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Lügen haben runde Bäuche

hier erhältlich:

Liz reicht’s! Seit Jahren bemüht sich die Journalistin um Anerkennung. Sie hat Überstunden eingelegt und jede ungerechte Kritik ihrer exzentrischen Chefin geschluckt. Doch bei der Elternzeitschrift Paddy Cakes wird anscheinend nur für voll genommen, wer selbst ein Kind hat. Als ihr dann auch noch der lang ersehnte Urlaub in Paris gestrichen wird, greift Liz zu ungewöhnlichen Maßnahmen: Sie täuscht eine Schwangerschaft vor. Das allein würde schon genug Chaos in ihr Leben bringen, aber ausgerechnet jetzt lernt sie den attraktiven Ryan kennen - und verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Wie soll sie ihm bloß ihren Babybauch erklären, ohne zu riskieren, dass ihr Schwindel auffliegt?


  • Erscheinungstag: 15.08.2016
  • Seitenanzahl: 416
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956499050
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Meghann Foye

Lügen haben runde Bäuche

Roman

Aus dem Amerikanischen von Stefanie Rose

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Meternity

Copyright © 2016 by Meghann Foye

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: büropecher, Köln

Redaktion: Sonja Korte

Titelabbildung: Dollarphotoclub: Constantina Dirica

ISBN eBook 978-3-95649-905-0

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Das kann nur eine Frau ohne Kinder sagen.

Ich drehe den Ausdruck des Artikels um, an dem ich gerade arbeite, und schiebe ihn unter die neueste Ausgabe unserer Zeitschrift. Ich will nicht, dass jemand sieht, was für ein Meer von roten Anmerkungen meine Vorgesetzte, die stellvertretende Chefredakteurin, darauf hinterlassen hat. Vor allem die letzte. Wobei es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass jemand an meinem Schreibtisch vorbeikommt. Alle sind auf dem Weg zum Konferenzraum, wo Pippas Babyparty stattfindet. Eine der vielen Babypartys, die wir seit Januar hatten.

Ich streiche mein buntes Oberteil über den Jeans glatt und setze mich ebenfalls in Bewegung. Auf den paar Metern versuche ich, tief durchzuatmen und mich wieder zu beruhigen. Als ich Anfang zwanzig war und gerade in der Redaktion angefangen habe, war diese Art von Anmerkungen am Rand meiner Artikel verständlich – sogar lustig. Ich konnte die Augen verdrehen und sagen: „Ja, ich habe keine Kinder. Gott sei Dank.“ Jetzt ist das ein bisschen anders. Ich bin zehn Jahre älter, und es trifft mich. Trotzdem setze ich ein Lächeln auf.

„Schnell, kommt alle rein!“, schreit Caitlyn. Sie ist die für uns alle zuständige Redaktionsassistentin und gleichzeitig unsere Instagramredakteurin. Auf all ihren Social-Media-Profilen bezeichnet sie sich selbst als „stylishes Millennial“.

Sie winkt die Belegschaft von Paddy Cakes zu unserer kleinen Freitagnachmittagparty in den Konferenzraum, drängt uns auf dem Weg Cupcakes auf und versucht dabei, unser ziemlich niedriges Energielevel auf #babypartylaune zu heben.

Ich kämpfe mir einen Weg durch die Schnüre von weißen und goldenen Heliumballons zum Birkenholztisch, einen Cupcake fest an mich gedrückt, als gäbe es die nicht jedes Mal, und schaffe es dabei verdammt noch mal schon wieder, mir Zuckerstreusel aufs Oberteil zu schmieren. Ich bin so nicht in Stimmung hierfür – ich habe viel zu viel zu tun. Dennoch genieße ich den Moment der Ruhe, als ich dem Cupcake den Garaus mache. Stille. Ein bisschen Raum zum Denken. Ein Anflug von echter Freude für Pippa. Doch auf der anderen Seite des Raumes steht sie. Die Verteilerin von roten Kommentaren. Alix.

Meine Erzfeindin kommt mit vorsichtigen, abgezirkelten Schritten auf mich zu. Sie trägt schwarze Lacklederslipper von Tod’s und eine Kaschmirstrickjacke über den Pilates-geformten Schultern. Diesem Modetrend ist sie schon gefolgt, lang bevor er wieder hip war. Die mit teuren Highlights versehenen langen blonden Haare trägt sie in einem tief im Nacken angesetzten Pferdeschwanz. Ganz bewusst geht Alix dem Teller mit den Cupcakes aus dem Weg und presst dabei in stillem Protest die wohlgeschwungenen Lippen aufeinander. Sich niemals beim Essen erwischen zu lassen ist ein Überbleibsel aus der Zeit des Heroin Chic, in der sie angefangen hat. Genau wie der Glaube, es sei unter ihrer Würde, Arbeiten zu erledigen, die auch ein Assistent machen kann. Wie zum Beispiel ihre Reisekostenabrechnung, einen Artikel selbst am Bildschirm zu redigieren, oder – was für mich derzeit bedrohliche Ausmaße annimmt – ihre eigentlichen Aufgaben. Der Klassiker.

Während sich der Raum langsam füllt, gehen die Mütter in der Redaktion zu ihrem üblichen Gesprächsthema über. Talia, unsere Moderedakteurin, beschwert sich darüber, dass ihre Zwillinge von jedem Bildschirm wie magisch angezogen werden. Chloe, unsere normalerweise makellose Beautyredakteurin, trägt willkürlich aufgeklebte falsche Wimpern, das einzige offensichtliche Anzeichen für den Schlafmangel der frischgebackenen Mutter.

Ich versuche beiläufig, mich hinter den Ballons zu verstecken, doch Alix’ Adleraugen haben mich erspäht.

„Liz“, sagt sie und kommt auf mich zu, „wo stehen wir mit dem Artikel über Flaschenfütterung? Ich muss ihn wirklich bis drei haben. Ich gehe heute früher und will ihn vorher lesen.“

„Bin dabei. Ich warte nur noch darauf, dass Sandys PR-Frau das Zitat freigibt, sie würde eher ihrer eigenen Tochter ein Ohrläppchen abbeißen, als ihr Flaschenmilch zu geben, das du gern drinhaben wolltest“, erwidere ich.

„Und was ist mit Fünf Wege, narzisstische Kinder zu vermeiden?“, fragt sie, während sie in der Spiegelung der Glaswand des Konferenzraums ihren ballettpinken Lipgloss auffrischt.

„Auf dem Weg.“

„Na gut.“ Sie löst sich von ihrem Spiegelbild. „Und was ist mit der Verschiedene chinesische Dialekte für Kindergartenkinder-Story? Die muss ich wirklich bald sehen. Es kann sein, dass wir der einen anderen Dreh geben.“

„An die wollte ich mich machen, wenn ich von meiner Reise zurück bin“, sage ich. Alix wollte ein besonders kniffeliges Zitat ausgetauscht haben, und ich habe es vor mir hergeschoben, Tracey, unsere ehrgeizige und autoritäre „Tigermutter“ in La Jolla, deshalb anzurufen.

„Du hättest es mir sagen sollen, wenn du nicht dazu kommst“, tadelt sie mich. „Ich erwarte, dass du Prioritäten setzt.“

Hätte ich auch, wenn du mir den Artikel nicht um fünf Uhr abends auf den Tisch gelegt hättest, damit du in Ruhe mit Tyler zum Kinderarzt gehen kannst, denke ich.

Meine Augen brennen. Ich reibe mir die Schläfen und stürze meinen kaltgebrühten Eiskaffee hinunter, als wäre es der letzte Schluck Wasser auf einem Rettungsboot. Was habe ich gerade in dem Artikel über Tigermütter gelesen? Harte Arbeit gleich Spitzenleistung gleich Erfolg? Die Aufwärtsdynamik.

Ja, okay. Nur – in den zehn Jahren bei Paddy Cakes ist es für mich leider nicht ganz so gelaufen. Nicht, nachdem zusätzlich zur neuen Chefredakteurin auch Alix eingestellt wurde, die die Stelle der stellvertretenden Chefredakteurin bekam. Während ich auf meiner Position als normale Redakteurin sitzen blieb.

Wenigstens habe ich Paris. Ganze fünf Tage, in denen ich an der Seine entlangspazieren und mir das Musée Picasso anschauen werde. Fünf Tage mit Milchkaffee und Croissants. Und fünf Tage ohne den ständigen Beschuss durch Alix’ E-Mails, in denen sie weitere Recherchen zum neuesten Babytrendthema fordert, mich wie ihre Sekretärin behandelt und dafür sorgt, dass ich an den meisten Tagen bis weit nach Mitternacht im Büro sitze.

