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Amari und der Preis der Magie

Als Buch hier erhältlich:

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Endlich! Amaris drittes Abenteuer

Die übernatürliche Welt ist gespalten, und Amaris zwei größte Erzfeinde stehen sich gegenüber. Elaine Harlowe hat es geschafft, Premierministerin zu werden und die Behörde mit ihrem Hass auf Magier zu infizieren. Dylan Van Helsing, der neu ernannte Anführer der Magier und Amaris ehemaliger Partner, sucht nach einer zerstörerischen neuen Macht, mit dem nicht nur die Magier gewinnen würden – er würde unbesiegbar werden. Amari muss schnell einen Weg finden, den Kampf zu beenden. Als sie und ihre Freundinnen und Freunde erfahren, dass sie Dylan mit den berüchtigten Wundern, stoppen können, machen sie sich auf eine gefährliche Suche. Doch die mächtigen magischen Gegenständen fordern ihren Tribut, und Amari muss sich entscheiden, was – oder wen – sie bereit ist zu opfern.

Spannung, Magie und Herz für Fantasy-Fans ab 10

Starke Hauptfigur mit viel Identifikationspotential


  • Erscheinungstag: 25.03.2025
  • Aus der Serie: Amari
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 368
  • Altersempfehlung: 10
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783748802723

Leseprobe

B. B. Alston

AMARI

und der Preis der Magie

Aus dem amerikanischen Englisch von
Katrin Segerer und Jennifer Michalski

Für meinen Dad Bruce,
der mir gezeigt hat,
wie man ein guter Mann ist

1

Als Quinton uns ein supergeheimes Geheimversteck angekündigt hat, habe ich mir einen unterirdischen Bunker irgendwo im Nirgendwo vorgestellt. Ohne Nachbarn weit und breit und total hightech, so mit Fingerabdruckscannern und Überwachungskameras in den Bäumen. Vielleicht sogar ein, zwei gewissenhafte Werwölfe, die alle – oder alles – abschrecken, was sich in unsere Nähe wagt.

Solche Sicherheitsmaßnahmen würde man vom berühmtesten Spezialagenten der übernatürlichen Welt doch eigentlich erwarten.

Stattdessen sitze ich zwischen Jayden und Elsie im Schneidersitz auf dem Boden eines in die Jahre gekommenen Motelzimmers mit jeder Menge rosa-rot gestreifter Tapete und so harten Doppelbetten, dass es sogar hier unten auf dem Teppich gemütlicher ist.

Während mein Bruder da draußen wer weiß was treibt, drängen wir drei uns um Elsies Laptop, auf dem das lichterloh brennende Vanderbilt-Hotel zu sehen ist. Schwarze Rauchschwaden verdunkeln den Sternenhimmel. Feuerwehrautos und Krankenwagen kommen mit gellenden Sirenen angerast.

Ich kann nicht wegschauen, obwohl sich mir vor Reue und Angst der Magen umdreht. Das ist alles meine Schuld.

Worte laufen über den unteren Bildschirmrand.

Eilmeldung: Magier*innen greifen Oberbehörde in den USA an!

Während sich die Videoaufnahmen in Dauerschleife wiederholen, berichtet eine Reporterin: »Die gesamte übernatürliche Welt blickt atemlos auf das Vanderbilt-Hotel, den geheimen Sitz der Oberbehörde für Übernatürliches in Atlanta, der gestern Abend in Brand gesteckt wurde. Dabei wurden auch zahlreiche Menschen der bekannten Welt verletzt und mussten in die nahe gelegenen Krankenhäuser gebracht werden. Viele fürchten, dass der Vorfall einen Konflikt von ähnlich verheerender Tragweite wie dem Unsäglichen Krieg entfachen könnte. Da Präsident Merlin und der Rat der Übernatürlichen Union noch immer eingefroren sind, warten alle auf die Reaktion der neuen kommissarischen Präsidentin Elaine Harlowe. Vizepräsident Bane hat seinen Posten nur Stunden nach dem Angriff sang- und klanglos geräumt. Harlowes kometenhafter Aufstieg innerhalb der Oberbehörde und nun zur Regierungschefin der übernatürlichen Welt ist beispiellos. Vor dem Zeitstillstand hoffte man von offizieller Seite, die jahrhundertealte Bedrohung durch die Magierschaft würde nach dem Niedergang des letzten verbliebenen Nachtbruders Raoul Moreau endlich der Vergangenheit angehören. Doch mit Dylan van Helsing ist nunmehr ein weiterer Magier zum gefährlichsten Verbrecher unserer Welt mutiert. Erschreckenden, wenn auch unbestätigten Berichten zufolge wird er von Hunderten bislang unbekannten Magierinnen und Magiern unterstützt …«

Jayden und ich zucken zurück, als Elsie den Laptop zuknallt.

»Das reicht an Nachrichten für einen Tag, oder?« Sie wirft mir einen besorgten Blick zu.

Jayden nickt. »Macht langsam echt depri.«

»Bis Quinton zurückkommt, sitzen wir in diesem Zimmer fest«, wende ich ein. »Da können wir doch wenigstens mitverfolgen, was draußen passiert.«

»Schon …«, gibt Elsie zu. »Aber das machen wir, seit wir heute Morgen eingecheckt haben. Im Übernet herrscht gerade Weltuntergangsstimmung. Wir sollten auch mal kurz auf andere Gedanken kommen.«

Ich schüttle den Kopf. »Andere Gedanken interessieren mich nicht. Das Vanderbilt-Hotel liegt in Schutt und Asche, weil ich Dylan das Spiel der Magier habe gewinnen lassen. Leute sind im Krankenhaus, weil er jetzt Vladimirs Krone trägt. Wenn er sonst noch wen verletzt, muss ich das wissen.«

Ich greife nach dem Laptop, um ihn wieder zu öffnen, aber Jayden ist schneller und schiebt ihn von mir weg. Während ich ihn anfunkle, schaut er zu Elsie. Die beiden scheinen ein komplettes Gespräch nur mit Blicken zu führen. Am Ende nickt Jayden Elsie ermutigend zu.

Meine beste Freundin holt tief Luft, ehe sie sich wieder zu mir dreht. »Jayden und ich haben uns unterhalten, und … wir machen uns Sorgen um dich.«

Wir waren den ganzen Tag zusammen. Wie haben sie das angestellt, ohne dass ich es mitgekriegt habe? Und was genau haben sie über mich gesagt?

»Du warst kurz im Bad …«, fängt Elsie an, hält dann aber inne. »Das ist jetzt nicht wichtig. Deine Aura ist schon seit heute Nachmittag blau, und es wird immer schlimmer. Ich … nein, wir finden, dass du vielleicht ein bisschen zu streng mit dir bist.«

Leugnen wäre zwecklos. Als Werdrache weiß Elsie ganz genau, wie ich mich fühle, weil meine Emotionen eine farbige Aura verströmen. Also zucke ich nur die Achseln. »Meine Laune ist nicht die beste, aber ich komme schon klar. Das muss ich auch, wenn wir meine Fehler ausbügeln wollen.«

»Aber das ist es ja gerade«, meint Elsie. »Was da draußen los ist, ist nicht dein Fehler. Niemand hätte ahnen können, dass Harlowe mit ihrer übernatürlichen Fähigkeit sowohl die Oberbehörde als auch den Vizepräsidenten kontrolliert. Und das Spiel der Magier war alles andere als fair. Cosmo hat dir in der letzten Runde gar keine Wahl gelassen. Er hat Dylan die Magierallianz auf dem Silbertablett serviert. Wenn Harlowe und Dylan sich jetzt bekriegen, kannst du nichts dafür.«

»Yo, du hast dein Bestes gegeben«, ergänzt Jayden. »Mehr kann man nicht verlangen.«

Ich bin den beiden ja dankbar für die Aufmunterung, aber ich weiß wirklich nicht, ob ich sie verdiene. »Mein Bestes war nicht gut genug. Nichts, was ich diesen Sommer erreichen wollte, habe ich geschafft.«

Jayden schüttelt den Kopf. »Ach komm …«

»Nein!« Meine Frustration bricht sich Bahn. »Merlin und der Rat der Übernatürlichen Union sind immer noch eingefroren. Und als Harlowe anstolziert ist, um rumzuprahlen, bin ich einfach weggelaufen. Els, wir haben Lara zurückgelassen …« Ich verstumme, weil die Gefühle über mir zusammenzuschlagen drohen. »Und was ist mit dem Rest der Oberbehörde? Vor Harlowes Gedankenkontrolle ist niemand sicher. Mag ja sein, dass ich das da draußen nicht verursacht habe, aber ich hatte mehr als eine Gelegenheit, es zu verhindern. Das könnt ihr nicht abstreiten.«

Schweigen. Offenbar wissen beide nicht, was sie darauf erwidern sollen. Warum bin ich laut geworden? Jetzt fühle ich mich noch schlechter als vorher.

