×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Tumble Creek - 3-teilige Serie + Kurzroman«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Tumble Creek - 3-teilige Serie + Kurzroman« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Tumble Creek - 3-teilige Serie + Kurzroman

hier erhältlich:

ICH KOMME, UM ZU SCHREIBEN

Molly Jennings hat ein wohlbehütetes Geheimnis: Sie ist Autorin von Erotikromanen. Wenn sie nur nicht diese Schreibblockade hätte!

... DANN KLAPPT'S AUCH MIT DER LIEBE

Erotische Lektüre macht Lori Appetit - auf den knackigen Architekten Quinn Jennings. Aber der hat nur seine Baupläne im Kopf...
Lori Love hat viele Autos, aber nur ein Laster: erotische Romane, die die Automechanikerin geradezu verschlingt. So viel Liebe, Lust und Leidenschaft macht auf Dauer Appetit. Zum Beispiel auf Quinn Jennings, ein Architekt mit Leib und Seele. Aber was für ein Leib! Unglaublich knackig und sexy. Genau der richtige Mann - leider nur für heiße Nächte. Denn mit Liebe hat Quinn nichts im Sinn. Erst als Lori Drohanrufe bekommt und um ihr Leben fürchtet, entwickelt er ungeahnte Beschützerinstinkte. Der coole Architekt zeigt plötzlich erstaunlich viel Gefühl...

PLANLOS INS GLÜCK

Kühl, effizient und konservativ gibt sich die Leiterin des Architekturbüros. Aber Jane Morgan hat auch eine andere Seite. Niemand weiß von ihrer wilden Vergangenheit und der Tatsache, dass sie aus einer ziemlich durchgeknallten Familie stammt. Doch als Chase in Janes Leben tritt, bekommt die sorgsam errichtete Fassade Risse. Denn Chase ist ein Mann wie Dynamit, groß, muskulös, tätowiert - ganz nach Janes Geschmack. Nur leider nichts für ihr perfektes Leben, in dem der Platz an ihrer Seite für einen seriösen Anwalt oder Arzt reserviert ist. Aber gegen eine heiße Nacht mit Chase spricht ja nichts, solange es bei einer einzigen bleibt...

ICH KOMME, UM ZU SPIELEN

Nie hätte die junge englische Witwe Lily Anders zu hoffen gewagt, in Wyoming jemanden zu finden, der ihre dunklen Sehnsüchte teilt. Und nie hätte Sheriff Hale, die moralische Instanz der Stadt, auch nur davon geträumt, seine schockierend dominanten Begierden zu offenbaren. Doch die zarte neue Nachbarin erweist sich als überraschend unterwürfig. Wird der tugendhafte Gesetzeshüter seiner fesselnden Leidenschaft nachgeben? Bei dieser so witzigen wie erotischen Wildwest-Romanze handelt es sich um das Buch, für das Molly Jenkins in "Ich komme, um zu schreiben" so lustvoll recherchiert.


  • Erscheinungstag: 07.01.2016
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 1196
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955765347
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Victoria Dahl

Tumble Creek - 3-teilige Serie + Kurzroman

Victoria Dahl

Ich komme, um zu schreiben

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Sarah Heidelberger

image

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
Talk Me Down

Copyright © 2009 by Victoria Grondahl
erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Daniela Peter

Titelabbildung: Thinkstock / Getty Images, München;

pecher und soiron, Köln

Autorenfoto: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz /

Anne Pearson Photography

Satz: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN (eBook, PDF) 978-3-86278-411-0
ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-410-3

www.mira-taschenbuch.de

Werden Sie Fan von MIRA Taschenbuch auf Facebook!

eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

1. KAPITEL

Ungläubig und empört spähte Molly Jennings in das winzige Kaffeeregal im ebenso winzigen Tumble Creek Market. Sie entdeckte Folgers, Sanka und ein paar Marken, von denen sie noch nie im Leben gehört hatte. Und nicht eine einzige Packung Espressopulver in Sicht.

Als sie bekümmert aufseufzte, stieg ihr eine Duftmischung aus Instant-Kaffeepulver und Weichspüler in die Nase. In den letzten Jahren hatte sie die traurige Wahrheit über Kleinstadt-supermärkte erfolgreich aus ihrem Gedächtnis verdrängt. Keine ganzen Kaffeebohnen, keine Spezialröstungen. Ganz hinten im Regal stand etwas verstaubt eine einsame Dose Vanille-Kaffeeweißer. Molly schüttelte sich.

Zum Glück gab es noch das Internet. Ansonsten wäre sie nämlich nie wieder in den Genuss von hausgemachtem Espresso gekommen. Oder einem Hostess Fruit Pie. Molly warf einen vorwurfsvollen Blick in die sogenannte Snackabteilung bei den Kassen. Ihre letzte Hoffnung war die Tankstelle gegen über vom Supermarkt. Molly war nämlich ziemlich sicher, dass Tankstellen gesetzlich oder wenigstens moralisch verpflichtet waren, Hostess-Produkte zu führen. Und CornNut.

„Oh Gott, CornNuts“, murmelte sie verzückt. Ihre Laune besserte sich schlagartig. Zum letzten Mal hatte sie in der Highschool welche gegessen. Hoffentlich gab es noch die Sorte mit Barbecue-Geschmack.

Ehe sie es sich anders überlegen konnte, schnappte sie sich eine Dose Folgers, schmiss sie in ihren Einkaufswagen und lief weiter zu den Tiefkühlregalen.

Der Backfisch, der gerade das Regal mit der Babynahrung auffüllte, beachtete sie kaum. Ganz offensichtlich hatte Moe Franklin seine Herrschaft über den Tumble Creek Market abgetreten. In Mollys Jugend hatte er seinen Supermarkt mit harter Hand und beängstigend lauter Stimme regiert und einen leidenschaftlichen Hass auf Teenager gepflegt. Alles Diebe und Punks, jedenfalls laut dem guten, alten Moe.

Also hatte sich in Tumble Creek doch ein bisschen was ge ändert, und das war auch gut so. Immerhin war auch Molly in den letzten zehn Jahren eine andere geworden. Sie hatte ihr großartiges Loft in Denver hinter sich gelassen, dazu ihr ziemlich lebhaftes Sozialleben, und – so hoffte sie wenigstens – einen ziemlich schweren Fall von Schreibblockade. Nicht zu vergessen die Ursache für ihre Schreibblockade: den Mistkerl, der ihr alles kaputt gemacht hatte. Offiziell bekannt als Cameron Kasten. Hauptbeschäftigungen: Exfreund und Stalker.

Jetzt lag eine vierstündige Autofahrt zwischen Molly und Cameron, und das bedeutete einen echten Neuanfang. Keine nervösen Blicke über die Schulter mehr, keine Notwendigkeit, jedes Geschäft, das sie betrat, vorher nach ihrem Exfreund abzusuchen. Kein Grund, die Partys ihrer Freundinnen zu meiden, nur weil Cameron dort auftauchen könnte.

Schon witzig, wie etwas so Alltägliches plötzlich die Laune heben konnte.

Aber es gab noch einen weiteren Faktor an Mollys neuer Lebenssituation, der möglicherweise gewaltig zu ihrer Aufmunterung beitragen würde: Eventuell und mit ein wenig Glück würde sie tatsächlich irgendwann mal wieder Sex haben! Nicht dass ein Umzug in ein Kuhkaff mit tausendfünfhundert Einwohnern normalerweise ein Garant für verbesserte Aussichten in Sachen Sex gewesen wäre. Aber Molly hatte da eine ganz bestimmte Person im Auge.

Zwar hatte sie Ben Lawson seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. Aber der Eindruck, den er damals bei ihr hinterlassen hatte, war so prägend gewesen, dass seitdem kaum ein Tag vergangen war, an dem Molly nicht an ihn gedacht hatte. Eigentlich war er in so gut wie all ihren Fantasien der Hauptdarsteller. Ein splitterfasernackter, ausgesprochen williger Hauptdarsteller.

Molly warf ihrem Spiegelbild in der Eisschranktür ein Lächeln zu, das aber sofort gefror, als sie die mehr als mickrige Auswahl in den Regalen registrierte. Und dabei hatte Tumble Creek doch nur ein einziges Diner! Sie konnte doch nicht jeden Tag dort essen! Oder vielleicht doch?!

Wirklich, sie vermisste ihren Lieblings-Thailänder jetzt schon. Der bloße Gedanke an die würzigen Nudeln ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Schicksalsergeben öffnete sie die Schranktür und redete sich ein, dass die Packungen in ihrer Hand nicht wirklich Tiefkühl-Makkaroni mit Käse enthielten.

„Ist das dann alles, Chief?“, fragte eine ziemlich verschlafen klingende Mädchenstimme. Trotz des gelangweilten Tonfalls sorgten diese Worte dafür, dass Mollys Herz einen kleinen Satz machte. Hastig schob sie ihren Einkaufswagen in Richtung der piependen Kasse und hielt am Ende des Gangs abrupt inne, weil der Anblick vor ihr sie so fesselte, dass sie wie gelähmt war.

Fesselnd, lähmend, überraschend und beängstigend umwerfend.

Er. In Fleisch und Blut, nicht nur in ihrer Fantasie.

Als Molly der Letzte Wille ihrer Tante mitgeteilt worden war und sie plötzlich die Möglichkeit bekam, wieder zurück nach Tumble Creek zu ziehen, hatte sie sofort an Ben Lawson gedacht. Aber mit dieser Wirkung hatte sie nicht gerechnet.

Er war perfekt. Noch immer. Er wirkte muskulöser und männlicher als bei ihrer letzten Begegnung, was Mollys ebenfalls erwachsener gewordenem Männergeschmack allerdings sehr entgegenkam. Außerdem war er bekleidet, was ein weiterer wichtiger Unterschied zu ihrer letzten Begegnung war. Aber auch gegen seine Klamotten war absolut nichts einzuwenden. Ausgeblichene, fadenscheinige Jeans und ein dunkelbraunes Uniformhemd. Die Ärmel waren hochgerollt und enthüllten kräftige Unterarme, auf denen goldene Härchen glitzerten.

Er nickte der Kassiererin zu und reichte ihr ein paar Geldscheine. Seine Augen waren genauso schokoladenbraun, wie Molly sie in Erinnerung hatte, und in seinem Blick lag noch immer derselbe Ernst wie damals. Bens Haare hatten fast dieselbe Farbe wie seine Augen, was eigentlich langweilig hätte wirken müssen, Molly aber immer fasziniert hatte. Als sich ein zurückhaltendes Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete, bildeten sich um seine Augen herum kleine Lachfältchen. Dann blickte er auf und sah Molly direkt an.

Trotz der fünf Meter Abstand traf sein Blick Molly wie ein Blitz. Als Ben sie erkannte, hob er verblüfft die Augenbrauen und erstarrte mitten in der Bewegung. Seine Hand mit dem Wechselgeld blieb auf halben Weg zu seinem Geldbeutel einfach in der Luft hängen. Als die Kassiererin Molly einen Blick über die Schulter zuwarf, erwachte er aus seinem komatösen Zustand. Molly beobachtete, wie er sich bedankte, eine kleine Plastiktüte vom Tresen nahm und sich von der Kasse entfernte. Allerdings nicht in Richtung Ausgang, sondern in ihre Richtung.

Er erinnerte sich noch an sie!

Natürlich tut er das!

Molly war entsetzt, wie sehr sie sich darüber freute. Du bist keine siebzehn mehr, wies sie sich in Gedanken zurecht, während Ben immer näher kam. Sie fühlte sich winzig neben ihm, aber auf eine gute, eine zierliche Weise.

„Molly?“, fragte er zögerlich. Das Wort polterte geradezu aus seiner Kehle, was Molly einen angenehmen Schauer den Rücken hinablaufen ließ.

„Ben! Hi! Ist ganz schön lang her, was?“

Oh, oh. Das war wohl nicht der beste Einstieg gewesen. Denn Ben nahm wieder diesen verblüfften Ausdruck an, und dann wurde er auch noch ein bisschen rot.

Ja, es war wirklich lange her. Zehn Jahre, um genau zu sein. Und das hatte seine Gründe. Wahrscheinlich musste auch er gerade an ihre letzte Begegnung denken, ebenso wie Molly . Oh Mann. Jetzt errötete sie auch.

Ben räusperte sich. „Ich, äh …“ Er verzog die Lippen zu einem schmalen Strich und räusperte sich. Wahrscheinlich wies er sich in Gedanken genauso zurecht wie Molly vor ein paar Minuten. Du bist jetzt der Polizeichef hier! Reiß dich zusammen!

„Tut mir leid mit deiner Tante Gertie. Sie war ja ziemlich … lebhaft.“

In der Tat, lebhaft war sie wirklich gewesen. Um nicht zu sagen: extrem starrsinnig. „Meine Mutter hat immer gesagt, dass Gertie zu stur zum Sterben ist, aber trotzdem kam ihr Tod ja nicht wirklich überraschend.“

Ben neigte den Kopf zur Seite. „Ich habe gehört, dass sie dir das Haus hinterlassen hat. Aber niemand konnte sich vorstellen, dass du deswegen aus Denver zurückkommst. Bist du hier, um das Grundstück zu verkaufen?“

„Nö.“

Ihre Antwort schien ihn leicht zu beunruhigen. „Machst du das Haus winterfest?“

„Eigentlich auch das nicht. Ich ziehe ein.“

Seine beunruhigte Miene verwandelte sich schlagartig in ein undurchdringliches Pokerface, das ihm als Polizeichef vermutlich häufig gute Dienste leistete. „Du ziehst wieder nach Tumble Creek?“, wiederholte er.

„Jepp. Der Umzugswagen müsste so in einer Stunde da sein.“

„Im Ernst?“ Für einen kurzen Moment sah er Molly von Kopf bis Fuß an, dann sah er ihr wieder in die Augen. Siedend heiß fiel ihr ein, dass sie heute Morgen nicht gerade viel Zeit auf ihre Kleiderwahl verschwendet hatte.

Sie trug weite Kakihosen und ein T-Shirt, das fast so zerfleddert war wie ihre uralten Turnschuhe. Ihr dunkelblondes Haar hatte sie zu einem unordentlichen Pferdeschwanz hochgebunden. Zum Glück trug sie wenigstens keine Shorts, sie hatte sich nämlich seit einer Woche die Beine nicht mehr rasiert. Schließlich war es im Oktober verdammt kalt in den Bergen, da konnte ein zusätzlicher Schutz nicht schaden. Doch Kälte hin oder her, jetzt würde sie sich definitiv rasieren.

„Aber du arbeitest doch unten in Denver, oder?“, fuhr Ben schließlich fort.

Er sah sie an, als wäre er die Unschuld in Person, aber davon ließ Molly sich nicht täuschen. Immerhin war Ben der beste Freund ihres Bruders. Unmöglich, dass er nichts von der „Molly-Jennings-Frage“ wusste.

Sie lächelte und zwinkerte ihm zu. „Netter Versuch, Chief!“

Er hob in schweigendem Protest beide Brauen, aber auch damit konnte er Molly nichts vormachen. „Wo wir schon beim Thema Arbeit sind: herzlichen Glückwunsch zu deinem schnellen Aufstieg als Chief!“

Er nickte dankend. „Außer mir wollte den Job einfach keiner.“

„Wow, welch sittliche Bescheidenheit!“ Ups.

Ben wurde wieder rot, und dann wurde auch Molly rot, da sie ja ganz genau wusste, woran er gerade denken musste. Das Bild in ihrem Kopf war so lebendig und detailreich, dass sich die Hitze von ihrem Gesicht im ganzen Körper ausbreitete.

„Na dann …“ Ben streckte seine Hand aus und verabschiedete sich mit einem knappen, professionellen Händedruck von Molly. „Willkommen zurück in Tumble Creek, Molly. Wir sehen uns.“ Ehe sie antworten konnte, war er schon weg. Mit einem leisen Klicken fiel die Eingangstür hinter ihm zu, und damit wurde Molly auch der Ausblick auf seinen spektakulären Hintern verwehrt.

Molly Jennings. Grundgütiger.

Ben zog seine Uniform aus und streifte sich die Joggingsachen über. Plötzlich wünschte er sich, Raucher zu sein. Genau, er brauchte eine Zigarette. Oder wenigstens einen Drink. Aber da er schon in ein paar Stunden wieder in den Dienst musste, würde er sich mit einem kurzen Lauf begnügen müssen. Frank hatte die nächsten paar Tage Urlaub, und da die Polizeiwache nur aus viereinhalb Beamten bestand, bedeutete das Überstunden für alle. Auch für den Chief.

Er schnappte sich Schlüssel und Handy und war schon halb zur Tür hinaus, doch dann kehrte er wieder um, um seinen Schlagstock zu holen. Die vielen Puma- und Bärenangriffe in den letzten Jahren hatten ihn vorsichtig gemacht. Der Frühling war zwar erfahrungsgemäß gefährlicher als der Herbst, aber Vorsicht war schließlich die Mutter der Porzellankugel.

Apropos: Vorsichtig war genau das, was er nicht gewesen war, als er Molly Jennings im Supermarkt über den Weg gelaufen war. Sie hatte dagestanden wie eine Horrorvision aus seinem allerpeinlichsten Albtraum. Mit schamverzerrtem Gesicht knallte er die Haustür hinter sich zu und rannte einfach drauflos, ohne einen Gedanken ans Aufwärmen zu verschwenden. Warm genug war ihm schließlich schon. Er war ja rot geworden wie ein verdammter Schuljunge! Noch einer von diesen blamablen Augenblicken mit Molly Jennings.

Aber heute war er kein zweiundzwanzigjähriger Junge mehr. Und Molly war definitiv nicht mehr siebzehn. Sie hatte so frisch, natürlich und reif gewirkt, wie sie dagestanden hatte mit ihrem dunkelgoldenen Pferdeschwanz. Und wie ihr Bauchnabel zwischen dem engen hellblauen T-Shirt und den schäbigen Cargohosen hervorgelugt hatte …

Gott, er liebte Cargohosen! Seiner zugegebenermaßen etwas ausgefallenen Meinung nach kamen Frauenärsche in keiner Verpackung besser zur Geltung. Zum Glück hatte er keine Möglichkeit gehabt, einen Blick auf Mollys Hintern zu werfen. Schließlich war der Rest von ihr schon fast zu viel für ihn gewesen.

Ben zwang sich die steile Strecke am Ende der Straße hinauf und bog dann nach links in den zugewucherten Wanderweg ab. Zufälligerweise führte der Pfad den Berggrat entlang, der genau hinter Mollys Haus verlief. Aber das hier war nun mal Bens Lieblingsstrecke, und die würde er ganz sicher nicht aufgeben, nur um Molly aus dem Weg zu gehen. Und wenn er ganz aus Versehen einen Blick durch die Fenster warf, dann war das nur natürlich. Klar war er neugierig! Sie waren schließlich befreundet gewesen. Na ja, zumindest hatte er seine gesamte Jugend in Mollys Nähe verbracht. Und ja, er hatte sie als Teenager unglaublich süß gefunden, aber sie war nun mal auch die minderjährige kleine Schwester seines besten Freundes gewesen. Also verbotenes Terrain. Und jetzt war sie siebenundzwanzig … und immer noch verbotenes Terrain.

Ben hatte sich nämlich geschworen, nie im Leben etwas mit einer Frau aus Tumble Creek anzufangen. Zu viel Gerede, zu viele Komplikationen. Wenn es etwas Schlimmeres gab, als ein Kleinstadtpaar zu sein, dann, ein Ex-Kleinstadtpaar zu sein. Die reinste Chaos-Garantie.

Also hielt sich Ben an Frauen, die nicht aus der Stadt kamen. Und da im Winter der Großteil der Straßen geschlossen war, beschränkten sich seine Affären meist auf die wärmeren Jahreszeiten.

Molly würde das ganze Jahr über hier sein. Na ja, oder auch nicht. Vielleicht wollte sie ja nur den Winter über bleiben! Vielleicht würde sie es ein paar Monate lang in Tumble Creek aushalten und dann wieder für zehn Jahre verschwinden.

Das Jahrzehnt in Denver hatte ihr gutgetan. Sie war schlank, aber nicht mager, rund und fest an jeweils den genau richtigen Stellen. Und ihre funkelnden grünen Augen wirkten noch lebhafter als damals. Selbstbewusster, irgendwie … erfahren und weltoffen. Verlockend.

Ben schüttelte diese gefährlichen Gedanken ab und folgte dem Pfad weiter nach oben bis zur Gabelung. Der eine Weg führte wieder zur Straße, der andere mündete nach einer Weile in einen Bergkamm, der einen atemberaubenden Blick auf das breite Tal westlich der Stadt bot. Die Sonne strahlte hell und warm, und die Luft war gerade frisch genug, um Bens Schweiß zu kühlen. Gegen das Gefühlschaos in seiner Brust wäre allerdings leider etwas mehr nötig gewesen als das.

Tief atmete er den erdigen Duft der Espen ein und beschloss, den Weg zum Bergkamm einzuschlagen. Wenn er noch ein bisschen weiterlief, wurde er vielleicht die Erinnerungen an Molly los, die so beharrlich durch seine Gedanken geisterten.

Er joggte gerade mitten durchs tiefe Dickicht, als sein Handy klingelte. „Lawson“, keuchte er in den Hörer.

„Ben“, sagte seine Sekretärin, die er seit Schulzeiten kannte. „Hier ist Brenda. Bist du zu Hause?“

„Nicht wirklich. Wieso?“

„Oh, wir haben hier ein kleines Problem. Andrew ist rüber zu den Blackmounds, da ist Vieh durch ein Loch im Zaun getürmt. Und jetzt steht hier ein riesiger Umzugswagen, der die halbe Main Street blockiert und nicht weiterkommt. Das Auto von Jess Germaine steht im Weg, und er geht nicht ans Telefon.“

Ben knurrte genervt und drosselte sein Lauftempo. Bis er zurück im Ort war, hatte sich das Problem wahrscheinlich von selbst gelöst, aber falls Jess mal wieder seinen Rausch ausschlief …

„In Ordnung. Ich brauche zwanzig Minuten. Falls sich Jess meldet, ruf mich bitte kurz an.“

„Klar. Sag mal, weißt du, was der Umzugswagen hier überhaupt will?“

Unwillkürlich verkrampfte Ben die Kiefermuskulatur. Zum Glück wusste niemand von dieser heiklen Episode mit Molly vor zehn Jahren. Ansonsten würden sich jetzt nämlich alle das Maul zerreißen, sobald sich die Nachricht verbreitete, dass Molly wieder in der Stadt war. „Molly Jennings zieht zurück nach Tumble Creek“, sagte er betont ruhig.

Und macht mir vom ersten Tag an Ärger.

Das würde ein verdammt langer Winter werden.

Obwohl Gerties Haus wochenlang leer gestanden hatte, sah es immer noch makellos aus. Nur ein feiner Hauch von Staub hatte sich zaghaft auf dem Holzboden ausgebreitet. Nicht mal hinter den Möbeln hatte Molly auch nur eine einzige Wollmaus entdecken können.

So sauber würde es hier vermutlich nie wieder sein. Molly sah sich kopfschüttelnd um, dann packte sie ihren Computer aus und baute ihn auf dem Esszimmertisch auf.

Sie selbst besaß gar keinen großen Tisch. Sie war mit ihrem Loft in Denver zwar wunschlos glücklich gewesen, aber klein gewesen war es trotzdem. Und daher war Gerties Esszimmer jetzt nicht mehr Gerties Esszimmer, sondern Mollys Büro. Na, wenn das die gute Gertie nicht entsetzt hätte!

Mein Haus hinterlasse ich meiner Großnichte Molly Jennings, in der Hoffnung, dass sie ihr unsittliches Leben in der Stadt aufgibt und wieder an den Busen der Natur zurückkehrt, in das Gottesland, in das sie gehört.

Molly grinste und rümpfte die Nase. Oh ja, zurückgekehrt war sie, aber ihr unsittliches Leben hatte sie mitgebracht.

Sie fuhr den Rechner hoch, wobei ihr Grinsen noch breiter wurde. In Denver hatte sie keinen einzigen Satz mehr zusammenbekommen, weil sie in ständiger Angst gelebt hatte. Und hier in Tumble Creek war ihr nur ein paar Stunden nach ihrer Ankunft gleich eine unschätzbare Inspirationsquelle über den Weg gelaufen.

Natürlich würde sie sich jetzt wieder mit all den neugierigen Fragen herumschlagen müssen, wie sie ihren Lebensunterhalt verdiente. Aber dagegen hatte Molly sich gewappnet. Und falls sich Ben Lawson als eine genauso wunderbare Muse entpuppte wie vor zehn Jahren, war das die Gerüchte mehr als wert. Oh ja, ganz sicher.

Erst schaffte sie Ordnung auf ihrem Desktop, dann öffnete sie ein neues Dokument. Das wohlige Kitzeln in ihrem Bauch erinnerte sie daran, wie viel Spaß ihr die Arbeit bis vor sechs Monaten gemacht hatte. Nicht so gut wie Sex, aber ziemlich nahe dran.

Ihr Anflug von guter Laune zerplatzte wie eine Seifenblase, als aus ihrer Handtasche eine vertraute Melodie erklang. Molly wühlte ihr Handy heraus und stöhnte auf, als sie sah, wer der Anrufer war. „Na ganz toll.“

Natürlich konnte sie ihn auch einfach ignorieren, aber dann würde er eben immer wieder anrufen. Und dann würden noch andere anrufen, und ganz am Ende würde sich der große Häuptling der Schwachköpfe selbst melden: Cameron.

Molly nahm den Anruf entgegen, versuchte aber nicht mal, ihre Ungeduld zu verbergen. „Was ist?“

„Hey, Molly! Hier ist Pete!“

„Weiß ich.“

„Wie geht’s dir?“

Sie klickte wahllos ein paar Dokumente auf und überlegte, wie viele CornNuts wohl noch in ihrer Handtasche steckten. „Super.“

„Wohnst du jetzt echt in den Bergen? Ich hoffe, dass du nicht länger bleiben willst. Im Winter ist es doch ganz schön gefährlich da oben.“

„Ich bin hierher gezogen, Pete. Ende der Diskussion.“

„Mal sehen, was du nach einem langen, einsamen Winter sagst.“

Molly stöhnte auf. „Ich weiß ja, dass ich nur ein hilfloses, dummes Frauchen bin, aber immerhin bin ich hier aufgewachsen. Und stell dir vor, in meinen ersten achtzehn Lebensjahren ist ein kleines bisschen Wissen über meine Umgebung zu mir durchgedrungen.“

„Hey, du hast ein Haus geerbt, das ist echt aufregend! Klar, dass du wenigstens mal ausprobieren musst, drin zu wohnen. Aber dein Apartment hier ist ja noch nicht verkauft. Du musst also noch überhaupt keine endgültige Entscheidung treffen …“

„Hat Cameron dir gesagt, dass du anrufen sollst?“, unterbrach sie ihn barsch.

