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Neues Glück im kleinen Strickladen in den Highlands

Als Buch hier erhältlich:

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Romantische Gefühle, Freundschaft und ganz viel Wolle

Im beschaulichen Callwell ist Ruhe eingekehrt. Maighreads kleiner Strickladen findet immer mehr Zulauf. Und auch Chloe ist glücklich mit ihrer Entscheidung für den Loch Lomond. Doch zu viel Beschaulichkeit ist auch nicht das Wahre, und so planen die Freundinnen ein Handarbeitsfestival am Ufer des Sees. Wollhändler, Handfärber, Spinner und Designer werden eingeladen, Wettbewerbe und Handarbeitskurse geplant. Doch als Maighreads Freund Joshua bei einem Sturm in Not gerät, scheinen sich dunkle Wolken vor das Glück zu schieben.


  • Erscheinungstag: 21.09.2021
  • Aus der Serie: Der Kleine Strickladen
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749950836
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Widmung

Für alle Heldinnen,

die Lust auf Abenteuer haben

und sich gut gelaunt

kopfüber hineinstürzen.

Und für jene,

die noch etwas zaghaft sind,

und lieber vorsichtig bleiben.

Und ganz besonders

für meine herrlich verrückte

Freundin Nicola,

die ein riesengroßes Herz hat

und englische Wolle so sehr liebt.

Prolog

Mehr und mehr riss die dichte graue Wolkendecke auf. Hinter den schnell ziehenden Wolkenfetzen zeigte sich in den größer werdenden Lücken das blaue Firmament. Strahlend hell blitzte die Sonne hervor und brachte die Welt zum Leuchten.

Die wie mit grünem Samt überzogenen Wiesen, der üppig gelb blühende Ginster, Hunderte über das Grün verstreute blaulila Hasenglöckchen und die Wipfel der Wälder bildeten im wechselnden Spiel des goldenen Lichts eine perfekte Harmonie. Bei diesem Anblick ging Maighread das Herz auf. Schottland im Frühsommer bei strahlend schönem Wetter war für sie der Inbegriff von Paradies.

Fast reglos lag der Loch Lomond vor ihnen. Das beeindruckende Himmelsspektakel spiegelte sich in seinem Wasser, was den Zauber zusätzlich verstärkte. Es wirkte wie ein perfektes Postkartenmotiv, nur dass es kein mit Filter aufgehübschtes Hochglanzbild war, sondern atemberaubende Realität.

»Wie schön!«, jubelte Chloe und seufzte aus tiefstem Herzen, als hätte sie Maighreads Gefühle aufgefangen.

Sie hob im Gehen ihr Gesicht der wärmenden Maisonne entgegen. Sanfte Windböen spielten mit ihren Haaren und zerzausten ihre Frisur. Zweimal strich Chloe sich die Strähnen aus der Stirn, dann gab sie den Versuch auf. Sie blieb stehen und atmete durch.

Maighreads Hündin Molly genoss diesen Frühsommertag auf ihre Weise. Sie rannte manchmal unvermittelt los, bremste dann voll ab und raste in wildem Tempo wieder zurück. Dabei machte sie Sprünge, als wäre ein bisschen Hase oder Känguru in ihrem Erbgut. Mit ihren Clowneinlagen brachte sie Maighread und Chloe immer wieder zum Lachen. Auch jetzt war Molly ein kleines Stück vorausgelaufen. Als sie merkte, dass ihre Begleiterinnen nicht hinterherkamen, machte sie kehrt und trabte schwanzwedelnd zurück. Mit schief gelegtem Kopf blieb sie vor Chloe stehen und schien zu fragen: »Hey, was ist denn los? Trödel mal nicht so.«

Maighread beobachtete, wie Chloes Schultern sich mit jedem tiefen Atemzug hoben und beim Ausatmen wieder senkten.

Chloe bekam von alldem gar nichts mit. Sie legte den Kopf in den Nacken und drehte sich, die Augen geschlossen, einmal um sich selbst. »Ich liebe den Mai mit den Farben, die wie frisch gewaschen wirken und mit seinem Duft nach Frühling und dem Versprechen auf Sommer«, verkündete sie, nachdem sie sich zu Ende gedreht hatte, über ihre Schulter in Maighreads Richtung. »Diese Mischung aus jungem Gras, Moos, Erde und dem See. Einfach phänomenal.«

Während Chloe noch einmal einen tiefen Atemzug nahm, ließ sie ihren Blick über die Hügel und das vor ihnen liegende Wasser streifen. Molly hatte sich derweil ins Gras gelegt und schnupperte an einem Gänseblümchen. Als eine Hummel direkt vor Mollys Nase auf der Blüte landete, zuckte die Hündin zuerst zurück, schnupperte dann aber genauso neugierig wie gerade am Blümchen nun am Hummelpopo.

»Ich möchte am liebsten die Welt umarmen!«, rief Chloe plötzlich übermütig. Sie breitete die Arme ganz weit aus, als wolle sie ihre Worte in die Tat umsetzen.

Maighread, die ein paar Schritte hinter Chloe gewesen war, hatte inzwischen aufgeschlossen. »Absolut atemberaubend«, bestätigte sie.

Chloe hatte genau das ausgesprochen, was sie selbst nur Sekunden vorher gedacht hatte. Maighread blieb neben ihrer Freundin stehen. »Egal, wie oft ich es erlebe, diese Natur überwältigt mich immer wieder aufs Neue. Ich kann mich nicht sattsehen. Nur schade, dass Joshua und Scott nicht mitkommen konnten.«

Joshua nahm übers Wochenende an einer Fortbildung zu den neuesten Messtechniken und Studien in Sachen Klimaerwärmung in Edinburgh teil. Maighreads Liebster war seit Jahren Teil eines Forscherteams, das die Folgen der Klimaerwärmung für die Natur Großbritanniens dokumentierte. Joshua war Bereichsleiter für die Highlands und betreute selbst das Gebiet rund um den Loch Lomond. Er liebte die Natur und betrachtete es als Privileg, sich beruflich für deren Schutz einsetzen zu dürfen. Zu seinen Aufgaben gehörten unter anderem Wildzählungen, Wasserprobenentnahmen innerhalb festgelegter Bereiche des Sees, Temperaturmessungen und Naturbeobachtungen aller Art. Ganz nebenbei bemühte er sich auch um den Umweltschutz. Einmal jährlich organisierte er eine öffentliche Müllsammelaktion. Together against Highland Waste war ein großer Erfolg und inzwischen weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und ein Magnet für Menschen, die sich engagieren und einbringen wollten.

Chloes große Liebe Scott, der inzwischen auch in Callwell lebte, wäre zwar furchtbar gern mit spazieren gegangen, doch er hatte Bereitschaftsdienst und musste die Stellung in seiner Praxis halten. »Macht euch einen schönen Tag«, hatte er gesagt und Chloe einen Kuss gegeben. »Ich werde die Zeit nutzen, um die lästigen Büroarbeiten zu erledigen. Ich komme sonst ja kaum dazu.« Nach einem weiteren zärtlichen Abschiedskuss hatte Scott sich auf den Weg in die Praxis gemacht, und Chloe hatte ihre Jacke vom Haken genommen und sich Maighread und Molly angeschlossen, die sie abgeholt hatten, um gemeinsam zum See zu spazieren.

Landarzt zu sein brachte Scott im Vergleich zu seiner früheren Stellung als leitender Klinikarzt zwar mehr Freiheiten, aber es forderte im Umkehrschluss auch seinen vollen Einsatz, oft weit in das Privatleben hinein. Man war hier eben auf dem Land, jeder kannte jeden und anonym untertauchen, wie das in der Stadt möglich war, funktionierte in Callwell nicht. Eine Trennung von Beruf und Privatleben war nahezu unmöglich.

Die Einwohner hatten Scott als einen der Ihren angenommen und von daher war er natürlich immer der erste Ansprechpartner in medizinischen Notfällen – ganz egal, ob er gerade Sprechstunde hatte oder nicht. Im Pub, auf dem Sportplatz, beim Spaziergang – die Menschen riefen ihn um Hilfe, wenn sie ihn brauchten.

Für Scott war das kein Problem. »Wenn ich an die vielen Doppelschichten und Nachtdienste im Krankenhaus denke, ist das hier ein Klacks«, hatte er Maighread erst vor Kurzem erklärt. Nur Chloe stöhnte hin und wieder, weil Scott so viel arbeitete.

