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Hochzeiten zum Verlieben

hier erhältlich:

ENDLICH VERHEIRATET?

Für Richard wäre Melanie Hart genau die Richtige! Allerdings sieht der Unternehmer mit politischen Ambitionen das nicht so: Er findet die PR-Beraterin zwar sehr sexy, aber genau aus diesem Grund auch nicht als zukünftige Ehefrau geeignet. Zeit für Destinys Plan B …

FLITTERWOCHEN AUF DREAM ISLAND

Es ist ein unmoralisches Angebot: Als ihre Hochzeit mit Luke platzt, lädt Isabel den attraktiven Fotografen Rafe Saint Vincent ein, sie auf ihre Flitterwochen nach Dream Island zu begleiten. Strahlende Tage voller Lachen und warme Nächte voller Leidenschaft bringen die beiden einander näher, als sie geplant hatten. Doch es soll dabei bleiben: Zurück in Sydney werden sich ihre Wege wieder trennen.

EINE ITALIENISCHE HOCHZEIT

Ein Münzwurf soll entscheiden, wer die kühle Engländerin Alex heiraten muss: Rinaldo oder sein fröhlicher Bruder Gino. Denn eine Hochzeit ist der einzige Ausweg für die beiden, ihr Weingut behalten zu können. Aber dann stellt die Liebe alle Pläne auf den Kopf.


  • Erscheinungstag: 20.08.2015
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 576
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955764814
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Sherryl Woods, Miranda Lee, Lucy Gordon

Hochzeiten zum Verlieben

SHERRYL WOODS

Die Carltons - Liebe findet ihren Weg

Endlich verheiratet?

 

Image

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Isn’t it rich?

Copyright © 2004 by Sherryl Woods

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: Harlequin Books S.A.

Autorenfoto: © by Nina Subin; Harlequin Enterprise S.A., Schweiz

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN eBook 978-3-95576-131-8

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Richard Carlton machte über Handy drei geschäftliche Telefonate und warf ungeduldig einen Blick auf die Wanduhr des Restaurants Old Town Alexandria. Danach erledigte er zwei weitere Anrufe und sah auf seine Armbanduhr. Langsam wurde er ärgerlich.

Weitere fünf Minuten, und er würde von hier verschwinden. Schließlich war er lediglich hier, um Tante Destiny einen Gefallen zu erweisen. Er hatte ihr versprochen, einer angeblich hervorragenden Marketing-Beraterin die Chance zu geben, trotz ihrer noch mangelnden Erfahrung eine weltweite Werbekampagne für das Familienunternehmen auszuarbeiten.

Er selbst suchte jemanden für seinen ersten Wahlkampf, doch die betreffende Person sollte eigentlich über mehr Erfahrung verfügen. Seine Tante war allerdings höchst überzeugend, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.

“Triff dich mit der Frau, iss nett mit ihr und gib ihr Gelegenheit, dich zu verkaufen”, hatte Tante Destiny wie beiläufig gesagt, aber ihre Augen hatten dabei verdächtig gefunkelt. “Schließlich ist auf Erden niemand schwerer zu verkaufen als du, oder?”

“Schmeichlerin”, hatte Richard trocken erwidert.

Daraufhin tätschelte sie ihm die Wange, als wäre er noch zwölf Jahre alt. “Aber nein, mein Lieber, ganz und gar nicht.”

Destiny Carlton stellte die treibende Kraft seiner Kindheit dar. Eine solche Tante gab es bestimmt kein zweites Mal. Vierundzwanzig Stunden nach dem Flugzeugabsturz, bei dem seine Eltern umgekommen waren, war sie in sein Leben getreten. Damals war er zwölf gewesen.

Destiny war die ältere Schwester seines Vaters. Bis zu dem Unglück war sie herumgezogen, hatte sich mit diversen Prinzen gezeigt, in Monaco die Spielbank unsicher gemacht, war in den Schweizer Alpen Ski gelaufen und hatte sich schließlich in Frankreich niedergelassen. Dort hatte sie in einem Bauernhaus zu malen begonnen und ihre Werke sogar in einer kleinen Galerie in Paris verkauft. Man konnte sie durchaus als exotisch und exzentrisch bezeichnen, und mit ihr erlebten Richard und seine jüngeren Brüder mehr Spaß, als sie je zuvor gehabt hatten.

Eine selbstsüchtige Frau hätte die Jungen nach Frankreich mitgenommen und ihr Leben einfach fortgesetzt. Nicht so jedoch Destiny. Mit der ihr üblichen Begeisterung hatte sie sich in die ungewohnte Mutterrolle gestürzt und das bis dahin so wohlgeordnete Leben der Jungen in ein abenteuerliches Chaos verwandelt. Gleichzeitig konnten die drei Kinder sich der Liebe ihrer verrückten Tante immer sicher sein.

Und die Brüder hingen an Destiny, selbst wenn diese manchmal geradezu unerträglich war. Das galt besonders für die letzte Zeit, da sie auf die Idee gekommen war, die Jungs müssten endlich eine eigene Familie gründen. Zu ihrer größten Enttäuschung hatten Mack und Ben sich bisher ihrem Drängen erfolgreich widersetzt.

Trotz Destinys beachtlichem Einfluss hatte Richard sich stets eisern an die strengen Grundsätze seines Vaters gehalten. Arbeite hart, dann hast du auch Erfolg! Sei jemand! Das war ihm von klein auf eingeschärft worden.

Schon im zarten Alter von zwölf Jahren hatte er die Last der Verantwortung für Carlton Industries auf seinen schmalen Schultern gespürt. Zwar führte seit dem Tod seines Vaters ein Außenstehender die Firma, doch für Richard hatte nie ein Zweifel daran bestanden, dass er einst das Ruder übernehmen würde. Auch für seine Brüder hätte sich ein passender Platz in der Firma gefunden, doch keiner der beiden hatte jemals auch nur das geringste Interesse daran gezeigt.

Während seine Brüder früher nach der Schule zu Hause gespielt hatten, war Richard fast täglich in das historische Gebäude gegangen, in dem die Firmenbüros untergebracht waren. Destiny hatte sich bemüht, ihm Romane jeglicher Stilrichtung schmackhaft zu machen, die Geschäftsbücher waren ihm jedoch lieber gewesen. Endlose Zahlenreihen hatten ihm stets riesigen Spaß gemacht, ohne dass er hätte erklären können, warum. Selbst heute noch verstand er geschäftliche Vorgänge im Grunde besser als Menschen.

Mit dreiundzwanzig und nach Abschluss seines Studiums übernahm er dann die Firmenleitung. Das wunderte niemanden, da Richard seit dem Tod seines Vaters ohnedies mit seinem sicheren geschäftlichen Instinkt überall Eindruck gemacht hatte.

Inzwischen, mittlerweile zweiunddreißig Jahre alt, hatte er die Firma auf jenen Kurs gebracht, den auch sein Vater eingeschlagen hätte. Er hatte manche Firma aufgekauft und mehrere Übernahmen durchgeführt. Er war jung, erfolgreich und einer der begehrtesten Junggesellen der Stadt.

Seine persönlichen Beziehungen waren jedoch immer nur von kurzer Dauer gewesen, weil die Frauen stets schnell merkten, dass sie nach dem Familienunternehmen erst an zweiter Stelle standen. Die letzte Freundin hatte ihn einen kalten und gefühllosen Mistkerl genannt. Er hatte nicht widersprochen, weil er ihr insgeheim recht gab. Menschen enttäuschten ihn, der Beruf jedoch nie, und er bevorzugte das Zuverlässige.

Wegen des fehlenden Erfolgs im Privatleben hatte er sich in jüngster Zeit anderen Dingen zugewandt. So wollte er in die Politik gehen und sich für den Stadtrat von Alexandria bewerben. Sein Vater hatte von seinen Söhnen erwartet, dass sie nicht nur im Wirtschaftsleben, sondern auch in der Politik Macht und Einfluss anstrebten. Ein PR-Manager sollte helfen, für Richard ein geeignetes Image aufzubauen und seinen Namen bekannt zu machen.

Richard hatte einen Zeitplan – nein, eigentlich war es der Zeitplan, den bereits sein Vater aufgestellt hatte. Es gefiel ihm, schon jetzt genau zu wissen, wie alles in zehn, zwanzig und sogar dreißig Jahren laufen würde.

Und für jemanden mit einer dermaßen genauen Planung war es höchst ärgerlich, dass er nun schon zwanzig Minuten auf eine Frau wartete. Ungeduldig schnippte er mit den Fingern.

Der Oberkellner erschien sofort an seinem Tisch. “Sie wünschen, Mr. Carlton?”

“Setzen Sie den Kaffee bitte auf die Sammelrechnung, Donald. Mein Gast ist noch nicht hier, und ich habe einen Termin im Büro.”

“Der Kaffee geht aufs Haus, Sir. Soll Ihnen der Küchenchef einen Salat einpacken?”

“Nein, danke.”

“Möchten Sie Ihren Mantel?”

“Ich bin ohne gekommen.”

“Dann lassen Sie mich wenigstens ein Taxi für Sie rufen. Es hat heftig zu schneien begonnen, und die Straßen sind glatt. Vielleicht verspätet sich Ihr Gast deshalb.”

Richard interessierte sich nicht für die Gründe der Verspätung. “Wenn das Wetter wirklich so schlecht ist, bin ich zu Fuß schneller im Büro, als ein Taxi hier wäre. Trotzdem vielen Dank, Donald. Und falls Ms. Hart doch noch hier auftauchen sollte, sagen Sie ihr …”

Er verstummte, weil er doch besser nicht aussprach, was ihm gerade durch den Kopf ging. Es wäre seiner Tante auf jeden Fall zu Ohren gekommen, weil die wiederum zu Donalds bevorzugten Gästen gehörte. Er selbst fand zwar, dass er sich Destinys junger Freundin gegenüber richtig verhielt, doch seine Tante mochte das durchaus anders sehen.

“Sagen Sie ihr einfach, ich musste fort.”

“Ja, Sir.”

Kaum dass er allerdings die Eingangstür des Restaurants öffnete und auf den glatten Bürgersteig hinaustrat, prallte jemand mit voller Wucht gegen ihn. Hätte er sich nicht an der Tür festgehalten, hätte er im nächsten Moment auf dem Boden gelegen.

Der Frau, die mit ihm zusammengestoßen war, rutschen die Füße weg. Entsetzt starrte sie ihn aus weit aufgerissenen braunen Augen an, die von langen dunklen Wimpern umrahmt waren. Richard fing die Frau im letzten Moment auf. Obwohl sie wegen der Kälte dick angezogen war, fühlte sie sich zart an, und merkwürdigerweise meldete sich sein Beschützerinstinkt – ein Gefühl, das er bisher nur für seine jüngeren Brüder und seine Tante empfunden hatte. Die meisten Frauen in seinem Leben waren so stark und tüchtig gewesen, dass er nicht den geringsten Wunsch verspürt hatte, sie vor irgendetwas zu beschützen.

