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Wüstenzauber - Träume aus 1001 Nacht

hier erhältlich:

EIN SOHN FÜR DEN SCHEICH

Weil sie ihm bisher kein Kind schenken konnte, hat Leona ihre große Liebe Hassan, den Thronfolger des Scheichtums Rahman, verlassen, um den Weg für eine andere Frau an seiner Seite freizumachen. Und auch Hassan denkt, dass es so das Beste ist - bis er das laute Rufen seines Herzens nicht mehr überhören kann.

DER FALKE DES NORDENS

Ehe sie weiß, wie ihr geschieht, wird die junge Amerikanerin Joanna Bennett in Marokko entführt. Und ihr Entführer ist nicht irgendwer, sondern Prinz Khalil, genannt der Falke des Nordens. Als Joanna den ersten Schrecken überwunden hat stellt sie fest, dass sie es genießt in einem Palast in der Wüste von einem feurigen Prinzen umworben und verführt zu werden.

DIE BRAUT DES WÜSTENPRINZEN

5000 Pfund und meine Unschuld! Ein höchst unmoralisches Angebot macht Xenia dem attraktiven Surflehrer Blaize. Als entehrte Frau wird Scheich Rashid sie nicht heiraten wollen. Und ihr Wunsch ist Blaize Befehl. Zu spät erfährt Xenia geschockt, wer ihr Liebhaber ist ...

NACHT DER VERSUCHUNG

Scheich Xavier Al Agier ist Mariellas erklärter Feind - bis sie mit ihm in einen Sandsturm gerät. In seine Arme geschmiegt, ist sie sicher. Und als sie Xaviers Lippen auf den ihren spürt, erwidert sie seinen Kuss voller Leidenschaft. Betrogen von ihrem eigenen Verlangen ...


  • Erscheinungstag: 06.08.2015
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 768
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955764784
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Michelle Reid, Sandra Marton, Penny Jordan

Wüstenzauber - Träume aus 1001 Nacht

Míchelle Reíd

Líebesreíse ín 1001 Nacht

Eín Sohn für den Scheích

 

Image

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Originaltitel: „The Sheikh’s Chosen Wife“

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V., Amsterdam

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: mauritius images GmbH, Mittenwald

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN eBook 978-3-95576-108-0

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Nachdem ihm der Brief aus London übergeben worden war, ging Scheich Hassan ben Khalifa Al-Qadim in sein Büro und legte ihn ungelesen auf den Schreibtisch, wo bereits drei andere Schreiben desselben Absenders lagen.

Ohne sie eines Blickes zu würdigen, ging er weiter zum Fenster und sah hinaus auf die Feigenhaine jenseits der Oase von Al-Qadim, die der Wüste durch künstliche Bewässerung abgetrotzt worden waren.

Doch die mächtigen Dünen am Horizont waren wie eine unausgesprochene Warnung davor, dem Frieden zu trauen. Ein einziger starker Sandsturm könnte die jahrelange Arbeit zunichtemachen und das fruchtbare Land über Nacht wieder in das Ödland verwandeln, das es einst gewesen war.

Weil er um die Unbarmherzigkeit wusste, mit der die Natur die Pläne des Menschen durchkreuzen konnte, hatte Hassan es sich zur Gewohnheit gemacht, vor jeder wichtigen Entscheidung in die Wüste zu reiten, um dort Rat zu suchen.

Die Entscheidung, die nun zu treffen war, duldete jedoch keinen weiteren Aufschub. Dafür hatte er sich bereits zu lange geweigert, mit dem Inhalt der Briefe das Unheil zur Kenntnis zu nehmen, das sich über ihm zusammenbraute.

Inzwischen standen die Zeichen längst auf Sturm, wie Hassan jedes Mal schmerzlich bewusst wurde, wenn er sein Büro verließ und mit den Wünschen und Forderungen seines Vaters, seines Halbbruders und tausend anderer Menschen konfrontiert wurde, die zu Recht von ihm erwarteten, dass er, anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, seinen Verpflichtungen als Thronfolger des kleinen Emirats Rahman am Persischen Golf nachkam.

Ehe er seinen Entschluss in die Tat umsetzen und zum Telefonhörer greifen konnte, klopfte es. Auf seine Aufforderung hin öffnete sein Privatsekretär und wichtigster Berater Faysal die Tür. Doch anstatt zu Hassan zu gehen und ihm den Grund für die Störung zu nennen, blieb er auf der Schwelle stehen und wartete, bis der Scheich ihn ausdrücklich dazu aufforderte.

“Was führt dich zu mir?”, erkundigte sich Hassan, dem die an Unterwürfigkeit grenzende Förmlichkeit nicht nur in Momenten wie diesem übertrieben schien.

Erst nach einer respektvollen Verbeugung trat Faysal ein, schloss die Tür hinter sich, durchquerte den Raum und blieb in gebührlichem Abstand vor Hassans Schreibtisch stehen. “Es gibt Neuigkeiten, mein Herr”, erwiderte er und fügte hinzu: “Leider keine guten. Scheich Abdul zieht in seiner Sommerresidenz eine Gruppe Gleichgesinnter zusammen. Laut Auskunft eines Informanten, der sich eingeschleust hat, spitzt sich die Lage bedrohlich zu.”

Zu seiner Verwunderung ging Scheich Hassan mit keinem Wort auf die besorgniserregende Nachricht ein. “Und was weißt du von meiner Frau?”, erkundigte er sich stattdessen.

“Die Prinzessin weilt noch immer in Spanien, mein Herr”, teilte Hassan ihm gewohnt förmlich mit. “Sie unterstützt ihren Vater bei der Vermarktung der neuen Ferienanlage von San Estéban. Nach meinen Informationen überwacht sie derzeit die Einrichtung und Möblierung der Villen, die zum Verkauf stehen.”

Was Hassan nicht überraschte. In seinem Büro fanden sich genügend Beweise für Leonas Ehrgeiz als Innenarchitektin – und das, obwohl sie diesen Beruf nie erlernt hatte.

“Man könnte fast meinen, du wolltest Besucher abschrecken”, hatte ihre Begründung für die Veränderungen gelautet, die sie in Hassans Büro vorgenommen hatte. Dass genau das seine Absicht gewesen war, war ihr nicht einmal in den Sinn gekommen.

Doch weil ihr Lächeln unwiderstehlich war, hatte Hassan nicht widersprochen, als sie Bilder und Skulpturen einheimischer Künstler und einen sündhaft teuren Teppich erstanden hatte, der nun große Teile des blauen Marmorfußbodens bedeckte. Auch die Sitzgruppe vor dem Fenster war auf ihren Wunsch hin angeschafft worden. Dort hatten sie gewöhnlich gemeinsam Tee getrunken und den unvergleichlichen Ausblick ebenso genossen wie manch zärtliche Berührung, wie sie zwischen Liebenden üblich war.

Der Ausblick war nach wie vor derselbe. Richtig genießen konnte Hassan ihn jedoch seit jenem Tag nicht mehr, an dem Leona ihn verlassen hatte und der Austausch von Zärtlichkeiten nur noch in seiner Fantasie vorkam.

“Wie viel Zeit bleibt uns deiner Meinung nach, um ihnen das Handwerk zu legen?”, erkundigte er sich, um die Trauer, die ihn zu erfassen drohte, im Keim zu ersticken.

“Ich fürchte, nicht allzu viel”, erwiderte Faysal. “Sie können jeden Tag zuschlagen. Deshalb sollten Sie rasch handeln. Wozu aus einem weiteren Grund Anlass besteht”, fügte er verlegen hinzu. “Mr. Hayes ist zu Ihrer Frau in die Villa gezogen.”

Die bloße Erwähnung dieses Namens reichte, um Hassan aus der Fassung zu bringen. Was immer Leona dazu veranlasst haben mochte, mit Ethan Hayes zusammenzuziehen – die Gefühle ihres Ehemannes waren ihr offenbar völlig gleichgültig.

“Seit wann ist er in San Estéban?”, fragte er, und zu seiner Wut gesellte sich nun auch noch rasende Eifersucht.

“Seit einer guten Woche.”

“Weiß Scheich Abdul auch davon?”

“So wurde berichtet”, antwortete Faysal, dem es sichtlich unangenehm war, seinem Herrn keine andere Auskunft geben zu können.

Hassan traf seine Entscheidung, ohne lange zu zögern. “Sag für die nächsten Wochen alle meine Termine ab”, ordnete er an, “und sorge dafür, dass meine neue Yacht von Cadiz nach San Estéban gebracht und mein Flugzeug startklar gemacht wird. Außerdem soll Rafiq umgehend zu mir kommen.”

“Wie Sie wünschen”, erwiderte Faysal verunsichert. “Was soll ich sagen, falls jemand nach dem Grund für Ihren plötzlichen Aufbruch fragt?”

“Die Wahrheit, selbstverständlich. Dass ich einen längeren Urlaub im Mittelmeer nutze, um mein neues Spielzeug auszuprobieren.”

Faysal wusste ebenso wie der Scheich, dass die kommenden Wochen alles andere als Erholung versprachen. Deshalb überraschte es ihn nicht, als sein Herr verbittert hinzufügte: “Sollte jemand es wagen, auch nur andeutungsweise zu behaupten, dass meine Frau mich betrügt, wird ihm keine Gelegenheit bleiben, es zu bereuen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?”

Mit einer tiefen Verbeugung gab Faysal zu verstehen, dass er sich der Tragweite der Drohung bewusst war, ehe er sich zurückzog, um die Befehle seines Herrn auszuführen.

Als Hassan wieder allein war, nahm er den ersten der vier Briefe zur Hand, den er als einzigen gelesen hatte. Doch nun galt sein Interesse weniger dem Schreiben selbst als der Telefonnummer, die im Briefkopf vermerkt war. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er den Anwalt seiner Frau um diese Zeit in seiner Londoner Kanzlei erreichen müsste. Um keine halben Sachen zu machen, ließ er dem ersten Ferngespräch ein zweites folgen und rief auch noch seinen Schwiegervater Victor Frayne an.

Kaum hatte er das Gespräch mit ihm beendet, kam sein Halbbruder Rafiq ins Büro. Wie Faysal trug er das traditionelle weiße Gewand, das ihrer Stellung innerhalb der arabischen Gesellschaft entsprach, doch damit hatten sich die Gemeinsamkeiten auch schon erschöpft. Denn anders als Faysal war Rafiq ein Hüne von Mann, und sein Selbstbewusstsein konnte es mit seiner Statur unbedingt aufnehmen. Dass er nicht anklopfte, bevor er Hassans Büro betrat, bedeutete jedoch nicht, dass er notfalls nicht sein Leben für ihn gegeben hätte.

“Mach die Tür zu”, forderte Hassan ihn auf und wartete, bis Rafiq vor dem Schreibtisch stand. Erst dann stellte er ihm die Frage, derentwegen er ihn hatte kommen lassen. “Wärst du bereit, eine kleine Intrige zu spinnen?”

“Das kommt darauf an, wer ins Netz gehen soll”, erwiderte Rafiq. “Scheich Abdul?”, fragte er hoffnungsvoll.

“Leider nicht. Der kommt später dran”, erwiderte der Scheich verächtlich. “In diesem Fall dachte ich eher an meine entzückende Ehefrau.”

Um mich noch einmal umzuziehen, ist es ohnehin zu spät, dachte Leona, als sie sich im Spiegel betrachtete und das lange rotblonde Haar hochsteckte.

Nicht, dass ihr das beigefarbene Trägerkleid schlecht stand, doch der Schnitt konnte kaum kaschieren, dass sie im Lauf des vergangenen Jahres viel zu dünn geworden war, und ein dunklerer Farbton hätte ihre Haut sicherlich weniger blass erscheinen lassen.

Doch weil Ethan schon ungeduldig auf sie wartete, legte sich Leona schnell die diamantenen Ohrringe und die goldene Armbanduhr an und ging ins Schlafzimmer, um in die flachen Sandaletten zu schlüpfen und die schwarze Seidenstola umzulegen. Für ein Geschäftsessen, bei dem sie lediglich ihren Vater vertreten sollte, war sie damit sicherlich passend gekleidet. Er war in London aufgehalten worden, wo er etwas mit seinem Anwalt zu besprechen hatte. So war Leona die undankbare Aufgabe zugefallen, seinen Geschäftspartner zu begleiten, mit dem er das Architekturbüro “Hayes & Frayne” betrieb.

Noch als sie die Treppe hinunterging, bedauerte sie, dass sie den Abend nicht zu Hause verbringen konnte, wohin sie erst vor einer Stunde zurückgekehrt war. Hinter ihr lag ein langer und arbeitsreicher Tag in der Ferienanlage von San Estéban, und als machte ihr die Hitze Südspaniens nicht schon genug zu schaffen, war in der Villa, die sie derzeit als Musterhaus für potenzielle Käufer einrichtete, die Klimaanlage ausgefallen.

Ethan erwartete sie auf der Veranda. Er hatte sich einen Drink eingegossen und stand am Geländer, von wo aus er den Sonnenuntergang beobachtete. Als er Leona bemerkte, drehte er sich zu ihr um und lächelte anerkennend.

“Du siehst hinreißend aus”, begrüßte er sie und ging ihr einige Schritte entgegen.

“Vielen Dank”, erwiderte Leona und betrachtete den großen und schlanken Mann, der zu seinem schwarzen Smoking wie üblich keine Krawatte, sondern eine Fliege trug. “Du brauchst dich aber auch nicht zu verstecken.”

Ethan quittierte das Kompliment mit einem schalkhaften Lächeln, für das er ebenso berühmt wie berüchtigt war, weil er damit die Herzen der Frauen im Sturm erobern konnte – wovon er regen Gebrauch machte.

Zu Leonas Erleichterung ließ sie Ethans unbestreitbare Attraktivität jedoch kalt, und dankenswerterweise hatte er nie versucht, daran etwas zu ändern. Was sicherlich daran lag, dass sich in den vielen Jahren, die sie sich bereits kannten, ein freundschaftliches und vertrauensvolles Verhältnis zwischen ihnen entwickelt hatte. Sie mochten und respektierten sich, wie es enge Verwandte taten.

“Möchtest du einen Drink?”, erkundigte sich Ethan.

“Lieber nicht”, lehnte Leona ab, “sonst fange ich spätestens um zehn Uhr an zu gähnen.”

“So spät?”, spottete er im Wissen, dass Leona normalerweise früh ins Bett ging. “Demnächst bittest du mich noch, nach der Party mit dir in eine Nachtdisco zu gehen.”

