Viele Jahre kaufte ich mein Papier und meine Stifte in Antiquitätengeschäften oder fand es auf Grabbeltischen und in Gebrauchtwarenläden. Als ich das „Speckled Toad“ entdeckte, war es, als hätte ich mein persönliches Nirwana gefunden.

Wenn ich etwas kaufe, stelle ich mir immer vor, dass ich es für einen wichtigen Anlass benutzen werde. Etwas Bedeutendes. Liebesbriefe, geschrieben mit einem Füllfederhalter, der sich wie selbstverständlich in die Hand schmiegt, und anschließend mit einem purpurroten Band umschlungen und einem scharlachroten Siegel versehen. Ich kaufe diese Dinge, ich liebe sie, aber ich benutze sie kaum jemals. Selbst anonyme Liebesbriefe benötigen einen Empfänger … und ich hatte keinen Geliebten.

Und außerdem, wer schreibt denn überhaupt noch? Handys, Instant Messenger und das Internet haben das Briefeschreiben überflüssig gemacht, jedenfalls fast. Dennoch besitzt eine handgeschriebene Nachricht etwas Besonderes. Etwas sehr Persönliches, das danach schreit, ernst genommen zu werden. Etwas, das weit über eine in Eile auf einen Zettel gekritzelte Einkaufsliste oder eine Unterschrift auf einer Grußkarte aus Massenfertigung hinausgeht. Und doch würde ich wohl niemals eine so bedeutsame Nachricht schreiben, ging es mir durch den Kopf, während ich mit den Fingerspitzen über den seidig-glatten Rand eines Blocks Schreibpapier mit Prägung strich.

„Hallo, Paige. Wie geht’s?“ Miriams Enkel Ari stapelte gerade einige Pakete auf dem Boden hinter dem Verkaufstresen auf. Dabei verschwand er und tauchte gleich darauf wieder auf wie ein Kastenteufel.

„Ari, mein Lieber. Ich habe noch eine Auslieferung für dich.“ Miriam trat durch die mit einem Vorhang versehene Tür hinter dem Tresen und sah ihren Enkel über ihre schmale Lesebrille hinweg an. „Jetzt sofort. Und bleib nicht wieder zwei Stunden weg, wie beim letzten Mal.“

Er rollte mit den Augen, nahm jedoch den Umschlag aus ihrer Hand entgegen und küsste sie auf die Wange. „Ja, mache ich, Grandma.“

„Guter Junge. Nun zu Ihnen, Paige. Was kann ich heute für Sie tun?“ Miriam schaute Ari mit einem liebevollen Lächeln nach, bevor sie sich mir zuwandte. Wie immer war sie tadellos zurechtgemacht, kein Härchen, das nicht an seinem Platz gewesen wäre. Miriam ist eine echte Dame. Sie ist mindestens siebzig und besitzt so viel Stil, wie ihn nur wenige Frauen haben, gleich welchen Alters.

„Ich brauche ein Geschenk für die Frau meines Vaters.“ „Ah.“ Anmutig legte sie ihren Kopf schief. „Ich bin sicher, Sie finden das perfekte Geschenk. Aber falls Sie Hilfe brauchen, lassen Sie es mich wissen.“

„Danke.“ Ich war schon so oft hier gewesen, dass sie wusste, wie sehr ich es liebte, im Laden herumzustreifen.

Die nächsten zwanzig Minuten verbrachte ich damit, die neuen Lieferungen feinsten Schreibpapiers zu betrachten und zu liebkosen. Dieses Papier konnte ich mir nicht leisten, ganz gleich, wie sehr ich es mir auch wünschte.

Kira stöberte mich im hinteren Teil des Ladens auf. „Nun, Indiana Jones, wonach suchst du? Nach dem verlorenen Schatz?“

„Das weiß ich dann, wenn ich es gefunden habe.“ Ich warf ihr einen kurzen Blick zu.

Kira blickte zur Decke. „Ach je, lass uns doch einfach ins Einkaufszentrum gehen. Du weißt doch, dass es Stella völlig egal ist, was du ihr schenkst.“

„Aber mir ist es nicht egal.“ Ich konnte Kira nicht erklären, wie wichtig es mir war, Stella zu … nun, ich würde sie nicht beeindrucken können. Ich konnte sie nicht beeindrucken, und es würde mir auch niemals gelingen, sie nicht zu enttäuschen. Oder ihr nicht wieder einmal zu beweisen, dass sie recht hatte. Aber genau das war es, was ich wollte: ihr zeigen, dass sie sich irrte.

„Du bist manchmal furchtbar stur.“

„Das nennt man entschlossen“, murmelte ich, während ich ein letztes Mal das Regal betrachtete, vor dem ich stand.

„Man nennt es stur wie ein Esel und entschlossen, es nicht zuzugeben. – Ich warte draußen auf dich.“

Ich schaute kaum auf, als sie ging. Mir war klar gewesen, dass Kiras geringe Aufmerksamkeitsspanne sie nicht gerade zur idealen Begleiterin für diesen Einkaufsbummel machte, aber ich hatte es schon viel zu lange aufgeschoben, Stella ein Geschenk zu besorgen.

Seit ich aus unserer Heimatstadt nach Harrisburg gezogen war, hatte ich Kira nur selten getroffen. Eigentlich hatten wir uns vorher auch nicht oft gesehen. Als sie mich angerufen hatte, um zu fragen, ob ich sie treffen wollte, war mir keine Ausrede eingefallen, die nicht gemein und kaltherzig geklungen hätte. Sie würde draußen vor dem Laden ganz zufrieden sein, während sie ein oder zwei Zigaretten rauchte, also wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder der Suche zu, weiterhin entschlossen, genau das Richtige zu finden.

Im Laufe der Jahre hatte ich herausgefunden, dass es nicht zwingend das Geschenk selber war, das Stellas Billigung fand, sondern etwas, das noch weniger greifbar war als der Preis. Mein Vater kaufte ihr alles, was sie sich wünschte, und was sie nicht von ihm bekam, kaufte sie sich selber. Es war also unmöglich, ihr etwas zu kaufen, das sie wollte oder brauchte. Gretchen und Steven, die Kinder meines Vaters aus seiner ersten Ehe mit Tara, wählten den bequemen Weg und brachten ihre Kinder dazu, Stella etwas zu basteln, wie zum Beispiel eine mit Fingerfarben bemalte Grußkarte. Meinen Halbgeschwistern gelang es, mit ihren planlosen Versuchen davonzukommen, während die Erwartungen an mich deutlich höher waren. Stellas eigene Jungen waren noch zu klein, um sich Gedanken über ein Geschenk zu machen.

Es ist immer irgendwie von Nutzen, wenn man versucht, hohen Erwartungen gerecht zu werden.

Da stand ich nun also, starrte vor mich hin und zermarterte mir den Kopf, welches Geschenk genau das richtige wäre. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die Frau meines Vaters ist keine üble Person. Sie hat nie aufgehört, zu versuchen, mich, so wie Gretchen und Steven, zu einem Teil ihrer Familie zu machen. Wobei es selbstverständlich und nur natürlich war, dass ich ihr nicht so viel bedeutete wie ihre eigenen Söhne Jeremy und Tyler. Aber meine Halbgeschwister hatten alle bei meinem Vater gelebt. Ich nie.

Dann sah ich es. Das perfekte Geschenk. Ich nahm die Schachtel vom Regal und öffnete den Deckel. Drinnen lag auf tiefblauem Seidenpapier ein Stapel blassblauer Briefkarten. In der unteren rechten Ecke jeder Karte glitzerte ein stilisiertes S umgeben von fast unmerklich funkelnden Sternchen. Die Umschläge hatten dasselbe Sternenmuster und waren von Silberfäden durchzogen, die sie zum Leuchten brachten. Außerdem lag noch ein Füllfederhalter in der Schachtel. Ich nahm ihn heraus. Er war zu leicht, und die kleine Quaste am oberen Ende wirkte zu verspielt, aber er war nicht für mich. Es war der perfekte Stift für Finger mit manikürten Nägeln, die Dankeskarten schrieben, in denen über jedem i statt eines Punktes ein Herzchen stand. Es war der perfekte Füller für Stella.

„Ah, Sie haben also etwas gefunden.“ Miriam nahm die Schachtel entgegen und löste sorgfältig das Preisschild vom Boden. „Eine sehr gute Wahl. Bestimmt kommt es hervorragend an.“

„Das hoffe ich.“ Ich glaubte tatsächlich, dass es ihr gefallen würde, aber ich bemühte mich, mir nicht zu sicher zu sein, weil das zwangsläufig zu einer Enttäuschung führen musste.

„Sie wissen immer ganz genau, was jemand braucht, nicht wahr?“ Miriam lächelte, während sie die Schachtel in einen hübschen Beutel steckte und ihn mit einer Schleife verzierte, die sie mir nicht berechnen würde.

Ich lachte. „Oh, davon weiß ich nichts.“

„Doch, das tun Sie“, behauptete sie mit fester Stimme. „Ich kenne meine Kunden. Ich beobachte sie. Viele kommen hierher und suchen nach irgendetwas, finden es aber nicht. Sie finden immer, was Sie suchen.“

„Das heißt nicht, dass es dann auch das Richtige ist“, erklärte ich ihr und bezahlte mit ein paar glatten Scheinen frisch aus dem Geldautomaten.

Miriam schaute mich über ihre Brille hinweg an. „Meinen Sie wirklich?“

Ich gab ihr keine Antwort. Wie kann irgendjemand wissen, ob das, was er tut, das Richtige ist? Jedenfalls bevor es zu spät ist, um noch etwas zu ändern.

„Manchmal glauben wir, wir wüssten ganz genau, was ein anderer Mensch sich wünscht oder braucht. Aber dann …“, sie seufzte und hielt mir einen Stapel hübsches Briefpapier hin, das in einer Schachtel mit einem Klarsichtdeckel lag, „… finden wir heraus, dass wir uns geirrt haben. Das hier habe ich für einen meiner Stammkunden zurückgelegt, aber er mochte es nicht.“

„Was für ein Pech. Ich bin sicher, jemand anders wird es nehmen.“ Es wunderte mich nicht, dass ein Mann das Papier nicht wollte. Es war mit geprägten Blumen verziert, deren Ränder golden leuchteten, und erschien mir ein wenig zu feminin für einen Mann.

