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Romantische Weihnachten mit Sarah Morgan (drei Kurzgeschichten)

hier erhältlich:

IM SCHIMMERNDEN SCHEIN DER KERZEN

In ihrem silbernen Abendkleid glänzt Christy wie eine Schneeflocke - Alessandro kann kaum die Augen von seiner Frau lassen. Warum hat sie ihn bloß verlassen? Alessandro weiß: Er muss die Weihnachtstage nutzen, sonst hat er sie ganz verloren ...

MEIN GRÖßTER WEIHNACHTSWUNSCH BIST DU!

Leise rieselt der Schnee, als Stella beim Blick in Daniels Augen erkennt: Sie liebt ihren Ex noch immer! Im verschneiten Winterwald unter tausend Sternen kann sie seinen Küssen erneut nicht widerstehen, auch wenn sie weiß, dass er ihren größten Wunsch nicht erfüllen wird: eine Familie!

DAS GLÜCK KAM IN DER CHRISTNACHT

Tannenduft, Kerzenglanz, Zimtsterne: Für den Arzt Patrick ist das ein Albtraum, seit seine Frau ihn und die beiden Kinder vor zwei Jahren am Weihnachtstag verließ. Aber nicht in seinen kühnsten Träumen ahnt er, wer in diesem Jahr am Heiligen Abend an seine Tür klopft …


  • Erscheinungstag: 03.12.2018
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 432
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955769680
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Sarah Morgan

Romantische Weihnachten mit Sarah Morgan (drei Kurzgeschichten)

PROLOG

„Mum, wo feiern wir Weihnachten?“

Christy blickte von ihrem Brief auf. „Wahrscheinlich hier, zusammen mit Onkel Pete und euren Cousinen. Warum fragst du? Das ist noch eine Ewigkeit hin.“ Sie wollte nicht daran denken. Weihnachten war ein Familienfest, aber ihre Familie brach gerade auseinander.

Und wer war schuld? Sie. Sie hatte eine Dummheit gemacht, und nun bezahlten alle dafür.

„Stimmt nicht, nur ein Monat.“ Katy lehnte sich über den Tisch und entriss ihrem kleinen Bruder die Müslipackung. „Ich hab keine Lust, hier zu feiern. Onkel Pete ist nett, aber London ist schrecklich! Ich will Weihnachten bei Dad sein. Ich will wieder nach Hause.“

Christy spürte einen dumpfen Druck im Magen. „Also …“ Sie räusperte sich. „Wenn ihr wirklich wollt …“ Wie sollte sie das nur durchstehen – Weihnachten ohne die Kinder? „Ich schreibe eurem Vater, dass ihr kommt. Aber es kann sein, dass ihr eine Weile bei Großmutter bleiben müsst, weil Daddy im Krankenhaus arbeitet. Außerdem hat der Bergrettungsdienst in dieser Jahreszeit besonders viel zu tun …“

„Nicht nur wir beide.“ Katy holte sich den Zuckertopf. „Wir alle.“

„Wie – wir alle? Und zwei Löffel Zucker sind genug, Katy. Du machst dir die Zähne kaputt.“ Hinter ihren Schläfen begann es zu pochen.

„Ja, Zucker macht ganz dicke Löcher.“ Bens Griff nach dem Milchkrug endete damit, dass Milch auf den Tisch schwappte, anstatt in seiner Schale zu landen. „Das haben wir letzte Woche in der Schule gelernt. Dann kommt der Zahnarzt mit einem großen Bohrer und macht sie größer und füllt sie mit Zement!“

„Du bist so blöd! Was weißt du denn schon?“ Katy bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick und häufte die doppelte Menge Zucker auf ihr Müsli. „Baby.“

„Ich bin kein Baby mehr, ich bin sieben!“ Ben schoss von seinem Stuhl hoch, packte seine Schwester, und gleich darauf war eine wilde Rangelei im Gange.

„Hört auf, ihr zwei, sofort!“, befahl Christy streng, während sie einen Lappen holte, um die Milch aufzuwischen.

Katy ließ von ihrem Bruder ab, funkelte ihn böse an und begann, ihr Müsli in sich hineinzuschaufeln. „Ben und ich wollen Weihnachten nicht allein nach Hause fahren“, sagte sie mit vollem Mund. „Du sollst mitkommen.“

Die Kopfschmerzen wurden stärker, und sie stand auf, um sich eine Tablette zu holen. „Das hier ist unser Zuhause, mein Schatz. Wir wohnen jetzt in London.“

Sie blickte aus dem Fenster ihrer winzigen Wohnung auf die Straße hinunter. Regen trommelte gegen die Scheiben, und unten kroch eine endlose Autoschlange die trostlose nasse Straße entlang. Heruntergekommene hohe Backsteinhäuser verstellten ihr den Blick und ließen das fahle Winterlicht kaum herein. Niedergeschlagen schloss sie die Augen.

Und sah ihr Zuhause im Lake District vor sich: Gegen einen azurblauen Himmel zeichneten sich in der frostigen klaren Winterluft die Berge ab. Sie dachte an das Bergrettungsteam, die spannungsgeladene und doch herzliche, vertrauensvolle Atmosphäre, wenn sie sich auf einen Einsatz vorbereiteten. Freundschaft.

Mein Gott, ich will nicht hier sein, dachte sie bedrückt.

Ben ließ sich auf seinen Stuhl zurückfallen. „Hier ist nicht unser Zuhause. Es ist so blöde, und ich hasse es. Ich hasse London, ich hasse die Schule, und am meisten hasse ich dich!“ Er fing an zu heulen, sprang auf und rannte aus der Küche.

Christy schaute ihm nach und unterdrückte das Bedürfnis, ihm hinterherzulaufen. Aus Erfahrung wusste sie, dass es besser war, ihn eine Weile allein zu lassen. Seufzend setzte sie sich wieder an den Tisch und griff zur Kaffeekanne. Es war halb acht, und sie musste zwei Kinder zu einer Schule bringen, die sie hassten, und sie musste weiterfahren zu einem Job, den sie hasste.

Was habe ich getan?

Unglücklich füllte sie sich Kaffee nach und bemühte sich, die Situation zu retten. „Weihnachten in London kann echt cool sein.“

Katy verdrehte die Augen. „Mum, versuch nicht, wie ich zu reden. Das wirkt lächerlich bei Erwachsenen. Sag lieber interessant oder aufregend, und überlass solche Ausdrücke wie cool und krass denen, die sie richtig anwenden können.“ Mit der unerschütterlichen Überheblichkeit ihrer elf Jahre schob sie die leere Müslischale von sich und nahm sich eine Scheibe Toastbrot. „Und außerdem wäre es bestimmt nicht cool. Shoppen ist in London okay, aber irgendwann bringt‘s das auch nicht mehr.“

Das sind ja ganz neue Töne, dachte Christy verwundert, wollte die angespannte Stimmung am Tisch aber nicht noch anheizen. „Ich kann Weihnachten nicht mit zum Lake District kommen“, erklärte sie schließlich, als Katy das Toastbrot zum Mund hob.

„Warum nicht? Weil Dad und du euch gefetzt habt?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Das ist doch nichts Neues.“

Christy biss sich auf die Lippe. Sie musste sich erst noch daran gewöhnen, dass ihre Tochter älter wurde und kein Blatt vor den Mund nahm. „Katy, wir haben uns nicht …“

„Doch, habt ihr. Ist ja auch kein Wunder. Daddy ist Spanier, und du bist halbe Irin und hast rote Haare. Onkel Pete sagt, was Explosiveres gibt‘s nicht. Vielleicht wäre alles anders, wenn du eine Blondine wärst.“ Sie kaute nachdenklich auf der Unterlippe. „Wirklich erstaunlich, dass ihr euch lange genug vertragen habt, um uns zu machen.“

Christy verschluckte sich an ihrem Kaffee und nahm sich vor, ein ernsthaftes Wort mit ihrem Bruder zu reden. „Katy, das reicht.“

„Ich wollte sagen, dass wir doch nicht in London leben müssen, nur weil ihr euch immer wieder streitet.“

„Ich habe hier einen Job.“ In der Praxis ihres Bruders. Und das ist völlig in Ordnung, versuchte sie sich einzureden.

„Du bist Krankenschwester, Mum. Du kriegst überall einen Job.“

„Katy …“

„Nur für die Weihnachtsfeiertage. Bitte! Fehlt Dad dir denn gar nicht?“

Der Druck in ihrem Magen nahm wieder zu. Christy schloss die Augen und sah ihn vor sich. Das attraktive männliche Gesicht, das spöttische Lächeln, den Mund, der sie um den Verstand bringen konnte. Oh ja, er fehlte ihr, und wie! „Ich werde nicht mit dir über meine Beziehung zu deinem Vater sprechen.“

„Ich bin elf Jahre alt“, betonte Katy. „Mit Beziehungen kenne ich mich aus, und ich weiß, dass ihr beide dickköpfig seid.“

Er hatte sich nicht gemeldet. Stolz mischte sich mit Schmerz, und sie presste die Lippen zusammen, um nicht aufzuschluchzen. Er hätte den ersten Schritt tun müssen, sie zurückholen sollen. Er hätte um das kämpfen müssen, was sie gehabt hatten. Aber bis auf ein kurzes Gespräch, bei dem es um die Kinder gegangen war, hatte Funkstille geherrscht. Es war ihm egal, dass sie ihn verlassen hatte.

Plötzlich empfand sie doch den verrückten Wunsch, sich bei ihrer Tochter auszuweinen. Aber das durfte sie nicht, egal, wie reif Katy für ihr Alter schien. „Ich kann Weihnachten nicht mit eurem Vater verbringen.“

Sie hatte ihn verlassen, sicher. Aber doch nur, damit er sie wieder nach Hause holte. Damit er ihr einmal zuhörte.