»Tut mir leid.« Ich seufze tief. »Es liegt nicht an euch. Nach gestern will ich unbedingt eine Chance, alles wieder geradezubiegen. Aber bisher sitzen wir nur in diesem Motelzimmer rum und drehen Däumchen.«

»Quinton hat uns aus gutem Grund hergebracht.«

Natürlich verteidigt Elsie meinen Bruder. Sie ist der größte VanQuish-Fan auf dem gesamten Planeten. Spezialagentinnen und -agenten sind quasi die Superhelden der übernatürlichen Welt, und es gibt keine größere Nummer als VanQuish – das Team aus Quinton Peters und Maria van Helsing. Hätte mein Bruder seine Partnerin hier und nicht bloß seine kleine Schwester, wäre er da draußen jetzt nicht allein. Aber Harlowe hat Maria wegen nichts und wieder nichts verhaften lassen.

»Für uns ist es gerade zu unsicher«, spricht Elsie weiter. »Hast du schon vergessen, dass Harlowe uns in die Abgrundtiefen werfen wollte? Oder dass Dylan versucht hat, uns beide abzufackeln, bevor das Vanderbilt-Hotel dran glauben musste?«

»Quinton ist doch derjenige, der mir eingebläut hat, immer weiterzukämpfen«, entgegne ich. »Nicht einfach die Waffen zu strecken und aufzugeben. Aber klar, wenn das ernst gemeint gewesen wäre, dann hätte er mich mitgenommen.«

Erst als Jayden eine Augenbraue hebt, merke ich, dass ich den letzten Teil versehentlich auch laut gesagt habe.

»Ach, deswegen bist du so mies drauf. Weil er dich wie’n Baby behandelt, obwohl du gedacht hast, dass er dich zu seiner Partnerin macht.«

Ich schmolle ein bisschen. »Vielleicht?«, gebe ich dann zu.

»Was nicht ist, kann ja noch werden«, sagt Elsie. »Die ganze Sache ist nicht mal vierundzwanzig Stunden her. Und du und ich haben schon genug Pläne ausgeheckt, um zu wissen, wie viel Zeit man dafür braucht. Vor allem für die Aufgabenverteilung. Wahrscheinlich will er sich nicht um unsere Sicherheit sorgen, während er unseren nächsten Zug ausbaldowert.« Sie grinst. »Aber ich versteh dich total. Wenn eins meiner Experimente schiefläuft, muss ich es auch direkt noch mal versuchen.«

Ich stütze das Kinn auf die Hände und seufze erneut. »Ihr habt ja recht … Aber das ist echt schwer. Sorry, dass ich gerade so unausstehlich bin.«

Jayden zuckt bloß die Schultern.

Elsie macht eine wegwerfende Handbewegung. »Kein Problem. Rede einfach mit deinem Bruder, wenn er wiederkommt. Ich wette, er hatte einen guten Grund dafür, dich hierzulassen.«

In meiner Tasche vibriert es, und ich hole das langweilige Klapphandy raus, das Quinton uns allen gegeben hat. Den Apps auf meinem Smartphone trauere ich immer noch hinterher, aber dafür kann dieses Ding angeblich nicht geortet werden.

Neue Nachricht von Q:

Bin auf dem Rückweg

Ich zeige Jayden und Elsie die Nachricht. »Da kann ich deinen Rat wohl direkt umsetzen.«

»Sag ihm, er soll was zu futtern mitbringen«, meint Jayden. »Ich hab mega Kohldampf.«

Ich werfe einen Blick zu dem Haufen leerer Chipstüten auf dem Bett. »Alter, du stopfst dich doch mit Doritos voll, seit wir angekommen sind.«

Er stöhnt. »Chips sind gut, aber Burger sind viel besser.«

»Ein Burger klingt wirklich nicht schlecht«, sagt Elsie.

Doch bevor ich die Essensbestellung aufgeben kann, vibriert mein Handy noch einmal.

Neue Nachricht von Q:

Kleine Vorwarnung: Momma schaut nach der Arbeit vorbei

Momma besucht uns? Es ist schon nach zehn Uhr abends. Was, wenn ihr jemand folgt?

Ich versuche, mich zu entspannen. Quinton würde sie auf keinen Fall auch nur in die Nähe des Motels lassen, wenn er nicht wüsste, dass es sicher ist. Da meldet sich eine andere, drängendere Sorge. Gestern Nacht haben Dylan und ich in der letzten Runde des Spiels der Magier erbittert gekämpft. Und ich habe nicht nur verloren, sondern sah auch dementsprechend aus. Zum Glück war Momma nicht da, als ich nach Hause gekommen bin.

Die zerfetzten Klamotten habe ich mittlerweile gewechselt und meine Haare von Gras und Dreck befreit. Die Kratzer an Händen und Unterarmen habe ich mit dem Eile-Heile-Gel aus dem Erste-Hilfe-Set behandelt.

Mein Kinn allerdings ziert immer noch ein fieser Schnitt. Gegen den konnte das Gel nicht viel ausrichten. Laut Fläschchen brauchen tiefere Wunden bis zu vierundzwanzig Stunden, um vollständig zu verschwinden.

»Alles klar bei dir?« Jayden mustert mich.

Ich deute auf den Schnitt. »Momma ist auf dem Weg hierher, und die kriegt garantiert die Krise, wenn sie mich so sieht.«

Er verzieht das Gesicht. »Yo, wenn’s um ihre Kleine geht, versteht Ms. P keinen Spaß.«

Ich schnappe mir das Eile-Heile-Gel aus dem Schrank und steuere in Richtung Bad.

Elsie folgt mir. »Auf dem Fläschchen steht, dass man nicht zu viel verwenden darf.«

»Ich habe nicht das Spiel der Magier überlebt, nur damit Momma mich jetzt umbringt.« Ich schließe die Tür hinter mir.

»Sei einfach vorsichtig«, ruft Elsie.

»Klar.«

Der Spiegel hier drin ist schmutzig und die Lampe eine Funzel. Nicht die beste Kombination, trotzdem beäuge ich mich lange. Wie ich das Gesicht auch drehe und wende, der Schnitt ist nicht zu übersehen.

Hätte ich meine Illusionen noch, wäre das kein Problem. Mit einem Fingerschnippen könnte ich mein Äußeres nach Belieben verändern. Doch die Niederlage im Spiel der Magier hat mich nicht nur die Krone gekostet – Dylan hat mir auch meine Magie genommen. Beim Gedanken daran fühle ich mich irgendwie unvollständig.

Noch einmal lese ich die Warnung auf der Rückseite des Fläschchens.

Achtung: Übermäßiger Gebrauch kann zu unerwarteten Nebenwirkungen führen.