Miriam schaute mir direkt in die Augen. „Sie vielleicht?“

Abwehrend wedelte ich vor der Schachtel mit dem Blümchenpapier herum und schob dann die Hände in die Taschen meiner Jeans, während ich meinen Blick durch den Laden schweifen ließ. „Das ist nicht unbedingt mein Stil.“

Lachend räumte sie das Papier beiseite. Sie hatte ihre Nägel dunkelrot lackiert, passend zu ihrem Lippenstift. Hoffentlich würde ich in ihrem Alter ebenso stilsicher sein. Verdammt, ich wäre schon damit zufrieden gewesen, vom nächsten Tag an wenigstens halb so modebewusst zu sein wie sie.

„Nun, wie wäre es mit einer Kleinigkeit für Sie selber? Ich habe ein paar neue Notizbücher. In Wildleder gebunden. Mit Goldschnitt. Und einem Bändchenverschluss“, ratterte sie herunter und deutete auf den Warenständer. „Schauen Sie sie sich an.“

Ich stöhnte. „Sie sind herzlos, ist Ihnen das klar? Sie wissen ganz genau, dass Sie es mir nur zeigen müssen und … oh. Ohhh!“

„Hübsch, nicht wahr?“

„Ja.“ Ich betrachtete nicht die Notizbücher, sondern eine rote Lackschachtel, deren Deckel mit Schleifen befestigt war. In das polierte Holz war ein Muster aus rot-blauen Libellen gebeizt. „Was ist das hier?“

Ich strich über den glatten Deckel und öffnete ihn. In dem Kästchen lagen auf schwarzem Satin ein kleines Tonschälchen, ein kleiner Behälter mit roter Tinte und mehrere Pinsel mit Holzgriffen.

„Oh, das ist ein Kalligrafie-Set.“ Miriam kam um den Tresen herum, um ebenfalls den Inhalt der Schachtel zu betrachten. „Diese Sets kommen aus China. Aber dieses hier ist ein ganz besonderes. Dazu gehören auch Papier und Füllfedern, nicht nur Pinsel und Tinte.“

Sie hob den oberen Teil des Kästchens hoch und zeigte mir einen Stapel Papier, der mit rotem Seidenband umwickelt war, und ein rotes Satinsäckchen mit Zugband, in dem ein Satz Füller mit Messingfedern steckte.

„Das ist wunderschön.“ Ich zog meine Hände weg, obwohl ich die Federhalter, die Tinte und das Papier gern berührt hätte.

„Genau was Sie brauchen, stimmt’s?“ Miriam ging wieder um den Tresen herum und setzte sich auf ihren Stuhl. „Wie für Sie gemacht.“

Ich warf einen Blick auf das Preisschild und schloss mit Nachdruck den Deckel des Kästchens. „Ja. Aber nicht heute.“

„Nein?“ Miriam schaute zur Decke. „Wie kommt es, dass Sie so genau wissen, was alle anderen brauchen, aber nicht, was Sie brauchen? Wirklich schade, Paige. Sie sollten es kaufen.“

Von dem Geld, das dieses Kästchen kostete, konnte ich meine Kreditkartenrechnung bezahlen. Ich schüttelte den Kopf und legte ihn dann schief. „Warum sind Sie so überzeugt, ich wüsste, was alle anderen brauchen? Das ist eine ziemlich gewagte Behauptung.“

Miriam riss eine Tüte Pfefferminzdrops auf und steckte sich einen in den Mund. Sie lutschte einen Augenblick an dem Bonbon, bevor sie mir antwortete. „Sie waren schon ziemlich oft hier. Ich habe erlebt, wie Sie Geschenke aussuchen und wie Sie Dinge für sich selber kaufen. Mir gefällt der Gedanke, dass ich Menschenkenntnis besitze. Dass ich verstehe, was Menschen brauchen und was ihnen gefällt. Warum stehen in meinen Regalen wohl solche Scheußlichkeiten herum? Weil es eine Menge Leute gibt, denen so etwas gefällt.“

Ich folgte ihrem Blick in Richtung eines Regals, in dem weitere Porzellanclowns standen. „Etwas haben zu wollen, heißt nicht unbedingt, dass man es auch bekommen sollte.“

„Dass Sie etwas unbedingt haben möchten, bedeutet nicht, dass Sie sich die Freude versagen sollten“, erklärte Miriam in heiterem Ton. „Gönnen Sie sich das Kästchen. Sie haben es verdient.“

„Ich wüsste nicht, was ich damit schreiben sollte.“

„Briefe an einen Liebsten“, schlug sie vor.

„Ich habe keinen Liebsten.“ Wieder schüttelte ich den Kopf. „Tut mir leid, Miriam. Ich kann das heute nicht kaufen. Vielleicht ein andermal.“

Sie seufzte. „Gut, gut. Verbieten Sie sich die Freude, etwas Schönes zu besitzen. Glauben Sie, dass Sie das nötig haben?“

„Ich glaube, ich muss erst einmal meine Rechnungen bezahlen, bevor ich mir Luxusartikel kaufe.“

„Aha. Vernünftig.“ Sie neigte den Kopf zur Seite. „Praktisch veranlagt. Nicht sehr romantisch. So sind Sie.“

„Das erkennen Sie an dem Papier, das ich kaufe?“ Ich stemmte die Hände in die Hüften. „Ich bitte Sie!“

Miriam zuckte die Achseln, und in diesem Moment konnte ich ganz genau sehen, wie sie als junge Frau gewesen war. Dickköpfig, anmutig, schön. „Ich kann es an dem Papier erkennen, dass Sie nicht kaufen. Wenn Sie erst einmal eine alte Dame sind, werden Sie auch so weise sein wie ich.“

„Das hoffe ich doch“, erklärte ich lachend.

„Und ich hoffe, Sie kommen demnächst wieder vorbei und kaufen sich das Kästchen. Es ist für Sie bestimmt, Paige.“

„Ich werde ganz sicher darüber nachdenken. In Ordnung? Reicht Ihnen das?“

„Wenn Sie das Papier kaufen“, erklärte Miriam mir, „werden Sie ganz sicher etwas finden, das es wert ist, darauf niedergeschrieben zu werden.“

2. KAPITEL

Sollen wir anfangen?

Dies ist deine erste Aufgabe.

Du wirst dich ganz genau an die Anweisungen halten. Fehler werden nicht akzeptiert. Die Strafe für Dein Versagen ist das Ende unseres Spiels.

Dein Lohn werden meine Aufmerksamkeit und meine Anordnungen sein.

Du wirst eine Liste mit zehn Punkten schreiben. Fünf Schwächen. Fünf Stärken.

Schicke sie unverzüglich an die unten angegebene Adresse.

Der quadratische Umschlag in meiner Hand hatte die sanften, kaum wahrnehmbaren Rillen von wirklich teurem Papier. Die Klappe war nicht gummiert. Der Rückumschlag, der der Nachricht beilag, war von derselben Qualität. Ich betrachtete die schwere cremefarbene Karte, die ich aus dem Umschlag gezogen hatte, immer wieder von vorne und von hinten. Das Material fühlte sich wie hochwertiges Leinen an. Ebenfalls sehr kostspielig. Ich strich an der leicht rauen Kante entlang. Möglicherweise war das Stück, welches ich in der Hand hielt, aus einem größeren Bogen herausgeschnitten worden. Es war nicht schwer genug, um als Briefkarte durchzugehen, jedoch zu dick für einen Tintenstrahldrucker.

Ich hob den Umschlag an die Nase und schnupperte daran. Ein leichter Moschusduft ging von dem Papier aus, das glatt, aber auch porös war. Ich konnte den Geruch nicht identifizieren, aber zusammen mit dem Aroma von teurer Tinte und frischem Papier erregte er ein leichtes Schwindelgefühl in mir.

Mit den Fingerspitzen strich ich über die schwarzen geschwungenen Buchstaben. Die Schrift war mir unbekannt, und der Brief war nicht unterschrieben. Jedes Wort präzise aufs Papier gebracht, jeder Buchstabe sorgfältig geformt, ohne die nachlässigen Schwünge, Häkchen und Windungen, die die Handschrift der meisten Menschen zeigt. Das hier sah geübt aus und effizient. Anonym.

Der Rückumschlag war an ein Postfach in einer der örtlichen Postfilialen adressiert, ohne weitere Zusätze. Seit ich vor fünf Monaten ins Riverview Manor gezogen war, hatte ich einige Werberundschreiben erhalten, außerdem Spendenaufrufe, die an zwei der vorherigen Bewohner meines Apartments gerichtet waren, dazu viel zu viele Rechnungen. Ich hatte keinen einzigen privaten Brief bekommen.

Wieder drehte ich die Karte um und lauschte dem leisen Wispern, mit dem meine Finger über das Papier strichen. Auf der Vorderseite stand weder eine Anschrift noch ein Name. Nur eine Zahl, die ebenso unpersönlich und sorgfältig geschrieben war wie die Nachricht. Ich schaute genauer hin und entdeckte, was ich vorher in der Eile nicht bemerkt hatte.

114

Das erklärte alles. Dieser Brief war nicht für mich bestimmt. Die Tinte war ein wenig verwischt, sodass die Eins auf den ersten Blick als Vier durchging. Jemand hatte den Umschlag versehentlich in meinen Briefkasten mit der Nummer 414 gesteckt.

Wenigstens war es keine Einladung zu einer Geschenkparty für eine werdende Mutter oder zur Hochzeit von „Freunden“, die ich seit Jahren nicht gesehen hatte. Ich legte keinen gesteigerten Wert darauf, nur deswegen auf eine Gästeliste gesetzt zu werden, um die Geschenkausbeute größer zu machen. Vor allem nicht, wenn ich das Brautpaar kaum kannte und nur vor undenklichen Zeiten mit einem der beiden in einem Mathekurs gesessen hatte.