Von wegen Aufwärtsspirale. Als es nach der Rezession zur „Medienapokalypse“ kam und Assistenten durch Prozessoptimierungen ersetzt wurden, habe ich es auf die harte Tour gelernt: Ein Kind zu haben ist so ziemlich die einzige Entschuldigung, die eine Frau vorbringen kann, wenn sie reguläre Arbeitszeiten haben oder mal früher gehen will. Singlefrauen genießen diesen Luxus nicht und müssen deshalb Zusatzaufgaben übernehmen, die immer dann anfallen, wenn die Mütter in der Belegschaft sie aus ganz wichtigen Gründen nicht machen können. Hast du kein Baby, hast du auch keine Entschuldigung, um Überstunden abzulehnen.

„Pssst, seid alle mal leise, ich ruf sie jetzt an“, verkündet Caitlyn. Sie greift zum Telefon und versucht, ihr Kichern zu unterdrücken. „Pippa, Cynthia will dich im Konferenzraum sehen. SOFORT.“

Diesen Trick haben wir schon so oft angewandt bei Paddy Cakes oder, wie Jules es nennt, Das Babymagazin für Mütter und ihre kleinen Neurosen. Jules ist meine beste Freundin bei der Arbeit und die einzige andere Redakteurin auf meiner Gehaltsstufe.

Während wir warten, spiele ich mit meinem alten iPhone 4, dessen Display gesplittert ist – die Geschäftsleitung weigert sich, es durch ein neueres Modell zu ersetzen –, und versuche, die Meldungen der FitBaby-App auszuschalten, die ich für einen Artikel unserer Web-Editorin teste. Die App überwacht angeblich die Vitalfunktionen während der Schwangerschaft, indem sie die Menge an Bewegung, Nahrung und Schlaf aufzeichnet. Knackpunkt ist ein ominöses Zählwerk, das die Ergebnisse mittels eines patentierten und geheimen – allerdings auch ziemlich zufälligen – Algorithmus in „Babysmiles“ umrechnet. Für „Mütter des neuen Jahrtausends, die eine unterhaltsamere Art suchen, in der Schwangerschaft fit zu bleiben“, hieß es in der schon längst im Müll gelandeten Pressemitteilung. Seitdem schickt mir die App ständig mit albernem Kichern angekündigte PUSH!-image-Meldungen , die mich daran erinnern, dass ich mich „ein bisschen mehr ranhalten“ muss, um die für den Artikel nötigen Babysmiles zusammenzubekommen.

„Na, schaffst du’s noch vor dem Abflug, deine To-do-Liste abzuarbeiten?“, fragt Jules. Sie sieht mir wohl an, dass ich Ablenkung brauche.

„Wird schon“, lüge ich.

Jules verzieht das Gesicht. „Ich sag’s dir nicht gern, aber ich habe gehört, wie Alix mit Tamara gesprochen hat. Marigold Matthews steht nicht mehr für das Coverfoto zur Verfügung – wegen Erschöpfung.“

„Du meinst, wegen Diätpillen und einer verpfuschten Bauchstraffung nach der Schwangerschaft.“

Jules verdreht die Augen, was so viel wie Ja bedeutet.

„Na, toll.“ Ich zupfe mein Blusentop über meinem schmutzigen kleinen Geheimnis zurecht – meine Umstandsjeans Größe vierzig, die ich mir vom Bedient-euch-Tisch im Büro gemopst habe. Die verdanke ich meinen mitternächtlichen Imbissen, hauptsächlich Müsli und Hummus, den ich mit den Fingern direkt aus dem Behälter nasche, weil ich wieder mal vergessen habe, Möhren zu kaufen. Gefolgt von einer neuen Sorte von veganem Cashewmilch-Eis, das mir als Betäubungsmittel dient. Jules bemerkt meine Bewegung und betrachtet mich aufmerksam.

„Wag es nicht, eine Bemerkung über meine Umstandsjeans zu machen“, warne ich sie.

„Liz.“ Meine überaus praktisch veranlagte Bürofreundin, mit der zusammen ich hier vor zehn Jahren angefangen habe, muss nur meinen Namen sagen, und ich gestehe sofort.

„Sie sind einfach so bequem!“

Oh nein! Ich verziehe schmerzvoll das Gesicht, als ich auf meinem Handy die Uhrzeit sehe. Es ist vierzehn Uhr siebenundzwanzig. Ich habe genau drei Stunden und dreiunddreißig Minuten, um mit meiner Arbeit fertig zu werden, bevor ich nach Hause rase, meinen Koffer hole, um dann meinen Flug um zweiundzwanzig Uhr zu erwischen. Die Information, dass wir vielleicht ein anderes Coverfoto finden müssen, bringt mich ins Schwitzen. Mehr Kaffee, morst meine Schläfe. Und Zucker. Sofort taucht meine Lieblingsfantasie wieder auf: kündigen und als freie Journalistin Reiseartikel schreiben. Diesen heimlichen Traum habe ich jetzt schon seit Monaten im Hinterkopf. Vielleicht lasse ich den Rückflug einfach verfallen.

Schnell schaue ich online auf mein Konto. Ich habe noch 405 Dollar bis zum nächsten Gehalt. Erleichtert atme ich auf. Das sollte für die Pressereise in Paris reichen, zumal alle Mahlzeiten und anderen Reisekosten vom Sponsor bezahlt werden. Dann erreicht mich eine Textnachricht. Meine nächste Kreditkartenrate beträgt exakt 425 Dollar und muss bis morgen bezahlt sein. Mein Hals wird trocken …

„Pssst, leise jetzt! Sie kommt!“, flüstert Caitlyn, kann aber ein Kichern nicht unterdrücken. Als ob Pippa uns nicht schon von Weitem sehen könnte, die Innenwände des Konferenzraums sind komplett aus Glas.

Alle lachen, sobald Pippa die Ballons entdeckt. Sie lächelt warm und reibt ihren riesigen Babybauch, während ihre Augen angesichts des 1789 Dollar teuren Bugaboo-Madeleen-Sport-wagens aufleuchten, für den wir alle spenden mussten. Er steht auf dem Konferenztisch wie das Goldene Kalb.

„Liz!“ Chloe kommt auf mich zu und reibt sich das Auge, an dem immer noch ihre falsche Wimper schräg sitzt. „Wie geht es dir und JR so? Ihr fahrt nach Paris, wie ich höre!“

Betreten schaue ich auf den Boden. Offenbar hat Jules den anderen nichts gesagt. „Nein, es ist eine Pressereise für Bourjois-Jolie. JR und ich sind nicht mehr zusammen.“

„Oh Liz“, sagt sie mitfühlend. „Geht es dir gut? Was ist denn passiert?“

„Wir haben uns einfach nicht mehr verstanden“, sage ich verlegen.

„Das ist schon okay, Liz. Du bist doch erst dreißig, oder? Du hast noch Zeit.“

„Einunddreißig. Aber ja, es ist okay.“

Talia gesellt sich zu uns. Sie ist Anfang vierzig, verheiratet und hat zweijährige Zwillinge. Und natürlich kann sie es nicht lassen. „Du hast dich von JR getrennt? Nach vier Jahren? War er nicht kurz davor, dir einen Antrag zu machen?“

„Ja, schon. Aber das ist okay“, wiederhole ich und versuche ein Lächeln.

„Na ja, lass dir nicht zu viel Zeit. Die Uhr tickt.“

„Ähm, danke.“

„Es ist einfach sooo hart, in diesen Zeiten Single zu sein, nicht wahr?“, sagt Chloe. An ihrer linken Hand steckt ein Verlobungsring mit einem Diamanten in Tischtennisballgröße, der wie ein Leuchtturm blinkt.

„Nein, es geht schon.“ Was ich wirklich sagen möchte, ist: Wenn du mit hart meinst, dass ich bei Tinder nach einem anständigen Mann fahnde, während ich die Wochenenden im Bett verbringe, Nahtlosunterwäsche bestelle und eine romantische Komödie nach der anderen auf Netflix schaue, dann ja, vielleicht ein bisschen.

Chloe wendet sich an Talia. „Und, wie geht’s den Mädchen?“

„Oh, du weißt ja, wie es ist, als Mutter …“

„Ich kenne das. Wir üben gerade das Durchschlafen. Nach der Weissbluth-Methode.“ Chloe hebt verschwörerisch eine Augenbraue.

„Wir haben Weissbluth, Sears und Ferber ausprobiert, und mittlerweile schlafen die Mädchen zumindest meistens durch. Aber was glaubst du, wer aufsteht und sie wieder zum Einschlafen bringt, wenn sie um drei Uhr früh wach werden?“, sagt Talia und deutet auf sich selbst. „Ich natürlich!“

„Genau“, erwidert Chloe.

Auch die anderen beteiligen sich jetzt am Gespräch und diskutieren die Vor- und Nachteile der neuesten Durchschlaftraining-Methode, als ob ihr Wert als Frauen davon abhinge.