„Wenn ich mich mit meinen Freundinnen streite, sagst du immer, dass ich mich mit ihnen hinsetzen und vernünftig darüber reden soll. Und was machst du? Du ziehst gleich aus. Da gehst du doch kaum mit gutem Beispiel voran, oder?“

Jetzt war Disziplin angesagt. „Mir gefällt dein Ton nicht, Katy.“

„Und mir nicht, aus einer gescheiterten Ehe zu kommen.“ Katy aß das letzte Stück Brot und trank einen Schluck Milch. „Weißt du, wie sich das auf mich auswirkt? Die Zeitungen sind jeden Tag voll davon. Höchstwahrscheinlich gerate ich deshalb auf die schiefe Bahn, werde schwanger, breche die Schule ab und …“

Heftig stellte Christy ihren Becher ab. „Was weißt du von Schwangerschaft?“

Wieder bekam sie einen mitleidigen Blick. „Wo lebst du denn, Mum? Ich weiß jede Menge darüber.“

„Wirklich?“ Christy fühlte sich überfordert. Sie brauchte Alessandro. Sie brauchte …

Oh, Hilfe …

„Und nicht dass du ihm schreibst. Ruf ihn an.“ Katy warf einen Blick auf die Uhr und stand auf. „Wir müssen los, sonst kommen wir zu spät. In dieser schrecklichen Stadt steckt man ständig im Stau, und ich hab die Nase voll. Und wenn du zu feige bist, rufe ich ihn an.“

„Ich bin nicht feige.“ Oder vielleicht doch. Er hatte es nicht für nötig gehalten, sie anzurufen. Alessandro, sexy, gut aussehend, engagiert und erfolgreich als Rettungsarzt, war ein Mann, von dem Frauen träumten. Früher hatte sie mit ihm Schritt gehalten, ob nun bei der Arbeit im Krankenhaus oder bei Einsätzen in den Bergen. Doch dann waren die Kinder gekommen, und sie blieb irgendwie zurück …

Und schließlich hatte er sie gar nicht mehr wahrgenommen. Hatte keine Zeit mehr für ihre Beziehung. Für sie.

„Ben hockt oben und heult. Ich stopfe hier Unmengen Zucker in mich hinein, und du führst dir eine schädliche Dosis Koffein nach der anderen zu“, verkündete Katy mit bühnenreifer Theatralik auf dem Weg zur Tür. „Unsere Familie steckt in einer tiefen Krise. Wir brauchen unseren Vater; wer weiß, was uns sonst blüht.“

Christy wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. „Du hast deine Milch nicht ausgetrunken“, erwiderte sie matt. „Also gut, ich rede mit ihm. Mal sehen, was er sagt.“

Aber nur wegen Weihnachten. Den Kindern zuliebe.

„Wirklich?“

„Wirklich.“

„Super!“ Katy stieß begeistert die Faust in die Luft. „Wir fahren Weihnachten zum Lake District! Schnee. Regen. Tosender Wind. Ich sehe meine Freundinnen wieder. Mum, du bist die Beste. Danke!“

Als sie aus dem Raum tanzte, bestimmt direkt auf dem Weg zu ihrem kleinen Bruder, um die frohe Botschaft zu verkünden, sank Christy das Herz in die Zehenspitzen. Nun musste sie nur den Mut aufbringen, Alessandro anzurufen und ihm zu sagen, dass sie für Weihnachten nach Hause zurückkehrten.

Schon bei der Vorstellung bekam sie eine Gänsehaut.

1. KAPITEL

„Ein Notfall, Dr. Garcia.“ Die hübsche junge Schwester steckte den Kopf zur Tür herein. „Sie werden in der Reanimation gebraucht.“

Alessandro ließ den Bericht fallen, in dem er gerade gelesen hatte. Zurzeit hatte er das Gefühl, buchstäblich in der Reanimation zu leben. Besonders jetzt, da fast die Hälfte des Personals durch Grippe ausfiel.

Im Wiederbelebungsraum herrschte Chaos.

„Oh, Dr. Garcia, Gott sei Dank. Dr. Nicholson ist bereits mit diesem Skiunfall beschäftigt und …“, sprudelte Billy, einer der jungen Ärzte, sichtlich erleichtert los, als Alessandro neben die Rollliege trat.

„Was ist passiert?“, unterbrach Alessandro ihn.

„Ihr Ehemann war mit dem Wagen auf dem Weg hierher, weil sie die ganze Nacht über Bauchschmerzen geklagt hatte. Er fuhr anscheinend zu schnell und landete in einem Graben. Sie ist mit dem Kopf irgendwo dagegengeprallt und blutet. Aber wir wissen noch nicht genau, wo.“

Alessandro griff nach den sterilen Handschuhen, die ihm die Schwester reichte. Dabei nahm er sich vor, mit Billy darüber zu reden, wie Patienten vorgestellt werden.

„Hat sie auch einen Namen?“

Billy wurde rot. „Megan. Megan Yates.“

Rasch zog sich Alessandro die Handschuhe über und wandte sich der Frau auf der Liege zu. Sie war blass, ihre Wangen blutverschmiert, und sah ihn verängstigt an. „Megan, das war bestimmt kein schönes Erlebnis, aber nun sind Sie bei uns in guten Händen.“ Er blickte Billy an. „Holen Sie bitte das gynäkologische Team her“, befahl er ruhig und warf einen Blick auf den Monitor. „Wir müssen Puls und Blutdruck im Auge behalten.“

Der Puls war hoch, der Blutdruck sank kontinuierlich, und die Patientin zeigte alle Anzeichen einer inneren Blutung. Aber er behielt seine Besorgnis für sich.

„Das Gyn-Team?“, fragte Billy sichtlich verwundert. „Ich dachte, nach einem Autounfall müsste sie …“

„Die Patientin ist im gebärfähigen Alter, und bevor ihr Mann den Wagen in den Graben setzte, hatte sie starke Bauchschmerzen“, erinnerte Alessandro ihn. „Ich möchte, dass sofort zwei i. v.-Zugänge gelegt werden.“

Er blickte die Patientin an. „Megan, besteht die Möglichkeit, dass Sie schwanger sind?“

„Nein … also, ich meine …“ Die Frau schloss kurz die Augen. „Es ist eigentlich unwahrscheinlich … kaum möglich.“

„Das Gegenteil erleben wir hier praktisch jeden Tag“, meinte Alessandro mit einem trockenen Lächeln. „Wann hatten Sie Ihre letzte Periode?“

„Das ist schon Monate her“, flüsterte sie. „Ich leide an Endometriose.“

Ihre Stimme zitterte leicht dabei, und er legte Megan leicht die Hand auf die Schulter. „Das muss schwer für Sie sein“, sagte er sanft. „Aber jetzt wollen wir erst einmal herausfinden, welche Verletzungen Sie beim Unfall erlitten haben, und die Ursache für Ihre Bauchschmerzen finden. Dazu müssen wir Sie ausziehen. Nicky?“

Die Unfallschwester begann zügig, die Kleidung aufzuschneiden, und Alessandro fing mit der Untersuchung an.

„Wo ist ihr Mann?“, erkundigte er sich dabei. „Hat er sich auch verletzt?“

„Ihm geht es gut“, informierte Billy ihn, der gerade den zweiten Zugang gelegt hatte und mit einem Pflaster festklebte. „Er sitzt im Warteraum.“

„Megan hat einen hässlichen Schnitt an der Schulter.“ Nicky griff nach einem sterilen Wattetupfer, während Alessandro sich rasch die Wunde besah.

„Sie muss genäht werden, aber das kann noch warten“, murmelte er und blickte wieder zum Monitor. „Der Blutdruck sinkt weiter. Ich will wissen warum. Und zwar sofort. Wo bleibt das Gyn-Team?“

„Schon unterwegs“, erwiderte eine der Schwestern, und Alessandro runzelte die Stirn.

Der Zustand seiner Patientin gefiel ihm nicht.

„Oh …“ Nicky hatte der Frau gerade die letzten Kleidungsstücke entfernt, und nur kurz zeigte ihr Gesicht Erschrecken. „Wir haben hier einen Blutverlust, Alessandro.“

Alessandro genügte ein Blick, um das Ausmaß zu erkennen. „Jake Blackwell soll sofort herkommen. Kreuzprobe von sechs Einheiten Blut, und bestimmen Sie den Rhesusfaktor. Vielleicht müssen wir anti-D-Antikörper geben. Und jemand soll eine Decke bringen, ehe sie eine Hypothermie erleidet.“

Wenige Minuten später eilte der Chefarzt der Gynäkologie herein. „Du brauchst meinen Rat, Alessandro? Probleme?“

Alessandro ging nicht auf den spottenden Unterton ein, sondern erläuterte knapp, wie es um die Patientin stand.