Gleichzeitig war sie aber auch unheimlich stolz auf ihn. Sie liebte besonders seine herzliche Art – nicht nur im Umgang mit Patienten. Maighread freute sich sehr für Chloe und Scott, dass sie einander gefunden hatten. Einen besseren Menschen an ihrer Seite hätte Chloe sich nicht wünschen können, davon war Maighread überzeugt. Scott war in jeder Hinsicht eine Bereicherung, denn er war ein fantastischer Mann und ein sehr empathischer Arzt. Für Callwell war es ein Segen, dass Scott die Praxis von ihrem alten Doc Fergus Lockerbie übernommen hatte. Landärzte waren in der heutigen Zeit nicht mehr so einfach zu finden. Und Chloe war bis in die Nasenspitze in ihren Scott verliebt. Seit sie zusammengezogen waren, schien es Maighread, als strahlte ihre wunderbare Freundin vor Glück von innen.

Die beiden Frauen standen noch immer andächtig nebeneinander und genossen die Natur und den Frieden. Versonnen sog Maighread, genau wie Chloe, den Zauber des Augenblicks in sich auf, der sich hier vor ihnen entfaltete.

»Manchmal frage ich mich, wie ich es je in der Stadt habe aushalten können. Die vielen Häuser und Menschen – heute würde ich ersticken«, sinnierte Chloe.

Kurz blieb sie noch stehen, dann zog sie einen Beutel aus ihrem Rucksack und ging in die Hocke. Lächelnd streifte sie mit der Hand über die unzähligen lieblichen Gänseblümchen, die wie kleine Sonnen ihre Blüten dem Himmel entgegenreckten. Unter Mollys neugierigem Blick begann Chloe die Blümchen zu pflücken.

Gänseblümchen standen bei ihr hoch im Kurs, sie verwendete die Blüten sehr vielfältig in ihrem Kräuterladen. Von Tee über Cremes und Salben bis zu Seifen. Bevor Maighread Chloe kennengelernt hatte, hatte sie nicht im mindesten geahnt, was für ein Schatz Gänseblümchen waren. Doch seit Chloe ihr das erste Mal eine Gänseblümchengesichtscreme geschenkt hatte, verwendete Maighread nichts anderes mehr.

»Vermutlich hat alles seine Zeit«, nahm Maighread die Überlegung ihrer Freundin auf und erinnerte sich daran, wie es ihr gegangen war in ihrer Zeit in der Stadt. »Ich fand das Stadtleben zwar anstrengend, aber auch spannend und inspirierend. Es war alles so lebendig. Immer in Bewegung. Ständig musste ich mich auf neue Situationen einstellen, blitzschnell reagieren. Das hatte schon auch was. Ich habe die Hektik damals in gewisser Weise genossen. Aber das ist vorbei. Inzwischen kann ich mir das nicht mehr für mich vorstellen. Ich möchte nie wieder woanders leben, Callwell ist meine Heimat geworden.«

Maighread ging nun ebenfalls in die Hocke. Sie streichelte zuerst Molly und kraulte sie hinter den Ohren, dann half sie Chloe beim Sammeln und lauschte dabei dem Klang ihrer Worte nach.

Es stimmte. Sie hatte hier in Callwell Wurzeln geschlagen. Manchmal konnte sie es kaum fassen, dass sie wirklich erst ein paar Jahre hier lebte. Es fühlte sich an, als wäre es schon immer so gewesen.

Hier hatte sie alles, was sie brauchte, um glücklich zu sein: Ihren kleinen Strickladen, tolle Freunde – besonders natürlich Chloe, aber auch Peter und Scott, das Granny-Trio bestehend aus ihrer eigenen Großmutter Elisabeth, Chloes Großmutter Gwendolyn und Eilidh, die zwar keine echte Großmutter war, sondern die Haushälterin von Callwell Castle, aber trotzdem zum unzertrennlichen Trio gehörte und last, but noch least gab es hier in Callwell den wichtigsten Menschen in Maighreads Leben – ihre große Liebe Joshua, mit dem sie gemeinsam auf Callwell Castle, seinem Elternhaus, wohnte. Obendrein hatte sie diese wunderbare Landschaft, die sie immer wieder aufs Neue in ihren Bann zog, direkt vor der Haustür. Mehr konnte Maighread sich nicht wünschen.

Während Chloe und Maighread beide ihren Gedanken nachhingen, ernteten sie flott Blümchen um Blümchen. Es dauerte nicht lang, dann hatten sie die Stofftasche zur Hälfte gefüllt. Chloe packte die Beute weg, stand auf und streckte sich.

»Na komm«, forderte sie Maighread auf, die noch immer in der Hocke saß und mit offenen Augen träumte. »Die nächste Charge Gänseblümchensalbe ist gesichert, und für den Tee wird es auch noch reichen. Lass uns mal ein Stück marschieren, damit wir nicht träge werden, vor lauter Ruhe und Besinnlichkeit.«

»Du und träge.« Maighread lachte bei dieser Vorstellung. Chloe war ein Ausbund an Energie.

Meistens steckte sie ihre Kraft in ihren kleinen Kräuterladen, entwickelte neue Seifen, Salben, Cremes oder Mischungen für ihre Kräutertees. Sie streifte durch die Natur und sammelte Kräuter und Material für ihre wunderschönen Gestecke. Oder sie kümmerte sich um ihre Kunden, hörte zu und half ihnen, ihre Gedanken zu ordnen. Das konnte Chloe hervorragend gut, denn sie war nicht nur Spezialistin in Sachen Kräutern, sondern auch eine ausgebildete Psychologin mit einem feinen Gespür für die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen.

Chloe hatte so unfassbar viele Talente, neben ihr kam sich Maighread mit ihrem Faible für Wolle und Design fast langweilig blassgrau vor. Der Gedanke überraschte sie. So hatte Maighread das noch nie bewusst wahrgenommen. Fühlte sie sich tatsächlich langweilig? Sie war doch zufrieden. Sie liebte ihre Arbeit. Und wenn die Wollhersteller ihr Sortiment änderten und Maighread in neuer Wolle schwelgen konnte, war das für sie der siebte Himmel.

Woher kam dann diese Idee?

Maighread spürte der Frage nach. Das musste der kurze gedankliche Exkurs zum Stadtleben gewesen sein, der ihr das Plätschern ihres jetzigen Lebens vor Augen geführt hatte, schlussfolgerte sie nach kurzem Abwägen. Aber das richtige Wort war Ruhe, nicht Langeweile, korrigierte sie ihre eigenen Gedanken. Daran war gar nichts Schlechtes. Genau das hatte sie schließlich gewollt. Deshalb waren sie oder ihr Leben noch lange nicht blassgrau. Wenn schon, dann eher himmelblauregenbogenbunt. Genau wie die Wolle in ihrem Laden, die sie so sehr liebte. Jetzt lächelte Maighread zufrieden. Dieser Ansatz gefiel ihr deutlich besser.

Maighreads Laden, das Wolle & Zeit, lief bestens. Zu ihren überwiegend weiblichen Kunden hatte Maighread einen sehr guten Draht. Sie liebte es, Menschen zu helfen, die perfekte Wolle für bestimmte Projekte zu finden. Und auch wenn sie natürlich keine psychologisch fundierte Kommunikation anbieten konnte wie Chloe, freuten sich die Kundinnen doch immer sehr über die anregenden Gespräche und fachkundige Beratung, während sie die neuesten Wollschätze bewunderten und ihre Auswahl trafen.

Die kleine Sitzecke, die Maighread im Laden eingerichtet hatte, war ein beliebter Treffpunkt. Hier fand man sich auf eine gemütliche Strickstunde und eine Tasse Tee zusammen und gönnte sich eine kleine Auszeit vom Alltag. Es wurde geplaudert und gelacht und natürlich wurden auch Neuigkeiten ausgetauscht. Hochzeiten, Geburten, Todesfälle oder Scheidungen. Während gemeinsamer Handarbeitsstunden kam alles auf den Tisch. Durch ihren kleinen Strickladen war Maighread in Bezug auf das Dorfleben immer auf dem neuesten Stand.

Wenn das Geschäft es zuließ, gesellte sich hin und wieder auch Chloe gern dazu. Sie hatte ihren Laden, Chloes Kräuterträume, zum Glück direkt nebenan. Es war wunderbar, Laden an Laden mit der besten Freundin arbeiten zu können. Und noch fantastischer fand Maighread, dass Chloe inzwischen ihre Leidenschaft fürs Stricken entdeckt hatte. Es hatte sie viel Überzeugungsarbeit gekostet, aber inzwischen strickte Chloe immer besser und wagte sich auch an einfache Lacemuster heran. Maschen überziehen, Umschläge stricken oder gar Maschen aufnehmen versetzte sie längst nicht mehr in Schockstarre.