„Was? Nein. Wir machen uns alle Sorgen um dich, Molly …“

„Wer? Cameron und seine niedliche Boyband?“

„Ach komm schon, Molly. Wir sind doch Freunde. Ich will doch nur …“

„Nein, Pete“, fuhr sie ihm über den Mund. „Nein, wir sind keine Freunde. Wenn wir Freunde wären, hätte ich dir ein Armband geknüpft und dir die Zehennägel lackiert. Und wir hätten darüber gelacht, wie winzig der Penis von meinem ersten Freund war. Wir hätten uns mit Appletinis abgeschossen und dabei wild mit irgendwelchen Typen geflirtet. Wir sind aber keine Freunde, Pete, wir waren ein Paar. Bis uns jemand alles kaputt gemacht und dein Herz gestohlen hat.“

„Häh?“ Molly konnte förmlich vor sich sehen, wie er verwirrt die Stirn runzelte. „Niemand hat mein Herz gestohlen. Wir haben doch einvernehmlich beschlossen, dass das mit uns beiden einfach nicht funktioniert.“

„Mit ‚zusammen‘, meinst du da Cameron und dich?“

„Hey, was unterstellst du mir denn da?“

„Ich unterstelle dir, dass Cameron dir eingeredet hat, dass du nicht mehr mit mir zusammen sein willst. Genauso wie er es mit jedem Mann gemacht hat, mit dem ich zusammen war, seit ich ihn verlassen habe.“

„Das ist doch krank!“ Pete wirkte richtiggehend empört.

„Ja, genau, das ist krank. Nicht dass das dir oder Michael oder Devon etwas auszumachen scheint. Ihr seid alle viel zu sehr damit beschäftigt, mit Mr Traummann rumzuhängen!“

„Cameron hat recht“, murmelte Pete. „Du hast echt ein Problem.“

„Ja! Ganz genau davon rede ich doch die ganze Zeit! Ich habe Probleme!“, schrie sie in den Hörer. Gleich darauf brach die Verbindung ab. Kochend vor Wut starrte Molly das Handy an. Sie waren ihr bis nach Tumble Creek gefolgt. Cameron und seine Entourage, die sich aus Mollys ehemaligen potenziellen Sexualpartnern zusammensetzte.

Das ging zu weit, das konnte sie nicht zulassen. Am besten, sie schaffte das Handy einfach ab. Schließlich hatte sie ja noch die Festnetznummer ihrer Tante. So konnten ihr Bruder und ihre Lektorin sie erreichen, und ihre Eltern auch. Falls diese jemals über ihre Cameron-Sucht hinwegkamen.

Cameron Kasten – Supervising Sergeant Cameron Kasten – war der Star unter den Unterhändlern für Geiselnahmen am Denver Police Department. Seine Arbeit bestand darin, andere zu manipulieren, ihnen seine Meinung aufzuzwingen und sie zu verführen. Und er war verdammt gut darin. Alle liebten ihn: seine Freunde, Mollys Freunde, das ganze verdammte Police Department. Rettungssanitäter, Feuerwehrmänner, Staatsanwälte und jeder einzelne Mann, mit dem Molly jemals ein Date hatte.

Niemand wollte ihr glauben, dass Cameron ihr Leben ruinierte. Da es ihm nicht gelungen war, Molly einzureden, dass sie bei ihm bleiben musste, redete er seitdem einfach ihren Männerbekanntschaften ein, dass sie Molly verlassen mussten. Es war gruselig, und es war frustrierend. Cameron war wie ein riesiges schwarzes Loch, das allen Sex aus ihrem Leben sog.

Na ja, vielleicht nicht allen.

Sie dachte wieder an Ben Lawson, an die vertrauten brauen Augen und die großen Hände und … oh, an so vieles mehr. Ein grandioseres Ende für ihre Trockenzeit als ihn konnte sie sich nicht vorstellen. Aber wenn Cameron sie in Tumble Creek heimsuchte, würde es so weit nicht kommen. Also musste sie diesen Mistkerl auf Abstand halten. Und zwar so weit wie möglich.

„Satan, weiche!“, sagte sie zu ihrem Handy, während sie es feierlich abschaltete.

Molly war wieder in Tumble Creek, Colorado, und sie hatte vor, genau da weiterzumachen, wo sie vor zehn Jahren aufgehört hatte: bei einem nackten Ben Lawson.

Mit dem einen Unterschied, dass sie diesmal wusste, was sie mit ihm anstellen sollte.

2. KAPITEL

Chief?“

Ben schreckte ruckartig aus seinem kleinen Schläfchen vor dem Computer hoch. „Ja?“

Brenda schüttelte heftig den Kopf, wodurch ihr Pony über ihren dicken Augenbrauen zu tanzen begann. „Es ist acht Uhr abends. Du solltest wirklich nach Hause gehen und dich ausruhen. Immerhin hast du ganze vierundzwanzig Stunden lang frei.“

„Ach richtig.“ Er warf einen letzten Blick auf den Dezemberdienstplan, dann schloss er das Programm. In den nächsten Monaten würde die Polizeiarbeit ziemlich überschaubar sein. Im Winter tickten die Uhren in Tumble Creek immer etwas langsamer als sonst. Keine Mountainbiker, kein Rafting, und der Pass nach Aspen war bis Mai zugeschneit. Nach dem verrückten Frühling, Sommer und Herbst hatten sie sich eine kleine Ruhepause aber auch wirklich verdient.

Apropos Aspen … Ben rieb sich die Augen und warf einen Blick auf die alte Wanduhr im Flur. Quinn Jennings war bestimmt schon im Büro. Der Mann war echt besessen von seiner Arbeit.

Schon nach dem ersten Klingeln nahm Quinns Assistentin ab. „Jennings Architecture.“

„Ist Quinn zu sprechen?“

„Guten Morgen, Chief Lawson. Ja, er ist da. Bitte warten Sie.“

Ben nickte und lauschte der Warteschleifenmusik. Aus reiner Höflichkeit hatte er schon öfter versucht, mit der Sekretärin zu plaudern, aber sie hatte ihn jedes Mal auflaufen lassen.

„Ben“, grummelte Quinn, nachdem er abgenommen hatte. Vermutlich war er mal wieder tief in irgendein Designproblem versunken.

„Lassen Sie den Stift fallen und nehmen Sie die Hände hoch!“

„Häh?“

Ben verdrehte die Augen. „Als wir das letzte Mal telefoniert haben, ist mir klar geworden, dass es überhaupt keinen Sinn hat, mit dir zu reden, während du zeichnest. Ich habe bis neun ganz alleine in dieser verdammten Schickimicki-Bar gesessen und auf dich gewartet!“

„Ach ja, richtig. Hab ich schon erwähnt, wie leid mir das tut? Ich schwöre, ich konnte mich einfach nicht mehr an das Telefonat erinnern!“

„Genau das meine ich ja“, seufzte Ben. „Du hast übrigens auch vergessen, mir zu erzählen, dass deine Schwester wieder in der Stadt ist.“

„Ach ja. Sie hat sich ziemlich spontan entschieden. Ich weiß es selber erst seit letzter Woche.“

„Sicher?“

„Na ja, sie behauptet, mir schon im September davon erzählt zu haben, aber ich könnte schwören, dass sie lügt.“

„Na klar.“

„Also ist sie schon da? Würdest du mal nach ihr sehen? Meine Mom macht sich Sorgen.“

Ben ließ sich in seinem Sessel zurückfallen und fuhr sich durchs Haar. „Du willst, dass ich zu ihr nach Hause fahre?“

„Ja, du weißt schon. Mal sehen, ob mit dem Haus alles in Ordnung ist. Singlefrau mit obsessiver Mutter und so weiter.“

„Sie hat ganz alleine in der großen bösen Stadt gewohnt, Quinn. Meinst du nicht, dass sie sich mittlerweile um sich selbst kümmern kann?“

„Erklär das mal meiner Mutter! Sie ist überzeugt, dass Molly den Kamin anmacht, ohne den Rauchabzug zu öffnen, und dann qualvoll an einer Rauchvergiftung zugrunde geht.“

Wieder sah Ben auf die Uhr. Viertel nach acht. Ob Molly wohl schon auf war? Und angezogen? Oder vielleicht noch halb nackt und verschlafen? „Alles klar, ich schau mal vorbei.“

„Danke.“

„Kein Ding.“ War ja nur ein Gefallen für einen Freund. „Ach, und sag mal: Ihr müsst doch langsam mal rausgefunden haben, womit Molly ihr Geld verdient!“

„Nö. Auf jeden Fall schwört sie, dass es sich um nichts Illegales handelt.“

„Aber warum verrät sie es dann nicht einfach?“ Eine ganze Reihe an eher unappetitlichen Möglichkeiten schoss Ben durch den Kopf.

„Wer weiß? Vielleicht steht sie einfach nur drauf, die Geheimnisvolle zu spielen. Oder sie arbeitet undercover für die Steuerfahndung. Jedenfalls ist sie gesund, und es scheint ihr gut zu gehen, und mittlerweile habe ich sogar Mom überzeugen können, sich damit zufriedenzugeben und nicht weiter nachzubohren.“

Mist. Er hatte Molly schon gegoogelt, aber nichts herausgefunden. Und wie die meisten Cops mochte er keine Geheimnisse.

Frustriert versprach er noch einmal, nach Molly zu sehen – ob sie wohl im Schlafanzug schlief? Oder doch eher nackt? –, und verabschiedete sich von Quinn. Dann zog er Hut und Jacke über.

Es war ja nur ein Gefallen für einen Freund und hatte ganz bestimmt nichts mit Mollys engem blauen T-Shirt zu tun oder dem Blick, den er durchs Küchenfenster auf sie hatte erhaschen können, als er gestern auf dem Rückweg wieder an ihrem Haus vorbeigekommen war. Es hatte nichts zu tun mit dem vielsagenden Glitzern in ihren Augen, als sie ihn im Supermarkt angelächelt hatte. Und es spielte ganz bestimmt keine Rolle, dass er einen Großteil seiner ansonsten wenig ereignisreichen Schicht damit verbracht hatte, sich zu fragen, ob ihr Arsch immer noch so knackig war wie vor zehn Jahren.

Mann, was hatte sie ihn verrückt gemacht in jenem Sommer. Ständig war sie in ihren knappen kleinen Shorts und Tanktops hereingeschneit, die ihm eigentlich gar nicht hätten auffallen dürfen. Schließlich war Molly damals ein süßes, unschuldiges junges Mädchen gewesen, das er von Geburt an kannte. Also hatte er alles getan, um sie zu ignorieren. Mollys glatte gebräunte Beine existierten nicht für ihn. Und auch nicht ihre festen Brüste und ihr runder Po. Nein, da war nicht mal was, das er hätte ignorieren müssen!

Und so war es bis heute. Sie war einfach nur eine weitere Bürgerin von Tumble Creek. Jemand, für den er verantwortlich war. Vielleicht ein bisschen mehr als für andere, weil ihr großer Bruder Quinn sein bester Freund war. Und im Gegensatz zu seiner Schwester mit Sicherheit hellwach und bekleidet.

Als Ben seinen schwarzen SUV vor Mollys Haus in der Pine Street parkte, setzte er seine strengste Polizistenmiene auf. Dann sah er den Wagen in ihrer Auffahrt, und aus seinem professionellen Dienstblick wurde ein Ausdruck tiefsten Entsetzens.

Er hämmerte etwas fester gegen Mollys Tür, als er vorgehabt hatte, aber trotzdem machte auch nach zwei Minuten noch niemand auf. Er klopfte wieder, dann zwang er sich, tief durchzuatmen und bis zwanzig zu zählen. Die Tür öffnete sich bei neunzehn.

„Bitte sag, dass das nicht dein Auto ist.“

Molly legte sich die Hand vor den Mund und gähnte ausgiebig. „Hey, Ben.“

„Du hast noch einen Zweitwagen in der Garage versteckt, oder?“

„In der Garage stehen nur tonnenweise Umzugskartons.“

„Mit dem Ding kannst du im Winter hier oben doch keinen Meter weit fahren!“

Sie beugte sich vor, um an ihm vorbei einen Blick auf den blauen Mini Cooper zu werfen. „Ich hab noch Winterreifen aufziehen lassen, bevor ich Denver verlassen habe. Alles in Ordnung.“

„Nein. Nein, nichts ist in Ordnung! Erstens bin ich mir absolut sicher, dass es keine Winterreifen für Spielzeugautos gibt. Zweitens wirst du auf der erstbesten Schneewehe aufsitzen, über die du fährst, und drittens wird dich dann einer der dreihundert SUVs, die von vernünftigen Bürgern dieser Stadt gefahren werden, einfach überrollen!“

Sie lehnte sich gegen den Türrahmen und nickte weise. „Aha. Faszinierend. Hat meine Mutter dich angerufen?“

„Nein, aber das wird sie. Und ich habe wirklich nicht genug Arbeitskräfte, um jedes Mal, wenn es schneit, zu dir zu fahren, um nach dem Rechten zu sehen, nur damit es ihr besser geht. Und ich habe definitiv nicht genug Arbeitskräfte, um dich zweimal pro Woche aus deiner eigenen Ausfahrt zu retten!“

„Ich habe Love’s Garage schon beauftragt, hier Schnee zu räumen.“

„Na gut, dann habe ich eben nicht genug Arbeitskräfte, um dich jeden Samstag vom Supermarktparkplatz zu retten.“

Mit verschränkten Armen lächelte sie zu ihm hoch. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du irgendwie sexy bist, wenn du im Dienst bist?“

Das war der Moment, in dem ihm ihr Shirt auffiel. Ihr langes, abgetragenes, praktisch durchsichtiges weißes T-Shirt. Ihre nackten Beine. Die bloßen Füße mit den rosafarben lackierten Zehennägeln. Wieder gähnte sie, und dann fröstelte sie, wobei sie unabsichtlich seine unausgesprochene Frage beantwortete, ob sie einen BH trug oder nicht.

„Ich muss mich entschuldigen“, sagte Ben in bemüht formellem Tonfall. „Habe ich dich aufgeweckt?“

„Ja, aber ich muss mich schließlich auch an zivilisierte Tagesabläufe halten, sonst sterbe ich vor Einsamkeit. Hier in der Gegend bleibt offenbar niemand bis nachts um drei wach. Na ja, du vielleicht. Das heißt dann: nur du und ich … und die Schneepflüge natürlich.“

Nur du und ich …

„Dein Hut gefällt mir wirklich gut“, fügte sie hinzu, und ihre Augen funkelten wieder so seltsam auf. „Wirklich sehr, sehr gut.“

Unwillkürlich fasste sich Ben verlegen an die Hutkrempe. Als er bemerkte, was er da tat, ließ er seine Hand hastig wieder fallen. Es war die Art von Stetson, die fast alle Gesetzeshüter in den Rockys trugen. Kein Grund für diesen … anzüglichen Blick, den Molly ihm zuwarf.

„Zurück zum Auto“, brummte er. „Falls man das Ding da überhaupt so nennen kann.“

Molly öffnete die Tür ein Stückchen weiter, und eine Windbö fuhr ins Haus und wehte das T-Shirt gegen ihren Oberkörper. Als Ben bemerkte, wie deutlich sich die harten Brustwarzen unter der dünnen Baumwolle abzeichneten, hätte er sich fast verschluckt.

„Willst du einen Kaffee?“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte sie sich um und ließ die Tür für ihn offen stehen. Dass Ben überhaupt eintrat, war ein Akt reiner Notwehr. Er musste nämlich die Tür schließen, bevor eine weitere Windbö ins Haus wehte. Anderenfalls hätte er genauso viel über Mollys Hintern wie über ihre Brustwarzen gewusst, und das wollte er um jeden Preis vermeiden.

„Heilige Muttergottes“, murmelte er und blieb direkt neben der Tür stehen. Es war wirklich an der Zeit, zu gehen. Er konnte sich nicht mal mehr erinnern, warum er überhaupt gekommen war. Ach ja, er musste ihr dieses Spielzeugauto ausreden. Aber erst mal war es wichtiger, dass ihm ein strategischer Rückzug gelang.

„Willst du Milch und Zucker?“, rief sie aus der Küche.

„Nein, ich …“

Das Klingeln eines altmodischen Telefons unterbrach ihn.

„Warte kurz!“, rief Molly.

Ben lauschte, wie sie sich gut gelaunt meldete, ihre Stimme dann aber zu einem bedrohlichen Flüstern senkte, das sofort seinen Polizeiinstinkt weckte.

„Woher hast du diese Nummer?“, fauchte Molly.

Ben setzte sich in Bewegung.

„Ja, ich habe mein Handy ausgeschaltet. Sieh das als Zeichen, Cameron.“

Als er in dem weißen Durchgangsbogen, der in die Küche führte, innehielt, hatte Molly schon wieder aufgehört zu reden. Sie stand einfach da, den Hörer ans Ohr und die andere Hand gegen die Stirn gepresst, und sagte hin und wieder „M-hm“.

Dann schloss sie fest die Augen, und als sie sie wieder öffnete, bemerkte sie, dass Ben sie anstarrte. Ihre Augenbrauen schossen alarmiert in die Höhe, und sie wandte sich hastig von ihm ab, aber hören konnte er sie natürlich trotzdem noch.

„Nein. War das deutlich genug? Nein! Und jetzt leb wohl.“

Als sie sich wieder umdrehte, lächelte sie strahlend und fröhlich, doch an der Hand, mit der sie den Hörer umfasste, traten ihre Knöchel weiß hervor. „Der Kaffee ist fast fertig!“

„Wer war das?“

„Wer?“

„Am Telefon.“

Ihr breites Lächeln zuckte nicht einmal, als sie in offenkundig nur gespielter Verwirrung den Kopf schüttelte.

„Ich glaube, du hast ihn ‚Cameron‘ genannt.“

„Ach, Cameron! Nur so ein Typ aus Denver.“

„Die Ex-Art von Typ?“

„Hm?“ Sie hob in einer abwehrenden Geste die Hände und sah ihn stirnrunzelnd an, gerade so, als hätte er gerade gefragt, ob dieser Cameron ein Superheld sei. „Natürlich nicht! Nein. Wie kommst du denn darauf?“

„Einfach so.“ Noch mehr Geheimnisse. Na toll.

„Also, Milch und Zucker?“ Sie bewegte sich mit unbekümmerter Anmut durch die kleine Küche. Es schien ihr überhaupt nichts auszumachen, dass sie quasi nackt vor ihm herumlief. Wer war dieses Mädchen, das er schon sein ganzes Leben lang kannte? Diese Mädchen voller Geheimnisse und … mit Brustwarzen?

 „Gern“, hörte er sich sagen. „Milch und Zucker.“

Beim Eingießen warf sie ihm über die Schulter ein Lächeln zu. „Ein echter Kerl, was? Hast genug Selbstvertrauen, um Mädchenkaffee zu trinken? Ich bin echt beeindruckt.“

„Mädchenkaffee? Wow, danke für die Blumen, Molly.“

„Ich sagte doch, dass ich beeindruckt bin!“

„Klar.“

Sie reichte ihm eine Tasse, dann lehnte sie sich mit ihrem Becher zwischen den Händen gegen die Anrichte. Ben bemerkte, dass sie ihn gründlich musterte und bei seiner Brust und seinen Lippen etwas länger verweilte. Noch viel mehr bemerkte er aber ihre Oberschenkel, goldgebräunt, rund und absolut verbotenes Terrain, und was zur Hölle machte er hier überhaupt noch?

Er schloss die Augen und hob die Tasse an den Mund.

„Also“, sagte sie. „Wegen dieser Nacht …“

Kochend heißer Kaffee schoss in seine Luftröhre. Ben hustete und gab sich redlich Mühe, nicht zu ersticken. Dann sah er Molly an, die sich vor Lachen schüttelte.

„Geht es dir gut?“, japste sie.

„Das hast du mit Absicht gemacht.“

„Was?“ 

Mit einem Knall stellte Ben die Tasse ab. „Ich geh dann besser mal.“

„Ben, es ist zehn Jahre her. Eigentlich wollte ich mich nur entschuldigen. Ich hätte damals nicht einfach so reinplatzen dürfen. Und ich hätte ganz sicher nicht zuschauen sollen.“

Er war gerade dabei gewesen, sich abzuwenden, doch jetzt erstarrte er mitten in der Bewegung. Seine Muskeln versagten ihm einfach den Dienst, und ein warmes Prickeln breitete sich auf seiner Haut aus. Sein Magen drehte sich fast um vor Entsetzen. „Wie bitte?“

„Ich wusste ja nicht, dass du … ähm … nicht alleine warst. Und dann war ich einfach …“

„Wie meinst du das: Du hast zugeschaut?!“

„Oh, na ja …“

„Nein. Nein, nein! Das kann nicht sein! Ich habe aufgesehen, und dann hast du da im Türrahmen gestanden. Du warst gerade erst reingekommen!“

„Ähm, also, es könnte sein, dass ich schon ein paar kleine Sekunden da gestanden habe, bevor du mich bemerkt hast. Du warst ein bisschen abgelenkt von dieser Blondine. Sie hatte gerade …“

„Ich weiß ganz genau, was sie gemacht hat! Mann, Molly!“

„Richtig. Wie auch immer … Ich wollte einfach nur sagen, dass es mir leidtut, falls ich dich in eine unangenehme Situation gebracht habe.“

Unangenehm? Demütigende Höllenqual traf es da schon eher. Tiefste Kränkung. Anlass für nagende, quälende Gewissensbisse. Das Wissen, dass er ein junges Mädchen verdorben hatte. Der tiefe Schrecken in ihren Augen, als Ben aufgeblickt und sie dort mit vor den Mund gepressten Händen hatte stehen sehen. Der endlose Augenblick, in dem er einfach nicht hatte reagieren können, und wie er dann versucht hatte, „die Blondine“, wie Molly sie nannte, von ihren eifrigen Bemühungen abzuhalten. Danach hatte es zwei Jahre gedauert, bis er wieder einen Blowjob richtig genießen konnte.

Und jetzt gestand ihm Molly, dass sie da schon eine Weile gestanden hatte, und zwar … wie lang noch mal?

„Oh Gott.“ Er drückte sich eine nassgeschwitzte Hand gegen die Stirn. „Du warst doch noch ein Kind!“

„Äh … na ja, nicht wirklich. Ich habe in dieser Nacht meine Jungfräulichkeit verloren, und eine Woche später bin ich achtzehn geworden. Und dann kam ja auch schon das College.“

„Hör auf!“ Ben hielt sich die Ohren zu. „Oh! Mein! Gott!“

Ihr gedämpftes Lachen hallte wie ein Echo durch seinen Kopf. „Ben, was ist denn los mit dir?“

Plötzlich hatte er ein glasklares Bild von sich selbst vor Augen, wie er da in Molly Jennings’ Küche stand, sich die Ohren zuhielt und krampfhaft die Augen zupresste. Mühsam zwang er seinen Herzschlag in langsamere Bahnen und ließ die Hände sinken. Ein bisschen Würde, Chief!

Lange, sehr lange, atmete er ganz ruhig durch. Dann sagte er: „Du warst für mich wie eine kleine Schwester! Ich fand das Ganze ziemlich verstörend.“

„Oh, verstört hat es mich auch. Aber falls du dich damit besser fühlst …“ Sie beugte sich näher zu ihm, als wollte sie ihm ein Geheimnis verraten. Ihr einer Mundwinkel wanderte nach oben. „Für mich warst du nie so etwas wie ein Bruder, Ben Lawson.“

„Ich …“

Jetzt kam sie noch näher. Ihre weichen Lippen waren nur noch Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Ben konnte Kaffee riechen und irgendetwas Sauberes, Süßes. Shampoo oder Lotion oder irgendein anderes Frauenzeug. Ihre Lippen liefen dunkelrosa an und zogen Bens Blick an wie ein Magnet.

„Und nach dieser Nacht waren meine Gefühle für dich noch viel weniger geschwisterlich.“

„Molly …“ Großer Gott. „Ich vermute mal, du bleibst nicht nur den Winter über, oder?“

Stirnrunzelnd wich sie zurück. „Nein, warum fragst du?“

„Einfach nur so. Ich muss jetzt los. Besorg dir ein anständiges Auto und überprüf den Rauchanzug, wenn du den Kamin anmachst. Pass auf dich auf.“

„Danke, Officer!“, rief sie ihm hinterher, während er auf die Haustür zuraste.

Kaum war er draußen, katapultierte ihn die kalte Luft wieder in die Realität zurück. Ben knallte die Tür hinter sich zu und zwang sich zur Ruhe, rollte mit den Schultern und lockerte seine Kiefermuskeln.

Ja, aus Molly war eine verdammt heiße Frau geworden. Aber trotzdem war sie verbotenes Terrain. Nichts hatte sich verändert. Nada. Niente.

Er war fast schon bei seinem Truck, als ein weißer Pick-up um die Ecke bog. Der Wagen wurde langsamer und rollte wie in Zeitlupe an Bens Auto vorbei. Durch die Windschutzscheibe konnte Ben das gaffende, zerknitterte Gesicht von Miles Webster erkennen, dem Herausgeber der zweimal wöchentlich erscheinenden lokalen Zeitung.

„Verdammt“, flüsterte Ben.

Er sah Miles in die Augen und versuchte dabei, weder ängstlich noch schuldbewusst zu wirken. Du kannst mir gar nix, alter Mann, versuchte er mit seinem Blick zu sagen. Dann konzentrierte sich Miles wieder auf die Straße, guckte vorher aber noch schnell zu Mollys Haus hinüber.

Und da stand sie. Winkend, umrahmt von der Tür. Ihre bloßen Beine reflektierten die ersten Strahlen der Morgensonne.

„Oh, Scheiße!“, stöhnte Ben.

Miles warf ihm noch ein schlaues Grinsen zu, dann verschwand er, gefolgt von einer Wolke aus Dieselabgasen.

Zweiunddreißig Jahre lang war es Ben gelungen, nicht in der Klatschspalte der Zeitung aufzutauchen. Kommenden Donnerstag würde sich das ändern.

Und wenn es irgendetwas gab, das er mehr hasste als Geheimnisse, dann waren es Skandale.

Mollys Computer schien förmlich zu schnurren, als sie sich an diesem Morgen an die Arbeit machte. Oder ging dieses kaum spürbare Surren von ihrem Körper aus? Ja, sie hatte ihren Schwung wieder, und sie konnte fühlen, dass sie förmlich vibrierte vor Ideen. Oh, genau …!

Plötzlich wusste sie, wie ihre nächste Story aussehen würde. Monatelang hatte sie nicht den leisesten Anflug von einer Idee gehabt, aber jetzt war alles da.