Die Unbekannte schloss die Augen, öffnete sie wieder und verzog schmerzlich das Gesicht. “Sagen Sie bitte sofort, dass Sie nicht Richard Carlton sind”, flehte sie und seufzte dann dramatisch. “Aber der sind Sie natürlich. Ihre Tante hat mir ein Foto gezeigt. So läuft das schon den ganzen Tag”, redete sie ohne Pause weiter. “Zuerst erwische ich einen Taxifahrer, der ohne Stadtplan nicht mal die nächste Straßenecke findet, dann bleiben wir hinter einem Müllwagen stecken, und danach schneit es schlimmer als am Nordpol.” Sie sah ihn hoffnungsvoll an. “Sie würden nicht vielleicht wieder hineingehen und sich setzen, damit ich einen besseren Auftritt hinlegen kann?”

Richard seufzte lautlos. “Melanie Hart, nehme ich an.”

“Ich könnte ja so tun, als wäre ich eine andere, und wir vergessen diesen unglücklichen Vorfall”, erwiderte sie. “Dann rufe ich später bei Ihnen im Büro an, entschuldige mich für die Verspätung, vereinbare einen neuen Termin und zeige mich von meiner professionellen Seite.”

“Sie möchten mich tatsächlich belügen?”

“Reine Zeitverschwendung, nicht wahr?”, vermutete sie mit Bedauern in der Stimme. “Ich habe mich schon verraten. Aber ich wusste gleich, dass diese Verabredung zum Mittagessen ein Fehler ist. In einem Konferenzraum mache ich einen viel besseren Eindruck. Vermutlich liegt das an der Umgebung. Die Leute nehmen einen ernster, wenn man Tabellen und Grafiken vorlegt. Das habe ich auch Destiny gesagt, aber sie hat auf dem Mittagessen bestanden. Angeblich wären Sie nicht so schwierig, wenn Sie satt sind.”

“Wie nett von ihr, so über mich zu sprechen.” Richard beschloss, seine Tante ein weiteres Mal – und vergeblich wie immer – zu bitten, nicht mit jedermann über ihn zu reden. Ihre Mitteilungsfreudigkeit würde ihm in einem Wahlkampf sehr schaden.

“Bestimmt sind Sie im Moment nicht satt, stimmt’s?”, vermutete Melanie Hart.

“Nein.”

“Dann sind Sie also schwierig. Gut, ich gehe jetzt ins Restaurant und überlege, wie es mir wohl gelungen ist, das wichtigste Vorstellungsgespräch meines Lebens zu verpatzen.”

“Falls Sie an meiner Meinung interessiert sein sollten, können Sie mich ja anrufen”, bot Richard an und wollte einfach weggehen, doch sie blickte so niedergeschlagen drein, dass er es nicht übers Herz brachte.

Außerdem hatte Destiny behauptet, Melanie Hart wäre sehr tüchtig, und Destiny täuschte sich in solchen Dingen nur selten. Sofern nicht Gefühle ihr Urteilsvermögen beeinträchtigten, zeigte sie sich als ausgezeichnete Menschenkennerin. Richard fürchtete allerdings, dass seine Tante sich in diesem Fall mehr nach ihrem Herzen gerichtet hatte.

Dennoch nahm er Melanie Hart am Arm und führte sie ins Restaurant. “Dreißig Minuten”, erklärte er knapp, während Donald sie beide strahlend zu dem Tisch führte, den Richard eben erst verlassen hatte. Ein frisches Tischtuch lag darauf, und zwischen den Gedecken brannte eine Kerze, die vorhin noch nicht da gewesen war. Donald schien mit seiner Rückkehr gerechnet zu haben und wollte wohl durch etwas Atmosphäre die schlechte Stimmung verbessern. Ganz sicher steckten der Oberkellner und seine Tante unter einer Decke. Wahrscheinlich sogar hatte er Destiny sofort nach dem Aufbruch ihres Neffen telefonisch Bericht erstattet.

Richard sah auf die Uhr, als Donald eine Kaffeekanne brachte. “Noch vierundzwanzig Minuten, Miss Hart. Nutzen Sie die Zeit.”

Melanie griff nach ihrer Aktentasche und stieß dabei ihr Wasserglas um – treffsicher in Richards Schoß.

Er sprang auf, als das kalte Wasser durch den Stoff drang. Der Tag verschlechterte sich von Minute zu Minute.

“Um Himmels willen, das tut mir schrecklich leid!” Melanie stand auf und griff nach einer Serviette, um ihm zu helfen.

Richard war bereit, sie gewähren zu lassen und abzuwarten, wie sie reagierte, wenn sie merkte, wo sie ihn dabei berührte. Sie erkannte jedoch offenbar das Problem und reichte ihm die Serviette.

“Es tut mir leid”, wiederholte sie, während er versuchte, seine Hose etwas zu trocknen. “Ich schwöre Ihnen, dass ich mich normalerweise nicht so ungeschickt anstelle. Nein, wirklich nicht”, beteuerte sie, als er ihr einen skeptischen Blick zuwarf.

“Na, wenn Sie es sagen.”

“Sollten Sie jetzt gehen wollen, verstehe ich das natürlich. Und wenn Sie mir sagen, dass ich Ihnen nie wieder unter die Augen treten soll, verstehe ich das auch.” Sie sah ihn direkt an. “Allerdings würden Sie damit einen schlimmen Fehler begehen.”

Scheu war sie nicht, das musste Richard ihr lassen. “Und weshalb?”, erkundigte er sich, während er vergeblich versuchte, den Stoff seiner Hose trocken zu bekommen.

“Weil ich genau richtig für Sie bin, Mr. Carlton. Ich weiß, wie man Aufmerksamkeit erregt.”

“Ja, das festzustellen, hatte ich bereits die Ehre”, entgegnete er nüchtern. “Ich habe allerdings nicht an Aufmerksamkeit durch Katastrophen gedacht.”

“Das schaffe ich”, beteuerte sie. “Ich besitze die nötigen Kontakte und bin klug und einfallsreich. Ich weiß genau, wie ich meine Kunden den Medien verkaufen muss. Ich habe sogar schon einen Planungsentwurf für Ihren Wahlkampf sowie für Carlton Industries bei mir.”

Bevor sie erneut nach ihrem Aktenkoffer greifen konnte, rückte Richard das zweite Wasserglas auf dem Tisch außer Reichweite und setzte sich, während sie überall Papiere verteilte. “Ich schätze Ihren Eifer, Miss Hart, ganz bestimmt”, sagte er, sobald sie fertig war, “aber das klappt nicht.” Um ihre Gefühle nicht zu verletzen, ergänzte er: “Ich brauche jemanden mit mehr Erfahrung.”

Er hätte hinzufügen können, dass er jemanden brauchte, der nicht so ungeschickt war. Außerdem war sie eine Frau und er ein Mann, der seit Monaten keinen Sex mehr gehabt hatte. Er brauchte bestimmt keine Mitarbeiterin, die alle möglichen Empfindungen in ihm auslöste, weil so etwas heutzutage unweigerlich zu juristischen Auseinandersetzungen führte.

Seine Reaktion auf Melanie Hart gab ihm zu denken. Innerhalb von – er warf einen Blick auf seine Uhr – von weniger als fünfundzwanzig Minuten hatte er sich über sie geärgert, danach noch mehr geärgert und fühlte sich nun plötzlich zu ihr hingezogen. Zu seiner Erleichterung war die ihr gesetzte Frist fast abgelaufen. “Ihre Zeit ist so gut wie um, Miss Hart. Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen. Ich wünsche Ihnen viel Glück und Erfolg.”

Erneut richtete sie den Blick ihrer Rehaugen mit einem so verwundeten Ausdruck auf ihn, dass ihm ganz flau im Magen wurde. “Sie stoßen mich also von sich?”, fragte sie leise.

Das war unglücklich ausgedrückt, weil Richard sich prompt vorstellte, sie in seinen Armen zu halten. Er sollte schleunigst wieder eine Beziehung eingehen, damit er nicht dermaßen heftig auf unpassende Frauen wie Melanie Hart reagierte.

“So würde ich das nicht ausdrücken”, entgegnete er. “Wir passen einfach nicht zusammen. Und wenn Sie so talentiert sind, wie meine Tante behauptet, werden Sie im Handumdrehen von einer anderen Firma engagiert.”

“Ich habe andere Kunden, Mr. Carlton, und bin ziemlich beschäftigt”, erklärte sie kühl. “Ich wollte für Sie und Carlton Industries arbeiten, weil ich meiner Meinung nach etwas zu bieten habe, worüber Ihre Mitarbeiter nicht verfügen.”

“Und das wäre?”

“Eine neue Perspektive, die das Image Ihrer Firma sowie Ihr persönliches Image auf einen modernen Stand bringt.” Sie erhob sich. “Doch vielleicht irre ich mich, und dieses steife Auftreten entspricht Ihnen exakt.”

Richard starrte ihr nach, während sie hoch erhobenen Hauptes, kerzengerade und mit einem aufreizenden leichten Hüftschwung das Restaurant verließ.

Verdammt, was war bloß mit ihm los? Diese unmögliche Person hatte ihn über den Haufen gerannt, ihn bis auf die Haut durchnässt, nun auch noch heruntergeputzt, und dennoch konnte er den Blick nicht von ihr wenden.

Das eigentliche Problem bestand darin, dass sie beabsichtigte, für ihn zu arbeiten, er sie aber aus völlig irren und unerklärlichen Gründen in seinem Bett haben wollte.

“Und dann habe ich ihm das Wasser in den Schoß gekippt”, berichtete Melanie einige Stunden später, als sie im ehemaligen Familienanwesen der Carltons, wo Destiny Carlton inzwischen allein lebte, mit der Hausherrin einen Drink nahm. “Wenn ich Pech habe, bekommt er eine Lungenentzündung und verklagt mich. Bestimmt finde ich morgen in der Post einen höflichen Brief, in dem er mich abblitzen lässt. Wahrscheinlich hasst er mich so sehr, dass er den Brief schon heute Abend per Boten losschickt, damit ich garantiert nicht morgen in seinem Büro auftauche und womöglich das Gebäude anzünde.”

Destiny lachte herzlich. “Ach, meine Liebe, besser hätte es gar nicht laufen können. Richard ist wirklich viel zu steif und nimmt sich zu ernst. Sie sind genau der frische Wind, den er dringend braucht.”

“Ich glaube allerdings nicht, dass er die Komik der Situation genossen hat”, meinte Melanie bedauernd.

Sie hatte Richard gemocht. Sicher, er gab sich steif und zurückhaltend, doch daran konnte sie arbeiten. Sie würde ihn dazu bringen, mehr zu lächeln. Ein einziges Mal hatte er gelächelt, und dabei hatte sie weiche Knie bekommen. Wenn er es schaffte, freundlich zu gucken, dann würde er sämtliche Wählerinnen in Alexandria für sich gewinnen – und das unabhängig von seinen politischen Ansichten.

Melanie war überzeugt, dass sie Carlton Industries und dem Firmenchef helfen konnte. Auf eine solche Herausforderung hatte sie gewartet, doch nun bekam sie keine Chance. Sie war nicht so erfolgreich, wie sie behauptet hatte, und ein dermaßen wichtiger Auftrag hätte ihre Zukunft gesichert.

“Ich spreche mit ihm und bringe alles in Ordnung”, bot Destiny hilfsbereit an und schenkte Melanie ein aufmunterndes Lächeln.