Während Maighread bewundernd über Chloes Strickfortschritte nachdachte, spazierten die Freundinnen nebeneinanderher Richtung See. Molly, die gerade noch eifrig an einem Mauseloch gebuddelt hatte, hob den Kopf. Als sie sah, dass es endlich weiterging, rannte sie mit wedelndem Schwanz den Weg voraus bis ans Ufer und, bevor Maighread reagieren konnte, ungebremst mit großen Sprüngen direkt ins Wasser hinein.

»Molly, du bist verrückt!« Maighread schüttelte den Kopf über ihre Hündin, der das sicher noch eisige Wasser nichts auszumachen schien. Ganz im Gegensatz zu ihrem Frauchen, dem allein beim Gedanken an die Kälte das Blut in den Adern gefror. Schaudernd zog Maighread den Schal enger, den sie locker um den Hals geschlungen hatte. Der Wind hatte mittlerweile aufgefrischt, Maighread holte ihre Strickmütze aus der Jackentasche und zog sie sich über die Ohren.

Sie hatte in den letzten Monaten ihre Leidenschaft für Longbeanies entdeckt und etliche in vielerlei Ausführungen gestrickt. Die meisten hatten die Kunden ihr längst abgekauft. Wenn sie gewollt hätte, hätte sie auch diese schon verkaufen können, die sie jetzt gerade trug. Aber die gab sie nicht her, es war ihre Lieblingsmütze. Sie hatte sie mit der Bo Peep pure von den West Yorkshire Spinners gestrickt, in einem einfachen Rippenmuster und in der Farbe Rosemary. Maighread liebte das zarte Grün, das ihre grünen Augen betonte.

Molly hatte nach Maighreads Ausruf kurz gestoppt. Die Hündin drehte sich zu ihrem Frauchen um, und als Maighread nicht weiter protestierte, stapfte sie vergnügt durch die schwappenden Wellen ein Stück am Uferbereich entlang. Zwischendurch schnappte sie immer wieder in das Wasser hinein, dass es nur so spritzte.

»Sie versucht schon wieder Fische zu fangen«, kommentierte Chloe amüsiert und kicherte. »Ich würde ja gern sehen, was passiert, wenn sie je einen erwischt.«

Maighread stimmte in das Kichern ein. »Vermutlich würde sie vor Schreck einen Satz machen und den Fisch sofort wieder loslassen«, mutmaßte sie.

Vielleicht würde sie sich so erschrecken, dass ihr die Lust an diesem Spiel verginge. Allerdings standen die Chancen für die Fische, nicht erwischt zu werden, ziemlich gut. Mollys Schnappversuche waren viel zu zaghaft, als dass sie eine echte Gefahr darstellen würden. Sie jagte überhaupt nicht wirklich, Maighread hatte ihre Fellnase durchschaut. Molly planschte einfach nur gern und die sich bewegenden Fischsilhouetten unter Wasser weckten ihren Spieltrieb.

Aber jetzt war es genug. Maighreads Beschützerinstinkt meldete sich vehement. Das Wasser war sicher noch sehr kalt, sie hatte Angst, dass die Hündin sich erkältete.

»Komm jetzt, Molly, hier entlang«, rief sie deshalb. Ein kurzer Pfiff, und Molly gehorchte. Mit drei Sprüngen, die das Wasser ordentlich spritzen ließen, erreichte sie das Ufer. Kaum war sie auf dem Trockenen, schüttelte sie sich, dass die Tropfen flogen.

Chloe und Maighread schlugen den Uferweg Richtung Wald ein. Molly trabte leichtpfotig ihren Begleiterinnen voraus, sah sich aber immer wieder um, ob ihre Menschen auch hinterherkamen.

Als Chloe sich bückte und einen Zweig aufhob, stand die Hündin sofort parat. Sie liebte es zu apportieren. Doch Chloe schüttelte den Kopf und packte den Stock zu dem Beutel mit den Gänseblümchen in ihren großen Rucksack. »Der ist zu schön, Molly, den brauche ich für meine Deko.« Die Hündin, die zwar ein Mischling war, rein äußerlich aber fast wie ein reinrassiger Border Collie aussah, legte den Kopf schief und schien zu überlegen. Dann sah sie ein, dass Chloe es ernst meinte, und rannte davon, um am Wegesrand zu schnuppern.

Wie immer, wenn sie spazieren ging, sammelte Chloe im Vorübergehen den ein oder anderen Schatz und packte ihn in ihren Rucksack. Sie konnte gar nicht anders, ihr Blick wanderte ganz von allein die Wegesränder entlang, um Kräuter oder Dekomaterial aufzustöbern. Maighread hatte sich längst daran gewöhnt und hielt selbst Ausschau nach Dingen, die für Chloe wertvoll sein könnten.

Einträchtig marschierten sie eine ganze Weile am Wasser entlang. Sie sprachen nur wenig, nicht viel mehr als hin und wieder ein »Schau mal!« oder »Ist das nicht hübsch?«, wenn sie die andere auf etwas aufmerksam machen wollten. Ansonsten ließen sie neben den Füßen auch die Gedanken spazieren gehen und genossen die Gemeinsamkeit.

Einmal allerdings blieb Chloe stehen und hob schnüffelnd die Nase. »Ramsons«, sagte sie gleich darauf. »Hilfst du mir, Maighread? Bärlauchblätter habe ich natürlich längst reichlich geerntet, aber das ist die Gelegenheit, Blüten und Knospen zu sammeln.«

»Na klar, hast du einen Beutel für mich?« Maighread ließ sich nicht lange bitten. Sie schnappte sich den Stoffbeutel und ging mitten hinein in das Bärlauchfeld, das sich unter den lichten Bäumen ausbreitete. Es war eine Sisyphusarbeit, die kleinen Blütenknospen abzuknapsen. Aber da Maighread wusste, wie köstlich sie schmeckten, wenn sie eingelegt wurden, arbeitete sie trotz ziehender Rückenmuskeln stoisch vor sich hin.

»Ich glaube, das genügt«, meldete Chloe sich gerade, als Maighread dachte, ihr Rücken würde auseinanderbrechen. Stöhnend kam sie in die Höhe und hielt Chloe ihre Ernte hin.

»Perfekt. Und weil du so fleißig warst, verspreche ich dir auch mindestens zwei Gläser Ramsonskapern.«

»Wusste ich doch, dass die Schinderei sich lohnt«, feixte Maighread. »Deine eingelegten Bärlauchknospen sind der Hit, Chloe, da freue ich mich drauf.«

»Aber erst mal haben wir uns jetzt eine Pause verdient. Komm, lass uns gehen. Es ist nicht mehr weit bis zu unserem Plätzchen.«

»Pause. Was für ein wunderbares Wort.« Während der ersten Schritte spürte Maighread noch ihre beleidigte Rückenmuskelatur, dann löste sich die Verkrampfung und sie fühlte sich wieder gut.

Direkt neben ihnen machte ein Karpfen einen unerwarteten Sprung aus dem Wasser. Maighread, die ganz entspannt vor sich hin geträumt hatte, zuckte zusammen und gab einen kleinen Schrei von sich. Im nächsten Moment lachte sie und schüttelte den Kopf über ihre Schreckhaftigkeit.

Chloe sah sie erstaunt an.

»Was ist denn mit dir los? Seit wann bist du so schreckhaft?«, wollte sie wissen und schob neckend hinterher: »Dachtest du, Nessi ist zu Besuch im Loch Lomond und wollte dich als Häppchen zwischendurch?«

»Quatschtante«, gab Maighread zurück. »Ich hatte einfach nicht mit diesem Springfisch gerechnet, das ist alles.«

Während sie weitergingen, spürte Maighread immer noch das wilde Herzklopfen, das der Schreck ausgelöst hatte. Dieser kleine Zwischenfall lenkte ihre Gedanken wieder zurück zum Thema Ruhe und Besinnlichkeit. Und irgendwie fühlte sie sich unruhig. Als läge etwas in der Luft.