Ein ernster Cowboy mit markanten Zügen. Nein, warte. Ein Sheriff. Aber keiner aus einer Stadt in den Bergen. Diesen Fehler hatte sie schon einmal gemacht. Natürlich würde sie Ben Lawson wieder benutzen, aber diesmal nur als Inspirationsquelle, nicht als einen Mann aus Fleisch und Blut, den sie eins zu eins auf Papier bannte.

Ihre erste Geschichte, die, wegen der sie zum Star geworden war, die, die sich immer noch besser verkaufte als jedes andere Buch, das sie seitdem geschrieben hatte – sie war viel näher an der Realität gewesen, als gut war. Molly hatte über Ben geschrieben, über diese Nacht. Sie hatte ihren Helden sogar zum besten Freund des älteren Bruders ihrer Heldin gemacht. In einer Kleinstadt in Colorado. Und wenig später war ihr erster Versuch in erotischer Literatur verkauft, verlegt und von Tausenden von Leuten gelesen worden. Und dabei war die Geschichte doch eigentlich viel zu persönlich! Wirklich, sie konnte keinem erzählen, was sie da angerichtet hatte!

Ihr großes Geheimnis war nur durch einen Zufall zustande gekommen. Aber trotzdem war es das Beste, was ihr jemals passiert war. Sie liebte ihren Beruf, verdiente ziemlich anständig und konnte ihr sonst relativ langweiliges Leben mit einer Prise Rätselhaftigkeit würzen. Und jetzt hatte sie auch noch ihre Muse zurückbekommen.

Ihr erstes Buch war ihr bislang bestes gewesen, aber es überkam sie da so ein Gefühl, dass dieses hier sogar noch heißer werden könnte. Schließlich war sie älter und weiser und hatte mittlerweile eine ganze Menge Ideen, was man mit einem gewissen Polizeichef mit markanten Gesichtszügen so alles anstellen konnte.

„Sheriff“, korrigierte sie sich. „Ein Sheriff in einer Wild-West-Stadt mit dunkelbraunen Augen und einem Herz aus Stahl. Und vielleicht ein paar versauten Vorlieben, die die gottesfürchtigen Damen aus seinem County nicht befriedigen können.“

Molly kicherte vor schuldbewusster Freude. Oh ja. Der Sheriff ist ein einsamer Mann, bis eines Tages eine mysteriöse Witwe in sein Nachbarhaus einzieht. Eine Witwe, die nachts vergisst, ihre Vorhänge zu schließen, obwohl die Lichter noch an sind. Selbst ein Engel würde der Versuchung nicht widerstehen können, sich die Vorführung anzusehen. Und der Sheriff ist alles andere als ein Engel. Aber unsittliche Entblößung ist ein Verbrechen, und der Gesetzeshüter ist wild entschlossen, die Witwe für ihre Untaten bezahlen zu lassen. Mit seiner ganz eigenen Art von Züchtigung.

Molly stellte sich Ben vor, wie er in aufgeknöpften Jeans vor ihr stand. Seinen schwarzen Cowboyhut hatte er sich tief über die Augen gezogen. Ansonsten trug er – nichts.

„Das“, murmelte Molly, während sie die ersten Wörter tippte, „wird echt gut.“

3. KAPITEL

Stripperin.

Ben schrieb das Wort mit schwarzer Tinte in sein Notizbuch und setzte eine feine Linie darunter.

Dann strich er es wieder durch.

Das konnte einfach nicht stimmen. Sie hatte zwar auf dem College einen mysteriösen Nebenjob ergriffen, und es gab nicht wenige brave, kluge Collegestudentinnen, die sich mit Tanzen ein bisschen Geld dazuverdienten. Aber trotzdem ergab das keinen Sinn. Hier oben gab es doch überhaupt keine Striplokale. Was auch immer Molly machte, sie musste ihre Arbeit auch von zu Hause aus erledigen können. Denn beim Strippen verdiente man zwar sicher nicht schlecht, aber sie konnte nicht genug zusammengespart haben, um sich jetzt schon zur Ruhe zu setzen.

Außer sie war einer von den Bühnenstars, die durchs Land zogen und gegen große Summen in den besten Klubs tanzten. Vielleicht hätte er diese Möglichkeit doch nicht so schnell ausschließen sollen.

Vielleicht hatte er aber auch schon viel zu viele Fernsehserien auf HBO gesehen.

Ben warf seinen Stift auf die dünne Zeitung, die offen auf seinem Tisch lag, und wandte sich wieder dem Computer zu, um Molly ein letztes Mal zu googeln. In der aktuellen Ausgabe dieses Schmierblatts stand Mollys Name schwarz auf weiß direkt neben seinem. Er musste unbedingt ihr Geheimnis lüften, ehe Miles Webster es tat.

Der gute alte Miles hatte schon Bens Highschool-Jahre ruiniert, da musste er ihn nicht auch noch als Erwachsenen in den Dreck ziehen. Na ja, genau genommen hatte Bens Vater ihm damals alles verdorben. Aber Miles Webster hatte mit Freuden ein Vergrößerungsglas über jeden einzelnen schmerzhaften Moment gehalten und die ganze Stadt daran teilhaben lassen. Er hatte über den gesamten Skandal berichtet, bis auch jedes noch so kleine Detail – egal ob es nun wahr war oder nicht – bekannt war.

Ben hatte Miles jahrelang dafür gehasst, vielleicht weil es ihm so schwergefallen war, den eigenen Vater zu hassen. Unmöglich war es allerdings nicht gewesen. Jedenfalls nicht für einen Teenager.

Eigentlich war er davon ausgegangen, dass er mittlerweile seinen Frieden mit der Vergangenheit gemacht hätte, aber als er jetzt seinen Namen in Miles’ Klatschspalte sah, kochte sein Zorn wieder hoch.

Der Aufgabenbereich unseres engagierten Chief Lawson hat sich diese Woche um einen neuen Punkt erweitert. Denn unser Polizeioberhaupt hat das Willkommenskomitee für Tumble Creeks neueste Bürgerin gespielt, die er in den frühen Morgenstunden besuchte, um ihr ebenso freundlich wie gründlich Hallo zu sagen. Und um wen handelt es sich bei dieser neuen Anwohnerin? Um niemand anderen als unsere Molly Jennings, die in ihre Heimatstadt zurückgekehrt ist, wo sie mit offenen Armen empfangen wird. Lesen Sie in der nächsten Ausgabe, was Molly in den letzten zehn Jahren alles getrieben hat!

Oh Mann. Miles wäre im siebten Himmel, wenn er wüsste, worin das große Geheimnis bestand, das Molly aus ihrem Job machte.

Was für ein verdammtes Fiasko. Ben würde einen riesigen Bogen um Molly machen müssen, wenigstens bis er ihr Geheimnis gelüftet hatte. Was, wenn sie eine Prostituierte war?

„Du bist doch verrückt geworden“, brummelte er mürrisch. Er würde einfach nicht zulassen, dass Miles ihn wieder in den Wahnsinn trieb. Schließlich war er jetzt erwachsen und kein unglücklicher Teenager mehr.

„Ben?“, fragte Brenda, die in der Tür lehnte. „Du lässt dich von diesem Bericht doch nicht etwa durcheinanderbringen, oder?“

„Nein.“ Ben schloss hastig das Google-Fenster und öffnete den Bericht, an dem er eigentlich arbeiten sollte.

„Er hat kein Recht, über dich zu tratschen, wo du doch einfach nur deine Arbeit erledigst.“

„Alles okay, Brenda. Ich habe einfach nur einem Freund einen Gefallen getan. Keine große Sache.“

Sie nickte, aber ihr Blick war so finster, dass ihre wuchernden Augenbrauen förmlich aneinanderklebten. „Und wie macht sich Molly Jennings so?“

„Gut.“

„Ich schätze, sie …“ Brenda trommelte mit ihren Fingernägeln gegen den Türrahmen und zuckte mit den Achseln. „Sie muss sich ziemlich verändert haben, schließlich hat sie ziemlich lange in Denver gelebt!“

Verändert? Ben warf seinem Computer einen düsteren Blick zu. Oh ja, das konnte man allerdings sagen.

„Ben?“

„Was?“ Er warf Brenda gerade noch rechtzeitig einen Blick zu, um mitzubekommen, wie sie sich kopfschüttelnd in Richtung ihres Schreibtisches am Haupteingang verkrümelte.

Angewidert von sich selbst zwang Ben sich dazu, seinen Montagspflichten nachzugehen. Er las den fast fertigen Bericht noch einmal durch, dann sendete er ihn an das Büro des Sheriffs von Creek County. Ben und Sheriff McTeague hielten sich gegenseitig regelmäßig auf dem Laufenden, damit der Bezirks-Sheriff keine Zeit damit verschwenden musste, in Bens Gebiet zu patrouillieren. Wenn Ben die Hilfe von McTeague brauchte, zum Beispiel in Form einer Rettungsausrüstung oder eines Suchtrupps, dann meldete er sich, und der Sheriff kam seinen Anfragen immer gerne entgegen.

Ein paar Minuten später trudelte McTeagues Bericht ein, den Ben eine halbe Stunde später sorgfältig gelesen hatte. Nichts Ungewöhnliches war vorgefallen, nur ein paar Unfälle, ein toter Elch mitten auf dem Highway, zwei Fälle von Trunkenheit am Steuer und ein paar häusliche Zwischenfälle.

Ben prägte sich die Namen der jeweils Beteiligten ein, druckte das Dokument aus und legte es ab. Fertig.

Auf dem Bildschirm blinkte eine Wetterwarnung auf, die Ben kurz überflog. Dann seufzte er erleichtert auf. Der erste große Schneesturm des Winters nahte, aber es sah so aus, als würde er Tumble Creek nur streifen. Zum Glück, denn wahrscheinlich würde er genau auf Halloween fallen. Die armen Kinder hier in der Gegend hatten schon genug mit den steilen Straßen, den abschüssigen Vorgärten und den brüchigen, vereisten Treppen zu tun. Und die Teenies würden ihre unausweichliche Party feiern – dieselbe, die seit vierzig Jahren von jeder Generation in dieser Stadt gefeiert wurde –, und Ben wollte nicht, dass sie durch den Schneesturm nach Hause fahren mussten.

Mit einem zögerlichen Lächeln dachte Ben an das Kostümfest zurück, auf dem er mit sechzehn gewesen war. Das letzte, das sie in einer der alten Minen hatten feiern können. Verdammt, das war echt ein Wahnsinnsknaller gewesen, komplett mit Strip-Poker und geschmuggeltem Tequila. Und er war verdammt froh, dass es die letzte Party ihrer Art gewesen war. Als Jugendlicher hatte er die Vorstellung einer Party in einer stillgelegten Silbermine extrem aufregend gefunden, aber heute machte er sich bei dem bloßen Gedanken daran fast in die Hose vor Angst.

Ben nahm sich vor, in den nächsten vier Tagen irgendwann zu den Minen rauszufahren und die Vorhängeschlösser an den Toren zu überprüfen. Wenn irgendein besoffener Teenie in einen Minenschacht fiel, würde ihn das sein Leben lang verfolgen.

„Ich geh dann mal in die Mittagspause“, unterbrach Brenda seine Gedanken.

„Ich begleite dich vor die Tür. Ist Zeit für meine Patrouille.“ Er griff nach seinem Hut und, nach einem Blick aus seinem kleinen Bürofenster, auch nach seiner gefütterten Uniformjacke. Schnee hin oder her, an der Kaltfront kam keiner in Tumble Creek vorbei. „Hast du in letzter Zeit irgendwas wegen der Minen gehört? Ich dachte, ich überprüfe vor Halloween besser noch mal die Tore. Erinnerst du dich noch an unsere letzte große Feier, als wir jung waren?“

Brenda verzog die Lippen zu einem Lächeln, was ausgesprochen selten vorkam. Ihre hellblauen Augen begannen zu funkeln. „Ich weiß ja nicht, woran du dich erinnerst, aber meine Nacht hat damit geendet, dass mir Jess Germaine auf meine nagelneuen Stiefel gekotzt hat.“

„Stimmt! Ich musste euch beide heimfahren und danach den Truck von meinem Vater putzen.“

„Du warst eben immer schon ein Gentleman.“

Ben öffnete die Eingangstür und bat Brenda zwinkernd hindurch. Lachend ging sie an ihm vorbei, doch als er ihr folgen wollte, prallte er von ihrem Rücken ab.

„Tut mir leid, ist …“

„Hi!“, hörte er Molly sagen, die am Fuß der Treppe stand. Ben stupste Brenda an, damit sie aus der Tür und die drei Stufen zum Gehweg hinunterging. Molly grinste unter ihrer rosafarbenen plüschigen Mütze zu ihnen hoch. Ihr Wollmantel war viel zu damenhaft und viel zu weiß, um praktisch zu sein, aber wenigstens wirkte er warm.

„Hey, Süßer“, sagte sie zu Ben. „Hast du schon gehört? Wir sind das Paar der Woche! Du gehst ganz schön schnell ran, das muss ich schon sagen.“

Die letzte Stufe wäre Ben fast heruntergefallen. Nur mit Müh und Not erreichte er wohlbehalten den sicheren Fußweg. Der verdammte Beton musste im Sommer Risse bekommen haben.

„Das ist überhaupt nicht witzig“, bemerkte Brenda spitz. „Chief Lawson hasst Klatsch.“

„Oh, dann … Oh.“ Molly verzog das Gesicht. „Das hatte ich ja total vergessen! Tut mir leid.“

Ben schüttelte den Kopf. „Schon okay. Brenda, wir sehen uns dann, wenn ich wieder da bin.“

Die Sekretärin eilte davon, warf Molly aber noch mehrere böse Blicke zu.

Mit gerunzelter Stirn sah Molly ihr hinterher. „Brenda? Oh Gott, ist das etwa Brenda White? Sie sieht genauso aus wie ihre … Ach, ist ja auch egal. War sie nicht in deiner Klasse?“

„Ja.“ Besorgt suchte Ben die Straßen ab nach einem Zeichen von Miles’ altem Pick-up.

„Ben, es tut mir echt leid. Ich hatte das mit deinem Dad total vergessen. Ich wollte dich nicht in Miles’ Klatschspalte manövrieren.“

„Ist ja nicht deine Schuld.“ Na toll, jetzt hatte sie schon Mitleid mit ihm! „Wirklich, das ist kein Problem. Ist ja auch schon ewig her.“

Ihre Miene hellte sich auf, ihre Augen begannen zu funkeln, und wieder einmal war Ben erstaunt, wie sehr sie sich verändert hatte. Sie war nicht mehr unsicher und schüchtern wie früher, sondern strotzte nur so vor Selbstvertrauen.

Ihr Haar hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, der sich an ihren langen Hals schmiegte. Die Haut dort sah weich aus … sehr weich.

„Also“, sagte sie. „Eigentlich bin ich ja nur gekommen, um dich mit der Zeitung aufzuziehen, aber jetzt würde ich doch gerne die Station sehen.“ Sie spähte an ihm vorbei durch die gläserne Doppeltür.

„Es sieht genauso aus wie vor zehn Jahren.“

„Ich weiß ja nicht, wie du deine Jugend verbrachst hast, Ben, aber ich für meinen Teil habe noch nie im Leben eine Polizeiwache von innen gesehen. Ich war ein braves Mädchen.“

Gott, konnte sie nicht endlich damit aufhören? Diesmal gelang es ihm wenigstens, zu verhindern, dass er rot wurde. Es schien Molly richtig Spaß zu machen, ihn zu blamieren.

Ben wollte ihr gerade erklären, dass er aufbrechen musste und keine Zeit für eine Führung hatte, als er bemerkte, dass ihre Nase langsam die gleiche Färbung annahm wie ihre Mütze. Molly rieb die Hände aneinander und blies auf ihre bläulichen Finger.

„Okay, komm rein.“ Er winkte sie durch die Tür und folgte ihr. Oh ja, ihr Hintern sah wirklich unglaublich knackig aus in den engen Jeans. Rund und fest, wie zwei kleine …

„Verbotenes Terrain“, flüsterte er. Als Molly sich umdrehte, winkte er nur ab.

Ben bedachte sie mit einem Stirnrunzeln. Ganz offensichtlich ging es ihm nicht sonderlich gut, und Molly fühlte sich irgendwie schuldig.

Die Geschichte mit seinem Vater hatte sie vollkommen vergessen. Sie war damals ja erst zwölf gewesen und hatte gar nicht richtig begriffen, was es bedeutete, dass Mr Lawson eine Affäre mit einem Teenager hatte. Mr Lawson, der Direktor der Highschool, hatte eine Affäre mit einer Schülerin gehabt! Was für ein Albtraum.

Ben zeigte auf den riesigen Empfangstisch. „Im Sommer ist die Station rund um die Uhr besetzt. Aber im Winter sind ja keine Touristen in der Stadt. Und die Einheimischen wissen immer, wo sie Brenda finden.“

„Arbeitet sie im Winter dann nur halbtags?“

„Nein, im Sommer bekommen wir Verstärkung von einer Bürokraft aus Aspen. Funktioniert super, weil dort ja während des Winters Hochsaison ist. Und wenn der Pass im Frühling wieder offen ist, pendelt sie ein paar Monate lang nach Tumble Creek.“

„Quinn hat erzählt, dass hier mittlerweile einiges mehr los ist als früher.“

Ben nickte. „Ja, die Mountainbiker rennen uns die Türen ein, und die Raftingtouren laufen auch immer besser. Gibt schönere Arten, sich den Hals zu brechen, finde ich.“

„Der Logikprofessor, wie er leibt und lebt.“

„Mann, so hat mich niemand mehr genannt, seit deine Eltern weggezogen sind.“ Er führte sie in den hinteren Teil der Station und erklärte knapp den Aufbau der Räumlichkeiten. „Mein Büro.“ Er wies in ein kleines, karg eingerichtetes Zimmer, in dem ein erstaunlich ordentlicher Schreibtisch stand. „Und die anderen Büros.“ In den etwas größeren Raum waren drei Schreibtische gequetscht. „Und hier haben wir den Haftraum.“

„Wow, das ist euer Gefängnis?“ Staunend ging sie auf die schwere Metalltür zu und warf einen Blick durch die dicke Scheibe aus Sicherheitsglas. Nichts Interessantes befand sich darin, nur eine Toilette, ein Waschbecken und eine Liege.

„Wie gesagt, es ist nur ein Haftraum. Wenn wir jemanden unter Arrest stellen, wird er ins County-Gefängnis überstellt.“

„Und wofür ist das hier dann?“

„Für kleinere Vergehen.“

Als sie ihm einen Blick zuwarf, bemerkte sie, dass er sie genau beobachtete.

Er hob eine Braue. „Zum Beispiel für junge Damen, die verschneite Straßen mit ihren winzigen nutzlosen, liegen gebliebenen Autos blockieren, obwohl sie von der Polizei gewarnt worden sind.“

„Ha!“ Sie fuhr herum und ging ein paar Schritte auf ihn zu. Erfreut registrierte sie, dass er vor ihr zurückwich, bis er gegen die Wand stieß. „Mit dem Mini bin ich so wendig wie ein Hase. Du wirst schon noch sehen.“

„Ich habe Erfahrung mit …“

„Oh, ich weiß, dass Sie Erfahrung haben, Chief. Aber ich bin auch keine Anfängerin mehr“, unterbrach sie ihn mit verführerischer Stimme.

Ben räusperte sich, stieß sich von der Wand ab und ging zurück in den Empfangsbereich. Leider verdeckte seine lange Jacke den Großteil seines Hinterns, aber wenigstens konnte Molly die Bewegungen seiner muskulösen Oberschenkel und die verlockende Aussicht auf seinen Nacken, der zwischen Hut und Kragen hervorlugte, genießen. „Danke, dass du den Cowboyhut für mich aufgesetzt hast, Ben.“

Der Nacken lief rot an. „Der gehört zu meiner Uniform, Molly.“

Gerade noch war sie ziemlich sicher gewesen, dass er sich mehr als nur ein bisschen für sie interessierte. Aber plötzlich befürchtete sie, dass er einfach nur deswegen ständig errötete, weil sie ihm so auf die Nerven ging. Ben war immer schon eher ruhig, fast schüchtern gewesen. Es dauerte lange, bis er auftaute und locker wurde. Entsprechend war es nicht gerade einfach, sein Verhalten zu deuten.

Molly beschloss es auf die direkte Art zu versuchen. „Mein Bruder sagt, dass du Single bist.“

Ben hielt so abrupt vor ihr inne, dass Molly die Hände ausstreckte, um nicht mit voller Wucht gegen ihn zu prallen. Ihre Hand stieß gegen seinen stahlharten Rücken. Als Ben sich umdrehte, spürte sie selbst durch die schwere Jacke, wie sich seine Muskeln bewegten. Ihr Arm wurde durch seine Drehung mitgerissen und lag jetzt plötzlich um seine Taille. Ihre Hüften berührten sich, und sogar Molly war verblüfft, wie schnell das alles gegangen war.

Ben warf einen strengen Blick auf ihren Arm, bis sie ihn senkte.

„Unfall, tut mir leid. Ich schwöre, dass ich kein Flittchen bin.“ Das Wort „Flittchen“ fand Molly so ulkig, dass sie prustend lachte, womit sie Ben immerhin so sehr amüsierte, dass seine Mundwinkel ein bisschen zuckten.

„Schau mal, Molly. Ich finde dich wirklich süß. Und ja, ich bin Single. Aber Tumble Creek ist winzig, und mir wird das alles jetzt schon zu kompliziert.“

„Zu kompliziert? Echt wahr? Du meine Güte, du sprühst ja förmlich vor Temperament, Professor.“

„Ach komm schon. Du weißt doch, wie das ist.“

„Ich will doch einfach nur ein ganz unverfängliches Date. Ein Date! Ich schwöre, dass ich nicht plane, dich in Tante Gerties Keller anzuketten.“

„Ich gehe nicht mit Frauen aus Tumble Creek aus.“

„Ist das dein Ernst?“ Ja, vermutlich war es das. Er war immer schon geradezu zwanghaft vernünftig gewesen. „Komm schon, Ben, das ist doch wirklich albern.“

„Ich … ich denke, es ist besser so.“

„Das bezweifle ich.“ Sie streifte ihn im Vorbeigehen und atmete dabei tief seinen Duft ein. Mmh. Er roch nach kalter Luft und tiefen Wäldern. Als er an ihr vorbeilangte, um ihr die Tür aufzuhalten, streifte seine Brust ihren Rücken. Sehr schön. So schnell würde sie nicht aufgeben.

Grinsend lief sie die unebenen Stufen hinunter und blieb abwartend stehen. „Daran ist überhaupt nichts kompliziert“, rief sie ihm zu. „Ich versichere dir, dass ich ein ganz, ganz unkompliziertes Mädchen bin.“

Er wirkte nicht gerade so, als ob er ihr glaubte. Vermutlich half es auch nicht unbedingt weiter, dass ein Mann auf der anderen Straßenseite anfing, nach Molly zu rufen. Bitte, bitte, sei keiner von Camerons Jungs! betete sie in Gedanken, während sie sich umdrehte.

„Molly Jennings, sind Sie das? Ich wollte gerade rüber zu Ihrem Haus fahren!“ Mr Randolph sprang aus seinem Wagen und lief zum Kofferraum.

„Hi, Mr Randolph.“

Er tauchte in den Kofferraum ab und erschien Sekunden später mit einem riesigen Strauß Rosen wieder an der Oberfläche. „Die sind für Sie.“

„Oh Grundgütiger“, stöhnte Molly, zwang sich aber zu einem Lächeln.

Die Blumen hüpften in seinem Arm hin und her, als er über die Straße gerannt kam. „Zwei Dutzend Rosen. Diesem jungen Mann müssen Sie es ja sehr angetan haben.“ Mr Randolph suchte nach der Fleurop-Karte. „Warte mal, ein Devlin oder Evan oder so ähnlich.“ Jetzt tastete er seine Taschen nach seiner Lesebrille ab.

„Devon“, seufzte Molly und streckte schicksalsergeben die Hände nach den Rosen aus. Als sie Bens Grinsen bemerkte, warf sie ihm einen drohenden Blick zu.

„Ein ganz unkompliziertes Mädchen, ja?“, murmelte er. „Das zwei Dutzend Rosen von einem ‚guten Bekannten‘ aus Denver bekommt.“

„Er ist wirklich nur ein Bekannter. Aus Denver.“

Mr Randolph brach in wieherndes Gelächter aus, womit er es Mollys bescheidener Meinung nach heillos übertrieb. „Ein Bekannter! Ha! Die hier sind richtig langstielig! Vierzig Dollar das Dutzend! Was haben Sie denn so getrieben in Denver, Miss Jennings?“

„Nichts.“

„Sind Sie eine von diesen reichen Geschäftsfrauen geworden?“

„Nein.“ Eigentlich wollte sie es dabei belassen, aber Mr Randolph blieb wie angewurzelt stehen und starrte sie aus wässrig blauen Augen unverwandt an. Molly seufzte. Diese Situation war nichts Neues für sie, und sie hatte immer eine Ausrede parat. „Ich erledige heikle Aufgaben für einen Technologiekonzern. Nichts Spannendes, aber vertraulich.“

„Dann sind Sie also eine Techniknärrin, ja? Also, Glückwunsch zu den Blumen. Wir sehen uns! Und schön, dass Sie zurück sind!“

„Danke, Mr Randolph.“

Sie beobachtete, wie der ältere Herr in seinem Blumenladen, in dem auch Geschenke und alles für den Anglerbedarf zu haben war, auf der gegenüberliegenden Straßenseite verschwand. Als es wirklich absolut gar nichts mehr zu sehen gab, musste sie sich zwangsläufig wieder zu Ben umdrehen, dessen Blick die ganze Zeit über in ihrem Nacken brannte.

„Also arbeitest du für einen Technologiekonzern.“

„Nein.“

„Dann bist du eine Lügnerin?“

„Ja. Manchmal kommen die Leute besser mit Lügen zurecht als mit der Wahrheit.“

„Und die Wahrheit wäre?“

„Dass ich mit absolut niemandem über meine Arbeit spreche.“

Er kippelte auf seinen Absätzen herum und musterte Molly dabei lange und misstrauisch von Kopf bis Fuß. „Und warum nicht, Molly?“

„Das geht dich überhaupt nichts an. Außerdem ist es kompliziert, und Komplikationen magst du meines Wissens überhaupt nicht.“

Ihre Worte stimmten Ben nicht gerade freundlicher. Als er dann auch noch die Hände in die Seiten stemmte, konnte Molly seine große Pistole sehen – und zwar nicht die, für die sie sich so brennend interessierte, sondern die echte. Schutzsuchend drückte sie sich die Blumen gegen die Brust.