Jake hörte aufmerksam zu, dann untersuchte er sie rasch und nickte anschließend mit ernster Miene. „Megan, es sieht so aus, als hätten Sie eine Bauchhöhlenschwangerschaft, und das bedeutet, dass wir sofort operieren müssen.“ Er blickte Alessandro an. „Wir bringen sie gleich in den OP.“

Stunden später tauchte Jake wieder in der Abteilung auf und ließ sich in Alessandros Büro auf einen der Stühle fallen. „Verdammt, ich bin fix und fertig. Heute habe ich nur Leben gerettet. Ein Drama nach dem anderen. Man weiß gar nicht mehr, wo einem der Kopf steht.“

Alessandro hatte sich seit dem Mittag mit zwei schweren Autounfällen, einem Herzinfarkt und einem Asthmaanfall herumgeschlagen. Dass Mittagszeit gewesen war, hatte er auch nur daran gemerkt, dass er um eins zufällig auf die Wanduhr gesehen hatte. Seit Stunden knurrte ihm der Magen. „Stimmt, ich habe nur faul auf meinem Allerwertesten gesessen.“

„Allerwertesten?“ Jake grinste. „Das ist aber nicht Spanisch, Amigo.“

Schlecht gelaunt und müde sah Alessandro ihn an. „Hast du nichts Besseres zu tun, als in meinem Büro herumzusitzen und zu jammern?“

„Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du Lust hast, nach der Arbeit noch was mit mir zu trinken. Genau das Richtige nach einem solchen Wahnsinnstag.“

„Nicht heute Abend.“

Jake gähnte herzhaft. „Arbeitest du länger?“

„Ich muss das Haus aufräumen“, sagte er angespannt. „Christy und die Kinder kommen morgen. Es ist besser, wenn ich die Fast-Food-Kartons der letzten Wochen spurlos beseitige und den Kühlschrank mit Brokkoli und dergleichen fülle, sonst gibt es gleich Ärger. Du kennst doch Christy mit ihrem Tick für gesunde Ernährung.“

„Ihr seid wieder zusammen?“

„Nein, sind wir nicht!“ Unbeherrscht zerbrach er seinen Bleistift. „Wegen der Kinder verbringen wir Weihnachten unter einem Dach.“

„Ich verstehe.“ Nachdenklich schaute Jake auf die Bleistifthälften. „Na dann, friedliche Weihnachten. Besser, du warnst Santa Claus, dass er sich eine Splitterschutzweste überzieht, wenn er über euer Haus segelt. Sonst verletzt er sich noch, wenn bei euch wieder die Fetzen fliegen.“

In den letzten sechs Wochen hatte Alessandro Christy nur gesehen, wenn sie sich die Kinder gebracht hatten. Gesprochen wurde nur das Nötigste, gestritten gar nicht. Weihnachten würde so eiskalt werden wie das Winterwetter. Plötzlich hatte er eine Idee. „Warum kommst du nicht auch zu uns? Du bist doch ihr Patenonkel.“

Jake nickte. „Könnte sein, wenn ich mich von der geliebten Arbeit hier losreißen kann. Du weißt doch, wie sehr ich kalten Truthahn und klumpige Soße aus der Krankenhauskantine liebe.“ Er streckte die langen Beine aus. „Also, was die Sache zwischen dir und Christy betrifft …“

„Wir haben uns getrennt, Jake, und das war‘s. Ich habe keine Lust, darüber zu sprechen.“

Jake seufzte. „Es ist ein Jammer, euch so zu sehen. Ihr seid meine besten Freunde, und ihr solltet festhalten, was ihr habt. Christy war von Anfang an verrückt nach dir und du nach ihr. Ich erinnere mich noch an den Tag, als ihr euch kennengelernt habt …“

„Ich sagte, ich will nicht darüber reden“, unterbrach Alessandro ihn kühl, stand auf und marschierte zum Fenster, wütend auf Jake, der Erinnerungen aufwühlte, die Alessandro seit Langem zu begraben versuchte.

Wie könnte ich diesen Tag jemals vergessen?

Schweigend starrte er auf die vertraute Landschaft, die nun unter einer glitzernden Schneedecke begraben war. In der Ferne erhoben sich die Berge zum Himmel, gezackte Gipfel, die er so gut kannte.

Doch dann ging sein mediterranes Temperament mit ihm durch. „Sie hat mich verlassen, nicht umgekehrt!“

„Ich weiß“, sagte Jake ruhig. „Und ich frage mich, warum sie es getan hat.“

Alessandro presste die Lippen zusammen. „Wenn du glaubst, dass ich daran schuld bin, dann irrst du dich gewaltig.“

„Christy betet dich an. Sie ist verrückt nach dir und ist es immer gewesen. Sie muss verzweifelt gewesen sein, sonst wäre sie nicht gegangen.“

„Unsinn, sie hätte mit mir reden können.“

„Hätte sie? Warst du denn erreichbar?“

„Wie sollen wir miteinander reden, wenn sie mich verlassen hat?“

Jake lächelte. „Ach, darum geht es eigentlich? Um deinen Stolz? Frag dich mal, warum sie nicht mehr da ist, Al.“ Er erhob sich. „Denk drüber nach, wenn du die Kartons in den Müll trägst.“

Er verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Bestimmt ein Dutzend Mal hatte Christy sich umgezogen, ehe sie sich für einen schmalen Rock und den blauen Kaschmirpullover entschied, den sie in einer kleinen Boutique in der King‘s Road gekauft hatte, um sich ein wenig aufzumuntern. Geholfen hatte es nicht viel, aber sie wusste, dass sie gut darin aussah. Alessandro sollte sehen, was ihm entging. Natürlich will ich ihn nicht wiederhaben, sagte sie sich hastig. So dumm war sie nun wirklich nicht.

Offensichtlich hatte er kein Interesse mehr an ihr. Ihre Ehe war zerbrochen, sie hatten sich auseinandergelebt. Er war ein arroganter, egoistischer Macho und Workaholic, der sie nicht mehr liebte.

Die Fahrt ging durch die Grafschaft Cumbria mit ihren schneebedeckten Bergen, und Christy fühlte, wie ihre innere Anspannung langsam nachließ. Der scharfe Winterwind hatte die letzten Blätter von den Bäumen gerissen, und grau und drohend hing der Himmel über ihnen. Trotzdem war alles vertraut. Heimat.

Wieso hatte sie geglaubt, sie könnte in London heimisch werden? Sie war nie ein Stadtmensch gewesen und hielt sich am liebsten draußen in freier Natur auf. Christy beschloss, nach Weihnachten wieder in den Lake District zu ziehen und sich hier einen Job zu suchen. Es war verrückt, all dies aufzugeben, nur weil ihre Beziehung kaputtgegangen war.

Sie musste sich ein neues Leben aufbauen.

Ein Leben ohne Alessandro.

„Wann sind wir endlich da, Mum?“, quengelte Ben.

„Gleich. Kennst du diese Bäume nicht mehr?“ Christy schaltete runter und bog scharf um die Kurve auf die schmale Straße ein, die zum Haus führte.

Alessandro und sie hatten die alte Scheune im zweiten Jahr ihrer Ehe zufällig entdeckt. Katy war damals noch ein Baby gewesen, und sie hatten sich sofort in das heruntergekommene, am Rand von weiten Feldern und einem kleinen Fluss gelegene Gebäude verliebt. Die nächsten Jahre hatten sie mehr oder weniger auf einer Baustelle gelebt, bis es endlich zu ihrem Traumhaus geworden war.

Aus dem Schornstein stieg Rauch langsam in den Himmel. Es war wie eine Begrüßung.

Christy musste schlucken und fuhr noch langsamer. Aber es war kein Willkommensgruß, oder? Alessandro wollte sie nicht mehr. Für ihn war ihre Ehe am Ende. Und dass sie die nächsten drei Wochen zusammen verbrachten, war nur der Kinder wegen und hatte nichts mit ihnen zu tun.

Es würde die reinste Tortur werden.

Doch sie war entschlossen, die Zeit erhobenen Hauptes durchzustehen. Also keine Tränen, keine Szenen, und sie würde sich auch nicht anmerken lassen, dass sie Tag und Nacht an ihn dachte. Christy hielt vor dem Haus und stellte den Motor aus.

Da ging die Haustür auf, und ihre guten Vorsätze waren Schnee von gestern.

Groß, schlank, dunkel stand Alessandro da. Christy hielt unwillkürlich die Luft an. Er sah überwältigend gut aus, und es war fast wie damals, als sie ihm das erste Mal in diese feurigen schwarzen Augen geblickt und ihr Herz einen Schlag lang ausgesetzt hatte. Sagte man nicht, dass mit der Zeit die sexuelle Anziehung nachließ, Langeweile und Desinteresse zunahmen?

Hilflos musste sie sich eingestehen, dass es auf sie nicht zutraf. Aber das liegt wohl daran, dass Alessandro kein gewöhnlicher Mann ist, dachte sie bedrückt, während ihr Herz hämmerte. Er war stark, sexy und unverschämt männlich. An ihm ging keine Frau vorbei, ohne sich den Hals zu verrenken.

Nun stand er da in der für ihn typischen, arrogant selbstbewussten Haltung, die Beine leicht gespreizt, in ausgeblichener Jeans, Wanderstiefeln und einem dicken Pullover, der seine breiten Schultern betonte.

Er war ein heißblütiger Mann, und seit fast zwei Monaten hatten sie nicht mehr im selben Bett geschlafen.

Ob er eine Geliebte hat?

Hastig vertrieb sie den Gedanken.

„Dad!“ Katy und Ben waren schon aus dem Wagen und taten das, was sie auch gern getan hätte. Sie wollte zu ihm laufen, in seine starken Arme, und sich an ihn schmiegen.

Ihm sagen, dass alles nur ein dummes Missverständnis gewesen sei, und von ihm hören, dass es wieder in Ordnung kommen würde.

Und dann sollte er sie ins Bett tragen, und danach wäre alles wieder gut.

Alessandro warf nicht einmal einen Blick zum Wagen. Er drückte nur die Kinder fest an sich. Also musste sie den ersten Schritt tun.

Sie riss sich zusammen, stieg aus und schlenderte hinüber.

Er hielt die Kinder noch umarmt, aber über ihre Köpfe hinweg trafen sich ihre Blicke.

„Hallo, Christianne.“ Seine Stimme war kühl, das Gesicht ausdruckslos.

Wie konnte er sie nur Christianne nennen, so förmlich, so distanziert, wenn er sie doch sonst immer nur Christy genannt hatte?

Und wie konnte er so kalt sein nach der wilden, heißen Leidenschaft, die sie zusammen erlebt hatten?

„Hallo, Alessandro.“ Mistkerl, dachte sie. Wie kannst du mir das antun? Uns antun?

„Hattet ihr eine gute Fahrt?“ Obwohl er seit zwölf Jahren in England lebte, war doch noch ein spanischer Akzent herauszuhören. Sie hatte ihn immer geliebt, aber nun erinnerte er sie an das, was sie trennte.

„Ja, danke. Es hat eine Weile gedauert, bis wir London hinter uns hatten, die Straßen waren völlig verstopft. Aber was kann man am ersten Ferientag schon erwarten?“ Sie hörte sich schrecklich steif an, das wusste sie. So als wären sie zwei Fremde und nicht zwölf Jahre lang miteinander verheiratet. Fehlte noch, dass sie sich mit Handschlag begrüßten.