„Was ist das?“ Kira trat in einer Wolke aus Zigarettendunst hinter mich und bohrte ihr Kinn in meine Schulter.

Ich weiß nicht, warum ich ihr die Nachricht nicht zeigen wollte. Ich schob die Karte zurück in den Umschlag, suchte nach dem richtigen Briefkasten und steckte sie durch den Schlitz. Durch das Glasfenster konnte ich sehen, wie sie in dem Metallkasten ruhte, schmal, einsam und allein.

„Nichts“, antwortete ich auf Kiras Frage. „Es war nicht für mich.“

„Dann komm. Lass uns nach oben gehen. Ich plane einen flotten Dreier mit Jose, Jack und Jim.“ Sie hob eine Papiertüte hoch, in der die Flaschen klirrten.

Jede Frau sollte eine schlampige Freundin haben, sodass sie sich besser fühlt. Denn egal, wie sehr sie sich am vergangenen Abend betrunken und mit wie vielen Kerlen sie auf der Party herumgemacht hat oder wie kurz ihr Rock ist, diese schlampige Freundin wird immer noch … nun … schlampiger gewesen sein.

Kira und ich hatten uns in dieser Rolle während der vergangenen Jahre immer wieder abgewechselt. Darauf war ich nicht stolz, konnte es aber dennoch nicht bestreiten. „Es ist noch nicht mal acht. Vor elf ist sowieso nichts los.“

„Genau deshalb bin ich noch schnell im Spirituosenladen gewesen.“ Sie schaute sich in der Eingangshalle um und zog die Brauen hoch. „Wow! Hübsch!“

Auch ich sah mich begeistert um. Das tat ich immer noch, obwohl ich jede Bodenfliese kannte. „Danke. Komm mit, wir entern den Aufzug.“

Eigentlich hätte sie ebenso beeindruckt von meinem Apartment sein müssen, aber sie sagte nichts. Sie rauschte durch die Zimmer, öffnete Schranktüren und schaute in mein Medizinschränkchen, und als es Zeit wurde, die Sandwiches zu essen, die wir zum Dinner gekauft hatten, machte sie ein großes Getue darum, meinen zerschrammten Küchentisch mit richtigen Tellern anstelle von Papierservietten als Unterlagen zu decken. Aber sie sagte mir nicht, dass meine Wohnung hübsch war.

Es war fast wie in alten Zeiten, als wir kichernd unser Essen verschlangen und dabei Realityshows sahen. Ich hatte nicht vergessen, was für einen bizarren, äußerst komischen Humor Kira besaß, aber es war lange her, seit ich so furchtbar gelacht hatte, dass mein Magen sich zu verknoten schien. Plötzlich war ich froh, dass ich sie zu mir eingeladen hatte. Es ist schön, mit jemandem zusammen zu sein, der jeden deiner Fehler kennt und dich trotzdem mag … oder dich zumindest deswegen nicht weniger mag.

Sie hatte einen neuen Freund. Tony Irgendwer. Der Name sagte mir nichts. Kira hatte ihn in ihren SMS oder ihren gelegentlichen E-Mails nie erwähnt. Doch an der Art, wie sie ganz nebenbei von ihm sprach, erkannte ich, dass sie nach ihm gefragt werden wollte.

„Wie lange bist du schon mit ihm zusammen?“ Ich goss mir einen Schluck Tequila ein und betrachtete die gelbe Flüssigkeit in meinem Glas, weil ich mir nicht sicher war, ob ich sie überhaupt trinken wollte. Früher einmal war ich fähig gewesen, das Zeug ohne Angst vor den Folgen hinunterzuschütten. Doch in letzter Zeit hatte ich nur wenig Alkohol getrunken. Schließlich schob ich Kira das Glas hin.

Routiniert stürzte sie den Drink hinunter. „Wir haben uns kennengelernt, kurz nachdem du weggezogen warst. Also schon ziemlich lange.“

Es kam mir nicht vor, als sei das schon sehr lange, aber alles, was länger als drei Monate hielt, war für sie ein echter Rekord. „Wie schön für dich.“

Sie kräuselte die Nase. „Na ja. Er ist gut im Bett und macht mir jede Menge Geschenke. Und er hat ein richtig tolles Auto. Einen Job. Er ist kein Loser.“

„Das klingt gut.“ Ich war ein kleines bisschen anspruchsvoller, was meine Vorstellung von einem idealen Partner betraf, jedenfalls neuerdings. Doch ich lächelte, als sie ihn beschrieb, und faltete dabei das Papier zusammen, in das unsere Sandwiches eingepackt gewesen waren.

Kira stand auf, um mir zu helfen. „Stimmt. Er ist ein netter Mann.“

Was mehr sagte als alles, was sie mir vorher erzählt hatte. Ich warf ihr einen kurzen Blick zu. Die Zeiten ändern sich, machte ich mir klar. Und mit ihnen die Menschen.

Als es Zeit zum Ausgehen war, trat dann aber doch die altbekannte Kira wieder in Erscheinung. „Himmel, darin kannst du nicht ernsthaft losziehen wollen!“

Ich schaute hinunter auf meine Jeans. Sie saßen tief auf der Hüfte und hatten einen Bootcut. Dazu wollte ich Stiefel tragen, wie es sich gehörte. Ich hatte sogar ein hübsches ärmelloses T-Shirt dazu. Die vielen Stunden im Fitnessstudio begannen sich langsam auszuzahlen. „Was stimmt nicht mit den Sachen, die ich anhabe?“

Kira öffnete meinen Kleiderschrank und begann, darin herumzuwühlen. „Hast du nichts … Besseres?“

Wir gehen schon ziemlich lange nicht mehr in die Highschool, wollte ich sagen, doch als ich ihren kurzen Jeansrock und ihre enge, bauchfreie Bluse betrachtete, wurde mir klar, dass ich mir diese Bemerkung schenken konnte. Stattdessen zuckte ich mit den Schultern.

„Ich weiß, dass du heißere Sachen hast.“ Kira kehrte von meinem Schrank mit einem Armvoll Blusen und Röcke zurück, an die ich mich zwar erinnerte, die ich aber schon ewig nicht getragen hatte. Sie warf die Sachen auf mein Bett, wo sich nun ein Monatseinkommen in Form von Kleidungsstücken türmte.

Ich griff nach einem seidigen Tanktop in einem hübschen Lavendelton und einem schwarzen Stretchrock. Dann hielt ich mir die Sachen vor den Körper und schaute in meinen Standspiegel. Schließlich warf ich sie wieder aufs Bett.

„Nein, danke“, sagte ich. „Ich werde das tragen, was ich anhabe. Es ist bequem.“

Kira schüttelte den Kopf. „Pfui, bäh. Ich bitte dich, Paige!“

„Pfui?“ Ich betrachtete mich noch einmal im Spiegel. Die Jeans lagen eng und perfekt an meinen Hüften und meinem Hintern an, und das T-Shirt betonte, wie flach mein Bauch bereits geworden war. Ich fand, dass ich verdammt gut aussah. „Was soll pfui bedeuten?“

„Es ist nur, du weißt schon …“ Kira schlenderte zu mir herüber und schob sich vor mich, sodass nur sie im Spiegel zu sehen war. „Du musst zeigen, was du hast.“

Ich sah über ihre Schulter. Selbst in meinen hochhackigen Stiefeln war ich noch einen halben Kopf kleiner als sie. Sie hatte ihr von Natur aus rotes Haar wachsen lassen, und es fiel nun weit auf ihren Rücken hinunter. Auch im Sommer wurde sie niemals braun, und deshalb wirkte ihr dunkler Eyeliner schwärzer als schwarz, und der rote Lippenstift, der ohnehin schon schrie: „Nimm mich!“, leuchtete signalfarben.

Ich schaute wieder in den Spiegel und drehte meinen Kopf erst zur einen, dann zur anderen Seite, um mein Profil zu betrachten. Meine Haare sind blond. Naturblond. Meine Augen sind blau, aber sehr dunkel, fast marineblau. Ich sehe meinem Dad sehr ähnlich, was vielleicht einer der Gründe ist, weshalb er sich nie die Mühe gemacht hat, zu leugnen, dass ich seine Tochter bin.

„Ich finde, ich sehe gut aus“, teilte ich Kira mit, aber ich konnte selber den leisen, sehnsüchtigen Unterton in meiner Stimme hören.

Ich gab mein Kleiderbudget für schlichte Markenklamotten aus, die ich am Ende der Saison oder in Discountläden besorgte. Während der vergangenen paar Jahre hatte ich mir auf diese Weise meine Garderobe zusammengekauft. Kleidung für Arbeit und Freizeit, die teuer genug aussah, um als edel durchzugehen. Diese Sachen kombinierte ich mit Schuhen, die ich mir eigentlich nicht leisten konnte. Ich hatte nicht vor, Clarice Starling nachzumachen: Die FBI-Agentin aus „Das Schweigen der Lämmer“ hatte ihre Herkunft dadurch verraten, dass sie eine teure Tasche zusammen mit billigen Schuhen trug.

Wieder musterte ich mein Spiegelbild und stellte mir vor, wie der Satin auf meiner Haut flüstern würde. Wenn ich keinen BH anzog, würden meine Nippel sich gegen den dünnen Stoff drängen und die Blicke der Männer direkt auf meine Brust lenken. Die Blicke sämtlicher Männer.

Noch einmal nahm ich das Tanktop in die Hand, hielt es mir vor den Körper und strich es über meinem Bauch glatt. Kira nickte zustimmend, bevor sie den Arm um meine Schultern schlang und mir mit der Hüfte einen Stoß versetzte. „Na los! Du weißt doch selber ganz genau, dass du es willst.“

Sie hatte recht. Ich wollte ausgehen und mich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken und tanzen und rauchen und meinen Körper an den Leibern von mindestens einem halben Dutzend Männern reiben. Ich wollte einen heißen, harten Körper spüren und in Augen, in die ich noch nie zuvor geschaut hatte, Lust funkeln sehen.