»Ich weiß, es ist verrückt, aber das war das Aufregendste, was in den letzten Wochen passiert ist. Sag mal, Chloe, werden wir alt und träge?«

Chloe prustete, fasste Maighread unter den Arm und führte sie zu den großen Findlingen, die am Wegesrand lagen. »Na dann komm, du altes Mütterchen. Lass uns eine Pause einlegen.«

Das war ihre Lieblingsstelle, hier saßen sie oft. Die Steine waren so abgeflacht, dass man bequem darauf sitzen konnte. Maighread konnte die Stunden nicht mehr zählen, die sie hier verbracht hatten. Es war der perfekte Ort, um zu träumen, nachzudenken, die Welt auszusperren und ganz bei sich zu sein. Oder bei Joshua, ergänzte sie in Gedanken und ein kleines Lächeln stahl sich in ihre Mundwinkel. Mit ihm saß sie auch gern hier. Joshua in ihrem Leben zu haben war das größte Geschenk für Maighread. Sie hätte nie gedacht, je einen Menschen zu finden, der so perfekt zu ihr passte.

Kaum dass sie saßen, kramte Maighread auch schon in ihrem Rucksack und zog das Strickzeug heraus. Sie hatte auch Chloes Arbeit dabei, da Chloe ihre Tasche für die Fundstücke brauchte.

»Diese Wolle ist ein Traum. Schau dir nur diese Färbung an. Ich bin so froh, dass ich es dieses Frühjahr nach Edinburgh geschafft habe, zum Yarn Festival, und Amely kennenlernen konnte. Sie ist eine echte Künstlerin, wenn es um natürliches Färben geht. Nächstes Jahr musst du mich unbedingt begleiten, Chloe. Du wirst begeistert sein, das verspreche ich dir.«

Glücklich strich Maighread über das angefangene Strickstück. Dann schob sie flugs die Maschen zurecht, wickelte den Lauffaden um den Finger und begann zu arbeiten. Chloe tat es ihr gleich.

»Geht es wieder, oder brauchst du Baldrian für deine strapazierten Nerven?«, fragte Chloe nach ein paar Minuten in übertrieben fürsorglichem Ton. »So viel Aufregung in deinem Alter«, setzte sie hintendran und grinste über ihr Strickzeug hinweg zu Maighread hinüber.

Doch damit brauchte sie Maighread nicht zu kommen. Das Thema beschäftigte sie wirklich. »Mach dich nicht über mich lustig, Chloe, ich meine es ernst«, beschwerte sie sich deshalb.

»Tut mir leid«, beschwichtigte Chloe sofort, als ihr klar wurde, dass Maighread das Thema tatsächlich auf der Seele brannte. »Also gut, dann lass uns mal gemeinsam reflektieren. Was genau treibt dich um?«

Maighread konnte an Chloes Tonfall hören, dass sie jetzt ernsthaft bei der Sache war.

»Es geht um die Ruhe, die wir hier haben, und um die Frage, wie viel Beschaulichkeit gut für uns ist«, erklärte sie ihrer Freundin deshalb, um die Fragestellung zu präzisieren. »Unser Leben plätschert ohne große Wellen vor sich hin und ich frage mich, ob es auf Dauer nicht zu langweilig wird und ob uns das träge macht. Verschlafen wir unser Leben?« Gespannt ließ Maighread ihre Worte nachklingen.

»Hm«, machte Chloe nach einer Weile nachdenklich. »Callwell ist ein beschaulicher Ort. Ich mag das sehr.« Sie sah Maighread an und ergänzte: »Und du ja auch, das weiß ich. Aber vielleicht ist es ein wenig zu beschaulich und das weckt bei dir das Gefühl, träge zu werden. Wenn ich so darüber nachdenke, ist da vielleicht sogar etwas dran. Im Vergleich zu letztem Jahr ist echt nicht viel los bei uns. Wir haben unsere Freunde und die Geschäfte laufen gut, was beides durchaus erfreulich ist. Wir haben uns ein gemütliches Nest gebaut und weil es so schön ist, verlassen wir es kaum. Cocooning ist der neue Begriff dafür. Dieses sich in seinem kleinen Reich Einspinnen ist sogar ein Trend. Aber vielleicht haben wir es übertrieben? Vermutlich könnten wir mal wieder ein bisschen Schwung außerhalb unseres Alltags brauchen. So ein positives Kribbeln, das uns spüren lässt, dass wir lebendig sind.«

»Genau das ist es, Chloe«, stimmte Maighread ihr zu. »Du bringst es auf den Punkt. Positives Kribbeln. Eine Herausforderung, die zufrieden macht, wenn wir sie gemeistert haben. So wie letztes Jahr.

»Das war so schön, als wir alle zusammen den Basar organisiert haben, um deinen Traum vom Kräuterladen zu retten«, schwärmte Maighread. »Es war unfassbar anstrengend, aber auch so ein gutes Gefühl. Besonders nachdem wir es am Ende geschafft hatten.«

»Hm«, kam es wieder von Chloe. Sie hatte ihr Strickzeug weggelegt und starrte auf den See hinaus. »Ich weiß genau, was du meinst. Das hat uns alle ziemlich gefordert, aber es war lebendig. Und es hat unsere Gemeinschaft noch enger zusammengeschweißt. Und auch die Baustelle, bis mein Kräuterladen eingerichtet war, hat uns neben dem Alltag ganz schön gefordert. Das fällt jetzt alles weg. Eine neue Aufgabe würde uns vielleicht wirklich guttun.«

»Aber was?«, überlegte Maighread und richtete die Frage an sich selbst ebenso wie an Chloe. »Noch mal einen Basar?«

Chloe schüttelte den Kopf. »Ich glaube eher nicht. Das war schon etwas sehr Besonderes und so ganz ohne Anlass wäre es sicher nicht einfach, die Menschen zu mobilisieren.«

»Das stimmt. Es müsste irgendetwas sein, was die Stadt nach vorne bringt, was den Menschen Spaß macht. Nur …«, Maighread strickte ein paar Maschen, während sie auf eine zündende Idee hoffte. Als sie die Reihe beendet hatte, streichelte sie wieder versonnen über die traumhaft schön gefärbte Wolle in unterschiedlichen Blautönen.

»Ich hab es!«, rief Chloe, die Maighread beobachtet hatte, in der nächsten Sekunde laut und klatschte begeistert in die Hände.

Maighread zuckte zusammen. Vor Schreck rutschten ihr ein paar Maschen von der Nadel. Doch das kümmerte sie gerade nicht. »Was? Sag schon!«

»Wir haben es quasi direkt vor der Nase. Wieso ist uns das nicht längst eingefallen? Wir haben den Wald vor lauter …«

»Chloe!«, rief Maighread ungeduldig. »Was?«

»Ich komme ja schon auf den Punkt«, beschwichtigte Chloe und schien nach Worten zu suchen. Doch Maighread konnte am Funkeln in Chloes Augen ablesen, wie sehr ihre Freundin es genoss, sie noch ein wenig zappeln zu lassen.

»Grrr«, knurrte Maighread, um Chloe endlich zum Reden zu bringen. Dabei zog sie die Lippen auseinander, als würde sie die Zähne fletschen.

Molly, die neben den Steinen im Gras ein Nickerchen machte, hob den Kopf und blinzelte ihr Frauchen verwundert an. Chloe kicherte. Doch endlich erbarmte sie sich und rückte mit der Sprache raus.

»Du schwärmst mir doch ständig von den Wollfesten vor. Besonders das Edinburgh Yarn Festival versetzt dich jedes Jahr in Ekstase. Wenn ich sehe, wie du dein Strickstück anschmachtest, weil die Wolle handgefärbt ist. Wieso also sollte es nicht auch …«

»… ein Callwell Yarn Festival geben?«, vollendete Maighread Chloes Satz. Der Funke hatte sofort gezündet.

Maighread ließ das Strickzeug samt den verlorenen Maschen fallen, sprang auf und hüpfte auf der Stelle.

»Willst du den Wallabys Konkurrenz machen?«, fragte Chloe. Sie saß auf dem Stein, beobachtete Maighread und strahlte. Offensichtlich war sie sehr zufrieden mit der Wirkung, die ihr Vorschlag hatte.

»Und wieso bist du so cool?«, hielt Maighread dagegen.

Insgeheim gab sie Chloe recht, der Vergleich mit den Wallabys, die auf der Insel Inchconnachan mitten auf dem Loch Lomond lebten, drängte sich bei ihrem Gehopse tatsächlich auf. Um ihrer Freundin nicht noch mehr Grund für Neckereien zu geben, kletterte Maighread zurück auf den Stein und angelte nach ihrem Strickzeug, das seitlich über die Kante weggerutscht war. Doch die verlorenen Maschen mussten warten. Maighread konnte sich jetzt nicht darum kümmern. Es gab Wichtigeres.

