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Am Ufer lauert der Tod

hier erhältlich:

Eine junge Frau liegt ermordet am Flussufer. Detective Harriet Blue ist überzeugt: Der Serienkiller, der Sydney seit Monaten in Atem hält, hat wieder zugeschlagen! Harriet beginnt zu recherchieren und erkennt, dass nichts so ist, wie es scheint - und dass sie selbst mehr mit dem Mord zu tun hat, als ihr lieb ist!


  • Erscheinungstag: 01.06.2017
  • Aus der Serie: James Patterson Bookshots
  • Bandnummer: 6
  • Seitenanzahl: 120
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959677035
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Mit dem Jagen von Menschen kenne ich mich aus. Man muss vor allem verstehen, wie sie denken. Sie besitzen einen Tunnelblick und handeln zielgerichtet. Solange man sich diesem Ziel nicht in den Weg stellt und nicht auffällt, bevor man bereit ist zuzuschlagen, sind sie entspannt, und man kann ihnen dicht auf den Fersen bleiben. Man braucht nicht einmal eine besondere Tarnung. Anders als Tiere verlassen Menschen sich nicht auf ihre Sinneseindrücke. Obwohl der Wind aus meiner Richtung wehte, witterte Ben Hammond mich nicht. Durch das Geräusch, das seine Schritte auf dem Asphalt verursachten, hörte er mich nicht atmen.

Hammonds Ziel war sein neues Honda-Civic-Modell am Rande des Parkplatzes. Er hatte für nichts anderes Augen – und bemerkte nicht, dass ich hinter der Laderampe stand und von dort die Verfolgung aufnahm. Die Hände voller Tüten, die bei jedem seiner Schritte hin- und herschwangen, verließ er das Einkaufszentrum und überquerte den Parkplatz, glitt im Geiste bereits auf den Fahrersitz seines Wagens und schloss die Tür vor der mondlosen Nacht.

Ich folgte ihm mit gesenktem Kopf und hatte die Kapuze meines Pullovers tief in die Stirn gezogen, um mein Gesicht vor den Sicherheitskameras zu verbergen, die auf die wenigen noch verbliebenen Autos gerichtet waren. Ich gestattete Hammond noch, die Schlüssel aus der Tasche zu holen, damit ihr Klimpern die leisen Geräusche meiner Stiefel übertönte, während ich die letzten Schritte machte, die mich noch von meiner Beute trennten.

Ich holte ihn ein und griff an.

2. KAPITEL

„Fuck!“ Ben Hammond griff sich an die Stelle am Hinterkopf, an der ihn meine Faust getroffen hatte, fuhr herum, stolperte gegen den Wagen und ließ die Tüten fallen. Glas klirrte in einer davon. Er duckte sich und versuchte, sich kleiner zu machen. Ruckartig hob er die Hände. „O mein Gott! Was soll das?“

„Stehen Sie auf.“ Ich machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Nehmen Sie meinen Geldbeutel“, stammelte er. „Tun Sie mir n…“

„Für Überraschungsangriffe haben Sie nicht viel übrig, oder, Ben? Sie wissen, wie wirkungsvoll sie sind.“

Drei Dinge erkannte er recht schnell. Erstens, dass ich eine Frau war. Zweitens, dass dies kein Überfall war. Drittens, dass er meine Stimme schon einmal gehört hatte.

Der Mann richtete sich fast zu seiner vollen Größe auf und starrte angestrengt unter den Rand meiner dunklen Kapuze. Ich setzte sie ab und beobachtete, wie er in der grellen Beleuchtung des Einkaufszentrums die Silhouette meines Kurzhaarschnitts wahrnahm. Langsam verflüchtigte sich die Panik aus seinem Gesicht.