Wir sind die Keimzelle der ambitionierten Elternschaft. Wir haben uns den Weg gebahnt durch „Mütterkriege“, die überstrengen „Tigereltern“ und ihr genaues Gegenstück, die betulichen „Elefanteneltern“. Wir hatten den antiautoritären, autokratischen, autoritären, demokratischen und egalitären Erziehungsstil, die „Mütter an den Herd“-Parole und französische Mütter, die drei Stunden nach der Geburt wieder am Arbeitsplatz sind. Erziehung im Stil der Naturvölker, der Amish und KonMari (nur Dinge, die glücklich machen!). Ganz zu schweigen von der perfekten Ernährung fürs Kind: Stillen oder Fläschchen, bio oder vegan, glutenfrei, Rohkost, Siebziger-Stil? Das Aufkommen der „Mütter-Kultur“ hat Mutterschaft in ein Marketingkonzept verwandelt, in ein Geschäftsmodell, und unser Magazin hat den Trend angeführt. Ein Kind ist nicht mehr nur dein Nachkomme, ein Ergebnis von Liebe und Schicksal, sondern dein Produkt, das du programmieren und perfektionieren musst.

Mittlerweile sind die anderen zu dem Schluss gekommen, dass Chloes Baby noch nicht lange genug und oft genug durchschläft, und Chloe sagt nervös: „Wir hatten schon daran gedacht, den Schlafberater auszuprobieren, den wir in der Januar-Ausgabe vorgestellt haben.“

„Bevor du das tust, solltest du lieber zu einem Ernährungsberater für Babys gehen. Manchmal reicht es schon, Milch und Gluten wegzulassen“, schießt Talia zurück. „Das hat bei meinen wirklich geholfen.“

„Aber Poppy ist erst sechs Monate alt. Ich stille sie noch“, merkt Chloe an.

„Ach ja, richtig. Na ja, vielleicht kannst du dann deinen eigenen Speiseplan umstellen? Weglass-Diäten sind wirklich das Einzige, was funktioniert.“

Chloes Gesicht verdüstert sich.

Wie wäre es mit einfach glücklich sein? frage ich mich.

„Ich habe gerade eine neue Studie von der Amerikanischen Akademie für Schlafforschung gelesen“, werfe ich ein, um Chloe aus der Patsche zu helfen. „Sie haben über fünfzehn Jahre lang Brüderpaare beobachtet, die getrennt aufgewachsen sind, und es hat sich herausgestellt, dass es für ihre Entwicklung keine Rolle spielt, ob sie Durchschlaftraining hatten oder nicht. Es kommt viel mehr darauf an, dass sie von ihrer Familie Liebe und Unterstützung …“

„Das kann nur eine Frau ohne Kinder sagen.“

Da ist er wieder, der leidige Kommentar von meiner Erzfeindin, die am anderen Ende des Raumes steht, sich aber trotzdem einmischt. Als ob ich nicht die letzten zehn Jahre bei einem Elternmagazin gearbeitet hätte. Als ob ich diese ganzen Sachen nicht auswendig herunterbeten könnte.

„Jeder weiß, dass es das Beste ist, sie schreien zu lassen. Disziplin ist das Einzige, was Resultate bringt. Und wenn du es allein nicht durchstehst, dann schaff dir eben ein Kindermädchen an“, sagt Alix, verschränkt zufrieden die Arme vor der Brust und schaut mich direkt an. Die Nachricht kommt an: Bis du selbst ein Baby hast und Mutter bist, zählt deine Meinung nicht. Oder, genauer gesagt: Du zählst nicht.

„Und wie läuft es bei dir so, Jules?“, unterbricht Chloe munter die bedrückende Stille. Alle fangen wieder an zu plaudern.

„Oh, ganz gut. Henry bewirbt sich gerade fürs Betriebswirtschaftsstudium. Was für mich ziemlich lästig ist, weil ich natürlich die Bewerbungen schreiben muss.“

„Haha“, kichert Chloe. „Na dann, viel Glück. Ich muss noch mit Pam über den Artikel reden, wie man sein Hautalter auf vor die Schwangerschaft zurücksetzt. Bis später!“

Ich lasse mich auf einen Stuhl sinken.

Jules wirft mir einen strengen Blick zu. „Hör zu, ich weiß, dass es schwer war, über die Trennung von JR im vorigen Winter hinwegzukommen, aber du musst dich zusammenreißen.“

„Ich versuche es ja“, sage ich.

Jahrelang hatte ich JR in letzter Minute wegen ungeplanter Überstunden versetzen müssen. Dann habe ich ohne Nachdenken zugesagt, bei der „Die süßesten Babys“-Gala von Paddy Cakes dabei zu sein, statt mit JR zu seinem jährlichen „Verkäufer des Jahres“-Dinner seiner Firma Procter & Gamble zu gehen. Ironischerweise war meine Hoffnung, genau diese Gala würde mir meine Beförderung zur stellvertretenden Chefredakteurin sichern, wodurch sich all die Jahre harter Arbeit bei der Zeitschrift endlich gelohnt hätten. Dann hätte ich eine eigene Assistentin bekommen und meiner Beziehung mehr Zeit widmen können. Doch als ich JR von diesem Plan erzählte, machte er Schluss mit mir.

Jules zieht die Nase kraus. „Lizzie, er hat dich wie eine Hausfrau aus den Fünfzigern behandelt, die ihm den Rücken freihält, nicht wie eine Frau mit einem Job, der nächtliche Überstunden verlangt. Außerdem war er ein verkappter Republikaner und stockkonservativ. Er war nicht der Richtige für dich. Du hast dich einfach aus Torschlusspanik mit dem Zweitbesten abgefunden, und das weißt du auch.“

„Du hast ja recht“, gebe ich zu. „Aber er war so weit, zu heiraten. Und jeder weiß doch, dass kein Mann unter vierzig, der im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, einen Job hat und halbwegs gut aussieht, in New York City eine Familie gründen will.“

„Henry schon“, erwidert Jules bestimmt.

„Du hast ihn kurz nach dem College kennengelernt. Das ist nicht fair!“

Die Liebesgeschichte von Jules und Henry könnte der Stoff einer romantischen Komödie sein. In unserer Anfangszeit bei der Zeitschrift lief Jules auf dem Nachhauseweg ein süßer Typ vor die Füße, den sie von früher kannte. Henry war im College ein paar Jahrgänge über ihr gewesen und wohnte jetzt im selben Viertel wie sie, wo sie, beide mit ihren Handys beschäftigt, zusammenstießen. So zumindest Henrys Version.

Jules hat mir verraten, dass sie ihn schon von Weitem gesehen und dieses „Zufallstreffen“ genau geplant hatte.

Nach ihrem „schicksalhaften Zusammenstoß“ nahm er sie mit seinen aufwendig gekochten Südstaaten-Gerichten und „Schmusemarathons“ für sich ein, wie Jules immer witzelt. Nach sechs Monaten zogen sie zusammen und hatten den Rest ihrer Zwanziger Spaß, ließen kein Live-Konzert aus und bereisten die ganze Welt, bevor sie letztes Jahr heirateten. Ja, Jules ist ein Glückspilz, aber sie ist so nett und reibt es einem nie unter die Nase.

„Talia hat recht“, fährt sie jetzt fort. „Du hast keine Zeit zu verlieren. Du musst wieder auf die Piste!“

„Wie zum Beispiel mit dem hier?“ Ich halte mein Handy hoch und zeige ihr das Ergebnis meines neuesten Versuchs, ein Tinder-Gespräch in ein Date zu verwandeln.

Willst du heute N8 mit mir kommen? lautet die Dialogeröffnung von einem nett aussehenden Mann mit einem etwas ungepflegten Bart.

„Liebe Güte“, sagt Jules. „Blockier ihn einfach.“

„Aber er trägt einen Anzug! Das bedeutet immerhin, dass er einen Job hat!“ Ich studiere das Bild genauer. „Oder er war zu einer Hochzeit eingeladen …“

Der nächste Kandidat hat lange, braune, strähnige Haare, einen Schnurrbart und hält einen Pudel auf dem Schoß.

Ich mag die Hündchenstellung, verrät sein Profil. Schaudernd schließe ich die App.

„Gib einfach nicht auf“, tröstet mich Jules. „Eines Tages klappt es schon.“

„Ich weiß“, sage ich seufzend, denke aber: Oder ich klappe zusammen.

Ich lehne mich an die Glaswand, und mir wird mit einem Schlag klar, was ich falsch gemacht habe. Statt wie die wasserstoffblonden Mittzwanzigerinnen, die nach der Lektüre von Zum Heiratsantrag in 30 Tagen im East und West Village auf Ehemannfang gehen, auf mein Aussehen zu setzen, habe ich Eat, Pray, Love und Sheryl Sandbergs Lean In mit mir herumgetragen. Und tatsächlich an die zwei Regeln geglaubt, die mir meine erste Chefredakteurin Patricia mit auf den Weg gegeben hat, als ich Volontärin bei Paddy Cakes wurde: Arbeite jeden Tag auf dein Ziel hin (Regel 1) und gib niemals auf (Regel 2), dann wirst du letztendlich Erfolg haben.

