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Neue Träume am Strand

Als Buch hier erhältlich:

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Moin in der kleinen Hafenstadt Kiekersum!

Das malerische Städtchen an der Nordseeküste ist Bentjes Heimat. Auch wenn sie inzwischen in Hamburg lebt, zieht es sie immer wieder hierhin zurück. So auch aktuell während ihres Urlaubs. Bentje besucht ihr großmütterliche Freundin Finna im Lüttje Glück. Das direkt am Deich gelegene Reetdachhaus war der Wohnsitz des ersten Leuchtturmwärters und ist das älteste Haus des Ortes. Während sie Tee trinken und stricken, erzählt Finna Bentje, dass ihr die Arbeit mit der Pension und dem Apfelgarten zu viel wird. Sie denkt darüber nach, ihren Besitz zu verkaufen und zu ihrem Sohn nach Australien zu ziehen.
Kiekersum ohne das Lüttje Glück – unvorstellbar für Bentje! Sie muss sich entscheiden: In Hamburg bleiben und die Karrierechance ergreifen oder das Wagnis eingehen und das Lüttje Glück übernehmen. Ihre Familie ist wenig begeistert von der Idee. Und dann gibt es da auch noch Jasper, mit dem sie mehr als eine Jugendliebe verbindet. Bentje fasst einen Entschluss, der ihr gesamtes Leben auf den Kopf stellt.

Für wunderbare Lesestunden inklusive Strickanleitungen!


  • Erscheinungstag: 19.03.2024
  • Aus der Serie: Küstenzauber
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 320
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749907212
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für alle Glücksucherinnen!

Ich wünsche euch das Rauschen

der Wellen im Ohr,

salzigen Küstenwind in den Haaren

und den Duft nach

frisch gebackenem Apfelkuchen

in der Nase.

Möge die Geschichte

wie warme Socken für die Seele sein!

Prolog

Der Wind trieb die Wellen mit Wucht gegen das Ufer. Lautstark rauschte das Wasser heran. Das Meer dröhnte und gurgelte. Mit dem Auslaufen auf dem flachen Strandabschnitt wurde es immer leiser. Während eine Welle sich zurückzog, rollte von hinten bereits die nächste Woge auf die Küste zu. Schäumend und brodelnd. Bentjes Herz wummerte vor Glück!

Sie hatte ihre Großmutter überredet, mit ihr an den Strand zu gehen. Jetzt stand sie da, die Hände tief in den Taschen ihrer Jacke vergraben, das Tuch fest um Hals und Locken geschlungen, und stemmte sich gegen die Böen. Hätten nicht zwei Hände sie an den Schultern gehalten, wäre sie weggefegt worden.

Es war fantastisch! Sie liebte dieses Gefühl. Ein lautes Lachen löste sich aus ihrer Brust.

Ihre Großmutter beugte sich zu ihr hinunter.

»Wollen wir?«, rief sie.

Obwohl die zwei Worte direkt an Bentjes Ohr gebrüllt wurden, erahnte sie die Frage mehr, als dass sie sie hörte. Bentje nickte widerstrebend, aber inzwischen klapperten ihre Zähne und ihre Füße spürte sie vor lauter Kälte kaum noch.

Zurück im Haus, erwartete Großmutter und Enkelin der Duft von warmen Äpfeln und Karamell. Während das Wasser für den Tee heiß wurde, legte die Großmutter einen Scheit Holz im Kaminofen nach.

Keine zehn Minuten später saßen sie auf dem Sofa. Das Feuer prasselte. Der Tee dampfte in den Tassen und der Apfelkuchen mit den karamellisierten Nüssen und einem Klecks Sahne schmeckte so köstlich, wie er duftete. Die Äpfel stammten aus Finnas Garten. Sie hatten beim Auflesen und Verarbeiten geholfen und als Dank nicht nur Saft, sondern auch einen großen Korb frische Äpfel und das Rezept für ihren Apfelkuchen bekommen.

Bentje vergrub die Beine unter einer mollig warmen Decke. Sie kuschelte sich an ihre Großmutter heran, die ihr Strickzeug zur Hand nahm. Während sie Masche um Masche arbeitete, beobachtete Bentje fasziniert, wie aus einem Faden langsam ein Strickstück wurde. Dabei lauschte sie dem Sturm, der noch immer um das Haus fegte.

»Bringst du mir das Stricken bei?«, fragte sie.

»Aber natürlich, mein Schatz. Ich habe nur darauf gewartet, dass du von dir aus danach fragst.« Die Großmutter beugte sich zu ihrer Enkelin hinunter und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Ihre Augen funkelten vor Freude. »Ruh dich noch ein bisschen aus. Nachher suchen wir Nadeln und Wolle für dich.«

Bentje lächelte und lehnte sich wieder gegen die Brust der Großmutter. Während sie sich ausmalte, was für tolle Sachen sie stricken wollte, fielen ihr die Augen zu.

Kapitel 1

Bentje

Aufbruch

Bentje hatte aufgeräumt, geputzt und alles für ihre Abfahrt vorbereitet. Jetzt saß sie in der Küche ihrer Hamburger Miniwohnung und gönnte sich ein aufgebackenes Croissant und eine Kaffeepause. Sie strich sich eine Strähne ihrer goldbraunen Locken hinter das Ohr und genoss die Ruhe.

Ursprünglich war es Imkes Wohnung gewesen. Sie hatten sich zu Beginn des Studiums kennengelernt. Bentje hatte damals verzweifelt versucht, eine bezahlbare Bleibe zu finden, und war drauf und dran gewesen, in ihrem Auto zu übernachten. Als Imke das mitbekommen hatte, war sie sofort bereit gewesen, der Kommilitonin zu helfen. Sie hatte Bentje kurzerhand ihre Schlafcouch angeboten.

»Erwarte nur nicht zu viel. Es ist nur ein Wohnklo«, hatte sie gesagt und Bentje angegrinst. »Aber bequemer als der Rücksitz deines Wagens ist es bestimmt.«

Und sie hatte recht behalten.

Was nur vorübergehend hatte sein sollen, hielt jetzt schon einige Jahre. Irgendwann hatten die beiden Frauen das gemeinschaftliche Leben in die kleine Küche verlegt und das Wohnzimmer war dauerhaft Bentjes Reich geworden. Daran hatte sich auch nach dem Ende des Studiums nichts geändert.

Inzwischen waren die Freundinnen im Berufsleben angekommen. Imke arbeitete in der Marketingabteilung einer Hamburger Brauerei. Bentje hatte einen Job in einer namhaften Marketingagentur gefunden.