»Also, was sagst du?«, wollte Chloe nun wissen.

»Das fragst du noch?« Maighread gab Chloe einen übermütigen Knuff gegen den Arm. »Mensch, Chloe, das ist die Idee! Du bist ein Genie. Wieso bin ich nicht darauf gekommen?«

Ohne es bewusst zu steuern, begannen Maighreads Hände, sich um das Strickzeug zu kümmern. Sie versuchte, die Maschen wieder einzufangen, doch vor lauter Aufregung rutschten stattdessen immer mehr von der Nadel. »Ups«, sagte sie und lachte. Jetzt musste sie sich aber zusammenreißen, sonst würde sie sich später ärgern. »Moment, bin gleich wieder bei dir«, sagte sie deshalb und konzentrierte sich auf die Aufgabe. In Sekundenschnelle hatte sie das Malheur behoben.

Chloe hatte sie mit großen Augen beobachtet.

»Wie machst du das nur?«, fragte sie jetzt und schnaubte empört. »Ich kann dank deiner Anleitung zwar inzwischen auch Maschen retten, aber bei mir ist es eine Operation am offenen Herzen mit viel Adrenalin und immer mit ungewissem Ausgang. Bei dir ist es dagegen wie ein ordentlich gemachter herber Kräuterextrakt. Bevor man das Bittere richtig schmeckt, entfaltet sich auch schon die heilende Wirkung und alles ist wieder gut.«

»Quatschtante«, sagte Maighread und schenkte Chloe einen liebevollen Blick. »Du machst das prima. Du bist richtig gut geworden, Chloe, und du wirst immer besser.« Aber dann nahm Maighread den Faden wieder auf, es gab jetzt Wichtigeres als die Kunst, Maschen zu fangen. »Lass uns bitte bei der Sache bleiben. Ein Wollfestival! Das ist so unfassbar genial. Wann wollen wir es machen? Du musst unbedingt deine Kräutersäckchen beisteuern. Vielleicht sogar einen Kurs dazu. Und ich könnte meine neuesten Designs vorstellen und vielleicht neue Wollsorten. Wir brauchen Zusatzangebote. Färben und Spinnen sind wichtige Themen. Ich muss Amely fragen, ob sie dabei sein will. Und ich muss unbedingt Richard anrufen. Die West Yorkshire Spinners werden uns bestimmt unterstützen. Vielleicht …« Maighreads Gedanken schlugen Purzelbäume und die Worte sprudelten ihr nur so über die Lippen.

»Hol mal Luft, Maighread«, bremste Chloe sie amüsiert. »Lass uns nach Hause gehen, wir sollten die Ideen aufschreiben, sonst verpufft diese tolle Anfangsenergie und am Ende vergessen wir die schönsten Einfälle. Eins ist jedenfalls jetzt schon sicher: Wir werden ein Riesenevent daraus machen und den Staub von unserem kleinen beschaulichen Callwell pusten«, freute sie sich.

»Ganz genau«, stimmte Maighread zu. »Wieso sollen solch tolle Veranstaltungen immer nur in Edinburgh stattfinden? Pass nur auf, wir bringen ordentlich Leben ins Städtchen. Das wäre doch gelacht!«

»Lass uns das Strickkränzchen stürmen und mal ein bisschen aufwirbeln. Elisabeth, Gwendolyn und Eilidh werden begeistert sein.«

Maighread schob die Maschen auf ihrer Nadel nach hinten und den Maschenstopper über die Nadelenden. Dann packte sie das Strickzeug in die Tasche.

Das unzertrennliche Granny-Kleeblatt hatte sich bei Elisabeth verabredet, um den Sonntagnachmittag gemeinsam zu verbringen. Eilidh hatte extra einen Whiskykuchen gebacken.

Die drei Frauen waren in den letzten Monaten beste Freundinnen geworden. Sie trafen sich oft auf eine Tasse Tee und handarbeiteten gemeinsam für gute Zwecke. Maighread konnte kaum erwarten, den Ladys die Neuigkeiten zu erzählen.

Sie sprang auf die Füße und rief: »Na dann los, worauf warten wir noch?«

Kapitel 1

Maighread

»Na, dann will ich mal«, sagte Eilidh nach dem Abendessen mit Blick auf die Uhr. Leise ächzend stemmte sie sich von ihrem Stuhl in die Höhe.

Nach einem wunderschönen Frühling hatte der Sommer leider beschlossen, die Menschen nicht zu sehr zu verwöhnen. Sonnentage waren rar in diesem Jahr, dafür gab es reichlich Regen und Wind, deutlich mehr, als für Schottland ohnehin üblich war. Maighread wusste, dass das nasskühle Wetter Eilidhs Knochen zu schaffen machte, sie nahm sich vor, am nächsten Tag bei Chloe eine Salbe für die Haushälterin zu besorgen.

Eilidh war die gute Seele von Callwell Castle und für Maighread viel mehr eine zusätzliche Granny oder großmütterliche Freundin als eine Angestellte. Schnell stand sie ebenfalls auf, denn die Haushälterin begann bereits mit energischen Bewegungen, Teller, Besteck, Platten und Gläser auf das Tablett zu stapeln.

»Lass mich helfen, Eilidh«, sagte Maighread. »Das schwere Tablett nehme ich.«

Im ersten Moment wollte die Ältere die Hilfe abwehren, das konnte Maighread an ihrer Miene ablesen. Aber bevor sie etwas erwidern konnte, war auch Joshua aufgestanden.

»Ich bin auch noch da«, verkündete er. »Na hopp.« Er drückte Eilidh den Brotkorb in die Hand. »Ab in die Küche mit dir. Wir bringen den Rest. Zu dritt sind wir im Nu fertig und du kommst rechtzeitig zu deinem Date.« Er zwinkerte Eilidh zu, in seinen Augen blitzte der Übermut.

»Date«, fauchte die Haushälterin auch prompt. Sie schnaubte entrüstet und schüttelte ihren Kopf. »Was du wieder für einen Unsinn plapperst.« Doch das sanfte Rot, das ihre Wangen überzog, sprach Bände.

Eilidh schwärmte für Alastair McPherson, den im ganzen Land und teilweise sogar darüber hinaus bekannten Talkmaster und Moderator von Channel Six. Wenn seine Show abends lief, hatte Eilidh es immer eilig, die Küche in Ordnung zu bringen und sich in ihr Zimmer zurückzuziehen. Seit sie im Frühjahr gemeinsam mit Elisabeth und Gwendolyn bei einer Live-Aufzeichnung der Quizz-Show in Edinburgh dabei sein konnte, waren die Ausstrahlungstermine ihr heilig. Abgesehen von ihrer Lieblings-Quizz-Show interessierte Eilidh das Fernsehprogramm kaum, sie sagte immer, das echte Leben sei viel spannender als die zehnte Wiederholung irgendeines Films.

Alastair McPherson hatte an diesem Tag in Edinburgh die Herzen aller drei Ladys im Sturm erobert. In einer Aufnahmepause hatte er Autogramme gegeben. Als Eilidh, Gwendolyn und Elisabeth an der Reihe waren, hatte der Ansturm gerade nachgelassen und Alastair hatte sich Zeit genommen, um mit den unzertrennlichen drei zu plaudern. Noch Wochen danach hatten die Freundinnen sich überschlagen vor Begeisterung. »So ein charmanter Mann«, hauchten sie angetan und: »Wie sympathisch und zuvorkommend.« Oder auch: »Diese schönen braunen Augen, und die Ausstrahlung, sehr beeindruckend. Und dann auch noch Schotte, was hat unser Land doch nur für ein Glück.«

Joshua liebte es, Eilidh zu necken. Da sie so vehement abstritt, von dem Moderator angetan zu sein, ließ er sich wieder auf den Stuhl sinken und wollte Maighread zu sich auf den Schoß ziehen.

»Na, dann können wir ja sitzen bleiben, dann hast du es ja nicht eilig«, sagte er und lachte laut auf, als Eilidh ihn daraufhin prompt am Ohr zog.