Glücklicherweise lenkte Katy sie ab, indem sie ihren Bruder an den Händen packte und ausgelassen auf und ab hüpfte.

„Keine blöde Schule mehr!“, sang sie dabei. „Wir haben Ferien!“

Alessandro sah Christy an. Sein dunkler Blick glitt über ihren Körper und verweilte bei den hochhackigen Schuhen, die sie in London so schick gefunden hatte. Hier draußen, in Eis und Schnee, kam sie sich damit auf einmal lächerlich vor. In London war es nass und ungemütlich gewesen, und in High Heels hatte sie sich gut gefühlt. Als Frau und nicht nur als Mutter.

Unter seinem abschätzigen Blick verflüchtigte sich ihr Selbstbewusstsein. Anscheinend dachte er an all die Leute, die mit ähnlich unpassendem Schuhwerk in die Berge hinaufkletterten und von einem Rettungsteam heruntergeholt werden mussten.

Sie zeigte auf die Berge, um sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. „Wann hat es geschneit?“

„Vor einer Woche“, antwortete er trocken, und als sie ihn genauer betrachtete, entdeckte sie erstaunt die dunklen Ringe unter seinen Augen.

Alessandro besaß eine fast unerschöpfliche Energie. Warum sah er müde aus?

„Da hattest du bestimmt gut zu tun.“ Beinahe hätte sie aufgelacht. Wann hatte Alessandro nicht zu tun? Arbeit war sein Leben, wie sie am eigenen Leib schmerzlich erfahren hatte.

„Ja, das Wetter ist keine große Hilfe.“ Er ging zu ihrem Wagen und holte das Gepäck heraus. „Ich muss leider gleich wieder ins Krankenhaus.“

„Oh nein, Daddy!“, maulte Katy enttäuscht.

„Tut mir leid, niña.“ Alessandro beugte sich vor und gab seiner Tochter einen Kuss aufs Haar. „Es ist so viel Personal krank, dass wir die Arbeit kaum schaffen. Nächste Woche habe ich vielleicht mehr Zeit, dann unternehmen wir eine Klettertour, das verspreche ich dir!“

Christy folgte ihnen ins Haus. „Bei dem Wetter nimmst du sie nicht mit in die Berge, Alessandro.“

„Du bist doch auch bei solchem Wetter geklettert“, konterte er.

Darüber hatten sie sich oft gestritten. Als sie sich kennenlernten, war sie noch jung und wagemutig gewesen. Und er ein besitzergreifender Mann, der sie kaum aus den Augen gelassen und versucht hatte, ihr die Bergtouren zu verbieten. Sie war trotzdem losgezogen, fand es wundervoll, dass sie ihm so viel bedeutete.

„Nun, jetzt aber nicht mehr.“ Ihr Alltag war so sicher und langweilig, dass er sie anödete. Komisch, wie sich das Leben nach und nach veränderte, ohne dass man es so richtig mitbekam. Den einen Tag hing man mit den Fingerspitzen an einem Felsvorsprung, und am nächsten watete man durch Berge von Bügelwäsche und hörte Dudelmusik im Radio.

Wie war das passiert?

Es hatte Zeiten gegeben, in denen sie sich spontan die Wanderstiefel und eine wetterfeste Jacke angezogen hatte, um auf Tour zu gehen. Doch als die Kinder kamen, war alles anders geworden.

Sie wurde das dumme Gefühl nicht los, dass das Leben ihr ein paar Fragen stellte, um die sie sich nicht länger herumdrücken konnte. Aber nicht jetzt, dachte sie und schob den unbequemen Gedanken beiseite. „Vielleicht reden wir später darüber“, sagte sie zu Alessandro. „Wenn du irgendwann aus dem Krankenhaus findest.“

Das klang gereizt, und Christy verfluchte sich stumm.

Er stand steif da. „Ich bringe eure Sachen nach oben“, sagte er knapp.

Wie ein Hotelpage, dachte sie niedergeschlagen und folgte ihm die Treppe hinauf. Es fehlte nur noch, dass er ihr einen angenehmen Aufenthalt wünschte. Sie hatte Ärger und Feindseligkeit erwartet, aber nicht diese Gleichgültigkeit.

Sie war ihm gleichgültig, das war‘s. Sonst wäre er nach London gekommen, um mit ihr über ihre Eheprobleme zu reden.

Die Kinder liefen begeistert voraus und schienen von der Spannung zwischen ihren Eltern nichts zu spüren.

Christy beneidete sie um ihre Unbefangenheit und Lebensfreude. „Sie sind so glücklich, hier zu sein“, sagte sie leise.

Alessandro drehte sich um und blickte sie düster an. „Natürlich, es ist ihr Zuhause. Sie hätten es niemals verlassen dürfen. Und du hättest sie niemals mitnehmen sollen!“

Ein scharfer Schmerz raubte ihr fast den Atem. Er hatte nur von den Kindern gesprochen, nicht von ihr.

Es ging ihm allein um die Kinder.

Christy schluckte und kämpfte mit den Tränen. „Heißt das, du gibst mir die Schuld an diesem Zustand, Alessandro?“

„Du hast dich entschieden, aus dem Heim der Familie auszuziehen, nicht ich.“

Du solltest mich doch zurückholen. Aber ihr Stolz verbot ihr, es auszusprechen. Alessandro sollte nicht merken, wie weh es tat, dass sie ihm nichts bedeutete.

Sie rettete sich in Zorn. „Ach, und deshalb bin ich schuld?“

„Ich etwa? Weil ich einen lausigen Hochzeitstag vergessen habe?“ Wütend fuhr er sich mit beiden Händen durchs Haar.

Fassungslos blickte sie ihn an. Er hat nichts begriffen, nicht das Geringste!

„Es ging nicht um den Hochzeitstag, Alessandro.“ Auch wenn es der Tropfen gewesen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. „Sondern um viel mehr. Aber darüber können wir jetzt nicht reden. Nicht vor den Kindern“, fügte sie leiser hinzu.

„Du redest nie darüber“, sagte er heiser, und sein Akzent war stärker denn je. „Du bist einfach weggegangen und hast mir die wichtigsten Dinge meines Lebens genommen.“

Sie vergaß, dass sie sich beherrschen wollte. „Ich habe es immer wieder versucht, aber entweder warst du im Krankenhaus oder hast in den Bergen Leute gerettet!“

„Das ist mein Job, Christy.“

„Wann hattest du das letzte Mal Zeit für mich, Alessandro?“

„Du hast jede Nacht in meinem Bett verbracht.“ Das kam so arrogant heraus, dass ihr das Blut ins Gesicht schoss.

„Das war nur Sex“, murmelte sie. „Im Bett haben wir immer Zeit füreinander.“

Sie hatten von Anfang an nicht die Finger voneinander lassen können.

Die Atmosphäre änderte sich. Christy spürte ein Prickeln am ganzen Körper, als sie Alessandro in die Augen sah. Sein feuriger Blick weckte schlagartig Verlangen, und sie wandte sich verzweifelt ab, um die heftigen Gefühle zu unterdrücken.

Es ist ohne jede Bedeutung, sagte sie sich bedrückt. Alessandro war ein heißblütiger Spanier, und Sex war immer schon wichtig für ihn gewesen. Das bedeutete nicht, dass er sie liebte. Mit Sex löste man keine Probleme.

Aber vielleicht könnte es ein Neuanfang sein, überlegte sie.

Wenn sie heute Nacht in einem Bett schliefen, würden sie sich vielleicht dem anderen näher fühlen und miteinander reden können.

„Was ist los, Alessandro?“, fragte sie mit erstickter Stimme. „Sind Fremde in Schwierigkeiten wichtiger als deine eigene Frau?“

Er schwieg, atmete dann tief durch. Aber bevor er antworten konnte, kamen die Kinder aus ihren Zimmern. „Wir spielen im Schnee!“, schrie Katy und raste mit hüpfendem Pferdeschwanz die Treppe hinunter. Ben folgte ihr auf den Fersen.

„Vergesst eure Jacken nicht!“, rief Christy ihnen nach und wünschte plötzlich verzweifelt, sie würden bleiben. Sie wollte nicht mit Alessandro allein sein. Hatte einfach nicht mehr die Kraft für die drohende Auseinandersetzung.

Da machte er einen Schritt auf sie zu. „Also, hier bin ich. Wenn du reden willst, dann rede.“ Er wirkte schrecklich unnahbar, und plötzlich fehlte ihr der Mut.

„Nicht, wenn du gleich wieder ins Krankenhaus musst. So etwas kann man nicht in fünf Minuten abhandeln.“

„Wenn du etwas zu sagen hast, sag es.“ Mit grimmigem Gesicht kam er näher. „Du zitterst ja. Mache ich dich nervös, Christy?“

Wenn er sie jetzt küsste, war sie verloren.

Christy wich zurück und hasste sich dafür. „Unsinn!“

„Dann fühlst du dich schuldig, weil du einfach weggegangen bist?“ Er hielt ihren Blick fest. „Hast du ein schlechtes Gewissen?“

„Dafür gibt es keinen Grund.“

„Doch, den gibt es.“

„Du siehst mal wieder nur deinen Standpunkt, und das ist eine Zumutung.“

„Dass du einfach ausgezogen bist, ist keine?“

Ein langes, angespanntes Schweigen folgte. Sein Blick glitt zu ihrem Mund, und Hunger flammte kurz in seinen dunklen Augen auf. Dann wurden sie wieder ausdruckslos, und er bückte sich nach ihrem Koffer. „Du hast recht. Es ist nicht der richtige Moment für eine Unterhaltung. Du warst zwei Monate weg, da fallen zwei Tage mehr nicht ins Gewicht. Ich bringe den Koffer in dein Zimmer.“ Damit drehte er sich um und marschierte davon.

Mein Zimmer? Verblüfft sah sie seiner hochgewachsenen Gestalt nach. Was meinte er damit?