Das genügt fast, damit ich mir die Sache anders überlege … zumindest, bis mein Blick wieder auf mein Kinn fällt. Mommas Beschützerinstinkt ist sogar noch ausgeprägter als Quintons. Wenn sie glaubt, dass ich verletzt wurde, sagt sie meinem Bruder vielleicht, er soll mich wegsperren, nur damit ich außer Gefahr bin. Und ich habe schon genug herumgesessen. Ich muss da raus und helfen.

Ich kippe mir ein wenig Gel auf den Finger. Plötzlich wird mir schwindelig. Ich blinzle. Vor meinen Augen ist alles so verschwommen, dass ich mich am Waschbecken festhalten muss, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Da höre ich auf einmal eine Stimme. Sie ist ganz leise, kaum mehr als ein Flüstern. »… wird für ihre Taten bezahlen.«

Ich wirble herum, untersuche jeden Zentimeter des winzigen Badezimmers. Angeschlagene Fliesen an den Wänden. Eingerissener Duschvorhang. Toilette mit kaum funktionierender Spülung.

Außer mir ist niemand hier.

Aber das kann mein wummerndes Herz trotzdem nicht beruhigen.

Denn ich weiß, wem diese Stimme gehört. Ich würde sie immer und überall wiedererkennen.

Dylan van Helsing.

2

Als es an der Badezimmertür klopft, erschrecke ich mich beinahe zu Tode. »W-wer ist da?«

»Ähm, deine beste Freundin?«, erklingt Elsies Stimme durch das Holz. »Bist du bald fertig? Ich muss dir was zeigen.«

Es ist nur Els. Ich schließe die Augen und versuche, mich zu beruhigen. »Die Tür ist offen.«

Elsie stürmt rein und pflanzt sich auf den Badewannenrand. »Sorry, wenn ich störe, aber das musst du dir angucken.« Sie streckt den Arm aus. Dunkle Schuppen legen sich über ihre Haut. Drachenschuppen. »Ich habe geübt …« Sie verstummt, als unsere Blicke sich begegnen. »Amari, deine Aura ist quasi neongelb.«

Ich kenne Elsie schon lange genug, um zu wissen: je greller die Aura, desto intensiver das Gefühl. Sie sieht, wie panisch ich bin.

Trotzdem spiele ich es herunter. »Ach, halb so wild. Erzähl mir von deiner Verwandlung.«

»Irgendwas macht dir eindeutig zu schaffen«, erwidert sie. »Raus mit der Sprache.«

Am liebsten würde ich so tun, als wäre nichts passiert. Aber Geheimnisse vor Elsie zu haben, hat sich noch nie ausgezahlt. Also hole ich tief Luft. »Kurz bevor du reingekommen bist, dachte ich, ich hätte was gehört. Eine Stimme – seine Stimme.«

Einen Moment lang wirkt Elsie verwirrt, dann reißt sie die Augen auf. »Dylans?«

Ich schlucke schwer und nicke. »Schräg, oder?«

»Ich würde es eher gruselig nennen.« Elsie schaudert. »Bist du dir sicher? Was hat er gesagt?«

»Dass ich für meine Taten bezahlen werde oder so. Unnötige Drohung irgendwie, immerhin hat er schon mehrfach versucht, mich umzubringen.« Mein Blick wandert zum zerbrochenen Eile-Heile-Gel-Fläschchen im Waschbecken. Anscheinend habe ich es fallen lassen. »Das hat mir echt Angst eingejagt.«

Auch Elsie bemerkt die Scherben. »Offensichtlich … Aber vielleicht gibt es eine Erklärung dafür.« Sie gibt etwas in ihren Laptop ein, den sie aktuell überall mit sich herumträgt, und beugt sich näher zum Bildschirm. »Ich wusste es! Ich bin auf der Website des Herstellers.« Sie liest vor. »›Bitte wenden Sie das Eile-Heile-Gel immer genau nach Packungsanweisung an. Achtung: Der übermäßige Gebrauch kann zu unerwarteten Nebenwirkungen führen, darunter vorübergehende, aber extrem schlaffe Tränensäcke, Kaninchenfellflecken, Halluzinationen …‹«

»Bloß, dass ich das Gel gar nicht benutzt habe«, unterbreche ich sie. »Mir ist vorher schon schwindelig geworden.«

Elsie runzelt die Stirn. »Hat Dylan schon öfter per Gedankenübertragung mit dir kommuniziert?«

Ich schüttle den Kopf. »Er hat immer Technomagie benutzt – Nachrichten aufs Handy, sein Gesicht auf meinem Fernseher und so weiter.«

»Dann hat er entweder einen neuen Weg gefunden, mit dir in Kontakt zu treten, oder …«

»Oder was?«

»Oder du hattest eine Panikattacke. Du bist schon den ganzen Tag neben der Spur.«

»Soll das etwa heißen, ich habe mir alles nur eingebildet?«

Sie zuckt die Achseln. »Du bist der stärkste Mensch, den ich kenne, aber du machst dir selbst viel zu viel Druck. Außerdem wären wir gestern fast gestorben. Es ist okay, wenn mal nicht alles okay ist.«

Darauf fällt mir nichts ein, außer: »Für eine Panikattacke habe ich keine Zeit.«

»So funktioniert das aber nicht«, meint Elsie. »Wahrscheinlich sollten wir Quinton davon erzählen, sobald er zurückkommt.«

»Auf keinen Fall«, protestiere ich. Und ehe sie etwas einwenden kann, schiebe ich hinterher: »Wenn es noch mal passiert, dann klar, sofort. Aber bloß wegen einem komischen Aussetzer soll er mich jetzt nicht anders behandeln. Können wir das bitte erst mal für uns behalten?«

»Dafür muss man sich doch nicht schämen.«

»Bitte.«

»Na schön. Aber nur dieses eine Mal.«

»Gut.«

Es klopft wieder, und als ich mich umdrehe, steckt Jayden den Kopf durch die offene Tür.

»Quinton ist da. Will kurz mit uns quatschen, bevor Ms. P kommt.« Sein Blick wandert zwischen uns hin und her. »Alles cool bei euch?«

Elsie schaut zu Boden.

»Alles cool«, sage ich schnell. »Uns geht’s gut.«

»Cool. Aber das mit dem Kratzer war wohl nix, was?«

»Nope«, antworte ich.

»Trotzdem süß.«

Meine Wangen werden heiß.

Jayden erstarrt und wirkt, als würde er am liebsten im Boden versinken. »Ähm, also … so ganz allgemein natürlich«, stammelt er. »So wie … Wow, echt süßer Baum da drüben. Verstehst du?«

Ich hebe eine Augenbraue. Hat der Typ mich gerade mit einem Baum verglichen?

Elsie muss sich das Grinsen verkneifen. »Gucken wir nach, was Quinton will.«

Mein Bruder steht in einer Ecke des Motelzimmers über zwei Laptops gebeugt. Obwohl ich immer noch sauer bin, dass er mich nicht mitgenommen hat, breitet sich unwillkürlich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Nach eineinhalb Jahren im Tiefschlaf wegen dieses grässlichen Fluchs ist mein großer Bruder wieder hellwach.

Allerdings wirkt er nicht gerade glücklich.

Ich räuspere mich. »Noch mehr schlechte Nachrichten?«

Ohne aufzublicken, nickt Quinton. »Ein Bild vom Angriff auf das Vanderbilt-Hotel gestern Nacht kursiert online. Und zwar nicht nur im Übernet, sondern auch in den sozialen Medien der bekannten Welt. Irgendwer – wahrscheinlich jemand von den Wachen – hat ein richtig gutes Foto von Dylan geschossen, direkt nach dem Brandanschlag.«

»Was, auch im normalen Internet?«, hake ich nach. Die übernatürliche Welt geheim zu halten, ist schließlich der gesamte Sinn und Zweck der Oberbehörde. Menschen kommen in der Regel nicht allzu gut klar mit Dingen, die sie nicht verstehen. Und eben das macht die Wachen so gefährlich. Sie sind vielleicht nur gewöhnliche Menschen, hegen jedoch den Verdacht, dass es Magie und das Übernatürliche wirklich gibt – und versuchen es tagein, tagaus zu beweisen. Auch wenn die allermeisten Leute aus der bekannten Welt das Feuer für einen schrecklichen Unfall halten, der Ort des Geschehens hat garantiert alle Wachen in ganz Atlanta aufhorchen lassen.