Ich war so dämlich. Jenseits einer gewissen Altersgrenze (nämlich dreißig) gelten Frauen immer noch nichts, wenn sie nicht verheiratet sind, keine Kinder haben und keinen eigenen Haushalt führen. Wir leben immer noch im England von Jane Austen. Ich hätte die Nächte meiner Zwanziger im Fitnessstudio verbringen sollen statt Überstunden zu schieben und wie am Fließband Artikel über Helikopter-Eltern zu verfassen.

Wie makaber, denke ich. Wie schaltet man diese blöde App bloß aus?

Weil ich mich mit dem Handy beschäftige, merke ich nicht, dass unsere neue Chefredakteurin Cynthia hereinkommt.

„Tut mir leid, dass ich diesen freudigen Anlass unterbrechen muss, aber ich brauche dich, Alix“, sagt sie, dann richtet sie ihren strengen Blick auf mich. „Dich auch, Liz. Sofort.“

Mich? Wortlos setze ich mich in Bewegung und ignoriere die Blicke der anderen, während ich hinter Cynthia und Alix hertrotte. Sie eilen den Flur hinunter zu Alix’ Büro.

Kaum dass wir die Tür hinter uns geschlossen haben, wendet sich Cynthia an Alix.

„Hast du schon asiatische Ehepaare aufgetrieben? Wir werden dem Artikel über die verschiedenen chinesischen Dialekte eine neue Richtung geben und etwas provokativer werden, ganz wie du vorgeschlagen hast: Tigermütter gegen französische Mütter: Der Kampf spitzt sich zu. Aufs Cover kommt diese Familie mit der europäischen Mutter und dem chinesisch-amerikanischen Vater, natürlich mit dem Baby auf dem Arm. Das wird ein Knaller!“

Alix blickt zu mir hinüber. „Die Überarbeitung ist fast fertig.“

„Und wann kann ich den Artikel sehen?“

„Sicher gleich. Richtig, Liz?“ Alix’ Augen schießen Blitze in meine Richtung.

„Ja.“

Zufrieden dreht Cynthia sich um und geht hinaus. Alix bedeutet mir, zu bleiben. Ich weiß, was jetzt kommt. Das flaue Gefühl in der Magengrube ist ein verlässliches Zeichen.

„Wir haben doch fast alles, was wir brauchen, richtig? Hast du meine Änderungen eingearbeitet? Die überarbeitete Fassung war noch immer etwas lahm. Hast du dich darum gekümmert, ein zündenderes Zitat von dieser Mutter in Kalifornien zu bekommen?“

„Ja, ich habe noch ein paarmal mit Tracey gesprochen, aber ich glaube nicht, dass sie uns mehr Beispiele nennen wird, wie sie ihre Kinder bestraft. Sie findet es okay, wenn wir sie als streng und autoritär darstellen, aber nicht auf die extreme Weise, wie wir es gerne hätten.“

Ich ahne Alix’ nächste Frage voraus, deshalb füge ich hinzu: „Ich habe sie gefragt, ob sie ihre Kinder auch körperlich bestraft. Sie sagte, ab und zu mal ein Klaps, aber das ist alles.“

Alix runzelt die Stirn. „Welches Wort hat sie genau benutzt?“

Ich weiß, worauf sie hinauswill. Wieder mal soll ich eine Quelle dazu bekommen, den Artikel freizugeben, indem ich sie davon überzeuge, wir würden ihr einen Gefallen tun, wenn wir ihr die Worte im Mund herumdrehen.

Das ist so falsch, ertönt meine innere Stimme.

„Sie hat Klaps gesagt. Das ist alles.“

Ich hab’s versucht. Aber wir werden nicht das Wort verwenden, hinter dem Alix her ist: schlagen.

„Ich denke schon, dass wir hier und dort einen Begriff durch ein Synonym ersetzen können“, sagt Alix schnell. „Schlagen ist doch fast dasselbe wie ein Klaps. Klär das mit ihr ab.“

Ich schlucke schwer, dann höre ich mich sagen: „Nein.“

„Nein was?“

„Ich kann nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil sie ihre Kinder nicht schlägt, Alix.“

„Liz, ich weiß, dass du sie dazu bringen kannst, dem Wort zuzustimmen. Sonst ist der Artikel nicht als Aufmacher zu gebrauchen, und wir haben keinen Ersatz.“

Mein Magen verkrampft sich. Ich werde es – wenn ich Glück habe – heute Abend gerade so eben zum Flughafen schaffen, und wahrscheinlich werde ich im Flugzeug arbeiten. Und während der ganzen Zeit in Paris.

„Du findest immer nur Probleme, nie Lösungen“, zischt Alix leise.

Ich höre es trotzdem und lasse die Schultern hängen. „Ich ruf sie an und sehe, was ich machen kann.“

„Gut“, sagt Alix, gerade als Jeffry Clark hereinkommt, unser neuer Redaktionsleiter, den Cynthia bei einer Agentur für digitale Medien abgeworben hat. Das MacBook Air in einer Hand, die andere Hand in der Jeanstasche, schlendert er – ganz Alphamännchen – in Alix’ Büro. Sein trendiger Vollbart und die tätowierten Unterarme sollen ihn als coolen Hipster ausweisen, doch in den letzten Monaten hat sein praxisorientiertes Management gezeigt, dass er alles andere als entspannt ist. Er liegt uns ständig in den Ohren, „neue Möglichkeiten für Effizienz“ zu finden. Bestimmt hat er aus Effizienzgründen auch das „e“ aus seinem Vornamen gestrichen.

„Alix, Liz. Habt ihr euch jetzt endlich geeinigt, wer diesen Artikel schreibt?“

„Liz macht den ersten Entwurf, und ich redigiere ihn übernächsten Montag, wenn er fertig ist“, sagt Alix, bevor ich überhaupt den Mund aufmachen kann.

„Liz, du sprichst doch Französisch, oder? Du kannst die französischen Mütter aufspüren, die in den Staaten leben.“

„Und es muss sichergestellt sein, dass sie nächste Woche zum Fotoshooting kommen können. Wer macht die Vorbereitung?“, fragt Jeffry.

„Ich bin nächste Woche nicht da“, sagt Alix. „Ich bin doch auf den Bahamas.“

„Na ja, es muss jemand hier sein, der sich um das Shooting kümmert. Die Assistenten kriegen das allein nicht hin.“

Nein … NEIN, denke ich, als die Aussicht auf meine Parisreise vor meinen Augen dahinschwindet. Alix blickt mich direkt an.

„Liz kümmert sich sicher darum“, sagt sie.

„Ich bin nächste Woche auch nicht da. Erinnerst du dich an die Pressereise, an der ich für dich teilnehmen sollte? Ich könnte ja stattdessen amerikanische Mütter, die in Frankreich leben, interviewen.“

„Das wird nicht funktionieren.“ Alix schüttelt den Kopf. „Sie müssen in den Staaten wohnen.“

„Tut mir leid, Liz, du musst deine Reise absagen“, sagt Jeffry. „Alix hat ein Familientreffen in der Karibik, das sie auf keinen Fall verpassen darf. Du kannst doch auch ein andermal nach Paris fliegen. Wir brauchen dich hier. Ich sage der PR-Firma Bescheid, die die Reise organisiert hat.“

Die beiden starren mich an, und mir fällt einfach keine Antwort ein. Wenn ich mich weigere, werden sie mich feuern. Und dafür sorgen, dass mich auch kein anderes Magazin mehr anstellt. Ich habe 7897 Dollar Kreditkartenschulden, hauptsächlich, weil ich in den letzten Jahren so oft Brautjungfer war und mir die entsprechenden Kleider kaufen musste. Dann ist da meine Miete und die monatliche Rate von 505 Dollar für meinen Studentenkredit, die mich immer pünktlich daran erinnert, dass ich nur deshalb an einem der teuersten Colleges studiert habe, um die Beziehungen zu knüpfen, die mich in diesen Job gebracht haben.

„Bitte, Alix, es gibt bestimmt eine andere Lösung.“

„Tut mir leid, Liz. Es ist nicht meine Aufgabe, deine Fehler auszubügeln. Wenn du effizienter arbeiten würdest, wärst du rechtzeitig mit allem fertig geworden.“

„Aber ich muss immer die Arbeit von anderen Redakteurinnen übernehmen, die im Mutterschutz sind. Zusätzlich zu meiner eigenen. Und das weißt du auch!“

„Ausreden, nichts als Ausreden“, sagt Alix. „Wenn du Kinder hättest, könnte ich es ja noch verstehen, aber warum um alles in der Welt ist es eine so große Sache, ein paarmal im Monat länger zu arbeiten, wenn du doch keine anderen Verpflichtungen hast?“

Plötzlich fühlt sich mein Gesicht heiß an. Ich hatte immer geglaubt, Fleiß und harte Arbeit würden belohnt, aber offenbar ging der Schuss nach hinten los. Wenn ich Mutter wäre, hätte ich eine ausreichende Entschuldigung. Doch bis jetzt bin ich noch nicht dazu gekommen, Mutter zu werden. Und bis es so weit ist, wird mich keiner ernst nehmen. Egal, wie hart ich arbeite. Verdammt.