“Du besuchst Discos?”

“Nicht wenn ich es verhindern kann”, erwiderte Ethan augenzwinkernd. “In meinem Alter ist es nicht so einfach, eine Frau zu finden, die sich von mir auf die Füße treten lässt.”

“So alt bist du doch noch gar nicht”, widersprach Leona amüsiert. “Wenn ich mich richtig erinnere, bist du Mitte der Sechzigerjahre geboren, genau wie Has…”

Ethan sah mit Entsetzen, wie von einer Sekunde auf die andere jede Fröhlichkeit aus Leonas Gesicht wich. Jeder, der näher mit ihr zu tun hatte, wusste, wie schwer das vergangene Jahr für sie gewesen war. Deshalb hatte in dieser Zeit niemand den Namen ihres Mannes in ihrer Gegenwart erwähnt. Nun hatte sie selbst das Gespräch auf ihn gebracht, und auch wenn sie sich nach der ersten Silbe unterbrochen hatte, war ihr deutlich anzusehen, wie sehr die Erinnerung sie aufgewühlt hatte.

“Findest du nicht, dass du diesem Wahnsinn endlich ein Ende setzen solltest?”, fragte Ethan besorgt.

“Das will ich aber nicht”, erwiderte Leona bestimmt und trat ans Geländer.

“Sagt dein Herz dir nicht etwas völlig anderes?”

“Was mein Herz sagt, spielt in diesem Fall keine Rolle.”

“Vielleicht solltest du gerade deshalb auf es hören.”

“Vielleicht solltest du dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten kümmern.”

Um zu betonen, wie wenig ihr an seiner Einmischung lag, warf Leona Ethan einen strengen Blick zu, ehe sie sich umdrehte. Sie blickte hinaus aufs Meer, über dem die Sonne unterging und es in schillernde Farben tauchte.

Die Villa, die sie gemeinsam mit ihrem Vater bewohnte und die seit einigen Tagen auch Ethan als Unterkunft diente, befand sich oberhalb der Bucht von San Estéban, einem ehemaligen Fischerdorf, das sich innerhalb weniger Jahre mithilfe einiger finanzkräftiger Investoren in einen paradiesischen Urlaubsort verwandelt hatte. Um den Charakter der Landschaft zu erhalten, waren die luxuriösen Villen, die sich über den Hang erstreckten, im maurischen Stil errichtet worden. Gekrönt wurde die Anlage von einem Sportboothafen, in dem bereits die ersten Yachten vor Anker lagen.

Von hier oben wirkte alles noch friedlicher als ohnehin, und insgeheim wünschte sich Leona, der Anblick könnte ihr helfen, ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen.

Doch die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass die Aussicht darauf denkbar gering war. Insgeheim hatte sie sich schon fast damit abgefunden, die Kränkungen und Verletzungen, die sie erlitten hatte, zeitlebens nicht zu verwinden.

“Entschuldige bitte, Leona”, sagte Ethan, als er sah, wie bedrückt sie war. “Ich wollte dir nicht zu nahe treten.”

“Schon gut”, erwiderte sie niedergeschlagen. “Es ist einfach noch zu früh, um darüber zu sprechen.”

“Glaubst du nicht, es wäre besser, wenn du dich jemandem anvertraust? Immerhin ist es ein ganzes Jahr her, seit …”

Leona schüttelte heftig den Kopf, um Ethan zu verstehen zu geben, dass sie kein Wort mehr darüber hören wollte. So hielt sie es, seit sie nach London zurückgekehrt war und ihrem Vater zur Begründung nur gesagt hatte, dass ihre Ehe mit Scheich Hassan ben Khalifa Al-Qadim nach fünf Jahren gescheitert war.

Victor Frayne hatte nichts unversucht gelassen, den Grund dafür herauszufinden. Dazu war er sogar nach Rahman geflogen. Doch bei seinem Schwiegersohn war er ebenso auf eine Wand des Schweigens gestoßen wie bei seiner Tochter. So hatte er lediglich in Erfahrung bringen können, dass Scheich Hassan unter der Trennung nicht weniger litt als Leona, selbst wenn er seine Gefühle besser verbergen konnte als seine Ehefrau.

“Es ist mir ein einziges Rätsel”, hatte Victor seinem Freund und Geschäftspartner Ethan Hayes eines Tages gestanden, “und ich kann nur hoffen, dass diese unerträgliche Situation ein Ende findet, ehe Leona daran zerbricht.”

Zu seiner Erleichterung hatte Leona eines Tages die Initiative ergriffen und war zu seinem Anwalt gegangen, um ihn zu beauftragen, die Scheidung vorzubereiten.

Warum sie damit zehn Monate gewartet hatte, blieb allen ein Rätsel, zu dessen Lösung Leona nicht das Geringste beitrug. Hingegen wunderte es niemanden, dass sie eine Woche nach dem Besuch beim Anwalt schwer erkrankte und mehrere Wochen das Bett hüten musste.

Mit ihrer Genesung schien auch ihr Lebensmut wieder zurückgekehrt, denn kaum hatte sie sich von der Krankheit erholt, erklärte sie sich bereit, nach San Estéban zu gehen und die Ausgestaltung der Villen zu übernehmen, die ihr Vater und dessen Geschäftspartner in Südspanien bauten.

Die Arbeit schien ihr in jeder Hinsicht zu bekommen, denn auch wenn sie noch blass und geschwächt war, führte sie ein Leben, das von dem jeder anderen neunundzwanzigjährigen Frau nicht zu unterscheiden war.

Ethan hatte die Hoffnung, eine Antwort zu bekommen, längst aufgegeben. Um Leona etwas aufzuheitern, ging er zu ihr und küsste sie auf die Stirn. “Bist du startklar?”, erkundigte er sich mit einem aufmunternden Lächeln.

Leona nickte zustimmend, und um den Eindruck zu erwecken, als freute sie sich auf den Abend, hakte sie sich bei Ethan unter und ließ sich von ihm zu der wartenden Limousine führen, die er mitsamt Chauffeur gemietet hatte.

“Vorhin ist die Yacht eingelaufen, auf der wir eingeladen sind”, teilte Ethan ihr mit, als sie im Fond des Wagens saßen, der sie zum Hafen bringen sollte. “Sie ist beeindruckend. Arm ist dieser Petronades jedenfalls nicht.”

Zumindest die letzte Bemerkung war schamlos untertrieben, denn Leandros Petronades war der größte Investor in San Estéban. Das Abendessen gab er für einen exklusiven Kreis finanzkräftiger Interessenten. Um ihnen den Kaufentschluss zu erleichtern, hatte er die Besichtigung der Anlage mit einer kleinen Seereise an Bord seiner luxuriösen Yacht verbunden.

“Zumindest muss sie ziemlich groß sein”, erwiderte Leona. “Sonst könnte er nicht so viele Gäste beherbergen.”

“Klein ist sie wirklich nicht, doch kurz danach ist eine andere Yacht eingetroffen, die gut doppelt so groß ist.”

“Etwa ein Kreuzfahrtschiff?”, erkundigte sich Leona in der Hoffnung, die Ferienanlage von San Estéban könnte bereits vor ihrer Fertigstellung eine Sehenswürdigkeit sein.

“So groß nun auch wieder nicht. Ich nehme an, dass sie einem reichen Freund von Petronades gehört, den er als Investor ködern will.”

Ein weiterer Investor könnte nicht schaden, dachte Leona, zumal es nicht Hassan sein würde. Der besaß weder eine Yacht, noch hatte er ihres Wissens je in eines der Projekte seines Schwiegervaters investiert.

So beruhigend dieser Gedanke war, sosehr ärgerte sie sich darüber, dass ihr schon zum zweiten Mal an diesem Abend der Name ihres Ehemannes in den Sinn gekommen war. Dabei bestand nicht der geringste Anlass, sich mit solch unerfreulichen Erinnerungen herumzuärgern.

Entsprechend erleichtert war sie, als der Wagen vor der langen Mole hielt, an dessen Ende Leonardos Yacht festgemacht hatte. Denn inzwischen war sie entschlossen, den Abend nicht als notwendiges Übel zu betrachten, sondern ihn zu genießen. Wer weiß, vielleicht würde sie Ethan tatsächlich noch bitten, mit ihr tanzen zu gehen.

Es war lange her, dass sie ausgelassen gefeiert hatte. Die Ehe mit einem Araber hatte gewisse Einschränkungen mit sich gebracht, die jedoch nicht alle auf den besonderen Regeln beruhten, die in diesen Ländern für verheiratete Frauen galten.

Denn Leona hatte nicht nur einen Araber, sondern den ältesten Sohn und Thronfolger des Herrschers von Rahman geheiratet, einem kleinen, aber dank seiner Ölvorkommen reichen Golfemirat. Mit der Heirat hatte sie Rang und Titel einer Prinzessin erhalten, was neben allerhand Privilegien auch bedeutete, dass allem, was sie sagte und tat, eine ungeahnte Wichtigkeit zukam. Deshalb hatte sie sich angewöhnt, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und sich genau zu überlegen, wo sie hingehen konnte und wo nicht – erst recht allein.

An dieser Gewohnheit hatte sie auch im vergangenen Jahr festgehalten. Um den Spekulationen darüber keine Nahrung zu geben, warum sie ohne ihren Mann nach London zurückgekehrt war, hatte sie überaus zurückgezogen gelebt.

Selbst aus größerer Entfernung war ihr Ziel deutlich zu erkennen, denn Petronades’ schneeweiße Yacht war hell erleuchtet. Wie Ethan gesagt hatte, wurde sie jedoch von einer anderen überragt, die wie ein Schatten an der Mole lag, die Ethan und Leona nun entlanggingen. An Deck war kein Licht zu erkennen, und der schwarze Rumpf ließ es wie ein Geisterschiff wirken.

“Nicht übel”, meinte Ethan anerkennend, als sie sich dem schwimmenden Palast näherten.

Doch Leona sah sich außerstande, seine Begeisterung zu teilen. Ohne sagen zu können, warum, hatte sie die dunkle Vorahnung, dass sie im dunklen Schatten, den die riesige Yacht warf, etwas Bedrohliches erwartete.

Sie sollte sich nicht getäuscht haben. Gerade als sie Ethan ihre Sorge mitteilen wollte, drang ein Flüstern an ihr Ohr. Auch Ethan schien es gehört zu haben, denn wie sie blieb er unvermittelt stehen.

Im selben Moment löste sich ein Schatten aus der Dunkelheit und trat auf sie zu. Ehe einer von ihnen reagieren konnten, folgten dem ersten weitere Schatten, bis sie schließlich von vermummten Gestalten umzingelt waren.

“Was wollen Sie von uns?”, fragte Leona ängstlich, auch wenn sie die Antwort bereits zu kennen glaubte. Wenn ihr Instinkt nicht trog, handelte es sich bei den Männern um Araber, und was sie von ihr wollten, war nur allzu offensichtlich.

Mit der Angst, entführt zu werden, lebte sie seit jenem Tag, an dem sie Hassans Frau geworden war. Sie war Engländerin und hatte einen Araber geheiratet, der nicht nur Thronfolger eines Emirates in einer von Krisen geschüttelten Region war, sondern darüber hinaus einer der reichsten Männer der Welt. Aus ihrer Entführung könnten Extremisten und Fanatiker also gleich doppelt Kapital für ihre menschenverachtenden Ziele schlagen.

Bislang war diese Drohung zu abstrakt gewesen, um sich gegen sie zu schützen, und die Entschlossenheit in den Gesichtern der Männer verriet, dass es nun zu spät dafür war.

Ethan dachte offenbar anders darüber, denn er legte schützend den Arm um Leona. “Hab keine Angst”, versuchte er sie zu beruhigen. “Ich lenke sie ab, damit du dich in Sicherheit bringen kannst.”

Ehe sie widersprechen konnte, stürzte er sich auf die beiden Männer, die direkt vor ihm standen. Da er das Überraschungsmoment auf seiner Seite hatte, gelang es ihm tatsächlich, seine Gegner zu Fall zu bringen und eine kleine Lücke in dem Ring aufzureißen, der Leona umgab.

Doch sie zögerte zu lange, und als sie endlich den Mut für einen Fluchtversuch aufbrachte, hatte sich der Kreis der Angreifer bereits wieder geschlossen.

Als der Anführer langsam auf sie zukam, drohte ihr das Herz stehen zu bleiben. Er strahlte eine Kraft und Verwegenheit aus, die sie das Schlimmste befürchten ließ.

Doch als er näher kam, wusste sie, dass sie das Opfer einer ganz besonderen Entführung war, mit der die Täter weder politische noch finanzielle Forderungen durchsetzen wollten. Um sich zu irren, war ihr der entschlossene Blick des großen, schlanken und athletischen Mannes zu vertraut, der nun unmittelbar vor ihr stand.

“Hassan”, nannte sie ängstlich seinen Namen.

Die Verbeugung, mit der er seine Frau begrüßte, war an Hochmut kaum zu überbieten – außer von der Formulierung, die er anfügte.

“Allerdings”, sagte er mit schneidendem Sarkasmus. “Schön, dass du deinen Ehemann noch erkennst.”

2. KAPITEL

“Was willst du von mir?”, fragte Leona entsetzt, auch wenn die Angst ihr die Kehle zuzuschnüren drohte. Ehe Hassan etwas erwidern konnte, wurde seine Aufmerksamkeit von einem erneuten Tumult in Beschlag genommen, der sich hinter seinem Rücken abspielte. Während Ethan von zwei Männern überwältigt wurde, rief er verzweifelt nach Leona. Er konnte noch nicht wissen, um wen es sich bei den Angreifern tatsächlich handelte.

“Ruf deine Männer zurück!”, verlangte Leona.

“Sei still!”, befahl Hassan und umklammerte ihr Handgelenk. Dann forderte er seine Männer auf, sich zurückzuziehen. Was sie zwar taten, jedoch nicht, ohne einen verängstigten Ethan mitzuschleifen.

“Wohin bringen sie ihn?”, wollte Leona wissen.

Hassan hielt es nicht für nötig, ihr eine Antwort zu geben. Stattdessen winkte er einen seiner Männer zu sich, der, wie Leona sehr bald feststellen konnte, ihr fast so vertraut war wie ihr Mann.