„Ich werde nicht zulassen, dass hier irgendwas Illegales läuft.“

„Aber ich …“

„War das deutlich?“

„Jetzt mach mal halblang, Ben.“ Frustriert winkte sie ihm zu. „Für wen oder was hältst du mich eigentlich?“

Er musterte sie ein letztes Mal von Kopf bis Fuß, was ein eigentümliches Kribbeln in Mollys Magengegend auslöste. „Ich habe keinen blassen Schimmer mehr.“

„Ich bin einfach nur Molly Jennings, eine erwachsene Frau. Und, das hoffe ich jedenfalls, eine verdammt charmante.“

„Wundert es dich wirklich, dass ich den Freuden eines geheimen Doppellebens nichts abgewinnen kann? Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht mit einer Frau ausgehen, die so viele Geheimnisse hat.“

„Willst du denn?“

Seine Antwort beschränkte sich auf ein düsteres Stirnrunzeln, also gab sich Molly geschlagen. „Okay, dann mach ich mich mal auf die Socken. Mach’s gut.“ Aber ein paar Meter weiter konnte sie sich einen letzten Versuch doch nicht verkneifen. „Ich bin heute Abend in der Bar!“, rief sie Ben im Gehen zu. „Vielleicht sehen wir uns ja dort!“

Eine eiskalte Windbö erstickte seine Antwort. Falls er überhaupt eine gegeben hatte.

Der Windstoß trug den Duft von Schnee und Kiefernwäldern und gelb verfärbten Espenblättern mit sich. Molly musste trotz Ben Lawson und seinem albernen Verhalten lächeln. Der Herbst war immer schon ihre Lieblingsjahreszeit gewesen, und es gab nichts Schöneres als einen Herbst in den Bergen. Trockene Blätter wirbelten durch die enge Gasse und wisperten über den Asphalt. An blattlosen Büschen hingen dicke Trauben dunkelroter Beeren, die im Wind hin und her schaukelten. Auf dem steilen Hang über der Stadt leuchteten die gelben Blätter der Laubbäume zwischen dem satten Dunkelgrün der Kiefern hervor.

Sie konnte kaum glauben, dass es schon zehn Jahre her war, seit sie das letzte Mal in der Stadt gewesen war. Aber als sie zum College aufgebrochen war – und nachdem sie sich die drei letzten Sommerwochen über vor Ben versteckt hatte –, verkauften ihre Eltern ihre Fachhandlung für Tierfutter, packten ihre Sachen zusammen und zogen nach St. George, Utah („Da ist es genauso wie in Santa Fe, nur nicht so überfüllt und versnobt.“).

Ihr Bruder lebte seitdem fast die ganze Zeit über in Aspen. Sie hatte ihn zwar hin und wieder besucht, aber ansonsten … war Denver ihre Welt gewesen.

Doch jetzt war Tumble Creek wieder ihr Zuhause, und wenn Ben Lawson nichts mit ihr zu tun haben wollte, dann war es eben so. Sie hatten keine gemeinsame Vorgeschichte, und verliebt war Molly ganz sicher nicht. Na gut, vielleicht war sie ein paar Jahre lang in ihn verknallt gewesen. Und möglicherweise hatte sie in den letzten Jahren sehr oft von seinem muskulösen Körper und seinen großen, erfahrenen Händen geträumt. Aber damit würde sie jetzt auf dieselbe Weise fertigwerden wie sonst auch.

Molly legte einen Zahn zu und eilte nach Hause.

Ihr Schlafzimmer war in Dämmerlicht getaucht. Ben wartete im Türrahmen darauf, dass sie ihm ein Zeichen gab. Aber Molly hielt ihn hin. Sie wollte ihn erst in Ruhe ansehen, seinen Körper nur mit den Augen erkunden. Und was für ein Körper …

Seine breiten Schultern gingen in kräftige Arme über, die aussahen wie aus Stein gemeißelt. Dunkles Haar bedeckte seine Brust und schlängelte sich in einer schmalen Linie seinen muskulösen Bauch hinab. Oh, wie sehr sie sich darauf freute, die gebräunte Haut über diesem gestählten Waschbrettbauch zu berühren! Sie wollte fühlen, wie diese festen Muskeln unter ihren Fingerspitzen erzitterten.

Sein Schwanz wurde härter, während sie ihn musterte, und die Gedanken an sein Sixpack verblassten. Er war lang und dick, und die Haut dehnte sich, bis sie wie Seide schimmerte.

Molly verspürte den Drang, etwas Unanständiges zu tun, und ließ ihre Hand über ihre Hüften in ihren feuchten Slip gleiten. Ein Stöhnen drang aus ihrer Kehle, als sie sich vorstellte, wie Ben sie beobachtete, wie er dabei immer härter wurde, bis sein Schwanz vor Begehren pulsierte. Ihr Verlangen war von einer verzweifelten Heftigkeit. Sie wollte, dass er ihr zusah, bis er die Kontrolle verlor und sie nahm, besinnungslos, stürmisch und hart.

Mit ihrer freien Hand tastete Molly nach dem Knauf der Nachttischschublade.

„Oh“, flüsterte sie, als sie spürte, wie heiß und erregt sie in ihrem rosafarbenen Slip geworden war. Gott, sie wollte ihn dort spüren, wollte, dass er in sie glitt und sie ausfüllte, bis sie nach mehr bettelte, oder um Gnade, oder einfach um alles, was er ihr geben wollte.

Sie schloss die Hand um ihr Lieblingsspielzeug. Mit Ben konnte es natürlich nicht mithalten, aber in den letzten Monaten war es ihr bester Freund gewesen.

Molly zog ihren Slip aus und schob den Schalter hoch. Das vertraute Brummen brachte sie zum Lächeln, und dann brachte es sie dazu, ihren Rücken durchzubiegen und zufrieden aufzustöhnen. „Oh ja! Oh ja, ja, ja!“

Sie gab sich ihrem Vergnügen und ihren Fantasien von Ben ganz und gar hin. Er beobachtete sie mit glühender Wut, weil sie ihn immer noch nicht an sich herangelassen hatte.

Molly streichelte ihre Brustwarzen und stellte sich vor, wie er …

Ein metallisches Kreischen unterbrach ihren Tagtraum und erschreckte sie so sehr, dass sie laut aufschrie. Als sie ruckartig hochfuhr, flog der Vibrator quer durch den Raum. Mit einem dumpfen Aufschlag landete er auf dem Boden und kullerte in eine dunkle Ecke. „Himmel! Was zur …?“

Das uralte Telefon neben dem Bett klingelte wieder und hüpfte dabei fast vom Nachttischchen.

„Oh. Mein. Gott.“ Und sie hatte schon gedacht, sie würde sich mit ihrem defekten Sexspielzeug gleich per Stromschlag töten! Ihr Herz gab sich immer noch alle Mühe, aus ihrer Brust zu springen. Molly presste sich die Hand gegen die schmerzenden Rippen und schnappte nach Luft.

Brrrrring!

Wehe, das war nicht Ben! Vielleicht hatte er ja irgendeine psychosexuelle Verbindung zu ihr aufgebaut. Falls das stimmte, hatte er in den letzten zehn Jahren eine Menge mitgemacht.

Molly schnappte sich den Hörer und versuchte, wenigstens ansatzweise würdevoll zu klingen. „Was?“

„Hallo, meine Schöne!“

Leider wusste sie nur zu genau, wer das war. Cameron, dieser Bastard! „Lass mich in Frieden.“

Molly knallte den Hörer auf und hoffte, dass das blöde Ding dabei kaputtgehen würde. Leider handelte es um gute alte amerikanische Qualität, nicht diesen modernen Pfusch aus China.

Und wieder klingelte es. Und zwar ohrenbetäubend laut. Ihre Tante musste wirklich schwerhörig gewesen sein.

Molly weinte fast vor Frustration, als sie den Hörer abnahm. „Bitte, Cameron, ich flehe dich an, lass mich einfach in Frieden!“ Doch Cameron lachte nur jovial in sich hinein. „Pete hat erzählt, dass du schlechte Laune hast. Ich schätze mal, das Leben in den Bergen ist wirklich nicht das Richtige für dich.“

„Ich komme nicht zurück nach Denver. Fahr zur Hölle.“ Nachdem sie aufgelegt hatte, drehte sie das Telefon um und suchte nach dem Aus-Schalter, aber der war wohl erst irgendwann in den letzten vierzig Jahren erfunden worden. Kurz entschlossen zog sie den Stecker aus der Wand.

Einfach unglaublich. Jetzt ruinierte Cameron Kasten ihr sogar ihr Ein-Frau-Sexleben! Ob er gewusst hatte, dass sie sich gerade selbst befriedigte? Nur zur Sicherheit sah Molly aus dem Fenster. Dann schüttelte sie den Kopf und versuchte, die letzten Überreste des Schocks loszuwerden, der noch immer durch ihren Körper summte.

Ihr Herzschlag beruhigte sich zwar, aber das Summen blieb. Stirnrunzelnd wickelte sie sich in die Bettdecke und sah sich um. Ach richtig. Ihr Spielzeug. Das arme kleine blaue Ding wanderte wackelnd über den Schlafzimmerboden. Der Anblick war so deprimierend, dass Molly schlagartig das ganze Ausmaß ihrer Verzweiflung bewusst wurde.

Sie wollte ihr Lieblingsspielzeug gar nicht mehr. Sie wollte Ben Lawson, aber der wollte sie nicht.

Auf schwachen Beinen schleppte sich Molly in die Zimmerecke und sammelte den Vibrator auf. Dann sah sie ihn einen Moment lang zweifelnd an. Nein, keine Frage: Sie war echt nicht mehr in Stimmung. Seufzend schaltete sie ihn ab und nahm Kurs auf die Dusche.

Zum Glück hatte sie sich noch nicht an die Höhenlage gewöhnt. Heute Abend würde sie nämlich ausgehen und sich einen hinter die Binde kippen, und wehe, die Drinks hauten sie nicht um! Denn mit Sex würde sie sich in der nächsten Zeit ganz sicher nicht ins Delirium versetzen können.

4. KAPITEL

Prostituierte.

Ben zuckte schon beim bloßen Aufschreiben zusammen.

Nein, Molly Jennings war auf keinen Fall eine Nutte. Sie war süß, clever und immer eine gute Schülerin und Tochter gewesen.

Aber andererseits: Wer waren diese ganzen „Bekannten“, die um sie herum auftauchten? Sicher, sie hatte behauptet, nichts Illegales zu tun, aber sie hatte ja schon wegen ganz anderer Dinge gelogen, also warum nicht auch diesmal?

Er warf einen Blick in Richtung Computer und überlegte kurz, einen Backgroundcheck durchlaufen zu lassen. Mit ein paar Klicks konnte er herausfinden, ob sie schon einmal verhaftet worden war. Aber irgendwie fühlte sich das nicht richtig gut an. Schließlich hatte er eigentlich überhaupt keine guten Gründe dafür, in ihrem Privatleben herumzustöbern.

Selbst wenn sie in Denver eine Nutte gewesen war, ging ihn das nichts an. Er würde nicht mit ihr ausgehen, und hier in Tumble Creek würde sie sicherlich nicht versuchen, sich zu prostituieren. Dafür wäre sie nach Aspen gezogen.

„Und außerdem ist sie gar keine Prostituierte“, murmelte er. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass eine Frau mit einer so anziehenden Ausstrahlung so eine Vergangenheit haben konnte. Ihre Zunge war vielleicht ziemlich spitz, aber das war dann auch schon alles Harte an ihr. Molly Jennings war ganz und gar weich und leuchtend hell. Und heiß.

Ben strich das beleidigende Wort von seiner Liste und ließ sich wieder gegen die Stuhllehne fallen. Dann renkte er seinen Nacken ein und strich sich mit der Hand übers Gesicht.

Es war fast sieben. Er war erschöpft und frustriert und nervös. Was er brauchte, war ein verdammter Drink.

Er beugte sich nach rechts und verrenkte sich erneut fast den Hals, um einen Blick auf die Bar zu erhaschen, deren Lichter durch sein Bürofenster schimmerten. Vor langer Zeit hatte der Laden mal einen richtigen Namen gehabt, aber da er das einzige Lokal in Tumble Creek war, sagten die meisten Einheimischen einfach nur „die Bar“ dazu. Sie war ziemlich schäbig und klein, aber sie war auch der einzige Ort in der ganzen Stadt, an dem man einen Drink bekam.

Und sie würde dort sein.

Er konnte dieser Frau ja schließlich sowieso nicht aus dem Weg gehen! In Tumble Creek gab es nur eine Tankstelle, einen Supermarkt, eine Bar. Aber trotzdem war es vermutlich keine sonderlich gute Idee, Molly gleich heute Abend wieder über den Weg zu laufen. Ben hatte sie sich in ihrer plüschigen rosa Mütze, dem weißen Mantel und ihren Absatzstiefeln vorgestellt – anständig und dick vermummt gegen die Kälte. Bis sie den Gürtel des knielangen Mantels geöffnet und Ben ihren Körper in all seiner nackten Pracht präsentiert hatte.

„Mann, ich muss dringend jemanden flachlegen“, stöhnte er und rieb sich erneut übers Gesicht. Leider musste er schon wieder an Molly denken und stellte dabei fest, dass sein Körper bereits eine eindeutige Entscheidung getroffen hatte, wen genau er flachlegen wollte.

Nein, kam gar nicht in die Tüte. Aber ein Drink war ja noch kein Date, und ein kleiner Flirt auch nicht.

Ben fuhr den Computer runter und machte sich auf den Heimweg. Eine Dusche und dann … ab ins Bett. Das forderte jedenfalls sein Verstand.

Molly hüpfte die Stufen vor ihrer Haustür förmlich herunter, als sie sich auf den Weg zu ihrem Date mit Lori Love und der Schnapsfee machte. Trotz des desaströsen Nachmittags war der Abend mehr als erfolgreich gewesen. Ihre sexuelle Frustration hatte sich direkt in Arbeitsenergie umgewandelt. Molly hatte ihr unbefriedigtes Verlangen in ihrem neuen Roman verarbeitet und es geschafft, gleich zwölf Seiten vorzulegen. Zwölf ziemlich sensationelle Seiten, wenn sie das mal so sagen durfte.

Ihre hohen Absätze klackerten auf dem Asphalt, als sie den Berg Richtung Main Street hinabhastete. Währenddessen wurde ihr zufriedenes Lächeln immer breiter. Selbst die neueste E-Mail von dieser schrecklichen Mrs Gibson hatte ihr nicht die Laune vermiesen können. Die Frau schrieb Molly und ihren Kolleginnen regelmäßig und bezeichnete sie in ihren E-Mails abwechselnd als Huren, Schmierfinken und Schande der Nation. Trotzdem kannte sie sich mit den Geschichten verdächtig gut aus. So gut sogar, dass all ihren Opfern sonnenklar war, dass sie jede einzelne Geschichte sorgfältig gelesen hatte. Manchmal schickte Mrs Gibson sogar Statistiken über die im Text verwendeten schmutzigen Ausdrücke mit. Molly lachte leise in sich hinein. Ihr neuestes Werk würde Mrs Gibson eine Menge Arbeit bescheren.

Molly hatte noch nie etwas so Verruchtes geschrieben, und vermutlich war Mrs Gibson nicht die Einzige, der ein ordentlicher Schock bevorstand. Mollys Lektorin würde das Ganze allerdings eher als freudige Überraschung empfinden. Molly selbst stand zwar nicht auf Fesselspielchen, aber der Markt für solche Geschichten war riesig.

Und auch wenn Handschellen nicht so wirklich nach ihrem Geschmack waren: Wenn sie dieses Buch erst mal fertig geschrieben hatte, sah ihre Meinung vielleicht schon ganz anders aus. Dieser Sheriff war einfach zu scharf – fast so scharf wie Ben selbst.

Ben. Wenn er heute Abend nicht in der Bar auftauchte, würde Molly den armen Kerl in Frieden lassen. Das hatte sie sich hoch und heilig geschworen. Wenn er sich aber blicken ließ – nun ja … Molly wollte genauso wenig wie Ben, dass sich ihr Leben unnötig verkomplizierte. Aber was war schon kompliziert daran, es miteinander zu treiben?

Sie musste gerade über die eigenen Gedanken kichern, als es um sie herum plötzlich stockdunkel wurde. Sie hatte die Häuser und damit auch die freundlichen Verandalampen hinter sich gelassen und ein kleines Wäldchen betreten, das ihr Wohnviertel von der Main Street trennte. Als es in ihrem Nacken zu prickeln begann, hielt sie alarmiert inne.

Sie hatte keine Angst. Schließlich war sie in Tumble Creek! Aber trotzdem drehte sie sich langsam um und suchte die Schatten nach etwas Ungewöhnlichem ab. Klar, da war nichts. Außer ihrer Großstädterinnen-Hysterie natürlich.

Der Vollmond beleuchtete die Hauptstraße, die nur einen Steinwurf weit entfernt begann, und tauchte den Hinterhof des Futtergeschäfts in milchiges Licht. In der Wohnung über den Geschäftsräumen hatten Ben und Quinn während ihrer Collegezeit die Semesterferien verbracht. Die Miete war extrem billig gewesen, und Sommerjobs hatte es wie Sand am Meer gegeben. Und Molly hing so oft wie irgend möglich in der Wohnung herum.

Irgendwann gehörte sie quasi schon zum Inventar und klopfte nicht mal mehr, wenn sie vorbeischneite.

Oh, was hatte ihr zerbrechliches kleines Teenagerherz geschmerzt in jener Nacht, auch wenn ihr Sexualtrieb bei dem Anblick des nackten und sichtlich erregten Ben eigentlich erst so richtig erwacht war. Dieses Mädchen – eindeutig keine Einheimische – hatte …

Mollys Kopfkino wurde durch einen plötzlichen Filmriss unterbrochen, als sie direkt hinter sich trockenes Laub rascheln hörte. Fast wäre sie gestolpert, als sie einen hastigen Blick über die Schulter warf. Das war nicht der Wind, der mit den Blättern spielte. Ein Zweig knackte, und das Adrenalin stach wie tausend Nadeln in Mollys Adern.

„Wer ist da?“ Keine Antwort.

Sie eilte auf die Lichter am Ende des Wäldchens zu. Das Gefühl, beobachtet und verfolgt zu werden, kannte sie nur zu gut. Aber nur aus Denver, wo Cameron sie auf Schritt und Tritt überwacht hatte und regelmäßig und ganz und gar nicht zufällig an den seltsamsten Orten aufgetaucht war: in dem Restaurant, in dem sie gerade aß, in ihrem Stamm-Starbucks, in ihrem Lieblings-Klamottenladen. Eine Beschwerde bei seinem Vorgesetzten hatte nichts gebracht außer einem Vortrag darüber, dass sie unklare Signale aussenden und den armen Cameron mit ihrem Verhalten verwirren würde.

War er ihr etwa nach Tumble Creek gefolgt? Versuchte er gerade, ihr Angst einzujagen? Wollte er dafür sorgen, dass sie wieder nach Denver flüchtete, wo er sie leichter kontrollieren konnte?

Jetzt waren es nur noch wenige Meter bis zur Main Street und damit zum Licht. Keuchend hastete Molly auf den Bürgersteig und damit aus den Schatten. Erst als sie sicher unter einer Straßenlaterne stand, wagte sie es, einen Blick zurückzuwerfen.

Vor den dunklen Hintergrund des Wäldchens schob sich etwas noch Dunkleres, das aber gleich darauf wieder verschwunden war. Molly war sich trotzdem absolut sicher, dass dieser Schatten sich bewegt hatte, und zwar nicht nur in ihrer Fantasie.

Sekunden später war sie um die nächste Ecke gebogen und lehnte sich gegen die Backsteinwand des Futtergeschäfts. Molly atmete die eiskalte Bergluft tief in ihre Lungen ein und beobachtete, wie sie in kleinen weißen Wölkchen wieder austrat.

Das hier ist Tumble Creek, redete sie auf sich selbst ein. Du bist mitten in der Wildnis! Bestimmt war das ein Waschbär oder eine Beutelratte, vielleicht sogar ein Elch!

Ihr Herz schien ihr zu glauben, denn es reduzierte sein Tempo auf eine fast normale Geschwindigkeit. Molly spähte um die Hausecke, konnte aber nichts Verdächtiges erkennen. Vielleicht enthielt dieser Billigkaffee ja viel mehr Koffein als das teure Zeug? Immerhin war sie schon den ganzen Tag über nervös und schreckhaft gewesen. Weder ihr Vibrator noch dieser Waschbär, oder was auch immer das gerade gewesen war, hatte es auf sie abgesehen.

Sie rang sich ein zittriges Lachen ab, dann stieß sie sich von der Wand ab. Die Bar lag gleich auf der anderen Straßenseite, weniger als einen Block weit entfernt. Wie auf Knopfdruck hörte sie die Tür der Bar aufgehen. Blechern klingende Musik drang in die Nacht. Jemand verließ den Supermarktparkplatz und fuhr in Mollys Richtung. Das Leben nahm wieder seinen gewohnten Gang, alles war in bester Ordnung.

Mit einem immer noch etwas wackeligen Lächeln überquerte sie die Straße und trat durch die Tür.

„Molly Jennings!“, rief der Barkeeper, kaum dass die Tür hinter ihr zugefallen war.

Molly legte den Kopf schief, musterte ihn gründlich und grinste dann erfreut. „Juan! Mann, du siehst ja super aus!“ Ein bisschen übertrieben war das schon, aber er lächelte und zuckte geschmeichelt mit den Achseln. Juan war zwei Jahre älter als sie und der Footballstar der Creek County High gewesen. Mittlerweile hatten sich seine dicken Muskelpakete allerdings in etwas verwandelt, das verdächtig nach Fett aussah. Aber sein Lächeln war noch immer so breit und aufrichtig wie früher. Molly schwang sich auf einen Barhocker.

„Lori hat angerufen“, sagte Juan. „Sie kommt etwas später, weil sie noch ein Auto aus dem Graben ziehen muss.“

„Okay, danke, Juan.“

„Was darf ich dir bringen? Was Leichtes für den Einstieg, oder willst du gleich mit dem harten Zeug loslegen? Ein Cosmo? Ein Appletini? Mit Granatapfel?“

„Oh, wow! Ihr habt hier oben Granatapfelsaft?“

„Nö, eigentlich nicht. Aber ich hab Cranberrysaft und Sauren Apfel. Also, was darf es sein?“

Molly sah sich um. Die meisten Tische waren besetzt, und jeder einzelne Gast hatte ein Bier- oder Schnapsglas in der Hand. Aber sie wollte einen Cosmo, verdammt noch mal!

Ihr tiefes Seufzen ließ die kleine Serviette auffliegen, die Juan vor ihr auf den Tresen gelegt hatte. „Was soll’s, ich fürchte, ich muss was gegen mein Großstadttussi-Image tun. Also, ein Coors bitte.“

Juan blickte verschwörerisch die Bar hinauf und hinunter, dann beugte er sich zu Molly vor. „Was hältst du davon, wenn ich dir einen Lemon Drop Martini mache und ihn in ein Longdrinkglas fülle? Vielleicht geht er dann als Wodka Tonic durch.“

Molly richtete sich auf und lachte. „Na klar doch! Immer her mit dem Zeug!“ Also würde dieser Abend doch noch unterhaltsam werden.

Während Juan sich mit der Zubereitung von Mollys Geheimdrink beschäftigte, schlenderte sie zur Jukebox und begutachtete die Musikauswahl. Seit den Achtzigern schien sich nicht mehr viel getan zu haben. Bis auf Countrysongs und Gitarrenrock hatte das Ding nichts zu bieten. Molly entschied sich für ein Stück von George Strait und kehrte dann zur Bar zurück, wo ihr Drink schon auf sie wartete.

Als die Tür hinter ihr aufging, fuhr sie herum, um Lori zu begrüßen – und kippte fast vom Barhocker, als sie Ben erkannte. Oh ja, dieser Abend würde sogar sehr unterhaltsam werden.

Ben sah interessiert auf den Boden, aber dann warf er Molly doch einen kurzen Blick zu, den er vermutlich für unauffällig hielt. Ihr wurde vom Kopf bis zu den Zehen warm, und ihre Muskeln, die sich bei seinem Anblick versteinert hatten, entspannten sich wieder.

„Hey, Ben“, sagte sie gedehnt. „Was machst du denn hier?“

Er blickte zu ihr auf. Sein Gesicht hatte wieder diesen undurchdringlichen Polizistenausdruck angenommen. „Nur ein kurzer Besuch, um nach dem Rechten zu sehen. Mache ich häufiger mal.“

„Hey, Chief!“, rief Juan vom anderen Ende der Bar. „Was wollen Sie denn hier?“

Bens Wangen verfärbten sich rot, aber seine Mundwinkel zuckten. „Ich nehme eine Flasche Bud“, rief er zurück.

Molly grinste, dann fiel ihr Blick nach unten und ihr Lächeln verblasste. Ben war in zivil gekommen. Er trug Jeans, schwere Stiefel und einen alten braunen Mantel über einem ausgewaschenen grünen T-Shirt, das sich eng an seine Brust schmiegte. Als er seinen Hut abnahm und den Mantel von seinen Schultern gleiten ließ, kam es ihr fast so vor, als würde sie ihn nackt sehen. Zwischen ihren Beinen begann es merklich zu kribbeln.

Oh Gott, seine Schultern waren in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich breiter geworden und seine Arme kräftiger. Sein Haar war ein kleines bisschen feucht und klebte ihm im Nacken. Molly unterdrückte ein Stöhnen und versuchte krampfhaft den Drang zu ersticken, mit der Zunge über Bens Hals zu fahren.

Sie hatte diesen Mann noch nicht mal geküsst, und trotzdem hätte sie ihn am liebsten mit Haut und Haaren verschlungen. Ja, genau, sie würde Lori einfach für ihn versetzen und ihn aus dieser verdammten Bar bis nach Hause schleifen, wo sie dann hirnlosen, verschwitzten, absolut schmutzigen Sex haben würden. Er sah jung, heiß und ausgesprochen appetitlich aus. Und er war gekommen. Und zwar zu ihr.

Molly griff nach ihrem Drink und kippte die Hälfte davon mit zwei ordentlichen Schlucken herunter.

„Soll ich dir gleich noch einen machen?“, fragte Juan, und Molly bejahte mit einer „Mach-hinne“-Bewegung, während Ben neben ihr Platz nahm.

Sie wagte es nicht, ihn anzusehen. Ihr Höschen war schon ganz feucht, ihre Brustwarzen waren hart, und wenn er ihr auch nur eine Sekunde lang in die Augen sah, würden seine Polizeiinstinkte ihm mit Sicherheit verraten, wie scharf sie auf ihn war.