“Bitte nicht”, wehrte diese ab. “Sie haben schon genug getan und dieses Treffen für mich arrangiert. Ich habe es verpatzt. Vielleicht fällt mir etwas ein, wie ich es noch retten kann.”

“Das schaffen Sie bestimmt”, meinte Destiny und nickte bekräftigend. “In solchen Dingen sind Sie äußerst geschickt. Das habe ich schon bei unserer ersten Begegnung festgestellt.”

“Wir haben uns dadurch kennengelernt, dass ich auf Ihren Wagen aufgefahren bin”, erinnerte Melanie sie.

“Ja, und Sie haben mich auf der Stelle davon überzeugt, dass ich sowieso einen neuen Wagen brauchte. Außerdem haben Sie sofort dafür gesorgt, dass ich in einem Autohaus lande und mir einen schicken kleinen roten Sportwagen zulege. Dabei lasse ich mir sonst nicht leicht etwas einreden”, versicherte Destiny.

“Sie wollten ohnehin einen neuen Wagen”, entgegnete Melanie lachend. “Ich habe Ihnen nur einen Grund geliefert und Sie dann zu einem meiner Kunden geführt, der Ihnen ein gutes Angebot gemacht hat.”

“Aber genau darum geht es doch beim Marketing. Man muss Menschen dazu bringen, sich etwas zu kaufen, das sie schon lange haben wollten, was sie aber bisher nicht wussten. Jetzt müssen Sie bloß meinen Neffen davon überzeugen, dass er … also, dass Carlton Industries ohne Sie nicht leben kann.”

Destinys Versprecher löste bei Melanie Alarm aus. Obwohl ihre Freundin eine harmlose Miene machte, fragte sie: “Destiny, Sie versuchen doch nicht etwa, uns zu verkuppeln?”

“Wer? Ich? Richard verkuppeln? Um Himmels willen, nein! Das wäre reine Energieverschwendung. In Herzensangelegenheiten würde er sich nie nach meinen Ratschlägen richten.”

Das klang ziemlich überzeugend, doch Melanie nahm es ihr trotzdem nicht ganz ab. Destiny Carlton war eine nette, kluge und faszinierende Frau, jedoch auch eindeutig mit allen Wassern gewaschen. Außerdem liebte sie ihre Neffen. Von Anfang an hatte Destiny die drei gelobt und betont, wie gern sie es hätte, ihre Neffen endlich verheiratet zu sehen. Wer weiß, wozu sie fähig war, um da ein wenig nachzuhelfen!

“Ich suche keinen Ehemann”, erklärte Melanie entschieden. “Das wissen Sie doch, oder?”

“Aber Sie suchen einen lohnenden Auftrag. Daran hat sich nichts geändert, stimmt’s?”

“Nein, nichts.”

“Nun”, meinte Destiny fröhlich, “dann überlegen wir uns doch einen Plan. Niemand kennt Richards Schwachpunkte besser als ich.”

“Er hat Schwachpunkte?”, fragte Melanie zweifelnd. Auf sie hatte er energisch, tüchtig und ziemlich eingebildet gewirkt. Von Schwäche hatte sie nichts gemerkt. Dabei war sie darauf geeicht, Schwachstellen zu finden, auf die sich die Medien möglicherweise stürzten, um sie zu korrigieren oder wenigstens zu verbergen.

“Er ist schließlich ein Mann”, erklärte Destiny strahlend. “Alle Männer kann man mit der richtigen Taktik erobern. Habe ich Ihnen schon von dem Herzog erzählt?”

“Der Sie durch ganz Europa verfolgt hat?”

“Nein, Melanie, das war ein Prinz. Der Herzog war die Liebe meines Lebens”, gestand Destiny wehmütig. “Nun ja, das ist Vergangenheit, und daran rührt man besser nicht. Konzentrieren wir uns auf Richard. Etwas mehr als hundert Kilometer von hier steht am Fluss Potomac ein kleines Landhaus. Dort ist es sehr ruhig und friedlich, und ich kann es bestimmt einfädeln, dass Richard das Wochenende dort verbringt.”

Melanie gefiel das nicht sonderlich. “Und weiter?”, fragte sie vorsichtig.

“Dann tauchen Sie auf. Sie bringen sein Lieblingsessen mit. Ich helfe Ihnen bei der Zusammenstellung. Und außerdem legen Sie ihm Ihren Marketing-Plan vor. Er wird sicher nicht widerstehen können.”

Melanie fand an dieser Idee so viel falsch, dass sie nicht wusste, wo sie beginnen sollte. Sie hatte es schon peinlich und unprofessionell gefunden, in einem Restaurant über Geschäfte zu sprechen. Einen Mann in einem einsamen Landhaus aufzusuchen, das erschien ihr geradezu lächerlich und konnte nur wieder zu einer Katastrophe führen.

“Wenn er sich dort entspannen möchte, wird ihn eine Störung sicher ärgern”, gab sie zu bedenken.

Destiny winkte ab. “Dort möchte er sich nicht entspannen, sondern nur noch mehr arbeiten. Da draußen ist es ruhiger als bei ihm zu Hause.”

“Dann wird er sich über meinen Besuch noch weniger freuen”, wandte Melanie ein.

“Nicht, wenn wir das Essen richtig zusammenstellen”, beteuerte Destiny. “Die Liebe des Mannes geht durch den Magen, wie Sie wissen. Außerdem habe ich einige Flaschen seines bevorzugten Weines. Die können Sie auch mitnehmen.”

Melanie war trotzdem nicht überzeugt. “Das erscheint mir etwas riskant. Nein, es erscheint mir sogar äußerst riskant. Im Moment gehöre ich nicht zu den Menschen, nach deren Gesellschaft er sich sehnt.”

Destiny stellte sich taub. “Man muss immer ein Risiko eingehen, wenn man etwas erreichen möchte. Und was soll er schon machen? Ihnen die Tür vor der Nase zuschlagen? Nein, dazu habe ich ihn zu gut erzogen.”

Letztlich war der Plan doch nicht allzu schlimm. Melanie riskierte zwar erneut Richards Zorn, aber andererseits konnte sie einen traumhaften Auftrag für ihre neue Firma an Land ziehen. Für Carlton Industries zu arbeiten wäre herrlich gewesen. Noch lohnender würde es allerdings sein, Richard Carlton bei seinem ersten Wahlkampf zu unterstützen. Und wenn er auch noch gewann, würde sie schlagartig bei allen politisch interessierten Leuten in der ganzen Gegend rings um Washington einen hervorragenden Ruf haben.

Melanie traf eine Entscheidung und lächelte Destiny zu. “Also gut, was werde ich ihm servieren?”

2. KAPITEL

Am Freitag gegen zwei Uhr trafen bei Melanie drei Körbe voll Essen und ein dicker Umschlag, beschriftet mit Destinys Handschrift, ein. Es sollte also tatsächlich geschehen. Melanie würde sich Richard Carlton aufdrängen und versuchen, ihn davon zu überzeugen, dass er sie brauchte – zumindest rein beruflich.

Sobald der uniformierte Chauffeur sich mit einer Verbeugung entfernt hatte, kam Melanies Assistentin aus dem Büro, das im früheren Schlafzimmer des Hauses eingerichtet war. Becky, gleichzeitig Melanies beste Freundin, warf einen Blick in die Körbe und richtete sich erstaunt wieder auf.

“Lieber Himmel, Mel, wer will dich denn da verführen?”, fragte Becky fasziniert.

“Niemand”, wehrte Melanie ab. “Es geht eher darum, dass ich Richard Carlton verführen soll.”

Becky warf ihr einen ungläubigen Blick zu. “Ich dachte, das Zusammentreffen wäre gründlich schiefgelaufen.”

“Ist es auch, aber seine Tante ist der Ansicht, dass ich noch etwas retten kann, wenn ich ihn in einem einsamen Landhaus mit Essen und Alkohol verwöhne.”

Becky besaß zwar trotz ihrer romantischen Ader einen gesunden Geschäftssinn, war jedoch nicht begeistert. “Und wie willst du ihn dazu bringen, mit dir in dieses Landhaus zu fahren?”

“Darum kümmert sich Destiny.” Melanie öffnete den Umschlag, las die kurze Nachricht und betrachtete seufzend die beiden Blätter mit Anweisungen.

“Was ist das?”, fragte Becky misstrauisch.

“Mein Marschbefehl”, erklärte Melanie. “Destiny hat auch genaue Anweisungen für die Zubereitung des Essens mitgegeben. Offenbar weiß sie, dass ich sogar Wasser anbrennen lasse.”

Becky lachte, wurde aber sofort wieder ernst, als sie von Melanie einen schiefen Blick einfing. “Wenn du dich schon auf diesen idiotischen Plan eingelassen hast, ist das alles doch sehr nett von ihr, oder?”

“Sie denkt dabei bestimmt nur an das Wohlbefinden ihres Neffen.”

“Könntest du mir erklären, warum sie unbedingt dir zu diesem Auftrag verhelfen möchte?”, drängte Becky.

“Ich würde ja gern behaupten, dass sie von meinen beruflichen Fähigkeiten äußerst beeindruckt ist, aber darum geht es nicht. Sie hält Richard für steif und mich für den frischen Wind in seinem Leben.” Diesen Grund hatte Destiny zumindest angegeben.

“Mit anderen Worten hat sie einen Hintergedanken”, schloss Becky daraus. “Es geht um Verführung.”

“Sag so was nicht”, flehte Melanie. Es gefiel ihr gar nicht, dass ihre Freundin diesen Verdacht bestätigte. “Das darfst du nicht mal denken. Es geht nur um geschäftliche, nicht um private Dinge.”

“Von wegen!”

“Das gilt zumindest für mich. Wenn ich den Auftrag bekomme, muss ich nicht mehr nachts wach im Bett liegen und überlegen, wovon ich dich bezahlen soll.”

“Dann fahr bloß zu diesem Landhaus und fang an zu kochen”, verlangte Becky und klappte die Deckel der Körbe zu. “Übrigens, wenn ihn das hier nicht überzeugt, ist der Mann nicht aus Fleisch und Blut. Dieser Kuchen riecht himmlisch. Ich hatte einmal eine Kerze, die auch wie warmer Kirschkuchen geduftet hat. Jedes Mal wenn sie brannte, habe ich Speck angesetzt. Ich hatte zehn Pfund zugenommen, bis das verdammte Ding endlich abgebrannt war.”

Melanie musste lachen. Seit sie sich auf dem College kennengelernt hatten, behauptete Becky, von allem zuzunehmen, sogar von der Luftfeuchtigkeit. Ständig jammerte sie über die zehn Pfund, die sie angeblich verlieren musste. Das Übergewicht hatte ihrem Privatleben jedoch nicht geschadet. Wenn sie einen Raum betrat, fielen den Männern beim Anblick ihrer üppigen Kurven fast die Augen aus dem Kopf.

“Komm schon, Mel, hab Erbarmen und schaff dieses Zeug von hier weg”, flehte Becky jetzt. “Ich halte als Gegenleistung für den Rest des Tages hier die Stellung.”

Nun konnte Melanie keinen Rückzieher mehr machen. Sie hatte sich auf den verrückten Plan eingelassen und musste ihn durchhalten. Widerstrebend griff sie nach Mantel, Tasche und den PR-Unterlagen für Carlton Industries.