“Rafiq”, sagte sie verwundert, doch Hassan unterband jedes weitere Wort, indem er Leona den Arm um die Taille legte und sie an sich zog. Die unerwartete körperliche Nähe löste Gefühle in ihr aus, derer sie sich angesichts der Lage, in der sie sich befand, fast schämte. Es war, als ließe sie die Erinnerung an die unvergleichliche Zärtlichkeit, die dieser Mann ihr geschenkt hatte, allen Kummer und Schmerz vergessen, die er ihr in der Vergangenheit zugefügt hatte und mit ihrer Entführung erneut zufügte.

Dass es sich tatsächlich um eine Entführung handelte, bewies die Tatsache, dass Rafiq ihr unvermittelt eine schwarze Kapuze über den Kopf zog und sie so unsanft vorwärts stieß, dass sie ihre Sandaletten verlor.

“Was hast du mit mir vor?”, fragte sie ängstlich.

“Dich entführen”, bestätigte Hassan mit erschreckender Deutlichkeit. “Wenn du klug bist, fügst du dich in dein Schicksal. Ansonsten sehe ich mich gezwungen …”

Auch wenn er den Satz nicht beendete, wusste Leona, was ihr blühte, wenn sie sich ihrem Ehemann widersetzte. Er sah in ihr einen Gegenstand aus seinem Besitz, der ihm verloren gegangen war und den er sich nun zurückholte.

“Das werde ich dir nie verzeihen”, sagte sie drohend. Zur Antwort versetzte er ihr einen Stoß, der sie fast aus dem Gleichgewicht brachte.

“Fall nicht ins Wasser!”, rief Hassan ihr zu. Leona wollte ihm bereits die passende Antwort geben, als sie unter den Fußsohlen spürte, dass sich der Bodenbelag unvermittelt veränderte.

“Wo sind wir?”, fragte sie.

“Auf der Gangway zu meiner Yacht”, antwortete Hassan.

“Hast du etwa ein neues Spielzeug?”, fragte sie spöttisch und wusste im selben Moment, dass das “Geisterschiff”, wie sie es noch vor wenigen Minuten bezeichnet hatte, niemand anderem als Hassan gehörte.

“Pass lieber auf, wo du hintrittst”, warnte er sie.

Was leichter gesagt als getan war, denn durch die schwarze Kapuze konnte Leona nicht einmal die Hand vor Augen erkennen, geschweige denn eine schmale Gangway sicher passieren.

Instinktiv streckte sie die Hand aus, um Halt zu finden. Doch das Wissen um die Gefahr hatte sie so ängstlich gemacht, dass sie mehr taumelte als zielstrebig ging.

Als sie schon befürchten musste, beim nächsten Schritt ins Hafenbecken zu fallen und zu ertrinken, spürte sie zwei starke Arme, die sie umfassten und hochhoben.

Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass Hassan sie erst in diese Lage gebracht hatte, schmiegte sich Leona erleichtert an ihn und genoss das Gefühl der Sicherheit, das ihr seine Nähe verlieh.

Das änderte sich jedoch schlagartig, nachdem er sie quer über das Deck und schließlich eine kleine Treppe hinunter ins Innere der Yacht gebracht hatte.

Kaum stand sie wieder auf den eigenen Beinen, verwandelte sich die Angst, die sie durchlitten hatte, in rasende Wut. Entschlossen riss sie sich die Kapuze vom Kopf und suchte nach ihren Entführern Hassan und Rafiq.

Sie standen vor der geöffneten Tür zum Niedergang und sahen fast aus wie Zwillinge, denn beide trugen einen schwarzen Umhang, der mit einer Schärpe in der Taille zusammengehalten wurde. Darüber hinaus strahlten die dunklen Gesichter dieselbe unerschütterliche Selbstsicherheit aus, die in diesem Moment allerdings unerträglich arrogant wirkte.

Woher nehmen sie bloß das Recht, mich so zu behandeln? fragte sich Leona, und ihr Zorn war so groß, dass sie auf die beiden zuging, ohne sich lange zu besinnen.

Ihr Haar hing ihr wirr über die Schultern, und wie die Sandaletten hatte sie auch die Stola irgendwo verloren. Ihrer Entschiedenheit tat das jedoch keinen Abbruch. Die Hände in die Hüften gestemmt, stellte sie sich vor die beiden Männer. Nach Anzeichen von Reue oder Schuldbewusstsein in ihren Gesichtern suchte sie allerdings vergeblich.

“Ich will sofort zu Ethan”, forderte sie so nachdrücklich, dass den beiden keine Gelegenheit blieb, ihre Verwunderung zu verbergen. Vor allem Hassan war deutlich anzusehen, wie sehr ihn Leonas Forderung verletzte.

Er presste die Lippen zusammen, was seinen Gesichtszügen eine Strenge verlieh, die selbst Rafiq nicht unbeeindruckt ließ. Auf Hassans stummen Wink hin zog er sich zurück und schloss die Tür hinter sich, ehe er an Deck ging.

Dem strafenden Blick, mit dem Hassan sie ansah, konnte Leona ausweichen, doch das Schweigen, in das er sich hüllte, war beinahe unerträglich.

Diesen Mann hatte sie nicht nur geliebt, sondern in der tiefen Überzeugung, dass nichts und niemand sie je auseinanderbringen könnte, hatte sie fünf Jahre lang als seine Ehefrau mit ihm zusammengelebt. Doch nun konnte sie sich nicht einmal dazu überwinden, ihn anzusehen, weil nicht auszuschließen war, dass sich die mühsam unterdrückten Hassgefühle, die sie gegen ihn hegte, augenblicklich Bahn brechen und sie in einen tiefen Abgrund stürzen würden.

“In deinem eigenen Interesse schlage ich vor, dass du den Namen dieses Mannes in meiner Gegenwart nicht mehr erwähnst.”

Kaum hatte Hassan die unverhohlene Drohung ausgesprochen, löste er sich aus seiner Erstarrung und kam bedrohlich auf Leona zu. Doch ehe sie reagieren konnte, ging er achtlos an ihr vorbei zu einem hölzernen Tresen auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes.

“Dann hättest du deine Leute nicht auf ihn hetzen dürfen”, rief sie ihm empört nach, um sich nicht eingestehen zu müssen, wie sehr sie die anmutigen Bewegungen des großen und athletischen Mannes noch immer faszinierten, der in diesem Moment einen Schrank öffnete, in dem sich eine reich ausgestattete Bar befand.

“Deine Sorge ist völlig unbegründet”, erwiderte Hassan verbittert. “Niemand hat Ethan ein Haar gekrümmt – auch wenn er eine ordentliche Abreibung verdient hätte.”

“Weil er mich beschützen wollte?”

“Dieses Recht hat einzig und allein dein Ehemann”, widersprach Hassan, während er eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank nahm. “Und das bin immer noch ich.”

Leona konnte nicht entscheiden, ob ihr eher zum Lachen oder zum Weinen zumute war. “Deine Überheblichkeit hat unter unserer Trennung offenbar nicht gelitten”, sagte sie schließlich verächtlich.

“Deine Widerspenstigkeit aber auch nicht”, erwiderte er aufgebracht und stellte die Flasche krachend auf dem Tresen ab.

Als er sich zu Leona umdrehte, konnte sie deutlich erkennen, dass seine Wut es mit ihrer unbedingt aufnehmen konnte. Sein Gesicht war wie versteinert, und im Blick der dunklen Augen lag ein bedrohliches Funkeln.

“Wie kommst du eigentlich dazu, mir Vorhaltungen zu machen?”, fragte sie empört. “Ich habe nichts getan, was dir das Recht …”

“Ach so?”, unterbrach er sie sarkastisch und kam langsam auf sie zu. “Dann erklär mir doch bitte, warum du mich bei unserem ersten Wiedersehen nach mehr als einem Jahr mit der Forderung begrüßt, einen anderen Mann sehen zu wollen.”

Je näher er ihr kam, desto deutlicher konnte Leona erkennen, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte und die Wut allmählich von Trauer und Ratlosigkeit abgelöst wurde, die sie zutiefst rührten.

“Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst”, antwortete sie verunsichert, weil Hassan sich ihr bis auf wenige Zentimeter genähert hatte.

“Du weißt doch, welche Strafe in Rahman darauf steht, wenn eine Frau ihren Ehemann hintergeht und mit einem anderen zusammenlebt”, erklärte er drohend.

“Willst du damit etwa unterstellen, dass Ethan und ich …?”

“Schläfst du denn nicht mit ihm?”, sprach Hassan schonungslos aus, was beim Namen zu nennen Leona nicht übers Herz gebracht hatte.

“Nein”, entgegnete sie ebenso bestimmt wie entrüstet.

“Erwartest du von mir, dass ich dir das glaube?”

Hassan schien Leona keine Beleidigung und Kränkung ersparen zu wollen. “Das musst du schon selbst entscheiden.” Um sich zu revanchieren, wich sie einer klaren Antwort aus.

“Das fiele mir sicherlich leichter, wenn du mir einen Beweis liefern würdest”, erwiderte er unversöhnlich.

“Du solltest mich gut genug kennen, um zu wissen, dass ich mit Ethan weder geschlafen habe noch je schlafen werde”, wandte Leona bestürzt ein, weil Hassan von seinem ungeheuerlichen Verdacht nicht abzubringen war. “Wenn du ehrlich bist, musst du zugeben, dass du das ganz genau weißt.”

Hassans Reaktion löste in Leona widersprüchliche Gefühle aus. Denn auch wenn sein Blick sie hoffen ließ, dass er endlich bereit war, ihr zu glauben, verletzte sie das herablassende Lächeln, das seine Lippen umspielte, nicht weniger als seine verbalen Anschuldigungen.

“Selbst wenn ich dir glauben sollte, wird das Problem nicht geringer”, sagte er unvermindert misstrauisch. “Es dürfte nicht leicht sein, den Menschen in Rahman begreiflich zu machen, dass ich an der Treue meiner Ehefrau nicht zweifle, obwohl sie mit einem fremden Mann unter einem Dach lebt.”

“Dann solltest du ihnen sagen, dass mein Vater Nacht für Nacht als Aufpasser in der Nähe war”, riet Leona ihm gekränkt. “Wenn er heute nicht in London aufgehalten worden wäre …”

“… hätte dich niemand davor bewahren können, einen unverzeihlichen Fehler zu begehen”, fiel Hassan ihr ins Wort. “Du hast also allen Grund, mir dankbar zu sein”, fügte er hinzu und ging zurück zur Bar.

Die Unverfrorenheit, mit der Hassan die Dinge auslegte, wie es ihm passte, überraschte selbst Leona. “Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass man niemanden vor etwas bewahren muss, was er gar nicht tun will?”, fragte sie entgeistert.

“Sicher ist sicher”, erwiderte Hassan sarkastisch, während er eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank holte und den Korkenzieher ansetzte. “Zumal wir auf diese Weise endlich Gelegenheit haben, uns aus der Krise zu manövrieren, in der wir stecken.”

Hassan schien offenbar noch nicht bemerkt zu haben, dass ihre Ehe nicht in einer “Krise” steckte, sondern endgültig gescheitert war. “Solltest du damit meinen, dass ich zu dir zurückkomme, muss ich dich enttäuschen”, teilte sie ihm unmissverständlich mit. “Nichts ist ausgeschlossener als das.”

Um sich nicht anhören zu müssen, dass ihr eine solche Entscheidung als Frau nicht zustand, wandte sie sich um und tat, als interessierte sie die Zukunft ihrer Ehe weitaus weniger als der Raum, in dem sie sich befand.

Bislang hatten Hassans Anschuldigungen all ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, und so war sie davon ausgegangen, dass sie sich im Salon der Yacht befanden.

Doch als sie das riesige Bett entdeckte, das eine Längsseite des Zimmers einnahm, wurde ihr klar, dass es sich bei dem luxuriös ausgestatteten Raum um die Eignerkabine handelte.

Am meisten jedoch empörte sie, die beiden Polstersessel sehen zu müssen, die zusammen mit einem Mahagonitischchen vor einem großen Fenster standen und aufs Haar jenen glichen, die auf ihren Wunsch hin für Hassans Arbeitszimmer im Palast angeschafft worden waren.

Auch wenn Leona ihm den Rücken zugewandt hatte, blieb Hassan nicht verborgen, dass ihr die Sessel aufgefallen waren. Sie stand reglos da, als wäre ihr der Schreck in die Glieder gefahren, und hätte sie nicht das betörende Trägerkleid getragen, hätte man sie für das Werk eines Bildhauers halten können.

Einen Moment war Hassan versucht, zu ihr zu gehen und sie in die Arme zu nehmen. Doch weil er ahnte, wie sie darauf reagieren würde, beließ er es dabei, ihr die Weißweinschorle zu bringen, die er für sie gemixt hatte.

“Du hast abgenommen”, sagte er so unvermittelt, dass Leona regelrecht erschrak.

“Ich hatte die Grippe”, erklärte sie verlegen.

“Um sich von einer Virusgrippe zu erholen, braucht der Körper nur wenige Tage”, erwiderte Hassan. “Deine Erkrankung liegt jedoch schon Wochen zurück”, fügte er hinzu, auch wenn er damit preisgab, dass er über alles informiert war, was Leona in den letzten Monaten widerfahren war.

Offensichtlich hatte sie etwas Derartiges vermutet, denn sie reagierte keineswegs überrascht. “Ich wusste gar nicht, dass du dich in medizinischen Fragen so gut auskennst”, erwiderte sie sarkastisch, weil Hassan in all den Jahren, die sie sich kannten, nie krank gewesen war.

“Als dein Ehemann brauche ich kein Arzt zu sein, um zu wissen, dass du dazu neigst, auf seelischen Kummer körperlich …”

“Ich hatte keinen Kummer, sondern war krank!”, fiel Leona ihm entrüstet ins Wort.

“Das warst du in der Tat”, erwiderte Hassan ungerührt und hielt ihr das Glas entgegen. “Krank vor Sehnsucht nach mir. Warum gibst du nicht einfach zu, wie sehr du mich vermisst hast?”

Wortlos nahm Leona ihm den kühlen Wein ab und trank einen Schluck, um der Versuchung zu widerstehen, Hassan eine passende Antwort zu geben.

Die unerschütterliche Selbstsicherheit, von der außer seiner haltlosen Unterstellung auch der erwartungsvolle Blick zeugte, mit dem er sie ansah, ließ sie jedoch unschwer erahnen, was Hassan mit der Entführung wirklich bezweckte.

Der plötzliche Stimmungswechsel seiner Frau rührte Hassan so sehr, dass er versucht war, sie augenblicklich in die Arme zu nehmen und an sich zu ziehen.