Nicht dass sie es nicht mit ihm treiben wollte. Aber der „Verplempern Sie keine Zeit mit Small Talk, Mister. Zerren Sie mich einfach in die Besenkammer und benutzen Sie mich wie die billige kleine Schlampe, die ich bin“-Vamp wollte sie auch nicht sein. Für solche Spielchen würden sie noch genug Zeit haben, wenn ihre Affäre erst mal ins Rollen gekommen war.

„Also, ähm …“ Ben räusperte sich. „Hattest du einen schönen Tag?“

„Ja.“

Als er sein Gewicht verlagerte, streiften sich ihre Knie, und Molly fuhr hoch.

„Entschuldige“, murmelte er und zog sein Bein ein paar Zentimeter zurück.

Molly entspannte sich wieder und kippte den Rest ihres Drinks hinunter. Eine angenehme Wärme breitete sich in ihren Muskeln aus und schwemmte einen Teil ihrer Skrupel weg. Na gut, dann war sie eben scharf auf Ben! Das war ja wohl kein Verbrechen!

„Du bist wütend, oder?“, fragte Ben sanft. „Ich wollte dich vorhin nicht beleidigen. Aber Fragen zu stellen ist nun mal mein Job.“

„Ach, kein Problem.“

Juan stellte ihren zweiten Drink ab, auf den Molly sich sofort stürzte.

„Ich begreife einfach nicht, warum du mir etwas verheimlichst. Wenn du es mir einfach erzählen würdest …“

„Träum weiter, Chief.“ Jetzt, wo sie einen neuen Martini hatte, an dem sie sich festhalten konnte, fand sie den Mut, sich auf dem Barhocker umzudrehen und ihr Knie gegen Bens Hüfte zu drücken. „Dass ich ein Geheimnis habe, ist doch das Interessanteste an mir! Bei dir geht meine Taktik jedenfalls perfekt auf. Immerhin kannst du dich nicht von mir fernhalten. Und fang jetzt bloß nicht an zu leugnen, dass du wegen mir gekommen bist. Du bist ja noch nicht mal im Dienst!“

„Kann schon sein.“ Sein Blick wanderte zu ihren Knien, die nur von der Strumpfhose verhüllt wurden, die sie unter ihrem Minirock trug. „Heißt das, du verzeihst mir?“

„Meine Beine haben dir verziehen, und das ist ja wohl alles, was zählt.“

Bens Blick wurde zunehmend lustverhangen, und als er ihr wieder in die Augen sah, überkam sie zum wiederholten Mal der Impuls, dieses Abbild von einem Mann einfach nach Hause zu zerren und nach Strich und Faden zu verführen.

„Die Wichtigkeit deiner Beine kann ich natürlich nicht leugnen“, flüsterte er. Dann löste er seinen Blick von ihr und hob seine leere Bierflasche als Signal für Nachschubbedarf.

Als sich diesmal die Tür hinter ihr öffnete, betete Molly, dass es nicht Lori war. Bitte, bitte, lass noch ein Auto im Matsch feststecken! Bitte, bitte, beschäftige sie noch für eine Stunde! Bens Entschlossenheit war ins Wanken gekommen, da war sich Molly absolut sicher.

„Mensch, ist das lange her!“, sagte Lori direkt hinter ihr.

Ben sah sich um und stand auf. „Dann lass ich euch zwei mal in Ruhe über vergangene Zeiten plaudern.“

„Aber du musst doch nicht …“ Aber leider war er schon auf dem Abmarsch. Traurig sah Molly ihm nach.

„Jetzt sag bloß, Miles hat ausnahmsweise mal keinen Mist erzählt?!“

„Wie bitte?“, fragte Molly geistesabwesend. Was für einen sensationellen Arsch dieser Mann hatte, so muskulös und …

„Läuft da was zwischen Ben und dir? Du bist doch gerade erst wieder in die Stadt gezogen. Vor …“, Lori sah auf ihre Uhr, „… gerade mal zweiundsiebzig Stunden, wenn ich mich nicht irre?“

„Unsinn.“ Molly lachte auf, während Lori sich auf den Barhocker bequemte, den gerade noch Bens Knackpo geziert hatte. „Es sind schon vier Tage. Moment mal, wie viele Stunden sind das? Mehr als zweiundsiebzig?“

„Ich nehme dasselbe wie sie“, erklärte Lori schnell. Juan warf Molly einen fragenden Blick zu.

„Es ist ein Lemon Drop Martini“, gestand Molly flüsternd.

„Perfekt.“

„Und ich habe zehn Jahre lang gewartet, um diesen Typen rumzukriegen, also bitte mach mir keine Vorwürfe.“

„Nur zehn?“, fragte Lori. Ihre Augen funkelten wie polierte Jade.

„Okay, vielleicht auch zwölf. Ich halte das einfach nicht mehr aus! Wenn er sich nicht bald erbarmt, sterbe ich an unerfüllter Leidenschaft.“

„Oh nein, dafür kannst du echt kein Mitleid erwarten, Molly. Ich habe mein ganzes verdammtes Leben in dieser Stadt verbracht, und der Großteil der Männer im geschlechtsreifen Alter hält mich für lesbisch. Du konntest dich in Denver austoben. Und deine Beine breitmachen.“

Molly hätte fast ihren Drink ausgespuckt, so sehr musste sie lachen. Juan wurde feuerrot, was vermutlich bedeutete, dass er gelauscht hatte. Aber wahrscheinlich hatte der arme Mann schon Schlimmeres als das gehört.

Als sie sich wieder erholt hatte, begutachtete Molly die zarte Taille und die schmalen Hüften ihrer Freundin. Ihr gelocktes Haar trug Lori mittlerweile zu einem kinnlangen Bob geschnitten. „Wie kommt irgendjemand auf die Idee, dass du lesbisch sein könntest?“

Lori nahm einen Schluck von ihrem Drink und erklärte: „Erstens: Auf der Highschool hab ich niemanden rangelassen. Zweitens: Als ich dann endlich angefangen habe, mit Jungs auszugehen, hab ich mich geweigert, Jess Germaine auf dem Rücksitz seines Wagens einen zu blasen. Und drittens: Ich repariere Autos. Und fertig ist die Vorzeige-Lesbe.“

„Na, dann werde ich drauf achten, mich in deiner Gegenwart nicht zu bücken.“

„Oh, ich würde an dir kleben wie Hundekacke am Stiletto, Schätzchen.“

Als sie beide in brüllendes Gelächter ausbrachen, warfen die übrigen Gäste ihnen mürrische Blicke zu. „’tschuldigung“, rief Molly. „Hier gibt’s nichts zu sehen!“ Die Männer wandten sich wieder ihren Bierflaschen zu – jedenfalls alle bis auf Ben, der am anderen Ende der Bar Platz genommen hatte und die beiden Frauen beobachtete, als würde er einen Kinofilm ansehen. Da er Mollys Drink einen missbilligenden Blick zuwarf, bestellte sie gleich noch einen.

„Mir ist aufgefallen, dass du alle Trucks von Love’s Garage lavendelfarben lackiert hast.“

„Sind sie nicht entzückend?“

„Und deinem Dad ist das vollkommen egal? Wie geht’s ihm überhaupt?“

„Er ist vor ein paar Monaten gestorben, Moll.“

„Oh! Oh Scheiße! Es tut mir so leid, Lori! Niemand hat mir was gesagt!“

„Ist schon in Ordnung. Du warst lange weg.“

„Ich … Mein letzter Stand war, dass es ihm besser geht. Oh Lori, es tut mir echt furchtbar leid.“

„Das muss es nicht. Es war einfach an der Zeit. Er war bereit – das konnte man in seinen Augen sehen.“ 

Molly nickte. „Also gehört die Werkstatt jetzt dir?“

„Jepp! Die Werkstatt, der Abschleppwagen, die Schneepflüge, das gesamte Land. Und natürlich der ganze Ruhm.“ In Loris Ton schwang plötzlich eine ungewohnte Härte mit.

„Das ist toll“, sagte Molly vorsichtig. „Aber ich hatte gedacht, dass du nach ein paar Jahren Pause studieren wolltest.“

„Mhm, dachte ich auch.“

„Hattest du nicht einen Praktikumsplatz in Europa bekommen oder so?“

Lori lächelte, doch über die Traurigkeit in ihrem Blick konnte sie nicht hinwegtäuschen. „Verantwortung zu tragen ist manchmal wirklich nicht lustig, weißt du.“ Sie schüttelte den Kopf, dass ihre Locken nur so flogen. „Aber genug davon. Lass uns weiter über Ben reden. Ist zwischen euch früher schon mal was gelaufen? Ich dachte, dass du mit Ricky Nowell zusammen warst.“

„Ja, ich … Oh Gott, der wohnt doch nicht mehr hier, oder?“

„Nee, warum?“

„Weil ich bestimmt einem Dutzend Leute erzählt habe, wie klein sein Schwanz ist. Mann, es wäre echt peinlich, ihm wieder über den Weg zu laufen.“

Lori bekam Zitronenwodka in die Nase und verbrachte die folgenden dreißig Sekunden damit, zu husten und sich die Tränen aus den Augen zu wischen. Schon wieder starrten alle die beiden an.

Und von da an wurde es von Minute zu Minute schlimmer.

Ben nickte in Richtung der beiden kichernden, angetrunkenen Frauen. „Ich denke, es ist besser, wenn ich euch jetzt nach Hause bringe“, sagte er in, wie er hoffte, bester Gentleman-Manier.

Aber Molly winkte ab. „Ich laufe.“

„Dann muss ich wohl darauf bestehen.“

„Was denn, befürchtest du, morgen meine tiefgefrorene Leiche aus einer Schneewehe pflücken zu müssen?“

„Dafür liegt noch nicht genug Schnee“, antwortete Ben und bugsierte sie durch die Tür. Immerhin schaffte sie es noch zu laufen, ohne zu torkeln.

Lori tapste hinter ihnen her und kicherte. „Ich wohne nur zwei Häuser weiter, Ben. Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“

„Aber ich würde mich besser fühlen, wenn ich dich fahre.“

„Genau“, sagte Molly. „Dann haben alle was zu lästern, wenn wir zu dritt abdüsen. Lori ist total scharf auf mich, Ben! Sie steht auf mich wie … noch was. Und wenn du richtig lieb Bitte sagst, dann lassen wir dich vielleicht zugucken.“

Dieses Teufelsweib und sein loses Mundwerk! Ben legte weder auf den angedrohten Klatsch noch auf den Film, der gerade in seinem Kopf ablief, gesteigerten Wert.

„Abgemacht“, sagte er. „Dann fahren wir zu dritt zu mir.“ Das brachte sie erst einmal zum Schweigen. Währenddessen prallte Lori gegen seinen Rücken und schüttelte sich derart vor Lachen, dass auch Ben sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. „So, Ladys. Jetzt schauen wir mal, wie wir euch nach Hause bekommen, ehe ihr euch noch mehr blamiert.“ Womit er nur einen neuen Lachkrampf auslöste. „Ihr werdet jetzt aber bitte nicht loskotzen, oder?“

„Ich hatte doch nur drei Drinks“, protestierte Molly. Während Ben ihr die Beifahrertür seines Trucks aufhielt, warf er ihr einen strengen Blick zu.

„Na gut, es waren vier, aber auf zwei Stunden verteilt!“

„Also bist du von Natur aus dauerfröhlich?“

„Klar! Wusstest du das noch gar nicht?“

Doch, wusste er. Und er hatte gewusst, wie unglaublich süß sie war, noch bevor er sie in diesen schwarzen Stiefeln, den Strumpfhosen und dem winzigen schwarzen Minirock gesehen hatte. Und dann war da auch noch dieser rosafarbene Rollkragenpullover, der so wahnsinnig nach … Großstadt aussah. Rosa, rosa, rosa. Alles an Molly war irgendwie rosa. Er musste aufpassen, dass Rosa nicht seine neue Lieblingsfarbe wurde.

„Lori, brauchst du Hilfe?“

„Ich komm schon klar!“, rief sie und krabbelte auf den Rücksitz. Ben versuchte nicht mal, sie zum Anschnallen zu bewegen. Es waren ja wirklich nur ein paar Meter bis zu ihrer Haustür.

Molly erklomm währenddessen im Schneckentempo das Fahrerhäuschen. Was blieb ihm da schon anderes übrig, als die Hände um ihre Taille zu legen und sie auf den Sitz zu hieven? Der Pulli war so dünn, dass er durch den Stoff ihre warme Haut spüren konnte. Ben überkam das fast unwiderstehliche Bedürfnis, hinter Molly herzuklettern, sie auf den breiten Vordersitz zu drücken und …

Zum Glück fiel ihm in diesem Moment die Computerausstattung ein, die zwischen den Sitzen angebracht war. Nicht gerade ein Bett aus Rosen, das Führerhäuschen.

„Ben?“, hauchte Molly.

„Mhm?“

Ihre Augen wirkten in der Dunkelheit riesig, und sie sah unverwandt zu ihm auf. Dann fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen, was seine Aufmerksamkeit auf ihren Mund lenkte, der die Lieblingsschattierung seiner neuesten Lieblingsfarbe hatte … und dann brach sie in albernes Gekicher aus.

Na klar. Wie hatte er nur vergessen können, dass sie voll wie eine Haubitze war?

„Los geht’s, Chief“, grölte Lori, deren Anwesenheit ihm ebenfalls kurz entglitten war. Ach ja, und wo er schon dabei war, sich an unangenehme Details zu erinnern: Da war ja auch noch die Sache mit dem Prostitutionsverdacht.

„Okay“, murmelte er und sprang förmlich aus dem Auto, um so viel Distanz wie möglich zwischen sich und Molly und ihre zahlreichen Rosaschattierungen zu bringen. Er hatte nur zwei Bier getrunken. Wenig genug, um noch fahren zu können, aber offenbar zu viel, um mit Molly und ihrer Wespentaille zurechtzukommen.

Es war doch einfach nicht zu fassen, dass er gerade mit einem mehr oder minder harten Schwanz mitten auf der Main Street stand! Gott, er war ein erwachsener Mann! Seufzend schwang er sich auf den Fahrersitz.

Lori streckte ihre Hand zwischen den Sitzen hindurch und wedelte wild vor seinen Augen herum, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. „Ben, glaubst du eigentlich auch, dass ich lesbisch bin?“

„Äh …“ Er warf einen Blick in den Rückspiegel, der aber nur den Anblick von Loris schlaffer Hand preisgab. „Also … darüber hatte ich eigentlich nie nachgedacht! Warum fragst du? Versuchst du gerade, dich selbst zu finden, oder …?“

„Ich will doch nur ein einziges nettes Date“, jammerte sie los. „Und zwar nicht mit irgend so einem Scheißkerl wie Ricky Nowell!“

„Mhm.“ Über die Jahre hatte er herausgefunden, dass man im Umgang mit Betrunkenen am besten fuhr, wenn man so tat, als ob man vollstes Verständnis für ihre Sorgen hätte.

„Falls du jemals über einen anständigen Typen stolperst, würdest du ihn bei mir vorbeischicken? Ich will einfach nur gern mit jemandem ins Kino, weißt du? Was ist so verkehrt daran?“

„Nichts natürlich.“

Molly verlieh ihrem tiefen Mitgefühl durch vehementes Kopfschütteln Ausdruck. „Ich hab nur Spaß gemacht, Ben. Du weißt schon, wegen dem Rummachen vor dir.“

„Hab ich mir schon gedacht.“

„Lori ist in Wahrheit nämlich gar keine Lesbe.“

„Hab ich mir auch gedacht. Und da wären wir schon.“

Lori plumpste vom Sitz und prallte dumpf gegen die Rückseite von Bens Kopfstütze.

„Autsch!“

Damit war auch die Frage geklärt, ob es besser war, sie zur Haustür zu bringen.

Am Ende brachte er sie dann sogar bis zu ihrem Sofa. Als er wieder zum Truck zurückkehrte, hatte sich Molly auf dem Beifahrersitz zusammengerollt und blinzelte ihn schläfrig an.

„Hi, Ben“, murmelte sie und verzog die Lippen zu einem müden Lächeln. Plötzlich machte sich ein ganz und gar unzuträglicher Gedanke in ihm breit: Genauso würde Molly Jennings wahrscheinlich nach einer langen Nacht voll gutem, hartem Sex aussehen. Und ehe er den verräterischen Dämon in seinem Kopf zum Schweigen bringen konnte, hatte er den Gedanken auch schon weitergesponnen. Morgen. Genauso wird sie morgen aussehen!

Ben drehte den Schlüssel in der Zündung und hörte den Anlasser wütend aufkreischen. Ach ja, der Truck lief ja noch.

„Stimmt was nicht mit deinem Truck?“

„Er ist notgeil“, murmelte Ben.

„Ach so.“ Wieder so ein wildes Nicken reinen Mitgefühls. Offenbar fand Molly seine Äußerung ausgesprochen sinnvoll.

Obwohl er jedes einzelne Warnschild im Ort in und auswendig kannte, brach er jede einzelne Geschwindigkeitsbegrenzung, die sie passierten. Tagsüber mochte er der Logikprofessor sein, aber heute Nacht sah er sich mit einem ganz anderen Teil seiner Persönlichkeit konfrontiert. Mit Captain Notgeil, um genau zu sein. Und Captain Notgeil scherte sich nicht um Komplikationen, Geheimnisse und die Klatschspalte. Ben wusste zwar ganz genau, dass er sich schon morgen früh dafür in den Allerwertesten beißen würde, aber auch das war ihm im Augenblick vollkommen egal. Er wollte Molly, jetzt, und zwar ohne Wenn und Aber.

Ben hatte die zwei Stunden in der Bar zutiefst genossen. Denn was er dort gesehen hatte, war die alte Molly gewesen, die er damals, vor vielen Jahren, so gemocht hatte. Kindisch und unreif, kichernd und mädchenhaft, aber umgeben von einer Aura inneren Friedens.

Ohne es darauf anzulegen oder es auch nur zu bemerken, zog sie mit ihrer unbeschwerten Art alle Blicke auf sich. Und sie hatte so viel gelacht. Ben selbst lachte nicht sonderlich oft, und manchmal dachte er, dass es ihm vielleicht guttun würde, eine Frau zu haben, die ihn zum Lachen brachte. Eine Frau wie Molly.

Das plötzliche Flattern in seiner Brust erschreckte ihn fast zu Tode. Ben nahm den Fuß vom Gas und bremste auf vierzig ab. Wenn er sich jetzt nicht zusammenriss, würde er einen unverzeihlichen Fehler begehen. Er wusste doch überhaupt nichts über Molly! Nicht mehr, jedenfalls.

Nachdem er in die Auffahrt abgebogen war, stellte er die Automatikschaltung auf Parken und wandte sich Molly zu. „Bitte erzähl mir, womit du deinen Lebensunterhalt verdienst!“

Sie hob eine Braue. „Versuchst du meinen erhöhten Promillegehalt auszunutzen?“

„Na klar! Du kennst mich doch, Molly. Du weißt, wie sehr ich Geheimnisse hasse. Und du weißt, dass ich niemals jemandem trauen könnte, der nicht ehrlich und aufrichtig ist.“

„Aber ich bin ehrlich und aufrichtig.“ Sie wirkte kein bisschen verunsichert, sondern eher etwas traurig, wie sie da zusammengerollt und schläfrig auf dem Beifahrersitz kauerte. Ob sie wohl wusste, dass ihr Anblick Ben fast das Herz brach?

„Du musst irgendetwas tun, wofür du dich schämst. Ansonsten würdest du ja wohl kein Geheimnis daraus machen.“

„Nein, ich schäme mich überhaupt nicht.“

Einen Augenblick lang war Ben versucht, einfach mit dem Kopf gegen das Lenkrad zu hämmern, um seiner Frustration Luft zu machen. Doch dann versuchte er es mit einem etwas durchdachteren Schachzug. Langsam streckte er den Arm aus und strich Molly sanft mit dem Daumen über die Schläfe. „Warum willst du es mir nicht erzählen?“

Sie schloss die Augen und begann fast unhörbar vor sich hin zu summen. Sein Daumen streifte ihre Unterlippe, diesen weichen, rosigen, verlockenden Mund.

„Warum, Molly?“, flüsterte er.

Sie öffnete die Augen und warf ihm einen kummervollen Blick zu. „Ich habe viele Gründe. Meine Eltern … Quinn ist so schlau und erfolgreich. Sie sind so stolz auf ihn, und das mit Recht. Er ist einfach unglaublich. Ich war nie so begabt, nie so gut in der Schule wie er. Und meine Arbeit … Ich kann einfach nicht mit ihm mithalten! Es ist einfacher für alle Beteiligten, wenn ich nicht darüber rede. Meinen Eltern ist klar, dass sie vermutlich enttäuscht wären, wenn sie erfahren würden, was ich mache. Aber solange ich nichts verrate, können sie wenigstens nicht ganz sicher sein. Vielleicht bin ich ja eine Spionin oder eine Künstlerin. Was auch immer es ist, sie können meinen Beruf nicht an dem messen, was Quinn erreicht hat. Weil ich das nicht zulasse.“

„Molly! Ich wusste ja nicht, was für ein Problem du mit Quinns ganzen Abschlüssen und Auszeichnungen hast! Weißt du denn nicht, dass deine Eltern dich über alles lieben?“

„Ja, und dabei würde ich es auch gerne belassen!“

„Was soll das denn heißen? Komm schon, bitte verrat es mir einfach! Ich verspreche dir auch hoch und heilig, dass Quinn nichts davon erfährt! Sag mir, was du machst.“

Sie wandte sich ab und sah aus dem Fenster. „Nein. Wenn du mich deswegen für einen schlechten Menschen halten willst, nur zu.“ Sie machte eine weit ausholende Geste, mit der sie Ben aus Versehen fast eine Ohrfeige verpasst hätte. „Ich weiß, ich habe all diese Dinge über Ricky Nowell verbreitet, und nette Mädchen tun so was nicht. Aber er war damals wirklich scheußlich zu mir, und ich hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht!“

„Ricky Nowell? Ich … war das nicht dein Highschool-Freund?“

„Ja, leider. Also hör bitte auf, mich zu verurteilen!“

„Ich habe keinen blassen Schimmer, wovon du gerade redest!“

„Davon, dass ich nichts Unrechtes tue! Wenn du mich nicht magst, bitte! Dann magst du mich halt nicht. Aber du sitzt einfach da, bist süß und sexy und missbilligst mein Verhalten, und … ich muss nicht …“

Als er sich zu ihr beugte und sie küsste, holte sie überrascht Luft und hielt dann den Atem an. Ben musste lächeln und nutzte den ruhigen Augenblick aus, um ihren weichen, samtigen Mund zu erkunden. Er war genauso weich, wie er vermutet hatte, weich, warm und nachgiebig. Allerdings schmeckte Molly kein bisschen rosa, sondern leuchtend gelb.

„Warum schmeckst du nach Gummibärchen?“, fragte er leise.

„Oh!“ Ihr frischer Zitronenatem drang in seinen Mund. „Drei Lemon Drop Martinis und ein Appletini obendrauf.“

Ihr duftender Atem war so verlockend, dass sein Kuss intensiver wurde, und als Molly sich an ihn schmiegte, waren die Äpfel und Zitronen schnell vergessen. Für einen Augenblick unterwarf sie sich dem langsamen Rhythmus seiner Zunge, doch dann stöhnte sie auf und drängte sich ihm ungeduldig entgegen. Sie wollte mehr? Das konnte sie haben.

Die Lust, die er vorhin auf dem Parkplatz empfunden hatte, brach mit voller Wucht wieder an die Oberfläche und durchflutete seine Adern so schnell und wild wie ein rauschender Gebirgsbach im Frühling. Ihm kam es so vor, als hätte er sein Leben lang auf diesen Augenblick gewartet, während all seiner unzähligen Jugendfantasien, als seine Hormone ihn fast in den Wahnsinn getrieben hatten. Er umfasste Mollys Hüften und hob ihren nachgiebigen Körper über die störende Armatur zwischen den Sitzen.

„Oh mein Gott, hast du mich gerade einfach so hochgehoben?!“ Sie ruckelte ein bisschen herum, sodass sie rittlings auf seinen Knien saß. „Mann, ist das sexy …“

Sein überraschtes Lachen ging übergangslos in Stöhnen über, als Molly sich den Rock so weit nach oben schob, dass sie bis zu seinem Schoß hochrutschen konnte. Da blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als seine Hände auf ihre Oberschenkel zu legen. Der schwarze Stoff fühlte sich an wie Kaschmir und schrie förmlich danach, gestreichelt und liebkost zu werden.

„Oh ja, Ben“, flüsterte sie, während sie sein Kinn mit winzigen Küssen übersäte. „Deine Hände sind so warm. So warm und so … groß!“

Wahnsinn … War das etwa eine Art von Dirty Talk? Das hatte er noch nie ausprobiert – was bedeutete, dass er bis zu diesem Augenblick gar nicht gewusst hatte, wie scharf es ihn machte, wenn man mit ihm redete. Er küsste Molly gierig und schob die Hände weiter nach oben, bis er ihren Hintern umfasste, und oh, was für ein Volltreffer! Feste, geschmeidige Muskeln, und ihr Mund, verdammt noch mal, der schmeckte einfach himmlisch!

Die ermutigenden kleinen Geräusche, die sie von sich gab, trugen ihr Übriges dazu bei, seinen Verstand auszuschalten. Er schob eine Hand unter Mollys Rock, bis er die bloße Haut über ihrer Strumpfhose spürte. Gott, ihre Haut war noch weicher als Kaschmir, und dazu geradezu kochend heiß.

Molly drückte den Rücken durch, wodurch sich ihre Hüften noch fester gegen seinen Schoß pressten. Ben, der ihr liebend gerne entgegenkam, hob sie kurz hoch und ließ sich währenddessen noch ein bisschen tiefer in den Sitz sinken. Als sie nach vorne rutschte, saß sie direkt auf der beachtlichen Beule in seinen Jeans.

„Ah“, flüsterten beide im Duett.

„Oh Ben“, fuhr sie fort, während er verzweifelt versuchte, eine Verbindung zu seinem Sprachzentrum herzustellen. Wie konnte es sein, dass Mollys Körper scheinbar so perfekt zu seinem passte? Ihre Hüften, ihre Beine, ihr Hintern – all das schien nur erschaffen worden zu sein, um ihn zu quälen. Als sie sich gegen ihn drängte, spannte sie die Oberschenkel unter seinen Händen an.