“Hilf mir, die Sachen zum Wagen zu tragen”, bat sie. “Destiny ist übers Ziel hinausgeschossen und hat nicht nur für ein Abendessen, sondern für das ganze Wochenende eingepackt.”

“Vielleicht setzt sie große Hoffnungen in dieses Essen”, mutmaßte Becky und schleppte zwei der schweren Körbe zu Melanies Wagen.

“Oder sie rechnet mit einem Schneesturm”, erwiderte Melanie. Bei ihrem Pech würde sie womöglich wirklich zusammen mit einem Mann einschneien, der sie eigentlich nicht wiedersehen wollte. “Hast du den Wetterbericht mitbekommen?”

“Das ist gar nicht nötig.” Becky deutete zum Himmel in Richtung Westen. Das dunkle Grau war ein untrügliches Anzeichen für Schnee.

Melanie seufzte. “Sollte es schneien und ich am Montag nicht wieder hier sein, musst du kommen und mich freischaufeln. Notfalls kauf einen Schneepflug. Versprich mir das!”

“Damit warte ich lieber, bis du es am Montag ein weiteres Mal verlangst”, erwiderte Becky amüsiert. “Könnte ja sein, dass du dann nicht mehr gerettet werden willst.”

“Versprich es mir”, verlangte Melanie, “sonst kündige ich dir, selbst wenn ich den Auftrag bekomme und wir im Geld schwimmen.”

“Schön, schön”, wiegelte Becky ab. “Wenn du am Montag nicht auftauchst, rette ich dich.” Vergnügt fügte sie hinzu: “Oder ich erkläre wenigstens der Polizei, wo sie nach deiner Leiche suchen soll.”

“Keine Scherze”, bat Melanie. “Es könnte wirklich schlimm ausgehen.”

“Du machst dir tatsächlich Sorgen?”, stellte Becky fest.

“Nicht dass er mich umbringen könnte”, gestand Melanie, “aber es ist durchaus möglich, dass er mich in den Schneesturm davonjagt und ich vor Scham sterbe.”

“Niemand stirbt vor Scham, zumindest nicht im PR-Geschäft. Schließlich sind wir Meister darin, die Meinung von Menschen zu manipulieren. Vergiss das nie.”

“Das wird mich alles bestimmt wärmen, wenn ich in einer Schneeverwehung festsitze und mir den Po abfriere”, erwiderte Melanie.

“Vergiss dein Handy nicht”, erinnerte Becky lachend. “Damit kannst du Hilfe holen. Meines Wissens nach lieben es Sanitäter, Frostbeulen an dieser bewussten Stelle zu behandeln.”

Nicht mal von ihrer Assistentin und besten Freundin konnte Melanie Mitgefühl erwarten! Sie startete den Motor, fuhr vorsichtig die vereiste Zufahrt bis zur geräumten und gestreuten Straße hinunter und warf keinen Blick zurück, weil sich die herzlose Verräterin Becky vermutlich vor Lachen bog.

Richard hatte keine Ahnung, warum er sich von seiner Tante dazu hatte überreden lassen, das Wochenende mit ihr im Landhaus zu verbringen. Und nun wartete er schon seit zwei Stunden auf ein Lebenszeichen von Destiny. Sie hatte nicht mal angerufen.

Allmählich machte er sich Sorgen. Natürlich wurde eine Frau, die um die ganze Welt gereist war, mit allem fertig, aber sie war schließlich seine Tante. Seit dem Tod seiner Eltern sorgte er sich ständig um die Menschen, die ihm noch geblieben waren. Er hatte kaum zusehen können, als Mack Football spielte. Ständig hatte er gefürchtet, ein besonders aggressiver Verteidiger könnte seinem jüngeren Bruder das Genick brechen. Als schließlich eine Knieverletzung Macks Karriere beendete, war Richard sehr erleichtert gewesen, Mack fortan im Verwaltungsbüro der Mannschaft zu wissen.

Endlich hörte er Schritte auf der Veranda und riss die Tür auf. “Höchste Zeit”, rief er gereizt, um seine Sorge zu überspielen. Dann erst sah er sich die vermummte Frau genauer an. “Sie?”

“Hallo”, entgegnete Melanie fröhlich. “Überraschung!”

Richard wurde flau im Magen. “Was hat Destiny sich dabei bloß gedacht?”, sagte er halblaut. Garantiert steckte seine Tante dahinter, es konnte gar nicht anders sein.

Diese Melanie war offenbar wesentlich härter im Nehmen, als er gedacht hatte. Sie ließ sich von seiner Unfreundlichkeit nicht im Geringsten einschüchtern, sondern fegte strahlend an ihm vorbei in die winzige Diele und sah sich neugierig im Wohnzimmer um.

“Destiny hat sich bestimmt nur gedacht, dass Sie schon am Verhungern sind”, antwortete sie völlig überflüssigerweise auf seine eher rhetorische Frage. “Sie lässt Ihnen ausrichten, es würde ihr sehr leidtun, aber ihr wäre etwas dazwischengekommen.”

“Ja, darauf möchte ich wetten.” Der Duft von frischem Kirschkuchen stieg ihm in die Nase. “Was ist da in dem Korb?”

“Lassen Sie mich auspacken, dann zeige ich Ihnen alles. Übrigens stehen noch zwei Körbe im Wagen. Wenn Sie die holen, kümmere ich mich schon um diesen hier.”

“Sie könnten die Sachen einfach hierlassen und nach Alexandria zurückfahren.” Richard hoffte noch immer, die Begegnung abkürzen zu können.

“Mit leerem Magen? Nein, lieber nicht. Ich rieche nun schon seit zwei Stunden den Kirschkuchen, und ich gehe nicht, bevor ich nicht ein Stück davon gegessen habe. In einem der Körbe sind außerdem zwei Steaks und Folienkartoffeln, Butter und saure Sahne. Eigentlich etwas reichlich, wenn Sie mich fragen. Und es gibt jede Menge Salat und zwei Flaschen eines ausgezeichneten französischen Weins. Das ist angeblich Ihre Lieblingsmarke, obwohl ich finde, dass die kalifornischen Weine genauso gut schmecken und im Verhältnis viel weniger kosten.”

Destiny war zur Höchstform aufgelaufen. Richard seufzte. Sie hatte alle seine Lieblingsspeisen geschickt, obwohl sie sich angeblich um seinen Cholesterinspiegel sorgte. Er griff nach dem Korb und wich zur Seite. “Kommen Sie herein.”

“Sagte die Spinne zur Fliege”, fügte Melanie hinzu und steuerte zielsicher die Küche an. Vermutlich hatte Destiny ihr einen Grundriss des Hauses aufgezeichnet, womöglich auch einen Schlüssel gegeben, falls er versuchen sollte, ihren Schützling auszusperren.

“Sie liegen falsch, was uns beide betrifft”, stellte er fest. “Ich bin hier das Opfer.”

“Wie Sie meinen”, entgegnete die Besucherin unbekümmert. “Die anderen Körbe”, mahnte sie.

“Wie?”, fragte er verständnislos und begriff dann. “Ach ja, ich hole sie.” Fluchtartig verließ er die Küche und damit auch diese beunruhigende Frau, die offenbar das Regiment übernahm. Vielleicht klärte die kalte Luft seine Gedanken und brachte ihn auf eine Idee, wie er Melanie wieder loswerden konnte.

Leider war ihm bis zur Rückkehr ins Haus nichts weiter eingefallen, als dass er Melanie zu ihrem Wagen tragen und ihren Motor starten könnte. Das kam jedoch nicht infrage. Er war verloren. Wie zur Bestätigung landete eine dicke Schneeflocke auf seiner Stirn, und als er zum Himmel blickte, folgten noch einige mehr.

“Na toll”, murmelte er. Beim ihrem nächsten Zusammentreffen würde er Destiny den Hals umdrehen.

Drinnen stellte er die Körbe auf den runden Eichentisch, an dem er mit Destiny und seinen Brüdern oft gegessen und gespielt hatte. Rasch griff er zum örtlichen Telefonbuch. In der Nähe gab es eine Pension. Wenn Melanie sich sofort auf den Weg machte, schaffte sie es noch bis dorthin.

“Wen rufen Sie denn an?”, erkundigte sie sich, während sie das Essen auspackte.

“Die nächste Pension.”

“Warum?”

“Weil es schneit. Und weil Sie irgendwo wohnen müssen.”

Endlich hörte sie auf zu lächeln. “Es schneit?”

“Heftig”, bestätigte er grimmig.

Seufzend setzte sie sich an den Tisch. “Halten Sie es für möglich, dass Ihre Tante auch das Wetter kontrolliert?”

Richard musste über Melanies kläglichen Tonfall lachen. “Das habe ich mich auch gelegentlich schon gefragt”, räumte er ein. “Destiny verfügt zwar über zahlreiche Fähigkeiten, aber die Wetterkontrolle gehört wohl nicht dazu. Doch das geht schon in Ordnung”, fuhr er aufmunternd fort. “Die Pension ist hübsch. Sie werden sich dort wohlfühlen.”

Noch während er sprach, wählte er bereits. Es klingelte mehrmals, ehe sich ein Anrufbeantworter meldete und erklärte, die Pension sei bis nach Neujahr geschlossen. Richard verfolgte mit zunehmender Verzweiflung die Nachricht. Es gab noch ein Motel, doch dorthin hätte er seinen schlimmsten Feind nicht geschickt, schon gar nicht Melanie Hart, sonst würde er seiner Tante nie wieder unter die Augen kommen dürfen. Allerdings spielte Destinys Meinung nur eine zeitlich begrenzte Rolle, da er sie ohnedies erwürgen würde.

“Was ist?”, fragte Melanie, als er auflegte.

“Die Pension ist bis nach dem ersten Januar geschlossen.”

Sie stand auf und griff nach dem Mantel. “Dann fahre ich sofort los. Bestimmt erreiche ich die Stadt, bevor es auf den Straßen zu schlimm wird.”

“Und ich sorge mich stundenlang, ob Sie im Graben gelandet sind? Auf keinen Fall”, entschied er, weil er gar keine andere Wahl hatte. “Sie bleiben hier. Es gibt genug Zimmer.”

“Ich möchte Ihnen keinesfalls zur Last fallen”, beteuerte Melanie. “Ich finde schon woanders ein Zimmer, wenn es tatsächlich kein Durchkommen gibt.”

“Nein!” Er wich ihrem Blick aus, damit sie nicht merkte, wie sehr ihn die Vorstellung störte, hier mit ihr auch nur eine Stunde, aber womöglich einen oder zwei Tage festzusitzen.

“Das gefällt mir gar nicht”, beteuerte sie, und es klang sogar ehrlich. “Ich war von Anfang an dagegen, aber Sie wissen ja, wie Ihre Tante ist. Wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, reißt sie alle anderen mit.”

“Wem sagen Sie das!”

“Gleich nach dem Essen ziehe ich mich in mein Zimmer zurück, und Sie haben nichts mehr mit mir zu tun”, versprach sie. “Ich werde mich mucksmäuschenstill verhalten. Sie werden nicht mal merken, dass ich hier bin.”

“Würde das nicht dem eigentlichen Zweck Ihres Besuchs widersprechen?”, fragte er spöttisch.