Doch um den besorgten Ehemann zu spielen, war dies wahrlich nicht der richtige Zeitpunkt. Leona würde sich die körperliche Nähe ebenso bestimmt verbitten wie in den Wochen vor jenem unglückseligen Tag, an dem sie ihn verlassen hatte.

Ein ganzes Jahr lag das nun zurück, doch schmerzlicher als die Erinnerung daran war die Gewissheit, dass sie, ohne es zu wissen, nicht vor ihrem Ehemann, sondern vor sich selbst davongelaufen war.

“Könnte es sein, dass du die Party nur erfunden hast, um mich in den Hafen zu locken?”, fragte Leona unvermittelt.

Hassan musste unwillkürlich lächeln, denn auch wenn er Leona besser als jeder andere kannte, überraschte ihn ihr Scharfsinn jedes Mal aufs Neue.

“Die Party findet in diesem Moment tatsächlich statt”, erwiderte er und fügte einschränkend hinzu: “Daran, dass dein Vater kurzfristig verhindert war, bin ich allerdings nicht ganz unschuldig.”

Seine Ehrlichkeit wurde damit belohnt, dass Leona ihn zum ersten Mal, seit sie sich die Kapuze vom Kopf gerissen hatte, direkt ansah – mit einem Blick jedoch, der ihr Befremden deutlich verriet. “Ich denke, du hast das ganze Theater nur veranstaltet, weil er heute Nacht nicht als Aufpasser zur Verfügung ge…”

“Das stimmt auch”, fiel Hassan ihr ins Wort, um nicht zugeben zu müssen, dass er seinen Schwiegervater als Helfershelfer eingespannt hatte. “Für unser unverhofftes Wiedersehen gibt es allerdings noch weitere Gründe, Liebling”, fügte er besänftigend hinzu, “aber ich möchte nicht die Zeit damit vergeuden, darüber ausgerechnet jetzt …”

“Ich muss leider darauf bestehen”, unterbrach Leona ihn. Dass er es wagte, sie “Liebling” zu nennen, wog schwer genug. Schlimmer jedoch war, dass sich offensichtlich auch ihr eigener Vater gegen sie verschworen und mit seinem Schwiegersohn verbündet hatte.

“Ein andermal”, wies Hassan ihr Ansinnen zurück. “Erst möchte ich genießen, dass du endlich wieder dort bist, wo du hingehörst – in meiner Nähe.”

“Hast du schon vergessen, dass ich nicht freiwillig hier bin?”, hielt Leona ihm wütend entgegen.

“Ehrlich gesagt, interessiert mich das nur am Rande”, gestand er mit einem Lächeln, das Leona ins Herz schnitt. “Du weißt doch, dass wir Araber romantisch veranlagt sind. Und was könnte romantischer sein als eine dramatische Liebesgeschichte, in der die beiden Hauptfiguren erst durch die Hölle gehen müssen, um am Ende wieder zueinanderzufinden?”

Als Hassan sah, dass Leona Tränen in die Augen traten, wurde ihm schlagartig bewusst, dass er zu weit gegangen war. Immerhin gelang es ihm, ihr das Glas aus der Hand zu nehmen, ehe sie es zu Boden fallen lassen konnte.

“Unsere Ehe erinnert mich eher an eine Tragödie als an eine Romanze”, sagte sie schließlich niedergeschlagen.

“Eine Tragödie ist unsere Ehe nur, weil du geradezu versessen darauf bist, eine daraus zu machen”, widersprach Hassan und stellte das Glas ab. Doch seinem Versuch, sie in die Arme zu nehmen, kam Leona zuvor, indem sie einige Schritte zurückwich.

“Und warum hasse ich dann alles, was mit dir zusammenhängt?”, fragte sie verbittert.

“Die Antwort musst du dir schon selbst geben”, erwiderte er mit unerschütterlicher Selbstsicherheit. “Ich weiß nur, dass du mich nicht hasst. Ganz im Gegenteil”, fügte er bedeutungsschwer hinzu.

Der Blick, mit dem ihr Ehemann sie ansah, hatte etwas ungeheuer Bedrohliches, doch Leona konnte nicht länger ausschließen, dass nicht Hassan ihr Angst machte, sondern die Befürchtung, er könnte die Wahrheit gesagt haben.

“Dann hätte ich dich wohl kaum verlassen”, wandte sie ein, um ihn und sich selbst an den Tag ihrer Trennung zu erinnern.

“Die vielen Briefe, die du mir seitdem geschrieben hast, beweisen, wie sehr du diesen Schritt bereust”, erwiderte er.

“Wenn du schon beim ersten Brief in die Scheidung eingewilligt hättest, hätte ich dir nicht so oft schreiben müssen”, hielt sie ihm entgegen, auch wenn sie die Tränen nicht länger zurückhalten konnte.

Hassans Widerspruch blieb ihr trotzdem nicht erspart. “Um in die Scheidung einzuwilligen, hast du mir zwischen den Zeilen viel zu deutlich zu verstehen gegeben, dass du dir etwas ganz anderes wünschst.”

“Dass ich weiterhin mit dir verheiratet sein will, kannst du meinen Briefen kaum entnommen haben.”

“Dann scheint die Suche nach einem Ausweg aus der Krise schwieriger zu werden, als ich angenommen habe”, erwiderte Hassan. “Denn ich will sehr wohl weiterhin mit dir verheiratet sein, und zwar nicht nur auf dem Papier.”

So abschreckend sein an Arroganz grenzender Stolz auch war, wusste Leona aus leidvoller Erfahrung, dass sie ihm nicht das Geringste entgegenzusetzen hatte. Schlimmer noch, lag darin ein wesentlicher Teil der Anziehungskraft, die dieser faszinierende Mann seit jeher auf sie ausgeübt hatte.

Umso wichtiger war es, dass sie sich von ihrem Verstand und nicht von ihren Gefühlen leiten ließ, denn die sagten ihr unmissverständlich, wie recht Hassan hatte. Sie liebte ihn immer noch, und wenn sie ihm gegenüber jetzt die leiseste Schwäche zeigte, wäre es um sie geschehen.

Als könnte er Gedanken lesen, streckte er in diesem Moment die Hand aus und strich Leona zärtlich die Tränen vom Gesicht. Die leise Berührung drohte sie aus der Fassung zu bringen, und instinktiv hob sie den Arm, um sich Hassan im wahrsten Sinn des Wortes vom Leib zu halten.

Doch sie erreichte genau das Gegenteil. Ehe sie sich’s versah, hatte er ihr die Arme um den Nacken gelegt und zog sie so fest an sich, dass sie sich unwillkürlich auf seiner Brust abstützte.

Selbst durch den Stoff des Umhanges, den er noch immer trug, meinte sie Hassans Kraft und Entschlossenheit zu spüren, die ihr so unendlich vertraut waren. “Lass mich los”, forderte sie atemlos und sah flehend zu ihm auf.

“Siehst du endlich ein, dass ich recht habe?” Hassans Lächeln war das eines Siegers. “Oder muss ich dich erst küssen, um dich zu überzeugen?”

“Untersteh dich!”, warnte sie ihn in der bangen Gewissheit, dass die Berührung seiner Lippen sie willenlos machen würde.

Hassan schien die Warnung in den Wind schlagen zu wollen, denn er beugte sich mit einem triumphierenden Lächeln zu Leona hinunter. Offenbar war er der Ansicht, besser als sie zu wissen, was sie sich wünschte.

Das Schlimme daran war, dass es den Tatsachen entsprach. Deshalb suchte sie händeringend nach einer Möglichkeit, ihn in letzter Sekunde von seinem Vorhaben abzubringen.

“Gibt es auf der Yacht eigentlich noch mehr solche Luxuskabinen?”, fragte sie in einem Akt der Verzweiflung. “Oder hast du vorsichtshalber zwei gekauft? Schließlich hast du auch zwei Ehefrauen.”

Augenblicklich ließ Hassan von ihr ab und sah sie entgeistert an. Entsprechend ängstlich erwartete Leona seine Reaktion. Er war für sein aufbrausendes Temperament berüchtigt, und dass sie in all den Jahren davon verschont geblieben war, schloss nicht aus, dass sein Zorn sie nun mit aller Wucht traf.

Zu ihrem Erstaunen blieb er jedoch vergleichsweise gefasst – äußerlich zumindest, denn es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass es in seinem Innern brodelte. “Solltest du damit andeuten wollen, dass ich meine Frauen ungleich behandle, muss ich dich enttäuschen”, erwiderte er mit aristokratischer Würde. “Für Männer meines Standes verbietet sich das.”

Leona hatte die Antwort provoziert und deshalb kein Recht, sich zu beschweren. Trotzdem traf sie die kaum verhohlene Wahrheit mit einer Wucht, die sie selbst nicht für möglich gehalten hatte.

“Dann hast du die andere also wirklich geheiratet?”, vergewisserte sie sich, selbst wenn ihr die Antwort in aller Schmerzlichkeit bewusst war.

Ohne Hassan Zeit und Gelegenheit zu geben, etwas zu erwidern, wandte sie sich um und lief los. Wohin, wusste sie selbst nicht, und die Tränen, die sich nicht mehr zurückhalten ließen, trübten ihren Blick. Doch ihr einziger Wunsch war, den Mann nicht mehr sehen zu müssen, der sie mehr verletzt hatte als je ein Mensch zuvor.

Leonas Fluchtversuch kam so plötzlich, dass Hassan ihn nicht verhindern konnte. Erst als sie schon die Treppe hinaufrannte, löste sich seine Erstarrung.

Noch ehe er ihr folgen konnte, zerriss ein Schrei die nächtliche Stille. Dann hörte er Rafiq, der Leona etwas zurief, dann das Geräusch eines Körpers, der hart aufschlug.

Vor kaum einer halben Stunde hatte Hassan im letzten Moment verhindern können, dass Leona über Bord fiel. Nun waren sowohl er als auch Rafiq zu spät gekommen.

Das Tragische jedoch war, dass sie nicht ins Hafenbecken gefallen, sondern über eine Leine gestolpert und kopfüber den Niedergang zum Maschinenraum hinabgestürzt war.

3. KAPITEL

Während der Schiffsarzt die Patientin untersuchte, lief Hassan unruhig in seiner privaten Kabine, in die sie Leona gebracht hatten, auf und ab.

“Gebrochen scheint nichts zu sein”, hörte er mit Erleichterung die erste Diagnose, “und Kopfverletzungen hat Ihre Frau auch nicht erlitten.”

“Und warum ist sie dann bewusstlos?” Der Tonfall war aggressiver als beabsichtigt, doch inzwischen hatte sich derartig viel Angst um Leona in ihm aufgestaut, dass sie sich ungewollt Bahn brach.

“Sie hat einen Schock erlitten”, erklärte ihm der Arzt. “In wenigen Minuten wird sie bestimmt wieder zu sich kommen.”

Was als Trost gedacht war, drohte Hassan in einen tiefen Abgrund zu stürzen, denn auch Minuten konnten zur Unendlichkeit werden, wenn man sich so schuldig fühlte, wie er es tat.

“Gibt es denn nichts, was wir tun können?”, fragte er ungeduldig.

“Kalte Kompressen wären …”

“Rafiq!”, rief Hassan, ohne den Arzt ausreden zu lassen. “Der Steward soll sofort kalte Kompressen bringen.”

Rafiq hatte schon die Tür erreicht, als ein Aufschrei ihn innehalten ließ.

“Sie hat die Augen geöffnet!”, drang eine aufgeregte Stimme an sein Ohr, und als er sich umdrehte, sah er, wie sich Hassan aufs Bett kniete und über Leona beugte.

“Was ist passiert?”, fragte sie benommen.

“Du bist gestürzt”, antwortete er. “Hast du Schmerzen?”

Statt etwas zu erwidern, schloss Leona erneut die Augen, als suchte sie in ihrer Erinnerung nach einer Erklärung dafür, dass sie sich nicht nur an Bord von Hassans Yacht befand, sondern sogar in seinem Bett.

“Hast du Schmerzen?”, wiederholte Hassan, um seine Frau davon abzuhalten, sich unnötig zu quälen. Als sie die Augen wieder öffnete und kaum merklich den Kopf schüttelte, atmete er erleichtert auf.

Die Antwort auf ihre Fragen fand Leona in Hassans Gesicht. Sie kannte ihn wahrlich gut genug, um zu wissen, dass er sich schwerste Vorhaltungen machte – und im selben Moment fiel ihr ein, dass er allen Grund dazu hatte.

“Dann hatte ich mit meiner Vermutung also recht”, sagte sie mit schwacher Stimme und kämpfte vergeblich gegen die Tränen an, die ihr in die Augen traten.

“Das hast du nicht”, widersprach Hassan energisch, doch anstatt Leona die Erklärung zu geben, auf die sie sehnlichst wartete, forderte er zunächst wortlos die beiden Zeugen auf, den Raum zu verlassen.

Als sie endlich allein waren, war Hassan versucht, Leona einfach zu küssen, um ihr zu sagen, warum er auf ihre Vorhaltungen so und nicht anders reagiert hatte. Sie waren füreinander bestimmt, und dass sie sich bekämpften, sprach ihrer Liebe Hohn.

“Warum seid ihr Frauen bloß immer so unvernünftig?”, fragte er stattdessen. “Erst verleitest du mich durch dein Misstrauen, dir die Antwort zu geben, die du hören willst, und zum Dank dafür, dass es die falsche war, machst du mich zum Sündenbock.”

“Freiwillig bin ich die Treppe jedenfalls nicht hinuntergefallen”, erwiderte Leona sarkastisch.

“Ich meinte nicht den Unfall, sondern den Gesichtsausdruck …” Als glaubte er selbst nicht an die Überzeugungskraft seiner Worte, unterbrach er sich mitten im Satz und presste die Lippen auf Leonas.

Wenn der Angriff auf ihre Sinne weniger stürmisch gewesen wäre, hätte Leona sicherlich Mittel und Wege gefunden, sich zur Wehr zu setzen. So aber war sie Hassans Leidenschaft nicht nur hilflos ausgeliefert – sie genoss sie vielmehr. Sein Kuss war wie ein Orkan, der sie erfasst hatte und dafür sorgte, dass alle Hemmungen von ihr abfielen.

Die Leidenschaft, mit der sie den Kuss erwiderte, war nur damit erklärbar, dass sie nach einem Jahr der Enthaltsamkeit wie ausgehungert war und nicht eher von ihm lassen würde, als bis er sie für die lange Leidenszeit entschädigt hatte.