Die Wohnung lag günstig für sie beide, und so hausten sie weiter zu zweit auf achtunddreißig Quadratmetern. Es war ein Wunder, dass sie sich noch immer mochten. Aber sie kamen nach wie vor hervorragend miteinander aus. Die Freundschaft war über die Jahre immer enger geworden. Bentje und Imke waren überzeugt, dass die WG weiter funktionieren würde, solange keine von ihnen einen Mann anschleppte und seriös werden wollte.

Nachdem Bentje sich den letzten Bissen des Croissants in den Mund geschoben hatte, nahm sie das fast fertig gestrickte Tuch hoch, das sie schon auf dem Tisch bereitgelegt hatte. Kaffeezeit bedeutete bei ihr immer auch Strickzeit. Das gehörte für sie untrennbar zusammen. Sie betrachtete das Werk und orientierte sich kurz, um zu sehen, wie es weiterging. Dann wickelte sie den Faden um den Zeigefinger und zog ihn konzentriert durch die Maschen. Dabei zählte sie leise mit: »Ein Umschlag, zwei überzogen rechts zusammen, drei rechts …«

Um sicherzugehen, dass sie wirklich richtig weitergestrickt hatte, kontrollierte sie das Muster nach ein paar Maschen und nickte zufrieden. Es passte alles und sah sehr stimmig aus. Das würde der perfekte Laceabschluss für dieses besondere und überaus zarte Tuch werden.

Die Jaipur-Peace-Seide von BC Garn war der Hammer. Diese Wolle hatte sie erst vor zwei Wochen in ihrem Lieblingswollgeschäft entdeckt. Sie hatte eigentlich nur schnell zwei Knäuel Sockenwolle kaufen wollen. Als sie den Laden nach einer Stunde verlassen hatte, war es doch wieder eine prall gefüllte Tasche mit neuen Wollschätzen gewesen. Genau genommen hatte Bentje zwei Hobbys: stricken und Wolle sammeln.

Gut gelaunt hatte sie ihre Neuentdeckung nach Hause getragen, sich einen Tee gekocht und mit Block, Stift und Wolle an den Tisch gesetzt. Mit schnellen Strichen hatte sie grob Form und Muster skizziert und sich ein paar Eckdaten notiert. Für eine detaillierte Planung fehlte es Bentje an Geduld. Aber das war in Ordnung. Sie brauchte nur einen groben Rahmen. Wenn sie am Anfang zu sehr ins Detail ging, würde sie im Laufe des Strickens doch wieder vieles ändern und sich dadurch doppelte Arbeit machen. Das wusste sie aus Erfahrung. Das endgültige Design entwickelte sich bei ihr während sie Masche um Masche arbeitete.

Ein halbrundes Tuch mit unterschiedlichen Streifen und einer Abschlussborte sollte es werden. Die Idee hatte sie direkt beim ersten Anfassen der zarten Seide gehabt. Wie immer, wenn ein neues Projekt anstand, hatte Bentje es kaum erwarten können, endlich loszulegen. Sie liebte diese Anfänge. Das Kribbeln der Vorfreude, wenn sie schon ahnen konnte, was entstehen würde. Ihre Entwürfe waren eine Mischung aus Kopfentscheidung und Bauchgefühl. Am Ende entschied sich das Design in ihren Händen, die fast immer zu wissen schienen, was richtig war.

Der Zauber begann für Bentje bereits beim Wickeln. Immer wenn sie die Kurbel drehte, der Faden durch die Öse sauste und der Wickler leise surrte, breitete sich ein warmes Gefühl der Geborgenheit in ihr aus. Es käme ihr nie in den Sinn, gewickelte Knäuel zu kaufen, wenn es die Möglichkeit gab, die Wolle als Strang zu bekommen.

Mit der Entscheidung für die Seide hatte sie alles richtig gemacht. Sie hatte es bereits geahnt, aber als Bentje den Faden zwischen die Finger genommen und die ersten Maschen angeschlagen hatte, gab es keinen Zweifel mehr. Die Liebe auf den ersten Blick hielt auch der Strickprobe stand.

Nur beim Muster hatte Bentje länger gebraucht, um sicher zu sein. Das war immer so bei ihr. Meistens löste sich die Unsicherheit im Laufe des Strickens auf. Der Zauber brauchte Raum, um sich zu entfalten. Inzwischen gehörten die Zweifel der Vergangenheit an. Bentje mochte die Farben und das Muster. Alles hatte sich so entwickelt, wie sie es sich vorgestellt hatte.

Die Borte zu stricken, war herausfordernd. Auch wenn das Muster nicht sehr schwierig war, brauchte es doch Konzentration. Drei Mal hatte Bentje schon zurückarbeiten müssen, weil sie sich trotz Maschenmarkierern verzählt hatte. Meistens passierte ihr das, wenn sie abends im Bett strickte und dabei schon halb eingeschlafen war.

Diese Gefahr bestand gerade nicht, Bentje saß hellwach am Küchentisch. Trotzdem fehlte ihr die nötige Ruhe, um konzentriert zu bleiben. Gedanklich war sie bereits auf dem Weg nach Kiekersum.

Ihre Taschen standen gepackt in ihrem Zimmer. Sie wollte nur den Berufsverkehr abwarten, weil sie keine Lust auf den obligatorischen Stau hatte. In Hamburg Auto zu fahren, war schon außerhalb der Rushhour kein Vergnügen.

Bentjes Blick ging zur Küchenuhr. So langsam sollten die meisten an ihren Arbeitsplätzen angekommen sein. Sie würde diese Reihe noch zu Ende stricken und dann abdüsen.

»Moin«, grüßte Imke verschlafen, als sie die Küche betrat. Sie schlurfte in ihren Fellpuschen mit Katzenöhrchen zur Kaffeemaschine und bediente sich.

»Moin«, grüßte Bentje zurück. »Schön, dass du wach bist. Ich möchte demnächst los und hatte schon befürchtet, dich wecken zu müssen, um Tschüs zu sagen. Im Ofen ist ein Croissant für dich.« Sie lächelte ihre Freundin an.

»Lecker, danke«, murmelte Imke, nahm das noch warme Croissant vom Blech und biss hinein. Sie lehnte sich gegen die Arbeitsplatte, legte das angebissene Gebäck zur Seite und umfasste die Kaffeetasse mit beiden Händen. Während Imke andächtig die ersten Schlucke nahm und langsam wach wurde, sah sie ihrer Freundin beim Stricken zu.

Bentje hob zwischendurch den Blick von ihrem Strickzeug weg und zu Imke, ließ sie aber in Ruhe. Sie wusste, dass Imke morgens immer ein paar Minuten brauchte, bevor sie richtig ansprechbar war.

Mit ihren verwuschelten Haaren und dem Flanellpyjama mit Pandabären wirkte sie wie ein junges Mädchen, nicht wie eine Frau, die die dreißig bereits überschritten hatte.