„Ich …“ Er straffte sich und ließ die Hände sinken. „Ich kenne Sie.“

„Richtig.“

„Sie sind diese Polizistin.“ Unsicher zeigte er auf mich und bewegte langsam den Zeigefinger hin und her, während sein Selbstvertrauen wuchs. „Sie sind diese Polizistin aus der Gerichtsverhandlung.“

„Die bin ich“, antwortete ich. „Detective Harriet Blue, und ich bin hier, um Sie zu bestrafen.“

3. KAPITEL

Ich war etwas beleidigt, weil Ben mein Name nicht so schnell einfiel, wie ich es mir erhofft hatte. Aber ich hatte ihm gerade eins über den Schädel gezogen. Die paar grauen Zellen, die in seinem Hirn herumschwirrten, brauchten wohl etwas Zeit, um sich zu erholen. Als er wegen Vergewaltigung seiner Exfreundin Molly vor Gericht gestanden hatte, hatte ich alles in meiner Macht Stehende getan, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Während ich im Zeugenstand aussagte, dass ich Molly unter der Dusche gefunden hatte, nachdem Ben sie dort zurückgelassen hatte, habe ich ihn direkt angesehen und dabei ruhig und deutlich meinen Namen genannt.

Die Beweislage war nicht eindeutig gewesen. Ben war ziemlich clever dabei vorgegangen, seiner Ex die Trennung von ihm heimzuzahlen: Er hatte sie verprügelt und vergewaltigt, war aber widerstandslos zu ihr in die Wohnung gelangt, indem er seinen Charme hatte spielen lassen. Zunächst hatte er ein Glas Wein mit ihr getrunken, um es so aussehen zu lassen, als hätte sie dem Geschlechtsverkehr zugestimmt. Als ich im Zeugenstand gesessen und ihn angestarrt hatte, hatte ich gewusst, dass er wie die meisten Vergewaltiger wahrscheinlich freikommen würde.

Was aber längst nicht hieß, dass ich mit ihm fertig war.

„Das ist Körperverletzung.“ Ben berührte seinen Hinterkopf, bemerkte das Blut an seinen Fingern und lächelte leicht. „Du bist in großen Schwierigkeiten, du dämliche kleine Schlampe.“

„Eigentlich“, ich streckte den rechten Fuß nach hinten, „steckst du in großen Schwierigkeiten.“

Anschließend verpasste ich ihm ein paar harte Schläge ins Gesicht und wich zurück, um ihm etwas Zeit zu lassen, damit er sie spürte. Doch er ließ die Einkaufstüten am Boden liegen und ging mit erhobener Faust auf mich los. Flink wich ich zur Seite aus und rammte ihm ein Knie in die Rippen. Er stürzte der Länge nach auf den Asphalt. Ich warf einen Blick zum Einkaufszentrum. Die Wachmänner würden den Tumult am Bildrand der hintersten Überwachungskamera bemerken und jeden Moment angerannt kommen. Mir wurde klar, dass mir keine Minuten, sondern nur noch Sekunden blieben.

„Das kannst du nicht machen.“ Hammonds Unterlippe war aufgeplatzt, er spuckte Blut. „Du …“

Erneut stieß ich ihm ein Knie in die Rippen, zog ihn hoch, bevor er Luft holen konnte, und warf ihn auf die Motorhaube. Vielleicht bin ich zierlich, aber ich boxe und weiß daher mit großen Gegnern umzugehen. Ich griff Ben ins Haar und zog ihn zur Fahrertür.

„Du bist Polizistin!“, schrie Hammond.

„Da hast du recht“, erwiderte ich. Gerade sah ich, wie zwei Wachmänner von der Laderampe eilten.

„Dank meinem Job kann ich Kriminalakten einsehen“, erklärte ich. „Ich kann die Akte einer bestimmten Person am Computer markieren, dann erhalte ich jedes Mal eine Benachrichtigung, wenn derjenige festgenommen wird, selbst wenn die Anzeige später zurückgezogen wird.“

Ich hielt ihn an den Haaren fest und rammte ihm mehrmals die Faust an den Schädel. Anschließend warf ich Hammond zu Boden. Die Wachleute kamen näher. Ich wollte sichergehen, dass ich seine volle Aufmerksamkeit hatte, also trat ich ihm auf die Eier.