»Die Oberbehörde löscht das Foto natürlich, sobald es irgendwo gepostet wird«, berichtet Quinton weiter. »Und streut das Gerücht, dass es aus einem neuen Film stammt, also nicht real ist. Aber selbst wenn sich die bekannte Welt überzeugen lässt: Alle Übernatürlichen kennen Dylans Gesicht und fragen sich bestimmt, wer die anderen auf dem Foto sind.«

»Die anderen?«, erkundigt sich Elsie.

Quinton winkt uns zu sich, dann dreht er einen der Laptops herum.

Elsie schnappt nach Luft, Jayden schüttelt den Kopf. Ich schaudere, und mein Herz fängt an zu rasen. Auf dem Bildschirm schwebt Dylan mit finsterem, flammenerleuchtetem Gesicht über dem Inferno. Doch er ist nicht allein. Links und rechts neben ihm fliegen unzählige Frauen und Männer in leuchtend roten Umhängen. Magierinnen und Magier aus der Allianz, die Dylan anführt, seit er das Spiel der Magier und damit Vladimirs Krone gewonnen hat.

»Die versuchen nicht einmal, sich zu verstecken«, meint Elsie. »Alle sollen wissen, wer für das Feuer verantwortlich ist.«

»Das ist eine Kriegserklärung«, sage ich leise. »Der Kampf, den Dylan immer wollte.«

Jayden verschränkt die Arme. »Dann hat Harlowe gerade größere Probleme als uns.«

Quinton nickt. »Das Foto trendet schon auf Örg, morgen ist es die größte Story in der übernatürlichen Welt. Dylan van Helsing als Anführer einer Magierarmee – ein schlimmeres Horrorszenario kann man sich kaum vorstellen. Und ein direkter Angriff auf die Oberbehörde, ohne sich darum zu scheren, ob er unsere Welt enttarnt … Da sind die Rufe nach Vergeltung vorprogrammiert. Aber das spielt uns vielleicht sogar in die Karten. Jayden hat recht, Harlowe wird sich voll und ganz auf Dylan und die Magierallianz konzentrieren müssen.«

»Und was machen wir?«, frage ich.

»Wir suchen uns so schnell wie möglich einen sichereren Unterschlupf«, antwortet Quinton. »Wo die Oberbehörde uns niemals vermuten würde. Ist zwar alles sehr kurzfristig, aber ich habe ein paar alte Freunde kontaktiert. Ich möchte nicht an die große Glocke hängen, dass ich wieder wach bin. Wenn Harlowe so rachsüchtig ist, wie du gesagt hast, darf ich ihr nicht noch einen Grund liefern, Maria gegen uns zu verwenden. Also wird es am Ende vielleicht ein Ort, der nicht ganz ideal ist. Sobald wir dort sind, schmieden wir einen Plan, wie wir die Oberbehörde aus Harlowes Klauen befreien.«

»Was ist mit der Magierallianz?«, will ich wissen. »Sind die nicht die viel größere Bedrohung? So schrecklich Harlowe auch ist, immerhin zündet sie keine Gebäude an.«

»Prinzipiell hast du recht«, meint Quinton. »Aber wir vier können es nicht mit der gesamten Allianz aufnehmen – das sind Hunderte Magierinnen und Magier. Um die Kontrolle über die Oberbehörde zurückzugewinnen, müssen wir dagegen nur Harlowe das Handwerk legen. Sobald das geschafft ist, können wir den Zeitstillstand beenden und Merlin, den wahren Präsidenten, befreien. Mit ihm an unserer Spitze haben wir eine eigene Armee, um uns der Allianz entgegenzustellen.«

Seine Erklärung ergibt Sinn. Ich habe Merlins gewaltige Macht schon gespürt, also weiß ich, was für einen Unterschied es machen würde, ihn an unserer Seite zu haben. Aber während wir damit beschäftigt sind, Harlowe in die Falle zu locken, könnten noch mehr Unschuldige verletzt werden. Vor allem, wenn Dylan nicht einmal versucht, unauffällig zu sein.

»Ähm, Leute?«, sagt Elsie plötzlich. »Das solltet ihr euch anschauen.«

»Was?«, fragt Quinton.

»Ich kriege gerade eine Örg-Benachrichtigung nach der anderen. Anscheinend bin ich in einem Beitrag von der Flüsterpost getaggt worden, diesem, ähm, Klatschblatt. Quinton, ich … ich glaube, es ist kein Geheimnis mehr, dass du wach bist.«

Ich spähe über Elsies Schulter auf den Bildschirm, während sie vorliest:

Flüsterpost Haken

vor 1 Minute

Pst, habt ihr schon gehört? Ein gewisses Foto hat die gesamte übernatürliche Welt in Aufruhr versetzt. Dylan van Helsing? Unbekannte Magierinnen und Magier? Feuer im Vanderbilt-Hotel? Viele realisieren jetzt wahrscheinlich, dass ihre Familien nicht sicher sind. Wer weiß, was das nächste Ziel ist? In Zeiten wie diesen braucht es Helden … und rein zufällig ist gerade die QUINTessenz eines solchen Helden zurückgekehrt.
Quishfrage: Wer könnte es wohl sein? Das habt ihr natürlich nicht von uns …

Quinton schüttelt den Kopf. »Eigentlich dürfte das niemand wissen. Ich war vorsichtig.«

»Aber da geht es doch eindeutig um dich, oder?«, fragt Elsie. »Warum sollten sie sonst so was wie ›Quishfrage‹ schreiben? Das spielt doch auf jeden Fall auf VanQuish an.«

»Das war definitiv kein Tippfehler«, pflichte ich ihr bei. »Sie wollten sogar besonders schlau sein und haben auch das ›QUINT‹ in Quintessenz großgeschrieben.« Mein Blick wandert von Elsie zu meinem Bruder. »Könnte dich jemand gesehen haben?«

»Ich bin immer teleportiert, und meine Kontakte würden mich nie an irgendein Klatschblatt verraten.«

Elsie tritt an die Vorhänge und lugt hinaus. »Dann beobachtet uns womöglich jemand.«

Quinton dreht den zweiten Laptop herum. Darauf sind Überwachungsvideos von jedem Winkel des Motels zu sehen, sogar vom Parkplatz. »Wenn irgendwer auch nur in die Nähe dieses Zimmers gekommen wäre, hätte sofort ein Alarm losgeheult, und wir wären wegteleportiert.«

»Vielleicht haben sie sich reingeschlichen«, meint Jayden. »So wie die Mäuse bei mir zu Hause. Da kann ich machen, was ich will, die Viecher sind so klein, die passen überall durch.« Er zuckt die Achseln. »Und Übernatürliche gibt’s in allen Größen.«

Wir werden still und schauen uns um.

»Der Beitrag ist erst ein paar Minuten alt«, sagt Elsie. »Wenn das stimmt, könnte er oder sie noch hier sein.«

Kaum hat sie zu Ende gesprochen, quiekt und rumst es unter einem der Betten. Quinton reagiert als Erster, aber seine Bewegungen sind langsam und irgendwie steif. So fit er auch aussieht, sein Körper hat sich offensichtlich noch nicht ganz vom langen Liegen erholt.