„Oh Ben, du fühlst dich so gut an.“

Oh ja, er fühlte sich auch richtig gut. Molly begann sich langsam auf seinem Schoß zu wiegen. Da sie alles unter Kontrolle zu haben schien, ließ er ihre Hüften los und griff stattdessen nach dem rosafarbenen Pullover. Während er den Saum nach oben schob, nahm er sich fest vor, nie im Leben den Anblick des weißen Spitzen-BHs zu vergessen, den sie darunter trug. Jetzt konnte er ihn nämlich nicht lange genießen, weil er das Ding so schnell wie möglich loswerden musste. Molly schien da ganz seiner Meinung zu sein. Sie schob sich den Mantel von den Schultern, zerrte sich den Pullover über den Kopf, und schon im nächsten Moment fielen ihr die Haare über die bloßen Schultern.

Den dünnen BH zierte einen Vorderverschluss. In Gedanken dankte Ben dem Genie, das diese sensationell praktischen Dinger erfunden hatte. Nur eine Bewegung, und schon war der BH offen. Mollys Brüste waren klein, weiß und vollkommen, und sie schrien förmlich nach seiner Aufmerksamkeit. Er leckte über eine rosafarbene Brustwarze, die sich unter seiner Berührung zusammenzog.

Molly seufzte aus tiefster Seele, vergrub die Hände in seinem Haar und ließ die Hüften noch schneller kreisen.

„Ben. Ja, oh ja! Das wollte ich schon so lange. Seit jener Nacht. Ich habe dich gesehen, und ich wollte sie sein. Ich wollte vor dir knien und dich ganz tief in den Mund nehmen.“

Das war einfach total verrückt! Er wusste, dass er seine Finger viel zu tief und heftig an ihre Taille drückte, aber er konnte einfach nicht aufhören, genauso wenig, wie er verhindern konnte, dass seine Küsse hart und gierig wurden. Er fuhr mit den Zähnen über die steinharte Brustwarze und hörte Molly leise aufschreien. Als er sie enger an sich zog, stöhnte sie zustimmend auf.

Er wusste, dass sie kurz davor war, zu kommen. Das Kreisen ihrer Hüften hatte ihn ja selbst schon fast so weit gebracht. Jetzt musste er sich entscheiden: Sollte er Molly weiter anstacheln, ihr einen Orgasmus bescheren, der sie zum Schreien brachte? Sich die Jeans aufmachen und sich tief in sie versenken, bis sie gemeinsam kamen? Oder sollte er sie ins Haus tragen und das hier in einem Bett zu Ende bringen, wie es sich gehörte? Und dann noch ein paar Stunden lang weitermachen, oder auch die ganze Nacht?

Wie auch immer, ihm war alles recht, solange sie nur nicht aufhörte, so mit ihm zu reden.

„Ben“, keuchte sie.

„Ja?“

„Bitte, ich … oh Gott.“

Er wandte sich ihrer anderen Brust zu, leckte sie diesmal etwas zarter – und erreichte damit genau das, was er gewollt hatte.

Molly begann zu betteln: „Ben, bitte. Bitte! Ich bin so nah dran …“

Mittlerweile krallte sie sich förmlich in seinem Haar fest. Doch er gab erst nach, als sie wieder und wieder seinen Namen stöhnte. Dann endlich saugte er fester und ließ seine Zähne zum Einsatz kommen.

Molly atmete stoßweise ein und hielt sich mit einer Hand an der Wagendecke fest, damit sie sich mit mehr Druck gegen seinen Schwanz pressen konnte. Ihre Muskeln spannten sich an … und dann sah Ben nur noch Sternchen, Molly schrie auf, und die Welt schillerte in tausend Farben, und … waren das etwa Sirenen?!

Obwohl er nur um Haaresbreite vom Orgasmus entfernt war, blickte Ben nach oben und sah, dass Molly im Eifer des Gefechts die Kontrollschalter in der Fahrzeugdecke gedrückt hielt. Die Sirenen schrillten, und rote Strahlen tanzten durch die Nacht. Sowie über die Häuserfronten der gesamten Nachbarschaft.

„Oh verdammt!“

Molly bebte noch immer in seinen Armen und schien von der Außenwelt nichts mitzubekommen.

„Molly? Molly!“ Er versuchte ihre Hand von dem Schalter zu lösen, aber ihre Finger bewegten sich keinen Millimeter. „Lass los, Moll!“ Und folgsam ließ sie los – nur leider sein Haar, nicht die Knöpfe.

Dann, endlich, konnte er ihre Hand von dem Kontrollkasten lösen und dem Konzert ein Ende bereiten. Aber natürlich war es zu spät. Über fünf Häuserblocks hinweg gingen die Verandalichter an. Ben schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass die Lautsprecher nicht angewesen waren.

Scheiße, scheiße, scheiße. Eine Sekunde länger, und das hier hätte für ihn in einem rekordverdächtigen Orgasmus geendet. Stattdessen saß er mit schmerzhaft pochendem Schwanz im Einsatzwagen und musste sich eine Ausrede ausdenken. Geistesgegenwärtig schnappte er sich Mollys Pulli und drückte ihn ihr in die Hand. „Zieh dich an, Sweetie, wir bekommen Gesellschaft.“ Einen Moment lang sah sie ihn verständnislos an, dann flackerte Erkenntnis in ihrem Blick auf. Hastig schlüpfte sie in den Pullover und zog ihn über ihren unverschlossenen BH.

„Oh Gott, es tut mir so leid!“ Ihre Stimme bebte. „Es tut mir so, so leid.“

„Schon in Ordnung, Molly. Alles ist gut. Beruhig dich.“

„Nichts ist in Ordnung!“

Auf den Stufen, die zur Straße hinunterführten, drängten sich mittlerweile dunkle Schatten, die in der Kälte mit den Füßen aufstampften und neugierig die Hälse reckten. „Ich glaube nicht, dass jemand kapiert hat, was los ist. Komm, zieh deinen Mantel an. Ich bringe dich zur Tür.“

„Wie, niemand hat kapiert, was los ist?“ Als sie versuchte, sich umzusehen, versperrte Ben ihr mit dem Mantel die Sicht.

„So, anziehen! Deine Mütze liegt unter meinem Fuß. Kommst du daran?“ Das Herumangeln im Fußraum beschäftigte sie so lange, bis es den meisten Zuschauern zu kalt wurde. Was allerdings nicht hieß, dass diese neugierigen Klatschmäuler nicht durch ihre Wohnzimmerfenster weiter beobachten würden, was draußen vor sich ging.

Ben wusste nicht mal, warum es ihm so wichtig war, Molly zu beschützen. Die Donnerstagsausgabe dieser armseligen Möchtegernzeitung würde sowieso alles ans Licht bringen. Aber irgendwie kam es ihm einfach nicht richtig vor, dass Mollys Abend so enden sollte: mit einer Blamage und großem Bedauern.

Was ihn an sein letztes peinliches Erlebnis mit Molly Jennings erinnerte. Im Vergleich zu diesem neuen Desaster kam ihm die Geschichte von damals kaum mehr erwähnenswert vor. Sobald sein Schwanz die Hoffnung und damit auch das Monopol über seinen gesamten Blutfluss aufgab, würde Ben wahrscheinlich im Boden versinken vor Scham. Aber im Augenblick kam ihm die ganze Sache nur halb so schlimm vor.  Denn gerade war da ja noch die umwerfende, knallrote, verwirrte Molly Jennings, die nach wie vor auf seinem Schoß saß.

„Molly?“

„Ja?“

Sie hörte auf, ihre Mütze zurechtzuzupfen, und sah zu ihm auf. Ben gab ihr einen kurzen, zarten Kuss. „Ich hatte Spaß heute Abend.“

„Oh.“ Sie seufzte, schloss die Augen und verzog die Lippen zu einem winzigen Lächeln. „Oh, ich auch.“

Dann brachte Ben sie zur Tür, hielt ihr noch eine kurze Strafpredigt, weil sie nicht abgeschlossen hatte, lehnte ihre Einladung, über Nacht zu bleiben, ab und wünschte ihr süße Träume.

Die er selbst ganz sicher nicht haben würde.

Unfassbar. Molly Jennings war völlig außer Kontrolle.

Irgendwo in der Nähe schrie eine Eule, die sich vermutlich daran störte, dass sich ein Mensch im Schatten der Bäume vor dem Mondlicht versteckte und die Beute verschreckte. Aber der Schatten, der Molly Jennings beobachtete, zuckte nicht einmal zusammen.

Diese Missgeburt hatte gerade Sex in einem Truck gehabt, in aller Öffentlichkeit, mit einem Mann, den sie kaum kannte! Und dabei war sie erst … wie lange noch mal in Tumble Creek? Vier Tage?

Es machte noch nicht einmal den Eindruck, als würde sie sich schämen! Wahrscheinlich hatte sie ganz genau gewusst, dass sie beobachtet wurde, und deswegen noch mehr Spaß an der Sache gehabt. Passen würde es jedenfalls zu ihr. Schließlich hatte sie immer schon alles dafür getan, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Vielleicht schlief sie ja ständig in der Öffentlichkeit mit fremden Männern?! Vielleicht hatte sie sich heute in der Bar erst mal von allen anderen Gästen durchvögeln lassen, ehe sie mit Chief Lawson verschwand!

Verdammtes kleines Miststück.

Wahrscheinlich fühlte sie sich in der idyllischen Abgelegenheit der Berge sicher. Aber die zerklüfteten Klippen und eiskalten Nächte hier hatten schon ganz andere Leute als Molly Jennings mürbe gemacht. Es würde nicht schwer sein, sie davon zu überzeugen, dass sie in Denver besser aufgehoben war als hier.

Die Sperrpistole rutschte in der schwarzen Tasche hin und her, schwer wie ein Goldbarren, aber tausendmal wertvoller.

Die Leute – alleinstehende Frauen ganz besonders – verschlossen nachts ihre Türen und fühlten sich deswegen sicher. Was für ein ignoranter Haufen – jeder Schlosser besaß eins von diesen praktischen Dingern, mit denen man billige Schlösser innerhalb von Sekunden öffnen konnte. Jeder Schlosser … und jede Polizeistation.

Molly würde heute Nacht tief und fest schlafen, erschöpft von ihrem kleinen Abenteuer. Sie ahnte ja nicht, wie verletzlich sie war. Dass jemand einfach so in ihr Haus spazieren, sie beim Schlafen beobachten konnte.

Aber ihr würde schon früh genug klar werden, wie naiv sie gewesen war. Ihre weiblichen Instinkte würden versuchen, sie zu warnen. Die Angst würde sich langsam und schleichend ausbreiten und sie von innen vergiften. Aber einen Beweis würde es nicht geben. Keiner würde ihr glauben, dass sie gute Gründe für ihre Panik hatte.

Sie würde Angst haben. Sie würde verwirrt sein. Und schon bald würde sie paranoid werden. Und dann würde sie Tumble Creek verlassen und wieder nach Denver ziehen, wo sie hingehörte.

5. KAPITEL

Internet-Pornostar.

„Gott“, stöhnte Ben in seine Hände.

Das war eindeutig eine realistische Möglichkeit. Jedenfalls realistischer als seine beiden vorherigen Ansätze. Diese Arbeit war nicht illegal, man konnte sie von zu Hause aus erledigen, und man konnte eine Riesenstange Geld damit verdienen. Aber wie zur Hölle sollte er herausfinden, ob etwas dran war an seinem Verdacht?

Auf seinem Bildschirm flimmerte der Hintergrundbericht vorwurfsvoll vor sich hin. Nichts. Nicht mal ein klitzekleiner Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung! Molly Jennings war ein gutes Mädchen – wenigstens war die Datenbank dieser Meinung. Bens Meinung nach war sie auf ganz und gar faszinierende Weise unartig. Nur wie unartig genau, das wusste er noch nicht.

Als sie an ihrem Ankunftstag die Wireless-Antenne auf dem Hausdach angebracht hatte, war ihm das nicht besonders merkwürdig vorgekommen. Aber jetzt gab ihm das Ganze ziemlich zu denken. Hatte Molly sich in der Großstadt einfach nur an die schnelle Internetverbindung gewöhnt? Oder musste sie regelmäßig große Datenmengen hochladen?

Noch vor ein paar Tagen hätte er sich nie im Leben vorstellen können, dass sie Sexshows gegen Geld anbot, aber mittlerweile kam ihm der Gedanke eigentlich ziemlich plausibel vor. Es machte … Spaß, ihr zuzusehen. Und zuzuhören. Was, wenn sie erst durch ihren Job gelernt hatte, wie man Männer wie ihn heiß machte?

„Bitte nicht“, flüsterte er dem Computer zu. Vor Bens innerem Auge zog das gigantische Universum des Onlinesex vorbei, glitzernd, bedrohlich, unüberschaubar und so unendlich gefährlich. Es würde ihm nie im Leben gelingen, Molly auf einer der Millionen von Seiten ausfindig zu machen, selbst wenn er wochenlang suchte. Was die Frage aufbrachte, wie er überhaupt suchen sollte. Zu Hause benutzte er noch ein uraltes Modem, und er konnte sich keine plausible Erklärung dafür vorstellen, warum er mit seinem Arbeits-PC Hunderte von Pornoseiten besuchte. Schließlich hatte Molly seines Wissens kein einziges Gesetz gebrochen.

Na toll. Jetzt benahm er sich schon wie der letzte Stalker. Seufzend griff er nach seinem mittlerweile eiskalten Kaffee, der auf der neuesten Ausgabe der Tumble Creek Tribune stand. „Verdammtes Klatschblatt“, grollte er in die Tasse, während er durch die wenigen Seiten blätterte.

Gleich am Freitagmorgen hatte er Molly angerufen, um sich zu entschuldigen und sie zu warnen. Aber das drohende Unheil hatte sie nicht wirklich beunruhigt. Bens Magensäurepegel hingegen war über das Wochenende immer weiter angestiegen. Doch zu seiner Überraschung stellte er jetzt fest, dass der Inhalt der Klatschspalte erstaunlich zahm ausgefallen war.

Hiermit erkläre ich unseren geschätzten Chief Lawson offiziell zum Workaholic. Zur Erinnerung: Erst letzte Woche begrüßte er unsere neueste Mitbürgerin Molly Jennings mit unerwartetem Enthusiasmus. Diese Woche betätigte er sich als Ein-Mann-Brandwache, als er in tiefster Nacht die Flammen vor Ms Jennings’ Haus löschte. Dass es bei Chief Lawsons Nebenbeschäftigungen durchaus mit rechten Dingen zuging, verkündete der exzessive Gebrauch der Polizeisirene nach der spätnächtlichen Ankunft vor Ms Jennings’ Haus.

Ms Jennings selbst stellt uns derzeit noch vor ein Rätsel. Ihr eigener Bruder bestätigte nämlich, dass ihr Broterwerb selbst für ihn ein Geheimnis ist. Lesen Sie in der Donnerstagsausgabe die neuesten Details über Ms Jennings’ geheimnisvolles Berufsleben.

Also war niemandem aufgefallen, dass Molly halb nackt in seinem Truck gesessen hatte – oder wenigstens hatte niemand bei Miles gepetzt. Aber trotzdem war diesem Mistkerl die wichtigste aller Fragen nicht entgangen: wer Molly Jennings überhaupt war. Wahrscheinlich würde er sich die nächsten Monate wie ein Spürhund an Mollys Fersen heften, um mehr über sie herauszufinden. Also musste Ben erfahren, was Molly trieb, ehe Miles es tat.

Dass der Polizeichef ein Techtelmechtel mit einer jungen Frau aus Tumble Creek hatte, war an und für sich kein bisschen skandalös. Vielleicht würden sich die Leute ein bisschen darüber amüsieren und mit ihren Freunden darüber tratschen, aber damit konnte Ben leben.

Ein echter Skandal sah anders aus. Das hatte er am eigenen Leib erfahren müssen. Ein echter Skandal bedeutete, dass die Leute plötzlich mitten im Gespräch verstummten, um Ben und seine Familie anzustarren. Dass sie ihre Kinder von den Lawsons fernhielten. Dass sich plötzlich Hass und Schadenfreude auf den Gesichtern ehemaliger Familienfreunde widerspiegelte. Ebenso wie Mitleid, Ekel, Feindseligkeit. Dass sie sich hinter seinem Rücken über ihn lustig machten, es genossen, sich überlegen zu fühlen.

Alles, was Ben jemals über sich selbst zu wissen geglaubt hatte, war mit einem Schlag zerstört worden, als sein Vater mit einem Mädchen geschlafen hatte, das gerade mal ein Jahr älter war als sein Sohn. Wenigstens war sie damals gerade achtzehn geworden. Aber die Highschool hatte sie trotzdem noch besucht. Anfangs war natürlich von den beiden alles geleugnet worden, doch dann waren die ersten unwiderlegbaren Beweise ans Tageslicht gekommen. Schließlich hatten sie alles zugegeben, sich entschuldigt, ein ausführliches Geständnis abgelegt. Sogar die Polizei hatte sich eingeschaltet, es hatte Notfallsitzungen des Elternbeirats und der Schulaufsicht gegeben. Bens Vater war entlassen worden, plötzlich kamen zu all den Problemen auch noch Geldsorgen. Die Leute aus der Stadt waren außer sich vor Empörung gewesen, Bens Mutter stand vor Trauer und Entsetzen vollkommen neben sich, und Ben selbst war verwirrt und unendlich wütend gewesen. All die Geschichten über das Liebesleben seines Vaters. Die Scheidung. Der Bankrott. Und jedes einzelne Detail war in Miles’ Schmierblatt breitgetreten worden.

Ja, Ben konnte durchaus von sich behaupten, dass er den Unterschied zwischen harmlosem Klatsch und einem waschechten Skandal kannte. Und ein Kleinstadt-Polizeichef, der eine Affäre mit einem Pornostar oder einer Prostituierten hatte, fiel eindeutig in die zweite Kategorie. Miles würde die Story lieben. Und Ben würde zu einem bedauernswerten Abklatsch seines Vaters werden.

Er konnte nichts mit Molly anfangen, ehe er herausgefunden hatte, womit sie ihr Geld verdiente. Und das, obwohl ihm in den letzten Tagen nichts anderes im Kopf herumging, als zu bereuen, dass er Molly nicht in ihr Schlafzimmer begleitet hatte. Wo er die ganze Sache zu einem richtigen Abschluss hätte bringen können.

„Happy Halloween, Chief!“, rief sein Stellvertreter im Vorbeigehen. Dabei winkte Frank grinsend mit der Zeitung, damit Ben den Witz auch ja verstand.

„Ach, leck mich doch, Frank“, rief Ben ihm fröhlich hinterher.

Nur Sekunden später erschien Brenda im Türrahmen und warf Frank einen missbilligenden Blick hinterher. „Tut mir echt leid, Ben. Eigentlich solltest du dich nicht mit so einem Zeug herumschlagen müssen.“

„Ach, ist schon okay, Brenda. Wirklich.“

„Miles Webster sollte man echt den Hals umdrehen.“

„Aber er macht doch auch nur seine Arbeit.“ Leicht fiel es ihm nicht, diese Worte auszusprechen, aber irgendwie gelang es ihm doch.

„Arbeit“, zischte Brenda. Ihr Gesicht lief rot an vor Wut.

„Wolltest du mich wegen irgendetwas sprechen?“, fragte Ben schnell.

Tatsächlich beruhigte sich Brenda ein wenig, und das Blut wich aus ihren Wangen. Sie schüttelte den Kopf, wobei ihre ergrauenden Locken wild herumsprangen. „Du hattest mich doch gebeten, dich daran zu erinnern, nach den Mineneingängen zu sehen.“

Als Ben sich seufzend zurücksinken ließ, gab sein Stuhl ein herzzerreißendes Ächzen von sich.

„Ach ja! Drei habe ich gestern schon abgehakt, aber den Eingang oben auf dem Grat muss ich noch prüfen. Bisher war alles in Ordnung.“

„Pass gut auf dich auf da oben. Du wirkst ein bisschen erschöpft.“

„Ach was, mir geht’s super.“

„Oh, das hätte ich ja fast vergessen!“ Sie wedelte mit einer Plastikschüssel und trat neben ihn.

Ben musste lächeln, als der Duft nach Gewürzen und Tomaten sein kleines Büro erfüllte. Sein Magen knurrte. „Chili?“

„Ganz genau!“ Brendas Augen glitzerten zufrieden, und ihre Wangen verfärbten sich rosa. Wenn sie so lächelte, sah sie wirklich genauso aus wie ihre Mutter.

„Danke, Brenda. Damit werde ich diesen langen Abend durchstehen.“

„Du arbeitest einfach zu viel“, seufzte sie und verließ kopfschüttelnd den Raum. „Und handel dir keinen Ärger ein“, rief sie noch, doch Ben antwortete nicht, einfach weil er nicht wusste, was er dazu sagen sollte. Schließlich wollte er den Ärger doch irgendwie, wenn er ehrlich war. Als hätte er überhaupt nichts aus der Sache mit seinem Vater gelernt.

„Love’s Garage?“

„Lori, ich bin’s, Molly! Kann ich dich um einen Gefallen bitten?“

„Solange er nichts mit Martinis zu tun hat, klar. Ich befürchte, ich hab immer noch ’nen Kater.“

Molly lachte auf. „Scheint so, als ob du zu selten ausgehst. Wir sollten bald wieder an deiner Kondition arbeiten!“

„Ich … Wirklich? Na klar, ich bin dabei! Übung macht ja schließlich den Meister!“

„Dann lass uns doch gleich morgen Abend anfangen. Und was den Gefallen betrifft … Also, dieses Wochenende soll es doch schneien. Und falls ich im Schnee stecken bleibe, könntest du mich dann rausziehen und – das ist jetzt der Teil mit dem Gefallen – Ben kein Sterbenswörtchen verraten?“

„Hm, normalerweise erstatte ich ihm sowieso keinen Bericht, das ist also kein Problem. Aber wenn du dir solche Sorgen machst, warum legst du dir dann keinen anderen Wagen zu?“

„Ich verhandle schon seit Wochen mit so einem Autohändler aus Denver wegen einem SUV, aber bisher ist dieser schmierige Kerl mir zu wenig entgegengekommen. In zwei, drei Wochen habe ich ihn aber garantiert so weit.“

„Na, dann hoffen wir mal, dass du dir bis dahin in deiner Nussschale nicht alle Knochen gebrochen hast.“

„Ach was. Ich begnüge mich solange einfach damit, Ben in Angst und Schrecken zu versetzen.“

Als Molly auflegte, lachte sie immer noch. Doch je länger sie ihr neues schnurloses Telefon in der Hand hielt, desto mehr versiegte ihre gute Laune. Denn als Nächstes musste sie Cameron anrufen. Seit ein paar Tagen plagte sie nämlich wieder dieses schreckliche Gefühl, das sie aus Denver hatte flüchten lassen. Das Gefühl, beobachtet zu werden. Das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, dass Dinge plötzlich nicht mehr dort lagen, wo sie von ihr hingelegt worden waren, dass Türen offen standen, die sie geschlossen hatte.

Angefangen hatte es mit diesen seltsamen Geräuschen auf ihrem Weg zur Bar. Und dann war später die Haustür nicht mehr verschlossen gewesen. Im betrunkenen Zustand hatte sie sich noch nichts dabei gedacht, aber als sie am nächsten Morgen aufgewacht war, hatte sie wieder daran denken müssen. Und sie war sich plötzlich absolut sicher gewesen, die Tür abgeschlossen zu haben. Andererseits kannte sie das Haus ja auch noch nicht so gut. Vielleicht war der Türrahmen etwas verzogen, und das Schloss klemmte manchmal?! Und dann all das Seufzen und Knarzen und Rascheln, wenn sich das Haus nachts abkühlte … Aber daran würde sie sich schon noch gewöhnen.

In ihrem Verfolgungswahn hatte sie sich sogar Mrs Gibsons neueste Hass-E-Mail zu Herzen gehen lassen. Vielleicht war die alte Dame ja doch gar nicht so harmlos wie gedacht?! Vielleicht war sie ja eher vom Typ Kathy Bates aus Misery?! Doch Mollys Nachforschungen im Internet hatten alle darauf hingewiesen, dass es sich bei Mrs Gibson um eine achtzigjährige Rentnerin handelte, die auf Long Island in einem Seniorenwohnheim ihr Dasein fristete und regelmäßig Leserbriefe an alle möglichen Lokalzeitungen verfasste. Mrs Gibson regte sich nämlich nicht nur über erotische Literatur, sondern auch über liberale Schulräte, arbeitende Ehefrauen und steigende Taxipreise auf.

Kurz gesagt war es nicht wirklich wahrscheinlich, dass Mrs Gibson ihre Stalkerin war. Und damit blieb nur Cameron übrig.

Zum ersten Mal in ihrem Leben kam Molly der Gedanke, dass es vielleicht gar keine so schlechte Idee wäre, sich eine Waffe zuzulegen. Vielleicht würde sie dann ja wieder ruhiger schlafen. Oder einen Hund. „Hunde sind eindeutig niedlicher als Pistolen“, murmelte sie dem Telefon in ihrer Hand zu.

Als es klingelte, fuhr Molly hoch, und das funkelnagelneue Telefon flog in die Luft, krachte gegen die Arbeitsplatte und rutschte von da aus mit einem hohlen Klappern weiter ins Spülbecken. Molly versicherte sich kurz, dass das teure Ding nicht kaputtgegangen war, dann rief sie: „Ich komme schon!“ Auf dem Weg zur Haustür griff sie in die bereitstehende Süßigkeitenschale. Da es in Tumble Creek nicht sonderlich viele Haushalte gab, die die Kinder an Halloween heimsuchen konnten, hatte Molly besonders leckeren Süßkram in rauen Mengen besorgt. Bislang waren ihre kleinen Besucher völlig begeistert von ihrer Ausbeute gewesen.

„Trick or treat!“, quietschte ein kleines Mädchen, das hinter seinem dicken Schal halb verschwand. Die Mutter stand unten am Fuß der Treppe und winkte Molly zu.

Molly lächelte dem kleinen Mädchen zu, das in einem unförmigen Parka und weißen Jogginghosen steckte. Zwischen den winterlichen Kleidungsschichten ragte ein rosafarbenes Tutu hervor, und auf der Strickmütze prangte eine kleine Glitzerkrone.

„Du bist ja eine hübsche Prinzessin“, bemerkte Molly bewundernd, während sie ein paar Schokoriegel in die Papiertüte warf, die das Mädchen ihr entgegenstreckte. Die Kleine begutachtete ihre Ausbeute mit großen Augen. Ha! dachte Molly. In dieser Stadt bin ich beliebter als Britney Spears. Wenigstens bei den Fünf- bis Zwölfjährigen. „Prinzessinnen sollten den ganzen Tag nichts anderes als Schokolade essen“, fügte sie noch hinzu.

Die großen Augen funkelten, und Molly wurde ganz warm ums Herz. Sie liebte diese ganzen Kleinstadtbräuche wirk…

„Ich bin keine Prinzessin!“

Oh, oh, das klang aber ganz und gar nicht erfreut! „Ähm, tut mir leid! Ich bin …“

Dicke Krokodilstränen begannen zu fließen. Molly warf der Mutter einen verzweifelten Blick zu, doch die stand einfach nur da und zuckte sichtlich zusammen, weil sie wohl bereits ahnte, was als Nächstes kommen würde.