„Wenn ich deinen Namen je wieder im System sehe“, drohte ich ihm, „komme ich zurück. Und nächstes Mal werde ich nicht mehr so zärtlich sein.“

Ich zog die Kapuze tief in die Stirn und verschwand in den Büschen neben dem Parkplatz.

4. KAPITEL

Ich bin nicht bei der Bürgerwehr, aber manchmal habe ich keine andere Wahl, als die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Seit fünf Jahren war ich für Sexualdelikte zuständig und hatte es satt, dabei zusehen zu müssen, wie Straftäter freigesprochen wurden. Wenn ich ein Opfer näher kennenlernte, so wie Molly Finch, und ihr Angreifer freigesprochen wurde, konnte ich kaum noch schlafen. Wochenlang hatte ich nachts wach gelegen. Ständig hatte ich an Hammonds selbstgefällige Miene denken müssen, während er die Stufen vor dem Gerichtsgebäude an der Goulburn Street hinabgelaufen war. Daran, wie er mir zugezwinkert hatte, bevor er ins Taxi gestiegen war. Ich hatte es geschafft, ihn wegen einfacher Körperverletzung dranzukriegen, aber die Tatsache, dass der Sex, den Hammond an jenem Abend mit Molly gehabt hatte, nicht einvernehmlich gewesen war, konnte nicht hinreichend bewiesen werden.

So läuft es manchmal bei Sexualstraftaten. Der Verteidiger des Kerls will mit aller Macht belegen, dass sie es gewollt haben könnte. Damals hatte es keinerlei körperliche Anzeichen oder Zeugen gegeben, die das Gegenteil hätten beweisen können.

Und nun gab es auch nichts, was dagegensprach, dass Hammond von einem durchgeknallten Straßenräuber halb totgeprügelt worden war. Wenn er mit dem, was ich getan hatte, zur Polizei ginge, würde er erleben, wie es sich anfühlte, wenn einem nicht geglaubt wurde.

Doch er würde ohnehin nicht zur Polizei gehen und sagen, dass er von einer Frau verprügelt worden war. Typen wie er machten das nie.

Ich ließ meine Schultern kreisen, während ich durch die Stadt in Richtung Potts Point fuhr. Als meine innere Anspannung nachließ, stieß ich ein langes, leises Seufzen aus. Ich freute mich wirklich darauf, etwas Schlaf zu bekommen. Die meisten Abende verbrachte ich im Fitnessstudio in meiner Nachbarschaft, wo ich auf Boxsäcke einschlug und mich verausgabte, damit ich vor dem Einschlafen auf gesunde Weise zur Ruhe kam. Ben zu verprügeln, hatte mir dieselbe köstliche Erschöpfung in meinen Muskeln verschafft. Ich hoffte, dass sie anhalten würde.

An der großen Kreuzung in der Nähe von Kings Cross stolzierten vor meinem Wagen ein paar Nutten über die Straße. Die große Coca-Cola-Leuchtreklame an der Ecke ließ ihre Haut rosa wirken. Gestern Abend hatte es ein großes Gewitter gegeben, und die Straßen waren noch immer feucht. In den Rinnsteinen sammelten sich Müll und riesige Feigenblätter.

Mein Handy klingelte. Ich erkannte die Nummer meines Vorgesetzten.

„Hallo, Pops“, sagte ich.

„Blue, notieren Sie sich diese Adresse“, erwiderte der Alte. „Ich will, dass Sie sich eine Leiche ansehen.“

5. KAPITEL

Mord war harte Arbeit, doch davor hatte Hope sich noch nie gefürchtet.

Sie kniete auf dem Küchenboden der Dream Catcher und schrubbte die polierten Dielen. Sie versuchte, mit den Borsten in die Fugen zu gelangen, um das Blut zu erwischen, das dort hineingesickert und getrocknet war. Deck, dachte sie plötzlich, während sie die Bürste in den Eimer mit heißem Wasser und Bleichmittel neben sich tunkte. Auf einer Yacht war der Boden gar kein Boden, sondern ein Deck. Die Küche nannte man Kombüse. Sie lächelte. An die vielen neuen Begriffe musste sie sich noch gewöhnen. Als frischgebackene Bootsbesitzerin gab es so viel zu lernen. Sie verlagerte das Gewicht auf ihre Fersen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie würde das Blut für eine Weile einweichen lassen und in der Zwischenzeit im Schlafzimmer weitermachen.