Jayden erreicht das Bett vor ihm und krabbelt darunter. »Keiner da.«

Elsie lässt sich ebenfalls zu Boden fallen. »Da in der Wand ist ein Loch!«

Ihre Worte erinnern mich an meine Einsatzübung mit Agent Magnus. Mir kommt eine Idee. »Leben flügellose Feen auch in Motels?«

Mein Bruder nickt. »Eigentlich in jedem größeren Gebäude. Motels, Hochhäusern, Schulen …« Plötzlich begreift er, was ich damit andeuten will. »Hinter der Rezeption ist ein Putzraum. Das ist wahrscheinlich der Zugang …«

Schon bin ich aus der Tür und hetze die Treppe hinunter bis zu besagtem Putzraum. Der ganz zufällig von einem Besenstiel offen gehalten wird. Außerdem ist das Licht an.

Vorsichtig betrete ich ihn, und prompt kommt ein glitzerndes Männchen aus dem Lüftungsschacht gestolpert. Auf seinen Rücken ist ein Handy geschnallt, das genauso groß ist wie er. Mit dem braunen Trenchcoat und dem dazu passenden Filzhütchen sieht er aus wie ein Detektiv aus einem alten Film. Er wirkt ungemein zufrieden mit sich selbst.

Bis er mich bemerkt.

»Scheiße«, stöhnt er.

»Tja.« Ich schnalze mit der Zunge. »Erwischt.«

3

Das Männchen will wieder im Lüftungsschacht verschwinden, aber das Gewicht des Handys bremst ihn. Ich packe ihn und mache mich auf den Weg zurück in unser Zimmer.

»Loslassen!«, quiekt er. »Bist du nicht die gute Magierin? Ein guter Mensch würde doch keine unschuldige Fee entführen.«

»Und eine unschuldige Fee würde niemanden ausspionieren«, gebe ich zurück.

Er verschränkt die Ärmchen mit einem »Hmpf«.

Zurück im Zimmer präsentiere ich ihn den anderen. »Hab unseren Schnüffler gefunden.«

»Columbo?« Quinton schüttelt den Kopf. »Seit wann arbeitest du denn für die Klatschpresse?«

»Du kennst den Typen?«, frage ich.

Mein Bruder nickt. »Der gute Columbo hier war früher ein renommierter Journalist für den Klammheimlichen Kurier

»Heutzutage will niemand mehr richtige Nachrichten«, verteidigt sich Columbo. »Alle wollen nur Klatsch und Tratsch – vor allem, wenn er bestätigt, was sie ohnehin schon glauben. Und eine geschäftstüchtige Fee wie ich geht dahin, wo das Geld ist.«

Jayden runzelt die Stirn. »Klingt für mich aber nach ’nem Downgrade.«

Columbo grummelt. »Schön und gut, ihr habt mich ertappt. Aber jetzt lasst mich wenigstens runter, damit wir uns unterhalten können wie vernünftige Erwachsene.«

Alle Blicke richten sich auf meinen Bruder – er ist der einzige Erwachsene hier.

»Okay«, meint Quinton.

Ich setze Columbo auf dem Tisch ab, und wir postieren uns ringsum, damit er nicht noch einmal abhauen kann. Quinton schnappt sich das Handy. »Das nehme ich.«

Von seiner Last befreit, zieht Columbo den Mantel aus. Darunter trägt er ein winziges Hemd mit Krawatte. An seinem Rücken entfalten sich schimmernde Flügel, die ihn gleich viel freundlicher wirken lassen, obwohl er mich stinkwütend anfunkelt.

Er fängt an, hin und her zu tigern. »Zunächst einmal möchte ich betonen: Auch wenn ihr euch darüber ärgert, fachmännisch ausgeschnüffelt worden zu sein, ich habe kein Gesetz gebrochen. Schließlich genießen Feen Sonderrechte, die es uns erlauben, die Gangsysteme hinter den Wänden zu benutzen.«

Ich denke an meine Einsatzübung zurück. »Du meinst wohl flügellose Feen. Und das auch nur, weil es ihr Zuhause ist.«

Mein Einwand scheint Columbo tierisch zu nerven. »Wann bist du eigentlich so eine Klugscheißerin geworden, hm?«

»Ich bin immer noch Agent«, mischt Quinton sich wieder ein. »Ich könnte dich wegen widerrechtlichen Betretens und Hausfriedensbruchs festnehmen. Für so was landest du zwar nicht im Blackstone, aber ich könnte dafür sorgen, dass du deine Aufenthaltsgenehmigung für die bekannte Welt verlierst. Viel Glück beim Schnüffeln, wenn du keine Menschenstädte mehr betreten darfst.«

Columbo wird blass. »H-hey, hey, wir finden doch bestimmt eine andere Lösung …«

»Ich höre?«

»Ich habe euer Gespräch vorhin mitbekommen. Ihr seid nicht so sicher, wie ihr vielleicht denkt. Vor allem die zwei nicht.« Er dreht sich zu Elsie und mir.

»Was soll das heißen?«, hakt Elsie besorgt nach.

»Sagen wir mal, wir von der Flüsterpost haben unsere Leutchen überall, deshalb wissen wir in der Regel vor dem gemeinen Volk Bescheid. In diesem Fall betreffen meine Infos euch hier. Und wenn ihr mir etwas Gutes anzubieten habt, lasse ich mich eventuell zu einem Tauschgeschäft überreden.«

»Wie wär’s damit, dass du deine Aufenthaltsgenehmigung für die bekannte Welt behalten darfst?«, frage ich. »Und nicht ins Gefängnis wanderst.«

Die Fee hebt die Hände. »Und wenn ich noch was drauflege? Ich kann der ganzen Quinton-ist-zurück-Geschichte, die ich vorhin angeteasert habe, einen Riegel vorschieben. Ansonsten erscheint in einer Stunde ein Folgebeitrag darüber, dass Quinton Peters aufgewacht und zusammen mit Amari Peters und Elsie Rodriguez untergetaucht ist. Schön blöd von mir, dass ich dich in der Eile beim falschen Post verlinkt habe. Andernfalls hättet ihr mich nie erwischt.«

»Glaubst du echt, du kannst die Story noch aufhalten?« Elsie wirkt skeptisch. »Nachdem du schon so deutlich gemacht hast, dass es um Quinton geht?«

Columbo zuckt die Schultern. »Ich erzähle meiner Chefin einfach, dass ich mich geirrt habe. Das ist ja das Gute an Klatsch – wenn es am Ende doch nicht stimmt, tja, dann war’s eben nur Klatsch.«

»Einverstanden«, meint Quinton. »Im Gegenzug bekommst du mein erstes Exklusivinterview, wenn ich meine Rückkehr tatsächlich verkünde. Aber nur, wenn deine Infos es wert sind.«

Columbo grinst. »Oh, aber so was von.«

»Gut«, sagt Quinton. »Dann haben wir einen Deal.«

»Großes Feenehrenwort?« Columbos Flügel leuchten auf.

»Großes Feenehrenwort«, bestätigt mein Bruder.

Columbo verneigt sich. »Ist mir immer wieder eine Freude, mit dir Geschäfte zu machen.« Er winkt uns näher heran und senkt die Stimme zu einem Flüstern. »Angeblich hat unsere neue Präsidentin Bane aus dem Amt vertrieben, weil sie ihm nicht die Lorbeeren für den Sieg über die Magierschaft im anstehenden Krieg überlassen wollte. Harlowes Name soll in die Geschichtsbücher eingehen.«

Quinton wirkt unbeeindruckt. »Nach allem, was ich gehört habe, ist Harlowes aufgeblasenes Ego jetzt keine Überraschung.«

»Dann zieh dir das mal rein: Als erste offizielle Amtshandlung will unsere feine Faunin Amari Peters und Elsie Rodriguez als Sympathisantinnen der Magierallianz entlarven. Sie wird behaupten, dass die beiden Dylan von Anfang an geholfen haben, und sie zu Feindinnen der übernatürlichen Welt erklären.«

Quinton lässt sich dumpf auf einen Stuhl fallen.

Ich drehe mich zu Elsie. Sie sieht aus, als hätte sie der Schlag getroffen. Nur Jayden wirkt genauso verwirrt wie ich.