Und ich wollte mir keine Gedanken darüber machen, ob ich mal wieder die Meinung bestätigte, die irgendjemand von mir hatte.

Ich zog mir mein Oberteil über den Kopf, zögerte einen Moment und öffnete dann den Häkchenverschluss meines BHs. Das Tanktop aus Satin glitt über meine Arme und fiel auf meine Hüften. Unter dem weichen Stoff wippten meine Brüste auf und ab. Sofort stellten sich meine Nippel auf, und ein Schauer überlief mich.

„Ich werde dich schminken“, bot Kira an.

Sie schleppte ihre große Tasche an und holte Töpfchen, Tuben, Pinsel und Glitter daraus hervor. Ich liebe Glitter, aber ich hatte schon ewig keinen mehr getragen. Hier, in meinem neuen Leben, hatte ich keine Verwendung dafür.

„Das mache ich selber.“ Nicht im Traum dachte ich daran, Make-up aufzutragen, das sie benutzt hatte. Nicht auszudenken, welche Keime auf diese Weise übertragen werden konnten. Ich schob Kira weg und ging in mein Bad, wo ich in dem Schränkchen unter dem Waschbecken herumwühlte.

Ich holte meine eigene Tasche mit Schminkutensilien hervor. Lippenstifte in Beerentönen, Lidschatten in Regenbogenfarben. Außerdem Unmengen von halb aufgebrauchten schwarzen Kajalstiften und einige Fläschchen mit flüssigem Eyeliner. Ich schüttelte eines davon in dem Glauben, der Inhalt sei über die Jahre eingetrocknet, doch als ich den Verschluss mit dem daran befestigten Bürstchen öffnete, war die Farbe noch cremig.

Ich malte mir eine Maske. Sie sah genauso aus wie ich, nur strahlender. Frecher. Beeindruckender. Früher hatte ich dieses Gesicht jeden Tag zur Schau gestellt. Damals hatte ich gar kein anderes besessen.

Nachdem ich mit meinem Make-up fertig war, schlängelte ich mich in den engen schwarzen Rock. Die Strümpfe ließ ich weg. Auf dem Weg vom Parkhaus zur Bar würde ich zwar frieren, aber mir würde auf jeden Fall warm genug sein, wenn ich erst einmal anfing zu tanzen. Aus meinen Schrank nahm ich ein paar verdammt heiße High Heels.

Kira hatte sich die Zeit mit ihrem Handy vertrieben und Nachrichten in die Tastatur gehackt, doch jetzt riss sie die Augen auf und griff nach den Schuhen. „Wow! Die sind ja von Steve Madden!“

„Das erste Paar, das ich mir gekauft habe.“ Ich strich über das weiche schwarze Lackleder. Zehn-Zentimeter-Absätze. Die meisten Männer können den Unterschied zwischen Steve Madden und irgendwelchen billigen Pumps nicht erkennen, aber wenn ich sie anhabe, schauen sie zwei Mal hin. Manchmal auch noch häufiger.

Ich schlüpfte in die Schuhe und stellte mich aufrecht hin, um mich daran zu gewöhnen, wie sich mein Schwerpunkt verlagerte. Meine Mutter hat mir beigebracht, wie man auf so hohen Absätzen läuft. Als Kind habe ich oft ihren Kleiderschrank geplündert und bin dann in ihren Schuhen durchs Haus stolziert.

Dann strich ich das seidige Shirt über meinem Bauch und meinen Hüften glatt und drehte mich um, weil ich mich ein letztes Mal im Spiegel betrachten wollte. „Können wir gehen?“

„Ich glaube ja“, erwiderte Kira mürrisch. „Allerdings siehst du jetzt absolut toll aus, und ich wirke daneben, als wäre ich aus irgendeinem Loch gekrochen.“

„Du siehst heiß aus“, behauptete ich. Wofür sind Freunde da?

Sie ließ sich sofort überzeugen. Allerdings wohl eher, weil sie mir glauben wollte, als wegen meiner Bemühungen, glaubhaft zu klingen. „Okay. Gehen wir und geben uns die Kante!“

An diesem Abend sah ich den dunkelhaarigen Mann wieder. Dieses Mal kam er herein, als ich hinausging. Wir bewegten uns nicht aneinander vorbei wie zwei Schiffe in voller Fahrt, sondern vielmehr wie ein Schiff, welches an einem zweiten Schiff vorbeifährt, das soeben mit einem Eisberg kollidiert. Ich konnte schwerlich beleidigt sein, dass sein Blick an mir hinabglitt, den kurzen Rock und die High Heels taxierte und dann einen Punkt hinter mir fixierte, ohne ein zweites Mal hinzusehen. Er lief mit gesenktem Kopf an mir vorbei und sprach dabei mit drängender Stimme in sein Handy. Und es war nicht seine Schuld, dass ich mich verzweifelt bemühte, so zu tun, als würde ich ihn nicht bemerken, und deshalb so heftig gegen den Türrahmen rannte, dass ich mir einen blauen Fleck holte.

„Fall langsam, dann hast du mehr davon.“ Kira grinste mich an. Sie hatte noch nicht einmal bemerkt, dass es derselbe Mann gewesen war, den wir an diesem Tag schon einmal gesehen hatten. „Nur gut zu wissen, dass du jede Menge Tequila vertragen kannst.“ Ich zuckte mit den Schultern und antwortete ihr nicht. Sein Ärmel hatte meinen nackten Arm gestreift, und diese kurze, leichte Berührung hatte sämtliche Härchen an diesem Arm bis hinauf in meinen Nacken dazu gebracht, sich aufzurichten. In meinem Bauch machte sich langsam ein unruhiges Gefühl breit.

Er lebte im selben Haus wie ich.

3. KAPITEL

Das hätte mich nicht sonderlich überraschen dürfen. Ich begegnete vielen Bewohnern des Riverview Manor in Miriams Laden und im „Morningstar Mocha“, dem Coffeeshop am Ende des Blocks. Oder ich traf sie im Postamt, im Parkhaus und auch im Lebensmittelgeschäft. Harrisburg ist eine kleine Stadt.

Dennoch verfolgte mich die Erinnerung an die dunklen Augen und das dichte dunkle Haar. Es hatte genügt, dass sein Ärmel meinen nackten Arm gestreift hatte, und mein Kopfkino machte Überstunden. Was mich nicht erstaunte, denn ich hatte seit Ewigkeiten mit niemandem außer mir selbst Sex gehabt.

Es gab eine große Auswahl an Kneipen und Bars im Zentrum, aber ich wollte ins „Pharmacy“. Wir nahmen ein Taxi, weil ich niemals selber fuhr, wenn ich etwas getrunken hatte, und ein Spaziergang, der am Sonntagnachmittag in Jogginghosen nicht zu weit gewesen wäre, war abends im Dunkeln mit High Heels und einer Menge Alkohol im Blut viel zu lang.

Die Bar war selbst für einen Freitagabend gerammelt voll. Wir drängelten uns zum Tresen durch. Kira ging vor mir, und als sie abrupt stehen blieb, rannte ich in sie hinein. Jemand rammte mich von hinten. Und jemand begrapschte meinen Hintern, doch als ich mich umwandte, um zu sehen, wer das gewesen war, und demjenigen womöglich ordentlich eine zu verpassen, sah ich mich zahllosen Verdächtigen gegenüber.

„Hallo, Jack“, sagte Kira, und ich drehte mich wieder um. Verdammt. Während unserem letzten Jahr in der Highschool war Kira bis über beide Ohren in Jack verliebt gewesen, der von einer anderen Schule zu uns gekommen war. Monatelang hatte sie wilde Pläne geschmiedet, wie sie ihn dazu bringen konnte, sie zum Abschlussball einzuladen, und war entschlossen gewesen, ihn ins Bett zu kriegen. Soweit ich wusste, hatte es nicht funktioniert. Ich wusste nur, dass Kira den Wagen einer seiner Freundinnen mit ihrem Schlüssel zerkratzt hatte.

Kira wusste nicht, dass Jack und ich uns vor ein paar Jahren ungefähr zwei Monate lang fast um den Verstand gevögelt hatten. Ich bezweifelte, dass die Erinnerung daran einem von uns beiden noch etwas bedeutete. Aber Kira würde es nicht egal sein, also versuchte ich, sie weiterzuziehen, bevor es unangenehm werden konnte.

Außerdem war er nicht allein. Die Frau neben ihm hielt eine Bierflasche in der Hand und nippte daran, während sie uns lächelnd ansah. Ich packte Kiras Ellbogen, damit sie sich vorwärtsbewegte.

„Mann“, meckerte sie, als sich die Gasse in der Menge hinter uns schloss und wir ihn nicht mehr sehen konnten. „Warum hast du das getan?“

„Ich will keinen Ärger“, erklärte ich ihr. „Und jetzt komm. Lass uns was trinken.“

„Ich hatte nicht vor, Ärger zu machen.“ Sie runzelte die Stirn und warf ihr Haar nach hinten, ohne darauf zu achten, dass sie es einem Kerl direkt ins Gesicht schleuderte. Er wirkte nicht besonders begeistert. So hatte ich den Abend eigentlich nicht beginnen wollen.

„Es gibt genug andere Männer hier“, teilte ich ihr mit. Kira schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das ist mir durchaus klar.“

Im „Pharmacy“ herrschte fast immer großer Männerüberschuss – auf jede Frau kamen mindestens drei Männer, und alle waren sie auf der Suche nach einem willigen Opfer, das sie abschleppen konnten. Ritterlichkeit hatte nichts damit zu tun, dass sie ständig mit ihren Brieftaschen winkten. Sie versuchten, uns Frauen abzufüllen. Es ging ausschließlich ums Flachlegen.