Die junge Frau kletterte rückwärts die kleine Leiter hinab, betrat das weitläufige Schlafzimmer der Yacht und riss eine Mülltüte von der Rolle ab, die sie aufs Bett gelegt hatte. Als Erstes nahm sie ein eingerahmtes Foto vom Nachttisch und warf es in die Tüte. Die lächelnden Gesichter des Paars darauf ignorierte sie. Sie warf eine Lesebrille, ein Paar Pantoffeln und eine zusammengefaltete Zeitung hinterher. Danach öffnete sie den Schrank und holte die Kleidungsstücke der Frau heraus, indem sie mehrere Kleiderbügel auf einmal nahm und die Blusen, Röcke und Hosen zusammenrollte, bevor sie sie in die Mülltüte stopfte.

Jenny Spelling hatte einen scheußlichen Geschmack, fand Hope und betrachtete ein türkisfarbenes Kostüm, bevor es in den Müll wanderte. Igitt, Schulterpolster. Typisch Achtziger. Als sie die leere Kleiderstange sah und sich vorstellte, wie ihre eigenen Sachen daran hängen würden, durchströmte sie eine Welle der Vorfreude.

Nachdem sie sämtliche Mülltüten der Rolle mit ihren Besitztümern gefüllt hatte, ging Hope in den hinteren Teil des Boots, um nach ihren Gefangenen zu sehen. Das Paar lag zusammengesunken in einer Ecke der Duschkabine. Jennys Kopf lehnte rücklings an der Wand, sodass ihre Nasenspitze nach oben zeigte und ihr der Mund offen stand. Als Hope die Tür öffnete, versuchte Ken, sich aufzusetzen, soweit es ihm seine Fesseln gestatteten. Seine Frau lehnte schlaff an ihm.

„Ich gehe kurz raus, um etwas Müll wegzubringen“, sagte Hope fröhlich. „Braucht ihr irgendwas, bevor ich gehe? Mehr Wasser?“

Jenny Spelling wachte auf und begann sofort zu zittern. Wortlos starrte sie Hope an, als wüsste sie nicht, wer die junge Frau war.

„Hope.“ Vor Verzweiflung stieg Ben die Röte ins Gesicht. „Ich flehe dich an, bitte, nimm einfach das Boot. Nimm alles. Meine Frau braucht ihre Dialyse, sonst stirbt sie. Okay? Es wird nur ein paar Minuten dauern. Das ist alles. Das …“

„Wir haben das schon besprochen.“ Hope hob die Hand und seufzte gelangweilt. „Bald ist alles vorbei. Ich werde nicht wieder damit anfangen. Als ich dich das letzte Mal losgebunden habe, hast du das gemacht.“ Sie hob ihren Unterarm und zeigte ihm den blauen Fleck. „Vertrauen, Ken. Du hattest es, aber du hast es verspielt.“

„Bitte, bitte.“ Ken wand sich. „Du musst das nicht tun. Sieh sie dir an. Sieh dir ihr Gesicht an. Seit drei Tagen hatte sie keine Dialyse mehr. Es geht ihr nicht gut. Sie ist …“

Hope nahm die Klebebandrolle von der Ablage neben der Toilette und riss ein Stück davon ab. Einen Streifen klebte sie Jenny über den Mund, Ken jedoch wickelte sie es mehrmals um den Kopf. Er war der Angriffslustige von den beiden. Emotionslos fuhr sie fort, während der Klebestreifen seine Worte versiegeln sollte.