“Welchem Zweck?”

“Mich dazu zu überreden, Ihnen den Auftrag dennoch zu erteilen. Wir wissen doch beide, dass Destiny Sie nicht nur hergeschickt hat, um mir Essen zu bringen. Das hätte auch ihr Fahrer erledigen können.”

“Ertappt”, gestand Melanie und bemühte sich, eine reuige Miene aufzusetzen.

“Nun, dann nutzen Sie die Chance und reden Sie”, forderte er sie auf und öffnete eine Flasche, damit der Wein belüftet wurde.

“Erst nach dem Essen”, wehrte sie ab und betrachtete die Zutaten, die sie inzwischen auf den Tisch gestellt hatte. “Ich will so viele Pluspunkte wie möglich auf meiner Seite haben. Wenn das Essen allerdings genießbar sein soll, dann müssten Sie einspringen.”

“Sie können nicht kochen?”

“Sagen wir, Brot mit Erdnussbutter und Cornflakes sind meine Spezialitäten.”

“Machen Sie Platz”, verlangte er und schob sie mit der Hüfte beiseite, bereute jedoch auf der Stelle die Berührung. “Und kommen Sie mir nicht in die Quere”, verlangte er sicherheitshalber.

Melanie war nicht beleidigt, sondern sogar erleichtert. “Soll ich den Tisch decken und den Wein einschenken?”

“In Ordnung. Geschirr und Gläser sind dort oben im Schrank.”

Er warf einen Blick zu ihr, als sie sich reckte, und erblickte einen Streifen heller Haut. Der Sweater war ein Stück hochgerutscht. Melanie hatte eine schmale Taille, und Richard hätte gern über die nackte Haut gestrichen, um festzustellen, ob sie tatsächlich so weich und glatt war, wie sie aussah.

Es war ungewöhnlich, dass ihn eine solche Kleinigkeit erregte. Melanie verfügte vermutlich über geheime Kräfte, sonst hätte sie nicht dermaßen mühelos sein Verlangen geweckt, ohne dass sie es überhaupt darauf absah. Um bloß nicht zu zeigen, wie erregt er war, verzichtete er darauf, ihr den Sweater wieder ein Stück herunterzuziehen. Dann hätte sie nämlich sofort Bescheid gewusst, und das wäre ein Pluspunkt für sie gewesen.

“Haben Sie dieses Haus schon lange?”, fragte sie, sobald sie das Geschirr aus dem Schrank geholt hatte. Als sie die zerbrechliche Last auf den Tisch stellte, rutschte der Sweater endlich wieder herunter.

“Seit meiner Kindheit”, erwiderte er und wusch die Kartoffeln. “Destiny hatte vorher in Frankreich gelebt, und in Alexandria fehlten ihr das Wasser und das offene Land. Darum sind wir eines Tages in den Wagen gestiegen und haben uns auf die Suche gemacht. Sie hat sich auf den ersten Blick in dieses Haus verliebt.”

“Das verstehe ich gut. Der Ausblick auf den Fluss Potomac ist eindrucksvoll. Bestimmt ist es herrlich, im Sommer auf der Veranda zu sitzen, die Schiffe auf dem Wasser zu beobachten und den Wellen zu lauschen.”

“Ja, möglich”, erwiderte er.

“Wie lange ist es schon her, dass Sie das getan haben?”, erkundigte sie sich.

“Jahre”, gestand er. “Normalerweise bringe ich Arbeit hierher mit und setze keinen Fuß vor die Haustür. Ich komme nur her, weil es still und friedlich ist und mich niemand stört. Für gewöhnlich”, fügte er trocken hinzu.

Melanie nickte. “Ich habe gelesen, Sie wären von Arbeit besessen.”

“Ein Beweis dafür, dass die Medien gelegentlich sogar die Wahrheit berichten.”

“Haben Sie noch nie gehört, dass man von zu viel Arbeit versauert?”

“Ist mir egal”, erwiderte er und zuckte mit den Schultern.

“Welches Image strahlen Sie denn Ihrer Meinung nach als Kandidat aus?”, erkundigte sie sich interessiert.

Richard hatte soeben die Kartoffeln in den Herd schieben wollen, zögerte jedoch. Über diesen Punkt hatte er bisher noch nicht nachgedacht, obwohl das nötig gewesen wäre. Die Entscheidung für eine politische Karriere basierte auf dem Lebensplan, den sein Vater für ihn erstellt hatte, als er wahrscheinlich noch in den Windeln gelegen hatte.

“Die Leute sollen wissen, dass ich ehrlich bin”, begann er nachdenklich. “Sie sollen glauben, dass ich hart arbeite und mich um ihre Probleme kümmere.”

“Das ist gut”, stellte Melanie fest. “Haben Sie eine öffentliche Schule besucht?”

“Nein.”

“Hatten Sie jemals finanzielle Probleme, oder waren Sie arbeitslos?”

“Nein.”

“Hat man Ihnen jemals aufgrund Ihrer Hautfarbe verweigert, an einem bestimmten Ort zu wohnen?”

“Nein”, räumte er verlegen ein.

“Verfügen Sie über eine gute Krankenversicherung?”

“Natürlich, auch meine Angestellten.”

“Mussten Sie jemals auf ein Medikament verzichten, weil Sie es sich nicht leisten konnten?”

“Nein.” Er merkte deutlich, worauf sie abzielte, und das störte ihn.

“Wieso glauben Sie dann, die Leute könnten annehmen, dass Sie ihre Probleme verstehen?”, fragte Melanie scharf.

“Hören Sie, ich kann nichts für mein privilegiertes Leben, aber ich möchte mich um Menschen kümmern, die nicht so leben. Ich finde neue Wege, um Probleme zu lösen. Ich kenne mich gut im Geschäftsleben aus, und manche der dort geltenden Grundsätze kann man auch in der Politik anwenden.” Es fiel ihm schwer, seinen Ärger zu überspielen. “Eines verstehe ich nicht: Wenn Sie mich für einen dermaßen schlechten Kandidaten halten, warum wollen Sie dann überhaupt für mich arbeiten?”

“Um Ihnen zu zeigen”, erwiderte sie lächelnd, “wie Sie ein guter und vielleicht sogar ein großartiger Kandidat werden können.”

Über derart viel Zuversicht konnte er nur den Kopf schütteln. “Sie sind sehr selbstbewusst.”

“Nicht mehr als Sie. Sie glauben an sich. Ich glaube an mich. Dies könnte der Beginn einer tollen Zusammenarbeit sein.”

“Oder einer drohenden Katastrophe”, erwiderte er. “Zwei Menschen mit ausgeprägten Standpunkten, die bei jeder Gelegenheit aneinandergeraten.”

“Möglich, aber wenn wir nie vergessen, dass wir dasselbe Ziel verfolgen, überstehen wir das.”

Das ließ Richard sich durch den Kopf gehen, während er den Grill an dem hochmodernen Herd einschaltete, den er gekauft hatte, als er Kochen als entspannende Tätigkeit entdeckt hatte. “Wie möchten Sie es?”, fragte er und legte die Steaks auf den Grill.

“Was denn?”, fragte Melanie verwirrt.

“Ihr Steak”, entgegnete er amüsiert.

“Durch.”

“Das hätte ich mir denken können.”

“Sie essen es bestimmt blutig”, bemerkte sie leise.

“Roh”, verbesserte er sie.

“Klingt auch sehr nach Macho.”

“Vermutlich finden Sie, ich sollte auf Fleisch verzichten, um die Vegetarier unter den Wählern für mich zu gewinnen.”

“Unsinn. In der Gegend um Washington herum gibt es unzählige Steak-Restaurants. Dort finden Sie Ihre Wählerschaft.”

“Ich möchte auch gern bei Leuten ankommen, die am liebsten Hummer essen.”

“Genau die richtige Aufgabe für mich”, meinte sie lachend.

“Noch haben Sie den Auftrag nicht in der Tasche”, warnte er.

Sie trat neben ihn und fischte ein Stück roter Paprika aus der Pfanne mit dem Gemüse. “Aber ich bekomme ihn”, versicherte sie voller Überzeugung.

In Richards Magengrube setzte jenes Gefühl ein, das er stets auf einer Achterbahn bekam, wenn der Wagen den höchsten Punkt erreichte, kurz bevor er in die Tiefe stürzte. Die Art, wie Melanie etwas Olivenöl von ihrer Fingerspitze leckte, löste die gleiche Mischung aus Erregung und Angst aus. Einem solchen Risiko hatte er sich schon seit Jahren nicht mehr ausgesetzt gesehen – wenn überhaupt jemals.

Diese Tante Destiny! Na schön, er musste sich eben beherrschen und durfte den Köder nicht schlucken. Das Problem waren allerdings Melanies große braune Augen. Zu schade, dass sie nicht zu jenen schicken Frauen gehörte, die auch im Haus und sogar nachts Sonnenbrillen trugen.

3. KAPITEL

Nach dem zweiten Glas Wein machte Richard zwar kein finsteres Gesicht mehr, wollte jedoch noch immer nichts von Melanies PR-Strategie hören. Nun gut, dann musste sie eben schweres Geschütz auffahren. Destiny betrachtete gutes Essen als Lösung, und Melanie hatte sich in der Richtung zusätzlich etwas einfallen lassen.

“Ich habe Eiscreme für den Kuchen besorgt”, verriet sie.

Zum ersten Mal lächelte Richard völlig offen und ungezwungen, und es wirkte umwerfend. Seine blauen Augen funkelten geradezu, er bekam Lachfältchen um die Augenwinkel, und sogar das kantige Kinn wirkte nicht mehr hart.

“Womit Sie vermutlich gegen Destinys Warnungen verstoßen haben”, bemerkte er. “Wahrscheinlich hat sie bereits einen Kardiologen alarmiert.”

“Ich habe seine Telefonnummer”, scherzte Melanie, “zusammen mit einer Kochanleitung und der Wegbeschreibung zum Landhaus. Destiny hat an so gut wie alles gedacht.”

“Zutrauen würde ich es ihr schon”, bemerkte er vorsichtig, “aber sie hat Ihnen doch nicht wirklich die Nummer eines Arztes gegeben, oder?”

“Nein”, gestand Melanie lachend, “doch sie fürchtet, dass Essensgewohnheiten und Arbeitswut Sie frühzeitig ins Grab bringen könnten. Entspannen Sie sich überhaupt jemals?”

“Aber ja”, betonte er. “Schließlich bin ich hier.”

Sie deutete auf den Computer, dem er bereits sehnsüchtige Blicke zugeworfen hatte. “Sofern Sie damit nicht Ihre Weihnachtseinkäufe erledigen, zählt das nicht.”

“Wann ist denn Weihnachten?”, fragte er leicht erstaunt.

“In knapp drei Wochen.”

Er griff nach seinem elektronischen Notizbuch, das er auf die Theke gelegt hatte, und machte einen Eintrag.

“Erinnern Sie Ihre Sekretärin daran, die Besorgungen für Sie zu erledigen?”, fragte Melanie.

“Ja, denn das kann Winifred besser als ich”, gestand er. “Außerdem hat sie mehr Zeit, und ich gebe ihr frei, damit sie für mich und für sich selbst auch gleich einkaufen kann.”