„Sieh mal“, sagte Kira neben mir und stieß mich an. „Wo wir gerade von Ärger reden.“ Sie hatte recht. Vor mir sah ich Ärger in Leuchtbuchstaben. Ich stellte mich in meinen sexy Schuhen kerzengerade hin, schob mein Kinn vor und straffte meine Schultern. „Hallo, Austin.“

Früher einmal hatten Austin und ich es getrieben wie die Raubtiere. Ich hätte darauf wetten können, dass er immer noch Narben davon hatte. Ich jedenfalls hatte noch welche.

„Paige.“ Er trug sein Haar jetzt länger, aber sein Grinsen war dasselbe geblieben. Bei seinem Anblick spreizten Frauenschenkel sich ganz von allein. Er wirkte nicht erstaunt, als er mich sah.

Austin trug ein blaugestreiftes Hemd und verwaschene Jeans, die sich eng an seinen Hintern schmiegten und am Saum ausgefranst waren. Männern wie Austin sollte es von Gesetzes wegen verboten werden, solche Jeans zu tragen. Sein Freund, ein Typ, den ich nicht kannte, trug ein ganz ähnliches Hemd, allerdings mit braunen Streifen. Er sah nicht halb so gut aus.

Kira grub ihre Fingernägel in die Haut meines Ellbogens. Das tat weh, und ich schüttelte ihre Hand ab. „Wie geht’s?“, wandte ich mich an Austin.

„Gut. Es geht mir gut.“ Sein Blick glitt in Kiras Richtung und kehrte zu mir zurück. „Lange nicht gesehen.“

„Ich war längere Zeit nicht zu Hause“, erklärte ich, obwohl mein Zuhause jetzt ein Apartment in der Front Street war und kein Trailer und auch kein gemietetes Haus in Lebanon mehr.

„Klar. Ich weiß. Hi, Kira. Wie du siehst, habe ich es geschafft.“

Mir wurde ganz kalt. Ich starrte sie an, aber Kira tat ihr Bestes, meinen Blick vollkommen ausdruckslos zu erwidern. „Was?“

Sie hatte ihm gesagt, dass wir hier sein würden. Ich wusste es. Ich konnte es von ihren Gesichtern ablesen. Und ich fragte mich, wie er sie dazu gebracht hatte, es ihm zu verraten. Ich überlegte, ob ich mich nicht umdrehen und die Bar verlassen sollte, und der einzige Grund, weshalb ich blieb, war die Tatsache, dass er mich ansah. Und nicht sie.

Kira bemerkte es ebenfalls, und sie musterte mich aus schmalen Augen. Ich hielt es für möglich, dass sie das hier arrangiert hatte, um mitzuerleben, wie wir uns in die Haare gerieten, aber den Gefallen würde ich ihr nicht tun. Die Zeiten waren vorbei. Als Austins Freund sie anlächelte, wandte sie ihm ihre Aufmerksamkeit zu. Es half, dass er ein schnuckeliger Typ war. Nicht so schnuckelig wie Austin, aber, im Ernst, wer konnte mit ihm mithalten? Wer hatte das jemals gekonnt?

„Was wollt ihr trinken?“ Austin hielt bereits seine Brieftasche in der Hand.

Ich hatte nicht vor, eine Einladung zum Drink abzulehnen, auch nicht, wenn sie von ihm kam. „Margarita.“

„Ich nehme einen hübschen, romantischen Sex on the Beach.“ Kira beugte sich weit vor, damit er sie hören konnte, und streifte mit ihren Lippen sein Ohr.

Austin lehnte sich ein wenig zurück, jedoch nicht so weit, dass Kira es bemerkt hätte. Doch ich sah es. Er stellte uns beide seinem Freund Ethan vor, dem es gelang, seinen Blick lange genug von Kiras Busen loszureißen, um mir ohne eine Spur von Erkennen zuzunicken. Nun, was hatte ich von ihm erwartet? Dass er sagen würde: „Oh, das ist Paige?“

„Und was machst du zurzeit?“, wollte Austin von mir wissen, während Kira und Ethan einander anstarrten.

„Ich arbeite für Kelly Printing.“ Als wir das letzte Mal miteinander gesprochen hatten, war ich noch damit beschäftigt gewesen, mein Studium abzuschließen. Nebenbei hatte ich bei einigen wohlhabenden Leuten als Kindermädchen gearbeitet. Ich fragte ihn nicht danach, was er machte, weder beruflich noch hier in Harrisburg. Ich wollte nicht, dass er dachte, ich würde mich dafür interessieren.

„Wie geht es deiner Mutter?“ Austin stützte sich mit einem Arm auf die Bar und rückte näher an mich heran. „Arbeitet sie immer noch für Hershey? Und hat sie noch ihren Laden? Ich bin schon länger nicht mehr dort gewesen.“

Meine Mutter besitzt einen kleinen Sandwich-Laden, den sie von ihrem Dad geerbt hat, als ich noch zur Highschool ging. Ich hatte fast mein ganzes Leben in diesem Geschäft gejobbt. Als Kind hatte ich zunächst Botengänge erledigt und später gelernt, Sandwiches zu machen und die Kasse zu bedienen. Jetzt sprang ich nur noch ein, wenn sie einen großen Auftrag vorbereiten und ausliefern musste, oder wenn sie das Catering für eine Party übernommen hatte.

„Den Laden hat sie noch. Aber ihren Teilzeitjob bei Hershey hat sie verloren.“

Austin nickte. „Ich arbeite für McClaron and Sons.“

Ich hatte keine Ahnung, wer oder was McClaron and Sons waren, aber die Tatsache, dass er für jemand anders als seinen Vater arbeitete, erstaunte mich genug, um spontan zu fragen: „Und was ist mit deinem Dad?“

Austin zuckte mit den Schultern, dann zog er eine Grimasse, und nur weil ich ihn früher einmal ebenso gut wie mich selbst gekannt hatte, bemerkte ich sein Zögern. „Es wurde Zeit für mich, mir einen anderen Job zu suchen.“

„Aber die Arbeit ist dieselbe, nicht wahr? Baugewerbe?“, mischte Kira sich ein.

„Klar, und dazu noch ein paar andere Sachen“, erwiderte Austin, verriet aber keine Einzelheiten.

Interessant. Genau wie ich im Laden meiner Mutter, hatte Austin von klein auf in der Firma seines Vaters gearbeitet – während der Sommerferien und nachmittags nach der Schule. Es schien beschlossene Sache zu sein, dass er die Firma übernehmen würde, wenn sein Vater sich zur Ruhe setzte. Doch schon vorher sollte er gleichberechtigter Partner werden. Ich hatte angenommen, das wäre er bereits.

„Was ist mit dir?“ Kira nippte an ihrem Drink und schaute dabei Ethan an. Wenn man bedachte, dass sie einen festen Freund hatte, schien sie ein wenig zu sehr an ihm interessiert zu sein, aber Kira war nun einmal diese Sorte Frau.

Sie wissen schon. Eine von den schlampigen.

„Ich bin Mechaniker“, erklärte er. „Bei Hershey.“

„Oh, das ist ein guter Job!“ Kira schob sich zwischen Austin und Ethan.

„Ja, ein guter Job“, stimmte Ethan zu und nahm einen Schluck aus seinem Glas, während er jede Stelle von Kiras Körper musterte, ohne einen Blick auf ihr Gesicht zu verschwenden.

Es war in Wirklichkeit so einfach. Sie wollten uns verführen. Wir wollten verführt werden, jedenfalls für ein paar Stunden. Mir war klar, wie wir auf sie wirken mussten. Zwei aufreizend gekleidete junge Frauen, die einen Drink nach dem anderen in sich hineinschütteten und zuließen, dass die Menge sie dichter und dichter an die beiden Typen heranschob, die den Alkohol bezahlten. In Bars gibt es so etwas wie einen Mindestabstand zwischen Fremden nicht. Die Musik macht eine Unterhaltung unmöglich, es sei denn, man stellt sich ganz dicht nebeneinander und schreit sich gegenseitig die Sätze ins Ohr. Es herrscht so großes Gedränge, dass man sich einen winzigen Freiraum erkämpfen muss, und nach ein bis vier Drinks scheint es keine allzu schlechte Idee zu sein, diesen Raum zu teilen.

Als Austin seine Hand auf meinen Hintern legte, zuckte ich nicht einmal zusammen. Sie fühlte sich gut an. Schwer und warm. Seine starken Finger passten zu seinen kräftigen Bizeps. Er roch gut. Nach Drakkar Noir. Obwohl ich bin, wie ich bin, und trotz allem, was zwischen uns passiert war, hatte ich ihn vermisst.

„Willst du tanzen?“, brüllte Austin in mein Ohr.

Unsere Körper hatten sich schon immer blind verstanden, ganz gleich ob wir tanzten oder vögelten. Ich war zu beidem bereit. Er nahm meine Hand, zog mich von Ethan und Kira weg und die Treppe zum dritten Stock hinauf, wo die Musikstücke ohne Pause ineinander übergingen und sich alle gleich anhörten. In der Mitte der Tanzfläche war genügend Platz, und wir fingen an zu tanzen.

Der Alkohol hatte mich sanft und nachgiebig gemacht, aber die Musik war schnell und laut. Ich wollte langsam tanzen. Austin wollte sich an mir reiben. Wir fanden einen Kompromiss, indem wir unsere Hüften schwangen, und schon bald waren unsere Unterkörper aneinandergepresst. Doch als er versuchte, mich umzudrehen, um an meinen Hintern heranzukommen, schob ich ihn lächelnd weg.

„Du reagierst nicht auf meine SMS“, sagte er.

Es war sehr leicht, einfach so zu tun, als würde ich ihn nicht verstehen, weil die Musik so laut war. Lächelnd schüttelte ich den Kopf. Er packte meinen Arm, ziemlich weit oben, dort, wo man leicht blaue Flecke bekommt. Seine Finger umspannten mit Leichtigkeit meinen Oberarm.