Mit immer noch weichen Knien folgte sie ihm, und ihr sank das Herz, als er die Tür zum Gästezimmer aufstieß. Er blieb stehen, die Augenbraue herausfordernd hochgezogen, und sie biss sich auf die Lippen, verbarg ihren Schmerz.

Das war‘s wohl mit Sex als Problemlöser.

Wartete er darauf, dass sie ihn anbettelte? Da konnte er lange warten!

„Großartig“, heuchelte sie. Schwungvoll betrat sie den Raum, als hätte sie die Wahl getroffen, hier zu schlafen.

Den Blick auf ihr Gesicht geheftet, erwiderte er: „Ich denke, du wirst dich hier einigermaßen wohlfühlen.“

Nein, bestimmt nicht, dachte sie niedergeschlagen. Sie würde kein Auge zutun, wenn Alessandro nur wenige Schritte entfernt schlief, am anderen Ende des Flurs. Nackt … Er schlief immer nackt. Christy wurde warm. „Bestimmt. Alles bestens.“

Ein schwer zu deutender Ausdruck blitzte in seinen Augen auf und verschwand rasch wieder. Hatte sie ihn verärgert? Aber es war doch seine Entscheidung gewesen, sie hier im Gästezimmer unterzubringen, oder?

Plötzlich brannten ihr die Augen, und sie war kurz davor, in Tränen auszubrechen. Zum Glück bewahrte Katy sie davor, sich zum Narren zu machen. Von oben bis unten mit Schnee bepudert, erschien sie im Türrahmen. „Oh, Mum, das ist einfach krass. So viel Schnee und …“ Sie verstummte abrupt und schaute sich um. „Was machst du hier?“

„Ich schlafe hier, Kleines.“ Christy schlug einen munteren Ton an, als wäre es völlig normal, dass Alessandro und sie getrennt schliefen.

„Im Gästezimmer?“ Es hörte sich an, als hätte ihre Mutter verkündet, draußen im Geräteschuppen zu übernachten.

Christy unterdrückte ein Stöhnen. „Dein Vater und ich brauchen jeder ein bisschen Freiraum.“

Dafür ernteten sie böse Blicke. „Es ist Weihnachten“, erklärte Katy mit Nachdruck, „das Fest der Liebe und des Friedens, da wird nicht gestritten. Wenn Ben das hier mitbekommt, wird er sehr traurig sein.“

„Wir streiten uns nicht“, erklärte Christy schwach, und Alessandro runzelte die Stirn.

„Wo deine Eltern schlafen, geht dich nichts an, Katy“, sagte er ruhig, aber in warnendem Ton.

Katy ließ sich nicht einschüchtern. „Das kannst du nicht machen, Mum“, sagte sie trotzig. „Ich will, dass ihr in einem Bett schlaft – wie alle Eltern.“

„Liebling, viele Eltern deiner Freundinnen schlafen getrennt. Denk doch nur an Rosies Mum und Dad. Sie …“

„Das ist etwas anderes. Die sind geschieden!“, begehrte sie auf. „Du und Dad, ihr werdet euch aber nicht scheiden lassen. Auf keinen Fall.“

Christy hörte, wie Alessandro scharf durchatmete, und biss sich auf die Lippen.

„Hör zu, mein Kind, du bist noch jung, und manches verstehst du nicht“, antwortete sie so ruhig wie möglich. „Diese Angelegenheit musst du Dad und mir überlassen.“

Katy stemmte die Hände in die Seiten. „Meint ihr?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, wirbelte sie herum und verließ das Zimmer.

Alessandro fluchte unterdrückt. „Ich werde mit ihr reden …“

„Nein.“ Christy schüttelte den Kopf. „Das hat keinen Zweck, wenn sie aufgeregt und wütend ist. Ich spreche später mit ihr.“

„Und was willst du ihr sagen? Dass es deine Entscheidung gewesen ist?“ Er warf ihr einen langen, anklagenden Blick zu. „Ich muss jetzt zurück ins Krankenhaus.“

Christy starrte ihm benommen nach. Alessandro gab ihr die Schuld an allem. Doch anstatt sich darüber zu ärgern, empfand sie nur eine tiefe, lähmende Müdigkeit. Sie kannte Alessandro wütend, sie kannte ihn leidenschaftlich, aber noch nie hatte sie ihn so kalt erlebt.

Es gab keine Hoffnung mehr. Absolut keine.

Vor ihr lag das schrecklichste Weihnachtsfest ihres Lebens …

2. KAPITEL

Alessandro fuhr zu schnell, die Hände um das Lenkrad seines weißen Sportwagens geklammert.

Er hatte Christy absichtlich ins Gästezimmer gebracht und darauf gewartet, dass sie sich ihm in die Arme werfen würde. Von wegen!

Bevor sie nach London verschwunden war, hatten sie keine Nacht getrennt geschlafen, und nun verhielt sie sich so, als wäre es das Normalste der Welt.

Er stellte den Wagen auf seinem Parkplatz am Krankenhaus ab. Immer noch kreisten seine Gedanken um Christy.

Sie war schöner denn je. Schlank und doch betörend weiblich mit wohlgeformten Kurven an den richtigen Stellen. Der blaue Pullover brachte ihre schönen Augen zum Leuchten, und das seidige rötlich blonde Haar fiel ihr weich und verlockend auf die schmalen Schultern. Trug sie es heute absichtlich offen, um ihn zu quälen? Sie wusste doch, wie sehr er ihre Haare liebte. Und ihre langen Beine … In den hochhackigen Schuhen sah sie sexy und aufregend aus, gar nicht wie die Mutter zweier Kinder.

Ob sie sich bereits einen Liebhaber zugelegt hatte?

Zum ersten Mal in seinem Leben erfüllte Alessandro eine nagende Unsicherheit. Er stieg aus und stieß die Tür der Notaufnahme so heftig auf, dass er fast mit einem Kollegen zusammengeprallt wäre.

„Was machst du denn hier? Mit dir haben wir heute eigentlich nicht mehr gerechnet.“ Sean Nicholson, der leitende Chefarzt der Notaufnahme und Leiter des Bergrettungsteams, trat mit gerunzelter Stirn zurück.

Alessandro riss sich zusammen. „Wir sind knapp an Personal“, sagte er gepresst. „Und ob ich nun hier bin oder woanders, ist egal.“

Sean sah ihn scharf an. „So schlimm?“

„Frag bloß nicht.“

„Es hat keinen Sinn, vor Frauen davonzulaufen“, meinte Sean gedehnt. „Man entkommt ihnen nicht.“

Wenn es nur so wäre, dachte Alessandro, noch immer wütend. Christy wollte nichts mehr von ihm wissen. Nur der Kinder wegen war sie über Weihnachten zurückgekommen. Und im Gästezimmer zu schlafen, machte ihr nichts aus.

Sean drückte ihm eine Akte in die Hand. „Ehrlich gesagt bin ich nicht böse, dass du da bist. Bei uns ist der Teufel los.“

Fast wie zu Hause, dachte Alessandro bitter, nickte aber nur und wollte gehen. Sean hielt ihn am Arm zurück.

„Sag mal, Christy hätte nicht Lust, wieder zu arbeiten? Nur für die zwei Wochen bis Weihnachten. Zurzeit sind sechs Schwestern krankgemeldet. Wir schaffen unsere Arbeit einfach nicht.“

„Christy?“ Alessandro sah ihn erstaunt an. „Sie arbeitet in einer Hausarztpraxis …“

„Aber erst seit ein paar Jahren“, meinte Sean. „Davor war sie in der Notaufnahme, und dazu verdammt gut. Ich weiß, es ist nur so eine Idee, aber …“ Als er Alessandros zweifelnden Ausdruck sah, zuckte er mit den Schultern. „Überleg‘s dir.“ Er ging davon, und Alessandro starrte ihm nach.

Christy hatte nach Katys Geburt nur noch halbtags gearbeitet und als Ben zur Welt kam ganz aufgehört. Erst seit einiger Zeit arbeitete sie Teilzeit in der Hausarztpraxis. Ein absurder Gedanke, dass sie wieder in der Notaufnahme anfangen könnte. Sie war Mutter, die Kinder hatten Vorrang, und außerdem wäre die Arbeit in der Notaufnahme eine viel zu große Belastung für sie.

Um fünf Uhr am nächsten Morgen, nach einer harten, langen Nacht, kehrte Alessandro nach Hause zurück und kroch in sein einsames kaltes Bett. Aber er fand einfach keinen Schlaf, musste ständig an Christy denken, die tief und fest im Gästezimmer schlief.

Der Gedanke an ihren warmen Körper ließ ihn nicht zur Ruhe kommen, und so stieg er leise fluchend wieder aus dem Bett, zog sich seinen Jogginganzug an und lief los.

Frisch gefallener Schnee bedeckte den Boden, und weiße Atemwolken wehten beim Laufen vor ihm her. Die Felsen im Fluss glänzten von der Eisschicht, das Wasser war eiskalt und klar wie Glas. Er rannte, bis ihm die Lungen brannten und die Muskeln schmerzten, dann erst kehrte er zurück.

Die Kinder waren inzwischen aufgestanden, lagen gemütlich auf dem Sofa und sahen sich einen Zeichentrickfilm im Fernsehen an. Christy war in der Küche, es duftete nach Pfannkuchen.

Sie blickte auf, als er hereinkam. Sekundenlang sahen sie sich nur an, doch schließlich räusperte sie sich und nahm die Pfanne vom Herd, damit der Pfannkuchen nicht anbrannte.

„Möchtest du frühstücken?“ Sie trug eine Jeans, die sich perfekt an ihren schlanken Körper schmiegte, und den blauen Pullover von gestern. Erregung stieg in ihm auf. Wahrscheinlich weil ich sie seit Wochen nicht gesehen habe, sagte er sich. Das würde sich geben, sobald er sich an ihre Anwesenheit gewöhnt hatte. Bis dahin musste er nur auf Abstand gehen.