Imke war süß. Würde Bentje auf Frauen stehen, sie würde sich Hals über Kopf in sie verlieben. Imkes glatte blonde Haare, die ihr bis zum Kinn gingen, umrahmten ihr Gesicht, das durch die Stupsnase und die vollen Lippen etwas Kindliches ausstrahlte. Die Sommersprossen verstärkten den niedlichen Eindruck noch. Ihr Aussehen weckte bei anderen Menschen den Beschützerinstinkt. Durch das liebliche Äußere wurde Imke oft, besonders von Männern, unterschätzt. In der zarten Hülle steckte eine knallharte Marketingspezialistin, die genau wusste, was sie wollte, und vor allem, wie sie es erreichte. Der Umsatz der Brauerei hatte sich deutlich gesteigert, seit sie ihren Posten dort hatte.

»Ach Mensch, Bentje, ich vermisse dich jetzt schon«, jammerte Imke unvermittelt los. Sie stellte ihre Kaffeetasse ab und kam mit zwei Schritten zu Bentje an den Tisch. Die konnte gerade noch schnell die Maschen auf der Nadel nach hinten schieben, da zog Imke sie auch schon von ihrem Stuhl hoch und direkt in ihre Arme. »Willst du es dir nicht doch noch überlegen und den Workshop mitmachen?«, fragte sie, und presste die Freundin fest an ihre Brust.

»Wenn du mich erdrückst, hat sich das sowieso erledigt«, ächzte Bentje dumpf.

»Ups, sorry.« Imke löste die Umklammerung etwas und grinste entschuldigend. »Also, was ist? Workshop? Du und ich?«

Imke ließ nicht locker. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie verflixt stur sein.

Bentje allerdings auch.

»Du meinst, lieber noch ein bisschen länger wie eine Sardine in der Dose leben, statt mich in meinem riesigen Zimmer zu Hause auszubreiten? Und statt bei langen Spaziergängen die frische Brise der Nordseeküste zu genießen, lieber noch ein bisschen Autoabgase und Großstadtmief inhalieren?« Bentje legte den Kopf schief und hob die Augenbrauen.

»Klingt doch verlockend«, konterte Imke trocken.

Sie trat einen Schritt zurück, hielt Bentjes Hände in ihren und warf ihr mit weit aufgerissenen Augen einen hinreißenden Robbenbabyblick zu. Um den Eindruck perfekt zu machen, fing sie an zu jaulen, wie ein am Strand verloren gegangener Heuler.

Bentje konnte gar nicht anders, sie musste lachen. Aber sie schüttelte trotzdem den Kopf. »Du bist unmöglich, hör schon auf. Sei mir nicht böse, aber ich freue mich viel zu sehr auf meinen Urlaub. Ich brauche endlich mal wieder Nordseeluft und das Rauschen der Wellen im Ohr. Ich möchte Zeit mit meiner Mutter im Atelier verbringen. Und am Strand sitzen, die Seele lüften und stricken. Außerdem habe ich wirklich keine Lust, Videos zu drehen – weder vor noch hinter der Kamera. Das ist nichts für mich.«

»Du hast es ja noch nicht mal richtig versucht. Vielleicht wärst du überrascht, wie viel Spaß es dir macht«, quengelte Imke weiter. »Uuu, uuu, uuuuu«, jammerte sie.

»Hör auf zu heulen«, befahl Bentje streng. Sie wusste, dass Imke eine klare Ansage brauchte, sonst würde sie nicht lockerlassen. »Du wirst jede Menge Spaß haben, da bin ich mir sicher. Und ich habe mir meinen Urlaub redlich verdient. In zwei Wochen kommst du mich besuchen«, tröstete Bentje ihre Freundin. Imke und sie hatten schon einige Urlaube und Wochenenden gemeinsam in Kiekersum verbracht. Sie freute sich schon darauf und ahnte, wer noch begeistert sein würde. Bei ihren letzten Besuchen hatte Imke Torge, dem Juniorchef der Bäckerei Hansen, ordentlich den Kopf verdreht. Bentje war gespannt auf die Fortsetzung dieses Powerflirts. »Und ich schreibe dir und schicke dir Bilder. Versprochen!«

Bentje hatte die Auszeit am Meer dringend nötig. Die letzten Wochen hatte sie mit Hochdruck an einem Projekt für einen wichtigen potenziellen Kunden gearbeitet. Gestern hatten sie die Kampagne präsentiert. Die Entscheidung, welche Firma den Auftrag bekommen würde, sollte in den nächsten Tagen fallen. Bentje war hin- und hergerissen. Natürlich hoffte sie für die Firma, dass sie den Auftrag an Land zogen. An Bentjes Einsatz würde es jedenfalls nicht liegen, falls es nicht klappte. Sie hatte alles gegeben. Für sich selbst war sie nicht so sicher, ob sie sich über einen Erfolg freuen würde. Das würde eine anstrengende Zusammenarbeit werden – so viel stand schon fest.

Bentje hatte die Nase gestrichen voll von stundenlangen Meetings, geänderten Vorgaben und dem hochnäsigen Auftraggeber. Mehr als einmal war sie kurz davor gewesen, dem eingebildeten Fatzke das Projekt einfach vor die Füße zu werfen. Das wäre natürlich nicht sehr professionell gewesen und ganz sicher nicht im Sinne ihres Chefs. Also hatte sie die Zähne zusammengebissen und so viele Überstunden gemacht, dass sie sogar eine Woche länger in Kiekersum bleiben konnte als ursprünglich geplant.

»Ach komm, jetzt sei doch nicht so stur«, versuchte Imke trotz Bentjes Ansage noch einmal, sie zu überreden. Sie wechselte vom Jammern zum Schmollen. Doch Bentje ließ sich nicht erweichen.

»Ganz genau«, erwiderte sie, lachte und drehte den Spieß um. »Jetzt sei nicht so stur und gönn mir meine Auszeit.« Bentje beugte sich vor, umarmte Imke und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

»Menno« kam als Reaktion. Imke holte tief Luft, pustete aus und nickte. »Also gut.«

»Was ist, hilfst du mir, die Sachen ins Auto zu schleppen? Ich möchte los.«

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Von wegen den Berufsverkehr abwarten. Es war wie verhext. Als hätten sich die Hamburger Straßen gegen Bentje verschworen. Kaum war sie losgefahren, nahm das Verkehrschaos seinen Lauf. Zuerst hoffte sie, mit etwas Stop-and-go durchzukommen, doch kurz vor dem Tunnel ging nichts mehr. Nicht vor und zurück sowieso nicht. Hätte sie das geahnt, wäre der Berufsverkehr vielleicht doch das kleinere Übel gewesen. Aber diese Überlegung half nun auch nicht mehr.