Er beugte sich vor, und strich mit den Lippen an meinem Ohr entlang. „Ich habe dich vermisst.“

Ich wich vor ihm zurück, aber Austin fasste genau in dem Moment nach meinem Handgelenk, in dem die gesamte Tanzfläche plötzlich von einem strahlend hellen Licht erleuchtet wurde. Austin sah immer noch gut aus. Und ich hatte wohl auch keine Ähnlichkeit mit Frankenstein, denn er hob die Hand und strich mir die Haare aus der Stirn. Als das Licht wieder gedimmt wurde, lächelte er, während die Musik erneut mit einem raschen Bumbum einsetzte, das meinem Herzschlag glich.

Als er mich küsste, fühlte es sich anders an. Ich fühlte mich anders. Er öffnete seine Lippen, und ich ließ ihn in meinen Mund. Während er mit seiner Zunge meine streichelte, hob er die Hand, um seine Finger in meinem Haar zu vergraben. Er wühlte nicht darin herum, obwohl mein Körper sich bereits erwartungsvoll anspannte.

Austin knabberte an meinem Ohrläppchen. „Du schmeckst noch genauso wie früher.“

Glücklicherweise erinnerte ich mich an all die Gründe, weswegen ich die Beziehung mit ihm beendet hatte. Unglücklicherweise erinnerte ich mich aber auch an all die Dinge, warum wir überhaupt etwas miteinander angefangen hatten. Als Austin an der empfindlichen Innenseite meines nackten Arms entlangstrich und schließlich eine Fingerspitze auf den Puls an meinem Handgelenk presste, war mir klar, dass er sehr genau spürte, wie mein Herzschlag sich durch diese Berührung beschleunigte. Daran hatte sich nichts geändert. Vielleicht würde sich das nie ändern.

Und vielleicht war das auch in Ordnung so.

„Komm mit zu mir nach Hause“, stieß Austin hervor. „Das ist zu weit.“ Die Strecke, für die man vierzig Minuten brauchte, wäre ich am nächsten Morgen mit Freude zurückgefahren, um ihm in dieser Nacht die Hosen auszuziehen. Es war nicht zu weit. Es dauerte nur zu lange.

„Paige“, sagte Austin und grinste wie ein Haifisch. „Ich bin nach Lemoyne gezogen.“

Das lag direkt auf der anderen Seite des Flusses. Höchstens fünfzehn Minuten Weg, wenn man sehr langsam fuhr oder in einen Stau geriet. Unter meinen Nimm-mich-Heels begann der Boden zu schwanken, aber Austin war da, um mich aufzufangen. Um uns herum tanzte die Menge, aber wir rührten uns nicht. Ich blickte tief in seine blauen, blauen Augen, die im flackernden Licht über der Tanzfläche noch blauer erschienen.

„Warum, zum Teufel, hast du das getan?“, erkundigte ich mich mit schwacher Stimme.

„Neuer Job, weißt du noch?“

Ich versuchte mich zu erinnern, ob er gesagt hatte, wo die Firma McClaron and Sons lag, es fiel mir aber nicht mehr ein. Er hätte es mir erzählen sollen, dachte ich und hasste mich selbst, weil ich aus völlig irrationalen Gründen wütend war.

Ich befreite meinen Arm aus seinem Griff. „Ich muss mal nach Kira sehen.“

„Der geht es gut. Ethan ist bei ihr.“

Ich versuchte ihn niederzustarren, aber das war mir bei Austin noch nie gelungen. Er hatte mich schon tausend Mal mit einem einzigen Blick kaltgestellt, und obwohl ich meinen stahläugigen Blick äußerster Geringschätzung häufig geübt und inzwischen perfektioniert hatte, ließ er Austin völlig ungerührt. Ich biss mir auf die Unterlippe und schob mein Kinn vor.

„Wenn er dir auch nur ein kleines bisschen ähnlich ist, sehe ich lieber nach, ob mit ihr alles in Ordnung ist.“

„Paige.“ Austin packte mein Handgelenk und zog mich an sich heran. „Wenn sie dir auch nur im Geringsten ähnlich ist, kann sie damit umgehen.“

In der Nacht, in der es zwischen uns endete, hatten wir an der Wand unseres schäbigen Apartments in Lebanon im Stehen gevögelt. Das flackernde Licht eines Polizeiautos draußen auf der Straße hatte die Decke und die Wand über unseren Köpfen abwechselnd rot und blau gefärbt. Er hatte mir den Slip heruntergerissen, ihn über die Schulter geworfen und mich mit seinem Körper gegen die Wand gepresst, während er mit seinen Händen meinen Hintern umklammerte.

Noch Wochen später trug ich die Spuren unserer letzten Begegnung auf meinem Rücken, wo der Nagel eines Bildes, das von der Wand gefallen war, mich verletzt hatte.

Damals hatte es geendet, aber es war nicht vorüber. Die schlichte Wahrheit lautete: Mit ein paar Drinks intus hatte ich kaum eine Chance, Austin zu widerstehen. Nicht, wenn ich betrunken war. Nüchtern aber auch nicht. Warum sonst hätte ich so weit weg ziehen sollen?

„Zur Hölle, nein“, sagte Kira, als ich sie unten fand und fragte, ob ich sie mit Ethan allein lassen könnte. Sie schüttelte den Kopf und sah über meine Schulter in die Richtung, von wo aus Austin höchstwahrscheinlich zu uns herübersah. „Du hast mir gesagt, ich sollte nie, nie, nie wieder zulassen, dass du ihn noch einmal fickst.“

Ich zwang mich, sie anzuschauen, mich aber auf keinen Fall zu ihm umzudrehen. „Ich weiß. Aber das war vorher.“

„Vor was?“ Kira kräuselte die Lippen.

„Bevor du auf die Idee kamst, es könnte lustig sein, wenn wir uns mit ihm treffen. Ich habe monatelang nicht mit ihm gesprochen. Schon lange, bevor ich nach Harrisburg gezogen bin. Aber plötzlich ist er hier.“

„Und sieht schlichtweg zum Niederknien aus.“ Kira sparte sich ihr übliches Schnauben, aber ihr Blick flackerte unruhig hin und her. „Ich kenne ihn schon ebenso lange wie du, Paige, das weißt du. Er ist neu hier und wollte von mir wissen, wohin man hier abends gehen kann. Ich habe ihm nur gesagt, wir würden heute hier sein. Schließlich konnte ich nicht ahnen, dass du mit ihm nach Hause gehen würdest. Ich dachte, du bist über ihn hinweg.“

„Ich bin über ihn hinweg!“ Ich schaute über meine Schulter und fing seinen Blick auf, bevor ich mich mit heißen Wangen und wild pochendem Herzen wieder abwandte.

„Wenn du es sagst.“

„Ich gebe dir meinen Schlüssel.“ Wieder drehte ich mich zu Austin um, der sich jetzt mit Ethan unterhielt.

„Verdammt, nein. Ich werde Tony anrufen, dass er mich abholen soll!“ Kira schüttelte den Kopf und schwankte ein wenig.

Ich streckte die Hand aus, um sie zu stützen, und sie hielt sich daran fest. „Wird er kommen?“

„Natürlich kommt er, wenn ich es ihm sage, verdammt!“ Kira straffte sich und fuhr sich mit den gespreizten Fingern durch die Haare.

„Ich warte hier mit dir, bis er da ist.“

„Du musst mir keinen Gefallen tun“, sagte Kira und schlang ihren Arm um meine Schultern. „Vergiss nicht, was passiert ist, Paige.“ Als ob ich das jemals könnte. „Mir geht es gut!“

„Sorg dafür, dass deine Möse dich nicht in Schwierigkeiten bringt“, fuhr sie fort, und warnte mich damit vor etwas, was ihr selbst oft genug passiert war. „Er hat dich zum Weinen gebracht.“

„Ja.“ Ich ließ zu, dass Austin mit seinem Blick meinen einfing, als er mich ansah und nicht wieder wegschaute. „Nun, ich werde seinetwegen nicht mehr weinen.“

„Er wird dich immer zum Weinen bringen“, behauptete Kira. „Aber geht ruhig. Wie auch immer, er hat einen magischen Schwanz. Hol ihn dir.“

Da ich mich sehr genau erinnerte, wie oft sie mich irgendwo hatte stehen lassen, um mit jemandem nach Hause zu gehen, den sie in einer Bar getroffen hatte, fühlte ich mich nicht halb so schlecht, wie sie es gern gehabt hätte. „Ich warte, bis Tony kommt.“

Wenigstens das konnte ich tun.

Mit in Austins Wohnung zu gehen, war die eine Sache, mich von ihm dorthin fahren zu lassen, eine andere. Ich hatte erstens nicht vor, mit in sein Auto zu steigen, nachdem er Alkohol getrunken hatte, zweitens wollte ich nicht bei ihm zu Hause festsitzen, ohne genau zu wissen, wie ich jederzeit wieder nach Hause kam.

Er grinste, als ich auf ihn zukam, doch ich wehrte seinen Kuss ab. „Ich warte hier mit Kira, bis sie abgeholt wird. Wir treffen uns bei dir.“

Austin zog mich an sich und liebkoste meinen Hals auf genau die Art, von der er wusste, dass ich es so am liebsten hatte. „Komm einfach mit.“

„Nein.“ Ich schob ihn ein wenig von mir. Wäre ich betrunkener gewesen, hätte ich bedenkenlos nachgegeben. Wäre ich nüchterner gewesen, wäre ich sicher allein nach Hause gegangen. Genau dazwischen aber lag der Punkt, an dem ich ihn wieder schmecken wollte, obwohl ich wusste, dass am Morgen danach die Lust längst nicht mehr so köstlich ist. Ich schüttelte den Kopf. „Ich komme zu dir. Gib mir die Adresse.“

Vielleicht hatte sich ja endlich doch etwas geändert.

Austin küsste mich noch einmal, nachdrücklicher als zuvor, und ich ließ es zu. Er wusste ganz genau, wie er es anstellen musste, wie er seine Hände und seine Zunge benutzen und seinen Unterleib gegen meinen stoßen musste, um mich atemlos zu machen. Meine Nippel pochten und drängten sich gegen mein seidiges Top.