“Ein erfolgreicher Mann delegiert”, bestätigte Melanie. “Geben Sie ihr ein bestimmtes Budget vor? Machen Sie Vorschläge? Sagt sie Ihnen, was sich in den einzelnen Päckchen befindet, damit Sie am Weihnachtsmorgen nicht genauso überrascht sind wie die Beschenkten? Ich würde gern wissen, wie das funktioniert.”

“Sie klebt Zettel auf die fertig eingepackten Geschenke, die ich durch eigene Kärtchen ersetze. Ihrer Meinung nach muss das in meiner Handschrift sein.” Lächelnd fügte er hinzu: “Manchmal setzt sie aber auch auf den Schockeffekt, besonders bei meinen Brüdern. Letztes Jahr habe ich Mack …”

“Dem ehemaligen Football-Helden von Washington”, warf Melanie ein.

“Genau, und einer der begehrtesten Junggesellen der Stadt”, bestätigte er lachend. “Meine Sekretärin hat für ihn eine kurvenreiche aufblasbare Frauenpuppe gekauft. Bestimmt steckte Destiny dahinter. Sie wollte Mack klarmachen, dass er nicht unbedingt mit jeder Frau in und um Washington herum ausgehen muss. Ihrer Meinung nach sollte er sich lieber an eine Frau binden, die keine Erwartungen hat.”

“Ihre Familie hat einen seltsamen Humor, wenn ich das bemerken darf.”

“Sie haben ja keine Ahnung!”

“Hat es denn mit der Puppe funktioniert?”

“Bisher habe ich nichts davon gemerkt”, erwiderte er. “Mack ist noch immer eifrig auf Eroberungen aus.”

“Aha, und meine Aufgabe wäre es, zu verhindern, dass jemand die Absonderlichkeiten innerhalb Ihrer Familie entdeckt?”, fragte Melanie, um wieder auf das Ausgangsthema zu kommen. “Sofern ich den Auftrag erhalte, versteht sich.”

“Diesen Punkt haben wir doch schon beim ersten Zusammentreffen geklärt, oder?”, erinnerte Richard.

Melanie schüttelte den Kopf. “Das Ergebnis hat mir nicht gefallen, und darum bin ich hier. Ich will es ändern.”

“Ach, und ich dachte, Sie wollten mich verführen”, entgegnete er möglichst lässig.

Melanie warf ihm einen scharfen Blick zu. “Nie und nimmer”, erwiderte sie heftig.

“Und warum nicht?”

Sie entschloss sich zu absoluter Ehrlichkeit, damit er begriff. “Ich habe den schweren Fehler begangen, mit meinem letzten Boss zu schlafen, weil ich dachte, wir wären unbeschreiblich ineinander verliebt. Das Ende der Affäre bedeutete auch das Ende meiner Arbeit. Jetzt arbeite ich selbstständig und begehe diesen Fehler kein zweites Mal bei einem Chef oder einem Kunden.”

“Grundsätzlich ist das eine gute Regel”, meinte er, “aber ich bin weder Ihr Chef noch Ihr Kunde.”

“Ich will diesen Beratervertrag mehr, als ich Sie haben will”, erklärte sie mit größerer Überzeugung, als sie eigentlich verspürte.

“Wenigstens räumen Sie ein, dass Sie sich zu mir hingezogen fühlen”, stellte er lächelnd fest.

“Unwichtig”, wehrte sie ab und verwünschte sich, weil sie sich ungewollt verraten hatte. “Diese Anziehung ist jedenfalls nicht stark genug, als dass ich mein Ziel aus den Augen verlieren könnte.”

“Nun, auf diese Weise gewinnen Sie ganz sicher das Herz eines Mannes.”

Zu spät merkte Melanie, dass sie womöglich sein Selbstbewusstsein verletzt hatte. “Natürlich sind Sie attraktiv”, sagte sie hastig, “außerdem reich und ein guter Fang für jede Frau.”

“Geschickt gerettet”, lobte er.

“In heiklen Situationen bin ich schlagfertig. Das wird mir bei der Abwehr der Medien helfen, wenn Sie sich zur Wahl stellen.”

“Und ich dachte, man müsste die Medien gewinnen, nicht sie abwehren.”

“Natürlich, das stimmt”, entgegnete sie gereizt, weil ihr dieser Mann die Worte im Mund umdrehte. “Aber es gibt bestimmt Dinge, über die Sie nicht sprechen wollen.”

“Gibt es nicht”, wehrte er ab.

“Keine Heerscharen von Frauen mit gebrochenen Herzen?”

“Nein”, erklärte er knapp.

“Männer?”

“Nein”, erwiderte er lachend, “es sei denn, Sie betrachten den Buchhalter als Problem, den ich wegen Veruntreuung von Firmengeldern gefeuert habe.”

“Gut, dass ich das jetzt weiß. Sie wären mein Traumkunde.”

Doch Richard schüttelte hartnäckig den Kopf. “Finde ich nicht, Melanie.”

“Ich habe aber schon einen Plan”, erinnerte sie ihn und griff nach den Unterlagen.

“Ich auch”, erwiderte er, ohne den Blick von ihr zu wenden.

Prompt bekam sie Herzklopfen. “Wir sprechen im Moment nicht von derselben Sache, oder?”

Aus seinen Augen traf sie ein heißer Blick. “Sicher nicht.”

Die offensichtlich erotische Situation war ihr gar nicht so peinlich, wie sie erwartet hätte. Allerdings würde sie nicht mit Richard schlafen, um den Vertrag zu bekommen.

“Dann sollte ich Ihnen jetzt beim Aufräumen helfen”, sagte sie möglichst lässig. “Danach ziehe ich mich zurück und lasse Sie wieder arbeiten. Praktisch, dass ich stets ein gutes Buch bei mir habe.”

“Verhandlungen ausgeschlossen?”, wollte er wissen.

“Ausgeschlossen!”

“Na schön”, lenkte er ein. “Das Aufräumen übernehme ich. Nehmen Sie das Gästezimmer oben auf der linken Seite. Das Bad liegt gleich daneben.”

“Sie haben gekocht, also räume ich auf”, entschied sie.

“Wie Sie meinen.” Richard wandte ihr den Rücken zu und setzte sich an seinen Computer.

Melanie stellte das Geschirr ganz leise in die Spülmaschine, obwohl sie gern einen Höllenspektakel veranstaltet hätte. Noch hatte sie die Hoffnung nicht aufgegeben, Richard könnte nachgeben.

“Gute Nacht”, wünschte sie schließlich und wandte sich zur Tür, um den Raum zu verlassen.

Richards Antwort fiel undeutlich aus, als wäre er völlig in Arbeit versunken, doch sie fühlte seinen Blick auf ihrem Rücken.

Im Gästezimmer ließ sie sich auf das breite Bett mit dem alten eisernen Kopfteil sinken und dachte über den gescheiterten Abend nach.

Nicht zum ersten Mal hatte ihr ein Mann einen Antrag gemacht, und Richard hatte sie nicht bedrängt. Wo also lag das eigentliche Problem? Wenn sie ganz ehrlich mit sich selbst war, so hatte sie sich gewünscht, er würde sie in die Arme nehmen, sie bis zur Besinnungslosigkeit küssen und sie dann in sein Bett tragen. Zum Glück hatte ihr gesunder Menschenverstand gesiegt.

Verdrossen griff sie nach einem Kopfkissen und versetzte ihm einen Schlag. Prinzipien waren ja schön und gut, halfen ihr aber nicht viel in einer langen, einsamen und kalten Nacht.

Richard stand nach einer unruhigen Nacht schon bei Morgengrauen verdrossen wieder auf. Irgendwie hatte er das Gefühl, er sollte sich für etwas entschuldigen, doch er wusste nicht, was das sein könnte. Er hatte offen erklärt, dass er Melanie begehrte. Sie hatte abgelehnt, und er hatte das akzeptiert.

Warum war sie abgerauscht, als hätte er ihre Gefühle verletzt? Frauen! Er hatte ihr doch geboten, was sie haben wollte – eine Nacht allein in ihrem eigenen Bett.

Sicher, eigentlich wollte sie den PR-Beratervertrag, aber den bekam sie nicht. Bestimmt würde sie ihn innerhalb weniger Tage oder vielleicht sogar Stunden zum Wahnsinn treiben.

Bei der ersten Tasse Kaffee hörte er Schritte auf der Treppe und wappnete sich. Doch keine vergrämte Frau mit vorwurfsvollem Blick, sondern ein wahrer Sonnenschein kam herein.

“Guten Morgen”, grüßte Melanie fröhlich. “Ist der Schnee nicht herrlich? Ich war noch nie nach einem Schneesturm am Strand. Das da draußen ist ein richtiger Wintertraum, finden Sie nicht auch?”

“Möglich”, antwortete er vorsichtig.

“Haben Sie denn noch nicht ins Freie gesehen?”

“Doch, natürlich.” In Wahrheit störten ihn die unpassierbaren Straßen so sehr, dass er nichts mehr für landschaftliche Schönheit übrig hatte.

“Sie sind in Panik”, bemerkte Melanie lachend, als hätte sie seine Gedanken erraten, “weil Sie mich nicht so schnell loswerden.”

“Bestimmt hatten Sie ursprünglich etwas anderes vor und sollten sich irgendwo mit jemandem treffen”, entgegnete er.

“Eigentlich nicht”, beteuerte sie unbekümmert.

Erst bei genauerem Hinsehen merkte er, dass sie ihn mit einer gewissen Vorsicht betrachtete. Also zog sie nur eine Schau ab, allerdings eine sehr gute.

“Möchten Sie frühstücken?”, erkundigte er sich.

“Etwas Müsli reicht mir.”

“Ich wollte Brot im Teigmantel mit Ahornsirup machen. Genau wie Destiny, wenn wir hier sind. Für sie ist das ein richtiges Urlaubsessen.”

“Können Sie das zubereiten?”, fragte Melanie, und dieses Mal wirkte ihre Begeisterung sogar echt.

“So schwer ist das nicht”, versicherte er lachend und holte Eier, Butter und Milch aus dem Kühlschrank.

“Ich decke den Tisch”, bot sie an.

“Das habe ich bereits gemacht.”

“Wie lange sind Sie denn schon auf?”, fragte sie erstaunt.

“Seit Stunden.”

“Konnten Sie nicht schlafen?”

“Ich bin Frühaufsteher.”

“Ich nicht”, entgegnete sie. “Ich schlafe gern lang. Aufstehen im Morgengrauen erscheint mir unnatürlich.”

“Dann haben Sie noch keinen Sonnenaufgang über dem Fluss gesehen”, erwiderte er. “Kommen Sie her zu mir.”

“Und warum?”, fragte sie vorsichtig.

“Weil ich Ihnen beibringe, wie man Brot im Teigmantel macht. Dann lernen Sie wenigstens etwas an diesem Wochenende.”

Sie wich zurück, als hätte er ihr einen unanständigen Antrag gemacht. “Lieber nicht. Wahrscheinlich haben Sie nur ein Dutzend Eier hier, und die mache ich spielend kaputt.”

“Kommen Sie her, sonst muss ich annehmen, dass Sie vor mir Angst haben”, drängte Richard und sah ihr in die Augen. “Und dass Sie darüber nachdenken, ob Sie meinen Antrag nicht doch annehmen sollten.”