Ohne sich zu besinnen, ließ sie die Hand unter den Umhang und über seine muskulöse Brust gleiten. Selbst durch das Hemd hindurch konnte sie spüren, dass sein Herz raste. In der Gewissheit, dass sich Hassan nach ihr genauso sehnte wie sie sich nach ihm, zog sie ihn auf sich, um ihm wortlos zu verstehen zu geben, wie dringend sie darauf wartete, dass er sie in Besitz nahm.

Im übertragenen Sinne war sie sein Besitz seit vielen Jahren und würde es bis ans Ende ihrer Tage bleiben. Nie würde es einen anderen Mann als Hassan in ihrem Leben geben, und selbst das Wort “Liebe” war zu schwach, um auszudrücken, was sie für ihn empfand.

So traf es sie wie ein Schock, als er sich unvermittelt zurückzog und neben das Bett stellte. Auch wenn er ihr den Rücken zugewandt hatte, konnte Leona deutlich erkennen, wie sehr er mit sich rang.

“Was ist los?”, fragte sie ängstlich und gekränkt zugleich.

“Nichts”, erwiderte Hassan barsch. “Bevor wir übereinander herfallen, sollten wir gewisse Dinge klären. Dass wir im Bett von Anfang an perfekt harmoniert haben, bedeutet leider nicht, dass es außerhalb genauso wäre.”

Seine Antwort wirkte wie eine kalte Dusche, und in gewisser Weise war Leona ihm dankbar dafür, dass er sie zur Besinnung gebracht hatte. “Ich bin ganz deiner Meinung”, sagte sie provozierend. “Deshalb sollten wir als Erstes die Frage klären, ob uns außer der Erinnerung an perfekten Sex überhaupt noch etwas verbindet.”

Hassan blieb eine Antwort schuldig – jedenfalls eine mit Worten. Doch dass er zur Bar ging, sich einen Drink eingoss und das Glas in einem Zug leerte, sprach Bände. Solange Leona ihn kannte, hatte er fast nie Alkohol getrunken, und dass er es jetzt tat, sagte ihr deutlicher als Worte, dass er nicht nur mit ihr, sondern vor allem mit sich selbst haderte.

Erst als sie sich aufsetzte, spürte sie die schmerzhaften Folgen des Sturzes. Doch die ignorierte sie ebenso wie die Tatsache, dass Hassan ihr beharrlich den Rücken zugewandt hielt.

“Ich sollte jetzt besser nach Hause gehen”, sagte sie entschieden und stieg aus dem Bett.

“Du bist zu Hause”, erwiderte Hassan, ohne sich umzudrehen. “Zumindest für die nächsten Wochen.”

Leona hatte nicht die geringste Ahnung, worauf er hinauswollte. Umso besser wusste sie, dass ihr Entschluss, ihn endgültig zu verlassen, unwiderruflich war.

“Um dich nicht zum Gespött deiner Landsleute zu machen, bin ich bereit, in einem Hotel zu übernachten, bis mein Vater aus London zurück ist”, teilte sie ihm deshalb mit. “An Bord deiner Yacht bleibe ich jedoch auf keinen Fall.”

Immerhin hatte sie erreicht, dass Hassan sich zu ihr umdrehte, doch zu ihrer Verwunderung verriet sein Gesichtsausdruck eher Belustigung als Wut oder Trauer. “Ich weiß ja, dass du eine gute Schwimmerin bist”, sagte er spöttisch, “aber ich fürchte, du traust dir zu viel zu.”

Es dauerte eine Weile, bis Leona begriff, worauf er mit seiner Bemerkung anspielte. Um sich zu vergewissern, lief sie zu dem Fenster und schlug die Vorhänge zurück.

Draußen herrschte stockfinstere Nacht, sodass Leona nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob ihr Verdacht zutraf.

“Gleich nachdem wir dich an Bord gebracht hatten, haben wir abgelegt”, raubte Hassan ihr den letzten Funken Hoffnung, dass die Yacht noch immer im Hafen von San Estéban lag.

Plötzlich meinte sie sich auch an das Motorengeräusch erinnern zu können, das ihr für Bruchteile von Sekunden aufgefallen war, ehe sie das Bewusstsein verloren hatte. Genauso wenig ließ sich länger leugnen, dass der Boden unter ihren bloßen Füßen kaum merklich schwankte.

Hassan hatte seine Drohung, sie entführen zu wollen, wahr gemacht. Daran konnte ebenso wenig Zweifel bestehen wie an der Tatsache, dass es sich dabei nicht um eine Kurzschlussreaktion handelte. Hassan gehörte zu jenen Menschen, die ihre Schritte sehr genau abwogen und von langer Hand vorbereiteten.

“Warum tust du mir das an?”, verlangte Leona mit aller Bestimmtheit eine Erklärung.

“Gewisse Umstände zwingen mich dazu”, erwiderte er ausweichend, doch auf ihren strengen Blick hin fügte er hinzu: “Mit der Gesundheit meines Vaters steht es nicht zum Besten.”

Leonas erster Gedanke war, dass Hassan ihnen viel erspart hätte, wenn er ihr das von Anfang an gesagt hätte. Scheich Khalif war schon ein kranker Mann gewesen, als sie ihn kennen- und schätzen gelernt hatte. Hassan jedoch liebte seinen Vater geradezu abgöttisch und hatte alles Erdenkliche getan, um ihm möglichst viele der Aufgaben abzunehmen, die ihm als Herrscher eines Emirats zufielen. Wenn Hassan nun davon sprach, dass es mit der Gesundheit seines Vaters nicht zum Besten stand, hieß das nichts anderes, als dass sein Zustand besorgniserregend sein musste.

“Hat er einen Rückfall erlitten?”, erkundigte sie sich besorgt. “Ich dachte, die letzte Behandlung …”

“Deine plötzliche Sorge um ihn ist wenig glaubhaft”, fiel Hassan ihr ins Wort. “Vor einem Jahr war es dir jedenfalls herzlich egal, was es für seine Gesundheit bedeutet, wenn du mich verlässt.”

Hassans Unterstellungen waren mehr als unverschämt. Schließlich wusste er genau, wie sehr Leona ihren Schwiegervater schätzte und mochte. Zwischen Scheich Khalifa und ihr hatte sich in der Zeit, die sie in seinem Palast verbracht hatte, ein geradezu freundschaftliches Verhältnis entwickelt.

“Dein Vater hat sehr genau verstanden, warum ich gezwungen war, dich zu verlassen!”, verwahrte sie sich gegen Hassans Beschuldigungen.

Sein skeptischer Blick verriet, dass er anderer Auffassung war als seine Frau. “Dann weiß er mehr als ich”, erwiderte er sarkastisch, “denn ich habe es damals so wenig verstanden wie heute. Vielleicht wäre es klüger gewesen, wenn ich dich davon abgehalten hätte – notfalls auch mit Gewalt. Dann sähe ich mich heute nicht mit dem Problem konfrontiert, dass mir gewisse Kreise die Thronfolge streitig machen. Einem Mann, dessen Autorität nicht einmal dazu reicht, seine Ehefrau zu bändigen, traut man nicht ohne Weiteres zu, ein Land zu regieren.”

“Glaubst du wirklich, du könntest Autorität beweisen, indem du mich entführst und nach Rahman verschleppst?” Leona konnte Hassan ein ungläubiges Lachen nicht ersparen.

“Wäre es dir lieber, wenn ich dir nachträglich recht geben und die Frau, vor der du davongelaufen bist, doch noch heiraten würde?”, antwortete Hassan mit einer Gegenfrage.

“Vielleicht hättest du das längst tun sollen”, sagte Leona gequält. “Sie passt eindeutig besser zu dir als ich.” Es kostete sie schier übermenschliche Überwindung, Hassan mit der Wahrheit zu konfrontieren. Doch wie er hatte auch sie selbst die Augen zu lange davor verschlossen, dass sie als Ehefrau des Thronfolgers in einem arabischen Scheichtum denkbar ungeeignet war.

“Das mag sein”, antwortete Hassan ungerührt, “nur will ich sie nicht. Ich habe genau die Frau, die ich mir immer gewünscht habe.”

“Aber nicht die, die du brauchst!”, hielt sie ihm verzweifelt entgegen.

Ihre schonungslose Offenheit strafte Hassan mit einem missachtenden Blick, der sie wie ein Schlag ins Gesicht traf. “Dein Versuch, die selbstlose Heldin zu spielen, in allen Ehren”, erwiderte er schließlich zynisch, “aber könnte es sein, dass du schlicht zu feige bist, endlich zuzugeben, dass du mich nicht mehr liebst?”

Die Frage war so absurd, dass Leona sich außerstande fühlte, sie zu beantworten. In ihrer Verzweiflung schlug sie die Hände vors Gesicht und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Doch Hassan war von seinem Irrtum nicht abzubringen. “Ich erwarte eine Antwort!”, sagte er drohend, und um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, ging er entschlossen auf Leona zu. “Du liebst mich nicht mehr, habe ich recht?”, fragte er energisch, als er unmittelbar vor ihr stand.

“Du hast recht”, erwiderte sie, ohne die Hände vom Gesicht zu nehmen.

Wutentbrannt umfasste Hassan ihre Handgelenke und zwang sie, ihn anzusehen. “Sag das noch einmal”, forderte er sie auf, “und sieh mir dabei in die Augen.”

“Bitte lass mich los”, flehte sie und senkte den Blick, um Hassan nicht zu zeigen, welche Qualen sie litt.

Doch er war so außer sich vor Wut, dass er kein Erbarmen kannte. “Wenn ich dir glauben soll, musst du mir schon ins Gesicht sagen, dass du mich nicht mehr liebst”, wiederholte er seine Forderung. “Doch du wirst es nicht wagen. Und weißt du auch, warum? Weil es eine verdammte Lüge ist!”

“Ja, ich habe gelogen”, gestand Leona endlich und sah mit dem Mut der Verzweiflung zu ihm auf. “An meiner Liebe zu dir hat sich nichts geändert. Sonst würde ich nicht auf der Scheidung bestehen. Oder glaubst du, ich würde zulassen, dass du dich meinetwegen ins Unglück stürzt?”

Kaum hatte sie die ganze bittere Wahrheit ausgesprochen, riss sie sich von Hassan los, der zu ihrer Erleichterung keinen Versuch machte, sie zurückzuhalten.

Was ihn jedoch nicht daran hinderte, sie weiterhin mit Verachtung zu strafen. “Wenn ich dich richtig verstanden habe, willst du dein eigenes Glück opfern, um meinem nicht im Weg zu stehen”, sagte er mit schneidender Schärfe. “Sosehr mir das imponiert, frage ich mich, was aus dir wird, sollte ich tatsächlich in die Scheidung einwilligen.”

“Mach dir um mich keine Sorgen”, erwiderte Leona gespielt zuversichtlich. “Ich komme schon irgendwie zurecht.”

“Indem du einen anderen heiratest? Oder reicht dir fürs Erste ein neuer Liebhaber, um dich über den Verlust hinwegzutrösten?”

Leona war längst zu betäubt, um den erneuten Schmerz zu empfinden, den Hassan ihr zufügte. “Ich habe weder an einem neuen Ehemann noch an einem neuen Liebhaber Bedarf”, erwiderte sie emotionslos.

“Nicht einmal dann, wenn ich mich entschließen sollte, die andere Frau zu heiraten und Kinder mit ihr zu zeugen?”

Fast schien es, als machte es ihm Spaß, sie zu quälen. Doch dafür war seiner Stimme zu deutlich anzuhören, wie sehr er selbst unter der Vorstellung litt, Leona für immer zu verlieren.

“Warum sagst du mir nicht endlich, was du von mir willst?”, platzte sie heraus.

“Ich will, dass du endlich begreifst, was du von mir verlangst”, erwiderte er bestimmt.

“Ich verlange gar nichts von dir”, hielt sie ihm entgegen. “Im Gegenteil. Du bist frei, zu tun und zu lassen, was du willst.”

Die unausgesprochene Erlaubnis, eine andere Frau zu heiraten und mit ihr eine Familie zu gründen, war die schlimmste Kränkung, die sie ihm hatte zufügen können, und die Reaktion kam schneller und entschiedener als erwartet.

“Ich weiß dein großzügiges Angebot zu schätzen”, kündigte er mit Worten an, was sein Blick Leona längst verraten hatte. “Um es dir zu beweisen, werde ich augenblicklich davon Gebrauch machen.”

Ehe sie sich’s versah, hatte er sie in die Arme genommen und zog sie mit einer Entschlossenheit an sich, die an seinen Absichten ebenso wenig Zweifel ließ wie der Kuss, der Bruchteile von Sekunden später folgte.

Leona war weder willens noch fähig, sich der Leidenschaft zu widersetzen, die ihr entgegenschlug. Dafür genoss sie die Berührung seiner Lippen viel zu sehr, die ein Feuer des Begehrens in ihr entfachten, das im Nu auf ihren ganzen Körper übergriff.

Entsprechend unvorbereitet traf es sie, als Hassan sich unvermittelt von ihr löste. Doch sein Blick bestärkte sie in der Gewissheit, dass ihr sehnlichster Wunsch schon bald in Erfüllung gehen und sie sich einander hingeben würden, ohne an ein Morgen zu denken. Diese Nacht gehörte ihnen, und angesichts dieses Versprechens verloren alle Probleme, vor die sie sich gestellt sahen, ihre Bedeutung.

“Du weißt hoffentlich, was du tust”, warnte sie Hassan gleichwohl. Vor allem, wenn es um sie, Leona ging, neigte er dazu, Dinge zu tun, die er später bereute.

“Zweifelst du etwa daran?”, fragte er fast beleidigt, ehe er ihr die Träger des Kleides von den Schultern strich, um ihr zu beweisen, dass er sich einer Sache selten so sicher gewesen war.

Kaum war das Kleid zu Boden gefallen, ließ er die Hände über ihren Körper gleiten, der nur noch von einem trägerlosen BH, einem winzigen Stringslip und Spitzenstrümpfen bedeckt war.

Hassan kannte ihren Körper fast besser als Leona selbst und fand mit untrüglicher Sicherheit jene Stellen, deren bloße Berührung sie umgehend willenlos machte.