„Dann beeil dich aber.“ Er klang kein bisschen betrunken, und als er zurücktrat, sah ich, dass er nicht schwankte. Ich wandte mich ab, doch im letzten Moment streckte er die Hand aus und hielt mich am Arm fest. Ohne mich zu wehren, ließ ich zu, dass er mich wieder an sich zog. „Du hast aber nicht vor, mich reinzulegen, oder? So wie letztes Mal?“

Beim letzten Mal war Kira nicht dagewesen, um mich daran zu erinnern, dass ich geschworen hatte, nie wieder mit Austin ins Bett zu gehen. Nicht, dass mich das von irgendetwas abhielt, wie ich längst wusste. Letztes Mal hatte ich ihn um kurz nach zwei in der Nacht angerufen und ihm gesagt, dass ich zu ihm kommen wollte. Doch als ich das Telefon aus der Hand legte, siegte die Vernunft über die Sehnsucht, seine Hände auf meinem Körper zu spüren. Das war vor Monaten gewesen, bevor ich hierhergezogen war.

„Bist du immer noch wütend deswegen?“

„Ich war nicht wütend. Nur enttäuscht. Machst du das noch mal mit mir, werde ich aber ganz bestimmt wütend.“ Er grinste und senkte den Kopf, um mich zu küssen, hielt jedoch kurz vor meinen Lippen inne und streifte sie nur mit seinem Mund. „Und enttäuscht.“

Der Blick seiner blauen Augen tauchte tief in meinen, und eine halbe Minute lang war mir alles andere egal. Ich spürte, dass Kira meinen Ellbogen berührte, drehte mich aber nicht zu ihr um. Stattdessen schaute ich Austin direkt in die Augen, als ich erwiderte: „Du wirst nicht enttäuscht sein.“

Er ließ mich gehen, nachdem er mich noch einmal geküsst und meinen Hals auf diese Weise liebkost hatte, die meine sämtlichen Nervenenden zum Vibrieren brachte. Kira wartete bereits an der Tür auf mich. Ohne darauf zu achten, dass sie mitten im Weg stand, rührte sie sich nicht von der Stelle, bis ich kam und sie mit hinaus auf den Gehweg zog.

„Bist du sicher, dass du zurechtkommst?“ Die kühle Nachtluft ernüchterte mich ziemlich schnell, aber ich zweifelte nicht daran, dass ich zu Austin fahren wollte. Jedenfalls jetzt noch nicht.

Kira nickte. „Alles in Ordnung.“

Sie sah entnervt aus und nicht, als ob mit ihr alles in Ordnung wäre. Ich schaute die Straße entlang. Eine Menge Polizisten. Keine Taxis. Ich hatte sie nur ein paar Sekunden nicht angesehen, aber als ich mich wieder zu Kira umdrehte, wirkte sie nicht mehr gelangweilt, sondern vollkommen fassungslos.

„Du Arschloch!“ Sie machte ein paar Schritte vorwärts, verfing sich mit ihrem Absatz in einem Spalt im Pflaster und stolperte.

Jack.

Mit einem lautlosen Seufzen folgte ich ihr. Jack war mit der Frau zusammen, die schon vorher bei ihm gewesen war, und er tat sein Bestes, Kira zu ignorieren. Ich sah, wie er seiner Begleiterin einen hilflosen Blick zuwarf, auf den sie mit einem Schulterzucken reagierte, dann setzten sie sich in Bewegung.

„Hey, Jack. Jackass! Erlaub dir nicht, mich einfach stehen zu lassen!“

„Lass doch, Kira. Lass sein.“ Man konnte ihm nicht übel nehmen, dass er sie nicht beachtete. Allerdings fand ich es weniger verzeihlich, dass er mich ebenfalls ignorierte, obwohl ich wusste, dass es wahrscheinlich besser war. „Er ist es nicht wert.“

„Fick dich, Jack!“, schrie sie. Offensichtlich konnte Kira es nicht lassen.

Jack zog eine Grimasse und holte seine Mütze aus der Hosentasche. Er setzte sie auf, schaute Kira jedoch nicht an. Wir waren nicht mehr als einige wenige Schritte den Gehsteig entlanggegangen, als Kira sich mit einem lauten Schrei von hinten auf ihn stürzte.

Jack stolperte vorwärts, als sie mit wild herumwirbelnden Armen und Beinen auf ihn einprügelte. Es gelang ihr nicht, ihn mehr als ein oder zwei Mal zu treffen, aber angesichts ihres Auftritts als wild herumfuchtelnder Derwisch hielten die Zuschauer vorsorglich einen Sicherheitsabstand. Sie kreischte Beleidigungen, von denen die meisten dumm und unpassend waren.

Jack warf mir einen wütenden Blick zu. Ich fand das ziemlich unverschämt, denn es war schließlich nicht so, als hätte ich Kira erzählt, dass er und ich etwas miteinander gehabt hatten. Dass sie ein Problem mit ihm hatte, hatte nichts mit mir zu tun. Jack schüttelte sie energisch ab und packte sie gleichzeitig bei den Armen, damit sie nicht hinfiel. Sie versuchte weiter, ihn zu schlagen, traf ihn aber nicht.

„Hör auf“, befahl Jack ihr und schüttelte ihren Arm ein wenig, bevor er sie losließ. Als sie sich wieder auf ihn stürzte, gelang es ihr, ihm die Mütze vom Kopf zu schlagen. Ich ging ein, zwei Schritte weiter und wünschte mir, ich wäre mit Austin gefahren und hätte Kira ihr Drama allein aufführen lassen. Das hier wollte ich wirklich nicht sehen.

„Ich hoffe, dein verfluchtes Schwanz-Piercing reißt heraus, und du musst demnächst durch drei Löcher pinkeln“, schrie Kira.

„Nun komm endlich, Kira.“ Ich streckte die Hand nach ihr aus.

Kira ließ sich endlich mitziehen, rief Jack aber noch im Gehen Beleidigungen zu. In der Nähe des Parkhauses waren nicht so viele Leute unterwegs, und wir hatten bessere Chancen, ein Taxi zu erwischen. Ich rieb meine nackten Arme und zitterte, aber Kira wurde immer noch von ihrer Wut gewärmt, und sie hüpfte wild auf dem Kopfsteinpflaster herum, fuchtelte mit den Händen und murmelte Flüche vor sich hin.

„Er ist es nicht wert“, wiederholte ich. „Himmel, Kira. Was ist mit dir los?“

„Er ist ein Vollidiot – ein Jackass, wie sein Name schon sagt“, erklärte sie verbissen. Ihr Make-up war völlig verschmiert, ihre Haare waren zerzaust. Sie gehörte ins Bett.

Verdammt. Ich wollte auch ins Bett, aber nicht allein. Doch hier stand ich stattdessen und spielte Kiras Babysitter, während sie einen Riesenaufstand wegen eines Kerls machte, für den sie vor einer Million Jahren geschwärmt und mit dem sie nicht einmal ein Date gehabt hatte.

Ich widersprach ihr nicht, obwohl ich nicht ihre Meinung teilte. „Du bist betrunken. Ruf Tony an. Fahr nach Hause.“

Sie schniefte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Oh, das ist dir doch vollkommen egal. Du wirst mit Austin vögeln. Was interessiert es dich schon, wenn mir jemand das Herz bricht?“

Ich lachte und wusste sofort, dass das ein Fehler gewesen war, als sie die Brauen über ihren schwarz verschmierten Augen zusammenzog. „Dein Herz ist nicht gebrochen. Du bist nicht mal mit ihm ausgegangen. Und er hat auch nicht mehr das Schwanz-Piercing.“

Sie starrte mich an. Plötzlich hielt ich für möglich, dass sie vielleicht gar nicht so betrunken war, wie ich gedacht hatte. „Hast du mit Jack geschlafen?“

„Vor Ewigkeiten.“

„Du hast Jack gefickt?“ Kira ballte die Fäuste und öffnete sie gleich darauf wieder, während sie in sich zusammensank. „Ich dachte, du bist meine Freundin!“

„Es ist ewig her, Kira, und du warst nicht …“

„Das ist egal!“, schrie sie, und mir war klar, sie hatte recht.

„Du wusstest, was er mir bedeutete! Ich habe ihn geliebt!“ Ich hatte ihn nie geliebt. „Es tut mir leid.“

Kira wühlte ihr Handy aus ihrer Tasche und hackte mit ihrem Fingernagel auf den Tasten herum. Sie wandte mir den Rücken zu. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass sie nicht versuchte, mir ins Gesicht zu schlagen, wie sie es bei Jack gemacht hatte. Mir war kalt, und es rumorte in meinem Bauch.

„Deine Entschuldigung kannst du dir sonst wo hinstecken.“ Als Nächstes sprach sie in ihr Telefon. „Ich bin’s. Komm her und hol mich ab. Klar weiß ich, wie spät es ist. Ich warte vor Tom’s Diner in der Second Street. Harrisburg, du Blödmann.“

Sie steckte das Handy wieder weg und stöckelte den Gehsteig entlang, ließ mich einfach stehen.

„Kira!“ Ohne auch nur langsamer zu werden, zeigte sie mir einen Vogel. Kein Gedanke, dass ich sie auf meinen Zehn-Zentimeter-Absätzen einholen konnte. Ich hoppelte aber tapfer hinter ihr her. „Kira, komm schon. Warte mal.“

„Du behauptest, meine Freundin zu sein“, stieß sie hervor, und ihr anklagender Ton war schlimmer als eine Beleidigung oder ein Schlag ins Gesicht. „Himmel, Paige. Dass du etwas tun kannst, heißt nicht immer, dass du es auch tun solltest, ist dir das klar? Wir sind nicht mehr in der Highschool.“

Ich gab es auf, sie einholen zu wollen. „Ach, tatsächlich? Und einen Kerl auf offener Straße zu beschimpfen, wenn er mit einem anderen Mädchen unterwegs ist, hat nichts mit der Highschool zu tun?“

„Das ist etwas anderes!“

„Inwiefern anders?“

„Du wusstest, wie viel mir an Jack lag!“, schrie Kira.