„Sie wird sterben!“, brüllte der Mann unter dem Klebeband. „Bitte!“

6. KAPITEL

Auf dem Weg zum Tatort fuhr ich durch die ruhigen Straßen von Picnic Point und durchquerte den Nationalpark. Hier und da waren die dunklen Hügel von goldenen Verandalichtern der Vorstadtvillen gesprenkelt. Als Kind hatte ich hier draußen eine Zeit lang bei einer der Pflegefamilien gelebt, die meinen Bruder Sam und mich aufgenommen hatten. Zumindest, bevor ihr Traum von einer Adoption geplatzt war.

So viele junge Familien hatten versucht, uns ein Heim zu geben, dass ich kaum noch wusste, welche davon es gewesen war. Alles, woran ich mich erinnerte, waren die örtliche Schule, die Teenager in goldgrünen Schuluniformen und die neugierigen Blicke, die man uns zuwarf, als wir mitten im Halbjahr dazustießen.

Wie üblich blieben Sam und ich nur für ein paar Wochen auf der Schule. Als Geschwisterpaar, das praktisch seit dem Kleinkindalter Teil des Systems war, machten wir unseren Pflegeeltern mit unserem schlechten Benehmen das Leben schwer. Wahrscheinlich war ich es, die alles zerstörte, indem ich mitten in der Nacht davonlief. Vielleicht war es auch Sam, der irgendetwas in Brand setzte oder unsere potenziellen neuen Eltern beschimpfte. Wir waren beide gleichermaßen schlecht in der Schule. Wir wehrten uns gegen Kinder, die uns ärgern wollten, und wir versuchten, unseren neuen Lehrern zu zeigen, wer wirklich der Boss war. Sobald unseren neuen Mamis und Daddys klar wurde, dass wir für unsere „Rettung“ nicht dankbar waren, raubte ihnen das für gewöhnlich jegliche Illusion. In Wahrheit hatten Sam und ich uns in den Heimen und Institutionen am wohlsten gefühlt, in denen wir zwischen dem Wechsel von einer Pflegefamilie zur nächsten betreut wurden. Mehr Platz, um sich zu verstecken. Während ich an den Häusern vorbeifuhr, die vom Licht der Laternen erhellt wurden, träumte ich davon, wie es gewesen wäre, hier aufzuwachsen – wenn ich ein ausgeglichenes Kind gewesen wäre.

Das Absperrband der Polizei begann am Rand der Hauptstraße. Ein junger Officer im Regenmantel hielt mich an. Ich zeigte ihm meine Marke und bemerkte erst jetzt, dass meine Knöchel noch immer umwickelt waren.

„Okay, Detective Blue, fahren Sie zum Ende der asphaltierten Straße, biegen Sie dann links ab und fahren Sie am Flussufer entlang. Dann sehen Sie die Lichter“, erklärte der Cop.

„Der Fluss? Scheiße!“ Ich spürte, wie sich die Härchen an meinen Armen aufstellten. „Wer ist das Opfer?“

Der Cop bedeutete mir mit einem Winken weiterzufahren. Hinter mir tauchte ein weiterer Wagen auf. Ich trat aufs Gaspedal, raste die Straße hinunter und geriet an der Ecke, wo der Asphalt endete, fast ins Schleudern. Ich konnte es nicht erwarten, den Tatort zu sehen. Falls das Opfer eine junge Frau war, hieß das, dass der Georges-River-Killer wieder zugeschlagen hatte.

Und dieses Mal würde ich ihn schnappen.

7. KAPITEL

Ich parkte in der Nähe, entfernte den Verband von meinen Knöcheln und lief zum Tatort, während mein Herzschlag in meinen Ohren pulsierte. Ich hatte nicht mal mein Tatort-Kit mitgebracht. Ich musste so viel wie möglich herausfinden, und zwar so schnell wie möglich, damit ich Pops dazu bringen konnte, mich auf den Fall anzusetzen. Die Morde des Georges-River-Killers wurden in sämtlichen Zeitungen breitgetreten, und die Idioten, die den Journalisten freimütig Auskunft erteilten und mit dem Fall betraut waren – eine Gruppe rüpelhafter Kerle von der städtischen Mordkommission in Sydney –, gewährten mir nicht mal einen winzigen Einblick in ihre Ermittlungen.