„Nein danke“, erwiderte er, obwohl ihm der Magen knurrte. Aber wenn er hierblieb, bestand die Gefahr, dass er sich vergaß und sie in die Arme riss. „Ich muss ins Krankenhaus.“

„Alessandro …“ Es klang verzweifelt. „Du kommst um fünf nach Haus, legst dich zwei Stunden hin und stehst wieder auf, um zu joggen. Selbst du brauchst Erholung.“

Sie hatte also auch nicht geschlafen, sonst wüsste sie es nicht so genau.

Er musterte sie, und sie wurde rot, als sie merkte, dass sie sich verraten hatte. Also war er ihr doch nicht egal. Vielleicht gab es noch Hoffnung für sie.

„Die zwei Stunden müssen für heute reichen“, sagte er heiser. „Wir haben einfach zu wenig Personal. Ich bin nach dem Mittag wieder da.“ Plötzlich wünschte er, die Kinder wären in der Schule. Christy würde innerhalb von fünf Sekunden auf dem Küchentisch liegen und nach weiteren zehn nackt sein.

Und er hatte das Gefühl, dass sie nicht dagegen sein würde.

„So knapp an Personal, dass ihr nicht mehr schlafen dürft?“

„Wir haben eine Grippeepidemie, die Hälfte der Schwestern hat sich angesteckt.“ Er riss den Blick von ihrem schlanken Hals los und versuchte, seine erotischen Fantasien zu unterdrücken.

„Wenn du so weitermachst, liegst du auch bald auf der Nase“, sagte sie gepresst, und er seufzte.

„Du weißt doch, wie es in der Notaufnahme zugeht.“

„Ja.“ Sie nahm ein paar Teller und stellte sie heftiger als notwendig auf den Tisch. „Und ob. Schließlich habe ich dort lange genug gearbeitet und war lange genug mit dir verheiratet.“

„War?“

Als sie ihn anblickte, las er tiefe Traurigkeit in ihren Augen, und es zerriss ihn innerlich. In all den Jahren ihrer Ehe hatte er Christy niemals weinen sehen, und der Ausdruck in den feucht schimmernden grünen Augen schnitt ihm ins Herz.

„Christy …“

Das Telefon klingelte, und sie griff schnell danach, anscheinend froh über die Unterbrechung. Er hörte, wie sie sich räusperte, ehe sie sich meldete. Dann glitt ein Lächeln über ihr Gesicht, und ihr seidiges, lockiges Haar fiel ihr weich über die Schultern, als sie den Kopf neigte und lauschte. Es hatte die Farbe von herbstlichen Blättern, und er war so hingerissen von ihrem Anblick, dass er nicht einmal mitbekam, wie sie den Hörer wieder auflegte.

„Das war Sean.“

„Nicholson?“ Alessandro hatte Mühe, sich zu konzentrieren. „Was wollte er?“

Christy brachte die Pfannkuchen zum Tisch. „Er hat gefragt, ob ich bereit wäre, bis Weihnachten als Vertretung in der Notaufnahme zu arbeiten.“

„Und du hast Nein gesagt.“

„Ich habe zugesagt.“ Sie stellte noch einen Teller mit Zitronenscheiben und die Flasche Ahornsirup auf den Tisch.

„Wieso das denn?“

Sie hob den Kopf und sah ihn kühl an. „Warum nicht?“

„Nun …“ Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Weil es schon lange her ist, dass du in der Notaufnahme gearbeitet hast. Jahrelang hast du zu Hause die Kinder versorgt und …“

„Und deswegen hat mein Verstand gelitten?“, fragte sie scharf, während sie die Besteckschublade aufzog. „Warum sprichst du es nicht offen aus, Alessandro – du denkst, dass ich es nicht mehr schaffe, oder?“ Heftig schob sie die Schublade zu, und Alessandro wünschte, er wäre in der Klinik geblieben.

„Ich denke nur an dich. Du hast keine Ahnung, was heutzutage im Krankenhaus los ist.“ Er hob die Hände. „Jeden Tag ein neues Hightech-Gerät, mit dem man umgehen lernen muss, und auch sonst gibt es keinen Moment Pause. Dazu die randalierenden Betrunkenen …“

Sie legte das Messer neben den Sirup. „Und du glaubst, dass ich nicht mit ihnen fertig werde?“ Ihre Augen blitzten gefährlich, und es durchfuhr ihn heiß. Immer schon hatte er ihre leidenschaftliche Art und ihre Stärke geliebt. Sie fürchtete sich vor nichts. „Du bist eine starke Frau, querida“, sagte er gedehnt, „aber …“

„Kein Aber! Glaub mir, mein Verstand ist immer noch der alte, Alessandro. Dass ich zwei deiner Kinder zur Welt gebracht habe, hat ihm nicht geschadet.“

Er war auf einmal froh, dass sie das Messer hingelegt hatte.

„Jetzt übertreibst du.“

„Tut mir leid, aber das passiert, wenn man mich behandelt, als könnte ich nicht bis drei zählen“, antwortete sie zuckersüß. „Und wir wollen doch ehrlich sein – es geht dir nicht um mich. Du denkst an dich. Du hast Angst, dass ich irgendetwas Peinliches tun könnte. Oder dass dein Essen nicht fertig auf dem Tisch steht, wenn du nach Hause kommst. Oder dass ich zu müde zum Sex bin …“

„Es reicht!“ Warnend blickte er zur Tür. Die Kinder waren gleich nebenan.

„Ja, Alessandro, mir hat es gereicht“, konterte sie wütend. „Du willst nur nicht, dass jemand dein geordnetes Leben durcheinanderbringt.“

Er atmete tief durch. „Die Arbeit in der Notaufnahme ist anstrengend und …“

„Und du denkst, das schaffe ich nicht“, wiederholte sie mit dem rebellischen Ausdruck, den er so gut kannte. „Schön, ich werde dir das Gegenteil beweisen. Ich war eine gute Krankenschwester, das scheinst du vergessen zu haben, Alessandro.“

„Nein, das habe ich nicht“, erwiderte er steif. „Du hast dich um die Kinder gekümmert, und das ist wichtig. Es ist genug.“

„Für dich, ja. Aber auch für mich? Du steigst die Karriereleiter immer höher und hast nicht einmal innegehalten, um dich zu fragen, ob ich damit glücklich bin, auf der Stelle zu treten.“

Alessandro starrte sie an. „Ich dachte, du wärst glücklich damit, zu Hause bei den Kindern zu sein. In der Hausarztpraxis zu arbeiten.“

„Ben geht seit drei Jahren zur Schule, und in der Praxis arbeite ich nur, weil es zeitlich praktisch ist. Das weißt du.“

Wusste er es wirklich? Alessandro fühlte sich in die Enge getrieben.

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du nicht glücklich bist?“

„Wann denn? Dazu hätte ich zu dir ins Krankenhaus kommen müssen!“ Sie stellte die Pfanne ab. „Ich habe versucht, mit dir zu reden, Alessandro. Aber du hast nicht zugehört.“

„Jetzt höre ich zu.“

„Na toll, und wieder haben wir keine Zeit dafür. Ist das nicht typisch?“ Christy lachte humorlos und holte tief Luft. „Kinder! Frühstück!“

Er rührte sich nicht vom Fleck. „Wir werden darüber reden, Christy.“

„Irgendwann, ja. Aber nicht jetzt, sonst werden die Pfannkuchen kalt.“ Sie füllte Bens Teller. „Heute Abend fange ich im Krankenhaus an. Spätschicht. Du musst dich dann um die Kinder kümmern.“

Er wollte ihr gerade vorschlagen, noch ein paar Tage zu warten, damit sie sich auf die Arbeit vorbereiten konnte, da tauchten die Kinder auf.

„Arbeitest du wieder im Krankenhaus, Mum?“ Katy träufelte sich großzügig Ahornsirup auf ihren Pfannkuchen. „Und was ist mit uns?“

„Wenn Daddy nicht da ist, geht ihr zu Grandma.“

Katys Gesicht leuchtete auf. „Cool, dann gehen wir shoppen.“

Alessandro runzelte die Stirn. „Du hast nichts dagegen, den größten Teil der Woche bei deiner Großmutter zu verbringen?“

„Wieso sollte ich?“ Sie grinste breit. „Sie sagt doch immer, das Schönste am Großmuttersein ist, dass man jemanden hat, den man verwöhnen kann. Und ich habe absolut nichts dagegen, dieser Jemand zu sein.“

„Grandma backt einen tollen Schokoladenkuchen.“ Ben angelte sich die Zuckerdose. „Der ist ganz saftig, und sie schneidet mir immer ein Riesenstück ab. Sie hat nie Angst, dass ich dann kein Mittagessen mehr mag.“

„Na bitte.“ Christy sah Alessandro an. „Außerdem ist es ja nicht für den ganzen Tag. Mir bleibt noch genug Zeit für die Kinder. Und so ist jeder glücklich und zufrieden.“

Jeder?

Alessandro war nicht sicher, ob es ihm gefallen würde, wenn sie in derselben Abteilung arbeitete wie er. Er hatte schon in der kurzen Zeit, in der er zu Hause mit ihr zusammen war, Mühe, nicht über sie herzufallen.

„Betrachte es doch mal so.“ Sie schenkte ihm ein vielsagendes Lächeln. „Du bist sowieso immer im Krankenhaus. Zumindest bekomme ich dich auf diese Weise mal zu sehen.“

Und genau das ist das Problem, dachte Alessandro. Die Arbeit würde ihn nicht mehr ablenken können, wenn Christy ständig in seiner Nähe war.

„Nicht zu fassen, du hast tatsächlich zugesagt!“ Nicky, ihre Kollegin in der Notaufnahme, umarmte Christy. „Wir freuen uns alle, dass du wieder hier bist.“

„Es ist schon Jahre her, und ich bin doch ein wenig nervös“, gestand Christy und strich mit der Hand über den blauen Kittel, den die Schwestern in der Notaufnahme trugen. „Ich habe Angst, Fehler zu machen.“

„Bestimmt nicht.“ Nicky machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du bist eine erfahrene Krankenschwester. Und wenn du dir nicht sicher bist, dann frag einfach.“

„Alessandro scheint es mir nicht zuzutrauen“, meinte Christy leise, und Nicky sah sie forschend an.