»Das könnte dir wohl so passen, du Lauser. Jetzt hast du deine Hilfe schon angeboten, dann hilf gefälligst auch.«

Zu dritt waren sie wie erwartet im Nu fertig, zumal Eilidh die Küche schon während sie das Abendessen gerichtet hatte, gut in Schuss gehalten hatte. Maighread bewunderte Eilidh sehr für ihre Fähigkeit, zu kochen und zu backen, ohne dass sie im Chaos versank. Bei Maighread sah die Küche hinterher immer aus wie ein Schlachtfeld.

Normalerweise lebten sie zu viert auf Callwell Castle. Aber John, das Oberhaupt der Familie, war verreist. Wohin genau er gefahren war, hatte er nicht verraten. Nur, dass er ein wenig Stadtluft brauchte. Niemand hatte näher nachgefragt, denn es war nicht ungewöhnlich. John liebte es, ins Theater, in die Oper oder in Konzerte zu gehen, und er nutzte jede Gelegenheit, um ein paar Tage zu verreisen. Da er Callwell Castle bei seinen Kindern in guten Händen wusste, war das auch überhaupt kein Problem.

Die Tatsache, dass John ihr Vater war, erschien Maighread noch immer wie ein Wunder. Besonders, da er auch Joshuas Vater war, wenn auch nur der Adoptivvater. Diese durchaus verzwickte Familiengeschichte hatte Maighread zufällig aufgedeckt, als sie vor einigen Jahren nach Callwell Castle gekommen war.

Eigentlich hatte sie nur ihre Großeltern kennenlernen wollen, damit jedoch versehentlich die Büchse der Pandora geöffnet – zumindest hatte es sich im ersten Moment so angefühlt, als sie gedacht hatte, Joshua, der Mann, den sie liebte, sei ihr leiblicher Bruder. Damals wäre beinahe alles in einer großen Katastrophe geendet. Aber nur beinahe, dachte sie, und streichelte lächelnd Joshuas Hand. Heute war dieses familiäre Gefüge ein großes Glück für sie alle.

Der Tag war lang und anstrengend gewesen. Nachdem Eilidh ihnen eine gute Nacht gewünscht hatte und auf ihr Zimmer gegangen war, hatten Maighread und Joshua es sich vor dem Kamin gemütlich gemacht. Joshua saß auf dem Sofa, die Füße auf den davorstehenden Polsterhocker gelegt. Maighreads Füße lagen auf Joshuas Schoß. Sie steckten in schicken mit über den Spann laufendem Zopfmuster gestrickten Kuschelsocken, die sie angenehm warm hielten. Maighread wackelte in erwartungsvoller Vorfreude mit den Zehen. Sie liebte es, wenn Joshua ihre Füße sanft massierte.

Während sie die Nähe zu Joshua und die Wärme des prasselnden Kaminfeuers genoss, strickte Maighread an einem Pullover, den sie Gwendolyn schenken wollte. Sie hatte sich für eine einfache von oben gestrickte Variante entschieden. Zum einen, weil ihr dadurch das mühsame Zusammennähen erspart blieb, zum anderen, weil sie die Möglichkeit, vom Halsausschnitt weg einen Pullover ohne viel Aufwand für alle möglichen Größen anzupassen, sehr faszinierend fand. Diese Strickart, die man abgekürzt RVO – Raglan von oben – nannte, hatte Maighread gerade erst neu für sich entdeckt. Sie hatte vor, einige Pullover auf diese Art zu stricken und Anleitungen dazu zu schreiben.

Dieses ganz einfache Modell sollte die Basis werden, darauf wollte sie aufbauen. Auf diese Weise konnte sie auch gleich die Panache testen, ein Wolle-Polyacryl-Gemisch, gegen das sie sich zuerst gesträubt hatte. Inzwischen hatte sie ihre Meinung allerdings schon revidiert, denn die Wolle fühlte sich trotz des Polyacrylanteils sehr angenehm an und ließ sich sehr gut verarbeiten. Damit würde sie ganz sicher noch mehr stricken. Vielleicht einen Poncho, dafür müsste die Wolle gut geeignet sein. Flauschig warm, aber nicht zu schwer. Der Poncho sollte schwingen und locker fallen.

Während die Nadeln leise klapperten, wanderten Maighreads Gedanken von den Überlegungen zu den Anleitungen wieder zum Wollfestival und begannen, sich munter zu drehen. Sie hatten beim Abendessen fast ausschließlich darüber gesprochen, nachdem Maighread bereits den ganzen Tag mit der Planung verbracht hatte – immer nur kurz von Kunden im Strickladen unterbrochen. Manchmal fürchtete sie, verrückt zu werden vor lauter Denken.

Joshua hatte sich mittlerweile in sein Lieblingsbuch über schottische Seen vertieft, während seine rechte Hand immer weiter über Maighreads Füße streichelte. Die Ruhe und Entspannung taten Maighread ungemein gut, auch wenn sie ihr Gedankenkarussell nicht stoppen konnten. Mit Joshua zusammen war Maighreads Welt vollkommen. In ihm hatte sie die Liebe gefunden, nach der sie sich immer gesehnt hatte. Mit ihm wollte sie alt werden. Sie kuschelte sich noch ein wenig näher an ihren Liebsten.

Lennox hatte sich vor dem Kamin zusammengerollt. Auch er genoss die Ruhe und schnarchte leise. Der Rüde war eindeutig der ruhigste der drei Hunde und das nicht nur, weil er der ältere war. Bonny und Molly hatten für die abendliche Besinnlichkeit rein gar nichts übrig. Sie freuten sich, endlich wieder beisammen sein zu können, nachdem Maighread Molly tagsüber mit in den Strickladen genommen hatte. Obwohl sie es gewohnt waren, taten die beiden Hündinnen jedes Mal aufs Neue so, als wären sie eine Ewigkeit getrennt gewesen.

Jetzt spielten sie schon über eine Stunde miteinander. Wenn die eine Ruhe gab, fing die andere wieder an – so lange, bis die Freundin wieder mitmachte. Am liebsten spielten sie Zerrspiele mit ihrem Stoffschaf, dem bereits eins der vier Beine und einige Woll-Locken fehlten. Die Hündinnen standen sich gegenüber und zogen wie wild an dem Schaf. Dabei knurrten sie, als ginge es um Leben und Tod. Nur die aufgeregt wedelnden Schwänze zeigten, dass es wirklich ein Spiel war. Das ging so lange, bis eine der anderen das Spielzeug abgerungen hatte. Dann startete eine wilde Verfolgungsjagd.

Gerade sauste Molly, das Schaf zwischen den Zähnen, quer durch das Zimmer. Im Rennen drehte sie den Kopf nach hinten, um zu sehen, ob Bonny ihr auch wirklich hinterherjagte. Dieser kurze Moment der Unachtsamkeit genügte. Molly konnte dem Stuhl direkt vor ihr nicht mehr ausweichen. Im letzten Moment drehte sie ab und rutschte seitlich dagegen. Der Stuhl kippte polternd um, Molly rappelte sich eilig auf und brauchte eine Sekunde, um sich von dem Schreck zu erholen.

Maighread, die tief in Gedanken gewesen war, zuckte zusammen. »Molly«, rief sie. »Was machst du denn?«

Joshua hob mit gerunzelter Stirn den Blick und schaute streng zu Bonny – doch die kümmerte sich nicht um ihr Herrchen, sondern schnappte sich das Schaf, das Molly bei der Karambolage aus dem Maul gefallen war. Schon begann das Spiel von Neuem.

»Die beiden sind so aufgedreht«, sagte Joshua. »Ich glaube, die brauchen noch ein bisschen Bewegung.« Er beugte sich zu Maighread hinüber und gab ihr einen Kuss. »Was ist, Liebling. Kommst du mit? Wir drehen noch eine Runde, bevor wir schlafen gehen.«

Doch Maighread war viel zu erschöpft. Sie gähnte. »Sei mir nicht böse, aber ich bin froh, wenn meine Beine mich noch bis ins Schlafzimmer tragen. Ein Spaziergang ist heute nicht mehr drin.«

Joshuas warmes Lachen erklang.

»Wenn du es nicht mehr schaffst, bitte schön.« Er streckte seine Arme aus. »Ich bin bereit, Mylady in Ihre Gemächer zu tragen.« Er machte eine elegante Verbeugung und Maighreads Herz machte einen Satz. Wenn du mich je trägst, mein Liebster, dann in der Nacht, nach der Hochzeit, dachte sie. Doch sie biss sich schnell auf die Lippe, das würde sie nie aussprechen. Irgendwann würde Joshua ihr sicher einen Antrag machen, aber bis dahin vermied sie das Thema. Sie trug diese verklärt romantische Vorstellung in sich, dass ihr Prinz eines Tages vor ihr auf die Knie fiel und ihr sein Herz zu Füßen legte. Daran hielt ihr inneres Kind fest und Maighread wollte diesen Moment nicht durch flapsige Bemerkungen im Vorfeld gefährden.