Leben ist das, was passiert, während du Pläne schmiedest. Das war einer der Sätze gewesen, den ihre Großmutter oft gesagt hatte. Lass es einfach zu, Liebes, und mach immer das Beste daraus. Daran dachte Bentje jetzt, als sie trotz ihrer Planung im Stau stand.

»Du hast ja recht, Oma«, murmelte sie. »Dann habe ich eben unerwartet Strickzeit.«

Bentje ließ das Fenster hinunter, schaltete NDR 1 im Radio ein. Für das Tuch hatte sie nicht die nötige Ruhe. Die Gefahr, dass ihr die Maschen von der Nadel rutschten, wenn sie das Strickzeug schnell aus der Hand legen musste, war ihr zu groß. Aber in der vollgepackten Stricktasche auf dem Beifahrersitz gab es noch weitere Ufos – wie Bentje ihre unfertigen Strickobjekte nannte. Ein Socken lag obenauf, aber das Nadelspiel war auch nicht für schnelle Aktionen geeignet. Bentje schob die Hand an dem angefangenen Strumpf vorbei tiefer in die Tasche. Nach kurzem Tasten zog sie vorsichtig ihr mit Durable Double four angestricktes Tischset hervor. Diese robuste und trotzdem herrlich weiche Baumwolle hatte sie schon oft verarbeitet und war immer wieder aufs Neue begeistert.

Bentje machte es sich mit dem Strickzeug einigermaßen bequem. Sie hoffte nur, dass sie nicht stundenlang warten musste. Mit geübtem Griff schob sie die Maschen zurecht und legte los. Sie war noch am Perlmusterrand, eine Masche rechts, eine Masche links. Das konnte sie im Schlaf. Kaum hatte sie die ersten Maschen gestrickt, spürte sie, wie die Anspannung weniger wurde. Bentje lächelte. Ihre Großmutter wäre stolz, wenn sie sehen könnte, wie souverän ihre Enkelin einer unangenehmen Situation eine positive Seite abgewann.

Während sie ihren Gedanken nachhing, arbeitete Bentje Masche für Masche weiter. Auch das war ein Geschenk ihrer Oma – sie hatte ihr mit viel Geduld das Stricken gelehrt und die Liebe zur Wolle in ihr geweckt.

Nach zwei Stunden Warten vor dem Tunnel und einer nervigen Umleitung kurz vor Husum hatte Bentje es dann endlich geschafft. Erleichtert bog sie in den Hinrichskoog ein und lenkte ihren zitronengelben Fiat Punto auf den Parkplatz vor ihrem Elternhaus.

Endlich zu Hause! Bentje stieg aus und nahm ein paar tiefe Atemzüge.

Kapitel 2

Bentje

Endlich wieder Nordsee

Dieser Moment vor dem Haus war wie eine liebevolle Umarmung für Bentje. So gern sie mit Imke zusammen in Hamburg lebte, Kiekersum würde immer ihr Seelenort bleiben. Hier konnte sie sich vom Stress der letzten Monate erholen und neue Kraft tanken. In ein paar Tagen würde sie sich wieder stark und bereit fühlen für den Trubel des Großstadtalltags.

Bentje betrachtete die Beete neben der Haustür und lächelte. Die Handschrift ihrer Mutter war unverkennbar. Dörte Paulsen hatte keinen Sinn für Dekoblumen – wie sie alles nannte, was man nicht essen oder als Medizin verwenden konnte. Und so wuchsen rund um das Haus Ringelblumen, Malven, Rosen, Kornblumen und verschiedene Kräuter.

Während Bentje das gute Gefühl genoss, wieder zu Hause zu sein, inhalierte sie die salzig-herbe, nach Nordsee riechende Luft tief. Sie liebte diese Mischung aus Frische, Jod und einem Hauch Schwere. Das Meer roch immer anders. Manchmal konnte eine leichte Nuance nasser Hund mitschwingen, an anderen Tagen erinnerte der Duft sie an Orangenblüten und Earl-Grey-Tee. Wenn nach einem Sturm viele Algen am Ufer moderten und Krabben, Fische und Quallen dazwischen verwesten, wurde der Geruch sehr intensiv, die Leichtigkeit trat in den Hintergrund. Aber egal, welchen Meeresduft der Wind Bentje in die Nase wehte, er berührte immer ihr Innerstes. Sie atmete ein und ihr Herz wurde weit.

Eine Schar Wildgänse zog laut schnatternd über das Haus hinweg. Eine Hand als Schirm über die Augen gehalten sah Bentje zum Himmel. Sie ahnte, dass die Vögel auf dem Weg zu den Salzwiesen waren. Diese direkt an der Küste liegenden Wiesen wurden regelmäßig von der Nordsee überschwemmt und hatten deshalb eine besondere Flora. Hier wuchsen nur Pflanzen, die mit dem Salzgehalt des Meerwassers zurechtkamen. Wie der Queller, der manchmal auch Seespargel genannt wurde. Bentjes Mutter sammelte ihn schon, seit Bentje denken konnte, und servierte ihn als Gemüse oder Salat. In den letzten Jahren hatten Sterneköche die Delikatesse für ihre Küchen entdeckt. »Ich komme später zu euch«, rief Bentje und winkte der flatternden schwarzen Wolke hinterher.

Das Schnattern und das Rauschen der schlagenden Flügel wurde leiser und verklang schließlich. Hinter dem Haus blökten Schafe. Ansonsten war nichts zu hören. Kein Hupen, keine laute Musik, kein Stimmengewirr, Motorbrummen oder Autotürenknallen – all das, was Bentjes Alltag sonst ausmachte, fehlte. Und das war herrlich! Die natürliche Stille legte sich wie Balsam auf ihre Gehörgänge. Obwohl Vogelschwärme, Schafe und der Küstenwind es auf ordentlich Dezibel bringen konnten, empfand Bentje diese Geräusche nie als Lärm.

Hamburg war eine wunderbare Stadt. Bentje mochte die breite Vielfalt der Angebote von Kunst, Kultur und Sport. Und natürlich die Wollgeschäfte. Besonders das Maschenwunder von Manja Vogelsang, mit der sie sich im Laufe der Zeit angefreundet hatte. Das hatte sich wie von selbst ergeben. Stricken verbindet – das stand auf einer von Bentjes Postkarten, die sie rund um die Themen Wolle und Stricken sammelte. Und genauso empfand sie es auch. Wann immer sie mit anderen Strickerinnen oder Strickern zusammentraf, dauerte es nicht lange, bis sie ins Gespräch kam. Wenn das Gegenüber dann noch so liebenswert war wie Manja, fiel es leicht, Freundschaft zu schließen.