Ich schlucke. »Feindinnen der übernatürlichen Welt … Ist das so schlimm, wie es klingt?«

»Es ist das schwerste Verbrechen in unserer Welt«, antwortet Quinton. »Da gelten keine Regeln mehr. Weltweite Großfahndung – sämtliche Agentinnen und Agenten durchkämmen ihre Städte nach euch. Selbst die Behörden der bekannten Welt werden einbezogen, weil eure Festnahme sogar das Risiko aufwiegt, enttarnt zu werden. Eure Gesichter erscheinen in allen Nachrichtensendungen. Und ihr landet auf der Fahndungsliste des FBI. Vielleicht bestellen sie sogar Momma ein, um sie zu befragen.«

Darauf fällt mir nichts mehr ein. Ich komme mir so dumm vor. Habe ich wirklich gedacht, Harlowe würde Elsie und mich einfach vergessen? Durch Dylans Angriff war sie zwar kurzfristig abgelenkt, aber sie könnte niemals die einzigen beiden Leute, die über ihre Gedankenkontrolle Bescheid wissen, frei herumlaufen lassen. Sie ist hinter uns her und zu allem bereit, um uns zum Schweigen zu bringen. Selbst wenn sie uns dafür als Schwerverbrecherinnen darstellen muss.

Quinton spricht weiter: »Harlowe fährt eine Kampagne gegen uns, damit die Öffentlichkeit uns für Verräter hält, wenn wir irgendwann erwischt werden. Dann klingt alles, was wir über sie sagen – dass sie die Oberbehörde mit ihrer magischen Fähigkeit kontrolliert –, wie der verzweifelte Versuch, uns aus der Affäre zu ziehen.«

Elsie schlägt die Hände vors Gesicht. »Das ist schrecklich!«

»Schrecklich hoch zehn«, hauche ich. »Was sollen wir jetzt machen?«

Quinton setzt gerade zu einer Antwort an, da heult ein Alarm los, erst auf seinem Laptop, dann auf dem Handy. Scheinwerferlicht fällt durchs Fenster, und für den Bruchteil einer Sekunde fürchte ich, dass gleich die gesamte BüV hereinstürmt.

Columbo nutzt die Gunst der Stunde, um an mir vorbeizuhechten und wieder in der Wand unter dem Bett zu verschwinden.

Jayden will ihm schon hinterher, doch mein Bruder schüttelt den Kopf.

»Ich weiß, wer das ist.« Er schaut mich an. »Momma ist hier.«

4

Falls Momma merkt, wie geschockt wir noch sind, zeigt sie es nicht. Kaum hat sie Quinton entdeckt, rennt sie auf ihn zu und schlingt lachend und weinend die Arme um ihn.

»Ich habe jeden Abend für diesen Moment gebetet.« Sie schnieft. »Es ist wie ein Wunder, dich wieder bei uns zu haben.«

Quinton holt tief Luft und drückt sie. Es fällt ihm garantiert nicht leicht, Columbos Worte zu verdauen, aber er zwingt sich zu lächeln. »Ich freue mich auch, Momma.«

»Was ist passiert? Wie bist du auf einmal aufgewacht?«

»Das habe ich Amari zu verdanken«, antwortet Quinton. »Sie hat mich nie aufgegeben.«

Ich umarme beide gleichzeitig. Bei meiner Familie zu sein, gibt mir trotz aller Sorgen und Ängste gerade ein sicheres Gefühl. Auch wenn ich tief im Inneren weiß, dass ich ganz und gar nicht sicher bin.

Momma lässt zuerst los und wischt sich die Augen. »Ach, du meine Güte. Jayden und Elsie! Euch habe ich ja gar nicht gesehen.« Sie lacht kurz auf, verstummt jedoch schnell wieder.

Weil die beiden völlig verstört wirken. Sie versuchen nicht einmal, es zu überspielen.

»Kinder … Alles in Ordnung bei euch?«

»Nope, nicht wirklich«, meint Jayden.

Hastig schiebt Elsie hinterher: »Kümmern Sie sich nicht um uns. Das ist ein glücklicher Moment für Sie und Ihre Familie.«

Verwirrt wendet Momma sich mir zu. Ich will ihrem Blick ausweichen, aber sie hebt mein Kinn, sodass ich sie anschauen muss, scannt mein Gesicht, bis ihr der Schnitt ins Auge fällt. »Babygirl, bist du etwa verletzt?«

Meine Unterlippe zittert. Ich beschwöre mich, nicht zu weinen, aber das mit der Feindin der übernatürlichen Welt bringt das Fass zum Überlaufen. Unsere Situation wird einfach immer schlimmer, und ich habe keine Ahnung, was ich dagegen unternehmen soll. Ich komme mir so machtlos vor.

Plötzlich brechen sich die angestauten Gefühle Bahn, und ich heule wie ein Schlosshund. Alle starren mich verunsichert an.

Jetzt wirkt Momma richtig besorgt. »Kann mir bitte mal jemand erklären, was hier los ist?«

Quinton antwortet: »Amari und Elsie stecken in Schwierigkeiten.«

»Was für Schwierigkeiten?«

»Schlimme. Ist eine lange Geschichte, aber …«

Momma unterbricht ihn: »Ich will jedes Detail hören. Und zwar pronto.«

Vielleicht liegt es an ihrem Tonfall, aber auf einmal erscheint mir mein dreiundzwanzigjähriger Bruder wieder wie ein Kind. Er wendet sich an mich. »Vielleicht erzählst du es ihr besser selbst?«

Ich verstehe seinen Vorschlag. Schließlich ist es meine Geschichte. Ich war als Einzige von Anfang bis Ende dabei. Also berichte ich Momma von den vergangenen Wochen – wie die Zeit angehalten wurde, wie wir uns gegen Harlowe behaupten mussten, wie ich die letzte Runde im Spiel der Magier und damit auch meine Magie verloren habe. Und wie tief wir tatsächlich in der Tinte sitzen.

Nun müsste Momma eigentlich genauso Blut und Wasser schwitzen wie wir. Aber das tut sie nicht. Stattdessen guckt sie seltsam entschlossen.

»Okay, ihr vier, das reicht jetzt!« Sie stemmt die Hände in die Hüften. »Ihr benehmt euch, als hättet ihr schon verloren.«

Wir wechseln verwirrte Blicke. Mit dieser Reaktion hat wohl niemand von uns gerechnet.

Momma fährt fort: »Zugegeben, ich bin nicht so vertraut mit der übernatürlichen Welt, wie ich es sein sollte mit zwei Kindern in der Oberbehörde – das Ganze ist ein bisschen viel für mich. Aber sogar ich weiß, dass alle in diesem Raum schon brenzligen Situationen getrotzt haben. Oder etwa nicht?«

Jayden will schon die Hand heben, lässt sie jedoch schnell wieder sinken.

»Wir kommen da nur wieder raus, wenn wir an uns glauben.« Momma wendet sich an Quinton. »Hast du einen Plan, wie es weitergeht?«

Er nickt. »Ich habe einen Unterschlupf für uns. Nicht meine erste Wahl, aber sollte reichen. Wir müssen so bald wie möglich los. Wenn die Nachricht sich verbreitet, sind wir nirgendwo mehr sicher. Und … du auch nicht, Momma.«

»Ich?« Sie runzelt die Stirn. »Wie meinst du das?«

»Sobald Amari zur Feindin der übernatürlichen Welt erklärt wurde, darf die Oberbehörde alles tun, um sie zu finden. Die Gesetze, die die Mitglieder der bekannten Welt normalerweise schützen, gelten dann nicht mehr. Sie könnten versuchen, über dich an Amari ranzukommen.«

Momma bemüht sich um eine gefasste Miene, schaudert jedoch leicht. »Was kann ich tun?«

»Komm mit uns«, sage ich.

Quinton schüttelt den Kopf. »Es war schwer genug, die Chamberlains zu überreden, uns vier zu verstecken. Eine aus der bekannten Welt nehmen sie garantiert nicht auf.«

»Und was soll Momma dann anstellen?«, frage ich.