Um ihm zu zeigen, wie sehr sie sich nach ihm sehnte, legte sie ihm die Hände um den Nacken und strich ihm zärtlich durchs Haar. Hassan verstand sie instinktiv richtig. Mit einer gekonnten Bewegung öffnete er den BH und ließ die Hände hinabgleiten, um ihnen erst dann Einhalt zu gebieten, als sie sich unter den winzigen Slip gedrängt und das Zentrum ihres Begehrens erreicht hatten.

Unter der lustvollen Qual stöhnte Leona unwillkürlich auf, so sehr genoss sie die intime Berührung, auf die sie so lange hatte verzichten müssen.

Trotzdem überfiel sie die leise Angst, sich auf etwas eingelassen zu haben, dessen Folgen nicht absehbar waren. Denn auch wenn ihre gegenseitige Liebe über jeden Zweifel erhaben war, hatte sie das nicht davor bewahren können, an den Widrigkeiten des Alltags zu scheitern.

Hassan schien ihre plötzliche Wehmut nicht entgangen zu sein, denn er beugte sich über sie und küsste sie mit einer Dringlichkeit, die jeden anderen Gedanken augenblicklich vertrieb.

Als er sich sicher sein konnte, dass Leona vor Sehnsucht nach ihm förmlich verging, hob er sie hoch und legte sie aufs Bett, um ihr den Slip auszuziehen.

Seinen Versuch, dasselbe mit den Strümpfen zu machen, unterband sie jedoch. Das übernahm sie selbst, um es als aufreizenden Auftakt dessen zu inszenieren, was vor ihnen lag.

Der Erfolg gab ihr recht, denn kaum hatte sie die erotische Vorstellung beendet, begann Hassan, sich die Kleidung vom Leib zu reißen.

So vertraut Leona der Anblick dieses athletischen und unvergleichlich gut gebauten Mannes war, so unfasslich schien es ihr jedes Mal aufs Neue, dass ausgerechnet sie das Glück hatte, ihn lieben und von ihm geliebt werden zu dürfen.

Endlich legte er auch die Boxershorts und damit das letzte Kleidungsstück ab, das seinen Körper bedeckte. Seine Erregung konnte er ebenso wenig verbergen wie Leona die unbändige Vorfreude, mit der sie ihn erwartete.

Als wüsste er genau um ihre intimsten Gedanken, beugte er sich über sie und forderte sie wortlos auf, die Beine zu öffnen, um sie mit der Berührung seines Mundes wissen zu lassen, dass er willens und fähig war, sie glücklich zu machen.

Leona wusste, dass er sein Versprechen erfüllen würde. Hassan war ihr Liebhaber aus Tausendundeiner Nacht, der ihr vor vielen Jahren in einem hoffnungslos überfüllten Raum zum ersten Mal aufgefallen war. Seit jenem Tag hatte sie nicht einmal mehr das Bedürfnis, einen anderen Mann auch nur anzusehen.

Endlich legte sich Hassan auf sie und presste die Lippen auf ihre, um sie zu ermuntern, sie ebenso zu verwöhnen wie er sie. Beide wussten genau, was der andere sich wünschte und ersehnte, und keiner von ihnen hatte im vergangenen Jahr irgendetwas vergessen. So trieben sie sich gegenseitig in immer schwindelerregendere Höhen der Lust, bis sie schließlich zur Qual zu werden drohte.

Da erst hatte Hassan ein Einsehen und drang so kraftvoll in sie ein, dass sie unwillkürlich aufstöhnte.

“Fehlt dir was?”, erkundigte er sich besorgt.

“Jetzt nicht mehr”, erwiderte sie mit einem befreiten Lächeln, das ihr ganzes Glück verriet.

Hassan dankte es ihr, indem er sie mit einer Leidenschaft liebte, die ihr den Atem zu rauben drohte. Jedes Mal, wenn er sich kurz zurückzog, um sich gleich darauf mit stetig wachsender Entschlossenheit an sie zu pressen, glaubte Leona, dem Himmel ein Stück näher zu kommen. Trotzdem nagte die leise Angst an ihr, dass all die Zärtlichkeit einen faden Beigeschmack behielt, solange sich zwar ihre Körper, jedoch nicht ihre Seelen vereinigten.

Doch um diesem Gedanken nachzuhängen, hielt sie das Begehren längst zu sehr in Bann, das Hassan auf unvergleichliche Weise zu entfachen verstand. Er selbst war jedoch nicht weniger ausgehungert als Leona, und so war es ihnen vergönnt, den Gipfel der Lust gleichzeitig zu erreichen. Atemlos umklammerten sie einander, um sich schließlich wie benommen in die Kissen fallen zu lassen.

Der hemmungslosen gegenseitigen Hingabe folgte eine Stille, die geradezu bedrückend war. Keiner der beiden sprach ein Wort, und selbst die kleinste Bewegung schienen sie vermeiden zu wollen, als fürchteten sie den Moment, in dem der Alltag sie einholte.

Mit erschreckender Gewissheit sah sich Leona in der Angst bestätigt, dass auch der vollkommenste Sex keine Brücke über den Abgrund schlagen konnte, der sich zwischen ihnen auftat. Und etwas anderes, was das bewerkstelligen könnte, war nirgends in Sicht.

Hassan schien ihr das bestätigen zu wollen, denn er löste sich von ihr und verließ das Bett, ohne sie auch nur anzusehen. Vor der Tür zum Bad blieb er stehen, als wüsste er, wie sehr Leona auf ein einziges liebevolles Wort von ihm hoffte. Doch er ließ die Gelegenheit ungenutzt verstreichen.

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, hatte Leona keinen Grund mehr, die Tränen länger zurückzuhalten. Wie oft hatte sie diese Situation schon durchlitten, und wie oft hatte sie sich gewünscht, es könnte ein Wunder geschehen. Doch das war noch jedes Mal ausgeblieben, und dass sie Hassan verlassen hatte, lag nicht zuletzt daran, dass der Schmerz darüber irgendwann unerträglich geworden war.

Diese Nacht unterschied sich von anderen lediglich darin, dass es Leona für einen Moment gelungen war zu vergessen, wie vergeblich die Hoffnung auf ein Wunder war. Umso schmerzlicher war die Brutalität, mit der Hassan sie daran erinnert hatte.

Hassan stand unter der Dusche und schimpfte laut vor sich hin.

Nur wenigen Dingen sah er sich derartig ohnmächtig gegenüber wie dem bedrückenden Schweigen, das mit erschreckender Regelmäßigkeit einsetzte, nachdem er mit Leona geschlafen hatte.

Doch sosehr er sich auch bemüht hatte, war es ihm nie gelungen, die richtigen Worte zu finden. So blieb es ihm zwangsläufig auch nicht erspart, Leonas unendlich traurigen Gesichtsausdruck ertragen zu müssen, der sich selbst dann einstellte, wenn ihr Sex besonders leidenschaftlich und hingebungsvoll gewesen war.

Dieses Mal hatte er sich ins Bad zurückgezogen. Doch irgendwann musste er zurück in seine Kabine, und spätestens dann war er mit seiner eigenen wie mit Leonas Unfähigkeit konfrontiert, mit der Situation umzugehen.

Um den Moment so weit wie möglich hinauszuschieben, stützte er sich an der Wand der Dusche ab und ließ sich das heiße Wasser über den Kopf laufen. Wie Leona auf das erneute Desaster reagieren würde, war ihm in aller Schmerzlichkeit bewusst. Sie würde ihn bei der nächsten Gelegenheit verlassen, und dieses Mal wäre es für immer.

Selbst die Krankheit seines Vaters könnte diesen Tag bestenfalls hinauszögern. Der Scheich hatte seine Schwiegertochter vom ersten Tag an ins Herz geschlossen, und häufig hatte Leona ganze Nachmittage bei ihm verbracht, um sich mit ihm zu unterhalten oder ihm aus einem Buch vorzulesen, wenn seine Krankheit ihn ans Bett fesselte.

Als sie sich entschlossen hatte, Hassan zu verlassen, hatte der alte Narr ihr sogar seinen Segen gegeben, obwohl er wusste, wie sehr er sie vermissen würde. Und bevor Hassan sich vor wenigen Tagen von ihm verabschiedet hatte, hatte sein Vater ihm gesagt, dass Leona damals so habe handeln müssen, um sich selbst treu zu bleiben.

Womit das Problem jedoch nicht aus der Welt war, sondern vielmehr erst begann. Denn im Grunde wollte Hassan das Gleiche wie Leona, nur dass er etwas anderes darunter verstand – etwas anderes jedenfalls, als seine Pflicht als Sohn und Thronfolger zu erfüllen.

Pflicht! Wie sehr er dieses Wort hasste. Es klang zu sehr nach Opfer, die man der Familie oder, wie in seinem Fall, einem ganzen Land bringen musste. Doch nichts interessierte ihn weniger, als mit einer Frau, die er nicht nur nicht liebte, sondern geradezu verabscheute, einen Sohn zu zeugen, der ihn eines Tages auf dem Thron ablösen könnte – erst recht, wenn das bedeutete, dass er ohne Leona leben musste. Ehe er sich damit abfand, würde er sich lieber einen Dolch ins Herz stoßen!

Als Hassan nach einer kleinen Ewigkeit aus dem Bad kam, konnte er Leona zunächst nirgends entdecken. Schließlich sah er, dass sie sich in einen der Sessel vor dem Fenster gesetzt hatte. Sei hatte die Vorhänge zurückgezogen und blickte nachdenklich hinaus in die Nacht. Gegen die Kühle wie gegen seine Blicke hatte sie sich geschützt, indem sie sich in ein Bettlaken gehüllt hatte, das ihr rotblondes Haar förmlich zum Leuchten brachte.

“Ich will endlich wissen, wie es Ethan geht”, forderte sie wie aus heiterem Himmel und ohne Hassan anzusehen.

Doch der Klang ihrer Stimme ließ ihn das ganze Ausmaß ihrer Trauer und Verzweiflung erahnen. Dass sie miteinander geschlafen hatten, machte sie sich ebenso zum Vorwurf wie ihm, und die Frage nach Ethan war ihre Art, sich an Hassan zu rächen.

“Wie du willst”, fügte er sich widerwillig und rief über das Bordtelefon Rafiq an.

“Bis auf einige blaue Flecken geht es ihm gut”, berichtete er Leona, nachdem er wieder aufgelegt hatte, und setzte sich in den zweiten Sessel. “Den Kinnhaken, den ihm einer meiner Männer im Gerangel verpasst hat, hat er erstaunlich gut weggesteckt.”

“Dann war er also nicht in deinen Plan eingeweiht?”, erkundigte sie sich und bemerkte erst jetzt, dass Hassan sich lediglich einen schwarzen seidenen Morgenmantel übergezogen hatte.

“Ganz so hinterhältig, wie du meinst, bin ich auch wieder nicht”, erwiderte er gespielt beleidigt in der Hoffnung, Leona damit ein wenig aufheitern zu können.

Er erreichte jedoch das genaue Gegenteil. Sie winkelte die Beine an und legte den Kopf auf die Knie, ehe sie Hassan aus verweinten Augen ansah. “Mach dich nicht besser, als du bist”, sagte sie unversöhnlich. “Schließlich bist du nicht einmal davor zurückgeschreckt, meinen eigenen Vater gegen mich aufzuhetzen.”

“Das war zum Glück nicht nötig”, widersprach Hassan. “Als er hörte, was ich vorhatte, hat er mir jede erdenkliche Hilfe zugesichert. Ehrlich gesagt hatte ich nicht den Eindruck, dass er den wahren Grund für unsere Trennung kennt.”

Leona blieb eine Erwiderung schuldig, doch ihrem Gesicht war deutlich anzusehen, für wie abwegig sie den Gedanken hielt, sich irgendjemandem anzuvertrauen.

“Du hast ihm nie gesagt, warum du mich verlassen hast, oder?”, erkundigte sich Hassan gleichwohl.

Leona hob den Kopf und sah wieder nachdenklich zum Fenster hinaus, auch wenn es viel zu dunkel war, um etwas zu erkennen. Doch Hassan meinte zu wissen, was sie vor ihrem inneren Auge sah.

“Niemand prahlt gern damit, dass er ein Versager ist”, bestätigte Leona schließlich seine Vermutung. “Nicht einmal gegenüber dem eigenen Vater.”

“So etwas darfst du nicht einmal denken”, wandte er bestürzt ein. “Du bist keine …”

“Wie nennst du denn eine Frau, die keine Kinder bekommen kann?”, fiel sie ihm verbittert ins Wort.

“Du weißt genau, dass das nicht stimmt”, widersprach Hassan energisch und stand auf. “Die Ärzte haben dir doch bestätigt, dass ein gesunder Eierstock …”

“Ein gesunder vielleicht”, unterbrach sie ihn erneut und sprang aus dem Sessel.

Nie zuvor hatte Hassan seine Frau so blass gesehen, und einen Moment war er versucht, zu ihr zu gehen und sie in die Arme zu nehmen. Doch er wusste, dass er sich damit einen Bärendienst erweisen würde, und ließ es bleiben.

“Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass wir eines Tages Kinder bekommen”, sagte er aus tiefster Überzeugung.

“Hör endlich auf, dir etwas vorzumachen!”, platzte Leona heraus. “Wir haben es wahrlich oft genug versucht, um zu wissen, das nichts ausgeschlossener ist.”

Ihr Blick verriet deutlich, wie sehr Hassan sie verletzt hatte, und auch wenn das nicht seine Absicht gewesen war, konnte er nicht ausschließen, dass er die Kränkung unterbewusst zumindest billigend in Kauf genommen hatte.

Das Jahr ohne sie war die reinste Hölle gewesen, doch zumindest das letzte Jahr mit ihr kaum weniger schlimm. Ihre Ehe war zu einer nicht enden wollenden Abfolge von Enttäuschungen und Ängsten geworden, bis Leona es irgendwann nicht mehr ausgehalten und ihn verlassen hatte.

Doch wenn jemand ein Versager war, dann Hassan. Schließlich war es ihm nicht gelungen, Leona davon zu überzeugen, dass er sie selbst dann aus ganzem Herzen liebte, wenn sie die Pflicht, die ihr als Ehefrau eines arabischen Prinzen vermeintlich zukam, nicht erfüllte.

“Es gibt andere Methoden, ein Kind zu zeugen”, wandte er in der Hoffnung ein, Leona damit trösten zu können.

Zwar war es kaum möglich, aber er meinte, dass sie noch blasser wurde, ehe sie sarkastisch fragte: “Denkst du etwa an ein Reagenzglas? Das kann nicht dein Ernst sein”, fuhr sie fort, ohne eine Antwort abzuwarten. “Damit würdest du nur erreichen, dass sich auch die letzten deiner Landsleute empört von dir abwenden.”