Die Inhaberin des Wollgeschäftes strickte und designte selbst und hatte sich mit dem Laden einen Traum erfüllt. Aber das war noch lange nicht alles. Sie beteiligte sich auch mit Events an dem jährlichen Hamburger Garn Gang und hatte immer neue, tolle Ideen. Auch die Strickhafenrundfahrt auf Tinas Barkasse Alex, die Bentje schon zweimal mitgemacht hatte, war Manjas Idee gewesen.

Das Leben in Hamburg wurde nie langweilig – mit Imke sowieso nicht. Dieser schnelle Puls der Stadt inspirierte Bentje. Aber die vielen Menschen, der Lärm und die Hektik machten sie auf Dauer auch müde. Es laugte sie aus. Bentje hatte das Gefühl, als würde der Großstadtstress mit den Jahren immer schlimmer werden. Oder sie wurde empfindlicher – was unterm Strich allerdings keinen Unterschied machte. Hamburg und auch ihr Job im Marketing strengten sie immer mehr an.

Kiekersum dagegen war ein Ort der Ruhe und Entspannung. Hier schienen die Uhren anders zu ticken. Nicht so laut und hektisch wie in der Großstadt. Selbst in der Hochsaison, wenn die Touristen das Küstenstädtchen fluteten, blieb diese entspannte Grundstimmung erhalten. Es musste der Rhythmus der Nordsee sein, der den Takt vorgab. Eine andere Erklärung hatte Bentje nicht. Und genau dieser Rhythmus fehlte ihr in Hamburg am meisten. Ein Spaziergang an der Elbe war nur ein mäßiger Ersatz für lange Streifzüge am Deich oder ausgedehnte Radtouren. Nur eben über den Damm, und schon war man auf Nordstrand, da konnte Hamburg nicht mithalten.

Genug geträumt. Entschlossen schnappte Bentje ihre drei Taschen, öffnete die Haustür, die wie bei vielen hier im Ort fast nie abgeschlossen war, und trat ein.

»Ich bin zu Hause«, rief sie und lauschte. Doch es kam keine Antwort.

Sie schnupperte. Es roch gut, nach überbackenem Käse. Bentjes Magen reagierte prompt mit einem lauten Knurren. Kein Wunder, es war bereits nach eins und sie hatte seit dem Croissant am frühen Morgen nichts mehr gegessen. Jetzt freute sie sich auf eine warme Mahlzeit.

Nur der vertraute Duft nach frisch gebackenem Kuchen, Kräutertee und der Rosenseife ihrer Großmutter, der sie früher immer begrüßt hatte, lag nicht in der Luft. Natürlich nicht! Bentje hatte es verdrängt, aber es würde nie wieder so duften wie früher.

Unvermittelt kamen ihr die Tränen. Als Oma Teelka noch lebte, gab es immer mittwochs frisch gebackenen Apfelkuchen. Mittwochs und wenn Bentje zu Besuch kam. Was gäbe sie darum, noch einmal von ihrer Oma empfangen zu werden. Sie würden Tee trinken, schnacken und stricken. Diese gemeinsame Zeit mit ihrer Großmutter fehlte ihr sehr.

Obwohl es schon ein halbes Jahr her war, seit Oma Teelke gestorben war, konnte Bentje es noch immer kaum fassen. In Hamburg hatte sie etwas Abstand dazu gehabt. Aber hier, in ihrem Elternhaus, das auch bis zum Schluss das Zuhause ihrer Großmutter gewesen war, traf der Verlust sie wieder mit Wucht. Die Trauer schmerzte, als hätte jemand das Pflaster von der noch nicht verheilten Wunde gerissen.

»Ach, Oma«, flüsterte Bentje. »Wieso musstest du nur so früh gehen? Ich vermisse dich.«

Sie nahm sich vor, spätestens morgen das Grab ihrer Großmutter zu besuchen. Erst einmal wollte sie aber in Ruhe ankommen.

Bentje stieg die helle Holztreppe hoch und brachte das Gepäck in ihr Zimmer. Eine Glückswelle erfasste sie. Dieses Zimmer hatte sie als Teenagerin selbst renoviert, mithilfe ihres Vaters. Obwohl seine Arbeit bei der Seenotrettung körperlich und emotional anstrengend war, hatte er sich die Zeit genommen. Für die Wand hinter dem Bett hatte sie eine blau-weiße Blumentapete ausgesucht. Der Rest des Raumes war in Weiß mit einzelnen blauen Akzenten gehalten. Die Wand neben dem Bett wurde von einem riesigen Bücherregal eingenommen. Zwei Reihen waren von Strickbüchern belegt, der Rest war kunterbunt gemischt. Bentje liebte romantische Geschichten, in denen sie sich verlieren konnte. Oft las sie dann extra langsam, weil sie nicht wollte, dass es endete. Sie wollte sich nicht von ihren neuen Freunden verabschieden. Deshalb las sie ihre Bücher auch gern mehrfach – das war wie nach Hause kommen.

Bentje löste den Blick von ihren Buchschätzen und genoss es, ihr Zimmer anzusehen. Hier hatte sie sich immer enorm wohlgefühlt, daran hatte sich auch nichts geändert.

Die Holzmöbel waren weiß lasiert. Als Farbtupfer zwischen dem Blau-Weiß gab es einen gemütlichen Sessel mit dicken weichen Polstern und einem Bezug aus rot-weißen Blumen. Es war das Muster der Tapete und passte deshalb perfekt. In diesem Sessel hatte sie unzählige Stunden gesessen, Musik gehört und gestrickt.

An dem Sprossenfenster, das zur Schafweide hinaus ging, hing eine kunstvoll gehäkelte Gardine mit einem Wellenmuster. Das war das Werk ihrer Großmutter. Die Gardine hütete Bentje wie einen Schatz. Zweimal im Jahr nahm sie das zarte Gespinst ab und wusch es vorsichtig von Hand.

Bentje setzte sich in ihren bequemen Stricksessel und nahm ihr Handy zur Hand.

Hey, Imke. Bin gut gelandet. Nachher schick ich dir ein Foto vom Meer. Bis später! Bentje image

Nach einem kleinen Abstecher ins Bad ging Bentje wieder hinunter. In der Küche standen eine Auflaufform mit Kartoffel-Zucchini-Gratin und ein Schälchen mit Gurkensalat auf der Arbeitsfläche neben dem Herd.

Daneben lag ein Zettel. Dass er von ihrer Mutter sein musste, war Bentje sofort klar. Nur sie verzierte ihre Notizen immer mit kleinen Kunstwerken. Meist zeichnete sie Möwen oder Kräuter.

Kartoffel-Zucchini-Auflauf IMAGE

und Sternchensalat für dich.

Guten Appetit, mein Schatz.

Schön, dass du da bist.

Bin im Atelier. Komm rüber, wenn du so weit bist.