„Nein.“

„Was?“, sagt Alix.

„Ich kann nicht“, erwidere ich schlicht.

Alix kneift die Augen zusammen. „Liz, deine Arbeitseinstellung macht uns schon zu lange Probleme. Ich muss mit Cynthia reden.“

Sie wendet sich zum Gehen, und eine Schwade ihres süßlichen, altmodischen Parfums steigt mir in die Nase. Mir wird übel. Dann krümme ich mich zusammen und würge trocken.

„Liz, geht es dir gut?“, fragt Jeffry. Er und Alix eilen an meine Seite und reden mir gut zu, ich solle atmen. Schließlich kann ich mich wieder aufrichten.

„Tut mir leid, ich weiß nicht, was los ist. Ich fühle mich in letzter Zeit nicht so gut“, stottere ich. Genau in dem Moment kichert mein Handy los. Die blöde App!

Ich hantiere herum, um den Ton abzustellen und das Display auszuschalten, aber es ist zu spät.

„Oh Gott, nicht du auch noch“, flüstert Jeffry.

„Sind das Umstandsjeans?“, japst Alix.

Ich habe einen Filmriss, und dann höre ich mich Worte sagen, die garantiert nicht von mir kommen: „Ja, ich auch.“

Jetzt habe ich Jeffrys volle Aufmerksamkeit.

Hab ich das wirklich gerade gesagt?

Einen Moment lang sind sie beide sprachlos. „Warte, Liz, du bist schwanger?“, versichert sich Alix.

Ich halte den Blick gesenkt und bin wie erstarrt. Ich sage nicht Ja, aber ich sage auch nicht Nein. Ein paar Sekunden verstreichen. Mein Magen krampft sich zusammen.

„Nun ja, dann ist das geklärt. Da kann man halt nichts machen“, sagt Jeffry.

„Wann ist es so weit?“, fragt Alix.

Ich schaue auf die App hinunter. „Am sechsten Oktober.“

„Wow“, wirft Jeffry verwirrt ein. „Ich wusste gar nicht, dass du einen Freund hast … einen Partner.“

„Weil es auch niemanden etwas angeht“, erwidere ich. Wo kommt diese selbstbewusste Liz auf einmal her?

„Übrigens, Jeffry“, füge ich hinzu, „Alix hat mich beauftragt, das Zitat von der Tigermutter zu ändern und ihr in den Mund zu legen, sie würde ihre Kinder schlagen. Aber das stimmt nicht.“

Sowohl Alix als auch Jeffry wirken völlig geschockt.

Und dann beuge ich mich vor und übergebe mich in Alix’ Papierkorb.

2. KAPITEL

Leute, ich hab was Dummes angestellt! Hilfe!!! texte ich Addison und Brie. Dabei zittern meine Hände so sehr, dass ich kaum tippen kann. Ich wühle mich durch die Papierstapel auf meinem Schreibtisch, bis ich gefunden habe, was ich suche – mein eselsohriges Exemplar von Schwangerschaft und Geburt. Ich stecke es in meine Handtasche, dann begebe ich mich im Laufschritt zum Aufzug und durch die Lobby nach draußen.

Eine Nachricht von Cynthia! Sie hat es also schon gehört. Mach gleich Montagmorgen einen Termin mit mir. Du kommst doch zur Arbeit, oder?

In Ordnung. Natürlich komme ich!!!!! antworte ich mit zu vielen Ausrufezeichen. Mist.

Als ich auf dem Weg zur U-Bahn bin, meldet sich endlich Addison. Kannst du herkommen?

Sie ist bei einem Kundentermin im Soho House im Meatpacking District.

Bin auch schon auf dem Weg, textet Brie, die vom Air Yoga im Flatiron District kommt.

Gott sei Dank. Ich beschließe, mir ein Taxi in die Innenstadt zu nehmen. Der „Vogelkäfig“, wie wir das beeindruckende Jugendstilgebäude unseres Verlagshauses Halpren-Davies heimlich nennen, liegt unterhalb des Times Square. Auf der Fahrt erleide ich einen Adrenalinschub nach dem anderen. Habe ich tatsächlich gerade meine Chefs denken lassen, ich sei schwanger? Ich muss einen nervösen Anfall gehabt haben. Bestimmt eine dieser durch Babyfieber ausgelösten Psychosen, über die Paddy Cakes sicher eines Tages einen Artikel bringen wird.

Während das Taxi die Ninth Avenue entlangfährt, packt mich die Panik. Wenn Cynthia herausfindet, dass ich gar nicht schwanger bin, werde ich gefeuert und auch nie wieder bei einer Zeitschrift arbeiten. Jezebel und The Cut werden ihre Verkaufszahlen erhöhen mit der Story über „die Redakteurin, die sich als schwanger ausgab“.

Oh, wie sehr ich mir wünsche, ich hätte den Mut, auf der Stelle zu kündigen. So wie Addison es getan hat. Sie hatte die Reisekostenabrechnung ihres Chefs vergessen, weil sie einen Artikel fertigstellen musste. Statt sofort gefeuert zu werden, bekam sie vier Wochen auf Bewährung, um „ihren Wert zu beweisen“.

„Ich brauche keinen Monat“, hatte sie in typischer Addison-Manier geantwortet. „Ich kenne meinen Wert. Ich kündige.“

Das war 2008 gewesen und wir hatten danach im Bryant Park gesessen und Smoothies getrunken. Innerhalb einer Stunde hatte sie beschlossen, sich keinen neuen Job zu suchen, sondern ihren eigenen Modeblog aufzubauen.

Mittlerweile ist daraus ein Zusammenschluss von über tausend Modejournalisten, Bloggern und YouTube-Größen geworden. Innerhalb der letzten Jahre hat sie es mit ihrer Trendgenerator-Website auf die „30 unter 30“-Liste des Magazins Forbes geschafft. Jeder Beitrag über die neuesten Produkte von exklusiven Modemarken bringt ihr stattliche 15 Prozent Provision ein.

Nervös checke ich meine Handynachrichten, aber Cynthia meldet sich zum Glück nicht mehr. Ich googele wie wild. Von „Schwangerschaft vortäuschen“ komme ich über „Arbeitsrecht für Schwangere“ zu „Gefängnisstrafen für Krankenkassenbetrug“ und bin versucht, mein Handy einfach aus dem Fenster zu werfen.

Endlich fällt mir ein, dass es noch jemanden gibt, an den ich mich in meiner Not wenden kann. Jemand, der sich in der Branche auskennt und immer weiß, was zu tun ist. Ford. Mein früherer Arbeitsehemann, zehn Jahre älter als ich und mein Mentor, als ich bei Paddy Cakes anfing. Jetzt ist er leitender Redakteur bei unserem Männermagazin Basics.

Ich schreibe ihm eine SMS und bekomme Sekunden später seine Antwort: Bin auf dem Weg.

Als ich beim Soho House ankomme und dem Portier Addisons Namen nenne, schickt er mich in die Lounge im sechsten Stock. An einigen der Tische dort sitzen erfolgreich aussehende Geschäftsmänner in Slim-Cut-Anzügen, die mit Jahrzehnte jüngeren Frauen in bauchfreien Tops plaudern. Die Masche „kleines blondes Frauchen“ zieht also auch hier. Ich entdecke Addison an einem Tisch in der Mitte, wie sie auf ihrem Laptop herumtippt. Zum Glück kommt Brie ein paar Minuten später ebenfalls an. Dann Ford.

Ich erzähle ihnen, was passiert ist und warum ich nicht im Flieger nach Paris sitze, und rechne mit ihrem Entsetzen. Stattdessen sind sie ganz auf meiner Seite.