Mein Bruder steuert auf den Schrank zu und holt einen von diesen Erinnerungszappern heraus.

Entsetzt stelle ich mich zwischen ihn und Momma. »Du darfst ihre Erinnerungen nicht löschen!«

»Meine Erinnerungen?«, haucht Momma.

»Er will deine Erinnerungen an uns löschen«, erkläre ich. »Damit du denen keine nützlichen Informationen liefern kannst, selbst wenn sie dich kriegen. Weil du dann nicht mal mehr weißt, wer wir sind.«

Momma blinzelt stumm. Quintons Schweigen bestätigt, dass ich recht habe.

»Es muss ja nicht für immer sein«, sagt Elsie.

Ich funkle sie an. »Halt dich da raus!«

»Sorry.« Elsie senkt den Blick und flüchtet sich hinter Jayden.

»Elsie hat recht«, meint Quinton. »Die Wirkung eines Erinnerungszappers kann jederzeit rückgängig gemacht werden. Wenn das alles vorbei ist, stellen wir Mommas Erinnerungen sofort wieder her.«

»Und wenn uns was passiert?«, frage ich. »Was dann? Dann lebt sie den Rest ihres Lebens, ohne zu wissen, dass es uns je gegeben hat.«

Quinton sieht mich nur an. »Ich finde das Ganze auch nicht gut, Krümel, ehrlich. Aber wir haben keine andere Wahl.«

»Mir egal.« Ich verschränke die Arme. »Ich lasse das nicht zu.«

»Es ist nicht deine Entscheidung, Babygirl«, sagt Momma leise.

Ich wirble herum. »Soll das etwa heißen, du bist dafür?«

»Ich bin für alles, was meine beiden Lieblinge beschützt, koste es, was es wolle.« Momma tupft mir die Tränen von den Wangen. »Das kannst du vielleicht gerade nicht nachvollziehen, aber, so Gott will, hältst du eines Tages dein eigenes Kind in den Armen. Und dann wirst du es verstehen.«

Was soll ich darauf erwidern? Ihr Entschluss steht fest, das verrät ihre Miene. Also entscheide ich mich für ein wütendes »Na schön, mach doch, was du willst«.

Momma nimmt meine Hand. »Sei nicht sauer auf mich – oder auf deinen Bruder. Ihr braucht einander, um diese Sache durchzustehen. Das hier ist meine Entscheidung. Niemand zwingt mich zu irgendwas.«

»Mir gefällt das nicht«, murmle ich. »Kein Stück.«

Momma legt den Arm um meine Schultern und winkt die anderen zu sich. »Kommt mal alle her.«

Wir scharen uns um sie, und Momma schaut uns der Reihe nach fest in die Augen. »Ich verlasse mich darauf, dass ihr vier aufeinander aufpasst, verstanden? Wenn ich meine Erinnerungen zurückkriege, will ich auf gar keinen Fall hören, dass irgendwem von euch etwas Schlimmes zugestoßen ist. Ihr versprecht mir jetzt, dass wir uns am Ende alle wohlbehalten wiedersehen.«

»Versprochen«, sage ich.

Auch Quinton versichert: »Du kannst auf mich zählen, Momma.«

»Elsie, Jayden, ihr seid dran.«

Elsie nickt schnell. »Ich werde da sein.«

Jayden grinst. »Hand drauf, Ms. P.«

»Gut.« Momma holt tief Luft. »Quinton, tu, was du tun musst.«

Mein Bruder drückt ein paar Knöpfe. Leise Musik ertönt. Dann richtet er den Erinnerungszapper auf Momma und betätigt den großen roten Knopf. Ihre Augenlider werden schwer.

»Renee Peters?«, fragt Quinton.

»Ja«, antwortet sie schläfrig.

»Du verspürst auf einmal den dringenden Wunsch, deine Jugendfreundin Grace auf dem Land zu besuchen – die, die dich immer auf ihre Farm einlädt.«

»Die Arme fragt jedes Jahr, obwohl sie genau weiß, dass ich nicht komme.«

»D-du …«, stottert Quinton, und sein Blick huscht kurz zu mir. »Du hast keine Kinder, und falls jemand Quinton oder Amari erwähnt, wechselst du einfach das Thema. Dasselbe gilt für Elsie und Jayden.«

Momma nickt, die Augen noch immer geschlossen. »Wenn irgendwer einen dieser Namen sagt, wechsle ich einfach das Thema.«

»Wach auf.«

Blinzelnd schlägt Momma die Augen auf und mustert uns verwirrt. »Keine Ahnung, wer ihr seid, Kinder, oder warum ich hier bin, aber ich muss unbedingt eine alte Freundin besuchen. Höchste Zeit, mir diese Hühner und Ziegen anzuschauen, von denen sie ständig redet.«

Sie steht auf und steuert in Richtung Tür.

»Momma?«, entschlüpft es mir, ehe ich es verhindern kann.

Sie hält inne und lächelt mich an. Aber es ist kein Amari-Lächeln. Kein Babygirl-Lächeln. Die Wärme fehlt. Dieser Blick, der sagt: Du und ich, wir gehören zusammen.

Schließlich meint sie: »Ich weiß nicht, wer deine Mutter ist, Schätzchen, aber ich hoffe sehr, du findest sie.« Dann ist sie aus der Tür.

»Bis ganz bald«, flüstere ich, während ich durchs Motelfenster beobachte, wie sie in ihr Auto steigt.

Obwohl dieser Krieg gerade erst begonnen hat, habe ich schon so viel verloren. Momma ist nur ein weiterer Punkt auf einer sehr langen Liste.

Ich balle die Fäuste. Ich werde das wieder in Ordnung bringen, egal wie.

Alles steht auf dem Spiel.

5

Als es Zeit ist zu schlafen, bin ich hellwach. Schwer zu sagen, ob es an allem liegt, was passiert ist, oder an Quintons leuchtendem Laptopbildschirm, auf dem er nachts die Überwachungskameras im Blick behält. Oder an Elsies gedämpftem Schnarchen neben mir im Doppelbett.

Ist auch egal – es nervt. Trotzdem schließe ich die Augen und versuche weiter, einzuschlafen.

Ich denke an die letzte Runde beim Spiel der Magier. Da habe ich eindeutig bewiesen, dass meine Zauberkraft stärker ist als Dylans. Ich habe das Wetter beherrscht, Wirbelwinde und schwarze Wolken heraufbeschworen. Auf meinen Befehl hin sind Blitze über den Himmel gezuckt. Ich hatte das Spiel so gut wie gewonnen, aber Cosmo, Treuhänder der Magierallianz, hatte andere Pläne.

Er hat verlangt, dass ich Dylan einen meiner Siegesringe gebe, und gedroht, Elsie wehzutun, falls ich mich weigere. Ich konnte mich doch nicht gegen meine beste Freundin entscheiden!

Mit meinem Ring hat Dylan am Ende drei besessen und damit das Spiel der Magier für sich entschieden. Als Preis hat er Vladimirs Krone bekommen und dazu meine gesamte Magie, bis auf einen winzigen Tropfen. Seitdem fühle ich mich ganz leer. Als würde ein Teil von mir fehlen.

Ich taste unter dem Kissen nach dem einen Siegesring, der mir noch geblieben ist. Das Silber ist kühl, und ein sanftes Prickeln von Macht durchrieselt mich. Es erinnert mich daran, wie es ist, Magie zu besitzen. Elsie meint, es wäre vielleicht noch etwas davon im Ring gespeichert, sodass man ein letztes Mal zaubern kann, aber wer weiß.

Als das Prickeln abklingt, komme ich mir wieder genauso machtlos vor wie vorher. Mit Magie war alles schon hart genug, und jetzt, ohne sie, frage ich mich, ob ich nicht nur im Weg bin.