Kuss, Mama

Sternchensalat. Bentje freute sich. Als kleines Mädchen hatte sie Borretschblüten immer so genannt, weil die blauen Blüten wie kleine Sternchen aussahen. Und Bentje war überzeugt gewesen, dass diese Sterne Zauberkraft hatten. Obwohl sie nicht erpicht auf Salat gewesen war, hatte sie deshalb bei Sternchensalat immer alles aufgegessen.

Auch wenn Bentje längst aus dem Alter herausgewachsen war, in dem sie an die Zauberkraft der blauen Sternchen glaubte, liebte sie damit dekorierte Salate noch immer. Und der Begriff hatte sich in der Familie etabliert.

Überbackene Kartoffeln schmeckten auch kalt. Bentje aß direkt aus der Auflaufform heraus zwei Gabeln voll und machte sich dann über den Gurkensalat her. Sie nahm das Schälchen in die Hand und lehnte sich an die Arbeitsplatte. Während sie aß, ließ sie ihren Blick durch die Küche wandern.

So gern sie mit Imke zusammenlebte, es war schön, mal wieder mehr Platz zu haben. Die geräumige Wohnküche, war fast so groß wie ihre gesamte Hamburger Wohnung. Durch den Platz wirkte alles luftig, es gab viele liebevoll arrangierte Details.

Die weiße Gardine mit den Möwen, die im oberen Drittel des Fensters hing, hatte Bentje vor Jahren gehäkelt und ihrer Mutter zum Geburtstag geschenkt. Sie kam nicht an die Kunstfertigkeit ihrer Großmutter heran, da machte Bentje sich nichts vor. Aber Dörte Paulsen hatte sich riesig gefreut und es kaum erwarten können, das Kunstwerk am Fenster zu bewundern. Bentje war noch während des Geburtstagskaffees auf die Trittleiter gestiegen und hatte die Gardine aufgehängt.

Anni-Frid Agnetha war damals sehr schmallippig am Kaffeetisch gesessen. Ihr Geschenk – ein Gutschein für eine Wellnessmassage – konnte mit Bentjes Meisterwerk nicht konkurrieren. Natürlich hatte Bentje gemerkt, dass ihre Schwester eingeschnappt und eifersüchtig war. Sie hatte versucht, die Wogen zu glätten. »Mama wird die Massage genießen, mach dir keine Gedanken. Und während sie gekonnt geknetet wird, wird sie keine Sekunde an meine Gardine denken. Dein Geschenk ist toll«, hatte sie gesagt. Und es hatte geholfen. Anni-Frid Agnetha hatte sich besänftigen lassen und ihre gute Laune wiedergefunden.

Als Nesthäkchen hatte Bentje von jeher eine Sonderstellung innerhalb der Familie gehabt und viel mehr Privilegien genossen als ihre älteren Geschwister. An Ole prallte das ab. Der kümmerte sich nicht um den Kram seiner Schwestern und machte sein Ding – damals wie heute. Ihre Schwester dagegen war hin und wieder schon eifersüchtig gewesen. Das hatte Bentje immer leidgetan, sie hatte Anni-Frid Agnetha bewundert und lange nicht verstanden, weshalb diese ihr gegenüber oft zickig war. Erst spät hatte sie die Zusammenhänge erkannt und mit ihrer Schwester darüber gesprochen. Dadurch waren sie sich nähergekommen, doch der Stachel saß bis heute tief, das wusste Bentje. Umso mehr genoss sie die innigen Schwesternmomente, die es natürlich auch gab.

Während sie über ihre Familie nachdachte, sah Bentje sich weiter um. Auf dem Fenstersims standen Basilikum, Pfefferminz und Oregano in handgefertigten Blumentöpfen aus der Kiekersumer Töpferei. Es hingen auch Bündel mit getrockneten Kräutern am Fenster und an einer Schnur über dem Tisch. Lavendel, Kamille und Salbei erkannte Bentje. Den Rest konnte sie nicht zuordnen. Die Kräuterexpertin der Familie war ihre Mutter.

Sie war auch diejenige mit dem Händchen für die Inneneinrichtung. Die Küchenschränke aus gewachstem Kirschholz und die offenen Regale mit den unterschiedlichen Vorratsdosen für Tee und Gewürze gaben dem Raum Wärme und Lebendigkeit. Dazwischen hatte ihre Mutter gekonnt maritime Dekoration platziert. Leuchttürme, Sprüche auf Holz oder auch ein aus Holz gearbeitetes Moin. Bentje liebte den dezenten Schnickschnack. In ihrer Hamburger Wohnung war alles sehr zweckmäßig eingerichtet und Dekoration nur reduziert möglich. Hätte sie mehr Platz, würde sie sich ganz sicher austoben.

Wer die Paulsen-Küche betrat, konnte sofort spüren, dass hier gern gekocht, gegessen und gelebt wurde. Alles wirkte so behaglich, dass man sich an den Tisch setzen und Teil der Gemeinschaft sein wollte.

Ein weiß gestrichenes Brett, auf das ihre Mutter einen Spruch geschrieben hatte, erregte Bentjes Aufmerksamkeit. Das musste neu sein.

Do, wat du wullt, IMAGE

de Lüüd snackt doch!

Herrlich! Und so typisch für Dörte Paulsen. Sie gab nicht sehr viel auf das Gerede der Leute und hatte sich immer bemüht, ihren Kindern diese innere Freiheit zu vermitteln.

Bentje erinnerte sich an ihre rosarote Jeans-Schlaghose, mit der sie in der Schule für ordentlich Furore gesorgt hatte. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Doch ohne ihre Mutter hätte sie es nie gewagt, dieses ausgefallene Kleidungsstück zu tragen.

»Dein Ernst?«, hatte ihre Mutter gefragt, als Bentje ihr die Jeans im Schaufenster des Jeans-Outlets gezeigt hatte.

»Nur mal anprobieren«, hatte Bentje gebettelt.

Sie war hineingeschlüpft und die Hose hatte sich wie für sie gemacht angefühlt. Verliebt hatte Bentje sich vor dem Spiegel im Jeansladen gedreht und dann waren die Zweifel gekommen.

»Sie ist schon ziemlich auffällig, Mama, oder?«, hatte sie gefragt. Nach einer weiteren Drehung im Spiegel waren die Zweifel noch größer geworden. »Ich weiß nicht. Sie ist doch eher nichts für mich. Was, wenn die anderen mich auslachen?«

»Gefällt sie dir denn?«, war die Gegenfrage von ihrer Mutter gekommen.