„Gut gemacht!“, sagt Addison und fasst ihre in natürlichen Schattierungen gefärbten blonden Locken zu einem Pferdeschwanz zusammen. „Es muss doch wirklich mal ein Ende haben, dass Frauen in den Zwanzigern gnadenlos von diesen elitären Dinosauriern ausgenutzt werden, die ihnen vorgaukeln, sie könnten durch Fleiß und harte Arbeit Karriere machen! Und dann sitzen sie mit dreißig immer noch in einer Wohngemeinschaft in Queens, mit Mitbewohnern, die sie nicht ausstehen können, und müssen so viele Überstunden schieben, dass sie hauptsächlich von Snacks, Kaffee und Cocktails leben! Das ist schlicht und einfach Folter! Du bist traumatisiert! Scheiß auf sie!“

„Addison hat recht, Lizzie“, sagt Brie und legt mir eine Hand auf den Arm. „Du bist schon seit einer ganzen Weile nicht mehr du selbst. Als du angefangen hast, hattest du dieses innere Strahlen. Aber in letzter Zeit wirkst du immer lustloser. Du musstest was unternehmen.“

Brie weiß, wovon sie spricht. Nachdem sie vor Kurzem Life-Wise, ein Fortbildungsprogramm im Gesundheits- und Wellnessbereich, abgeschlossen hat, hat sie ihren Job als Marketingmitarbeiterin aufgegeben und nennt sich nun „disruptive Innovationsberaterin“. Jetzt verdient sie mit schlanken Powerpoint-Präsentationen, die Titel tragen wie Was bedeutet Wandel?, ein sechsstelliges Jahresgehalt. Aber ihr trendiger, schokobrauner Half Bun und der knallrote Lippenstift können nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese zierliche Person immer noch ihren Seelengefährten sucht. Genau wie schon mit einundzwanzig.

„Das hier ist sogar noch unterhaltsamer als die männlichen Models, die ich gestern auf der Show von Prabal Gurung gesehen habe“, sagt Ford. Als er an unseren Tisch tritt, zupft er an seiner schwarzen Kaschmirstrickjacke, um das kleine Bäuchlein zu verdecken, das er vor sich herschiebt. Kurz nachdem ich ihn kennenlernte, haben wir ihn Ford getauft – für Tom Ford, den Modedesigner –, weil er mit seinem kantigen Kinn und den stahlblauen Augen so ziemlich jedes männliche Model abschleppen konnte, auf das er Lust hatte. Er hatte sogar eine heiße Sommeraffäre mit dem Sitcom-Star John Paul Harding, die ihm ganz schön zu Kopf stieg. In den letzten Jahren hat allerdings die ständige, arbeitsbedingte Beschäftigung mit Trendküche und angesagten Restaurants ihren Tribut gefordert, und jetzt hat er mehr einen Waschbär- als einen Waschbrettbauch.

Während Addison alle Details aus mir herausquetscht, nickt Brie mir immer wieder tröstend zu, und Ford lacht sich halb tot. Ich hoffe derweil inständig, dass keiner von Paddy Cakes hier auftaucht.

„Es ist bestimmt Burn-out. Ich kann dir da einen unglaublich guten Homöopathen empfehlen. Vielleicht hast du nur eine Blockade im Gallenblasenmeridian …“, unterbricht mich Brie, während ich erzähle, was vorher in der Redaktion passiert ist.

„Ich glaube, ein Homöopath hilft da nicht mehr“, witzelt Ford. „Sie braucht einen Vater für ihr Kind.“

„Na, dafür müsste sie erst mal Sex haben“, schießt Addison zurück.

„Leute! Konzentriert euch! Was soll ich jetzt bloß machen? Die werden mich feuern. Und mich auf die Schwarze Liste setzen. Ich werde wieder bei meiner Mutter einziehen müssen.“

„Mach doch nicht immer gleich aus allem eine Katastrophe“, sagt Addison. „Wir finden schon eine Lösung.“

Eine Weile sitzen wir schweigend da und überlegen.

Am Nebentisch führt eine Blondine mit hochtoupierten Haaren ein lautstarkes Handygespräch. Nach ihrem Blumen-kind-Coachella-Stil zu urteilen, kommt sie aus L.A. Sie ist höchstens fünfundzwanzig, aber offenbar die Herausgeberin eines Lifestyle-Blogs für trendige Mütter.

„Ich meine … es ist schon okay“, sagt sie. „Annie Leibovitz ist cool, aber wir könnten fünf Shootings davon am Tag in L.A. machen und dafür noch eine große Kosmetikfirma als Sponsor bekommen. Ja, ernsthaft. Ja, weißt du, was wirklich etwas bringen würde? Fotos von stillenden Müttern. Die Leser lieben sie. Es hat dieses Jungfrau-Maria-Flair, weißt du. Natürlich alles völlig gefakt, aber … Oh, warte mal, entschuldige, mein Manager ruft an. Also meine Mom. Ja, du weißt schon – sie ist beides in einer Person. Ha. Hi, Mom. Ja, okay, ein Fotoshooting in Aspen. Schön. Wann?“ Ihr Gesichtsausdruck ändert sich plötzlich dramatisch. „Was? Sie bezahlen den Flug für mein Kindermädchen nicht? Dann will ich nicht. Das würde bedeuten, dass ich im Morgengrauen aufstehen muss. Um neun oder so!“

Addison scheint einen Geistesblitz zu haben. „Moment mal … Ich glaube, Ms. Coachella hat mich da auf was gebracht. Warum tun wir nicht einfach so, als ob? Wir faken es einfach! Das machen wir bei Fotoaufnahmen doch ständig. Vielleicht merkt es keiner? Zumindest ein paar Wochen lang.“

„Hm. Gar nicht so schlecht“, sagt Brie und wirkt ein wenig erleichtert.

„Meint ihr, sie kriegt das hin?“, fragt Ford, als ob ich nicht mit am Tisch säße.

„Nicht hilfreich …“, werfe ich ein.

„Schau, Lizzie, ich denke, du hast gar keine andere Wahl. Du kannst es einen Monat lang durchziehen – bis zum sechsten Juni – und die Zeit nutzen, dir genügend Aufträge zu sichern, um dann als Freiberufler gleich durchzustarten. Und am Anfang sieht man ja sowieso noch nicht so viel. Keiner wird was merken“, erklärt Addison.

„Oh, da hab ich die perfekte Lösung. Ich frage diesen Typen, auf den ich schon lange heiß bin, ob er uns hilft, deinen Babybauch zu kreieren. Er ist Stylist bei der Naomi Marx Show. Und ich hab dann gleich einen Grund, ihn öfter zu sehen. Er ist jung, heiß und ein Vollidiot. Also genau mein Typ.“ Ford grinst.

„Und wenn ich erwischt werde?“

„Du schaffst das, Lizzie. Du hast doch mit nichts anderem als Babys zu tun, seit du einundzwanzig bist. Du kennst den ganzen Kram in- und auswendig“, sagt Addison.

„Aber wenn ich einen Fehler mache, verliere ich meinen Job.“

„Das klappt schon“, widerspricht Addison. „Und ich werde dich nur zu gern dabei unterstützen, dieser Firma eins auszuwischen. Sie ist mein größter Wettbewerber!“

„Und wenn sie bei Paddy Cakes hören, dass ich Freelancer-Aufträge suche?“

„Du willst dich doch als Reisejournalistin selbstständig machen. Die haben keinen Kontakt zu Redakteuren eines Elternmagazins. Sie sind wie Vollmilch-Latte und Alix – das geht nicht zusammen“, beruhigt mich Ford.

„Du kriegst das hin“, sagt Addison zuversichtlich. „Schnell, wie nennt man die ersten Tests und wofür sind sie?“

„Normales Blutbild – um sicherzugehen, dass man gesund ist“, zitiere ich.

„Ab wann kennst du das Geschlecht?“

„Wenn ich Ergebnisse vom ersten Blutbild bekomme. In der zehnten Woche.“

„Was sind die ersten körperlichen Anzeichen einer Schwangerschaft?“

„Morgenübelkeit, Verdauungsbeschwerden … und Brüste! Größere Brüste!“ Ich blicke auf meine C-Cups hinunter, die ich glücklicherweise von meiner Mom geerbt habe. Zusammen mit der nicht vorhandenen Lücke zwischen meinen Oberschenkeln.

Die Mädels fragen mich weiter ab, und ich liefere die Antworten wie ein Schnellfeuergewehr mit Babywissen-Munition. Als ob ich mein ganzes Leben lang auf diesen Tag gewartet hätte.

„Wie lange hast du letzte Nacht geschlafen?“, fragt Brie, die langsam Spaß an der Sache bekommt.

„Ha, das ist eine Fangfrage. Nicht genug.“

„Wer ist der Vater?“, stichelt Ford.

„Sagen wir einfach erst mal, es war eine unbefleckte Empfängnis.“

„Perfekt. Wir wissen ja alle, dass Mutterschaft der direkte Weg zur Göttlichkeit ist.“

„Eins noch. In welchem Monat bist du?“

„Keine Ahnung?“ Ich erstarre und schaue auf meine App.

Da die „Wochen“ hier montags anfangen, bin ich am Ende des vierten Monats. Noch fünf Monate bis zum sechsten Oktober. Meinem „Geburtstermin“. Ich blicke mich in der Lounge um, und mein Gehirn arbeitet plötzlich auf Hochtouren.