»Das ist ein sehr verlockendes Angebot«, antwortete sie stattdessen. Es rumpelte erneut, als Bonny im Spiel gegen den kleinen Tisch vor dem Sofa stieß; diesen Umstand griff Maighread dankbar auf. »Ich fürchte, du musst ohne Umwege in meine Gemächer mit diesen beiden Tunichtguten vor die Tür, bevor sie die Einrichtung demolieren. Man sollte nicht glauben, dass du heute schon mit Bonny bei den Schafen warst.«

Maighread legte die Arme um Joshua, kuschelte sich kurz an seine Brust und gab ihm einen Kuss.

»Ich sag dir schon mal Gute Nacht, falls ich schon eingeschlafen bin, bis ihr zurück seid.«

»Schlaf gut, Liebling«, sagte Joshua und sein Blick lag zärtlich auf Maighread. »Wir werden auch ganz leise sein, wenn wir nach Hause kommen. Versprochen.«

Es war erst kurz nach zehn, als Maighread schließlich mit frisch geputzten Zähnen todmüde ins Bett kroch. Sie staunte, woher Joshua die Energie nahm, jetzt noch eine Runde zu drehen. Vermutlich würde er zu den Stallungen streifen und vielleicht wieder einmal drüber nachdenken, ob er nicht doch ein paar Pferde anschaffen wollte. Der Rundgang um das malerisch in den Hügeln gelegene Castle war eine seiner Lieblingsabendrouten.

»Weißt du, Liebes«, hatte er ihr erklärt, als sie das erste Mal gemeinsam diese Runde gegangen waren. »Wenn ich die Mauern sehe, die Sturm und Zeit trotzen und den Menschen seit Jahrhunderten Geborgenheit geben, wenn ich an die Schlachten denke, die früher hier geschlagen wurden, an das Leben, als es noch ursprünglich war, der Geist der Eigenständigkeit noch lebendig, dann fühle ich das Blut meiner Ahnen in mir.«

Maighread hatte an seinen Lippen gehangen, ihn bewundert für den Geist der Highlander, der ihn umwehte. Joshua hatte gar nicht gemerkt, wie sehr er seine Liebste beeindruckte. Er hatte seinen Blick weiterschweifen lassen und davon gesprochen, was ihn tief im Innersten bewegte. »Ich bin eins mit der Geschichte und weiß, dass ich auf meine Weise auch eine Schlacht schlage und meinen Teil zur Geschichte Schottlands beitrage. Auch wenn ich ohne Schwert kämpfe und ohne Blutvergießen. Meine Arbeit scheint vielleicht nur wie ein Wimpernschlag in der Unendlichkeit der Zeit, aber ich kümmere mich um das Erbe, das mir anvertraut wurde. Das erfüllt mich mit Stolz.«

Joshua liebte die Spaziergänge über die Ländereien seines Clans und Maighread genoss es normalerweise, bei ihm zu sein, seine Stärke zu spüren. Doch heute fühlte sie sich richtiggehend erschöpft.

Seit Wochen war das Wollfestival Thema Nummer eins bei ihr im Wolle & Zeit. Auch heute hatte Maighread neben ihrer Arbeit im Strickladen wieder unzählige Telefonate geführt und Überlegungen rund um die Planung des Wollfestivals angestellt. Die Vorbereitungen kamen langsam, aber sicher in die heiße Phase. Nur noch ein paar Wochen bis zum Tag X.

Tief unter die Decke gekuschelt, lag Maighread nun da und versuchte Schlaf zu finden. Doch ihre Gedanken kreisten ohne Unterlass weiter und ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Wie sollte sie auch schlafen, wo doch alles so unfassbar aufregend war?

Hatten Chloe und sie wirklich aus einem Gefühl der Langeweile heraus beschlossen, sich so eine Mammutaufgabe wie ein eigenes Wollfestival aufzuhalsen? Sie mussten verrückt gewesen sein. Größenwahnsinnig.

Die Zeit seit Mai war wie nichts verflogen. Wenn sie daran dachte, wie aufgeregt sie damals das Strickkränzchen gestürmt und Elisabeth, Eilidh und Gwendolyn mit ihrer Idee eines Callwell Yarn Festival in helle Aufregung versetzt hatten. Wie erwartet waren die drei Ladys hellauf begeistert gewesen. Und wie sehr Maighread und Chloe sich auf das Abenteuer gefreut hatten. Sie waren überzeugt davon gewesen, eine richtig tolle Idee gehabt zu haben.

Doch inzwischen war Maighread sich dessen nicht mehr so sicher. Langeweile. Pah! Im Moment konnte Maighread sich gar nicht mehr vorstellen, was das sein sollte. Stattdessen wusste sie gerade sehr genau, wie es sich anfühlte, ständig unter Strom zu stehen und das Gefühl zu haben, den Berg Arbeit, der sich vor ihr auftürmte, unmöglich bewältigen zu können.

Seit ihrem Entschluss, Callwell aus dem einlullenden Schlummer zu wecken, hatte sie keine wirklich ruhige Nacht mehr gehabt – von den Tagen ganz zu schweigen. Jetzt war es bereits August, das Festival stand so gut wie vor der Tür und es gab noch so unfassbar viel zu tun, dass Maighread trotz der Hilfe ihrer Freunde Gefahr lief, die Kontrolle zu verlieren. Wie sollten sie das nur bewältigen?

Irgendwann kamen Joshua und die Hunde ins Zimmer. Die drei Fellnasen marschierten schnurstracks in ihr Körbchen – wie immer kuschelten sie zu dritt im größten Hundebett, die Einzelkörbchen ließen sie links liegen. Joshua zog sich leise aus, verschwand im Bad und schlüpfte kurze Zeit später neben Maighread unter die Decke.

»Du bist ja noch wach«, sagte er und gab Maighread einen Kuss. »Kannst du nicht schlafen?« Besorgt strich er ihr eine Locke aus der Stirn und streichelte ihr Gesicht.

»Alles gut, ich musste nur noch ein bisschen nachdenken. Du weißt schon.«

»Ja, ich weiß schon«, kam es prompt von Joshua. Er lachte leise. »Ich weiß auch, dass du mir ohnehin nicht glaubst, wenn ich dir sage, dass du das fantastisch machst und das Festival ganz sicher ein Bombenerfolg wird. Aber ich sag es dir trotzdem. Immer und immer wieder. Du bist toll, Maighread. Und jetzt schlaf, Liebling. Du brauchst deine Kraft.«

»Danke. Ja, lass uns schlafen.« Maighread küsste Joshua und rollte sich auf die Seite in ihre Lieblingsschlafposition. Es dauerte nicht lange, dann hörte sie die gleichmäßigen Atemzüge ihres Liebsten.

Wenn sie doch auch nur einfach die Augen schließen und einschlafen könnte. Doch je mehr sie es versuchte, desto wacher fühlte sie sich. Maighread schaffte es nicht, loszulassen. Stattdessen wälzte sie sich von links nach rechts und wieder zurück und versuchte dabei, Joshua nicht zu stören, der sicher längst im Land der Träume weilte.

Sie lauschte auf seine gleichmäßigen Atemzüge. Unglaublich, wie entspannt er war. Maighread bewunderte Joshua für seine innere Ruhe und war fast ein bisschen neidisch. Er strahlte diese scheinbar unerschütterliche Zuversicht aus, dass am Ende sowieso alles gut werden würde. Ganz im Gegensatz zu ihr selbst. Sie fühlte sich eher am Rand des Wahnsinns und wurde wellenartig von Panik überrollt.

Wenn sie dieses Festival in den Sand setzte, würde sie sich vor aller Welt blamieren. In einem kleinen Ort wie Callwell würde ihr das sicher über Jahre aufs Brot geschmiert werden. Außerdem würde sie einen großen finanziellen Verlust machen, wenn die Aussteller sie hängen ließen oder das Wetter ihnen einen Strich durch die Rechnung machen würde. Es gab so viel, was schiefgehen konnte.