„Er ist Spanier und hat bestimmte Vorstellungen, wie Frauen sein sollen, aber das wusstest du doch sicher, als du ihn geheiratet hast. Wahrscheinlich sieht er dich eher in der traditionellen Rolle der Mutter und Ehefrau. Warte nur ab, bis ihr zwei im Wiederbelebungsraum zusammenarbeitet.“

Und ich den ersten Fehler begehe, dachte Christy verunsichert.

„Auf jeden Fall hast du eine gute Schicht für den Anfang erwischt“, meinte Nicky munter. „Dein Mann hat heute keinen Dienst, du kannst dich also in Ruhe einarbeiten, ohne seine prüfenden Blicke fürchten zu müssen. Und es ist Sonntagnachmittag. Jede Menge Rugbyverletzungen. Leckere schlammbedeckte Männer, halb nackt. Paradiesisch, sage ich dir.“ Sie zwinkerte ihr zu. „Legen wir los!“

Christy lachte, und auf einmal wurde ihr bewusst, wie sehr ihr der lockere, kameradschaftliche Ton der Notaufnahme gefehlt hatte.

Die Kinder schliefen schon, als Christy nach Hause kam. Erschöpft, aber glücklich kroch sie ins Bett. Sie hatte es geschafft, ohne eine einzige Panne! Und es hatte ihr Spaß gemacht. Die Zeit war viel zu schnell verflogen.

Und nun lag sie in ihrem Bett im Gästezimmer, und die Probleme, die sie für wenige Stunden beiseitegeschoben hatte, kehrten zurück.

Er will mich nicht, dachte sie traurig.

Weder im Bett noch in der Notaufnahme.

Ihre Flucht nach London hatte nur deutlich gemacht, was sowieso irgendwann klar geworden wäre.

Ihre Ehe ging den Bach hinunter, und sie schien nichts dagegen tun zu können.

Am nächsten Morgen kratzte Christy das Eis von der Windschutzscheibe, brachte die Kinder zu ihrer Mutter und fuhr zum Krankenhaus. In der Notaufnahme herrschte Chaos.

„Ein Bus, beladen mit dem Weihnachtsmann und einer Schar Engel, ist am Kirkstone-Pass auf Blitzeis geraten.“ Nicky hatte die Arme voller Verbandszeug. „Die meisten sind zu Fuß hergekommen, aber den Fahrer hat es schlimm erwischt. Man hat ihn gerade hereingebracht. Kannst du in die Wiederbelebung gehen und helfen? Donna ist dort, aber sie ist noch unerfahren, und ich habe Angst, dass dein Mann ihr den Kopf abreißt, wenn sie was falsch macht. Ich kann hier nicht weg, denn offensichtlich warten auch Engel nicht gern vier Stunden im Krankenhaus auf ihre Behandlung.“

Christy stieß die Tür zum Wiederbelebungsraum auf. Ihr Herz hämmerte wie verrückt.

Die Aussicht, mit Alessandro zusammenarbeiten zu müssen, machte sie nervös.

Und wenn sie nun wirklich wichtige Dinge vergessen hatte?

Auf der Rollliege lag ein stöhnender Mann, sein blutverschmiertes Weihnachtsmannkostüm war auf dem Boden gelandet. Alessandro stand am Kopfende und koordinierte das Team, während er die Verletzungen einschätzte.

„Prellungen am oberen Brustkorb“, murmelte er. „Keinerlei Anzeichen von offenen Wunden oder Stichverletzungen.“

Christy ging um die Liege herum. Alessandro hob den Kopf und sah sie. „Bevor du dich mit dem Patienten befasst, bitte Schutzkleidung anziehen“, bemerkte er kühl. „Zumindest OP-Handschuhe und Kittel.“ Damit wandte er sich wieder dem Patienten zu.

Christy stieg das Blut ins Gesicht. Natürlich wusste sie, als Allererstes war Schutzkleidung notwendig. Blut und Körperflüssigkeiten konnten Aids- und Hepatitis-Viren enthalten. Das wusste sie genau. Aber Alessandros Anblick hatte sie durcheinandergebracht.

Entschlossen, sich nicht noch einmal verunsichern zu lassen, zog sie sich rasch das Erforderliche an und kehrte zur Liege zurück.

Alessandro horchte die Brust des Patienten ab, bevor er sich an die Notärztin wandte, eine hübsche Blondine, die gerade den Oberschenkel des Patienten untersuchte. „Blutverlust?“

„Habe ich unter Kontrolle.“

„Okay, ich möchte zwei intravenöse Zugänge, entnehmt Blut für die Kreuzprobe, großes Blutbild, Elektrolyte. Und Arterienblut für eine Blutgasanalyse. Wie sieht der Blutdruck aus? Ich brauche ein EKG.“ Seine Anordnungen kamen schnell und präzise, und Christy übernahm die Aufgaben einer der Schwestern, die sichtlich Mühe hatte zu folgen. Vermutlich war es Donna.

Automatisch warf sie einen Blick auf den Monitor, während sie nach den Elektroden griff und den Patienten an das Gerät anschloss. „Blutdruck fällt. Neunzig zu fünfzig.“

Auf einmal bebten ihre Hände nicht mehr, sie wusste, was zu tun war, und es kam ihr vor, als hätte sie nie aufgehört, hier zu arbeiten.

„Elektrolytlösung, um den Blutverlust auszugleichen“, sagte Alessandro sofort und setzte seine Untersuchung fort.

„Strecken Sie bitte die Zunge heraus“, bat er, „und wackeln Sie kurz mit den Zehen.“

„Blutdruck fällt noch immer“, sagte Christy ruhig, und Alessandro blickte kurz zu ihr herüber.

„Durchfluss erhöhen und Schmerzmittel geben.“

„Erster Zugang ist gelegt“, informierte die Ärztin und schob eine große Kanüle hinein. Christy zog den Infusionsständer heran.

„Den zweiten Zugang legen, Sylvia“, befahl Alessandro. Da stöhnte der Mann auf, und sofort wandte Alessandro ihm seine Aufmerksamkeit zu. „Wir geben Ihnen gleich etwas gegen die Schmerzen, Derek“, beruhigte er ihn.

Ohne Aufforderung griff Christy nach den Medikamenten, zog sie auf die Spritze und reichte sie Alessandro zusammen mit der Ampulle zur Überprüfung. Dann legte sie dem Patienten beruhigend die Hand auf den Arm.

„Gleich geht es Ihnen besser, Derek“, versprach sie ihm und warf einen Blick auf den Monitor neben ihr. „Blutdruck stabil“, bemerkte sie, und Alessandro nickte.

„Gut. Da er immer noch Schmerzen hat, nehme ich eine Femoralis-Blockade vor, bevor wir das Bein schienen und ihn zum Röntgen bringen.“

Sofort griff Christy nach der Nadel, die er brauchen würde, und einer Ampulle Lidocain, um die Injektion vorzubereiten.

Alessandro ertastete die Oberschenkelarterie, desinfizierte die Haut und streckte die Hand aus. Christy legte die vorbereitete Spritze hinein, und er injizierte das Medikament.

Sylvia trat näher. „Was ist, wenn du die Arterie punktierst?“

„Dann werfe ich meinen Job hin.“ Alessandro ließ die Spritze in den Kasten fallen, den Christy ihm hinhielt, und lächelte kurz. „Vorher übe ich noch fünf bis zehn Minuten Druck auf die Einstichstelle aus, bis die Blutung aufhört, und bringe die Betäubung zu Ende.“ Er blickte den Patienten an. „Der Schmerz sollte gleich nachlassen, Derek.“

Sylvia wandte sich ab, aber Christy bekam noch mit, welchen Blick sie Alessandro zuwarf. Die junge Ärztin flirtete mit Alessandro.

Sie ist scharf auf ihn!

Für Christy war es wie ein Schlag in den Magen. Natürlich wusste sie, dass ihr attraktiver Mann die Blicke anderer Frauen auf sich zog. Doch diesmal passierte es, während es in ihrer Ehe kriselte.

Hatte er Sylvia irgendwie ermutigt?

Sie biss sich auf die Lippen. Die zierliche Ärztin war sehr hübsch und Alessandro ein heißblütiger Spanier mit ausgeprägten sexuellen Bedürfnissen, wie sie aus eigener Erfahrung wusste.

Hatten die beiden schon miteinander geschlafen?

Der Patient schloss die Augen und schüttelte den Kopf. „Wir waren auf dem Weg zur Schule, wollten Geschenke hinbringen.“

„Machen Sie sich deswegen keine Gedanken.“ Christy verdrängte die beunruhigenden Bilder von einer nackten Sylvia, die Alessandro fest umschlungen hielt, und lächelte Derek beruhigend an, als er nach ihrer Hand fasste.

„Kann vielleicht jemand in der Schule anrufen? Die Kinder warten doch auf den Weihnachtsmann.“

Christy drückte dem Mann die Hand. „Ich frage die Schwestern, ob einer Ihrer Engel die Schule verständigen kann.“

Alessandro blickte sie verblüfft an, aber sie wandte sich an Donna, die nervös neben ihr stand. „Kümmern Sie sich darum?“, fragte sie freundlich.

Sichtlich erleichtert verschwand die junge Krankenschwester nach draußen.

Mit gerunzelter Stirn blickte Alessandro ihr nach. „Sie ist nervös.“

„Sie ist noch in der Ausbildung, und du schüchterst sie ein“, erwiderte sie gelassen. „Willst du jetzt das Bein ruhigstellen?“

„Ist das wahr? Ich mache ihr Angst?“

„Nicht alle sind mit deinem ausgeprägten Selbstbewusstsein auf die Welt gekommen, Alessandro. Derek, wir werden jetzt Ihr Bein schienen“, wandte sie sich an den Patienten.