Aus einer Ecke ertönt das Surren der Kaffeemühle und mischt sich mit dem Klingeln von Weingläsern. Die Lounge füllt sich zusehends, und ich erkenne in allem unterschiedliche Möglichkeiten. Vielleicht gibt es wirklich noch mehr da draußen, als ich mir bisher erlaubt habe, wahrzunehmen. Vielleicht haben meine Freunde recht.

Ich lehne mich im Stuhl zurück und spiele mit dem Gedanken eines Mutterschaftsurlaubs, in dem ich mich selbst bemuttere. Zeit für mich, mich selbst neu zur Welt zu bringen und herauszufinden, was ich wirklich mit meinem Leben anfangen will. Ich wäre nicht in anderen Umständen, sondern in eigenen Umständen. Könnte das meine Chance sein?

Eine lange unterdrückte Vision steigt in mir auf. Ich sehe mich selbst, wie ich meinen grauen Büroalltag gegen Sonnentops und Sarongs eintausche und starken indonesischen Kaffee trinke, während ich am Strand von Bali einen Artikel für Travel + Leisure fertigstelle. Und vielleicht lerne ich dabei sogar einen attraktiven Import-/Exporthändler kennen, der mich dann wirklich schwängert …

Ein Energieschub fährt mir durch den Körper und setzt Dinge in mir frei, die seit Ewigkeiten geschlummert haben. Ich schaue meine Freunde an. Ja, sie haben recht. Ich muss das jetzt durchziehen – es ist meine einzige Chance. Entschlossen lege ich beide Hände auf den Tisch.

„Ihr sagt also, ich behalte das Baby?“

„Ja.“ Addison schaut mich geradeheraus an.

„Ja.“ Brie legt mir einen Arm um die Schulter.

„Ja“, sagt Ford und nickt enthusiastisch.

„Also gut.“ Ich schlucke schwer. „Mir ist übel.“

„Das muss auch so sein“, erwidert Brie kichernd.

Jetzt bin ich also in eigenen Umständen.

3. KAPITEL

Mittlerweile ist es Abend. Bis Viertel nach elf haben wir ein paar Wodka Soda gekippt, und meine Freunde haben mich irgendwie dazu überredet, mit ihnen in die knallvolle Karaokebar am St. Mark’s Place zu gehen. Addison knüpft Kontakte an einem Tisch, an dem Modeblogger, Modelbooker und extrem dünne Models aus den Balkanstaaten sitzen, während ich versuche, Brie davon abzuhalten, alle drei Minuten ihr Handy zu checken.

Inzwischen weiß Brie, dass sie von ihrem vierundvierzig Jahre alten früheren Kollegen Baxter nicht mehr zu erwarten hat als eine „Freunde mit gewissen Vorzügen“-Situation. Er hat überdeutlich klargestellt, dass er keine „romantische Bindung“ möchte, und zwar ziemlich kaltherzig an einem Abend im Trend-Restaurant Babbo. Bries Annahme, ständiges Vögeln würde bedeuten, er sei an einer Beziehung interessiert, war wohl ein Missverständnis.

Aber sie fragt sich immer noch, ob sie vielleicht dem Universum die falschen Signale sendet, wenn sie an diesem Arrangement festhält, zumal sie nicht mal sicher ist, ob sie Baxter überhaupt haben wollte, wenn er sich tatsächlich für sie interessieren würde. Als potenziellen Ehemann, zum Beispiel. Seit sie dreißig geworden ist, kreisen ihre Gedanken ironischerweise nur noch darum, einen PE (potenziellen Ehemann) aufzutreiben, und mittlerweile fällt für sie jeder männliche Single mit einem Job in diese Kategorie.

Nach der sechsten Textnachricht schaue ich sie böse an.

„Ich schwöre dir, Lizzie, ab morgen tritt der Geheimplan für den Richtigen in Kraft.“

„Was um alles in der Welt ist das?“, frage ich, während Addison für ihren Auftritt in Richtung Bühne geht.

„Das ist eine brandneue Methode – ich habe sie letztens bei einer Mastermind-Session erfunden. Eine Kombination aus der Lehre des Films The Secret und den Büchern Die-4-Stunden-Woche und Überflieger. Kurz gesagt werde ich mir im Geiste den perfekten Mann vorstellen, das Flirten an jede verfügbare Dating-App outsourcen und damit mein Ziel von zehntausend Stunden erfüllen, die man bekanntlich braucht, um etwas – und zwar egal was – bis zur Perfektion zu betreiben. Auf dem Weg zur Datingmeisterin wird mein verfügbarer Liebes-Arbeitsspeicher bis oben hin voll sein, sodass für Baxter nicht mal mehr ein Kilobyte übrig bleibt.“

Für mich klingt das mindestens ebenso anstrengend wie eine Schwangerschaft vorzutäuschen, aber Brie wirkt begeistert, also nicke ich lächelnd, während sie sich auf den Weg zum Mikro macht. Innerlich jedoch habe ich eine Panikattacke. Das muss das Gefühl sein, über das alle jüngeren Redakteurinnen reden, denke ich. Die Angst hat mich so im Griff, dass es sich anfühlt, als ob der Boden unter mir schwankt. All die Jahre habe ich es jetzt geschafft, die sogenannte Dunkle Seite zu meiden, der sich viele Redakteurinnen zuwenden, um den Druck irgendwie auszuhalten: Magersucht, Medikamentenabhängigkeit, die gelegentliche Kokslinie. Darin habe ich nie einen Sinn gesehen – oder vielleicht liegt es auch an meiner braven katholischen Erziehung –, aber jetzt meine ich zu spüren, was es mit dieser neuen Panik auf sich hat. Ich versuche, sie mit großen Schlucken meines benzinartigen Wodka Sodas zu bekämpfen, während ich den Blick durch die Bar schweifen lasse, in der wir schon so oft waren.

Addison nimmt mir das Songbuch aus der Hand und reicht mir ein Mikrofon. „Du bist dran, meine Liebe. Und hör auf, dich beim Singen selbst zu bemitleiden. Ich kann es nicht mehr sehen.“

„Mach ich ja gar nicht. Nicht heute Nacht.“ Ich schüttele den Kopf. Karaoke war noch nie meine Stärke. Beim You Oughta Know-Debakel 2002, unserem Freshman-Jahr auf dem College, ergriff jeder einzelne Mann im Raum die Flucht, was mein romantisches Schicksal für die restlichen Collegejahre besiegelte. Woher hätte ich auch wissen sollen, dass es den ersten Eindruck ziemlich versaut, wenn man auf einer Karaokeparty die Abrechnung einer lesbischen Sängerin mit dem Ex lautstark herausbrüllt? Ich glaube, die Jungs hatten hinterher Angst vor mir.

Aber dann höre ich den bekannten Partyhit Hotstepper, der meine Laune hebt. Dem Neunziger-Rap-Rhythmus folgt Everybody Dance Now. Ich drehe mich um und sehe einen sehr süßen Kerl Mitte dreißig selbstbewusst zur Bühne gehen. Er nimmt das Mikro und beginnt einen perfekt einstudierten Rap, der uns alle zum Lachen bringt.

„Er ist gut“, sagt Brie.

„Ich weiß“, erwidere ich beeindruckt.

„Möglicherweise hab ich ihm gesagt, dass meine Freundin einen echt miesen Tag hatte und ein Medley aus Neunziger-Hits sie aufmuntern würde.“

„Oh Gott, das hast du nicht getan, Addison.“

„Irgendjemand musste dir einen Schubs geben.“ Sie grinst.

Als Nächstes kommt I’m Too Sexy, dann Don’t Go Chasing Waterfalls. Der Mann hat es wirklich drauf und trifft jeden Ton. Mitten in Crazy streicht er sich mit der einen Hand durch sein hellbraunes gewelltes Haar und vollführt mit der anderen einen komplizierten Steven-Tyler-Move. Er trägt diese Light-Wash-Jeans von Gap, die alle Fußballer auf dem College anhatten. Ich kann nicht aufhören zu lachen, weil er so gut ist und sich gleichzeitig selbst nicht so ernst nimmt. Als Chumbawambas I Get Knocked Down anfängt, feuert die ganze Kneipe ihn an, und er macht sich ans große Finale, den rennenden Mann zu Poison.

„Der traut sich was“, meint Addison anerkennend.

„Er ist süß“, bemerkt Brie.

„Ich glaube, ich kenne ihn irgendwoher“, sage ich. „Woher kenne ich ihn?“

Brie schiebt mir einen eklig süßen Lemon Drop Shot hin. Warum nicht? denke ich und stürze ihn hinunter. Ich räuspere mich, blicke auf den Teleprompter und fluche, als ich entdecke, welches Lied Addison und Brie für mich ausgesucht haben. Beim Einsetzen der mir traumatisch vertrauten Musik beginnen die beiden zu kichern. Wie immer verziehen alle in der Bar schmerzvoll das Gesicht, sobald ich die ersten Zeilen herauskrächze. Doch schon bald schmettere ich mich durch den Text, als ob mein Leben davon abhinge. Es fühlt sich gut an. Ich bin nun mal eine Frau, die in keine Schublade passt, und es macht mir verdammt noch mal nichts mehr aus.