An diesem Punkt ihrer Überlegungen begann Maighreads Herz wild zu klopfen. Gleichzeitig schnürte es ihr den Hals zu und sie konnte nicht mehr richtig atmen. Joshuas Ruhe machte ihr die eigene Unausgeglichenheit noch deutlicher.

»Tief einatmen, Maighread«, hörte sie in Gedanken Chloes Stimme. »Die Luft einen Moment halten und dann ausatmen. Und noch einmal.«

Ein dankbares Lächeln legte sich auf Maighreads Lippen. Chloe war die Beste! Sie nahm Maighreads Panikattacken mit stoischer Ruhe und schaltete jedes Mal sofort auf Atemtherapie. Offensichtlich machte sich ihre Ausdauer bezahlt, denn Maighread war bereits darauf konditioniert. Und es half, selbst jetzt, mitten in der Nacht und ohne dass Chloe tatsächlich anwesend war. Die Vorstellung ihrer ruhigen Stimme allein wirkte – unterstützt durch Joshuas gleichmäßigen Atem. Sie hatte die besten Menschen der Welt an ihrer Seite. Ein Schwall tiefer Dankbarkeit durchflutete Maighread. Selbst wenn alles schiefginge, sie sich wirklich lächerlich machte oder am Ende finanziell ruiniert war, ihre Freunde würden zu ihr stehen. Dieser Gedanke schenkte ihr ein gutes Gefühl von Geborgenheit.

Unwillkürlich musste Maighread an Joshuas und ihre erste Begegnung denken. Über zwei Jahre war das nun schon her.

Wie aufgewühlt sie damals gewesen war. Mit Grausen erinnerte Maighread sich an die Zeit zurück. Innerhalb von ein paar Tagen war ihr ganzes Leben wie ein Kartenhaus in sich zusammengestürzt. Angefangen hatte das damalige Desaster damit, dass ihr Freund Dylan aus heiterem Himmel mit Maighread Schluss gemacht hatte. Doch damit nicht genug. Dummerweise war er nicht nur ihr Freund, sondern auch ihr Chef gewesen und hatte ihr nicht nur die Liebe, sondern auch noch den Job gekündigt. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hatte Dylan Maighread samt ihrer Hündin Molly aus der gemeinsamen Wohnung geworfen. Das alles hatte Maighread getroffen wie ein Dampfhammer – vor allem, da sie, bevor das geschehen war, bereits gespürt hatte, dass irgendetwas Dylan umtrieb. Allerdings war sie komplett auf dem Holzpfad gewesen, denn insgeheim hatte sie einen Antrag erwartet. Wie dumm sie gewesen war.

Aus heutiger Sicht konnte Maighread sich von Herzen beglückwünschen. Dylans Rauswurf war das Beste, was ihr hätte passieren können. Doch damals hatte sie vor einer schwarzen Wand gestanden und keine Ahnung gehabt, wie es weitergehen sollte.

Am Boden zerstört, hatte Maighread nach dem Rauswurf bei ihrer Mutter Unterschlupf gesucht und dort statt Nestwärme vollkommen unerwartet einen weiteren Schlag des Schicksals abbekommen. Durch einen Zufall hatte sie herausgefunden, dass ihre Großeltern noch lebten und ihre Mom Lindsay sie Maighread zeit ihres Lebens vorenthalten hatte. Die Situation war eskaliert.

Nach einem heftigen Streit mit ihrer Mutter hatte Maighread sich auf den Weg nach Callwell gemacht. Sie war dem Familiengeheimnis auf der Spur gewesen, das ihre Mutter – ganz schottischer Sturkopf – noch immer nicht hatte offenlegen wollen. Doch einen Sturkopf hatte Maighread auch. In Callwell, diesem kleinen Ort am Loch Lomond, hatte sie gehofft, Antworten zu finden. Auf jeden Fall hatte sie ihre Großeltern kennenlernen wollen.

Und dann war sie Joshua begegnet. Und bald darauf Eilidh. Chloe. Peter. Und ihrer Grandma Elisabeth. Ach Granny, dachte Maighread, ich bin so froh, dass ich dich habe. Maighread und ihre Großmutter hatten keinen einfachen Start gehabt, aber inzwischen waren sie einander innig verbunden. Ihren Großvater hatte Maighread zu ihrem tiefsten Bedauern nicht mehr kennenlernen können. Ihr war nur geblieben, sein Grab zu besuchen und in Gedanken Zwiesprache mit ihm zu halten, ihm von sich zu erzählen und zu hoffen, dass er es irgendwie mitbekommen würde.

Damals, am Tiefpunkt ihres bisherigen Lebens, hatte sie nicht die leiseste Ahnung gehabt, was für eine wunderbare und lebensverändernde Wendung alles nehmen würde. Allerdings hatte erst einmal alles noch schlimmer werden müssen, bevor es endlich hatte heilen können.

Maighread war auf dem Weg nach Callwell in einen schlimmen Sturm geraten. Nur eine glückliche Fügung hatte sie davor bewahrt, frontal gegen einen Baum zu donnern. In letzter Sekunde, das Auto war bereits von der Straße abgekommen, hatte ihr Mini auf ihre Lenkversuche reagiert. Mit einer Reifenpanne war Maighread schließlich mitten im Nirgendwo liegen geblieben.

Die Erinnerung an damals war so lebendig in Maighread, dass sie das Gefühl hatte, es wäre erst gestern gewesen. Vollkommen erschöpft und verzweifelt hatte sie in ihrem Mini gesessen, den Kopf nach hinten gegen die Kopfstütze gelehnt, die Augen geschlossen. Und dann hatte sie ihn gehört. »Oh ye’ll take the high road and I’ll take the low road, And I’ll be in Scotland afore ye!«, hatte er mit seiner wunderbar warmen Stimme über die Hügel der Highlands hinweggeschmettert.

Als sie sich daran erinnerte, dass sie damals im ersten Moment gedacht hatte, Joshua sei Ed Sheeran, musste sie kichern. Im nächsten Moment legte sie sich die Finger auf die Lippen und war wieder still. Wenn sie so weitermachte, würde sie Joshua doch noch versehentlich aufwecken. Vom Hundebett her kam leises helles Traumwuffen. Nach kurzer Zeit war es wieder still.

Maighread seufzte. Es brachte alles nichts, sie konnte einfach nicht einschlafen. Also beschloss sie, aufzustehen und sich eine Weile im Zimmer nebenan in den bequemen Sessel zu setzen. Sie nahm ihr Handy, das Strickzeug und ihr Notizbuch vom Nachttisch, schnappte sich im Vorbeigehen Socken und ihre Lieblingsjacke vom Stuhl und schlüpfte so leise wie möglich, um weder Joshua noch die Hunde zu wecken, zur Tür hinaus. Sie würde jetzt eine bisschen arbeiten und es später noch mal aufs Neue mit Schlafen versuchen.

Obwohl es August war, schlotterte Maighread, als sie auf bloßen Füßen durch den Raum tapste. Sie kuschelte sich in den Sessel und zog die Wolldecke über sich. Bevor sie ihr Strickzeug in die Hände nahm, griff sie sich ihr Notizbuch.

Ihr Kopf schien zu klein, um all das zu erfassen, was mit der Organisation des Wollfestivals zusammenhing.

Es gab noch so unfassbar viel zu tun. Immer neue wichtige Punkte fielen ihr ein, die sie noch nicht aufgeschrieben hatte, die sie aber auf keinen Fall vergessen durfte. Deshalb hatte sie das Buch auch immer bei sich. Nachts lag es griffbereit auf ihrem Nachttisch. Jedes Mal, wenn ihr etwas einfiel, nahm sie ihr Handy, aktivierte die Taschenlampen-App und notierte sich Stichpunkte in ihr immer voller werdendes Buch. Mit der Handytaschenlampe störte sie Joshua weniger, als wenn sie jedes Mal ihre Leselampe anknipsen würde.

Es war schon weit nach Mitternacht. Maighread blätterte in ihren Aufzeichnungen und ging die To-do-Listen durch. Wieder und wieder. Sie hatte eine Liste mit eingeladenen Ausstellern und den eingegangenen Anmeldungen, eine für den Aufbau – hier war Joshuas federführend, eine für die Verpflegung – hierfür hatte Eilidh das Zepter an sich genommen, für das Marketing – hier unterstützte Peter sie, für die Wettbewerbe und für Workshops – das hatten Maighread und Chloe gemeinsam übernommen. Es waren so viele Bereiche, dass sie sogar eine Liste für die Listen erstellt hatten, um den Überblick zu behalten.

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