Bentje hatte die Hände über ihren Po gleiten lassen und genickt. »Ich finde sie fantastisch. Sie passt perfekt und die Farbe ist der Knaller!«

»Dann ist doch alles klar. Du brauchst sowieso eine neue Hose. Und merke dir, mein Schatz: Solange du dich wohlfühlst und niemandem schadest, geht es keinen etwas an, was du tust oder lässt.«

Mit diesem Selbstbewusstsein hatte Bentje die Hose getragen. Sie hatte zwar Herzklopfen gehabt und war bereit gewesen, die Sprüche zu parieren, die sicher kommen würden. Doch zu ihrer Überraschung, hatte sie Komplimente bekommen – für die Hose, vor allem aber auch für ihren Mut. Am Ende hatte sie in diesem Sommer einen Trend gesetzt. Immer mehr Mädchen eiferten ihr nach. Sogar Jasper und Lasse hatten sich eine rosa Jeans gekauft.

Als Bentje daran dachte, lachte sie hell auf. Ach, Jasper. Dem Lachen folgte ein Seufzen. Was gäbe sie darum, die Zeit zurückdrehen zu können. Sie hatte Jasper lange nicht gesehen.

Schnell schob Bentje die Erinnerungen wieder weg und kratzte die Reste aus der Auflaufform.

Die Magnetwand neben dem großen Kühlschrank war neu. Wie es aussah, hatte der Platz am Kühlschrank nicht mehr für Lykkes Kunstwerke gereicht. Bentje betrachtete die Bilder ihrer Nichte lächelnd.

Lykke war acht und wie so viele Mädchen in ihrem Alter verrückt nach Tieren, ganz besonders nach Pferden. Seit Kurzem durfte sie regelmäßig Reitstunden nehmen. Die Kleine war überglücklich. Sie war auch ohne Unterricht schon seit Jahren so oft wie möglich auf dem Reiterhof Olafson gewesen. Pferde striegeln, Ställe ausmisten, Zaumzeug putzen – die kleine Lykke war überall dabei gewesen. Bentje hatte ihr zu Weihnachten vor zwei Jahren neben der selbst gestrickten Mütze auch einen Kinder-Äppelboy und eine Minimistgabel geschenkt. Seither blitzten die Ställe, wenn Lykke auf dem Hof war. Kein Pferdeapfel entkam ihrem aufmerksamen Blick.

Zum Geburtstag letztes Jahr hatte Bentje ihr dann eigenes Putzzeug und nach einigen Diskussionen mit Anni-Frid Agnetha auch die erste Reitstunde geschenkt. Sie hatten Lykke zum Reiterhof begleitet und ihr zugesehen, wie sie mit strahlenden Augen und geradem Rücken auf dem Pferd saß. Lykke machte das richtig gut. Ganz offensichtlich war sie ein Naturtalent. Ihre Tochter so strahlen zu sehen, war für Anni-Frid Agnetha dann auch der letzte benötigte Funken gewesen, ihr endlich den sehnlichen Wunsch nach regelmäßigen Reitstunden zu erfüllen.

Das schlechte Gewissen hatte bei der Entscheidung sicher kräftig mitgewirkt. Nachdem sie nach der Trennung von ihrem Mann zusammen mit Lykke wieder in ihr Elternhaus gezogen war, machte Anni-Frid Agnetha sich Sorgen um sie. Das Reiten sollte der Kleinen die Trennung von ihrem Vater ein wenig leichter machen.

Als ob das nötig wäre! Bentjes Einschätzung nach war der Verlust des Vaters für Lykke ein absoluter Gewinn. Sie hatte diesen dämlichen Conrad nie leiden können. Allein bei dem Gedanken an seine schwarzen, nach hinten gegelten Haare schüttelte es Bentje. Wenigstens hatte ihre Schwester inzwischen auch gemerkt, was für eine Pfeife sie sich da geangelt hatte. Nachdem sie den Lippenstift seiner Sekretärin in seiner Jackentasche gefunden hatte, war sie aufgewacht und hatte sich getrennt.

Besser spät als nie.

Auf jeden Fall konnte Lykke sehr viel besser reiten als malen, stellte Bentje fest. Offensichtlich hatte Dörte Paulsen ihre künstlerische Gabe nicht an die Enkelin weitergegeben. Lykkes Pferde sahen eher aus, als hätten Giraffen oder Kamele ihre Gene mit eingebracht. Aber vielleicht war gerade das die Kunst. Wer, außer der Künstlerin selbst, konnte das schon wissen?

Bentje nahm die letzte Gabel Gurkensalat. Noch während sie kaute, schnappte sie sich ihr Strickzeug. Sie wollte zwar unbedingt heute noch ans Meer, aber erst einmal würde sie bei ihrer Mutter im Atelier einen Tee trinken, stricken und plaudern. Das hatten sie viel zu lange nicht mehr gemacht.

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Bentje betrat das lichtdurchflutete Atelier. Sie liebte diesen Raum und konnte gut verstehen, dass ihre Mutter sich so gern hier aufhielt.

An zwei Seiten gab es breite, bodentiefe Fenster, einmal zum Garten hin und einmal zur Wiese hinter dem Haus, auf der sich von April bis Ende Oktober Schafe tummelten. Im Herbst sammelten sich die Zugvögel dort, was immer ein lautstarkes Spektakel war.

Dörte Paulsen stand mit dem Rücken zur Tür und arbeitete an einem Nordseebild. Mit leichten Strichen ließ sie die Wellen lebendig werden. Als sie Bentje bemerkte, überzog ein Strahlen ihr Gesicht.

»Liebling, da bist du ja!«, rief sie. Sofort legte sie den Pinsel weg und breitete die Arme aus.

»Hallo, Mama«, sagte Bentje und ließ sich umarmen.

»Ist das schön, dass du da bist«, sagte Dörte Paulsen.

Bentje nickte. »Ich bin auch froh«, antwortete sie. »Danke für das feine Essen. Das hat gutgetan.«

»Immer doch, mein Schatz.« Ihre Mutter strich ihr über die lockigen Haare und betrachtete sie mit diesem liebevoll prüfenden Blick, den alle Mütter hatten.

»Hat Papa noch Dienst?«

»Ja, keine Ahnung, wann er kommt. Sie mussten letzte Nacht raus.«

»Hoffentlich nichts Schlimmes«, sagte Bentje. Bei den Einsätzen der Seenotrettung wusste man nie, wie die Situation sich entwickeln würde. Zumindest war das Meer heute ruhig und die Gefahr dadurch nicht so groß. Bentje wusste, dass ihre Mutter über dieses Thema am liebsten nicht sprach, deshalb schwenkte sie um. »Tee?«

»Aber immer«, kam die Antwort sofort. »Machst du?«, fragte Dörte Paulsen. »Dann kann ich das noch schnell beenden.« Sie wandte sich der Staffelei zu und war schon wieder halb in ihrem gerade entstehenden Werk versunken.