„You … you … you oughta know“, singe ich in voller Lautstärke, während die Musik schon früher als erwartet aufgehört hat. Meine kreischende Stimme erfüllt die plötzlich einsetzende Stille, dann verstumme auch ich. Beim Blick ins Publikum sehe ich, dass Addison und Brie gegen ihr Lachen ankämpfen. Ein paar Leute klatschen langsam und ohne Überzeugung. Ich bemerke, dass der Gap-Jeans-Typ ebenfalls scherzhaft klatscht. Lieber Himmel. Zutiefst beschämt verlasse ich eilig die Bühne. Ich brauche noch einen Drink und gehe mit rotem Kopf zur Bar.

„Einen Wodka Soda mit einem Schuss Cranberry“, bestelle ich beim Barkeeper.

„Macht sechzehn Dollar“, antwortet er. Autsch.

„Ich geb Ihnen einen aus“, bietet mir ein merkwürdiger Typ mit unstetem Blick an und greift zu seiner Männerhandtasche. „Ein Malibu?“

„Ähm, nein danke“, erwidere ich höflich und stöbere in meiner Umhängetasche nach meiner Geldbörse. Um einen besseren Überblick zu bekommen, stelle ich meine riesige Hobo Bag auf dem Rand des Tresens ab. Etwas Schweres im Inneren bringt sie zum Umkippen, und der gesamte Inhalt verteilt sich auf dem Boden.

„Kann ich Ihnen helfen?“ Es ist der Gap-Jeans-Typ, der ebenfalls an die Bar gekommen ist. Ich werde zunehmend nervös, als wir uns beide bücken und er mir mein Exemplar von Schwangerschaft und Geburt reicht.

„Das ist nicht, ähm, meins, na ja, ist es schon, aber ich bin nicht … Sie wissen schon … Ich arbeite bei einem Elternmagazin.“ Er sieht aus, als müsse er sich das Lachen schwer verkneifen.

„Moment mal, Sie sind doch Liz Buckley? Die stellvertretende Chefredakteurin bei Paddy Cakes? Sie kamen mir doch gleich so bekannt vor. Ich bin Ryan, vom Discovery Channel.“

Stimmt, jetzt erinnere ich mich auch wieder. Er ist vor Kurzem siebenunddreißig geworden, was ich mitbekommen habe, weil wir auf Facebook befreundet sind. Ich hatte mich um einige Details für einen Artikel über Mehrlingsgeburten gekümmert, den Ryan fürs Fernsehen adaptierte.

Bevor ich ihn bezüglich meines Titels korrigieren kann, setzt die Musik wieder ein. „Oh, sorry, ich bin wieder dran.“ Er eilt zur Bühne und glänzt mit Better Man von Pearl Jam. Unglaublich, wie gut Ryan ist. Nicht unbedingt perfekt, aber stark und voller Selbstvertrauen. Fasziniert starre ich ihn an. Er scheut sich überhaupt nicht davor, er selbst zu sein. Das ist süß. Und so anders als bei den zombiehaften Psychos, mit denen ich mich gewöhnlich bei Tinder herumschlagen muss. Er hat ein Herz, echtes Blut fließt in seinen Adern. Als er fertig ist, kommt er wieder zu mir an die Bar.

„Ich habe eine Wette verloren, deswegen haben meine Kumpels mich da raufgejagt. Heute hat mein Team, Liverpool, verloren.“

„Sieht aber ganz so aus, als ob Sie vorher geübt hätten“, ziehe ich ihn auf. Er wird tatsächlich rot.

„Hey, ich hatte vor, auf dem Heimweg bei dieser Suppenbar vorbeizuschauen und mir was zu essen mitzunehmen. Hätten Sie Lust, mitzukommen? Sie sehen aus, als könnten Sie auch eine heiße Suppe gebrauchen.“

„Warum nicht“, antworte ich lachend. Brie singt gerade eine gefühlsduselige Ballade, das heißt, der Abend wird sowieso bald zu Ende sein, weil das nur ein Vorspiel für ein Treffen mit Baxter ist.

Ich gebe Addison ein Zeichen, dass ich gehe, und sie winkt mir zustimmend zu. Ihr aktueller Risikokapitalanleger Brady ist inzwischen auch aufgetaucht (sie verbindet das Angenehme mit dem Nützlichen und geht nur noch mit Business Angels aus, die sie als Investoren für ihren Blog gewinnen will).

Ryan und ich bahnen uns einen Weg durch die vielen Menschen und gehen die Straße runter zu einem Laden namens Soju Ramen, wo die Leute Schlange stehen. Fünf Mittzwanziger in Flanellanzügen debattieren darüber, ob es nicht besser wäre, zu einer Suppenbar in Flushing zu fahren. Ich liebe es, Gespräche von fremden Leuten zu belauschen, und fühle mich dadurch gleich besser. Schließlich sind wir dran und werden nach unseren Wünschen gefragt.

„Einmal mit Schweinefleisch, bitte.“

„Gute Wahl. Zwei Mal, bitte“, fügt Ryan hinzu.

„Und meine bitte mit fünf Tropfen Sriracha-Soße.“

„Wow, Sie mögen’s scharf, was?“

„Und wie.“

Ryan rückt seine abgetragene Baseballkappe zurecht. „Also, stellvertretende Chefredakteurin Liz Buckley … Werden Sie sich nächste Woche die Sondersendung über Mehrlingsgeburten anschauen?“

„Ja, aber ich bin nicht stellvertretende Chefredakteurin. Das ist Alix.“

„Aber haben Sie nicht die ganze Vorbereitungsarbeit für die Kooperation erledigt?“

Es hat mich viele Stunden gekostet, aber wie immer bekam Alix die Lorbeeren dafür. „Na ja, Sie wissen ja, wie es ist.“

Die Frau hinter dem Tresen wirft uns einen bösen Blick zu und erinnert uns damit daran, dass hinter uns noch andere hungrige Leute bestellen möchten. Ryan berührt mich leicht am Arm und führt mich ein Stück zur Seite. „Wohnen Sie in der Gegend?“

„Nein, an der Upper West Side.“

„Oh, cool. Uptown, wie schick. Nur das Beste für die stellvertretende Chefredakteurin Liz“, zieht er mich auf.

„Ha. Schön wär’s.“ Ich denke an das kleine Einzimmerapartment mit Mietdeckelung, in dem ich die letzten vier Jahre gewohnt habe, weil ich den Mietvertrag von meiner alten Chefin übernehmen konnte.

„Ich wohne auch nicht hier, sondern Ecke First und A Avenue.“

„Im Partyviertel“, revanchiere ich mich. Es fällt mir erstaunlich leicht, locker zu sein.

„Nein, ich wohne bei meinem Bruder. Er hat vor ein paar Jahren eine größere Wohnung an Land gezogen. Sie ist gleich um die Ecke von der Bar, wo ich mir immer die Erstligaspiele anschaue.“ Er blickt auf seine Füße. „Lassen Sie uns doch mal schauen, ob wir uns nicht treffen und ein paar neue Ideen besprechen können.“

„Klar, warum nicht“, sage ich und versuche, gelassen zu bleiben. „Das wäre schön.“

„Dann sollte ich vielleicht Ihre Nummer haben, nur vorsichtshalber.“ Plötzlich wirkt er ganz ernst.

Das habe ich nicht erwartet. Ich gebe ihm dieselbe 917-Nummer, die ich seit dem College habe.

„Zum Mitnehmen oder Hier-Essen?“, fragt die Frau hinter dem Tresen.

Ryan schaut mich erwartungsvoll an. Ich würde gern hier essen und mehr über seine Arbeit erfahren, warum er auf britische Fußballteams steht und wo genau er seine Gap-Jeans herhat. Aber die Ereignisse des Tages plus dem Lemon Drop plus dem Wodka Cranberry machen sich bei mir langsam bemerkbar, und ich bin mir nicht sicher, was ich so alles daherreden würde.

„Für mich zum Mitnehmen, bitte“, sage ich.

„Dann meins auch“, sagt Ryan.

„Das macht vierundzwanzig Dollar“, erwidert die Frau.

„Oh, sie hat bestimmt unsere Bestellungen zusammengerechnet …“ Ich wühle wieder nach meiner Geldbörse.

„Schon gut, ich übernehme das“, winkt Ryan ab.

„Nein, Sie sollen mich nicht aus Mitleid einladen.“

„Ich übernehme das“, wiederholt er. „Und ich bemitleide Sie nicht, Liz. Ich weiß, dass Sie erfolgreich sind. Nächstes Mal zahlen Sie.“

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