Ich schüttle die Sorgen ab, damit ich nicht darin ertrinke. Es gibt mit Sicherheit etwas, das ich tun kann. Daran muss ich glauben. Und eventuell sollte ich Elsies Rat besser früher als später befolgen und meinem Bruder sagen, er soll mich wie eine Partnerin behandeln. Mir reicht’s, ständig die Stellung halten zu müssen.

Ich will mich gerade aufsetzen, da wird mir plötzlich schwindelig. Genau wie vorhin im Bad, als ich Dylans Stimme gehört habe. Nur werden meine Augenlider auf einmal auch ganz schwer.

Verzweifelt versuche ich zu sprechen, um Quintons Aufmerksamkeit zu erregen. Immerhin ist er nur am anderen Ende des Raums. Aber ich kann den Mund nicht bewegen, genauso wenig wie meine Arme und Beine.

Müdigkeit übermannt mich, und sämtliche Spannung weicht aus meinem Körper. Allmählich dämmere ich weg …

Im nächsten Moment stehe ich auf einem Steinbalkon und blicke über einen weitläufigen Wald. Die Sterne funkeln, der Mond strahlt hell. Eine kühle Brise streift mir kitzelnd über die Nase.

Ich erstarre. Wo bin ich? Und wie bin ich hierhergekommen?

Hinter mir herrscht Aufruhr. Ich drehe mich um und entdecke ein Meer aus leuchtend roten Umhängen. Männer und Frauen stecken flüsternd die Köpfe zusammen.

Das sind die typischen Umhänge der Magierallianz! Und ich trage auch einen. Wenn die Allianz hier ist, kann Dylan nicht weit sein. Als wir uns das letzte Mal begegnet sind, hat er versucht, mich abzufackeln.

Ängstlich ziehe ich die Kapuze über meinen Afro. Wegen meiner Haare verdeckt sie mein Gesicht nicht so gut, wie ich es eigentlich gern hätte, also halte ich den Kopf gesenkt und laufe schnurstracks auf den nächstgelegenen Ausgang zu. Ich muss schnell weg, damit mich niemand sieht. Sobald ich nicht mehr wie auf dem Präsentierteller sitze, kann ich besser überlegen, was das alles soll.

Ich schaffe keine zehn Schritte, da pralle ich schon mit jemandem zusammen – und zwar so heftig, dass ich auf den kalten Steinboden knalle.

Es dauert ein paar Sekunden, bis der Schreck nachlässt. Ich fasse mir an die pochende Schulter und verziehe das Gesicht. Aber der Schmerz ist meine geringste Sorge. Ich verfalle in Panik. Wie viele Leute haben es mitgekriegt? Was, wenn mich jemand erkennt?

Noch ehe ich mich aufrappeln kann, kniet sich ein Junge mit strubbeligem braunem Haar vor mir hin. Er ist etwas älter als ich, und seine funkelnden grünen Augen werden groß, als er mich ansieht.

»Amari Peters! Du solltest nicht hier sein«, flüstert er und schaut über die Schulter. »Das ist viel zu gefährlich für dich.«

Beim Klang meines Namens zucke ich zusammen. Ich spiele mit dem Gedanken, abzuhauen, aber weil der Junge ernsthaft besorgt wirkt, zögere ich. Er hätte längst Alarm schlagen können. Hat er aber nicht. Vielleicht kann ich ihm ja vertrauen.

»Ich habe keine Ahnung, wo hier ist«, sage ich schnell. »Was ist los?«

Er runzelt die Stirn. »Keine Zeit für Erklärungen. Nimm den.« Er zieht seinen Umhang aus und legt ihn mir noch zusätzlich zu meinem eigenen über die Schultern. Weil der Junge ein Stück größer ist als ich, verhüllt mich der Stoff fast komplett. Sehr praktisch! Unter der Oversize-Kapuze kann ich mein Gesicht wesentlich besser verstecken. 

»Lucas, was kriechst du da am Boden herum? Steh auf!«, schnauzt jemand mit rauer Stimme. »Ich lasse mich doch nicht von meinem Lehrling vor der versammelten Allianz zum Gespött machen!«

»Schon zur Stelle, Meister«, antwortet der Junge, richtet den Blick dann aber noch einmal auf mich. »Egal, was du tust, bleib unsichtbar, okay? Du hast nach wie vor Verbündete in der Allianz, auch wenn wir nicht viele sind. Komm nachher zu mir.«

Ich nicke und schaue ihm hinterher, als er sich umdreht und in der Menge verschwindet.

Mit mulmigem Gefühl stehe ich auf, aber als ich mich verstohlen umsehe, achtet niemand auf mich. Alle wirken viel zu aufgeregt, um mich zu bemerken. Während ich mir einen Weg durch das Gedränge bahne, schnappe ich hier und da Gesprächsfetzen auf. Ich habe zwar Angst, bin aber auch neugierig.

»Van Helsing verschwendet keine Zeit, so schnell, wie er uns einberufen hat …«

»So ein Treffen hatten wir seit Jahrhunderten nicht mehr …«

»Ich verstehe ja, dass er wütend ist. Aber was meint er mit ›für ihre Taten bezahlen‹?«

Mir stockt der Atem. Sie müssen das Gleiche gehört haben wie ich vorhin im Bad. Was bedeutet, dass ich gar keine Panikattacke hatte. Es war wirklich Dylans Stimme.

Aber wie bin ich hergekommen? Und wieso sollte er nicht nur der Allianz, sondern auch mir eine Nachricht übermitteln? Das ist total unlogisch. Es sei denn, ich bin nach wie vor Mitglied, obwohl ich keine Zauberkraft mehr habe.

»Tretet vor!«, ruft jemand. Es ist Cosmo. »Und schwört unserem frisch gekrönten Anführer, unserem Sieger aus dem Spiel der Magier, die Treue.«

Das Stimmengewirr wird lauter, während die Leute zur anderen Seite des Raums und durch hohe Torbögen drängen.

Ich schließe mich ihnen an, halte mich aber im Hintergrund, um die Aufmerksamkeit nicht auf mich zu ziehen. Da entdecke ich einen besonders großen Magier mit breitem Kreuz und hefte mich an seine Fersen. Ich folge ihm zu einer Treppe.

Nachdem ich die Stufen erklommen habe, erkenne ich, wo ich bin. Am Versammlungsort der Allianz, und zwar auf der Galerie, mit Sicht auf den Thron.

Ich erinnere mich, da unten im Saal gestanden und zu all den Magierinnen und Magiern in roten Umhängen hinaufgeschaut zu haben. Maria und ich hatten die Allianz um Hilfe gebeten, was aber nur dazu führte, dass man mich gezwungen hat, am Spiel der Magier teilzunehmen.

Damals ist der gewaltige Mitternachtsthron leer gewesen, heute Abend fläzt sich Dylan van Helsing darauf und lässt die Beine lässig über die Seite baumeln. Auf seinem Kopf funkelt düster Vladimirs Krone, die sämtliche Farben um sie herum trüber erscheinen lässt. Jetzt, mit meiner Zauberkraft und der Magie der Krone, ist dieser Junge der mächtigste Magier aller Zeiten.

Selbst hier oben auf der Galerie spüre ich seine Macht. Die Härchen in meinem Nacken richten sich auf, und in mir erwacht die Sehnsucht nach dem, was ich verloren habe. Ich war so nah dran, das Spiel der Magier für mich zu entscheiden. Das da unten könnte ich sein.

Dylan schaut herauf, mustert die Menge mit seinen unnatürlich roten Augen. Er wirkt unbeeindruckt. Als sein Blick in meine Richtung schweift, weiche ich weiter nach hinten, bis die Gefahr vorüber ist. Mir klopft das Herz bis zum Hals.

Cosmo räuspert sich. »Darf ich vorstellen …«

»Halt die Klappe«, unterbricht Dylan ihn und springt auf. »Die Leute wissen, wer ich bin.«

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