So gern Hassan ihr widersprochen hätte, so schmerzlich musste er einsehen, dass sie mit ihrem Einwand recht hatte. Leona wusste sehr genau, wie kompliziert die Machtverhältnisse in Rahman waren. Neben dem Scheich gab es eine Reihe von Stammesfürsten, die kaum weniger Macht hatten. Gegen deren Willen etwas durchsetzen zu wollen war ein gewagtes Unterfangen, und da sie wie vor Hunderten von Jahren lebten, hielten sie alle Errungenschaften der Moderne für ein Werk des Teufels.

Schon mit seinem Entschluss, eine Europäerin zu heiraten, hatte Hassan beinahe einen Staatsstreich riskiert, und die Nachricht, dass er ein Kind im Reagenzglas zeugte, anstatt einfach eine andere Frau zu heiraten, würde die Grenzen des Zumutbaren endgültig überschreiten. Die Folgen wären jedenfalls nicht absehbar.

An seinem Gesichtsausdruck schien Leona bemerkt zu haben, dass Hassan zu derselben Überzeugung gelangt war wie sie.

“Ich verstehe immer weniger, warum du dir die Mühe gemacht hast, mich zurückzuholen”, sagte sie bitter. “Warum tust du nicht endlich, was man von dir erwartet, und heiratest eine Frau, die um ihre Pflichten nicht nur weiß, sondern auch in der Lage ist, ihnen nachzukommen?”

Ohne Hassan die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, drehte sie sich um und ging ins Bad, um genau das zu tun, was er vor wenigen Minuten gemacht hatte – sich einzuschließen und mit ihren quälenden Gedanken allein zu sein.

4. KAPITEL

Eine kleine Ewigkeit war verstrichen und Leona noch immer nicht aus dem Bad zurück. Hassan lief unruhig in seiner Kabine auf und ab und machte sich schwerste Vorhaltungen. Zu Leonas Entführung hatte er sich in dem festen Glauben entschlossen, ihr damit im Grunde einen Gefallen zu tun, weil er ihr ersparte, über ihren eigenen Schatten springen zu müssen.

Offensichtlich hatte er aber hoffnungslos unterschätzt, wie tief mit den Gefühlen für ihn auch die Kränkungen und Verletzungen waren, die sie erlitten hatte. Und so hatten sich seine guten Absichten schon nach wenigen Stunden in ihr Gegenteil verkehrt.

Denn anstatt Leona das Gefühl der Sicherheit zu geben, hatte er sie förmlich dazu gezwungen, sich in Lebensgefahr zu bringen, nur um vor ihm zu fliehen. Und dass ihre Ehe keinerlei Zukunft hatte, hatte spätestens ihre Reaktion auf seinen unüberlegten Vorschlag bewiesen.

Der Gedanke, ein Kind auf anderem Weg als dem natürlichen zu zeugen, war ebenso absurd wie der, eine andere Frau zur Mutter seines Sohnes zu machen. Leona würde sich mit einer Rolle als Zweitfrau niemals abfinden, und er hatte nicht vor, etwas Derartiges von ihr zu verlangen.

Dennoch stand ihrem Glück ein unüberwindbares Hindernis im Weg. Leona fühlte sich verpflichtet, ihm einen Erben zu schenken, und da sie sich dazu außerstande fühlte, gab es nichts, was sie dazu bewegen konnte, seine Frau zu bleiben.

Nicht einmal mit dem Vorschlag, auf den Thronanspruch zu verzichten, könnte Hassan den gordischen Knoten durchschlagen. Ehe sich Leona darauf einließ, würde sie das Problem lösen, indem sie …

Plötzlich meinte Hassan zu wissen, warum sie nicht aus dem Bad zurückkam. Panisch vor Angst, lief er zur Tür, doch Bruchteile von Sekunden, bevor er sie aufbrechen konnte, öffnete sie sich, und Leona kam ihm entgegen. Sie hatte sich ein Badetuch umgelegt, und das feuchte Haar fiel ihr über die bloßen Schultern.

Der Anblick verzauberte Hassan so sehr, dass er alle guten Vorsätze, die er in den vergangenen Minuten gefasst hatte, augenblicklich vergaß. Ohne sich zu besinnen, nahm er Leona in die Arme und zog sie an sich, um ihr mit einem leidenschaftlichen Kuss zu verstehen zu geben, wie sehr ihn die verfahrene Situation schmerzte, in die er sie beide gebracht hatte.

“Hassan”, sagte sie leise, als er den Kopf wieder hob. “So kann es nicht weiter…”

“Bitte nicht jetzt, Leona”, unterbrach er sie. “Lass uns für eine Nacht alles vergessen, was uns daran hindert, miteinander glücklich zu sein. Wenigstens für diese eine Nacht”, wiederholte er nachdrücklich.

Ehe sie etwas erwidern konnte, wandte er sich um und ging zum Bett, um den seidenen Kimono zu holen, den er für sie bereitgelegt hatte. Erst als sie Hassan nachsah, fiel Leona auf, dass er die Zeit, die sie im Bad verbracht hatte, nicht ungenutzt gelassen hatte.

Ihr Kleid, das eben noch auf dem Fußboden gelegen hatte, hing säuberlich auf einem Bügel, und im Zentrum des Raumes befand sich nun ein Tisch, auf dem ein Abendessen für zwei Personen bereitstand. Die Beleuchtung war gedämpft worden, damit das Kerzenlicht besser zur Geltung kam, das sein warmes Licht im Raum verbreitete.

Die Absicht, die Hassan damit verfolgte, war Leona sofort klar, und der Blick, mit dem er sie ansah, als er auf sie zukam, bestätigte sie in ihrer Annahme.

Die Mühe hatte er sich nur gemacht, um der ersten Verführung eine zweite folgen zu lassen, und sein Wunsch, die Fortsetzung des Gesprächs bis zum nächsten Tag zu verschieben, bedeutete nicht, dass er die Zeit bis dahin ungenutzt verstreichen lassen wollte.

Im ersten Moment war Leona geneigt, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen. Doch als er schließlich vor ihr stand, besann sie sich eines Besseren.

“Einverstanden”, willigte sie auch in jene Teile seines Vorschlags ein, über die er sich bislang tunlichst ausgeschwiegen hatte. “Du musst mir aber versprechen, mich morgen zurück nach San Estéban zu bringen”, schränkte sie ein.

Hassans erster Impuls war, aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen und ihre Bedingung rundheraus abzulehnen. “Darüber reden wir morgen”, erwiderte er schließlich ausweichend und hielt ihr den Kimono so hin, dass sie nur das Handtuch fallen zu lassen brauchte, um hineinzugleiten.

Gespannt erwartete er, ob Leona sich mit der Antwort zufriedengeben und zum Zeichen, dass sie ihren Widerstand aufgegeben hatte, vor seinen Augen entblößen würde.

Als das Handtuch endlich zu Boden glitt und Leona die Arme in die weit geschnittenen Ärmel des Kimonos schob, war Hassan versucht, sie augenblicklich an sich zu ziehen und ihr zu zeigen, dass sein Verlangen schier unstillbar war.

Widerwillig beschränkte er sich jedoch darauf, ihr die Hände auf die Schultern zu legen und langsam zu den Hüften gleiten zu lassen, um schließlich den seidenen Gürtel um ihre Taille zu schließen.

“Ich wusste gar nicht, dass du ein richtiger Kavalier sein kannst”, bemerkte Leona provozierend.

“Ich, ehrlich gesagt, auch nicht”, erwiderte Hassan schalkhaft, “und was ich ursprünglich vorhatte, gereicht einem Kavalier eher nicht zur Ehre.”

“Und was hattest du vor?”, erkundigte sie sich gespielt ahnungslos und legte ihm die Hände um den Nacken. “Etwas in der Art?”

Ihr Kuss ließ Hassan seine Zurückhaltung fast bereuen, doch ehe er ihn richtig erwidern konnte, löste Leona sich schon wieder von ihm – nicht ohne ihn wie beiläufig dort zu berühren, wo sich die Wirkung ihrer Verführungskunst bereits deutlich abzeichnete.

Das stumme Versprechen, das sie ihm damit gab, ließ ihn dem weiteren Verlauf des Abends mit einiger Vorfreude entgegensehen, und so folgte er Leona in bester Stimmung zu dem Tisch, an dem sie mittlerweile Platz genommen hatten.

Der Schiffskoch hatte sich alle erdenkliche Mühe gegeben, und sie aßen die Delikatessen, die er auf Hassans Anweisung zubereitet hatte, mit großem Appetit. Die angeregte Unterhaltung und der köstliche Weißwein trugen das ihre dazu bei, dass Leona allmählich auch die letzten Bedenken beiseite wischte und entschlossen war, aus der bevorstehenden Nacht ein unvergessliches Erlebnis zu machen, von dem sie ihr ganzes Leben lang zehren könnte.

Nach dem Dessert schlug Hassan vor, an Deck zu gehen und einen kleinen Spaziergang zu machen.

“Das dürfte schwierig werden”, wandte Leona belustigt ein. “Schließlich befinden wir uns auf einer Yacht.”

“Schon”, erwiderte Hassan mit sichtlichem Stolz, “aber sie ist fast sechzig Meter lang und gut zehn Meter breit. Um sich die Beine zu vertreten, sollte das reichen, meinst du nicht?”

“Für ein Spielzeug ist das fast ein bisschen zu groß”, bemerkte Leona spöttisch. “Selbst für das eines Ölscheichs.”

Lachend erhoben sie sich vom Tisch und gingen an Deck. Die milde Abendluft tat unendlich gut, und obwohl beide barfuß waren und nicht mehr als ihre dünnen Gewänder trugen, stellten sie sich an die Reling, wo der Seewind deutlich zu spüren war.

Erst als Leona die Schaumkronen sah, die sich unter ihr brachen, wurde ihr klar, mit welch hoher Geschwindigkeit die majestätische Yacht durchs Wasser glitt. Unwillkürlich fragte sie sich, wie viele Meilen sie inzwischen von San Estéban trennen mochten.

Weil Hassan im selben Moment hinter sie trat und ihr die Hände um die Taille legte, verzichtete sie jedoch darauf, ihn danach zu fragen. Ein handfester Streit war das Letzte, wonach ihr der Sinn stand.

“Hat dein Luxusspielzeug eigentlich auch einen Namen?”, erkundigte sie sich stattdessen und wandte sich zu ihm um.

“Selbstverständlich”, erwiderte Hassan gespielt empört. “Du darfst drei Mal raten, welchen.”

Sein jungenhaftes Lächeln ließ sie die Antwort unschwer erahnen. “Du wirst die Yacht doch wohl nicht …?”

“Und ob!”, fiel er ihr ins Wort. “Schiffe tragen häufig Frauennamen, und ich habe mich für den Namen der Frau entschieden, die ich über alles liebe.”

“Musste es denn ausgerechnet Leona sein?”, fragte sie verlegen, auch wenn sie nicht genau zu sagen wusste, warum sie sich gegen den Gedanken sträubte, dass Hassans Yacht ihren Namen trug. So war es wohl weniger Empörung als vielmehr die unbändige Freude über seine unverhohlene Liebeserklärung, die sie befürchten ließ, im nächsten Moment in Tränen auszubrechen.

“Freust du dich denn gar nicht darüber?”, erkundigte er sich, als er ihren ratlosen Gesichtsausdruck sah.

“Schon, aber …”

Hassan unterband ihren Einwand, indem er den Mund auf ihren presste und sie mit einer Leidenschaft an sich zog, die sie augenblicklich alles um sich her vergessen ließ. Ohne sich zu besinnen, legte sie ihm die Hände um den Nacken und ließ die Zunge zwischen seine Lippen gleiten, um ihm unmissverständlich klarzumachen, wie sehr sie sich nach seiner Nähe sehnte.

Seine Reaktion kam schneller, als sie zu hoffen gewagt hatte. Mit untrüglicher Sicherheit ließ er die Hand unter den Kimono und auf ihren Po gleiten, um ihn so dicht wie möglich an seine Körpermitte zu ziehen und sie die Lust spüren zu lassen, die ihn erfasst hatte.

Leonas Begehren war nicht weniger dringend. Deshalb war sie versucht, den lästigen Stoff an Ort und Stelle abzustreifen, um Hassan so nah wie irgend möglich zu sein. Dass sie dort, wo sie standen, den Blicken zufälliger Beobachter schutzlos ausgeliefert waren, war ihr in diesem Moment völlig gleichgültig.

“Wir sollten vielleicht lieber unter Deck gehen”, sagte Hassan, als hätte er ihre Gedanken erraten.

“Muss das sein?”, fragte sie benommen, als er sich von ihr löste. Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm sie seine Hand und zog ihn förmlich zu dem Niedergang, der zu seiner Kabine führte.

Hassan lachte kurz auf, doch dann konnte es ihm selbst nicht schnell genug gehen. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, tat er es Leona gleich, die sich den Kimono bereits ausgezogen und voller Erwartung aufs Bett gelegt hatte.

Bruchteile von Sekunden später war er bei ihr, um sie für alles, was er ihr angetan hatte, mit unendlicher Leidenschaft und Zärtlichkeit zu entschädigen.

Leona empfing ihn mit brennendem Verlangen, und so liebten sie sich mit einer Hingabe, die alles überstieg, was sie je zuvor erlebt hatten. Sie waren ebenso ausgehungert wie unersättlich, und die Raffinesse, mit der sie sich verwöhnten, wurde nur noch von der Erfüllung übertroffen, die sie beide empfanden.

Nicht einmal jene quälende Stille mussten sie erleben, die so oft selbst nach der intensivsten Vereinigung den faden Beigeschmack der Einsamkeit hinterlassen hatte.

In dieser Nacht blieb ihnen dieses Erlebnis erspart, weil ihre Leidenschaft so grenzenlos war, dass sie das Begehren bald wieder im anderen entfachten.

Als ihnen vor Erschöpfung schließlich die Augen zufielen, mochten sie immer nicht voneinander lassen, sondern klammerten sich wie zwei Ertrinkende aneinander, sodass selbst der Schlaf ein endloser Austausch von Zärtlichkeiten war.

Leona wurde vom milden Licht der Morgensonne geweckt, das in die Kabine fiel. Doch um es zu genießen, blieb ihr keine Zeit, weil sie im selben Moment bemerkte, dass Hassan nicht neben ihr lag.