„Ich bin keine Prinzessin!“, brüllte das Mädchen jetzt und schwenkte wild einen Zauberstab hin und her, den Molly bisher gar nicht bemerkt hatte. „Ich bin eine Fee. Eine Fee!“

Endlich kam Bewegung in die Mutter. „Komm schon, Kaelin, wir gehen weiter, mein Schatz!“

„Ich will nicht mehr weitergehen. Und ich will diesen blöden Mantel nicht tragen! Niemand sieht meine Flü-hü-hügel!“ Mittlerweile war die Kleine ein schluchzendes Häuflein Elend aus Daunen und Goretex. „Ich hab dir doch gesagt, dass keiner meine Flügel sehen kann mit dem ekligen Mantel!“

„Herrgott noch mal“, murmelte die Mutter, während sie die Stufen heraufkam, um ihr am Boden zerstörtes Kind aufzusammeln.

„Tut mir so leid“, flüsterte Molly flehentlich.

Das Mädchen raffte sich ein letztes Mal auf, um ohrenbetäubend schrill „Ich bin eine Elfe!“ zu kreischen. Dann gelang es der Mutter, den kleinen Giftzwerg auf die Straße zu zerren.

Molly wunderte sich kein bisschen, dass Ben sich ausgerechnet diesen Augenblick aussuchte, um vorzufahren. Während die Mutter auf dem Gehweg direkt vor Mollys Haus leise und wütend auf ihre Tochter einredete, stieg er aus dem Wagen und blieb stehen, um die Szene zu beobachten. Schließlich wischte sich das Mädchen trotzig die Tränen weg und sah ihn an.

„Happy Halloween, Chief Lawson“, murmelte die Kleine traurig.

„Happy Halloween, Kaelin. Ich muss schon sagen, so eine hübsche Fee habe ich noch nie gesehen! Du siehst aus, als wärst du gerade erst aus deinem verzauberten Schneeschloss nach Tumble Creek gekommen!“

„Wirklich?“, hauchte das Mädchen verzückt. „Echt wahr?“

„Aber Kaelin, du weißt doch, dass Polizisten nicht lügen können.“ Er zog eine etwas zerdrückte Packung Candy Corn aus seiner Tasche und legte sie in die Tüte des Mädchens. Selbst mit einem Säckchen Diamanten hätte er Kaelin nicht glücklicher machen können. Jedenfalls strahlte sie jetzt von einem Ohr bis zum anderen.

„Danke, Chief“, sagte die Mutter verschwörerisch. Dann schob sie ihre Tochter weiter zum nächsten Haus.

Ben schenkte Molly die Andeutung eines Lächelns, gewürzt mit einer Prise Arroganz, die ihr ganz und gar nicht schmeckte. „Aber, aber, Moll! Wer wird denn an Halloween Kinder zum Weinen bringen?! Lernt man so was etwa in der großen Stadt?“

„Woher zum Teufel wusstest du, dass sie eine Fee ist?“

„Zauberstab“, erklärte er knapp, und Molly sackte in sich zusammen.

„Das verdammte Ding hatte ich völlig übersehen.“

„Gehört zu meinen Berufsanforderungen, auf Details zu achten.“

„Irgendwie mochte ich dich lieber, als du noch schüchtern warst.“

Das angedeutete Lächeln verwandelte sich für einen kurzen Moment in ein breites Grinsen, bei dem Molly die Knie ein bisschen weich wurden. Wirklich ins Taumeln geriet sie allerdings erst bei Bens nächsten Worten.

„Schau mal, das Päckchen hier lag auf deinem Briefkasten. Ist von einem Cameron Kasten. Ist das der Typ, der nicht dein Exfreund ist?“

„Ja“, blaffte Molly. Was hatte das denn nun schon wieder zu bedeuten? Ben hielt ihr das Päckchen hin, doch Molly machte keinerlei Anstalten, es zu nehmen. Stattdessen starrte sie es nur feindselig an.

Ben folgte ihrem Blick, dann sah er sie stirnrunzelnd wieder an. „Bist du sicher, dass du mir nicht erzählen willst, was hier los ist?“

„Absolut sicher.“ Jetzt, wo sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte, schnappte sie sich das Päckchen und zog sich wieder in die Wärme ihres Hauses zurück. Ben folgte ihr. War ja klar, dass er jetzt plötzlich bereit war, mit hineinzukommen.

Molly warf das Päckchen achtlos auf den kleinen Beistelltisch im Flur und ging in die Küche durch. „Willst du ein Stück selbst gemachten Apfelkuchen?“

„Wer hat den denn gebacken?“

„Na, ich!“

„Kuchen? Was ist denn in dich gefahren?“

„Kaffee!“ Der bloße Klang des Wortes heiterte Molly auf.

„Der Kaffee ist in mich gefahren. Meine Bohnen sind nämlich endlich angekommen.“ Sie wies auf das aufgerissene Fed-Ex-Paket auf der Anrichte.

„Oha.“ Ben musterte die Kaffeebohnenspur, die sich von der Arbeitsfläche über den ganzen Boden zog.

„Tut mir leid, dass es hier so chaotisch aussieht. Ich war so aufgeregt, dass ich übermütig geworden bin. Willst du einen Latte? Meine schicke Großstadt-Espressomaschine ist schon angeschlossen und warm gelaufen.“

Er neigte den Kopf und schien gründlich nachzudenken. Dann entspannte sich seine Schulterpartie sichtlich. „Du hast Kaffee und Kuchen, ich hab eine Tupperdose mit Chili im Auto. Klingt doch nach einem richtigen Dinner.“

„Dinner? Das ist ja quasi ein Date!“

Aber Ben hatte schon angefangen, den Kopf zu schütteln, als sie noch gar nicht ausgeredet hatte. „Nein, ein Date würde so aussehen, dass ich dich in meine Hütte fahre, wo wir vor dem Kamin zu Abend essen würden. Mit Wein und Dessert. Und dann würden wir vielleicht zu der Heißquelle am Rand des Grundstücks spazieren, und dann würde ich dich ausziehen und ins Wasser tragen. Und dann, Molly, dann würden wir mitten im warmen Wasser miteinander schlafen, während uns die Schneeflocken auf der Haut schmelzen, und es wäre uns total egal, wie kalt die Luft ist. Uns wäre alles total egal, weil wir nämlich nicht genug voneinander bekommen könnten. Das wäre ein echtes Date.“

Heilige Muttergottes, das wäre es wirklich.

„Aber wir haben kein echtes Date, weil du dich weigerst, mir mehr von dir zu erzählen. Also werden wir einfach nur Chili und Kuchen in der Küche essen, und das war’s dann.“

„Das war’s dann?“, wiederholte sie mit schwacher Stimme.

Bedauernd hob er die Hände. „Ist dieser Cameron Kasten ein Kollege von dir?“

Molly unterdrückte das rasende Bedürfnis, Ben den Kuchen ins Gesicht zu schleudern. „Halt die Klappe und hol das Chili. Und hör gefälligst auf, so selbstzufrieden zu gucken! Bildest du dir wirklich ein, dass ich dich nicht jederzeit rumkriegen könnte, wenn ich wollte?“

Er ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Aber ein bisschen verunsichert wirkte er schon. Das fand Molly jedenfalls. Sehr gut. Vielleicht sollte sie sich inzwischen nackt auf der Anrichte drapieren. Sie hatte sogar Schlagsahne da.

Klang eigentlich gar nicht so abwegig.

Aber dann war er auch schon wieder zurück, die Tupperdose unter den Arm geklemmt.

„Warum fährst du in deinem Truck Chili spazieren?“

„Warum hast du eine superdicke Internetantenne auf dem Hausdach?“

Sie beschloss, die Frage einfach zu ignorieren. „Hör mal, das mit der Zeitung tut mir wirklich leid. Ich kann das gar nicht oft genug sagen. Und ich hätte dich auch nicht dazu verführen sollen, mit mir zu … du weißt schon.“

„Das würde ich ja wohl kaum als Verführung bezeichnen.“

„Und was soll das jetzt schon wieder heißen?“

„Dass du ziemlich betrunken und ein bisschen neben der Spur warst. Wenn einer von uns beiden für das Ganze verantwortlich ist, dann ja wohl ich.“

„Ein bisschen neben der Spur, ja? Na, du scheinst den Abend ja in bester Erinnerung zu haben.“ Sie selbst hatte sich ihr kleines Tête-à-Tête mit Ben bisher in den schönsten Farben ausgemalt, aber auf einmal sah sie die Vergangenheit mit anderen Augen. Genau genommen sah sie sich selbst, wie sie sich weinselig, lallend und einen grausam schlechten Witz nach dem nächsten reißend am Schoß eines unwilligen Mannes rieb.

Oh, verdammter Mist. Sie hatte Ben Lawson als Sexspielzeug benutzt.

Molly bedeckte entsetzt ihre Augen mit den Händen und versuchte an etwas anderes zu denken. So war das doch gar nicht gewesen! Na gut, ja, sie hatte ihn als Sexspielzeug benutzt, aber er war alles andere als unwillig gewesen. Tatsächlich waren seine Küsse sogar ungemein entgegenkommend gewesen.

Ben berührte ihre Hand, und sie lugte zwischen den Fingern hervor.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich Spaß hatte, Molly. Und falls du dich erinnerst: Polizisten können gar nicht lügen.“

„Aber jetzt glaube ich, dass ich dich benutzt habe!“

„Oh ja, das hast du allerdings. Und ich bin wirklich so schrecklich traumatisiert, dass ich kaum die Hände von dir lassen kann, obwohl wir beide gute Gründe dafür hätten, uns nicht aufeinander einzulassen.“

Sein sonst so vorsichtiger und zurückhaltender Blick flackerte plötzlich verheißungsvoll auf. Seine Augen glühten praktisch vor Hitze. Brennender Hitze. Brennend im Sinne von „Ich will dir die Klamotten vom Leib reißen und dich draußen im Wasser vögeln.“ Auf einmal ging eine fast unerträgliche Spannung von ihm aus, ein elektrisierendes Knistern, das sich insbesondere in den hochgradig empfindlichen Nerven südlich von Mollys Bauchnabel bemerkbar machte.

Er hatte es schon wieder getan: Sie war durch einen einzigen Blick feucht geworden. Wie machte der Typ das nur?

Molly ließ langsam die Hände sinken und sah diesen Mann, der ihr plötzlich überhaupt nicht mehr vertraut war, verblüfft an. Er war kein Logikprofessor mehr, sondern der personifizierte Sex.

Und es gab nur eine einzige Möglichkeit, wie sie diesen Leckerbissen bekommen konnte.

„Okay, ich sag dir …“

Ein schrilles Klingeln unterbrach sie bei ihrem Geständnis. Ben kniff die Augen zusammen, wodurch die Wirkung seines Laser-Verführungsblicks noch stärker wurde. „Was willst du mir sagen, Molly?“

Ding-dong!

Oh Gott. Sie wollte es ihm ja sagen, wollte ihm alles erzählen, damit er sie ins Bett trug und sie endlich ihre Fantasien ausleben konnte.

Was nicht passieren würde. Weil ihre Fantasien ja schließlich das Problem waren.

Jemand klopfte ungeduldig mit der Faust an die Tür. Molly schüttelte den Kopf, um sich aus dem Bann von Ben und seinen Superkräften zu befreien. „Bringen sie euch das auf der Polizeiakademie bei?“

Doch bevor er antworten konnte, machte sie auf dem Absatz kehrt und marschierte zur Haustür. „Happy Halloween“, grollte sie die drei Jungs an, die draußen standen, und stopfte ihnen die Hälfte ihrer Süßigkeiten in die Tüten.

Die Jungs murmelten irgendetwas von wegen „Cool“ und „Geil“, und Molly hatte kein schlechtes Gewissen dabei, ihnen die Tür vor der Nase zuzuknallen. Schließlich hatten sie ihre Beute, und mehr interessierte diese pubertierenden Raubtiere nicht.

„Was wolltest du mir sagen?“, fragte Ben aus nächster Nähe.

Sie fuhr herum und winkte ab. „Nichts. Dein böser Bann ist gebrochen.“

„Was für ein böser Bann denn?“

„Du weißt schon, diese Sache mit dem Sex und den Augen.“

„Dem Sex? Meine Güte, Molly!“ Er lachte los, ein rauchiges, tiefes Geräusch, das ihr kleine Schauer über den Rücken jagte. So hatte sie ihn das letzte Mal lachen hören, als er zweiundzwanzig gewesen war. Und betrunken. Sie hatte ganz vergessen, wie sehr ihr dieser Klang durch Mark und Bein ging.

Er lehnte sich gegen die Wand und grinste sie an. „Ich glaube übrigens, ich sollte Quinn anrufen und mal nachfragen, was für Medikamente du nehmen musst. Ich habe nämlich den Eindruck, dass du gerade durchdrehst.“

Molly sang eine Strophe von „Sexual Healing“ vor sich hin und ging an ihm vorbei in die Küche. Ben schüttelte nur den Kopf.

„Wenn du mich schon nicht anderweitig beglücken willst, dann mach mir wenigstens was zu essen“, sagte sie. „Ich habe seit Mittag nichts außer Apfelkuchen zu mir genommen. Und einen Schokoriegel, aber das zählt nicht. Schließlich ist Halloween.“

Er nickte knapp und machte sich an die Arbeit. Im Handumdrehen hatte er das Chili in der Mikrowelle aufgewärmt und den Tisch gedeckt. Eigentlich hätte Molly ihm helfen sollen, aber es machte einfach zu viel Spaß, ihm zuzusehen. Also setzte sie sich auf die Anrichte und beobachtete, wie Ben in der Küche hin und her wirbelte, als wäre er hier ganz zu Hause.

Gott, was für ein Mann! Seine Hüften waren auf genau die richtige Weise schmal, was seine Brust und die breiten Schultern betonte. Und den Arsch. Und auch den ganzen Rest, den Molly so wahnsinnig gerne noch mal nackt gesehen hätte.

Sie konnte sich immer noch bis ins kleinste Detail an den Anblick erinnern, wie er damals vor ihr gestanden hatte, splitterfasernackt, erregt und … ziemlich beeindruckend. Dick und lang und glänzend feucht von der Zunge dieser Frau.

Sie unterdrückte ihr aufgeregtes Erschauern und rief sich ins Gedächtnis, dass diese Nacht viele, viele Jahre zurücklag. Damals war sie noch vollkommen unerfahren gewesen, und vielleicht hatte sie seine Ausstattung in übertrieben guter Erinnerung. Ja, er war definitiv größer als Ricky, aber das war auch keine Kunst. Und neulich Abend in seinem Truck war sie so betrunken gewesen, dass sie sich nicht sicher war, ob die Wölbung in seiner Hose wirklich so groß gewesen war, wie sie geglaubt hatte.

Er ist einfach nur ein Mann. Ein Mann wie tausend andere. Aber wenn sie ehrlich war, glaubte sie das selbst nicht. Ben war ein verdammtes Kunstwerk, Schluss, aus.

Mit einem leisen Räuspern unterbrach er ihre schwärmerischen Gedanken. „Und wo wir gerade bei Psychopharmaka sind …“

Sie sah zu ihm auf. „Ja?“

Ben wies auf ihr neues Telefon. „Willst du das Ding baden? Ich glaube nicht, dass es sich gut mit Wasser verträgt. Zum Glück habe ich den Hahn nicht einfach aufgedreht.“

„Oh, das … äh … das ist mir vorhin runtergefallen.“

„Ha, endlich wirst du mal rot! Wegen dem Telefon im Waschbecken oder weil du meinen Arsch angestarrt hast?“

Molly schob das Kinn vor und warf ihm einen wütenden Blick zu. „Mit dir flirte ich nicht mehr. Ich spiele nicht mehr mit. Du hast mich überhaupt nicht verdient, und ich habe auch gar kein Interesse mehr an dir.“

„Aha.“

„Willst du ein Bier? Oder ein Glas Wein?“

Ben warf einen Blick auf seine Uhr, dann setzte er sich an den Tisch und fing an, das Chili auf den Tellern zu verteilen. „Lieber nicht. Wenn heute Nacht irgendwas schiefläuft, muss ich sofort los.“

Mit einem Schlag war die ganze Küche von Kräuterdüften erfüllt. „Mann, das riecht echt gut!“

„Hat Brenda gekocht.“

„Dann richte ihr bitte aus, dass sie eine Göttin ist.“ Molly legte eine CD ein, nahm neben Ben Platz und schenkte sich ein Glas Cola ein.

Sie aßen schweigend, tauschten aber immer wieder Blicke, die anfangs wachsam waren, aber schnell immer herausfordernder wurden.

„Willst du das Päckchen gar nicht aufmachen?“, fragte Ben schließlich und legte klirrend seinen Löffel ab.

Molly sah kurz in Richtung Diele. „Nein.“

„Dann weißt du also, was drin ist?“

Nein, wusste sie nicht. Aber es war von Cameron, und das bedeutete, dass es ein aufmerksames und liebevoll ausgewähltes Geschenk enthielt, bei dessen Anblick ihr das ganze Chili wieder hochkommen würde. Entweder das, oder Cameron war endlich richtig übergeschnappt und hatte ihr einen abgeschnittenen Tierkopf geschickt.

„Ich will es einfach nicht vor dir aufmachen, weil du so ekelhaft neugierig bist.“

„Cameron Kasten“, murmelte Ben nachdenklich, und das war der Augenblick, in dem Molly begriff, dass sie ein Problem hatte.

Sie schaffte es gerade eben so, ein „Lass es!“ hervorzustoßen.

„Was?“

„Ich fände es gar nicht anziehend, wenn du anfängst, mir hinterherzuspionieren.“

Er sah ihr in die Augen. Sein Blick war ausdruckslos.

„Du hast schon längst Nachforschungen angestellt, oder?“ Unter seinem linken Auge zuckte ein kleiner Muskel. „Hier geht es nicht um mich.“

„Natürlich tut es das! Du bist hier derjenige mit dem Problem! Und du bist hier auch der Einzige, der anderen Leuten hinterherspioniert!“

„Der Einzige? Von wegen! Miles hat nämlich deinen Bruder angerufen, um herumzuschnüffeln. Die Ergebnisse kannst du in seiner Zeitung nachlesen.“

Damit hatte er ihr genau das Argument geliefert, mit dem sie diese Diskussion beenden konnte. „Du vergleichst dich freiwillig selbst mit Miles?“

„Scheiße, nein!“

Ein entferntes Kichern drang an ihre Ohren, gefolgt von einem zögernden Klopfen. „Entschuldige mich bitte. Die Pflicht ruft.“

Ihren neuesten Halloween-Besuch fertigte sie im Eiltempo ab, obwohl es sich um Miles’ Enkelin handelte. Unten an der Treppe stand ein feixender Miles, der einen wissenden Blick auf Bens Truck in der Auffahrt warf.

Molly knallte die Tür zu und verlor Ben gegenüber kein Wort über den Vorfall. Stattdessen versorgte sie ihn schweigend mit Kaffee und Kuchen und ließ ihn dann seines Weges ziehen.

6. KAPITEL

Es war eiskalt und immer noch stockdunkel, und Molly hatte wirklich überhaupt keine Lust, aufzustehen. Ein Blick auf den Wecker auf dem Nachttischchen verriet ihr, dass es drei Uhr siebenundzwanzig war. Puh.

Wenn sie ihre Blase einfach ignorierte, würde sie vielleicht noch mal einschlafen. Aber wenn sie sich jetzt aufraffte und aufs Klo ging, könnte sie länger ausschlafen.

Mit einem lauten Stöhnen zog sie sich die Daunendecke bis unter die Nase und sammelte Mut, um ihren warmen Kokon zu verlassen. Sie schob einen Fuß in Richtung Bettkante und verzog das Gesicht, als eiskalte Luft unter die Decke drang und sich wie eine Schlange um ihren Knöchel wand.

Der Morgenmantel lag zwar in Reichweite auf dem Boden, hätte Molly aber auch nichts genutzt. Das Ding war genauso kalt wie der Rest des Zimmers.

Sie kniff die Augen zu, schlug die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Prophylaktisch legte sie die Decke aber wieder zurecht, damit so wenig Wärme wie möglich nach außen drang. Dann hastete sie auf Zehenspitzen in den Flur zum Badezimmer. Die weißen Kacheln brannten wie Eis unter ihren bloßen Füßen, bis sie sich auf den kuscheligen Vorleger stellte, den sie sich vor dem Umzug noch besorgt hatte.

„Gott sei Dank“, murmelte sie, als ihre Füße in den weichen Plüsch sanken. Doch als sie sich hinsetzte, schlug ihre Dankbarkeit blitzartig in abgrundtiefes Grauen um. Die Kacheln waren tropisch warm im Vergleich zum Toilettensitz.

Morgen früh würde sie gleich als Erstes online gehen und herausfinden, ob die Japaner vielleicht schon eine beheizbare Klobrille erfunden hatten. Vielleicht war es sogar an der Zeit, sich einen richtigen Schlafanzug zuzulegen. Top und Slip reichten bei diesen arktischen Temperaturen jedenfalls nicht mehr aus.

Nicht mal eine Minute später lag sie wieder im Bett und fröstelte unter den lauwarmen Laken. Erstaunlich, wie schnell sie in der Großstadt vergessen hatte, dass es manchmal nichts Schöneres als ein warmes Bett in einer kalten Nacht gab!

Jetzt, wo sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, stellte sie fest, dass es so finster gar nicht war in ihrem Schlafzimmer. Hinter den Fenstern leuchtete der Mond zwischen tief hängenden weißen Wolken hindurch. Der ganze Himmel schien milchig zu leuchten. Der Bergkamm hinter dem Haus zeichnete sich in einer schroffen, zerklüfteten Linie rabenschwarz gegen das blasse Firmament ab.

Mittlerweile war ihr wieder warm geworden, und sie entspannte sich wieder, während sie das wunderschöne Panorama betrachtete. Sie folgte den Umrissen des Grats über die drei Fenster hinweg von einem Ende ihres Grundstücks bis zum anderen. Eine schlanke hohe Kiefer, die wie eine schwarze Rakete in den Sternenhimmel ragte, unterbrach die Sicht. Und direkt dahinter war noch ein kleinerer Umriss zu erkennen, der … fast wie ein Mensch aussah!

Molly runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern, was dort oben alles wuchs. Vielleicht eine knorrige Pinyon-Kiefer? Aber je genauer sie hinsah, desto mehr erinnerte sie das Ding da draußen an einen Menschen. An einen Mann, der seine Arme in die Seiten stemmte.

Was zum Teufel …?

Auf einmal konnte sie keinen Finger mehr rühren, und eine eisige Furcht kroch von ihrem Bauch aus durch ihre Adern bis in die Gliedmaßen.

Die Silhouette stand vollkommen reglos da. Molly kam es fast so vor, als hätte sie eine unsichtbare Verbindung zu dem Unbekannten, als könnte sie den durchdringenden Blick ihres Beobachters sehen. Solange sie sich nicht bewegte, würde er es auch nicht tun. Und solange sie nicht atmete, atmete auch er nicht.

Das bisschen Wärme, das sich unter der Decke angestaut hatte, schien mit einem Schlag zu verpuffen. Molly fing an zu zittern, versuchte sich zusammenzureißen, doch je mehr sie dagegen ankämpfte, desto schlimmer wurde es.

Wer war das? Wer stand da mitten in einer eiskalten Winternacht auf dem Berg und sah ihr beim Schlafen zu?

„Oh Gott“, flüsterte sie, nachdem sie sich endlich getraut hatte, wieder Luft zu holen. Das war eindeutig zu unheimlich für ihren Geschmack. Viel unheimlicher, als wenn sich jemand an ihrer Haustür zu schaffen gemacht hätte. Warum steht der Typ einfach nur so da? Wusste er, dass sie ihn entdeckt hatte?

Sie ballte die Hände zu so festen Fäusten, dass die Fingernägel in die Innenflächen drückten. Ihre Zähne klapperten wie verrückt, aber sie versuchte, absolut reglos dazuliegen. Wenn sie ganz stillhielt, verschwand der Fremde vielleicht einfach in der Nacht.

Die Silhouette neigte den Kopf. Dann hob sie langsam eine ihrer Schattenhände und winkte, als wollte sie Molly verspotten.

Die Panik erlöste Molly endlich aus ihrer Starre. Sie hechtete nach dem alten Telefon und hätte sich fast selbst k. o. geschlagen, als sie sich aus Versehen den massiven Hörer gegen den Kopf rammte. Im ersten Moment glaubte sie schon, das Ding kaputt gemacht zu haben, weil kein Geräusch aus der Muschel drang. Doch dann erinnerte sie sich, dass sie bei ihrem Wutanfall neulich den Stecker aus der Wand gezogen hatte.

„Oh Gott. Oh Gott.“ Sie spähte aus dem Fenster, aber die Silhouette war verschwunden. Die Kiefer stand jetzt ganz alleine auf dem Grat. Wo war er hin?

Molly kroch aus dem Bett, landete auf allen vieren und tastete den Boden nach dem Telefonkabel ab. Mann, irgendwo musste das verdammte Ding doch sein!

Ihre Finger glitten über den Teppich, streiften den Ohrring, der ihr neulich runtergefallen war, dann ein Kleenex. Molly kämpfte mit den Tränen.

Und dann, endlich, hielt sie den kleinen Clip zwischen den Fingern, in dem das Kabel mündete. Mit zitternden Händen holte sie das Telefon zu sich auf den Boden, steckte das Kabel ein und wählte Bens Nummer. Ihre Hände handelten ganz ohne ihr Zutun. Die Nummer kannte sie seit ihrer Kindheit, weil Ben niemals umgezogen war.

„Lawson“, meldete er sich. Seine Stimme klang so nahe, als wäre er schon längst bei ihr.

„Ben, da ist jemand hinter meinem Haus.“

„Molly?“

„Jemand ist da draußen auf dem Hügel!“

„Wo bist du?“ Er klang hellwach.

„In meinem Schlafzimmer.“

„Und er befindet sich auf dem Hügel? Da oben verläuft ein Wanderweg. Vielleicht ist er …“

„Wer wandert denn bitte mitten in der Nacht? Und … er hat einfach nur dagestanden und mich beim Schlafen beobachtet!“

„Okay, beruhig dich. Wahrscheinlich hat das gar nichts zu bedeuten. Sind deine Vorhänge denn nicht zu, Molly? Darauf solltest du nachts unbedingt achten!“

Anfangs hatte der Klang seiner Stimme sie beruhigt, aber jetzt spürte sie die Panik wieder aufflackern. Bestimmt würde sie gleich hören, wie eines der Erdgeschossfenster zerschlagen wurde. „Und das war’s? Du hältst mir einfach nur einen Vortrag über Vorhänge? Er könnte … Willst du nicht mal vorbeikommen, um nach dem Rechten zu sehen?!“

„Meine Güte, Molly, ich sitze doch schon längst in meinem Truck! Noch zwei Minuten, dann bin ich da. Das Telefon geht gleich …“

Und dann war er weg. Jetzt war sie wieder allein. Aber nur für zwei Minuten, das würde sie überstehen. Irgendwie.