“Kommt nicht infrage”, wehrte sie ab. “Aber ich habe keine Angst vor Ihnen.”

“Wenn Sie das sagen.” Er verkniff sich ein Lächeln und reichte ihr ein Ei. “Das schlagen Sie in die Schüssel auf, möglichst ohne Schalenreste.”

Melanie schlug so heftig zu, dass Richard zusammenzuckte. Inhalt und Eierschale landeten in der Schüssel, wonach er die Schalen geduldig herausfischte.

“Noch ein Versuch”, verlangte er.

“Wäre es nicht einfacher, wenn Sie das übernehmen?”

“Einfacher schon, aber dann würden Sie nichts lernen.”

“Sie brauchen mir aber keinen Kochkurs zu geben.”

“Doch, damit Sie irgendwann für mich kochen können.”

Sie hielt mit dem Ei in der Hand inne. “Wir waren uns einig, dass es zwischen uns keine persönliche Beziehung geben wird.”

“Das wäre mit Sicherheit vernünftiger”, bestätigte er und verstand selbst nicht, warum er nicht lockerließ.

“Etwas anderes steht auch gar nicht zur Debatte”, betonte sie.

“Vielleicht doch.” Richard führte ihre Hand behutsam zur Schüssel und schlug das Ei auf. Dieses Mal glitt der Inhalt ohne Schalenreste in die Schüssel. “Und jetzt ohne Hilfe”, verlangte er.

Ein drittes und ein viertes Ei gelangten ohne Probleme in die Schüssel. “Unglaublich”, stellte sie fest. “Und nun?”

“Nun geben wir etwas Milch und Vanille dazu und schlagen die Masse dann schaumig.”

Mit bereits wesentlich mehr Selbstvertrauen goss sie zu viel Milch in die Schüssel und knauserte bei der Vanille, doch Richard schwieg und reichte ihr den Schneebesen, den sie betrachtete, als hätte sie so ein Ding noch nie gesehen.

“Damit schlägt man die Eier.” Mit der Hüfte schob er sie zur Seite und nahm ihr den Schneebesen aus der Hand. “So.” Als sie ihn geradezu fasziniert beobachtete, fragte er sich, ob sie sich an jede neue Aufgabe dermaßen konzentriert heranwagte. Doch vielleicht war es besser, er verfolgte diesen Gedanken nicht weiter. “Jetzt Sie”, verlangte er und gab ihr den Schneebesen zurück.

Melanie machte sich mit mehr Eifer als Geschick an die Arbeit, wobei sie allerdings nur wenig spritzte.

Richard gab Butter in eine Pfanne und reichte Melanie die Brotscheiben. “Die tauchen Sie in die Eiermasse, bis sie auf beiden Seiten bedeckt sind, und legen sie dann in die Pfanne. Ich hole den Sirup.”

Obwohl er sich nur wenige Sekunden abwandte, reichte die Zeit, dass Melanie heiße Butter auf die Hand spritzte. Sie murmelte eine Verwünschung und hatte Tränen in den Augen.

“Zeigen Sie her”, verlangte er.

“Nur ein wenig verbrannt”, wehrte sie ab. “Ich sagte doch, dass ich in der Küche ein hoffnungsloser Fall bin.”

“Sie sind nicht hoffnungslos, sondern nur unerfahren. Setzen Sie sich, und ich hole Salbe für die Hand.”

“Dann verbrennt das Brot”, protestierte sie.

“Wir machen frisches.” Er zog die Pfanne von der Platte, holte den Erste-Hilfe-Kasten und setzte sich zu Melanie.

An der rechten Hand hatte sie bereits eine Brandblase. Die Haut fühlte sich weich an, und Richard gab ihre Hand nicht frei, nachdem er Salbe aufgetragen hatte.

“Tut mir leid wegen gestern Abend”, entschuldigte er sich. “Ich weiß gar nicht, warum ich das gesagt habe. Wahrscheinlich wollte ich Sie ärgern.”

“Es war ein Spiel?”, fragte sie gereizt. “Sie wollten gar nicht mit mir schlafen? Ich wusste es! Was sind Sie für ein Mann?”

Seine Bemerkung war eindeutig nicht gut angekommen. “Nein, so war es nicht. Verdammt, irgendwie erwische ich bei Ihnen stets die falschen Worte.”

“Das geht mir auch so”, räumte sie widerstrebend ein.

“Ich begehre Sie”, gab er zu, “aber ich respektiere auch, dass Sie keine Beziehung zu einem möglichen Kunden eingehen wollen. Außerdem kennen wir uns noch nicht gut genug, als dass wir uns auf etwas einlassen sollten. Einen solchen Schritt darf man nicht aus einem Impuls heraus machen.”

“Nein”, bestätigte sie leise, hob die unverletzte Hand und berührte seine Wange. “Impulse sind gefährlich.”

“Melanie”, murmelte er gepresst.

“Ja, Richard?”

“Es ist noch immer keine gute Idee. In dem Punkt hatten Sie also recht.”

“Ich weiß”, entgegnete sie, zog die Hand jedoch nicht zurück.

“Und ich will Sie noch immer küssen”, fügte er leise hinzu.

Als sie nicht widersprach und auch nicht zurücktrat, gab er den letzten Widerstand auf und beugte sich zu ihr. Es sollte nur ein flüchtiger Kuss sein, doch es begann schon so himmlisch, dass Richard sich mehr wünschte.

Ihre Lippen waren warm und weich, wie er sich das die ganze einsame Nacht über vorgestellt hatte, außerdem spielte sie verführerisch mit seiner Zunge. Doch während seine Leidenschaft wuchs, meldete sich auch sein Gewissen. Bin ich wahnsinnig?, warf er sich vor.

Widerstrebend gab er Melanie frei, lehnte sich zurück und ballte die Hände zu Fäusten. “Tut mir leid.”

“Ich habe den Kuss erwidert”, räumte sie ein.

“Stimmt”, bestätigte er lächelnd.

“Kein Grund, dermaßen selbstzufrieden zu strahlen”, tadelte sie.

“Ich strahle nicht selbstzufrieden”, beteuerte er hastig.

“Richard”, sagte sie ernst, “nichts hat sich geändert. Ich werde nicht mit dir schlafen, und ich will diesen Auftrag haben.”

Er zweifelte nicht daran, dass sie es ernst meinte, aber beides gefiel ihm nicht.

4. KAPITEL

Gleich nach dem Frühstück zog Melanie sich ins Wohnzimmer zurück. Nach diesem umwerfenden Kuss musste sie ihr inneres Gleichgewicht wiederfinden. Um sich abzulenken, versuchte sie zu arbeiten, doch es fiel ihr schwer. Ungeduldig schlug sie die oberste Seite ihres Notizblocks um und riss sie dabei ein.

“Hast du Schwierigkeiten, dich zu konzentrieren?”

“Nein”, behauptete sie nervös.

“Schwindlerin”, sagte Richard lachend. “Aber da ich mich auch nicht konzentrieren kann, schlage ich vor, dass wir einen Spaziergang machen und in der Stadt zu Mittag essen.”

“Wir haben doch gerade erst gefrühstückt.”

Er deutete auf seine Uhr. “Vor vier Stunden. Hast du mit offenen Augen geträumt?”, erkundigte er sich amüsiert. “Oder hast du an dem PR-Plan gearbeitet für den Fall, dass ich doch nachgebe?” Blitzschnell nahm er ihr den Notizblock weg und lächelte, als er die Herzen entdeckte, die sie unbewusst gezeichnet hatte.

Melanie hätte sich am liebsten in einem Mauseloch verkrochen. “Ich habe an einen höchst attraktiven Fernsehreporter gedacht, den ich letzte Woche getroffen habe”, log sie tapfer.

Richard schluckte den Köder. “An welchen Reporter denn?”

“Spielt das eine Rolle?”

“Ich möchte deinen Geschmack in Bezug auf Männer kennenlernen”, behauptete er.

Ihr war schon klar, dass er ihr bloß eine Falle stellte. Prompt nannte sie den begehrtesten Junggesellen unter allen Journalisten der Stadt. Der Mann war grauenhaft langweilig, aber das wusste Richard bestimmt nicht.

“Ach ja?”, entgegnete er jedoch. “Ich habe gehört, er wäre recht attraktiv, aber nicht sonderlich intelligent.”

“Vielleicht bin ich nicht daran interessiert, mich mit ihm über hoch geistige Themen zu unterhalten”, konterte sie.

“Du musst dir schon was Besseres einfallen lassen, Schatz”, meinte Richard grinsend. “Eine Grundregel beim Lügen lautet, dass man glaubhaft flunkern muss.”

“Wenig erstaunlich, dass du das weißt.”

Auf diese Stichelei ging er allerdings nicht ein. “Komm, Melanie, aufstehen! Der Spaziergang tut dir bestimmt gut und vertreibt alle unziemlichen Gedanken an diesen heißen Hengst.”

Melanie seufzte. In einem Punkt hatte Richard recht: Sie musste dringend an die frische Luft. Vielleicht half ihr die Kälte, sich ausnahmsweise mal nicht zum Narren zu machen. Sonst würde Richard sie womöglich nie ernst nehmen.

Richard konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal nur zum Vergnügen spazieren gegangen war. Der Himmel war blau, und im Sonnenschein leuchtete der Schnee so grell, dass Richard froh war, seine Sonnenbrille mitgenommen zu haben. Allerdings blendete ihn das begeisterte Leuchten in Melanies Augen fast genauso, doch davor schützte ihn die Brille leider nicht.

“Sieh nur”, sagte sie leise, nachdem sie alle paar Meter stehen geblieben war und ihn auf einen besonders schönen Ausblick aufmerksam gemacht hatte. “Ein Rotkehlchen. Jetzt hätte ich gern einen Fotoapparat dabei.”

“Wir könnten eine Einwegkamera kaufen”, schlug er vor.

“Wirklich?”, fragte sie so eifrig, dass er lachend musste.

“Du bist sehr leicht zufriedenzustellen”, neckte er sie. “Eine billige Kamera, und schon hat man dich vollkommen für sich gewonnen.”

“Ich habe beschlossen, heute ganz einfach alles mitzumachen”, erwiderte sie.

Richard horchte auf. “Ach?”

“Nein, nicht das, was du denkst”, stellte sie richtig.

“War ja nur so ein Gedanke”, behauptete er.

Daraufhin betrachtete sie ihn merkwürdig. “Du willst mich doch gar nicht wirklich verführen”, behauptete sie. “Warum sagst du dann ständig so etwas?”

“Wieso denkst du, dass ich dich nicht verführen will?” Der Gedanke gefiel ihm sogar immer besser.

“Das hast du selbst zugegeben”, erinnerte sie ihn. “Du würdest mich wahrscheinlich nicht abweisen, würde ich mich dir anbieten, aber du flirtest mit mir, um mich zu ärgern.”

Eigentlich war Melanie nicht sein Typ, doch sie besaß eine erfrischende Offenheit und vor allem große Begeisterungsfähigkeit. Vielleicht hatte Destiny recht, und es war Zeit, dass er Schwung in sein ziemlich graues Leben brachte.