Die Wirklichkeit schien sie schneller eingeholt zu haben, als ihr lieb sein konnte, und mit der Nacht war auch der Traum zerstoben, dass das Wunder, das sie in Hassans Armen hatte erleben dürfen, den Tagesanbruch überdauern könnte.

Wie aufs Stichwort öffnete sich in diesem Moment die Tür zum Bad. Hassan hatte sich lediglich ein Handtuch um die Hüfte geschlungen, und weil er nicht bemerkt hatte, dass Leona aufgewacht war, konnte sie heimlich beobachten, wie er zu einem Kleiderschrank ging. Der war kaum sichtbar in die Vertäfelung eingelassen und hatte einen Spiegel, vor dem er nun stand.

Wie oft hatte sie ihn so gesehen! Der Faszination, die dieser Mann ausstrahlte, tat das jedoch nicht den geringsten Abbruch. Obwohl er gertenschlank war, wirkte er ungeheuer athletisch, und das Spiel der Muskeln war ebenso geschmeidig wie kraftvoll.

Nachdem er den Schrank geöffnet hatte, ließ er das Handtuch fallen. Einen Moment sah sie ihn in seiner ganzen Männlichkeit, bis schließlich die Boxershorts wesentliche Teile verhüllten.

Darüber zog er eine legere Jeans, ehe er ein weißes Leinenhemd aus dem Schrank nahm. Als er es über seiner muskulösen Brust zugeknöpft hatte, seufzte Leona unwillkürlich auf.

“Hast du mich etwa beobachtet?” Hassan drehte sich überrascht um, sodass Leona endlich auch sein Gesicht sehen konnte.

“Allerdings”, gestand sie rundheraus, “und ich habe es sehr genossen.” Das Letzte sagte sie in der bangen Gewissheit, dass es zwar der Wahrheit entsprach, am Lauf der Dinge jedoch nichts ändern würde.

Als Hassan daraufhin langsam aufs Bett zukam, keimte in ihr die Hoffnung auf, das Unabwendbare könnte sich, wenn nicht verhindern, so doch aufschieben lassen.

“Das Kompliment kann ich dir nur zurückgeben”, sagte er, als er am Fußende des Bettes stand. Wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, kniete er sich auf die Matratze und beugte sich vor, um Leona zu küssen.

Er duftete ebenso gut, wie er aussah, und um ihn wissen zu lassen, wie begehrenswert er war, strich Leona ihm über das frisch rasierte Kinn.

“Komm wieder ins Bett”, forderte sie ihn unverhohlen auf, als die erhoffte Reaktion ausblieb.

“Lieber nicht”, erwiderte er und zog sich wieder zurück. “Du kennst doch sicherlich die Redensart, nach der man des Guten auch zu viel tun kann.”

Leona musste einsehen, dass Hassan bereits zum Alltag übergegangen war. “Dann solltest du dich beeilen”, sagte sie. “Das Frühstück wird in einer Viertelstunde auf dem Sonnendeck serviert.”

Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete er einen weiteren Kleiderschrank, in dem Dutzende von Kleidern hingen, die schöner als alles waren, was Leona je gesehen hatte. Doch Begeisterung darüber wollte beim besten Willen nicht aufkommen. Für wen sollte sie sich schön machen, wenn der Mann, den sie über alles liebte, längst wieder jene aristokratische Selbstbeherrschung ausstrahlte, derentwegen sie sich vor einem Jahr schweren Herzens von ihm getrennt hatte.

“Vergiss unsere Abmachung nicht”, sagte sie mit einer Gefasstheit, über die sie selbst erschrak. “Du hast mir versprochen, mich nach Hause zu bringen.”

Hassan hatte inzwischen die Kabinentür erreicht und die Hand bereits auf die Klinke gelegt. Ohne sich umzudrehen, hielt er in der Bewegung inne.

“Du bist zu Hause, Leona”, sagte er schließlich und verließ den Raum, ehe sie etwas erwidern konnte.

Während Leona unter der Dusche stand, suchte Hassan Ethan in dessen Kabine auf. Bis auf einige blaue Flecken schien er keine Blessuren davongetragen zu haben, sodass vor allem seine Wut an den Vorfall vom Vortag erinnerte.

“Was haben Sie sich bloß dabei gedacht?”, fragte er empört.

Dieselbe Frage hatte sich Hassan bereits mehrfach gestellt, ohne eine befriedigende Antwort zu finden. “Ich bitte um Entschuldigung für meine Männer”, erwiderte er ausweichend. “Ich fürchte, sie sind ein wenig zu weit gegangen.”

“Das können Sie laut sagen”, bestätigte Ethan und strich sich unwillkürlich über das schmerzende Kinn. “Der Kinnhaken hat mich für eine Weile außer Gefecht gesetzt, und als ich wieder zu mir kam, befand ich mich auf dieser Yacht. Von Leona fehlte allerdings jede Spur. Was haben Sie mit ihr gemacht?”

“Sei war bei mir, falls Sie das beruhigt.”

“Ganz und gar nicht”, erwiderte Ethan bestimmt. “Dafür weiß ich zu gut, was Sie ihr angetan haben.”

Es kostete Hassan alle Mühe, den Vorwurf unwidersprochen zu lassen. Doch angesichts des Zeitdrucks, unter dem er stand, blieb ihm keine andere Wahl. Wenn sein Plan aufgehen sollte, war er auf Ethans Hilfe angewiesen, und sich mit ihm auf eine langwierige Diskussion einzulassen bedeutete, Leona unnötig in Gefahr zu bringen.

Zu seiner großen Erleichterung zeigte sich Ethan einsichtiger, als er zu hoffen gewagt hatte, und willigte nach kurzem Zögern ein, von Bord zu gehen, ohne Leona vorher gesehen zu haben.

“Weiß sie von dem Komplott?”, wollte er jedoch wissen.

“Noch nicht”, gestand Hassan. “Nach Möglichkeit soll sie auch nie etwas davon erfahren.”

“Und wie wollen Sie ihr erklären, dass ich mich ohne sie an Land habe bringen lassen?”

“Das weiß ich, ehrlich gesagt, auch noch nicht”, gab Hassan schweren Herzens zu.

Zum selben Zeitpunkt zog sich Leona das Jackett eines weißen Hosenanzugs über das lindgrüne Trägertop. Das Haar hatte sie mit einem Seidentuch zu einem Pferdeschwanz gebunden, und an den Füßen trug sie bequeme Sandaletten, die sie ebenfalls in dem reich bestückten Schrank gefunden hatte.

Nachdem sie sich mit einem Blick in den Spiegel davon vergewissert hatte, dass sie für die unvermeidliche Auseinandersetzung mit Hassan gerüstet war, verließ sie die Kabine und ging an Deck. Dort erwartete sie ein bärtiger Mann in der traditionellen arabischen Kleidung, bestehend aus einem langen, fließenden Kaftan und einem schneeweißen Turban.

“Faysal!”, rief Leona erfreut, als sie den Mann erkannte, der offenbar beauftragt worden war, sie abzuholen und zu ihrem Ehemann zu bringen. “Wie geht es dir?”

“Sehr gut, Prinzessin”, erwiderte er höflich, wenngleich ihn die fast freundschaftliche Begrüßung sichtlich verlegen machte.

“Deiner Frau hoffentlich auch”, erkundigte sich Leona gleichwohl.

“Dank Ihrer Hilfe geht es ihr wieder ausgezeichnet”, bestätigte Faysal. “Wenn Sie nicht darauf bestanden hätten, dass die besten Ärzte sie behandeln …”

“Ich habe nicht mehr als meine Pflicht getan”, wies Leona das Kompliment zurück, ehe Faysal es ausgesprochen hatte.

“O nein”, widersprach er bestimmt. “Sie haben ihr das Leben gerettet.”

Um Faysal nicht zu kränken, verzichtete Leona darauf, ihm erneut zu widersprechen. Stattdessen ließ sie sich von ihm über die riesige Yacht bis zu einer Treppe führen, an deren Fuß er sich mit einer Verbeugung verabschiedete.

Als Leona die letzte Stufe zum Sonnendeck genommen hatte und an die Reling getreten war, bot sich ihr ein atemberaubender Ausblick auf das türkisfarbene Mittelmeer, über dem sich ein wolkenlos blauer Himmel erhob. Trotz der frühen Stunde hatte die Sonne bereits so viel Kraft, dass Leona die Hand über die Augen legen musste, um nicht geblendet zu werden.

“Komm lieber in den Schatten”, forderte eine ihr vertraute Stimme sie unvermittelt auf, “sonst holst du dir noch einen Sonnenbrand.”

Erst jetzt entdeckte Leona das Sonnensegel, unter dem Hassan an einer reich gedeckten Frühstückstafel saß und seine Frau mit sichtlicher Genugtuung beobachtete.

Leona ignorierte seinen ebenso anzüglichen wie anziehenden Blick nach Kräften, und so heiß es in der sengenden Sonne auch war, dachte sie gar nicht daran, Hassans Aufforderung nachzukommen.

Was sie ihm zu sagen hatte, würde das Lächeln auf seinem Gesicht augenblicklich gefrieren lassen, und je weiter sie von ihm entfernt war, desto besser war sie vor einem möglichen Wutausbruch geschützt.

“Ehrlich gesagt, hatte ich erwartet, Ethan hier anzutreffen”, sprach sie ohne Vorwarnung das Thema an, das Hassans Zorn am meisten erregen musste. “Da das nicht der Fall ist, werde ich nach ihm suchen.”

Kaum hatte sie es ausgesprochen, heulte das Geräusch eines startenden Motors auf. Leona konnte gerade noch erkennen, wie ein Beiboot die Leinen loswarf, ehe es sich in rasender Fahrt von der Yacht entfernte.

Ihr entsetzter Gesichtsausdruck machte Hassan unmissverständlich klar, dass sie den Passagier erkannt hatte. Langsam stand er auf und ging zu ihr. Doch als er ihr den Arm um die Schultern legen wollte, erwachte sie aus ihrer Erstarrung und sah ihn aus funkelnden Augen an.

Im selben Moment hatte Ethan die beiden entdeckt und winkte ihnen zu. “Willst du seinem Beispiel nicht folgen?”, fragte Hassan seine Frau. “Der Abschied fällt ihm sicherlich leichter, wenn er weiß, dass es dir gut geht.”

“Davon kann keine Rede sein”, erwiderte Leona verbittert, ehe sie dem Boot hinterhersah, bis es nur noch ein winziger Punkt am Horizont war. Doch selbst dann konnte sie sich nicht losreißen. Es schien, als suchte sie nach Anzeichen für festes Land, auf das sie sich retten könnte.

Doch die Aussicht, es zu finden, war ebenso gering wie die, dass Hassan sie freiwillig gehen lassen würde. “Ich hielt es für das Beste so”, bestätigte er ungefragt. “Ein Problem ist damit jedenfalls aus der Welt.”

5. KAPITEL

“Irgendwann müssen wir einen Hafen anlaufen”, erwiderte Leona unversöhnlich, “und was ich dann mache, muss ich dir wohl kaum erklären.”

Ohne Hassans Antwort abzuwarten, wandte sie sich um und lief die Treppe aufs Hauptdeck hinab. Ihr einziger Wunsch war, die Kabine zu erreichen und die Tür hinter sich abzuschließen, ehe Hassan auf denselben Gedanken kam.

Doch bereits nach wenigen Schritten war ihre Flucht beendet, weil ihr ein Hüne von Mann den Weg abschnitt.

“Wen haben wir denn da?”, fragte sie den großen, bärtigen Araber höhnisch. “Ich wusste gar nicht, dass du inzwischen die Befehle des Prinzen ausführst, bevor er sie ausgesprochen hat.”

Rafiq war viel zu stolz, um auch nur eine Miene zu verziehen. “Es ist reiner Zufall, dass wir uns hier begegnen”, erwiderte er beherrscht. “Ich bin nur gekommen, um Hassan etwas auszurichten.”

“Dann war es sicherlich auch nur Zufall, dass du mir gestern die Kapuze über den Kopf gezogen hast.” In ihrer Wut ließ sich Leona zu dieser Bemerkung hinreißen, obwohl sie sehr genau wusste, wie kompliziert das Verhältnis zwischen den beiden Männern war, die sich nicht nur äußerlich zum Verwechseln ähnlich waren.

Rafiqs Mutter, eine junge Französin, war viele Jahre Scheich Khalifas Geliebte gewesen und bei der Geburt ihres ersten Sohnes verstorben. Obwohl er nicht dazu verpflichtet gewesen war, hatte der Scheich den Jungen genauso behandelt wie Hassan, der nur ein halbes Jahr älter war.

Doch obwohl beide den Namen Al-Qadim trugen, dieselben Schulen und Universitäten besucht hatten und für die Aufgaben eines künftigen Regenten gleichermaßen gut vorbereitet waren, stand Hassan als Erstgeborenem, vor allem aber als einzigem ehelichen Sohn der Anspruch auf die Thronfolge zu.

Zur Verwunderung aller hatte Rafiq die Rolle als Untergebener widerspruchslos akzeptiert und sich im Lauf der Jahre als treuer Diener seines Bruders und Herrn erwiesen. Dass er zu Höherem geboren war, zeigte sich umso deutlicher, sobald jemand anderes als Hassan meinte, ihn herumkommandieren zu dürfen, oder es wagte, Zweifel an seiner Loyalität zu äußern.

Genau das hatte Leona mit ihrer Bemerkung gemacht, und dass ihr die unvermeidliche Strafe erspart blieb, war lediglich der Tatsache zu verdanken, dass Rafiq ihr ähnlich viel Respekt entgegenbrachte wie ihrem Mann.

“Um den Plan des Prinzen nicht zu gefährden, sah ich mich leider dazu gezwungen”, antwortete er entschuldigend.

“Der Himmel soll dich mit einer hässlichen und streitsüchtigen Ehefrau strafen, die dir das Leben zur Hölle macht”, erwiderte Leona verbittert. “Vielleicht vergeht dir dann die Lust, dich in das Leben anderer einzumischen.”

“Du solltest deine Wut lieber an mir auslassen”, riet Hassan ihr hämisch, der die Szene vom Sonnendeck aus interessiert verfolgt hatte. “Zumal dein Fluch ohnehin zu spät kommt. Rafiq hat vor Kurzem eine ebenso bezaubernde wie berühmte spanische Flamencotänzerin kennengelernt, mit der zusammenzuleben eher der Himmel auf Erden als die Hölle sein dürfte, nicht wahr, Rafiq?”

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