Wir hätten mehr Aufmerksamkeit erregt, wäre es nicht Freitagabend kurz nach der Sperrstunde der Bars gewesen. So waren wir einfach nur zwei weitere Schlampen, die sich um einen Kerl stritten. In der Highschool hätte ich sie ebenfalls angeschrien oder sie vielleicht ein bisschen an den Haaren gezogen.

Aber wie wir bereits festgestellt hatten, waren wir nicht mehr in der Highschool.

Ich biss mir auf die Zunge, um sie nicht doch anzubrüllen, trotzdem klang meine Stimme böse und scharf. „Ich habe dir schon gesagt, dass es mir leidtut. Du warst nicht mit ihm zusammen. Ihr hattet nie auch nur ein einziges Date. Und zu der Zeit, als ich etwas mit ihm hatte, hast du nicht mal mit mir gesprochen.“

Sie zögerte einen Moment. Ihre Wimpern flatterten und ihre Lippen bewegten sich, als wollte sie etwas richtig Schreckliches sagen, heraus kam aber nur: „… nun ja. Du hättest es trotzdem nicht tun sollen.“

Ich verzichtete darauf, die unzähligen Typen zu erwähnen, die mir gefallen hatten, und die Kira gevögelt oder versucht hatte zu vögeln, oder von denen sie behauptet hatte, sie hätte sie gevögelt, um mir wehzutun. Ich sagte nichts, starrte sie nur an, und schließlich hatte sie die Gnade, ihren Blick abzuwenden. Statt eines weiteren Worts, zuckte sie mit den Schultern.

Wenn man Glück hat, bleiben einem die Freunde, die man mit sechzehn findet, ein Leben lang erhalten. Wenn man Verstand hat, weiß man, wann es Zeit ist, sie ziehen zu lassen. Ich blieb stehen und schaute ihr hinterher, während sie zu dem Diner ging, wo betrunkene, hungrige Menschen in diesem Moment Eier bestellten, die Kellnerin herumhetzten und das Besteck klauten. Ich ließ sie dorthin gehen, obwohl sie ziemlich viel getrunken hatte und jemanden brauchte, der sie nach Hause fuhr, und ich nicht sicher sein konnte, ob derjenige, den sie angerufen hatte, wirklich auftauchen würde, um sie abzuholen.

Ja. So sind manche Freunde.

4. KAPITEL

„Ich bin wirklich froh, dass du gekommen bist“, erklärte Austin im selben Moment, in dem er die Tür öffnete.

Ich sagte nichts.

Während ich an ihm vorbei ins Wohnzimmer ging, schloss er die Tür hinter mir. Ich erkannte die Couch und den Sessel. Die Couch hatte früher einmal mir gehört. Der Sessel war seiner gewesen, aber ich hatte für diese Couch bezahlt.

Das war mir jetzt aber egal.

„Möchtest du etwas trinken?“

Ich wandte mich um und betrachtete diesen Jungen, der inzwischen zum Mann geworden war. „Nein. Ich bin nicht hergekommen, um etwas zu trinken.“

Austin lächelte. „Weshalb denn sonst?“

Ich zog ihn an seinem Gürtel zu mir heran. Es waren zwei Schritte. Er stolperte nicht, aber er fing sich mit seinen Händen an meinen Oberarmen ab. Offenbar hatte ich ihn überrascht. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah ihm ins Gesicht. Aber als er sich vorbeugte, um mich zu küssen, wandte ich mich ab.

„Lass mich raten“, flüsterte er mir ins Ohr. „Du bist nicht zum Küssen hergekommen.“

„Du darfst mich küssen.“ Ich nahm seine Hand von meinem Arm und schob sie zwischen meine Schenkel. „Hier.“

Ich sah ihn an und hatte sehr viel Freude an seinem Gesichtsausdruck. Probeweise krümmte er seine Finger und bohrte sie in den weichen Stoff meines Rocks.

Wie in Zeitlupe blinzelte er. Sein Lächeln versickerte mehr in seinen Mundwinkeln, als es verblasste. „Paige?“, sagte er fragend.

„Wir wissen beide, warum ich hier bin.“ Ich legte meine Finger um sein Handgelenk und bewegte seine Hand hinunter zu meinem Rocksaum und von dort aus aufwärts, bis ich seinen Handballen gegen mein Höschen drückte. „Tun wir also nicht so, als ob es anders wäre.“

Einen kurzen, seltsamen Moment lang dachte ich, er würde mich abweisen. Die Wärme seiner Hand sickerte durch meinen Slip, aber sein eisiger Blick ließ mich kalt. Plötzlich wusste ich wieder ganz genau, warum ich ihn verlassen hatte.

Er ließ nicht zu, dass ich mich zurückzog. „In Ordnung. Ich tue nicht so.“

„Gut.“

„Gut“, wiederholte er. Er schob seine Finger in mein Höschen und stellte fest, dass ich schon feucht war. Wieder flackerte sein Blick. „Verdammt, Paige, du bist schon so weit.“

„So ist es“, gab ich zu.

Er war immer größer als ich gewesen, aber in den Jahren

seit unserer Trennung hatte er sich von einem bulligen Footballspieler in einen schlanken Mann mit kräftigen Muskeln verwandelt, dem man ansah, dass er sein Geld mit körperlicher Arbeit verdiente. Er mochte den Job in der Baufirma seines Vaters aufgegeben haben, aber welche Arbeit er jetzt auch immer hatte, sie sorgte dafür, dass er in Form blieb.

Erst dachte ich, er würde mich nicht küssen. Das hatten wir früher auch schon getan – miteinander gevögelt, ohne uns auf den Mund zu küssen. Wir hatten wild und grob gefickt. Aber wir hatten es auch sanft, zärtlich und süß gemacht.

Als Austin mich dichter an sich heranzog und mit seinen Lippen über meinen Mund strich, war ich schon angespannt und erwartungsvoll. Er küsste mich sanft und zog sich wieder zurück. Dann sah er mir in die Augen.

„Ich war sicher, du würdest nicht kommen.“

Ich runzelte die Stirn, weil ich keine Lust hatte, ihm zu antworten. Und als ich meinen Mund öffnete, nahm er mir meine Worte mit einem weiteren Kuss und dem unablässigen Streicheln seiner Hände fort. Ich vergaß sie einfach.

Ich schäme mich nicht, zu gestehen, dass ich seine Berührungen äußerst erregend fand. Sie waren mir vertraut, ganz gleich, wie lange es her war, seit ich sie zuletzt gespürt hatte.

Wir küssten uns ausgiebig. Den ganzen Weg die Treppe hinauf und den Flur entlang zu seinem Schlafzimmer. Ich küsste ihn mit geschlossenen Augen in dem Vertrauen, er würde mich sicher führen, sodass ich nicht hinfiel. Wir küssten uns so, wie wir es immer getan hatten, aber es war doch anders. Direkt hinter seiner Schlafzimmertür blieben wir stehen und ließen einander los. Wir atmeten beide rasch und heftig. Ich konnte mich nicht erinnern, wie lange es her war, seit mich zuletzt jemand so gesehen hatte, wie er mich jetzt sah.

Ich fühlte mich wie ein Wesen aus Federn, als er mich hochhob, und wurde wieder zu Fleisch, sobald er mich niederlegte.

Es war ein neues Bett mit neuer Bettwäsche. Der Duft des Weichspülers war noch derselbe, und mein Herz schien für einen Moment stehen bleiben zu wollen, bevor es mit einem Ruck wieder lebendig wurde. Mit seinen Lippen pflückte er mein Keuchen. Er trank meinen Atem.

Ich trug Klamotten, bei denen es mir egal gewesen wäre, wenn er sie ruiniert hätte, aber Austin riss sie mir nicht vom Leib. Er kniete zwischen meinen Beinen, starrte mich an, wie ich auf dem Kissen lag und legte mir nur seine Hand auf den Bauch. Meine Muskeln zuckten.

Als er mich anlächelte, konnte ich mich fast nicht mehr erinnern, wie es sich angefühlt hatte, ihn nicht zu lieben, aber ich zwang mich dazu. Das hier würde nicht weiter führen, als ich beabsichtigt hatte. Während ich meinen Rock langsam über die Schenkel nach oben zog, spreizte ich ein wenig die Beine.

Austin legte seine Hände auf den Saum meines Tops und hob ihn, um mit seinen Fingerspitzen über die Schwellung meiner Brüste zu streichen. Er ließ seinen Blick über meinen Körper wandern, als hätte er mich noch nie zuvor gesehen, und nicht schon viele Stunden damit verbracht, jeden Millimeter meiner Haut zu betrachten.

Es gefiel mir, wie es sich anfühlte, wenn er mich ansah.

Als unsere Blicke sich trafen, lächelten wir beide, was eine Erleichterung war. Gleich nach meiner Ankunft hatte es einen kurzen Moment gegeben, in dem ich geglaubt hatte, das hier würde schrecklich werden. Entweder sentimental oder wütend. Wir hatten es noch ein paarmal miteinander gemacht, nachdem ich mich von ihm getrennt hatte, und es war nicht immer eine gute Entscheidung gewesen.

Wahrscheinlich war es auch jetzt keine gute Entscheidung, aber als er mit seinen Händen an den Innenseiten meiner Schenkel aufwärts strich und einen Finger in den elastischen Rand meines Höschens schob, hörte ich auf, mir darüber Gedanken zu machen. Ich schob ihm meine Hüften entgegen und schloss voll Vorfreude die Augen. Er ließ einen Finger über meine Klit gleiten und presste einen anderen gegen meine Öffnung. Dort hielt er plötzlich inne.

Ich schaute ihn an. „Austin?“

Er öffnete seinen hübschen Mund, aber über seine Lippen kam nur ein leises Zischen, während er den Finger in mich hineinschob. Ich stöhnte, als er ihn krümmte und gegen meinen G-Punkt drückte. Gleichzeitig bearbeitete er mit dem Daumen meine Klitoris. Es war das vertraute Doppelspiel, das bei mir schon immer funktioniert hatte.

„Gefällt dir das?“

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