“Kann schon sein, dass ich dich ärgern möchte”, räumte er ein. “Aber vielleicht will ich dich nur auf meinen ersten absolut unwiderstehlichen Annäherungsversuch vorbereiten.”

Zuerst sah sie ihn verblüfft an, doch dann lächelte sie. “Nein, ganz bestimmt nicht. Du treibst keine Spielchen. Dafür nimmst du das Leben viel zu ernst.”

“Stammt das auch von Destiny?”, erkundigte er sich.

“Nein, das habe ich selbst festgestellt”, versicherte Melanie. “Ich bin eine gute Menschenkennerin. Darum bin ich ausgezeichnet im PR-Geschäft. Ich bringe Menschen dazu, genau das zu sehen, was ich auch sehe.”

“Und wie würdest du mich anderen Menschen zeigen wollen?”, erkundigte er sich interessiert. “Hoffentlich nicht ernst und steif.”

“Nein, ich würde darauf hinweisen, dass du Verantwortung übernimmst, hart für Carlton Industries gearbeitet hast und dich ebenso hart für deine Wähler einsetzen würdest. Das sind gute Eigenschaften bei einem Kandidaten.”

“Hast du mich anfangs nicht für einen schlechten Kandidaten gehalten, weil ich nie im Leben kämpfen musste?”

Sie zuckte mit den Schultern. “Vielleicht hast du mich umgestimmt.”

“Oder vielleicht wünschst du dir diesen Vertrag so sehr, dass du alles sagen würdest, um ihn zu bekommen”, bemerkte er spöttisch.

Melanie blieb stehen. “Wenn du das glaubst, kennst du mich nicht”, hielt sie ihm beleidigt vor. “Ich arbeite nicht für jemanden, an den ich nicht glaube.”

“Aber du kennst mich nicht gut genug, um an mich glauben zu können”, hielt er ihr vor.

“Doch, ich denke schon. Als Destiny mir vorschlug, für dich zu arbeiten, habe ich mich genauestens über dich informiert. Ich wollte wissen, ob Destiny dich nicht blindlings gelobt hat, und das hat sie nicht getan. Du bist ein guter Mensch, Richard, in dem Punkt sind sich alle einig. Ob du allerdings eine Wahl gewinnen kannst, steht auf einem anderen Blatt.”

Es ärgerte ihn, dass sie ihm das nicht zutraute. “Was fehlt mir denn deiner Meinung nach?”

“Aufgeschlossenheit”, erwiderte sie, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen.

Schon wollte er widersprechen, als er die Falle durchschaute. “Du meinst, weil ich schon vor dem ersten Zusammentreffen entschieden habe, dich nicht zu engagieren?”

“Das ist einer der Gründe”, bestätigte sie. “Der zweite Grund ist, dass wir uns jetzt kennengelernt haben und du meine beruflichen Fähigkeiten nicht von der Tatsache trennen kannst, dass ich dich als Frau aus dem Gleichgewicht bringe.”

“Du bringst mich nicht aus dem Gleichgewicht”, protestierte er.

“Ach”, entgegnete sie amüsiert, “das ist jetzt die erste direkte Lüge, die ich aus deinem Mund höre.”

“Die du erkennst”, korrigierte er, bestritt jedoch nicht, in diesem Moment gelogen zu haben, weil sie ihn wirklich aus dem Gleichgewicht brachte. Dabei gelang es ihm sonst immer, andere Menschen nicht an sich herankommen zu lassen.

“Es war die erste Lüge”, betonte sie.

“Schön, du hast recht.” Richard seufzte. “Meinetwegen kannst du behaupten, dass ich fast immer die Wahrheit sage und dass du mich aus dem Gleichgewicht bringst. Na und?”

“So kommen wir schon weiter”, stellte sie fröhlich fest. “Gleich gibst du auch noch zu, dass du starrsinnig warst, und du wirst nach der Rückkehr von diesem Spaziergang meinen PR-Plan ansehen.”

“Das alles liest du aus meinem Eingeständnis heraus?”, fragte er ungläubig.

“Ich bin brillant, nicht wahr?”, bemerkte sie stolz.

“Nicht brillant, sondern hinterhältig”, verbesserte er sie lachend. “Übrigens bist du meiner Tante sehr ähnlich.”

“Das fasse ich als Kompliment auf.”

Richard seufzte. “Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob es eins war.”

Melanie fing von Richard einen forschenden Blick auf, als sie in einem kleinen Café im Stadtzentrum Krabbensandwichs, gemischten Salat und zum Nachtisch Apfelkuchen mit Eiscreme bestellte.

“Willst du mich mit Essen günstig stimmen, damit ich aufgeschlossener reagiere?”, fragte er schließlich lächelnd.

“Allerdings”, bestätigte sie. “Du kannst natürlich etwas anderes essen. Übrigens bezahle ich. Schließlich bemühe ich mich um einen möglichen Kunden.”

“Ich bezahle”, widersprach er mit Blick zur Kellnerin. “Außerdem muss ich so viel essen wie du, um genug Energie zu haben. Ich kann sonst nicht mit dir mithalten.” Er nickte der Kellnerin, die amüsiert zuhörte, verschwörerisch zu. “Für mich das Gleiche und einen möglichst starken Kaffee.”

“Sehr gern”, erwiderte die Frau mittleren Alters.

“Schade, dass du nicht hier kandidierst”, meinte Melanie, nachdem sich die Kellnerin entfernt hatte. “Ihre Stimme wäre dir sicher.”

“Bei Wahlen sollte es nicht um persönliche Ausstrahlung gehen”, wandte er ein.

“Sollte es nicht, aber Ausstrahlung spielt eine große Rolle. Ein langweiliger Typ mit einem guten Wahlprogramm kann zwar gewählt werden, aber es ist schwierig. Du hast ein gutes Programm und Ausstrahlung. Darauf solltest du bauen.”

“Mit anderen Worten, ich muss kleine Kinder küssen und Hände schütteln.”

“Das müssen Politiker immer”, bestätigte sie. “Die Leute wollen sehen, dass der Kandidat ein Mensch ist. Sie wollen ihm ins Auge schauen und selbst beurteilen, ob er ehrlich ist und einen festen Händedruck hat.”

Richard dachte daran, dass er von Konkurrenten wegen seiner Härte bei Verhandlungen als unmenschlich bezeichnet worden war. Das Gleiche galt für Frauen, die sich mehr von der Beziehung mit ihm versprochen hatten. Ihm war klar, dass ihm wegen des Verlusts seiner Eltern etwas abhandengekommen war, ein Teil von ihm, den er vielleicht durch Melanies Lebenslust und Wärme wiederfinden konnte.

Doch das war Unsinn. Melanie wollte mit ihm einen Vertrag abschließen und nicht seine alten Wunden heilen. Wie alle anderen wollte sie etwas von ihm, und das durfte er nie vergessen.

“Hey”, sagte sie leise und strich ihm leicht mit den Fingern über den Handrücken. “Wo bist du jetzt mit deinen Gedanken?”

“Ich bin gerade in die Wirklichkeit zurückgekehrt”, antwortete er entschieden.

Bevor sie fragen konnte, wie er das meinte, kam das Essen. Er stürzte sich gleich darauf, aber Melanie zögerte eine Weile. Erst nachdem sie das Krabbensandwich gekostet hatte, taute sie wieder auf.

“Schmecken die Krabben nicht toll?”, fragte sie begeistert.

Er nickte. “Sogar tiefgefroren und außerhalb der Saison. Die hier sind sogar besser als in den teuersten Restaurants von Washington.”

“Was ist das für ein Gewürz?”, fragte sie nach dem nächsten Bissen. “Das macht es richtig pikant.”

“Warum willst du das bei deiner Unfähigkeit in der Küche denn überhaupt wissen?”

“Ich kann auch lernen”, behauptete sie. “Ganz hoffnungslos bin ich nicht.”

“Warum willst du dir die Mühe machen, wenn du einfach herkommen kannst?”

“Das ist nicht so einfach”, widersprach sie. “Bisher war ich noch nie in dieser Gegend.”

“Wegen des Krabbensandwichs kommst du bestimmt wieder. Vielleicht lade ich dich sogar ein.”

“Wahrscheinlich verhungere ich, wenn ich darauf warte”, wehrte sie ab. “Es wäre schon nett, wenn man nicht immer auswärts essen muss”, fuhr sie bedauernd fort. “Und tiefgekühlte Fertiggerichte mag ich nur im Notfall.”

Richard erging es ähnlich. Auch er aß zu oft an seinem Schreibtisch oder in Restaurants. Deshalb freute er sich stets, wenn Destiny ihn und seine Brüder zu sich einlud. Sie war eine ausgezeichnete Köchin, aber noch viel wichtiger waren das Beisammensein und die Unterhaltung bei Tisch. “Erzähle mir von deiner Familie”, bat er.

“Von meiner Familie?”, fragte sie überrascht.

“Ja. Ist sie groß oder klein? Wo wohnen deine Angehörigen?”

“Ich habe zwei ältere Schwestern. Beide sind verheiratet, haben keinen Ehrgeiz und sind schrecklich zufrieden mit ihren Ehemännern und Kindern. Sie leben in Ohio in der Nähe unserer Eltern. Alle liegen mir wegen meines Single-Daseins in den Ohren.”

“Wart ihr euch nahe?”

Melanie lächelte. “So nahe, wie drei Mädchen sich stehen können, wenn alle drei dasselbe Kleid zum Tanzen anziehen wollen.”

“Und beneidest du deine Schwestern?”

“Manchmal”, gestand Melanie nachdenklich. “Ich liebe meinen Beruf und bin ehrgeizig. Trotzdem wünsche ich mir jemandem, mit dem ich alles teilen kann.”

“Ich weiß genau, was du meinst”, erwiderte er.

“Wirklich?”, fragte sie erstaunt.

“Sicher. Was hat man von den größten Erfolgen, wenn man mit niemandem darüber reden kann und niemand sich mit einem freut?”

“So ist es”, bestätigte sie. “Wir sind nicht unzufrieden oder undankbar. Uns ist nur klar, dass man im Leben mehr haben könnte. Und das ist doch richtig, oder?”

“Selbsterkenntnis ist immer gut.”

“Warum hast du dann keine der Frauen geheiratet, mit denen du bisher zusammen warst?”, erkundigte sie sich.

Er schauderte allein schon bei der Vorstellung. “Weil ich mit keiner von ihnen in ein Lokal wie dieses für ein Krabbensandwich und ein Stück Apfelkuchen hätte gehen können.”

“Wirklich nicht?”, fragte sie lächelnd.

“Wirklich nicht”, bestätigte er. “Das sollte dir aber keinesfalls gleich zu Kopf steigen.”

“Keine Sorge”, beteuerte sie.

“Und es bedeutet auch nicht, dass ich dir den Vertrag geben werde”, fügte er sicherheitshalber hinzu.

“Das weiß ich”, betonte sie, lächelte jedoch recht zufrieden.

“Es bedeutet nur, dass du mich stark an Destiny erinnerst”, fuhr er fort. “Du nimmst kein Blatt vor den Mund, bist unberechenbar und …”

“Offen für neue Ideen?”, ergänzte sie, als er stockte.

“Treib es nicht zu weit”, warnte er lachend.

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