Atemlos kehrte Donna zurück. „Sie haben die Schule angerufen, es ist alles in Ordnung.“

„Gut gemacht.“ Christy lächelte Derek an. „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Auch ein Weihnachtsmann wird manchmal aufgehalten.“

Während sie sich um den Patienten kümmerten, half Christy Donna und erklärte geduldig jeden Handgriff. Die Schwesternschülerin wich ihr nicht mehr von der Seite und wurde zusehends mutiger, selbst mit anzupacken.

Leider stand Sylvia die ganze Zeit dicht neben Alessandro, anscheinend mehr als bereit, ihn anzupacken!

„Das hätten wir.“ Alessandro wandte sich an Sylvia. „Sorg bitte dafür, dass er zum Röntgen kommt und anschließend in die Orthopädie, ja? Ich brauche Aufnahmen vom Becken, der Hüfte und dem Knie.“

Sylvia lächelte ihn an. „Natürlich, Alessandro“, sagte sie mit ihrer rauchigen Stimme.

Donna sah fragend zu Christy, und sie riss den Blick von Sylvia los, um der jungen Schwester die notwendigen Informationen zu geben.

„Ein Oberschenkelknochen bricht nur unter extrem starker Belastung, und dann ist nicht auszuschließen, dass es im betroffenen Bereich weitere Frakturen gegeben hat“, erläuterte sie. Er schläft bestimmt nicht mit Sylvia. So etwas tut Alessandro nicht. Er mochte ein leidenschaftlicher Mann sein, aber er hatte seine moralischen Prinzipien. „Wenn wir also röntgen, ist es wichtig, dabei das Becken, Hüfte und Knie zu überprüfen.“

Oder würde er es doch tun – wenn seiner Meinung nach ihre Ehe gescheitert war?

3. KAPITEL

Christy begann aufzuräumen, während Sylvia und Donna sich um den Patienten kümmerten. Schließlich blieb sie allein zurück. Sie war so mit ihren Arbeiten beschäftigt, dass sie nicht hörte, wie sich die Tür öffnete.

„Mit der Arbeit in der Notaufnahme scheint es genauso zu sein wie mit Fahrradfahren – einmal gelernt, vergisst man es nicht wieder.“ Beim Klang der tiefen männlichen Stimme fuhr sie zusammen. Doch dann richtete sie sich auf. Es gab keinen Grund, nervös zu sein. Sie hatten hervorragend zusammengearbeitet, und sie hatte nichts falsch gemacht.

„Es war sofort alles wieder da.“

„Offensichtlich.“ Er musterte sie forschend. „Es hat dir gefehlt, nicht wahr?“

Seit Jahren arbeitete sie nicht mehr in der Notaufnahme, und er stellte ihr diese Frage zum ersten Mal. „Ja“, gestand sie, „und wie!“

Kurz blitzte etwas in seinen Augen auf. „Das hast du nie gesagt.“

„Du hast nie gefragt.“

Ihre Blicke trafen sich, und Christy durchrieselte es warm.

„Wir sollten mehr miteinander reden“, sagte er mit rauer Stimme, und sie lächelte schwach.

„Es ist nicht immer leicht, mit dir zu reden, Alessandro.“

„Mache ich wirklich anderen Menschen Angst?“ Ihre Bemerkung von vorhin schien ihn zu beunruhigen.

„Du schaffst es mühelos, andere einzuschüchtern“, erwiderte sie ehrlich. „Aber das liegt zum Teil auch an deinem Können und deiner Erfahrung. Eine junge, unerfahrene Schwester ist natürlich trotz aller Theorie nicht auf eine solche Situation wie vorhin vorbereitet.“

Alessandro sah sie nachdenklich an. „Mache ich dir auch Angst?“

Sie hatte nur Angst, ihn zu verlieren. Aber das konnte sie ihm jetzt nicht sagen. „Nein“, sagte sie nach kurzem Schweigen. „Allerdings dringe ich manchmal nicht zu dir durch, und dann gebe ich es irgendwann auf.“

Er murmelte etwas auf Spanisch und rieb sich das stoppelige Kinn. Plötzlich legte er ihr die Hand auf den Nacken und zog Christy zu sich heran. „Ich will keine Scheidung, hörst du, Christy? Darüber solltest du dir im Klaren sein.“

Wie hypnotisiert von seinem intensiven dunklen Blick starrte sie ihn an. Auf diese Worte hatte sie wochenlang gewartet, und nun sagte er sie hier im Wiederbelebungsraum, wo sie jederzeit gestört werden konnten. Und sie hatte so viele Fragen. Was war zum Beispiel mit Sylvia?

„Und wenn ich die Scheidung will?“

Sie wollte ihn unter Druck setzen, hatte aber vergessen, dass so etwas bei seinem Temperament nicht funktionierte.

„Kommt nicht infrage.“ Er legte den anderen Arm um sie und presste sie an sich.

Sie schnappte nach Luft. „Alessandro …“

„Soll ich dir beweisen, dass du mich immer noch willst?“, flüsterte er an ihrem Mund.

„Nein. Ich …“

Weiter kam sie nicht. Sie spürte den verführerischen Druck seiner warmen Lippen und schmiegte sich an Alessandro. Niemand küsste so wie er, und sie konnte ihm auch diesmal nicht widerstehen. Sie genoss es, wie er sie hungrig erkundete, erotisch und fordernd. Schockiert begriff sie, wie schnell er ihr Verlangen wecken und ihre Lust schüren konnte. Trotzdem war sie glücklich, dass er sie küsste und ihr damit zeigte, dass er sie brauchte.

Da gab er sie abrupt frei, trat einen Schritt zurück und blickte sie kalt an. „Die Kinder brauchen beide Eltern, Christy. Wir sind eine Familie, und daran wird sich nichts ändern.“

Ihre Hoffnung, dass sie ihm etwas bedeutete, erlosch. „Alessandro …“

„Wir werden nie wieder über Scheidung reden, Christy. Und versuch nicht, mir etwas vorzumachen, ich weiß, dass du mich willst.“

Oh ja, sie wollte ihn! Ihre Brustspitzen waren hart, zeichneten sich verräterisch unter dem Kittel ab, und ihre Brüste, ihr ganzer Körper sehnte sich nach seiner Berührung.

Aber mit Sex löste man keine Probleme, auch wenn Alessandro das anscheinend anders sah.

Es tat weh, dass es ihm eigentlich nur um die Kinder ging.

Könnte sie bei ihm bleiben, obwohl er sie nicht mehr liebte?

„Hier können wir darüber nicht reden. Nicht jetzt.“

Sein Blick glitt zu ihrem Mund. „Wann dann?“

„Ich weiß es nicht.“ Sie zitterte innerlich und fühlte sich miserabel, weil sie sich nicht auf eine weitere Auseinandersetzung einlassen wollte.

„Nun, wir sollten es nicht mehr lange vor uns herschieben.“ Er stand dicht vor ihr, sein Duft stieg ihr in die Nase.

Ist das normal? fragte sie sich, als ihr Puls beschleunigte. Zwölf Jahre sind wir verheiratet, und ich könnte ihm immer noch bei jeder Gelegenheit die Kleidung vom Leib reißen.

„Ich muss nach Hause und Essen machen“, sagte sie heiser, zog sich die OP-Handschuhe aus und wusch sich die Hände. „Mum bringt die Kinder in einer Stunde vorbei. Isst du mit uns?“

„Ja“, sagte er zu ihrer Überraschung. „Ich möchte mit den Kindern essen. Warum nicht?“

Die Kinder.

Es geht ihm nur um die Kinder, dachte sie niedergeschlagen, als sie den Raum verließ.

Katy stand vom Esstisch auf, griff nach der Hand ihres Bruders und zerrte ihn die Treppe hinauf ins Gästezimmer. „Wir müssen handeln.“

„Was?“ Ben interessierte sich mehr für sein Flugzeug.

Katy riss es ihm aus der Hand und warf es auf den Stuhl. „Komm, wir hüpfen jetzt auf dem Bett herum.“

Ben versuchte sich loszureißen. „Ich wollte mit meinem Flugzeug spielen.“

Katy verdrehte die Augen. „Das kannst du gleich, erst hüpfen wir auf dem Bett.“

„Wir dürfen das doch nicht“, sagte er zweifelnd.

„Seit wann interessiert dich das?“

„Ich will keinen Ärger mit Mum haben.“

„Du bekommst aber Ärger mit mir, wenn du nicht mitmachst“, erklärte Katy zuckersüß. „Also, los jetzt.“

„Ich hopse gern auf dem Bett.“ Wieder betrachtete er das Bett, diesmal mit einem verlangenden Ausdruck. „Aber nur ganz kurz, ja? Sonst schimpft Mum. Wie doll kann ich?“

„So doll du willst“, murmelte Katy vor sich hin und streifte die Schuhe ab. „Ich helfe dir. Komm.“ Sie kletterte aufs Bett und legte los.

Ben lachte fröhlich und war sofort mit Feuereifer bei der Sache.

Unten in der Küche aßen Alessandro und Christy schweigend. Plötzlich rumste es gewaltig über ihren Köpfen. Ein gellender Aufschrei folgte.

„Oh nein!“ Wie der Blitz sprang Christy vom Stuhl hoch und raste in Rekordzeit die Treppe hinauf, Alessandro dicht hinter ihr.

Im Gästezimmer saß Ben schluchzend am Boden, und Katy hatte tröstend die Arme um ihn geschlungen. Sie blickte auf, als die Eltern hereinstürmten.

„Ben ist auf dem Bett herumgehüpft, und dann …“ Sie zuckte unschuldsvoll mit den Schultern. „… muss es irgendwie zusammengebrochen sein. Unglaublich, welchen Schrott man heutzutage den Leuten verkauft.“

„Das Bett ist kaputt?“ Ungläubig starrte Christy auf das ramponierte Möbelstück. „Der Rahmen scheint durchgebrochen zu sein. Wie konntest du …?“ Doch dann sah sie das Blut an Bens Wange und sank neben ihm auf die Knie. „Du blutest ja, Ben. Alessandro, er blutet am Kopf!“

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