Bentje trat in die Miniküchennische. Sie befüllte den Wasserkocher und stellte ihn an. Während das Wasser heiß wurde, nahm sie zuerst den Ingwer, der in einer Schale lag, und schnitt ein daumengroßes Stück in feine Scheiben. Dann folgte eine Zitrone, die ebenfalls in Scheiben zerteilt wurde. Beides gab Bentje in die bauchige Teekanne. Auf der Fensterbank stand ein Topf mit Minze. Davon brach sie zwei Zweige ab und legte sie ebenfalls in die Kanne. Noch ein paar Kluntjes obendrauf und schon konnte sie das jetzt sprudelnd heiße Wasser darübergießen.

Ihre Mutter hatte in der Zwischenzeit die letzten Striche gesetzt und wusch den Pinsel aus. Das Klappern, als sie ihn im Becher hin und her schlug, um ihn zu trocknen, war Bentje seit ihrer Kindheit vertraut. Bentje wandte sich um und betrachtete das Werk ihrer Mutter.

»Du wirst immer besser«, sagte sie. »Das Bild ist wunderschön.«

»Du bist die süßeste Lügnerin von allen.« Wenn es um ihre Malerei ging, tat sich ihre Mutter schwer, Lob anzunehmen. Sie selbst fand ihre Bilder nie gut genug.

»Ich lüge nicht, Mama«, schimpfte Bentje. »Ich finde es wirklich toll.«

»Weißt du was, es ist nicht wichtig. Das Malen tut mir gut, das zählt, nicht die Bilder.«

Dieses Thema hatten sie schon sehr oft gehabt. Bentje fand die Bilder absolut schön und war davon überzeugt, dass ihre Mutter Erfolg haben könnte. Doch die weigerte sich strikt, mit ihren Werken an die Öffentlichkeit zu gehen. In der Kammer hinter dem Atelier lagerte sie stattdessen all ihre Werke.

»Ich habe dich lieb«, sagte Bentje und gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange.

Sie zündete das Teelicht an und schob es in das Stövchen. Kanne und Tassen wanderten auf den kleinen Tisch neben dem Fenster. Mutter und Tochter setzten sich in die bequemen Korbstühle. Dörte goss ein, während Bentje ihr Strickzeug in die Hand nahm.

»Jetzt erzähle, Mama. Was gibt es Neues in Kiekersum?«

»Du meinst, seit unserem letzten Telefonat vergangenen Sonntag?«, neckte ihre Mutter sie. »Du versuchst doch nur, von dir abzulenken, Liebes.« Dörte Paulsen betrachtete Bentje mit diesem Mutterblick, der direkt ins Innere sehen konnte. »Du wirkst aufgewühlt. Ist es der Stress in der Agentur?«

»Mist«, fluchte Bentje, die sich an dem heißen Tee verbrannt hatte. Hastig stellte sie die Tasse wieder ab und zog ein Taschentuch hervor, um das T-Shirt trocken zu tupfen, auf dem ein kleiner Schwall Tee gelandet war. »Ich bin einfach urlaubsreif«, gestand Bentje.

Im Hintergrund lief ABBA. Bentje summte leise mit. »The winner takes it all …«

»Oh, ich soll dich von Finna grüßen«, sagte ihre Mutter. »Ich habe sie heute Morgen auf dem Markt getroffen. Sie hofft, dass du sie besuchen kommst.«

Bevor Bentje antworten konnte, klingelte ihr Handy. Sie warf einen Blick auf das Display.

»Entschuldige, Mama, da muss ich drangehen, das ist mein Chef.« Schon nahm sie den Anruf an. »Moin, Volker«, meldete sie sich.

»Moin, Bentje«, kam es zurück. »Wir haben den Auftrag!«, verkündete er ohne lange Vorrede.

»Wow!« Bentje lachte. »Herzlichen Glückwunsch, das ist fantastisch«, rief sie.

»Herzlichen Glückwunsch an dich. Du hattest die Federführung. Du, Bentje, ich weiß, du hast Urlaub, aber ich muss dringend etwas mit dir besprechen. Hast du ein paar Minuten?«

»Ich sitze gerade mit meiner Mutter beim Tee. Schieß los, was gibt es so Wichtiges?«

Kapitel 3

Finna

Lüttje Glück

Finna keuchte etwas außer Atem, als sie den Staubsauger abschaltete und zur Seite stellte. Sie zog den Stecker aus der Dose und ließ mit einem Tastendruck das Kabel surrend einziehen. Als Chefin ihrer Frühstückspension Lüttje Glück war sie sich für keine Arbeit zu schade.

Der Blick auf ihre Armbanduhr löste ein unwilliges Schnauben aus. Es war bereits später Vormittag. Das durfte doch nicht wahr sein. Sie war ja lahmer als jede Pantoffelschnecke.

Wenn es nach Finna gegangen wäre, hätte sie die Arbeit gut eine Stunde früher beenden sollen. Aber ihr vermaledeiter Körper hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wieder einmal.

Früher hatte sie die Putzerei mit links erledigt. In den letzten Monaten hatte sie jedoch spürbar abgebaut. Sie war langsamer geworden. Inzwischen hatte sie oft zu kämpfen, um überhaupt mit der täglichen Arbeit fertig zu werden. Auch wenn sie nur zu gern die Augen vor dieser Entwicklung verschlossen hätte – Finna konnte es nicht leugnen: Sie wurde alt.

Mit dem kaputten Knie und den Rückenschmerzen fiel ihr das Bücken schwer. Und das Treppensteigen. Überhaupt war alles viel mühsamer geworden. Finna war wütend auf sich selbst, weil sie sich so hilflos fühlte. Und auf ihren Körper, der sie so sträflich im Stich ließ.

Wenigstens funktionierte ihr Kopf noch einwandfrei. Und das Mundwerk sowieso. Das half nur leider nicht, wenn es darum ging, den Staub unter dem Bett wegzusaugen oder eine Badewanne zu schrubben. Beides hatte sie an diesem Morgen bereits mehrfach getan. Erschöpft brachte sie den Staubsauger in den Flur und ging in das Zimmer zurück. Nur noch das Bett beziehen. Für heute hatte sie es so gut wie geschafft.

Das Doppelzimmer würde nicht lange leer stehen, die neuen Gäste reisten mit dem Zug an und würden um siebzehn Uhr dreißig in Husum ankommen. Jasper hatte versprochen, sie abzuholen und ins Lüttje Glück zu bringen.

Was für ein Geschenk, dass es Menschen wie ihn gab. Sie kannte Jasper, seit er ein Kind gewesen war. Als kleiner Junge hatte er sie schon in ihrem Apfelgarten hinter dem Haus besucht und ihr Fragen zu den verschiedenen Bäumen gestellt. Es hatte Finna immer große Freude bereitet, ihr Wissen an ihn weiterzugeben.

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