Ich scherte mich nicht um die zweifelhafte Berühmtheit, die diese Cops anscheinend genossen. Stattdessen wollte ich dazu beitragen, den wahrscheinlich grausamsten Serienmörder in der Geschichte unseres Landes aufzuspüren. Immer wieder verschwanden junge, hübsche Studentinnen aus den angesagten Vorstädten in der Nähe des Campus der Universität von Sydney. Drei oder vier Tage später tauchten ihre verstümmelten Überreste an den Ufern des Georges River auf. Mein Bruder unterrichtete zwei Tage die Woche Designstudenten an der Uni und lebte in ihrer Mitte, in den angesagten Vororten neben Newtown und Broadway. Oft hatte ich mit Sam darüber gesprochen, wie verängstigt die Mädchen in seinem Mietshaus waren. Sie flehten den Vermieter an, Überwachungskameras draußen am Wohnblock anzubringen, und begleiteten sich in den späten Abendstunden gegenseitig zu ihren Autos.

Vielleicht war es arrogant oder naiv, aber ich hatte das Gefühl, als gäbe es etwas, das ich beitragen konnte. Zwar wurden nur die wenigsten der von mir festgenommenen Sexualstraftäter verurteilt, doch das gehörte einfach zur Kultur des Gerichtswesens. Ich war ein guter Cop und konnte förmlich riechen, wie der Georges-River-Killer die Frauen meiner Stadt im Visier hatte. Wenn die Polizei an die Tür dieses üblen Scheißkerls klopfte, wollte ich dabei sein, um sein Gesicht zu sehen.

Das erste Problem, das mir am Tatort auffiel, war der Bereich am Rand der Polizeiabsperrung. Er war viel zu voll. Die Hälfte der Polizisten, die sich im Inneren der Absperrung hätte aufhalten sollen, befand sich außerhalb, unterhielt sich und rauchte im Dunkeln. Ich erkannte einen Fotografen von meiner Wache wieder. Er lungerte nutzlos neben den Scheinwerfern herum, die am Tatort aufgestellt worden waren. Ein Experte für Fingerabdrücke saß währenddessen unter einem Baum und aß einen Burrito. Was zum Teufel war mit allen los? Ich duckte mich unter dem Absperrband hindurch und blieb neben dem einzigen Polizeibeamten am Tatort stehen. Er beugte sich gerade über die Leiche.

Als er sich umdrehte, erkannte ich, dass der Mann neben der Leiche Tate Barnes war.

Die wandelnde Verkörperung des beruflichen Selbstmords.

8. KAPITEL

Der Anblick von Tate Barnes inmitten des Tatorts, den ich bereits für mich in Anspruch genommen hatte, glich einem Angriff mit Pfefferspray. Meine Augen brannten, und meine Kehle verengte sich vor Panik. Ich war dem Mann noch nie zuvor begegnet, aber ich kannte das struppige blonde Haar und die Lederjacke aus Erzählungen. Von Tate Barnes’ Geschichte gab es Hunderte Variationen. Es war eine grauenhafte Geschichte über ein Verbrechen, das der Mann begangen hatte, und bei seiner Bewerbung an der Akademie hatte er versucht, sie vor den Vorgesetzten zu verheimlichen. Es hieß, Tate hätte als Kind zusammen mit ein paar Freunden eine Mutter und ihren kleinen Sohn ermordet.

Ich wandte mich ab, schlug mir die Hand vors Gesicht und versuchte, ein Stöhnen zu unterdrücken. Der Typ musste von meinem Tatort verschwinden. Sofort. Er richtete sich auf und reichte mir die Hand.

„Ich bin Tox Barnes“, sagte er mit rauer Stimme. Es klang, als wäre seine Kehle mit Sandpapier ausgekleidet.

„Sie stellen sich also wirklich als ‚Tox‘ vor?“

„Ich finde, es sorgt für die geringstmögliche Verwirrung.“

Autor