Obwohl sie gerade erst auf dem Klo gewesen war, hatte sie schon wieder das Gefühl, pinkeln zu müssen. Ein paar ihrer Romane waren ganz schön spannend, aber mit einem Mal begriff sie, dass es ihr nie gelungen war, wahre Angst zu beschreiben. Ihre Heldinnen waren nie kurz davor gewesen, sich in die Hosen zu machen. Aber genau dieses Schicksal drohte Molly jetzt. Sie rollte sich zusammen und drückte sich Schutz suchend noch ein Stückchen näher ans Bett.

Die Ausstrahlung dieser Gestalt da draußen war zutiefst bedrohlich gewesen, auch wenn sie einfach nur dagestanden hatte. Sie wirkte so … vollkommen wahnsinnig.

Dabei hatte diese Person nicht mal etwas getan! Und Ben würde in einer Minute hier sein, und dann war alles gut.

Molly kniete sich vorsichtig hin und spähte über die Matratze. Da war niemand. Außer, der Typ kroch gerade durch die Schatten unter ihren Fenstern, um die Hintertür zu erreichen.

Aber die war ja abgesperrt. Ziemlich sicher, jedenfalls.

Sie hatte immer noch Angst, aber immerhin hatte sie sich wieder im Griff und konnte klar denken. Sie musste Ben die Haustür aufmachen.

Weil sie nicht würdelos auf allen vieren herumkriechen wollte, huschte sie geduckt in die Diele, wo sie das Licht anschaltete, um nicht hinter der nächsten Ecke ihrem Widersacher in die Arme zu laufen. Sie hatte genug Gruselfilme gesehen, um zu wissen, wie man sich in solchen Situationen verhielt.

Regel Nummer eins: Licht einschalten.

Regel Nummer zwei: Geh niemals in den Keller.

Regel Nummer drei: Bitte umgehend den superheißen Polizisten um Hilfe.

„Genau“, flüsterte sie, dann lugte sie um die Ecke, um sicherzugehen, dass der Weg zur Treppe frei war. Die Luft war zwar rein, aber trotzdem war es im Erdgeschoss für Mollys Geschmack ein bisschen zu schummrig.

Ein Schatten glitt an ihrem Wohnzimmerfenster vorbei, nur eine verschwommene dunkle Silhouette.

„Ein Zweig. Bitte lass es nur einen Zweig sein. Bitte!“

Dann blitzte ein Licht auf. Rot. Dann blau und wieder rot.

„Ben!“, keuchte sie und rannte auf die Treppe zu. „Ben, Ben, Ben!“ Bei jeder Stufe, die sie nahm, stieß sie seinen Namen hervor.

Im selben Augenblick, in dem ihr Fuß auf dem glatten Holzboden in der Diele aufsetzte, erschütterte ein lautes Klopfen das Haus.

„Molly!“, rief Ben vor der Tür, und sie fummelte mit zitternden Händen am Schloss herum, und dann war die Tür endlich offen, und Ben zog sie in seine Arme. „Alles in Ordnung?“

Sie nickte gegen seine Brust und ließ sich von ihm zurück ins Haus führen. „Ja, mir geht es gut.“

„Du hast nicht …“ Als er erleichtert seufzte, streifte sein warmer Atem ihr Ohr. „Ich habe versucht, dich vom Handy aus anzurufen … Mann, du hast mir echt eine Heidenangst eingejagt!“

„Mir geht es gut.“ Er roch warm und nach Sicherheit. Auf einmal kam Molly ihre Angst albern und ganz weit weg vor.

„Frank ist schon auf dem Weg. Wir müssen prüfen, ob hier drinnen alles sicher ist, und dann sehen wir uns mal draußen um.“

Sie drückte sich noch enger an ihn. „Ehrlich gesagt habe ich mich nicht wirklich um irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen gekümmert.“

„Molly …“

„Ja, ja, ich weiß. Du bist Polizist, und ich bin einfach nur …“

Sie wollte, dass er bei ihr blieb, einfach nur blieb. Sie vielleicht ins Bett brachte und ihr den Rücken kraulte, bis sie einschlief.

„Lass mich nur kurz einen Blick auf die Türen und Fenster werfen, und dann zeigst du mir, wo du ihn gesehen hast, okay?“

Molly schlich kleinlaut hinter Ben her, der gründlich alle Zimmer inspizierte. Sorgfältig überprüfte er jedes einzelne Schloss und Scharnier. Er stieg sogar in den Keller, aber hier siegte für Molly Regel Nummer zwei, und daher blieb sie sicherheitshalber oben auf dem Treppenabsatz stehen. Ihre Muskeln zuckten noch immer nervös, und sie hielt gespannt den Atem an, bis Ben wieder bei ihr war.

Als er an ihr vorbei in die Diele trat, holte eine laute Stimme sie zurück in die Realität. „Ich bin da, Chief.“

„Warte kurz“, antwortete Ben in ein kleines Gerät an seinem Revers, während Molly noch damit beschäftigt war, ihren Herzschlag wieder auf ein erträgliches Maß zu senken.

„Komm, wir gehen nach oben.“ Seine Hand ruhte für einen viel zu kurzen Moment auf ihrer Hüfte. Was sie nicht alles aus dieser Situation hätten machen können, wenn Ben nicht aus beruflichen Gründen zu ihr gekommen wäre …

Sobald sie oben im Schlafzimmer waren, schnappte Molly sich ihren zerknitterten Morgenmantel und schlüpfte hinein, während Ben das Telefon vom Boden aufhob und wieder auf den Nachttisch stellte.

„Okay, dann zeig mir mal, was du gesehen hast.“

Sie erklärte ihm den Vorfall, so gut sie konnte. Während sie sprach, kam sie sich zunehmend albern vor, aber Ben wirkte aufmerksam und ernst. Und dann war er weg. Verschwunden in der Nacht.

Molly beobachtete durchs Fenster, wie die Taschenlampenstrahlen durch die Dunkelheit tanzten, während Ben und seine Verstärkung den Garten nach einem Durchgang zum Wanderweg absuchten.

Bens Anwesenheit hatte sie zwar beruhigt, aber trotzdem war sie sich nach wie vor absolut sicher, dass sie jemanden gesehen hatte. Einen Mann. Und ihr fiel nur ein einziger Name ein, der zu nächtlichen Gruselbesuchen passte.

Sie würde Ben von Cameron erzählen müssen. Wer er war und warum sie ihn verdächtigte. Aber war Cameron wirklich zu etwas so … Verrücktem in der Lage? Eine derartige Geheimniskrämerei passt eigentlich gar nicht zu Camerons sonstigem Verhalten. Hier war doch niemand, den er als Publikum benutzen konnte, niemand, der ihm nachher anerkennend auf den Rücken klopfen würde. Niemand, der ihm anschließend versichern konnte, dass er genau das Richtige getan und damit nur die besten Absichten verfolgt hatte.

Aber wer sonst konnte der Unbekannte gewesen sein?

Molly griff nach dem Telefon und wählte Camerons Festnetznummer.

„Sergeant Kasten“, murmelte er heiser. Selbst mitten in der Nacht beharrte dieser Idiot noch auf seinem Titel.

„Cameron, wo bist du?“

„Was?“

„Wo du bist!“, wiederholte sie barsch.

„Molly? Es ist halb vier Uhr morgens! Ich schlafe! Im Bett.“

„Mach den Fernseher an.“

„Warum?“

Als Mitarbeiter der Polizei kannte Cameron sich bestens aus mit gefälschten Alibis. Jeder Trottel konnte seine Festnetznummer auf das Handy umleiten. „Du sollst diese Riesenkiste anschalten, die vor deinem Bett hängt. Los.“

„Okay, okay. Mann, was ist denn los?“

Am anderen Ende der Leitung war ein Rascheln zu hören, dann drangen die unverwechselbaren Klänge des Sportkanals durch den Hörer. Cameron war also tatsächlich zu Hause.

„Okay“, flüsterte sie. Auf einmal hatte sie keine Ahnung mehr, was sie denken sollte.

„Was ist denn los, verdammt noch mal? Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Ja. Tut mir leid, dass ich dich gestört habe, Cameron. Tschüss.“ Sie legte auf, dann besann sie sich eines Besseren und legte den Hörer wieder neben die Gabel. Ohne Vorsichtsmaßnahmen würde Cameron vermutlich die ganze Nacht über anrufen, und dann würde sie Ben so einiges erklären müssen. Da das Tuten nervte, stopfte sie den Hörer unter ihr Kissen.

Ihre Füße fingen an, vor Kälte taub zu werden, also zog Molly ihre Häschenpuschen unter dem Bett hervor und lief ins Erdgeschoss, um die Heizung aufzudrehen. Dann goss sie sich zu Stärkung ein Glas Wein ein und setzte sich an den Küchentisch, um auf Ben zu warten.

Wenn Cameron nicht der Täter war, wusste sie auch nicht mehr weiter. Und sie glaubte auch nicht, dass er einen seiner Freunde nach Tumble Creek geschickt hatte, um sie auszuspionieren. Cameron selbst war ihr zwar schon häufig „zufällig“ über den Weg gelaufen, aber er würde sich nie trauen, jemanden darum zu bitten, ihr absichtlich Angst einzujagen. Schließlich würden dann seine wahren Absichten ans Tageslicht kommen, und das würde er nicht riskieren.

Und diese briefeschreibende Mrs Gibson war es auch nicht gewesen. Selbst wenn die bösartige Seniorin Mollys wahre Identität ermittelt hätte und quer durch die USA geflogen wäre, um sie zu stalken: Keine Achtzigjährige der Welt würde es ganz alleine und mitten in der Nacht auf diesen steilen Berg schaffen. Außerdem hatte die Silhouette nach einem Mann ausgesehen. Also wer zur Hölle war der Unbekannte gewesen?

Als Ben endlich wieder an der Haustür klopfte, fühlte sie sich, als wären Stunden vergangen. Doch ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es gerade mal fünfzehn Minuten her war, seit er sie allein gelassen hatte. Hastig öffnete sie ihm die Tür. Als er eintrat, brachte er den Duft von Schnee mit sich ins Haus. Auf seinen Schultern und in seinem Haar glitzerten winzige Eiskristalle.

„Hast du ihn gefunden?“, fragte sie, während Ben die Tür hinter sich abschloss.

„Nein, da oben war nichts. Der Pfad war noch trocken. Es schneit erst, seit wir uns auf den Rückweg gemacht haben. Bist du dir wirklich ganz sicher, dass du jemanden gesehen hast? Oder kann es sein, dass du geträumt hast?“

„Ich war hellwach, weil ich gerade vom Klo kam.“

„Und was hattest du an?“ Sein Blick glitt kurz zu ihren Puschen und wieder hinauf.

Verständnislos schüttelte sie den Kopf.

„Die King-Mine ist nicht mal eine Meile weit entfernt“, erklärte Ben. „Ich war gestern dort. Das Schloss war aufgebrochen, und es lagen Bierdosen herum. Wenn dort Teenager unterwegs waren …“ Er zuckte mit den Achseln und fuhr sich ungeduldig durchs Haar, in dem jetzt Tropfen funkelten, weil die Schneeflocken zu schmelzen begonnen hatten. „Morgen sehe ich mir die Mine noch mal an. Wahrscheinlich war das nur irgendein Teenie auf dem Heimweg, der sich von dem Anblick einer jungen Frau in Unterwäsche nicht losreißen konnte.“

Molly wollte schon protestieren – schließlich war die Situation doch viel bedrohlicher gewesen! Aber dann biss sie sich doch auf die Zunge. War eine so einfache Erklärung denkbar? Ein jugendlicher Zufallsspanner, der sich mit einem Sixpack Billigbier betrunken hatte? Dicht gefolgt von Ben ging sie wieder in die Küche.

„Oder gibt es vielleicht etwas“, fuhr er in warnendem Ton fort, „das du mir sagen solltest? Hast du Grund zur Annahme, dass du beobachtet wirst?“

Da sie mit Sicherheit ausschließen konnte, dass Cameron der Übeltäter war, konnte sie guten Gewissens den Kopf schütteln. „Nein. Es hat sich einfach nur sehr bedrohlich angefühlt. Glaubst du wirklich, dass es nur ein Zufall war?“

„Hattest du mehr als Unterwäsche an?“

„Ein Top.“

„Dieses Top?“

Sie blickte zum Saum ihres knappen weißen Shirts hinab, das unter dem Seidenmorgenmantel hervorlugte. „Genau.“

„Dann hätte ich mit siebzehn auch ein kleines Päuschen eingelegt, um dich zu beobachten.“

„Na klar. Du hättest nie im Leben mitten in der Nacht durch ein Schlafzimmerfenster gespannt.“

„Es ist ja nicht so, dass sich dein Beobachter durchs Gebüsch geschlagen hat, um durch die Vorhänge zu spähen. Mach in Zukunft deine Gardinen zu, verstanden?“

„Klar“, fauchte Molly und knallte ihr Glas so heftig auf den Tisch, dass der Wein herausspritzte. „Ich mag es einfach, direkt nach dem Aufwachen in die Natur zu sehen. Findest du wirklich, es ist mein Fehler, dass mitten in der Nacht eklige Typen durch die Berge wandern und sich an meinem Anblick ergötzen?“

„Molly …“

Erst als er sie fest an sich zog, merkte sie, dass sie weinte, und das machte sie noch wütender. Aber trotzdem fühlte Ben sich so gut an, dass sie sich weiter von ihm festhalten ließ. Langsam verpuffte ihr Ärger. „Mit mir ist alles in Ordnung, Ben“, wiederholte sie und vergrub ihr Gesicht in seiner offen stehenden Jacke. Sie sog den warmen Duft seiner Haut und der Lederjacke ein. Ben roch genauso, wie ein Mann riechen sollte: sauber und nach frischem Nadelholz.

Als sie leise schniefte, seufzte er auf.

„Frank ist zurück zur Station gefahren, um den Bericht zu schreiben. Und ich verspreche dir, dass ich mich morgen noch mal umsehe, okay?“

„Ich habe jemanden gesehen“, bekräftigte sie. Bens Kinn glitt über ihr Haar, als er nickte.

„Das weiß ich doch. Wenn du glaubst, dass du schlafen kannst, bringe ich dich jetzt ins Bett.“

Jippieh! War das sein Ernst? Molly gab sich alle Mühe, sich ihre Freude nicht anmerken zu lassen. „Ich denke, dass es einen Versuch wert ist“, flüsterte sie leise und betont hoffnungslos.

„Es ist erst vier.“ Jetzt lag seine große Hand wieder auf ihrer Taille. Mit sanftem Druck führte er Molly zur Treppe. „Na, dann ab ins Bett mit dir.“

„Wie du meinst.“ Oh ja, kümmer dich um mich, du großer, starker Adonis. Sie war ziemlich gespannt, wie weit er gehen würde, um ihr beim Einschlafen zu helfen. Jetzt, wo die Angst verflogen war, reagierte Molly wieder genauso wie sonst auf Bens Anwesenheit: deprimierend willig. Um nicht zu sagen: sexsüchtig. Aber das musste Ben ja nicht wissen. Jedenfalls noch nicht.

Mit wackelnden Hüften ging sie vor ihm die Treppe hoch. Das konnte ihm ja wohl nicht entgehen! Ihr Morgenmantel bedeckte nur knapp ihren Hintern. Molly hoffte schwer, dass Ben ihr Höschen sehen konnte.

Aber als sie die Schlafzimmertür erreichten, war Ben immer noch im Polizistenmodus. Geschäftig überprüfte er erneut die Fenster und zog die Vorhänge zu. „Hier ist es ja eiskalt! Warum machst du den Holzofen nicht an?“

„Äh … weil ich mir nicht hundertprozentig sicher bin, in welche Richtung man den Griff drehen muss?“

„Welchen Griff?“

„Den am Rauchfang. Ich weiß nicht, in welcher Position er offen und zu ist.“

Ben öffnete die gusseiserne Tür und steckte seine Hand hindurch. „Da gerade kalte Luft reinzieht, müsste er offen sein.“

„Oh.“ Sie wartete nur darauf, dass er noch einen sarkastischen Kommentar nachschob, aber er legte einfach nur ein paar Scheite in den Ofen. Molly nutzte die Gelegenheit, um den Telefonhörer wieder auf die Gabel zu legen. Cameron schlief bestimmt schon wieder.

Innerhalb von Sekunden hatte Ben ein großes Feuer entfacht, was Molly im Augenblick zwar zugutekam, sie aber auch ein bisschen ärgerte, weil sie genau wusste, dass sie selbst dafür wahrscheinlich eine Stunde gebraucht hätte.

Noch bevor sich die Wärme auch auf der Bettseite des Schlafzimmers ausbreiten konnte, ließ sich Molly den Morgenmantel von den Schultern gleiten. Schließlich durfte sie sich den Harte-Brustwarzen-Bonus nicht entgehen lassen.

Ben klopfte sich gerade den Staub von den Händen, doch als er Molly ansah, erstarrte er mitten in der Bewegung und sah wie hypnotisiert auf ihre Brüste. „Und wie ich damals bei dir gespannt hätte“, murmelte er düster. Erst jetzt bemerkte Molly, wie zerzaust er aussah: Das graue T-Shirt unter dem Mantel war knittrig und hing aus der Hose, und sein Haar stand in alle Richtungen ab. Er sah aus wie ein Mann, der dringend wieder ins Bett musste.

Als die Ofenwärme auf ihre Haut traf, schauderte Molly wohlig auf. In Bens Blick trat auf einmal ein geradezu hungriger Ausdruck. Ermutigt kam Molly langsam auf ihn zu. Doch als ihre Häschenpuschen über den Boden raschelten, erwachte Ben aus seiner Trance.

Unter leisem Fluchen kickte Molly die Dinger unters Bett. Sexy und witzig, von wegen!

„Ich sage dir dann morgen, was ich gefunden habe“, sagte Ben etwas zu schnell und zu laut, während er in Richtung Schlafzimmertür zurückwich.

„Danke, Ben, aber …“

Er blieb stehen. Mit einer Hand umklammerte er den Türrahmen.

„Tut mir leid, ich weiß, dass das albern ist, aber … könntest du …“ Sie rutschte aufs Bett und wies mit den Zehen auf den Boden. „Würdest du noch einen Blick unters Bett werfen, bevor du gehst?“

Sein Blick glitt zu ihren Füßen hinab und dann langsam, ganz langsam über ihre Waden bis zu ihren bloßen Oberschenkeln. „Klar.“

„Danke.“ Sie zog die Beine unter sich und beugte sich vor. Ben kam misstrauisch näher. In einer fließenden Bewegung kniete er sich hin und sah unters Bett.

„Hier ist nichts außer deinen Schuhen und … drei Socken und einem Hemd.“

Molly kniete sich auf alle viere und sah zu ihm herunter. „Danke.“

Er richtete sich wieder auf. „Kein Problem.“ Molly entging nicht, dass er ein wenig zitterte.

Lächelnd und immer noch auf allen vieren sah sie zu ihm hoch und verharrte so lange in ihrer Position, bis sie ganz sicher war, dass ihm der tiefe Einblick in ihr Top nicht entgangen war. Und auch nicht ihr knallrosafarbener Slip. „Bringst du die Bürgerinnen und Bürger von Tumble Creek nach derartigen Zwischenfällen immer ins Bett? Das ist wirklich sehr nett von dir.“

„Nein.“

„Na, dann ist es eben sehr nett von dir, dass du dich um mich kümmerst.“ Sie wackelte leicht mit dem Hintern und beobachtete, wie sich Bens Pupillen bei dem Anblick vergrößerten und seine Augen die Farbe von Zartbitterschokolade annahmen. „Tut mir leid, dass ich dich mitten in der Nacht aus dem Bett geholt habe.“

„Das ist doch mein Job.“ Sein Blick glitt wie flüssige Lava über ihre Hüften und ihren Rücken hinauf. Er drückte unablässig die Hände gegeneinander. Molly kniete sich hin und schob sich näher an Ben heran, bis ihr Mund nur noch Zentimeter von seinem entfernt war.

„Du bist nicht im Dienst“, erinnerte sie ihn, während sie die Hände unter seine Jacke schob und sie ihm langsam von den Schultern gleiten ließ. Bens Brust hob sich, als er tief einatmete. „Und ich bin eigentlich überhaupt nicht müde.“

„Molly …“

Kochende Hitze und ein Gefühl von Macht schossen durch Mollys Adern, als sie merkte, wie Ben schwerer zu atmen begann. Ihre Brüste streiften sein T-Shirt, und die Wärme in ihrem Blut verdichtete sich zu einem kräftigen Strahl, der ihr direkt zwischen die Beine fuhr. Gott, sie brauchte ihn. Sie wollte Ben keuchen hören, wollte zusehen, wie seine Begierde ihn hilflos machte und seine logischen Gedanken davongewirbelt wurden wie die Schneeflocken draußen vor den Fenstern.

Sachte fuhr sie über sein Shirt und bewunderte die kräftigen Muskeln unter dem warmen Stoff. Oh ja, sie war hungrig. Als sie den Saum erreichte, verschwendete sie keine Zeit mit Raffinessen, sondern zerrte Ben das T-Shirt einfach über den Kopf. Ben half ihr, indem er die Arme hob, aber er machte keinerlei Anstalten, die Initiative zu übernehmen.

Was Molly allerdings herzlich egal war. Seine nackte Brust schimmerte verlockend vor ihr auf wie ein Festmahl aus warmer Haut. Und Gott, er sah appetitlich aus … Ganz genau so, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Muskulöse, gebräunte Schultern und kräftige Arme. Ein Hauch von braunem Flaum, der über seinen flachen Bauch verlief und in seiner ausgeblichenen Jeans verschwand. In der Eile hatte Ben vergessen, den Hosenknopf zu schließen, sodass die Jeans locker auf seinen schmalen Hüften saß.

Gierig leckte sie sich über die Lippen und presste die Oberschenkel zusammen, um das heftige Pochen zwischen den Beinen zu verstärken. Sie wollte, dass Ben sie verschlang, dass er sie so wie neulich hochhob und die Kontrolle übernahm.

„War das …“ Seine Stimme klang so schroff wie nie zuvor. „War das alles ein Trick, um mich in dein Schlafzimmer zu locken?“

Molly lächelte und legte die Hand auf sein Herz. Dann spreizte sie die Finger und strich mit dem Daumen über seine Brustwarze. „Bildest du dir wirklich ein, dass ich dich austricksen muss? Wenn ich gewollt hätte, wärst du schon viel früher in meinem Bett gelandet.“

Er lachte humorlos auf. „Das bezweifle ich.“ Doch als sie sich vorbeugte und mit der Zunge über seine Brustwarze strich, sog er scharf Luft ein.

Molly strich mit den Zähnen über die kleine Erhebung und glitt tiefer, bedeckte seine Brust mit zarten Küssen. Jetzt kniete sie in einer Geste der Unterwerfung wieder auf allen vieren vor ihm, was sie selbst so anmachte, dass sie die Hüften kreisen ließ und leise aufstöhnte, während sie die weiche Haut über seinem Nabel leckte.

„Molly“, keuchte er und vergrub die Hände in ihrem Haar. Dann zog er sie so heftig zu sich hoch, dass sie gegen seine Brust prallte, und im nächsten Moment waren seine Lippen auf ihren, offen, feucht und fordernd.

Oh ja, ihr Körper erinnerte sich an diesen Geschmack. Als Bens Zunge die ihre berührte, standen ihre Nerven unmittelbar vor dem Kurzschluss. Überrascht keuchte sie auf, als er ihre Ellbogen fest umschloss, um zu verhindern, dass sie sich bewegte. Sein Kuss war so hart, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, und … Gott, fühlte sich das alles gut an.

Als er die Lippen von ihren löste und mit den Zähnen ihren Kiefer streifte, atmete sie schwer. Ihre Arme noch immer fest im Griff, beugte er den Kopf, leckte und küsste ihren Hals.

Seine Bartstoppeln kratzten durch ihr dünnes Shirt hindurch über ihre Brust, und dann kniete Ben auf dem Boden vor dem Bett.

„Ben“, keuchte sie. Er schloss die Lippen um ihre Brustwarze, dann spürte sie durch den nassen Stoff hindurch seine Zähne. Molly stöhnte und wand sich in seinem Griff, aber er ließ nicht los. Sie war hilflos, hatte keine Chance, diesen saugenden, beißenden Küssen zu entkommen, und dieses Wissen erregte sie nur noch mehr. Sie war so feucht, dass sie selbst unter der Berührung ihres dünnen Slips erzitterte.

„Oh Gott, oh Ben. Du musst mich anfassen.“

„Das tue ich doch.“ Sein Atem war wie Eis auf ihrer feuchten Brustwarze.

„Nein, ich …“

Er wandte seine Aufmerksamkeit ihrer anderen Brustwarze zu. Molly wand sich und drängte sich ihm entgegen, wollte, dass er sie endlich nahm, sie endlich von dieser grausamen Spannung erlöste.

„Bitte“, bettelte sie.

Mit einem leisen, nassen Geräusch löste er seine Lippen von ihr und lächelte sie an. Der nasse Stoff war durchsichtig geworden, und der Anblick ihrer rosafarbenen Brustwarze ließ Mollys Verlangen noch größer werden.

„Bitte, fass mich an“, flüsterte sie. Sein Griff wurde etwas fester, als wollte er sie daran erinnern, dass er sie bereits berührte. „Fass mich an …“ Sie schluckte herunter, was sie eigentlich hatte sagen wollen. Aber Bens dunkelbraune Augen glühten fordernd auf. Er wollte genau das, was sie nicht preisgeben wollte.

„Du redest gern“, sagte er herausfordernd.

Molly keuchte empört auf. „Ich war betrunken!“

„Allerdings. Und du redest gern. Also sprich mit mir.“

Wieder schluckte sie und spürte das Herz in ihrer Brust zittern. Sie hatte immer versucht, sich zu kontrollieren und all die peinlichen Dinge, die sie sagen wollte, herunterzuschlucken. Aber Ben sah sie mit diesem feinen Lächeln an, das geheimnisvoll, verdorben und kein bisschen süß war.

Erstickt flüsterte sie: „Ich will … ich will deine Finger in mir. In meiner Muschi. Mach’s mir mit deiner Hand.“

Autor